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Althea Sammelband

Althea 1-4

von Derik Peterson (Autor:in)
940 Seiten

Zusammenfassung

Die Welt hat sich in einer Katastrophe verändert, Elektrizität funktioniert nicht mehr, dafür jetzt aber Magie. Was übrigens so nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit passiert ist. Diesmal war die Umwandlung heftig, daher haben sich viele der überlebenden Menschen durch das spontane Erwachen der Magie verändert, in Ork, Zwerge, Elfen und noch einige andere magische Rassen. Eine Elfin namens Althea versucht ihren Weg zu finden, in einer völlig veränderten und fremden Welt und noch dazu in einem mindestens ebenso fremden Körper. Dabei ist noch ihr kleinstes Problem, dass sie einmal ein Mann gewesen war und sie in ihrem Körper kaum noch zurechtkommt. Ihr weit größeres Problem ist, dass die Welt ein sehr gewalttätiger Ort geworden ist, auf den sie so nicht vorbereitet war. Sie lernt es auf die harte Tour zu überleben, auf einem sehr steinigen Weg in eine unbekannte Zukunft, in der alle Würfel für die Menschen neu gerollt wurden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

Althea Sammelband

 

Von Derik Peterson

 

 

Inhaltsverzeichnis

1 Was einmal war

2 Eine Geburt

3 Waging am See

4 Der Aufbruch

5 Eine unangenehme Überraschung

6 Dunkelheit und Feuer

7 Durch den Wald

8 Endlich Menschen

9 Grenzfeste Riem

10 Bayrische Gastfreundschaft

11 Ein neues Zuhause

12 Sabine

13 Krieg

14 Die Schlacht

15 Eine Atempause

16 Der Aufbruch

17 Die Elfen von Larithin

18 Jaritha

19 Drachenfurcht

20 Wieder in der Feste

21 Der Turm

22 Die Entscheidung

23. Rückblick

24. Der Aufbruch

25. Ein Drachentöter

26. Eine Patrouille

27. Friedrich Eberhardt

28. Der wahre Feind

29. Wieder Richtung Heimat

30. Und erneut unterwegs

31. Prag

32. Christin Stadler

33. Drachenfreunde

34. Waschtag

35. Zigeuner und eine Prophezeiung

36. Der Drachenhort

37. Der Rat

38. Heimreise

39. Ein Abschied von einem teuren Freund

40. Die Heimat naht

41. Vor Gericht

Vorwort

42. Ein Paradies auf Erden ist nie von Dauer

43. Krieg

44. Der Aufbruch

45. Ein Drachenfreund

46. Ein unerwartetes Wiedersehen

47. Der Blutschwur

48. Der Tod und das Feuer

49. Die missratene Ratsversammlung

50. Ein Kater oder nicht, das ist hier die Frage

51. Eine unerwartete Bereicherung

52. Die Karawane

53. Die Rache

54. Zurück in die Vergangenheit

55. Zurück in die Gegenwart

56. Natalie

57. Medizinische Versorgung

58. Die Belagerung

59. Das zweite Erwachen, der erste Tag

60. Das zweite Erwachen, der lange erste Tag

61. Das zweite Erwachen, der endlose erste Tag

62. Ein neuer Morgen und eine schicksalhafte Entscheidung

63. Das Training, Richard und ein Bad

64. Die Drachenhöhle

65. Eine tödliche Falle

66. Die drei Heere

67. Der Boxkampf

68. Eine unlösbare Aufgabe

69. Die letzte Schlacht

70 Die Flucht

71 Ein Wolf in Österreich

72 Eine fast normale Stadt

73 Wien

74 Standesgemäß

75 Der Ball

76 Cornelia

77 Eine schwere Entscheidung

78 Die Königin ist tot, es lebe die Königin

79 Ein neuer Anfang

80 Jerusalem

81 Ein neuer Lehrer

82 Larithin

83 Die Hochzeit

84 Der Beginn einer langen Reise

85 Japan

86 Eine lange Nacht

87 Eine Einladung

88 Hayato Kobayashi

89 Zu heiß für die Jahreszeit

90 Eine Abkühlung und ein Bad

91 Australien

92 Der grüne Strahl

93 Demosthenes

94 Die Belagerung

Nachwort

Anmerkung des Autors

1 Was einmal war

 

Es begann alles mit einem Sonnenuntergang. Sie wissen schon, einer derjenigen, die man nicht so leicht vergisst. Manchmal zehrt man noch wochenlang von der einen Erinnerung an einen solchen Moment. Unsere Sonne hing als riesiger, roter Feuerball am Horizont, ihr helles und Leben spendendes Licht spiegelte sich in den schneebedeckten Berggipfeln der Alpen wieder. Ich saß alleine auf einer hölzernen Bank inmitten einer grünen Wiese am Waginger See und genoss das wunderbare Naturschauspiel.

Es sah für mich so aus, als würden die Berge brennen, als hätte ein unheimliches und geheimnisvolles Feuer den Felsen und den Schnee entzündet. Es war bitterkalt auf der Bank, aber ich ertrug die Kälte problemlos. Also eigentlich, um ganz ehrlich zu sein, vielleicht auch doch eher ein bisschen weniger problemlos. Bestimmt aber doch wenigstens für eine Weile, belog ich mich selbst nicht wirklich sehr erfolgreich. Ich hing meinen düsteren Gedanken nach und sah trotzdem weiter gebannt nach Süden, ich konnte meine Augen einfach nicht von den feuerroten Berggipfeln lösen. Das fantastische Naturschauspiel hatte mein Innerstes fest im Griff. Als dann jedoch die Kälte anfing, mir so richtig in die Knochen zu kriechen, konnte ich das schon bald nicht mehr ignorieren, die Zeit, mich selbst zu belügen, war schneller vorbei, als mir lieb war. Vielleicht war Spätherbst, oder besser gesagt Frühwinter, doch nicht die allerbeste Jahreszeit, um draußen einen Sonnenuntergang zu bewundern. Jedenfalls nicht für mich. Einmal Stubenhocker ...

Wir befanden uns in den ersten Geburtswehen des neuen Jahrtausends, es war die Zeit vor der großen Umwandlung, die damals die ganze Welt umfasste. Wenn ich es nur irgendwie geahnt hätte, was mich alles in der Zukunft erwartet, hätte ich mir deutlich weniger dunkle Gedanken gemacht und wäre stattdessen einfach laut schreiend davon gelaufen. Nicht, dass es mir irgendetwas genutzt hätte. Ich denke auch heute noch oft und gerne an die alten und friedlichen Zeiten mit warmen Erinnerungen zurück, vielleicht sogar ein wenig wärmer, als es mein Leben damals verdient hatte. Die Vergangenheit hatte jedoch immer etwas an sich, das einen dazu verführt, sie deutlich besser in der Erinnerung zu halten, als sie es eigentlich verdient.

Unsere Welt war aber auch wirklich nicht mehr ganz so schrecklich wie nicht einmal fünfzig Jahre davor. Es gab immer noch viel zu viel Böses und Furchtbares, Unmenschliches und Grauenhaftes. Aber es gab auch Hoffnung. Hoffnung auf eine Zukunft ohne Krieg, auf einen stabilen Frieden, ohne die furchtbaren Waffen des einundzwanzigsten Jahrhunderts in einem weiteren Weltkrieg benutzen zu müssen. Trotzdem, wenn man mich gerade in diesem Augenblick danach gefragt hätte, hätte ich wohl ausdrücklich nach Veränderungen verlangt. Manchen kann man es eben nie recht machen.

Wieder einmal alleine, hatte ich ein weiteres Mal bewiesen, dass ich offenbar zu einer einigermaßen glücklichen und ausgeglichenen Beziehung nicht in der Lage war. Ich vermisste diesmal meine Ex nicht besonders, wie auch die Mädchen davor, eigentlich war ich einfach nur erleichtert und genoss meine Einsamkeit. Merkwürdig, wie sehr sich die Gefühle mit der Zeit verändern. Nach einer gewissen Zeit der Einsamkeit wird das Gefühl immer beklemmender, immer unangenehmer, es verschiebt sich von etwas Positiven zu etwas Negativen.

Aber gerade jetzt erholte ich mich einfach nur von der erdrückenden Enge der Beziehung, die Einsamkeit war etwas Positives und Schönes für mich. Ich liebte das Mädel zwar immer noch sehr, aber die Luft zum Atmen tat mir gerade ziemlich gut, obwohl ich sie vermutlich nie wieder sehen würde. Ich war nicht mehr der Jüngste, aber auch nicht wirklich alt. Als einundvierzigjähriger Single macht man sich schon Gedanken, wie das Ganze wohl einmal mit einem enden würde. Ich wühlte mich tief in meinem ganz privaten Selbstmitleid. Eine eigene Familie, das war etwas, dass ich mir schon lange wünschte. Eigentlich schon in einem Alter, als meine Altersgenossen noch darüber nachgedacht haben, wie sie wohl das nächste Autotuning finanzieren konnten.

Aber trotz allem war es mir nie vergönnt gewesen mich in einer Beziehung wiederzufinden, in der ich so etwas verwirklichen wollte oder konnte. Inzwischen war ich mir ziemlich sicher, dass es wohl an mir liegen musste. Mir war zwar nicht ganz klar, was genau der Grund dafür war, aber es musste einfach an mir liegen. Der Gedanke, dass es an allen anderen lag, war einfach zu beängstigend und zu verrückt.

Wie war es nur wieder dazu gekommen? Nun, das Übliche, der Computer und die Einsamkeit, die er mit sich brachte. In meinen Beziehungen waren Frauen niemals auf einen anderen Menschen eifersüchtig. Es war immer diese merkwürdige Maschine, die mein Leben so von Grund auf verändert hatte, nachdem ich den ersten Kontakt hinter mich gebracht hatte. Nach einigen Jahren und endlosen Studien, die ich mit den Augen vor dem Schirm und mit der Nase in Fachliteratur verbrachte, hatte ich mir in der Informationstechnologie-Branche einen Namen gemacht. Ich war anerkannter Spezialist und war auch ein bisschen stolz darauf, mit dieser Maschine Dinge vollbringen zu können, die für andere unmöglich waren.

Leider kostet es sehr viel Zeit, so gut zu werden, und das bekamen auch meine Partnerinnen ziemlich früh mit. Den Rest der Beziehung beschreibe ich gerne mit Phasen. Erst kommt die „Ich kann nicht glauben, dass diese Maschine für dich wichtiger ist, als ich es bin“-Phase, dann kommt die „Wenn ich jetzt nicht hart vorgehe, wird er immer mehr Zeit mit dieser Maschine als mit mir verbringen“-Phase, und dann kommt der lange und steinige Weg der Entfremdung. Der letzte Ausbruch, um der zu diesem Zeitpunkt völlig zerrütteten Beziehung schließlich zu entkommen, der war dann eigentlich nur noch Formsache, was ihn jedoch deswegen nicht schmerzloser machte.

Nun ja, eigentlich sollte ich mich doch mittlerweile an das alles gewöhnt haben. Dieses Mal war ich es gewesen, der die logische finale Konsequenz gezogen hatte. Was aber nicht immer so gewesen war. Und mit jeder weiteren Trennung tat es mehr weh, es gibt Dinge, an die gewöhnt man sich einfach nicht. Ganz im Gegenteil. Es wird immer schlimmer. Es sind die Schmerzen in der Seele, die bleiben einem erhalten. Sie werden vielleicht taub, vernarben, bleiben aber für immer präsent.

Vielleicht ist es tatsächlich unmöglich, für jemanden mit meinem Beruf, eine wirklich glückliche Beziehung zu führen. Oder war es am Ende doch mein merkwürdiger Charakter, in dem das große Problem meiner Beziehungsunfähigkeit lag?

Eine andere Vermutung hatte ich noch. Ich war als ziemlich nett bekannt, auch weibliche Freunde hatte ich in meinem Leben immer reichlich gehabt. Nette Männer sind aber langweilig, viele Frauen bevorzugen meiner Meinung nach einen wilden und gefährlichen Mann, eben einen so richtig männlichen. Den können sie dann erfolgreich zähmen und das Familienglück ist perfekt. In dieses Bild passte ich nun mal gar nicht als überzeugter Pazifist. Ich habe meinen Wehrdienst aber trotzdem hinter mich gebracht. Meistens tue ich immer das, was gerade getan werden muss. Anweisungen Folge zu leisten fiel mir nicht sehr schwer.

Die Sonne war inzwischen nur noch eine kleine Scheibe und ich betrachtete bewundernd den rot glühenden Himmel und die wenigen Wolken, die sich gerade dort befanden. Dann versank die Sonne komplett hinter dem Horizont und es wurde dunkel.

Es ist immer wieder interessant, wie plötzlich sich manchmal der Tag dem Ende entgegen neigt und man sich in völliger Dunkelheit wiederfindet. Zeit ist wirklich relativ, in manchen Momenten rast sie dahin, in anderen ist sie zäh wie Honig. Oder erschien es mir einfach nur so, weil ich aus meinen viel zu trüben Gedanken erwachte? Ich musste mich jedenfalls im Stockdunklen an den Abstieg machen, in der Hoffnung, irgendwo mein Auto wiederzufinden. Mein guter, alter Opel Ascona Automatik, ein Familienerbstück, der mir deshalb sehr am Herzen hing, auch wenn er nicht mehr ganz der Jüngste war.

Dann wurde es auf einmal dunkler als nur dunkel. Alles um mich herum wurde abgrundtief und bodenlos schwarz. Eine absolute und totale Schwärze, eine Schwärze, die sich nicht nur durch das völlige Fehlen von Licht darstellte. Für einen Moment kam es mir vor, als wäre ich völlig alleine und einsam auf der Welt. Das letzte und einzige Lebewesen, so weit meine Sinne reichten, um mich herum war nur noch das absolute Nichts.

Es war der 29. November 2001, an dem die Welt, so wie ich sie kannte, unterging.

Ich kann mich noch an einen brennenden Schmerz erinnern, der mein Bewusstsein kurz danach auslöschte. Ich fühlte mich wie ein Mensch, der von einem unglaublich heißen und lodernden Flammenwerfer gebadet wurde. Es war das Furchtbarste an Schmerz, was ich bis dahin erlebt hatte. Vermutlich versank ich deshalb ziemlich schnell in eine erlösende Ohnmacht - man kann nur ein gewisses Maß an Schmerz ertragen, bis das Unterbewusstsein für Linderung sorgt und einem das Licht ausknipst.

 

2 Eine Geburt

 

Ich erwachte irgendwo an einem irgendwann, ohne auch nur das geringste Zeitgefühl, wie lange ich wohl im Dazwischen gewesen war. Völlig orientierungslos starrte ich an eine weiße Decke mit einer doppelten Neonröhre. Das Licht war zwar ausgeschaltet, trotzdem war es ziemlich hell in dem Zimmer. Über mir hing ein weißes Regalbrett, wie man es oft hässlich und schmucklos über Krankenhausbetten fand. Mein Körper hing an einer deutlich zu großen Menge von Schläuchen, einer ging durch die Nase in meinen Körper und ein weiterer durch einen Katheter in den Arm. Ich fühlte mich seltsam und merkwürdig leicht, ich war versucht, mich am Bett festzuklammern, um nicht davonzuschweben. Dann verschwanden die merkwürdigen und beklemmenden Eindrücke und alles wurde wieder beruhigend dunkel und schwarz. Ich versank erneut in einer tiefen Bewusstlosigkeit.

Früher oder später erwachte ich erneut, meinem völlig unzuverlässigem Zeitgefühl nach vielleicht sogar Jahre nach dem ersten Mal, und blickte in das grelle, weiße Licht der Sonne, die durch ein Fenster schien. Es war ein sehr heller Tag, viel zu hell für die winterliche Jahreszeit fand ich, und die Heizung hatten sie hier wohl auch zu hoch aufgedreht, allerdings war es nicht unangenehm warm.

Ich schloss die Augen wieder, das grelle Licht schmerzte einfach unerträglich. Mein Körper fühlte sich an, als wäre eine Dampfwalze darüber gefahren, jeder einzelne Knochen und Muskel tat mir weh. Der Teil meines Körpers, der nicht schmerzte, war einfach nur völlig taub, sodass ich mir nicht mal sicher sein konnte, überhaupt noch alle Körperteile zu besitzen.

Es stank furchtbar hier, dieser Eindruck dominierte meine Sinne geradezu als Nächstes, nachdem ich erfolgreich die Schmerzen einigermaßen ausgeblendet hatte. Es war ein strenger Geruch nach Angst, altem Schweiß und Medizin. Noch dazu angereichert mit modrigem Pilzgeruch, was die Auswahl an Gerüchen nicht gerade verbesserte.

Ich setzte mich auf, was ich gleich darauf wieder bereute. Das ganze Zimmer drehte sich um mich herum, was doch eigentlich unmöglich war. Insbesondere, da ich doch sofort die Augen geschlossen hatte, als es damit anfing. Aber irgendwie war ich mir des Zimmers trotzdem noch bewusst. Und es drehte sich, völlig außer Acht lassend, dass es eigentlich völlig unmöglich war. Ich empfand das Zimmer sofort als ziemlich rücksichtslos.

Unendlich langsam beruhigte sich die ganze Sache, und die Welt und das Zimmer hörten irgendwann damit auf, sich zu drehen. Dafür kamen jetzt ganz neue Schmerzen und wurden mit jeder Sekunde schlimmer. Mein ganzer Körper fühle sich an, als würde ich in kochendes Wasser getaucht, meine Haut brannte und das Fleisch darunter wurde gerade von einem unbarmherzigen Höllenfeuer gar gekocht.

Ich erinnere mich nicht mehr daran, geschrien zu haben. Aber ich würde auch nicht dagegen wetten, die Schmerzen waren einfach unerträglich. Plötzlich und ohne Vorwarnung ebbten die brennenden Schmerzen jedoch genauso schnell ab, wie sie gekommen waren, und ich fing an, mich einigermaßen zu beruhigen. Mein Herz klopfte nicht mehr ganz so schnell, das Adrenalin und die Angst gingen etwas zurück. Und dann sehr viel später einmal, nach einer kleinen, gefühlten Ewigkeit, beschloss mein Körper, sich endlich etwas normaler anzufühlen. So wie sich ein Körper eben eigentlich so anfühlen sollte.

Als ich schließlich die Augen wieder öffnen konnte und mich umsah, erkannte ich mit getrübtem Blick wenigstens so viel, dass ich nach wie vor alleine in dem Zimmer war. Es sah nach einem normalen Krankenhauszimmer aus, aber irgendwie seltsam vernachlässigt, nicht so ordentlich gepflegt und desinfiziert, wie es sonst durch Heerscharen von Krankenschwestern sichergestellt wurde. Die Bettwäsche war nicht gerade sauber, auch meine eigene nicht, und eins der beiden anderen Betten in dem Zimmer war sogar umgeworfen.

Ich versuchte, mich aufzurichten, um aufzustehen, als plötzlich wieder alles dunkel wurde.

Das nächste Mal, als ich wieder aufwachte, fielen mir Bewegungen schon deutlich einfacher. Das vorherrschende Gefühl war zur Abwechslung grimmiger Hunger, und ich war schier am Verdursten, mein Mund war völlig trocken und verklebt. Leider konnte ich immer noch nicht vernünftig fokussieren, ich sah nach wie vor alles völlig verschwommen und unscharf.

Ich setzte mich erneut auf und bemerkte ein Ziehen an meinem Arm und an meiner Nase. Mein Arm war an einen leeren Tropf angeschlossen. Die Plastikkanüle steckte noch in meiner Vene. Mir wurde sofort übel. Ich hasste Nadeln. Ich hasse Nadeln auch heute immer noch, sie begegnen mir nur seltener. Ich zog sie zitternd und sehr vorsichtig heraus, es spritzte sofort ziemlich viel Blut aus der Wunde. Mir wurde noch übler. Ich bekam Panik, drückte den Daumen auf die Wunde und wartete. Ich hatte mich ziemlich eingesaut, das Bett war allerdings nicht merklich schmutziger dadurch. Erst nach einer ganzen Weile konnte ich endlich die Klebestreifen entfernen und den Daumen für etwas anderes nutzen.

Als Nächstes waren die Schläuche in meiner Nase dran. Ich zog daran und wurde mit einem Schmerz belohnt, der sich anfühlte, als ob ich gerade versuchte, mein Gehirn durch die Nase zu entfernen. Das Gefühl dieses Ding jetzt herausziehen zu müssen war jedoch übermächtig, also legte ich den Kopf in den Nacken und zog. Der Schmerz war mehr als nur eklig, meine Nase brannte, mein Kopf drohte zu explodieren und ich hatte immer wieder das Gefühl ersticken zu müssen, bis das Ding endlich heraus war. Ich atmete schnell und stoßweise, bis ich mich wieder beruhigt hatte.

Ich schaute mich erneut in dem Zimmer um, und wieder war ich mir des Zimmers und der Dinge darin merkwürdig deutlich bewusst. Mir war aus irgendeinem Grund auch sofort klar, wo das Zimmer ein Waschbecken hatte, ohne dass ich diese Richtung blicken musste. Dort war Wasser, und ich war am Verdursten.

Ich stand vorsichtig auf, glücklicherweise diesmal bewegungsfähig, ohne gleich wieder in Ohnmacht zu fallen, und schwankte zum Waschbecken. Ich drehte den Wasserhahn auf und trank, genau wie jemand, der gerade einem wochenlangen Trip durch die Wüste entkommen war. Ich hielt mich trotzdem einigermaßen erfolgreich zurück und legte beim Trinken wenigstens ein paar Pausen ein, ich wollte das Wasser durchaus auch bei mir behalten.

Ich musste mich zum Hahn weiter als gewohnt nach unten bücken, was mir irgendwie falsch vorkam. Das Waschbecken musste wohl ziemlich tief hängen.

Mein Blick war anfangs immer noch ziemlich verschwommen, klärte sich aber zu meiner Beruhigung mittlerweile zunehmend auf. Das Wasser schmeckte besser und süßer als die großartigste Limonade. Zwar hatte ich Leitungswasser schon immer gemocht, das hier jedoch war echt einmalig, und es fühlte sich auf meinem Gesicht einfach wunderbar an. Viel passte erwartungsgemäß nicht in den Magen, und mir wurde trotz aller Vorsicht schnell übel.

Ich lehnte die Arme müde auf das Waschbecken und schaute in den Spiegel. Im Spiegel war jedoch nicht mein Spiegelbild, sondern ein ganz anderes Bild. Das Bild war unfassbar schön und absolut fotorealistisch, durch leichte Bewegungen bekam es sogar einen dreidimensionalen Eindruck. Eine wunderschöne Frau blickte mir entgegen. Ihr Haar war schulterlang, völlig weiß, und sehr, sehr fein, fast so fein wie Spinnenseide. Ihre Schönheit wurde allein dadurch getrübt, dass die Haare unangenehm matt und ziemlich verklebt waren, als hätte sie diese eine ganze Weile nicht gewaschen. Ihr Gesicht war fein geschnitten, zierlich und hatte eine kleine und gerade Nase. Sie war völlig ungeschminkt.

Ich mochte das an Frauen, Schminke war nicht mein Ding, war sie noch nie gewesen. Ihre Haut war sehr blass, man konnte leicht die blauen Adern am Hals durch die Haut hindurchsehen. Ihre Augen hatte eine unmenschliche, goldene Iris, mit kleinen senkrechten Schlitzen anstelle von menschlichen runden Pupillen, die mich neugierig anstarrten. Ihr Blick war sehr irritierend, ich war versucht, die Augen niederzuschlagen und ihrem Blick auszuweichen. Die Ohren waren deutlich länger als normal und oben spitz zulaufend. Sie sah fast genau so aus, wie ich mir die Elfen beziehungsweise Elben aus dem Herrn der Ringe immer vorgestellt hatte. Unwirklich schön und auch völlig unmenschlich in ihrer artfremden Schönheit.

Als ich den Kopf drehte, um mir ihre Ohren besser anschauen zu können, drehte sie ihren Kopf mit. Als wäre sie ein Mimic, der alle meine Bewegungen nachäfft. Ich schaute mir den merkwürdigen „Spiegel“ genauer an, um zu sehen, welche Art von Monitor das wohl war, und auch da machte sie wieder jede meiner Bewegungen mit. Ich hob meine rechte Hand, um den Spiegel zu berühren. Die Hand, die sich von unten in mein Blickfeld schob, war jedoch nicht meine Hand, es war ganz offensichtlich ihre Hand. Sie hatte sehr zierliche Hände, die zu ihrem Gesicht passten, fast schon zu lang und zu dünn für meinen Geschmack. Da die Finger etwas zu lang waren, machten sie sogar einen leicht spinnengliedrigen Eindruck. Ich führte meine Hand dicht vor die Augen, ihre Hand bewegte sich wieder mit.

Dann fielen auf einmal alle Puzzleteile zusammen, meine Realität machte einen fast merklichen Ruck, als die Perspektiven in den richtigen Rahmen rutschten, und mir wurde auf einmal klar, was ich da anblickte. Es war völlig unmöglich, es war total krank. So etwas gab es doch nicht, so etwas konnte es nicht geben. Nach einer Weile völliger Fassungslosigkeit begriff ich, wen ich da ansah. Ich selbst war diese Frau, ich war dieses Spiegelbild.

Ich berührte meine Wange und fühlte die zu dünnen Finger in ihrem Gesicht, in meinem Gesicht. Ich war sie und sie war ich. Ich griff in meine Haare, und diese fühlten sich genauso verklebt an, wie ihre ausschauten. Auch machte das Spiegelbild zuverlässig alle Bewegungen mit, die ich vorgab. Ich konnte die Realität nicht länger verleugnen, sie war zwar eine völlig unmögliche und verzerrte Realität, aber es war doch anscheinend jetzt meine Realität.

Ich zog mir die Haare vor die Augen, sie sahen genauso aus wie ihre. Unsicher schlug ich mir mit der flachen Hand fest auf die Wange. Der Schmerz fühlte sich sehr real an. Ich kniff mir in den Arm, auch hier keine Überraschungen, sondern einfach nur Schmerz.

Ich zog das Krankenhaushemd aus, ich war wie erwartet nackt darunter. Ich sah keine Haare. Ich war völlig haarlos, bis auf die auf dem Kopf und den Augenbrauen, nicht einmal die Unterarme wiesen welche auf. Die Haut passte zu dem Gesicht, sehr bleich und fast durchscheinend zart. Kein Gramm Fett, die Muskeln zeichneten sich unter der Haut deutlich ab, leider auch einige Knochen. Ich war eher unterernährt, was ich von meinem alten Ich nicht gerade sagen konnte, auch wenn ich mir wenigstens ein paar Muskeln im Fitnessstudio antrainiert hatte. Hatte ich das Wort Stubenhocker schon erwähnt?

Was war nur mit mir passiert, und vor allem - wie war es geschehen? Wie kam ich in den Körper einer Frau und warum? Mir wurde wieder schwarz vor Augen, ich krallte mich am Waschbecken fest, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Mir war in den Moment völlig klar, dass ich vermutlich einen Schock hatte. Immerhin wurde mir gerade die Realität ziemlich brutal unter den Füßen weggezogen. Ich war durcheinander und verwirrt, es fühlte sich alles sehr real an, aber es war doch bestimmt nicht real. So etwas konnte nicht real sein, es durfte nicht real sein, ob ich wohl wahnsinnig geworden war und Halluzinationen hatte?

Wenn man über so etwas in schicken Büchern liest, kommt es einem immer viel einfacher vor. Der Held geht halt einfach irgendwie weiter und tut, was gerade eben so angesagt ist und getan werden muss. Man hat üblicherweise dann gleich auch noch praktischerweise eine wichtige Aufgabe bekommen. Meine eigene und gerade erlebte Realität sah jedoch völlig anders aus.

Ich kam mir nicht nur völlig verloren vor, ich zweifelte auch noch heftig an meinem eigenen Verstand. Ich wandte mich vom Spiegel ab und sah mich um. Ich war eindeutig viel zu durcheinander für diesen Anblick und verschob eine eingehendere Untersuchung meines Körpers auf später. So etwas kann man nicht einfach so akzeptieren, das braucht Zeit. So viel Zeit wie möglich. Wie irgendwie möglich. Ein Zitat des berühmtesten aller Detektive kam mir in den Sinn.

„Wenn Du das Unmögliche ausgeschlossen hast, dann ist das, was übrig bleibt, die Wahrheit, wie unwahrscheinlich sie auch ist.“

Also sollte ich, anstatt weiter mit dem Unmöglichen zu hadern, meinen alten Körper wiederzubekommen, anstatt dessen erst einmal herausfinden, was eigentlich mit mir passiert war und mich mit diesem vorerst mal abzufinden.

Ich sah mich um und untersuchte das Zimmer. Ein Schrank enthielt meine Kleidung, ein T-Shirt, abgetragene Jeans und meine Unterwäsche. Die Kleidung, wie ich sie heute, nein wohl nicht heute, aber an dem Tag getragen hatte, als ich den Sonnenuntergang bewundert hatte und meinen eindeutig zu dunklen Gedanken nachgehangen war. Irgendwie kamen mir gerade meine Probleme von damals ziemlich belanglos vor. Damals, war es heute oder damals gewesen?

Meine Aufmerksamkeit wurde durch weitere Fragen von meinem Körper abgelenkt, die wie Regentropfen immer zahlreicher wurden und sich in einem sicher schon bald überlaufendem Fass sammelten, meinem armen Kopf. Warum war das andere Bett in dem Krankenzimmer umgestoßen und warum war alles so verwahrlost? Meine Kleidung war relativ sauber, im Gegensatz zu mir selbst, meine Achseln rochen nach einigen Tagen ohne Wäsche. Das Krankenzimmer hatte doch sicher ein Bad. Ich öffnete eine der beiden Türen und fand tatsächlich eines dahinter.

Also ging ich zur Dusche und wusch mich gründlich; diesen fremden Körper zu waschen war allerdings nicht ganz einfach. Mein Unterbewusstsein rief mir ständig irgendwelche Bemerkungen zu, die alle mit verrückt, Zeit für die Klapse und Ähnlichem zu tun hatten. Meine Haut war definitiv deutlich sensibler als früher, und vor allem unglaublich weich und zart. Die Dusche hatte kein warmes Wasser, wie auch schon das Waschbecken zuvor.

Das störte mich jedoch merkwürdigerweise überhaupt nicht, ganz im Gegenteil, mir kam die Temperatur sehr angenehm vor. Seife und Shampoo waren auch vorhanden. Irgendwann hatte ich endlich den Eindruck, nun einigermaßen sauber zu sein und suchte mir ein Handtuch. Ich fand eines an einem Haken an der Wand. Es war jedoch nicht in einem Zustand, dass ich mich damit abtrocknen wollte, ich zog die Nase kraus wegen des Geruchs und lies es hängen.

Also streifte ich das Wasser, so gut es ging, mit den Händen ab und wrang meine Haare aus. Dann wollte mich zum Trocknen wieder in das Bett legen. Das aber plötzlich nicht mehr sonderlich verlockend roch, also blieb ich etwas ratlos stehen. Ich lief unruhig in dem Zimmer hin und her und entschloss mich irgendwann ungeduldig dazu, meine Klamotten einfach halb nass anzuziehen. Ich war definitiv in dieser merkwürdigen Situation lange genug nackt herumgelaufen.

Ich fühlte mich nach der Dusche trotz allem merklich besser, langsam kam ich wohl wieder zu Sinnen. Das nächste Problem war, dass meine Kleidung mir überhaupt nicht mehr passte. Meine Unterhosen rutschten mir sofort wieder bis an die Knöchel. Das T-Shirt war noch einigermaßen brauchbar, allerdings viel zu kurz und viel zu weit. Meine Hosen waren auch viel zu weit und zu kurz, ich konnte sie aber wenigstens mit meinem Gürtel fixieren. Im allerersten Loch. Eigentlich brauchte ich doch das Letzte. Die Stiefel waren ebenfalls zu weit, passten überhaupt nicht mehr und waren völlig unbenutzbar.

Bei dem Versuch, sie erfolglos anzuziehen, fing ich unvermittelt an zu weinen. Ich hatte meine Schuhe gemocht, es waren feste Stiefel und wirklich gut geeignet, um durch einen kalten und unfreundlichen Winter zu kommen. Und ich hatte eigentlich immer meine Füße gemocht. Standfeste Füße. Nicht allzu hässlich, so für Männerfüße jedenfalls.

Für die Winterjacke war es hier drinnen deutlich zu warm, aber ich würde sie bestimmt brauchen, wenn ich nach draußen kam.

Ich hatte seit Jahren nicht mehr geweint. Hormone, redete ich mir ein, wohl eine weitere Veränderung, die mit diesem weiblichen Körper daher kam. Tatsächlich war ich jedoch bis in meine Grundfesten hinein erschüttert, weiblich oder nicht. Ich öffnete die andere Tür, die wie erwartet zum Flur führte. Ich wollte mich jetzt endlich mit jemandem unterhalten, endlich Antworten auf meine unzähligen Fragen bekommen.

Der Flur war jedoch völlig leer, und auch alle anderen Zimmer in dem Stock. Es herrschte eine fürchterliche Unordnung, als ob jemand das Krankenhaus absichtlich verwüstet oder durchsucht hatte. Der größte Teil des Inventars, wie Medikamente und Geräte, war unerwarteterweise noch da. Die Türen standen offen, die Scheiben waren teilweise zerbrochen.

Alles sah danach aus, als ob das Krankenhaus seit Längerem völlig leer stand. Aber warum war ich dann noch hier? Irgendwie wurde alles um mich herum immer undurchsichtiger. Die klare und reine binäre Logik, die ich immer so an den Maschinen bewundert hatte, half mir gerade überhaupt nicht weiter. Mein Wissen war auf eine solche Situation nicht anwendbar, ich konnte mir absolut nicht erklären, was hier passiert war.

Der Strom war abgeschaltet, jedenfalls funktionierte keines der elektrischen Geräte, nicht mal das Not-Licht. Auch die Telefone waren so funktionslos wie alles andere.

Die gute Nachricht war, dass ich mich so langsam etwas sicherer auf den Beinen fühlte. Dabei war ich barfuß unterwegs, ich fühlte mich jedenfalls deutlich besser als noch eine Stunde zuvor. Dass ich noch keine Menschenseele getroffen hatte, verursachte bei mir ein allerdings merkwürdiges Gefühl in der Magengegend.

Was mich sofort wieder an meinen Hunger erinnerte, mein Magen knurrte übel gelaunt vor sich hin. Das ganze Krankenhaus war völlig leer, jedenfalls die Bereiche, die ich durchsuchte. Ich war versucht nach Hilfe zu rufen, wagte es jedoch aus irgendeinem Grund nicht. Ich brauchte aber dringend etwas zu essen, das Gefühl war mittlerweile stärker als alles andere.

 

3 Waging am See

 

Also verließ ich das Gebäude, um mich draußen umzusehen. An der Tür hing ein Messingschild.

 

Krankenhaus und Alten-Pflegeheim Waging am See

Salzburger Str. 29

83329 Waging am See

 

war darauf zu lesen. Ich war also nicht sehr weit weg von dem See, an dem ich meinen Wochenendausflug gemacht hatte. Der Ort hier war nicht einmal hundert Kilometer von meinem Apartment entfernt.

Die Sonne schien mir warm und freundlich ins Gesicht, die Temperatur hier draußen war genauso sommerlich warm wie im Gebäude. Die Erkenntnis, was das bedeutete, traf mich so hart und so plötzlich wie eine Ohrfeige. Ich musste monatelang außer Gefecht gewesen sein, es war doch gerade erst Anfang Winter gewesen! Diese ganze Geschichte kam mir immer unwirklicher vor, wie ein nichtendenwollender Albtraum. Ich kniff mich erneut in den Arm. Es tat weh.

Vor nicht einmal einer Stunde war mir noch nichts Unwirklicheres als mein neues Ich vorstellbar gewesen. Das relativierte sich gerade etwas angesichts meiner Umgebung, eine menschenleere Stadt war durchaus ebenfalls äußerst unwirklich. Ich fragte mich fast schon zwangshaft, was war nun eigentlich wirklich unwirklicher, sich nach einem Blackout in einem fremden Körper oder sich in einer menschenleeren Stadt wiederzufinden. Mir waren das eindeutig gerade zu viele wirklich und unwirklich, um noch mental gesund zu sein. Ich schob die äußerst beunruhigenden Gedanken fürs Erste beiseite und konzentrierte mich anstatt dessen auf meine Umgebung.

Ich nahm meine Umwelt viel direkter und intensiver wahr, als ich es gewohnt war. Ich hörte ungewohnt viele Tiere im Ort, überall war Bewegung, nicht nur die üblichen Vögel, sondern auch andere Tiergattungen, in einiger Entfernung bellte ein Hund unfreundlich und durchdringend. Der Wind ließ einen Baum rascheln, das Geräusch kam mir fast vor wie ein klassisches Konzert, so intensiv und mit Dutzenden von Instrumenten. Ich sah mit einer unglaublichen Schärfe in der Ferne, ich konnte sehr viel mehr Details als früher ausmachen, obwohl ich nie kurzsichtig gewesen war. Ganz im Gegenteil, aber das hier war etwas völlig anderes. Jedes noch so kleine Detail enthielt unglaublich viele Informationen, die mein Gehirn erstürmten. Ich hatte ganz offensichtlich nicht nur das Geschlecht gewechselt, es gab noch sehr viel mehr an mir, was jetzt anders war.

Die Straße vor dem Krankenhaus war menschenleer und schaute in etwa so aus, wie sie es in einem Endzeitfilm getan hätte. Es parkten einige Autos ganz normal so, wie man es erwarten würde, andere waren gegen Hindernisse geprallt oder einfach mitten auf der Straße liegen gelassen worden, kein Einziges bewegte sich oder hatte Insassen.

Gegenüber auf der anderen Straßenseite sah ich das Verkehrsamt inklusive einer Touristeninformation und ich fing, angesichts der Situationskomik, an laut und schallend zu lachen. Das glockenhelle Lachen verunsicherte mich jedoch zutiefst, und ich verstummte wieder. Was sollte ich jetzt nur tun? Irgendetwas unglaublich Furchtbares war passiert. Ich hoffte, dass es wenigstens nur diesem einen Ort hier widerfahren war und nicht noch mehr Orte erwischt hatte.

Vielleicht wurde hier ein Staudamm errichtet und sie hatten deshalb alles evakuiert - aber warum waren dann all die Autos zurückgelassen worden? Vielleicht eine Katastrophe? Die Häuser sahen intakt aus, Erdbeben hatte es jedenfalls schon mal keins gegeben. Und wie hatte ich all die Zeit überleben können, jemand musste doch für Nahrung und Medikamente gesorgt haben, oder ich hätte das monatelange Koma ganz sicher nicht überstanden. Koma, das klang schon mal wie eine richtige und vernünftige Erklärung dafür, dass ich so lange weggetreten war. Nicht, dass mir die Erkenntnis gerade auch nur im Geringsten weiterhalf.

Mein dann doch mittlerweile ziemlich grimmiger Hunger meldete sich durch lautes Magenknurren erneut zu Wort. Ich musste schnellstens etwas zu Essen finden. Allzu viele Reserven hatte mein neuer Körper offensichtlich eher nicht. Ich band die überflüssige Kleidung und meine Schuhe in der Jacke zusammen und warf sie mir über die Schulter. Dann ging ich die Straße einfach in einer Richtung los, irgendwo musste sich doch irgendwo etwas Essbares auftreiben lassen.

Was mir alles durch den Kopf ging, als ich die Straße durch das Dorf lief, kann ich heute nicht mehr beschreiben. Meine Gedanken waren völlig konfus, ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, alles war wie in Watte gepackt. Wie war ich in diesen Körper gekommen und warum war das Krankenhaus leer und verlassen? Normalerweise wurden Krankenhäuser nicht einfach so geschlossen, und schon gar nicht, wenn noch Patienten darin lagen! Irgendwie musste ich eine Antwort auf meine Fragen bekommen, und zwar möglichst bald, bevor ich völlig durchdrehte. Aber diese Gedanken brachten mich gerade auch nicht weiter.

Ich fing stattdessen an, wieder etwas mehr auf meinen neuen Körper zu achten, als ich vorsichtig die Straße entlang ging. Es fühlte sich überhaupt nicht nach meinem Körper an, soviel war schon mal sicher. Ich war ziemlich groß, viel zu groß für eine Frau, sogar größer als mein altes Ich früher. Ziemlich lange Beine, soweit ich beurteilen konnte, die zumindest beim Laufen guten Dienst verrichteten. Ich bemerkte, dass ich ziemlich leichtfüßig unterwegs war, verglichen zu früher. Ich war nicht wirklich dick gewesen, ein paar Pfunde zu viel vielleicht, aber durchaus doch eher unsportlich.

Trotz des durch den Hunger doch sehr geschwächten Zustands konnte ich weiter und kraftvoller ausschreiten, als es mir in meinem alten Körper möglich gewesen war. Jedenfalls, bis ich in ein Steinchen trat oder etwas anderes Spitzes, meine Fußsohlen hatten keine Hornhaut und die Sohlen waren sehr schmerzempfindlich. Trotzdem, in diesen Beinen steckte sehr viel mehr Kraft, als ich es von meinen alten her gewohnt war. Und ich war nicht in dem körperlichen Zustand, den ich von einem monatelangen Koma erwartet hätte, meine Muskeln funktionierten hervorragend, was eigentlich biologisch und medizinisch eine Unmöglichkeit war.

Ich brauchte dringend etwas zu essen und am besten gleich noch Schuhe, dieses neue Bedürfnis kam ziemlich bald durch die schmerzenden Sohlen, die nackt über den Asphalt laufen mussten. Meine Prioritäten änderten sich durch den Fußmarsch schnell. Hinter mir im Krankenhaus wagte ich es trotzdem nicht, nach Nahrung zu suchen. Allein die Vorstellung, mir verfaulten Krankenhausfraß anzutun, war mir zuwider; außerdem war mir das verlassene Gebäude nicht ganz geheuer.

Ich ging also weiter, an einem ziemlich ungepflegten Park vorbei, die Pflanzen darin waren alle völlig unbeschnitten wild gewuchert und das Gras war über einen halben Meter hoch. Die bunten Häuser des Ortes waren dafür sehr hübsch, die Gegend war wie viele andere in Niederbayern sehr gepflegt und auf Tourismus ausgerichtet. Jetzt sah sie nicht mehr so schön sauber aus, viele Türen und Fenster waren offen oder kaputt, es lag überall Müll auf den Straßen, die Fugen waren mit Gras und Unkraut bewachsen.

Ich ging auf eines der Häuser zu und klingelte. Ich konnte keine Klingel hören, also klopfte ich laut mit der Faust an die Tür. Die Tür öffnete sich, war nicht einmal verschlossen. Ich ging vorsichtig hinein und rief laut „Hallo?“ Wieder zuckte ich nervös zusammen, als ich eine viel zu hohe Stimme hörte, die eindeutig nicht zu mir passte. Niemand antwortete. Ich durchsuchte die Zimmer, man hatte die Wohnung anscheinend in großer Eile verlassen und es war auch nicht viel mitgenommen worden. Das Telefon war hier auch tot, und auch hier war kein Strom. Was war nur passiert?

Ich durchsuchte alle Zimmer in dem Haus und fand keinen Menschen, nichts, es war völlig unbewohnt. Aber genau so möbliert, als würde das Haus nur darauf warten, dass die Anwohner zurückkehrten. Das vorletzte Zimmer war nicht ganz leer. Als ich die Tür öffnete, sprang mir eine halb verhungerte Katze mit einem sehr lauten Miau entgegen und lief an mir vorbei in Richtung Tür. Ich erschrak fast zu Tode, zitternd ging ich einen Moment in die Knie. Trotzdem betrat ich kurz darauf das Zimmer. Das Fenster stand offen und hatte der Katze wohl als Eingang gedient, ansonsten war der Raum aber ebenso leer.

Essen, ich musste dringend etwas Essen. Vorräte hatte ich in dem Haus keine gefunden, es musste doch irgendwo in der Nähe einen Laden geben. Ich ging die Straße weiter und sah bald darauf ein Lebensmittelgeschäft. Es war in der Nähe der Dorfkirche, auf die ich gerade zumarschiert war. Ich betrat den kleinen Laden, ein Reformhaus, wie mir die Ladenfront mit großen Lettern verriet.

Die Tür des Ladens war aus den Angeln gehoben, das Glas in der Mitte zersplittert. Ich stolzierte vorsichtig barfuß um die Glasscherben herum und wünschte mir erneut ein paar Schuhe. Das Schaufenster war interessanterweise noch unbeschädigt. Der Laden war relativ klein, aber angefüllt mit Regalen, die teilweise umgestürzt waren und teilweise noch aufrecht standen.

Im Großen und Ganzen machte der Laden einen völlig verwüsteten Eindruck. Augenscheinlich war aber nur wenig gestohlen, jedenfalls schätzte ich das mal so auf den ersten Blick. Die Kasse war auch nicht aufgebrochen, was das Ganze irgendwie noch ungewöhnlicher machte, welcher Mensch bei einigermaßen klarem Verstand verwüstete einen Laden und ließ das Geld und die meisten Waren da? Der Laden machte den Eindruck, als hätten hier Kinder ziemlich wild gespielt, und zwar ohne die Aufsicht ihrer Eltern.

Eine schnelle Untersuchung des Ladens ergab nichts Gefährliches, also gehorchte ich dem Willen meines Magens und suchte nach etwas Essbaren. Ah, und da waren sie! Feinstes Dosenfutter, davon hatte ich mich vor meinem Koma auch gerne mal öfter, teilweise sogar monatelang ernährt, also würde es diesen Körper bestimmt auch nicht gleich umbringen. Ich war versucht, ein bisschen Geld auf die Tresen zu legen. Schließlich war das hier eigentlich Diebstahl.

Mein Geldbeutel war noch in der Hose, mit allen Papieren und, soweit ich mich erinnerte, auch mit dem Geld, dass ich an jenem Tag am See dabei gehabt hatte. Nicht, dass es viel gewesen war. Oder mir die Papiere mit diesem Gesicht noch irgendwas genutzt hätten. Eine operative Geschlechtsumwandlung nahm mir wohl auch keiner ab, dafür waren die Veränderungen dann doch etwas drastisch. Ich musste unwillkürlich bei dem Gedanken lachen, und erschrak wieder über meine eigene Stimme, das klang doch alles furchtbar hoch. Früher hatte ich eine ziemlich angenehme Stimme gehabt, wie man mir mal gesagt hatte. Um genau zu sein eine heimliche Liebe aus fernen Landen, die ich eine Weile nur telefonisch und über das Internet kannte.

Ich fand schließlich in dem ganzen Gerümpel ein paar Dosenfrüchte, ein paar fertige Mahlzeiten wie Suppen, die man nur erwärmen musste, und einen Öffner. Ich öffnete sofort eine Dose mit Pfirsichen und aß die Pfirsiche gierig einfach mit den Händen. Die Soße war auch gleich leer getrunken. Die Früchte waren sehr lecker und sie füllten erfreulich den Magen. Die Dosen waren viel zu klein, fand ich in dem Moment, und öffnete gleich eine Zweite, die ich ebenso gierig leerte. Der Saft lief mir über das Kinn, aber das war mir gerade ziemlich egal. Danach ging es mir deutlich besser.

Plötzlich überfiel mich das beklemmende Gefühl, das Haus könnte vielleicht doch nicht ganz leer sein, und ich startete eine weitere Untersuchung, diesmal vor allem genauer im hinteren Teil des Ladens und dem Bereich, der in den Hinterhof führte. Aber auch hier war niemand da, und keiner reagierte auf meine Rufe.

Mein erstes „Hallo!“ ließ mich erneut zusammenzucken. Irgendwie musste ich wieder an meinen alten Körper kommen, dachte ich befremdet. Nur - wie sollte ich das anstellen? Trotzdem, es war eine Sache, hinter einer Frau her zu sein, die so aussah wie ich jetzt, aber die Frau selbst zu sein war doch ziemlich beängstigend.

Nicht zum ersten Mal an diesem Tag hatte ich meine Umgebung völlig aus dem Fokus verloren und stand regungslos mitten im Laden, voller Erschütterung über den Zustand, in dem sich das Dorf befand, den Zustand, in dem ich mich befand, und die völlige Abwesenheit von Menschen. Das Wort Plünderung ging mir noch durch den Kopf, als ich mir ein Taschenmesser einpackte, das neben der Kasse lag. Ich versuchte jedoch, so gut es ging, mich nicht weiter ablenken zu lassen.

Am liebsten wäre mir eine Waffe gewesen. Ich war verunsichert wegen der gruseligen Zustände in dem verlassenen Städtchen. Aber welche Waffe wäre sinnvoll gewesen? Ich wollte ganz sicher nicht auf einen ebenfalls verunsicherten Polizisten oder Soldaten stoßen, der mir vielleicht aus Versehen das Licht ausblies, weil er mich für gefährlich oder einen Plünderer hielt.

Ich verließ den Laden und sah mich weiter in dem Dorf um. Die Straßen waren überall völlig ungepflegt. Hier hatte auch schon lange kein Straßendienst mehr gereinigt. Wenn der dritte Weltkrieg ausgebrochen wäre, hätte aber alles doch bestimmt noch mal ganz anders ausgesehen, das hier war nicht die Folge eines Krieges, das war irgendwie anders. Unerklärlich und völlig unverständlich. Meine Generation war so ziemlich die Erste, die mit der fürchterlichen Drohung eines Atomkrieges aufgewachsen war. Endzeitszenarien und unrealistische Geschichten darum gab es haufenweise, bis sich die meisten Menschen endlich nach jahrzehntelangen Streitereien auf die Wahrheit geeinigt hatten. Nach dem Schreckgespenst Atomkrieg wäre einfach gar nichts mehr gekommen, nur noch Tod und Verfall für alle.

Und das hier sah einfach nicht danach aus, viel zu wenig Zerstörung, nicht einmal genug Vandalismus für irgendwelche Aufstände. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass in Deutschland ein Bürgerkrieg ausgebrochen war, so stark hassten sich die verschiedenen Volksgruppen bei uns nun auch wieder nicht. Einen Bürgerkrieg hatte es vor kurzem in Jugoslawien gegeben, aber es sah hier auch nicht wirklich nach Krieg aus. Sogar die Preußen und die Bayern hassten sich nicht mehr stark genug für einen weiteren Bürgerkrieg, der letzte lag sehr lange zurück. Nirgendwo funktionierte der Strom, also konnte ich auch kein Radio oder einen Fernseher einschalten, der mir vielleicht endlich hätte Auskünfte geben können. Was hätte ich jetzt für eine Nachrichtensendung gegeben! Früher hatte ich oft gelangweilt weggeschaltet, um stattdessen einen schönen Film zu sehen. So verändern sich Interessen manchmal im Leben.

Die Häuser in dem Dorf waren wohl alle verlassen, einige offene durchsuchte ich. Ich fand nirgends Menschen, dafür scheuchte ich ein paar weitere verwilderte und scheue Katzen auf. Nagetiere gab es anscheinend genug, die meisten Katzen waren ziemlich gut genährt, nur ein paar wenige so halb verhungert wie die Erste. Vögel waren in ihren Käfigen verhungert und skelettiert, Aquarien waren ungepflegt und die Fische darin verschwunden. Einige der Häuser hatten verschlossene Türen, bei einigen davon klopfte ich lautstark ohne Erfolg an. Die ganze Stadt war anscheinend völlig menschenleer und verlassen.

Ich hoffte aber immer noch wenigstens auf ein lokales Phänomen; dass noch mehr Städte wie diese hier aussahen, konnte und wollte ich mir nicht vorstellen.

Ich fühlte mich völlig allein. Hier mitten auf der Straße in Waging fühlte ich mich genau wie in dem Moment, als ich das Bewusstsein verloren hatte. Ich kam mir vor wie der einzige Mensch auf Erden, der Einzige, der überlebt hat. Die Einzige. Eiskalte Schauer liefen mir den Rücken hinunter. Was sollte ich nur tun? Nur nicht den Mut verlieren.

Wenigstens würde ich wohl erst mal nicht verhungern oder verdursten. Ich musste jedoch dringend andere Menschen treffen. Menschen, die mir sicherlich erzählen konnten, was passiert war. Und ich wollte nach Hause. Mein Auto! Ich hatte keine Ahnung, wo es war, irgendwo am Waginger See, vermutlich abgeschleppt. Bei dem Gedanken fiel mir die Polizei ein. Die würden wissen, was mit der Karre war. Also, irgendwie nach Hause kommen, Menschen treffen, Polizei aufsuchen, mein Auto zurückverlangen, ein neues Bild für meinen Führerschein, meine Ausweise … ich stöhnte innerlich auf, als mir meine völlig unmögliche Lage klar wurde.

Aber ohne Hilfe kam ich trotzdem nicht weiter. Wo waren die Menschen nur? Ich wohnte in der Nähe von München, München war ganz sicher nicht verlassen, München war eine Millionenstadt. Ich musste also irgendwie nach München kommen, und am besten gleich noch nach Hause. Ich hatte damals ein Apartment in der Nähe von Riem, ein kleines Kaff mit dem Namen Aschheim. Sie wissen schon, bei Riem, wo mal der Flughafen war und jetzt das große Messegelände.

Ein Auto für den Weg dort hin zu stehlen, der Gedanke behagte mir irgendwie dann doch wieder nicht, das war schon noch mal etwas anderes als ein paar Lebensmittel zu stehlen. Ich musste mich aber für die Reise ausrüsten und mir das Notwendigste aus den Läden hier borgen und hoffen, dass mich niemand dabei erwischte. Was ich aber angesichts der fehlenden Leute für relativ unwahrscheinlich hielt.

Viel mehr Sorgen machte mir eigentlich die Tatsache, dass nicht deutlich mehr geplündert worden war. Was hielt die Leute davon ab, sich den Kram zu holen? Eine biologische Katastrophe? Irgendetwas sehr Gefährliches und Unsichtbares hielt sie vielleicht davon ab, Strahlung oder Kampfmittel oder so etwas in der Art. Dem ich mich dann gerade unwissend aussetzte. So bald wie möglich aus der Gegend zu verschwinden war ganz sicher eine gute Idee für mich. Aber nicht ohne Schuhe und nicht ohne wenigstens ein bisschen Ausrüstung.

Einen Fahrradladen fand ich zu meiner Freude als Nächstes, als ich weiter die Straße entlang lief, neue und schicke Fahrräder waren erwartungsgemäß überall in dem Laden verteilt. Ein Fahrrad war sicherlich ein tolles Fortbewegungsmittel, also betrat ich den Laden. Ein geländegängiges Mountainbike war schnell ausgesucht, und ab da war ich wenigstens schon mal deutlich schneller als vorher unterwegs.

Ich fuhr die Straße ein wenig hoch und fand dort einen Sportladen. Ich war begeistert, das war echt ein Glücksfall. Hier würde ich sicherlich alles finden, was ich gerade brauchte. Ich ging hinein, und der Laden war fast unversehrt. Als Erstes weckte eine Latte zum Messen der Körpergröße meine Aufmerksamkeit, das interessierte mich doch, wie groß ich jetzt eigentlich war. Ich stellte mich an die Messlatte und schob das gepolsterte Holzstück auf meinen Kopf. Ich war fast zwei Meter groß, das waren fast 20 cm mehr als früher, und das als Frau. Ich wiederholte die Messung zwei Mal, um ganz sicher zu gehen, dass ich keinen Fehler gemacht hatte, bis ich endlich glaubte, was die Latte mir da erzählen wollte.

Ich zuckte mit den Schultern, das war nichts, was ich zurzeit ändern konnte, stattdessen sah ich mich weiter um. Der Laden hatte wirklich alles Mögliche zum Thema Sport, und dann noch etwas, was ich hier überhaupt nicht erwartet hatte.

An einer Wand hing doch tatsächlich zu meiner großen Überraschung ein uraltes Samuraischwert. Der Preis, der daran hing, war geradezu lächerlich hoch, mein Auto war deutlich weniger wert gewesen. Ich nahm es herunter und testete kurz die Balance, es schien mir in Ordnung zu sein. Natürlich verstand ich nichts von Schwertern, es war aber deutlich besser als gar keine Waffe. Meine Fechtstunden waren zwar schon eine Weile her, vierzehn Jahre oder so, aber das musste reichen. Ich kam mir merkwürdig vor, auch ein wenig peinlich berührt, aber aus irgendeinem Grund erschien es mir richtig so. Das Schwert kam mir wichtig vor, ich fühlte mich sicherer damit.

Für einen kurzen Moment wurde mir wieder schwindelig, ich sah mein altes Ich vor einem Rechner sitzen und jetzt mich in diesem Laden dagegen, und mir knickten fast die Beine weg. In meiner alten Welt gab es sicherlich Männer, die Frauen gut behandelten. Aber es gab auch ziemlich viele, die es nicht taten. Ich war mir bei diesen Gedanken gar nicht so sicher, ob ich überhaupt anderen Menschen begegnen wollte, jedenfalls nicht so, wie ich jetzt war. Ich ballte die Fäuste, schlug mir auf die Oberschenkel und riss mich zusammen.

Ich sah mich weiter in dem Laden um und suchte mir neue und passendere Kleidung aus. Sporthosen und Jeans extra lang und ein paar hübsche T-Shirts und dann noch Funktionsunterwäsche. Einen Schlafsack und einen Rucksack fand ich ebenfalls. Feste Wanderstiefel waren auch im Angebot. Es machte eigentlich ziemlich viel Spaß, einmal nur die teuersten Gegenstände auszusuchen. Ich deckte mich also mit allem ein, was in den Rucksack passte.

Zwei Trinkflaschen steckte ich ebenfalls ein, falls ich mal eine Weile ohne Wasser auskommen musste. Genauso wie ein Feuerzeug, einen Campingkocher und Campingbesteck. Eine Karte der Gegend fand ich auch, ich war also bestens gerüstet. Der Rucksack erschien mir am Ende nicht einmal sonderlich schwer, obwohl ich mittlerweile doch einige Dinge darin hatte. Ich entschloss mich, im Moment eine dünne und flexible Jeans zu tragen, die mir ideal zum Fahrradfahren erschien, es war ziemlich warm.

Ich breitete die Landkarte aus und untersuchte den Weg, den ich nach München zu nehmen gedachte. Immer der Bundesstraße entlang, deutlich nördlich am Chiemsee vorbei, Trostberg, Obing, Wasserburg, Gräfing, irgendwie so. Ich schätzte die Strecke auf gut 100 km. Mit dem Fahrrad würde ich in gut drei Tagen locker dort sein, vielleicht würde ich es sogar in zwei schaffen. Wenn ich einigermaßen fit war, aber sogar in meinem alten Körper hätte ich die zwei Tage eventuell geschafft. Also bestimmt. Vermutlich. Vielleicht. Habe ich Stubenhocker schon erwähnt?

Essen konnte ich mir unterwegs kaufen oder schlimmstenfalls stehlen, da machte ich mir nach den Erfahrungen hier am wenigsten Sorgen. Ein wenig Bargeld hatte ich noch.

Gerade als ich mich auf den Weg machen wollte, machte ich doch noch einmal vor einem fremden Wagen halt. Ich überlegte es mir spontan anders und schob auch meine letzten Hemmungen beiseite, mit einem Wagen wäre ich in einer Stunde, maximal zwei in München, und nicht in zwei Tagen. Wie schwierig konnte es schon sein, einen Wagen kurzzuschließen?

Ich versuchte mich an ein paar Autos und fand schließlich ein offenes. Ich besorgte mir Werkzeug aus einem der Häuser und machte mich an die Arbeit. Der Wagen sprang nicht an, also versuchte ich es bei ein paar Weiteren, nirgends hatte ich Glück. Irgendwann gingen mir die Wagen in dieser Straße aus, die beschädigten wollte ich gar nicht erst versuchen. Vielleicht mit einer neuen Batterie, nur woher nehmen? Ich wunderte mich ziemlich über ein Detail - normalerweise sprangen elektrische Funken über, wenn man die Kabel ungeschickt berührte. Hier passierte jedoch gar nichts in der Art, als wären die Batterien alle völlig entladen.

Also musste ich mich mangels Alternativen doch mit dem Fahrrad bis zum nächsten Dorf durchschlagen, irgendwann musste ich ja mal auf Menschen treffen. Vielleicht bekäme ich dann auch ein paar Antworten auf meine Fragen. Ich drehte in Waging eine letzte Runde, rief laut und versuchte noch ein letztes Mal, jemanden zu finden. Ich fand schließlich auch jemanden oder besser: etwas. Eingroßer Pudel stand plötzlich vor mir, wie aus dem Boden gewachsen. Sein Fell war viel zu lang, völlig zerzaust und verfilzt, er war etwas mehr als einen halben Meter groß. Seine Augen waren blutunterlaufen, und er knurrte mich bösartig an. Ich bremste sofort ab und blieb stehen, der Hund war mir unheimlich. Er hatte Schaum vor dem Maul, ich vermutete Tollwut oder etwas in der Art. Ich drehte ganz langsam das Fahrrad um, um ihn nicht zu provozieren, ich wusste genau, er würde mir hinterherkommen, sobald ich floh. Jetzt half nur noch Schnelligkeit, sonst würde mich das Vieh erwischen.

Ich stieg wieder auf und trat richtig fest in die Pedale, zum Glück war ich in einem kleinen Gang, schaltete aber schnell höher. Der Pudel war losgerannt, sobald ich anfuhr. Ich blickte mich voller Panik nach ihm um. Der Hund jagte mir bellend und knurrend hinterher und kam schnell näher. Er schnappte erst nach dem Reifen, dann nach meinem Fuß, als er mich endlich hatte. Verzweifelt ersuchte ich, ihn wegzutreten und gleichzeitig dabei seinen Zähnen nicht zu nahe zu kommen, das war nicht der richtige Zeitpunkt für eine Krankheit wie Tollwut. Plötzlich kam aus einer Seitenstraße noch ein Hund, der dem Pudel ganz ähnlich sah, auch er war halb verhungert und hatte blutunterlaufene Augen. Er war deutlich größer als der Pudel, es war ein deutscher Schäferhund. Jetzt jagten zwei dieser Viecher hinter mir her, mir liefen kalte Schauer den Rücken hinunter. Von Hunden getötet zu werden war kein schönes Ende. Der Pudel machte jedoch den letzten Fehler seines Lebens und schnappte nach dem Schäferhund. Der fiel den Pudel an und beide verkeilten sich in einem wütenden Kampf.

Ich trat, so fest ich konnte, in die Pedale und fuhr davon, auf dieses Schauspiel konnte ich gerne verzichten, ich wollte nicht warten, bis der Schäferhund den Pudel auseinandergenommen hatte. Hinter mir hörte ich das Krachen von Knochen, als brutale Kiefer zubissen, und das Jaulen des Pudels verstummte. Ich verließ Waging schließlich Richtung München fast genau so, wie ich angekommen war, angsterfüllt und benommen.

 

4 Der Aufbruch

 

Sobald ich den Ort verließ, überkam mich wieder eine neue Einsicht. Ich musste erst einmal absteigen, um irgendwie damit fertig zu werden. Der Grund dafür war meine neue Wahrnehmung der Natur und meiner Umgebung. Hier draußen ohne den ganzen Teer, den Beton und die Häuser, die die Natur ziemlich gründlich abschirmten, fühlte ich es noch einmal deutlicher als in der Stadt. Ich verließ die Straße und lief durch ein Feld, das Fahrrad als lästiges Anhängsel neben mir her schiebend. Nahe der Straße befand sich ein Bach, der von Bäumen gesäumt war.

Wie von unsichtbaren Schnüren gezogen bewegte ich mich darauf zu. Ich fühlte mich wie auf einen fremden Planeten versetzt. Das saftig und grün wachsende Feld, der glucksende Bach, die starken Bäume, die sich im Wind wiegten, die zwitschernden Vögel darin, die Insekten, die überall herumschwirrten. Ich war mir plötzlich allem um mich herum intensiv bewusst.

Die Natur um mich herum hatte sich zu etwas Freundlichem, etwas, was zu mir gehörte, gewandelt. Das Gefühl übermannte mich, in seiner Fremdheit und doch auch in einer sehr vagen aber trotzdem starken Vertrautheit. Ich ließ das Fahrrad fallen und ging zum Bach. Ich zog die Schuhe und die Hose aus und stieg barfuß in den Bach. Ich griff in den Schlamm und fühlte und fühlte. Der Schlamm war angenehm warm und weich, aber was mich wirklich beeindruckte war das reichhaltige Leben darin. Ich konnte es irgendwie fühlen, das Leben in dem Bachbett.

Ich streckte die Hände gen Himmel und fühlte nach dem Leben um mich herum. Vögel, Bäume, Insekten, die Pflanzen, sogar der Wind, der durch die Wipfel strich. Alles, was vorher einfach nur da und auch selbstverständlich war, hatte sich verändert. Es war zu etwas wirklich Wertvollem und Existenziellen geworden. Es war nicht mehr etwas, was man eventuell vielleicht durch Umweltschutz schützen sollte, sondern zu dem, was die Welt zusammenhielt, ohne das wir nicht existieren konnten. Etwas, was ein Teil von uns allen war. Etwas, was nun ein Teil von mir war.

Was ich vorher durch Wissenschaften und Aussagen von Fachleuten und Umweltexperten schon irgendwie auch gewusst hatte, das Alles war für mich jetzt völlige Gewissheit und das Wissen ein Teil von mir geworden. Ich hatte mich deutlich stärker verändert, als mir eben noch klar gewesen war. Wieder wurde mir klar: Es war nicht nur ein Wechsel des Geschlechts, es war sehr viel mehr.

Ich stapfte aus dem Bach heraus, setzte mich hin und gab mich diesen neuen und fremden Gefühlen hin. Ich streckte die Arme aus und ließ mich nach hinten fallen, und mitten in einem Stück Wiese irgendwo an einem völlig unwichtigen Bach im Nirgendwo erkannte ich plötzlich die Natur der Dinge. Ich fühlte mich eins mit dem Universum wie noch nie zuvor. Wie ein wirklicher Bewohner dieser Welt. Nicht wie ein Besucher in einer fremden Welt, so wie ich mich in meinem alten Leben manchmal gefühlt hatte. Sondern wie jemand, der endlich zu Hause angekommen war.

Diese Gefühle stürzten mich in tiefste Verwirrung, nicht nur, weil sie so fremd waren, nicht nur, weil das Innerste meiner Seele sie mehr als nur willkommen hieß, sondern vor allem auch wegen der Fremdartigkeit. Das war nicht mein Ich, nicht mein wahres Ich. Nicht das wirkliche Ich. Oder? Vielleicht war mein wahres Ich, tief in mir selbst vergraben, ja doch ganz anders, als ich immer dachte, vielleicht hatte sich mein wahres Ich einfach vor Computern und Schreibtischen tief in mir versteckt und nur auf die richtige Gelegenheit gewartet, hervorzukommen.

Irgendwann machte ich mich mangels Alternativen trotz allem einfach wieder auf den Weg. Es war mittlerweile früher Abend und ich musste mir noch einen Schlafplatz suchen. Ich hatte mir darüber nicht sehr viele Gedanken gemacht, es war schließlich mitten im Sommer und ich hatte einen guten Schlafsack.

Ganz alleine in dem menschenleeren Dorf hätte ich ganz sicher nicht übernachten wollen, da war mir hier draußen doch noch deutlich lieber und auch nicht so gruselig. Die Bäume in einem kleinen Waldstück dienten mir als Dach über dem Kopf und seit langem übernachtete ich wieder einmal im Freien. Es erinnerte mich an das eine Mal, als ich das nach einer ziemlich tollen Party gemacht hatte, es war damals ein tolles Erlebnis gewesen.

Ich rollte meinen Schlafsack und die Isomatte aus und kuschelte mich ein, musste den Schlafsack aber bald wieder öffnen, es war in dem Ding viel zu warm. Außer dem harten Boden fiel mir noch etwas auf. Es wurde nicht richtig dunkel, meine Umgebung war deutlich zu hell zum Schlafen.

Ich konnte aber sowieso nicht einschlafen, zu viele chaotische Gedanken gingen mir durch den Kopf. Die Geräusche des Wäldchens kamen mir unerträglich laut vor, lediglich die Gerüche waren unverändert. Ich lag auf dem Rücken und hielt mir meine Hände vor die Augen. Es waren schöne Hände, vielleicht ein wenig zu blass. Ich umgriff ein Handgelenk und drückte zu, so fest ich konnte. Es waren auch kräftige Hände, viel kräftiger als früher, obwohl sie so schlank waren.

Die Finger waren zierlich, die Nägel relativ kurz geschnitten. Ich spreizte die Finger und sah mir die Sterne und den Himmel durch die Lücken an. Der Himmel war so farbenfroh, ich erkannte bei jedem Stern die Farbe, was mir früher nie gelungen war. Der Anblick war unvergleichlich schön. Ich streckte ein Bein in die Luft und betrachtete meinen Fuß. Dann das andere Bein dazu. Das Gleichgewicht zu halten war seltsam leicht, ich brauchte nicht einmal darüber nachzudenken.

Eins musste ich trotz allem zugeben, es hätte für mich deutlich schlimmer kommen können. Ich berührte meine Brust und die Stelle zwischen meinen Beinen. Es fühlte sich jedoch einfach zu fremdartig an, ich zuckte zurück. Das musste definitiv warten, damit würde ich mich später auseinandersetzen. Irgendwann gelang es mir einzuschlafen, nachdem ich mir mein T-Shirt über die geschlossenen Augen gelegt hatte, das dämpfte endlich das Licht der Nacht.

Ich erwachte kurz nach Sonnenaufgang durch das laute Vogelgezwitscher, ich hatte so gut wie schon lange nicht mehr geschlafen und fühlte mich einfach großartig. Diese Reise hätte ein richtiger schöner kleiner Urlaub sein können, wäre da nicht die Ungewissheit um das gewesen, was den Leuten passiert war.

Ich blickte durch den Wipfel des Baumes, unter dem ich geschlafen hatte, in den strahlend blauen Himmel über mir und fragte mich neugierig, was die Zukunft für mich wohl bereithalten würde. Für mich hatte sich alles verändert, mein altes Leben, ja sogar ich selbst waren komplett verändert, nichts war mehr so, wie es noch vor kurzem gewesen war. Aber ich sah neugierig dem entgegen, was das Leben für mich bereithalten würde.

Meine Gedanken waren nach wie vor ziemlich konfus, es ging mir jedoch schon etwas besser. Ich brauchte einfach mehr Informationen darüber, was eigentlich passiert war. Wesentlich mehr Informationen, als ich im Moment hatte, also wälzte ich mich aus dem Schlafsack und begann etwas dafür zu tun.

Das Fleckchen, das ich mir letzte Nacht ausgesucht hatte, war wirklich eine schöne Gegend, eine kleine Waldlichtung, durch die ein glucksender Bach hindurchfloss. Das Wasser war völlig klar, um den Bach herum hatte sich Gras und andere Vegetation angesiedelt, in der ich so gut übernachtet hatte.

Okay, also um genau zu sein, hatte ich in dem Gras und der Isomatte und dem Schlafsack übernachtet, was doch einen deutlichen Unterschied in Bezug auf Komfort machte. Irgendwie war ein Erwachen selbst in dieser Idylle mehr oder weniger nackt im vom Morgentau nassen Gras liegend nicht unbedingt das, was ich mir so erträumte, neue Naturverbundenheit und Romantik hin oder her.

Ich wusch mich am Bach, trank etwas Wasser und aß noch eine von den Dosen leer, die ich mir mitgebracht hatte. Auf dieser schönen Lichtung ein Feuer zu machen kam mir irgendwie wie eine Schändung vor, also ließ ich es bleiben und begnügte ich mich wieder mit Obst und verspachtelte eine Ravioli aus der Dose, nicht allzu lecker, so kalt.

Ich strich mit den Händen über das nasse Gras. Es fühlte sich alles so lebendig an. Um mich herum war so viel Leben, nicht wie in einer Wüste oder an den Polen, es gab hier Leben im Überfluss. Diese Tatsache wurde mir immer stärker bewusst. Im grünen Streifen des Planeten zu wohnen, wo sich das Leben so einfach entwickelte, nicht wie in den lebensfeindlicheren Gegenden, war ein echtes Privileg, das wir alle mit Füßen getreten hatten, das zumindest die meisten von uns ganz sicher nicht zu schätzen wussten. Nachdenklich starrte ich in den Bach und beobachte das Spiel des Lichtes auf der glitzernden Oberfläche.

Ich raffte mich irgendwann auf, packte mein Zeug zusammen und machte mich wieder auf den Weg, beschloss aber, die nächste Mahlzeit warm zu mir zu nehmen, Sakrileg, Privileg oder was auch immer. Die Straße wiederzufinden war nicht schwer, ich hatte die Lichtung leicht abseits der Straße gefunden und mich einfach zum Schlafen niedergelegt.

In einem kleinen Gang war das Feld bequem mit dem Rad zu schaffen, kurz darauf war ich wieder auf der Straße. Der Himmel zog sich bald danach zu, der Wechsel des Wetters kam sehr schnell und überraschend, so wie man es oft in den Bergen vorfindet. Kurz darauf fing es an zu regnen und ich musste absteigen, da mir das Wasser in die Augen lief und ich alles nur noch sehr verschwommen sah. Der Regen auf meinem Kopf und auf meiner Haut fühlte sich merkwürdig an, das Wasser war so weich und angenehm warm. Es fühlte sich so schön und zärtlich auf meiner Haut an, es war schon fast eine erotische Erfahrung. Ich ließ das Fahrrad fallen und legte den Rucksack dazu.

Dann reckte ich mein Gesicht dem Himmel entgegen, breitete die Arme aus und fing so viele der Regentropfen auf, wie ich konnte. Ich drehte mich im Kreis und fing an zu Musik des Regens auf der Straße zu tanzen. Alle Sorgen und Ängste waren für einen Moment völlig vergessen. Ich fühlte mich so leicht, unbeschwert und glücklich wie noch nie zuvor. Ich zog das T-Shirt aus, um die Regentropfen direkt auf meiner Haut zu spüren. Ich drehte mich, ich wirbelte umher und genoss meine so einfach mitspielende Muskulatur und den unglaublichen Gleichgewichtssinn beim Tanz. Ich tauchte unter diesen Regentropfen hinweg, um jene anderen dann wieder mit offenen Armen willkommen zu heißen. Dann blieb ich wieder stehen, sah in den Himmel und streckte die Zunge heraus. Ich genoss den Augenblick mit vollen Zügen. Ich konnte nicht ahnen, dass dies der letzte unbeschwerte Moment meines Lebens bleiben sollte.

Irgendwann ließ der Regen nach und ich sammelte mein T-Shirt wieder ein und zog mich an. Ich musste über mich selbst lachen, ich konnte eigentlich nicht einmal sehr gut tanzen, aber es hatte mir trotzdem viel Spaß gemacht. Ich fühlte mich wohl, mir war trotz der nassen Kleidung nicht kalt. Der Rucksack war wasserdicht, wie ich zu meiner Erleichterung feststellte. Ich schnallte ihn wieder an und hob das Fahrrad auf. Ich fuhr weiter, immer der Straße entlang Richtung München, wo ich mein Schicksal erhoffte und vermutete.

 

5 Eine unangenehme Überraschung

 

Irgendwann sah ich vor mir eine einsame Gestalt, die mir zu Fuß entgegenkam. Sie hatte eine ziemlich breite Statur und war eher klein, bestimmt fast zwei Köpfe kleiner als ich.

Bald darauf wurde mir klar, dass die Gestalt in einem ordentlichen Tempo rannte und schnell näherkam. Es war ein wirklich merkwürdiger Anblick, die Haut des Wesens, ich wusste wirklich nicht, wie ich es sonst nennen sollte, war dunkelgrün. Die Kleidung war abgerissen und schmutzig. Es hatte kaum Haare. Die Eckzähne standen hervor wie zwei Hauer, und zwar die unteren zwei Eckzähne, nicht die oberen, wie man es von wilden Tieren her kannte.

Das Geschlecht war nicht feststellbar, aber die Vorstellung, dass es weiblich war, war einfach so abstrus für mich, dass ich erst mal annahm, dass es ein Mann sein musste. Wobei menschlicher Mann ganz sicher auch nicht zutreffend war.

Seine Brust war mit einem Lederpanzer geschützt, und zwar nicht mit einen, der so schön wie in den Hollywoodfilmen aussah, sondern mit einem sehr grob zusammengeschusterten und verdreckten. Das Leder bestand aus mehreren Schichten und war sehr dick. Teilweise war der Panzer noch durch Metall und Gummiteile von Autoreifen verstärkt.

Er blieb endlich in einiger Entfernung vor mir stehen und versuchte offensichtlich wohl mich einzuordnen. Er starrte mich ziemlich blöde an, er wusste offenbar überhaupt nicht, was er mit der Situation machen sollte. Man sah deutlich, wie sein Gehirn zu arbeiten anfing, der Hellste war er ganz sicher auch nicht.

Dann setzte er an, zu sprechen, wobei ich mir nicht sicher war, ob seine Stimme, die sehr tief und dunkel war, oder die Tatsache, dass er überhaupt sprechen konnte, für mich erschreckender war. Als ich nicht reagierte, schrie er mich laut in einer unbekannten Sprache an, sie klang ein wenig wie Russisch, fand ich. Ich antwortete ihm und erklärte ihm, dass ich ihn nicht verstand. Er schrie noch etwas, worauf ich ihm wieder erklärte, dass ich seine Sprache nicht verstehe, schon etwas gereizter. Ich streckte die Hände mit den Handflächen nach unten aus und versuchte ihn ein wenig zu beruhigen.

Statt einer Erwiderung zog er zu meinem Entsetzen ein riesiges Schwert hinter seinem Rücken hervor. Es war wie sein Panzer sehr roh bearbeitet, eher schon eine schwere Stahlleiste mit Griff, und sah ziemlich bösartig und gefährlich aus. Dann stürmte er auf mich zu.

Ich drehte das Fahrrad um und trat so fest ich nur konnte in die Pedale, dummerweise war ich noch in einem ziemlich hohen Gang und es tat sich fast gar nichts. Auf einmal hörte ich mit Schrecken ein lautes Krachen, dann trat ich ins Leere. Ich schaute nach unten, die Kette war gerissen. Einen Moment lang war ich völlig geschockt und regungslos. Mein Gesichtsausdruck war jetzt vermutlich nicht viel intelligenter als seiner vorher.

Dann reagierte ich rein instinktiv. Ich sprang vom Fahrrad, ließ meinen Rucksack fallen und versuchte verzweifelt, das alte Samuraischwert herauszuziehen bekam aber den bescheuerten Rucksack nicht auf. Panikerfüllt gelang es mir endlich, die Schnüre zu lockern und ich bekam den Griff zu fassen. Ich zog sofort die blitzende Klinge.

‚Toll, und was jetzt?‘, dachte ich mir, das ungewohnte Schwert ungeschickt in der Hand. Er stürmte auf mich zu und wusste anscheinend genau, was er tun musste. Ich versuchte seinen Angriff zu parieren und trat beiseite, um ihm gleichzeitig auszuweichen. Seine Klinge prallte auf Meine und mir wurde fast der Arm aus den Gelenken gerissen.

Ich griff mit der zweiten Hand ebenfalls an den Schwertgriff und schalt mich einen Narr. Eine Närrin. Als er zum zweiten Schlag ausholte, versuchte ich den wieder zu parieren, ebenfalls, mit mehr Glück als sonst etwas, wieder erfolgreich. Allerdings wurden mir so langsam die Arme und Hände taub.

„Warum kämpfst du mit mir, ich habe dir nichts getan!“, rief ich ihm zu, aber er kämpfte verbissen weiter und starrte mich hasserfüllt an.

Er brüllte mir noch etwas in seiner Sprache zu, was ich wieder nicht verstand. Ich versuchte ihn nun zu treffen, aber meine Klinge prallte völlig wirkungslos an seiner Lederrüstung ab. Ich konnte gerade nur noch das Schwert für seinen nächsten Schlag hochreißen, dann wurde mein linker Arm fast völlig taub, so fest hatte er zugeschlagen.

Mir wurde klar, dass ich den Kampf bald beenden musste, oder es würde mein erster und letzter Schwertkampf werden. Meine Arme und Handgelenke schmerzten wie Feuer und wurden immer schwerer, vor allem weil ich seine Schläge so ungeschickt abwehrte. Mein Glück war nur, dass er wohl auch kein Meister im Fechten war. Aber er hatte sehr viel Kraft in seinen Schlägen und die deutlich schwerere Waffe.

Dann durchfuhr mich ein stechender Schmerz im linken Arm, es brannte wie Feuer. Offenbar hatte sein letzter Schlag mich gestreift, er sah das Blut fließen und grinste mich furchterregend an, siegessicher. Er holte hinter seinem Kopf weit aus und ließ die Klinge auf mich herunter sausen.

Dem Schlag konnte ich stolpernd mit sehr viel Glück nach rechts ausweichen, ohne die Balance völlig zu verlieren. Er hatte weniger Glück als ich, von seinem Schwung vorwärts getragen kam er ins Straucheln und fiel auf die Knie. Ich sah eine ungeschützte Stelle an seinem grünen Hals über der Lederrüstung, in die ich das Samuraischwert stach. Es war fast wie ein kleines Wunder, ich verfehlte die Stelle trotz der krummen Klinge nicht.

Der Treffer fühlte sich für mich sehr merkwürdig an, ich konnte fühlen, wie ich seine Halswirbel durchtrennte, fast so als wären es meine eigenen. Der Schmerz durchzuckte mich, als wäre es mein Halswirbel, der durchtrennt wurde. Als ich die Klinge wieder herauszog, schoss sehr viel Blut aus der Wunde, sehr unwirklich aussehendes dunkelgrünes Blut. Ungläubig fasste er sich an den Nacken und drehte sich zu mir um.

Ängstlich wich ich einen Schritt zurück. Ich werde seinen ungläubigen Blick für den Rest meines Lebens nicht vergessen, er blickte mich aus weit aufgerissenen Augen an, die Aggression, die vorher sein Gesicht beherrscht hatte, war völlig verschwunden. Dann brach sein Blick, und er war bereits tot, als er am Boden aufschlug.

Ich fiel auf die Knie und übergab mich. Ich hatte einen Menschen getötet! Nicht ganz Mensch, aber auf jeden Fall ein denkendes und fühlendes Wesen. Es war so oder so zu viel für mich, ich musste einfach träumen, das konnte nicht die Realität sein. Wieder fing ich an zu weinen. Mein neuer Hormonhaushalt schaffte es immer wieder, mich völlig zu verwirren, früher hatte ich bei Gefühlsausbrüchen deutlich gelassener reagiert.

Allerdings hatte ich auch noch nie zuvor einen Menschen getötet.

Ich konnte mich einfach nicht an meine neuen Körperfunktionen und Reaktionen gewöhnen, irgendwie fühlte sich alles falsch und ungewohnt an. Wie ein Schuh, der einfach nicht passen wollte. Ich hatte vorher noch nicht einmal einen Fisch getötet, das größte waren Insekten.

Er tat mir leid, obwohl er gerade versucht hatte, mich zu töten. Ob er Familie hatte, Kinder, eine Frau? Ich sah meine Hand an und dann die Seine. Es hatte vor der Umwandlung so etwas wie ihn nicht gegeben, da war ich mir ganz sicher, genauso wenig wie so etwas wie mich. Ob er auch einst ein Mensch gewesen war? Er hatte sich bestimmt ebenfalls verändert, genau wie ich, was uns zu Leidensgenossen machte.

Sein Schicksal war jedoch das deutlich schlimmere, und jetzt war er tot. Warum hatte er mich nur angegriffen? Trotz meines Ekels fing ich an, den toten Körper zu durchsuchen, was keine leichte Aufgabe war, ein paar Mal war ich kurz davor, mich wieder zu übergeben. Ich brauchte jedoch nichts dringender als Informationen.

Ich griff nach seinem Schwert, das ich zu meiner Überraschung recht gut schwingen konnte; aber leider fühlte es sich zu unausgewogen an, um für mich wirklich nützlich zu sein. Ich war mit dem Samuraischwert deutlich besser dran. Das Metall war offensichtlich Stahl, aber kein besonders guter, soviel konnte ich an den leichten Rostspuren erkennen.

Unter seiner Kleidung und der Lederrüstung fand ich eine Schriftrolle, die mich doch sehr verwunderte, wer benutzte heutzutage noch Schriftrollen anstatt eines Briefes oder etwas anderes Modernes? Die Schrift war für mich leider nicht lesbar, ich hob sie trotzdem auf. Die Buchstaben waren auf jeden Fall nicht römischen Ursprungs, vielleicht kyrillisch oder so etwas in der Art.

Ich fand ebenfalls einige Nahrungsvorräte in einem Beutel, die das Wesen am Gürtel trug, die sahen eigentlich recht essbar aus, irgendwas Getrocknetes. Ich probierte einen kleinen Bissen, es hatte die Konsistenz von geräuchertem Fleisch, vielleicht Rind, es war jedenfalls essbar.

Seine Kleidung war nicht nur abgetragen und verdreckt, sondern stank noch dazu zum Himmel. Ich war unsicher, was ich mit der Leiche tun sollte. Ich hatte keinen Spaten oder etwas in der Art dabei, fand jedoch am Gürtel des Wesens einen Klappspaten. Ich beschloss, es zu beerdigen, die Erde am Straßenrand war locker und es war sicher machbar.

Es wurde aber dann doch eine ziemliche Plackerei, ich musste einige Steine ausbuddeln. Nach mehreren Stunden war das Loch endlich groß genug und ich rollte den Körper hinein. Dann bedeckte ich den Leichnam mit der Erde und den Steinen aus dem Loch.

Ich war völlig verdreckt und verschwitzt. Ich fragte mich, ob mein alter Körper das überhaupt hinbekommen hätte. Ich versuchte mich an ein Gebet zu erinnern, ich bekam jedoch nur ein halbes Vater Unser zusammen, also sprach ich noch unbeholfen die Worte Kyrie Eleison über seinem Grab.

Dann wurde mir klar, was ich da gerade vollbracht hatte. Das Wesen war ungeheuerlich kräftig und muskulös, und trotzdem lag er jetzt vor mir in seinem Grab und nicht ich. Mein altes Ich wäre nicht annähernd kräftig genug gewesen, ich war also deutlich stärker als früher. Was ich eigentlich gleich vermutet hatte, als ich den Rucksack zum ersten Mal angehoben hatte. Trotz der Unterernährung.

Ich untersuchte die Wunde, die ich am Arm hatte. Es fühlte sich weniger schmerzhaft als erwartet an, und sah auch nicht sehr tragisch aus. Ich entschloss mich das Ganze einfach an der Luft zu lassen, nachdem ich die Wunde provisorisch gereinigt hatte. Es floss kaum Blut, und ich dachte mir, den Rest wird schon dein Körper erledigen, wobei ich hoffte, dass das auch für meinen neuen Körper galt.

Der, wie ich vermutete, der Körper einer Elfe war. Man konnte mein Äußeres ziemlich sicher mit einer vergleichen, sehr feingliedrig, spitze Ohren, hochgewachsen. Was wusste ich über Elfen? Eigentlich gar nichts, nur was ich aus Märchen und Romanen wusste, und das war alles sehr widersprüchlich, außerdem gab es doch in der Wirklichkeit keine Elfen!

Sich selbst zu belügen machte aber auch keinen Sinn, ich musste mir nur an die Ohren oder an die Brüste fassen, um mir klar zu machen, dass es sehr wohl die Wirklichkeit war. Ich wusste jetzt auch, dass es offensichtlich nicht nur mich erwischt hatte, andere Menschen waren auch verändert, meine Welt kannte keine Wesen wie jenes, das ich gerade verbuddelt hatte.

Woher hätten sie sonst kommen sollen.

Mein Fahrrad war leider irreparabel, die Kette war gerissen, wie ich schon vermutet hatte. Ich setzte also meine Reise zu Fuß fort und ging weiter die Straße entlang in Richtung Westen. Immer in der Hoffnung, jemanden zu finden, der ein wenig hilfsbereiter war, oder wenigstens gesprächiger.

Diesmal befestige ich das Schwert so, dass ich es jederzeit erreichen konnte, vor allem schneller als beim letzten Mal. Beim Marschieren bemerkte ich bald, dass die Wunde unglaublich schnell verheilte und schon nach einer Weile kaum noch Schmerzen verursachte.

Ich wechselte irgendwann von der st2105 auf die st2104, Richtung Otting, also erst einmal nördlich, ich wollte einen Berg im Westen umgehen, auf dem keine Straßen verzeichnet waren. Ich fluchte leise, als ich die Karte überprüfte, es hätte von Waging auch eine direkte Straße nach Otting gegeben, die ich jedoch durch meinen überhasteten Aufbruch wohl übersehen hatte.

Nach einer ganzen Weile erreichte ich Otting. Ich fühlte mich kaum müde, der neue Körper hatte einige Vorteile, und das, obwohl ich nach dem monatelangen Koma völlig untrainiert war. Ich fühle mich so fit wie noch nie zuvor, ich lief trotz des schweren Rucksacks leichtfüßig die Straße entlang. Das Dorf war relativ klein und lag eigentlich ziemlich genau auf meiner Strecke Richtung Chiemsee, ich ärgerte mich erneut wegen des Umwegs, der Grüne könnte noch leben, wenn ich nicht so dämlich gewesen wäre.

Das Dorf war menschenleer, genau wie das Letzte, keine einzige Seele war zu sehen, keine spielenden Kinder, niemand in den Fenstern, einfach nur nichts. Die Häuser die ich durchsuchte waren ebenfalls leer. Das Dorf hatte eine kleine Kirche, die ich von der Hauptstraße aus leicht sehen konnte.

Ich hielt auf die Kirche zu, in der Hoffnung, dass sich vielleicht dort jemand versteckt hatte. Die Häuser waren typisch für die bayrische Architektur, teilweise wieder wunderschön bemalt, viele aber auch reinweiß, ein typisches idyllisches bayrisches Dörfchen.

Dort angekommen sah ich mir die Gegend um die Kirche herum an. Doch die Idylle nahm ein jähes Ende, blankes Entsetzen, grenzenloser Schrecken und eisige Furcht durchfuhren mich - ich fand Hunderte von skelettierten Leichen, tote menschliche Körper.

Sie waren alle in dem kleinen Friedhof vor der Kirche auf einer Stelle gestapelt, offensichtlich zum Massenbegräbnis vorbereitet, welches aber nie stattgefunden hatte. Viele Gräber auf dem Friedhof waren noch dazu sehr frisch, etwas Furchtbares musste hier passiert sein.

Ich hatte noch nie so viele tote Menschen gesehen, wobei einige der toten Skelette wirklich ungewöhnlich aussahen. Manche waren sehr kleinwüchsig, und manche wieder ähnelten eher dem Wesen, das ich auf der Straße getötet hatte, jedenfalls schloss ich das aus den Hauern.

Alle Leichen waren fast vollständig skelettiert, sie waren also schon eine ganze Weile tot. Ich sah auf den ersten Blick keine Elfentypen wie mich, allerdings wollte ich auch nicht genauer nachsehen und hatte keine Ahnung, ob man von den Knochen her überhaupt einen Unterschied sah. Vermutlich eher nicht, ein paar der längeren Skelette konnten also durchaus auch Elfen sein.

Die allermeisten waren ganz normale Menschen. Es musste doch irgendwo auch noch lebendige Menschen geben, die Leichen waren auf jeden Fall von irgend jemandem hier hergebracht worden, irgend jemand musste doch noch überlebt haben, mit dem ich mich darüber unterhalten konnte, was passiert war!

Ich betrat die Kirche, vielleicht fand ich dort etwas, das mir weiter half. Ich öffnete die Flügel der Tür, sie war nicht verriegelt, und betrat den großen Raum.

Es war nicht das geringste Lebendige zu sehen, aber ich fühlte ein Kribbeln zwischen den Schulterblättern, das mir langsam den Rücken herunter kroch. Ich stellte meinen Rucksack ab und nahm das Samuraischwert heraus. Ich zog es nicht aus der Scheide, ein Schwert in einer Kirche kam mir auch so schon unpassend vor.

Die langen Reihen der Holzbänke waren deutlich zu erkennen, sie waren aus irgendeinem sehr dunklen Holz gemacht, vielleicht sogar Eiche und stark abgenutzt. Das Holz glänzte in einem sehr dunklen Braun. Am Ende des Ganges stand der Altar, auf dem ein großes Kreuz aus Silber und Gold stand.

Das Gewölbe über mir war in einer einheitlichen Farbe gehalten und nicht besonders schön verziert, keine Da-Vinci-Deckenmalerei. Es musste eigentlich ziemlich dunkel in der Kirche sein, die Läden vor den großen Kirchenfenstern waren geschlossen, lediglich ein wenig Licht sickerte durch die Ritzen, ich konnte aber alles problemlos sehen, für mich war der Raum fast taghell.

Der Boden bestand aus tönernen Fliesen in einem dunklen Terrakottaton. Am Kopf der Kirche fand ich eine Tür, die in ein kleines Häuschen führte, das direkt an die Kirche gebaut wurde. Hier musste wohl einmal der Pfarrer gewohnt haben.

Ich untersuchte das Erdgeschoss, fand jedoch nichts Besonderes. Ein Stapel Zeitungen sagte mir nichts Neues, die Letzte war auf den Tag datiert, bevor ich die Besinnung verloren hatte. Irgendwer musste doch etwas darüber berichtet haben, aber es war nichts zu finden. Auch funktionierte keine Elektrizität, und alle Batterien, die ich fand, waren offenbar leer, eine Taschenlampe wäre nett gewesen.

Im oberen Stockwerk fand ich einen anscheinend menschlichen Mann, der tot in seinem Bett lag. Es war offenbar der Priester, der wahrscheinlich auch die Leichen aufgeräumt hatte, er war aber auch schon seit einiger Zeit tot und wie die Leichen unten fast vollständig skelettiert.

Ich wandte mich ab und rannte aus der Kirche, voller Panik und Ekel. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich den Mann nicht beerdigt hatte, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, in das Haus zurückzukehren oder mich auch nur dem Friedhof erneut zu nähern.

Ich beschloss, mich erneut mit dem Thema Auto zu beschäftigen. Die Suche nach einem funktionierenden Fahrzeug beschränkte ich diesmal auf die Suche nach einer Batterie, die noch genug Ladung hatte: Ich schlug die Fenster der Fahrzeuge ein, öffnete die Motorhaube und schloss die Batterie testweise mit einem Kabel kurz, aber nirgends wurde ich mit dem erhofften Funken belohnt.

Danach suchte ich mir eine funktionierende Dusche in dem Ort und wusch mich gründlich, das tat unglaublich gut, vor allem die Erde aus dem Grab war unangenehm auf der Haut und unter den Fingernägeln gewesen. Ich verbrachte die Nacht in einem einigermaßen sauberen Bett. Am nächsten Morgen, nach einem weiteren kalten Frühstück, stockte ich meine Vorräte auf und verließ das Dorf wieder, diesmal Richtung Kammer. Ein brauchbares Fahrrad fand ich leider nicht.

 

6 Dunkelheit und Feuer

 

Ich war schon eine Weile unterwegs, als ich auf der Straße einen Trupp von Leuten begegnete, die sich in militärischer Ordnung fortbewegten. Ich überlegte noch, dass das wohl kaum ein gutes Zeichen war, erhoffte mir jedoch nichts mehr als endlich Antworten auf meine Fragen zu bekommen. Also blieb ich auf der Straße und lief weiter dem Trupp entgegen.

Die Leute waren allesamt ziemlich klein, wie ich gerade noch erkennen konnte, viel kleiner als ich selbst. Der Führer des Trupps saß auf einem Pferd und ritt vor seinen Leuten. Dann sah ich entsetzt, dass die Haut dieser Leute genauso grün war wie desjenigen, den ich gestern getötet hatte.

Er spornte sein Pferd an, sobald er mich erblickte, rief etwas und die Meute fing an, schreiend auf mich zuzurennen. Es war vielleicht doch nicht die beste Idee gewesen, auf sie zuzugehen, zum Weglaufen war es jetzt dummerweise viel zu spät, außerdem war ich noch nie besonders gut im Laufen gewesen. Ich lief trotzdem, so schnell ich konnte, los, weg von der Straße auf eine Wiese, sprang über den Graben und rannte weiter. Offensichtlich hatte sich das mit dem Laufen mit meinem neuen Körper ebenfalls geändert, ich lief ziemlich schnell und ausdauernd.

Leider nützte es mir gerade trotzdem nicht wirklich viel, denn ich hörte das Pferd galoppierend und laut schnaubend hinter mir schnell näherkommen, nirgends war eine Möglichkeit zu sehen dem Pferd zu entkommen. Die Hufe des Pferdes auf der Wiese wurden immer lauter und dann sah ich für eine kurze Zeit den Himmel in hell grellen Flammen stehen, bevor es schließlich dunkel um mich herum wurde.

Als ich wieder aufwachte, war das Erste, was ich fühlte, Schmerz. Der ganze Körper tat mir weh, mein Gesicht fühlte sich an wie ein geschwollener Klumpen, ich konnte mich kaum bewegen. Mein Kopf tat mir weh, und als ich meinen Hinterkopf anfasste, fühlte ich eine ziemlich stark geschwollene Wunde und mein mit getrocknetem Blut verklebtes Haar. Der Typ auf dem Pferd hatte mich ziemlich brutal mit einer Keule oder etwas Ähnlichem niedergeschlagen, ich zuckte vor Schmerz zurück, als ich die Stelle fand, wo er mich getroffen hatte.

Ich lag auf dem Boden in einem Haus, soviel konnte ich sehen, ich war alleine in einem Zimmer. Man hatte es nicht für nötig befunden, mich zu fesseln. Mein ganzer Körper war mit Schnitten und Striemen übersät und ich war völlig nackt. Ich fühlte mich entsetzlich, zwischen meinen Beinen war der schlimmste Schmerz von allen, und was das bedeutete - ich wollte einfach nicht darüber nachdenken.

Frauen waren für mich mein Leben lang etwas Schützenswertes gewesen, ich sah sie als etwas schon fast Heiliges an. Auf Vergewaltigung und Misshandlung hatte ich schon immer mit grenzenloser Verachtung reagiert. Mir waren Männer, die so etwas taten, einfach zuwider. Und jetzt war ich selbst zum Opfer geworden! Ich konnte vor Zorn kaum denken, jemand hatte diesen Körper, den ich immer noch nicht ganz als den meinen ansehen konnte, auf das Schlimmste misshandelt, es kam mir fast wie eine Entweihung vor.

Ich wollte einfach nur weg, aus diesem Körper in meine alte Heimat, zurück in mein Leben, dass ich doch irgendwie immer noch einigermaßen genossen hatte. Ich wusste nicht, was ich hier sollte, was für eine Welt war das nur geworden. Ich bedeckte meine Blöße mit einem schmutzigen Bettlaken, dass ich in dem Zimmer auf dem Bett fand. Es war ein kleines Kinderzimmer, mit einer verspielten Tapete und jede Menge Spielzeug in den Regalen.

Dann öffnete sich die Tür, und herein kam eines dieser grünen Wesen. Er rief etwas in der unbekannten Sprache, die ich wiederum nicht verstand, mir war aber trotzdem klar, was er wollte. Ein Zweiter kam herein, und ging auf mich zu. Ich sah dunkelrote Schleier vor den Augen, vor Wut und Scham. Lieber wollte ich sterben als zuzulassen, dass diese Schweine diesen Körper weiter missbrauchten. Ich wich zurück, in einer Ecke des Zimmers und schrie laut auf. „Lasst mich in Ruhe, was wollt ihr nur von mir, ich habe doch nichts getan.“ Von draußen hörte ich ein dreckiges Lachen. Er ignorierte meine Schreie und kam näher, ich zitterte am ganzen Körper.

Er packte mich, zerrte mich an den Haaren hoch und schleuderte mich durch den Raum, mir kam es so vor, als wollte er mir den Kopf abreißen. Er packte mich mit seinem Arm um meinen Hals und hielt meine Arme fest, dann kam der andere näher. Er zog seine Hosen herunter und entriss mir das Laken, nackt und bloß lag ich vor ihm, und er griff nach meinen Beinen. Seine hässliche und abstoßende Fratze kam immer näher, er sabberte, die Hauer sahen aus der Nähe noch furchterregender aus.

Die roten Schleier vor meinen Augen wurden noch ein bisschen dunkler, ich war so zornig und wütend wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich konnte meinen Zorn fast körperlich spüren, mein Unterbewusstsein übernahm vollkommen die Kontrolle. Ich fühlte, wie mein Geist nach außen griff, und dann stieß ich nach dem Wesen. Ich spürte seinen Körper mit meinem Geist, und dann warf ich ihn voll panischer Angst weg von mir. Er flog durch den Raum, wie von einer riesigen und unsichtbaren Faust getroffen, und prallte gegen die Tür.

Der Körper flog weiter durch die Tür, sein Kopf blieb am Türrahmen hängen, so hart war der Aufschlag. Der Kopf wurde sauber abgetrennt, Blut spritzte aus der Wunde und dann prallte der Körper hart gegen die Wand des Flurs hinter der Tür. Die Steine gaben nach, und der kopflose Körper sackte auf den Boden.

Der andere, der mich festhielt, ließ mich fallen und blieb für einige Sekunden regungslos stehen, ich fiel nach hinten und konnte ihn wieder deutlich sehen. Sein Gesicht war völlig blutleer, dann rannte er schreiend aus dem Zimmer.

Ich blickte immer noch fassungslos auf die kopflose Leiche -wie hatte ich das bloß gemacht? Dann beherrschte mich nur noch ein Gedanke: Flucht. Ich musste sofort verschwinden, nichts wie weg von diesem Ort des Grauens. Ich blickte aus dem Fenster, aber es war zu hoch, um zu springen. Ich wickelte mich wieder in das Laken und verließ das Zimmer. Vorsichtig und ängstlich lief ich durch das Haus auf der Suche nach der Haustür. Ich lief die Treppe hinunter und sah den Ausgang aus dem Haus.

Es war anscheinend sonst niemand mehr in dem Haus, jedenfalls war niemand hinter mir her, also lief ich von meiner Angst getrieben sofort auf die Straße, genau so nackt, wie ich war. Ich kannte den winzigen Ort, es war Leopoldsberg, an dem Ort war ich vorbeigekommen, nachdem ich in Otting gewesen war.

Ich lief, so schnell ich konnte, in die Richtung Westen, in die ich schon mal zuvor gelaufen war, auf den Wald zu. Aus einem anderen Haus kam der Anführer des Trupps gelaufen. Er hob sein Gewehr und gab einige Schüsse in meine Richtung ab. Oft klickte es nur, sehr zuverlässig war seine Waffe zum Glück nicht.

Er musste öfter von Hand nachladen, um die nächste Patrone in den Lauf zu bringen. Ich rannte, so schnell ich nur konnte, auf einen angrenzenden Wald zu, ohne auch nur zurückzublicken. Um mich herum konnte ich die Kugeln hören, es war wie ein leises, tödliches Singen und das Pling beim Einschlag der Bleikugeln. Dann erreichte ich endlich den Wald und war fast in Sicherheit. Ich wollte schon aufatmen, als ich einen fürchterlichen Einschlag in meinem Rücken fühlte, der mich nach vorne schleuderte, direkt auf den weichen Waldboden.

Fassungslos starrte ich auf meine rechte Schulter, in der ein Loch so groß wie ein Handteller war, Blut floss wie ein kleiner Springbrunnen aus der offenen Wunde, das Fleisch war aufgerissen und ich konnte meine Knochen sehen, die teilweise zersplittert waren. Dann füllte sich die Wunde mit Blut. Der Schmerz blieb merkwürdigerweise aus, ich konnte aber fühlen, wie mein Leben aus mir heraus lief, mein ganzer Körper pochte wie ein Presslufthammer.

Ich kannte mich nicht mit Schussverletzungen aus, aber so etwas konnte nur von einem Dumdum Geschoss verursacht werden, da war ich mir sicher. So eine Verletzung war selbst in einem Krankenhaus äußerst kritisch, hier war sie absolut tödlich. Ich wusste in diesem Moment, dass ich hier in diesem Waldstück sterben würde. Der Gedanke war völlig klar in meinem Kopf und ich wusste, dass es die Realität war, meine letzte Realität.

Mein Leben lief wie ein rasend schneller Film vor meinen Augen ab. Ich fragte mich, was es für ein Sinn gehabt hatte, warum steckte ich in diesem Körper - nur, um darin zu sterben? Das war zu ungerecht, ich wollte weiterleben, es durfte so nicht enden, ich wollte von mir aus auch in mein altes Leben zurück und mich wieder mit Computern und meinem Job beschäftigen, aber nicht in diesem Wald sterben.

Dann kamen die roten Schleier vor meinen Augen zurück und mein Unterbewusstsein übernahm wieder die Kontrolle. Mein ganzer Körper fing an zu brennen. Ich fühlte mich, als ob mich jemand in glühende Lava getaucht hätte, der Schmerz sickerte durch meine Haut und durch mein Fleisch auf meine Knochen. Ich konnte mich nicht bewegen, keinen Laut von mir geben, obwohl ich mir die Seele aus dem Leib schreien wollte, ich konnte nur still auf dem Waldboden liegen und atmen, was mich alles an Konzentration kostete, die ich noch aufbringen konnte. Ich sah die Wipfel der Bäume, die sich sanft im Winde wiegten. Dann überwältigte mich der Schmerz völlig und ich sah gar nichts mehr.

Die roten Schleier schlossen sich um mein Blickfeld und alles, was ich sah, war ein grelles Rot. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, dann verebbten die Wellen des Schmerzes langsam. Dann waren sie vollkommen verschwunden. Wie auch alle anderen Schmerzen, die ich vorher in meinem Körper gefühlt hatte, ich war völlig ermattet, aber schmerzfrei. Ich tastete mich vorsichtig ab. Ich war über und über mit Blut bedeckt, aber an meiner Schulter war nur rosige, irgendwie frisch aussehende Haut, da, wo das Loch gewesen war.

Auch alle Striemen waren verschwunden, die Schnitte waren verschwunden und auch der Schmerz zwischen meinen Beinen war verschwunden, ich fühlte mich völlig geheilt und war nur noch furchtbar hungrig und durstig und unglaublich müde. Wie lange ich dort gelegen hatte, konnte ich nicht genau sagen, mein Zeitgefühl war mir abhandengekommen, als ich mich wie eine brennende Fackel gefühlt hatte; lange konnte es aber nicht gewesen sein. Ich kroch auf allen Vieren an den Baum heran und blickte in das Dorf zurück.

Der Trupp sammelte sich gerade zum Abmarsch, anscheinend wollten sie nicht mal nachsehen, was aus mir geworden war. Vermutlich hielt mich der Anführer für tot oder er wollte es nicht riskieren genauer nachzusehen, vielleicht hatte er seinen toten Mann inzwischen gefunden. Ich wollte nicht in das Dorf zurückgehen, auf keinen Fall, ich wollte einfach nur noch weg. Nach meiner Ausrüstung zu suchen wagte ich ebenfalls nicht aus Furcht vor den Grünen. Ich würde mir eben Neue besorgen müssen. Fast völlig nackt, nur mit einem Laken bekleidet, lief ich durch den Wald in Richtung Westen, irgendwie musste ich das nächste Dorf oder wenigstens ein Haus erreichen.

Ich kam nur langsam voran, als ich durch den Wald lief, ich musste vorsichtig gehen und wollte auch meine empfindlichen Füße nicht zu stark belasten. Meinen Durst konnte ich an einem kleinen Bach stillen, der glucksend einen Weg durch den Wald nahm. Grimmigen Hunger hatte ich jedoch nach wie vor. In dem Bach konnte ich aber wenigstens auch noch notdürftig das Blut abwaschen. Der Bach färbte sich rot, ich konnte es nicht fassen, dass ich diese Menge an Blut verloren und doch überlebt hatte. Ganz zu Schweigen von den anderen Verletzungen und dem völlig verschwundenen Loch in meiner Schulter.

Meine Heilung hatte mich aber auch sehr viel Substanz gekostet, ich konnte meine Rippen deutlich zählen, ich sah jetzt noch verhungerter als vorher aus. Mit knurrendem Magen ging ich weiter, bis ich den Wald verlassen musste. Eine Wiese lag vor mir und irgendwie kam mir die Gegend bekannt vor. Ich blickte mich vorsichtig um. Dies war die Wiese, auf der mich die Truppe überfallen hatte! Ich hoffte nur, sie waren weiter auf dem Weg nach Osten. Als ich anfing geduckt über die Wiese zu gehen, konnte ich die Spuren des Pferdes erkennen. Die Stelle, an der mich der Reiter niedergeschlagen hatte, war noch von vielen Füßen niedergetrampelt.

Ich wollte gerade meinen Blick schauernd abwenden und weitergehen, doch sah ich einen dunklen Fleck auf dem Gras. Ich ging näher und konnte meinen Rucksack erkennen! Was für ein ein unglaubliches Glück. Ich riss den Rucksack auf und öffnete gierig zwei der Dosen, ich bekam sie kaum auf, so stark zitterten meine Hände vor Hunger und Aufregung.

Sie hatten den Rucksack wohl einfach von mir heruntergerissen und beiseite geworfen, ohne ihn genauer anzusehen. Meine gesamte Ausrüstung war noch da, noch nicht einmal das Schwert hatten sie mitgenommen, es steckte im Rucksack. Ich wollte die Kleidung noch nicht anziehen, erst wollte ich mit Seife den Rest des Blutes von mir abwaschen. Ich zog nur eine Unterhose und ein T-Shirt an, die Unterhose färbte sich auch sofort rot.

Leider hatte ich keine Ersatzschuhe, ich musste also barfuß zum nächsten Dorf laufen. Keine angenehme Vorstellung, aber auf der Teerstraße wollte ich sowieso nicht mehr laufen, das kam mir jetzt viel zu gefährlich vor, eine sichere Distanz zur Straße war besser. Ich packte meinen Rucksack zusammen und verschwand von der Wiese, die mir auf einmal viel zu weit und zu offen vorkam, weiter zum nächsten Wald. Diesmal versuchte ich die Straße im Auge zu behalten, lief aber ein gutes Stück abseits und mied auch alle Waldwege.

Als ich endlich wieder auf einen Bach stieß, konnte ich mich richtig mit Seife waschen. Ich hatte das Gefühl, mich wieder und wieder waschen zu müssen, den Schmutz dieser Kerle abzuwaschen, hektisch, fast panisch. Irgendwann hatte ich das Gefühl einigermaßen sauber zu sein, vor allem auch im Schritt. Die Wunden waren zwar verheilt, aber der Hass und das Bewusstsein des Erlebten war noch da. Trotz meines Dursts nach Rache wusste ich aber genau, dass ich einen Angriff auf den Trupp nicht überlebt hätte, außerdem hatte ich viel zu viel Angst noch einmal mit diesen Typen eine Konfrontation zu suchen.

Meine Wut auf sie wurde mit jedem Moment stärker. So starke Emotionen waren neu für mich. Ich wusste, dass ich nichts mehr als Rache an diesen Kreaturen wollte. Ich stellte mir vor, sie wieder zu treffen und sie diesmal alle bis auf den letzten Mann zu töten. Dann schob ich jedoch diese Gedanken etwas beschämt beiseite, ich war eigentlich nie ein gewalttätiger Mensch gewesen. Jetzt hatte ich in einer Woche schon zwei fühlende und denkende Wesen getötet.

Ich zog mir die Kleidung an, die ich zum Wechseln in den Rucksack gepackt hatte, und beschloss erst mal weiterzugehen und mir einen Platz zum Übernachten zu suchen. Ich wollte einerseits, so schnell es ging, von den grünhäutigen Wesen weg, andererseits hoffte ich, insgeheim, dass sich irgendwann einmal eine Gelegenheit ergab, Rache zu üben. Ich hatte es also nicht zu eilig, sehr viele Kilometer zwischen uns zu bringen.

Dann erinnerte mich mein immer noch knurrender Magen wieder an meinen Hunger. Ich öffnete mir eine weitere meiner Dosen. Nach der Mahlzeit fühlte ich mich wieder einigermaßen bei Kräften und machte mich auf die Suche nach einem Schlafplatz.

 

7 Durch den Wald

 

Ich traf nach einer Weile in dem Wald auf ein einsames Haus, es hatte wohl einem Förster gehört, wie ich aus dem grünen Geländewagen schließen konnte, der vor dem Haus stand. Niemand reagierte auf mein Klopfen, es war wieder ein verlassenes Gebäude. Vorsichtig betrat ich das Haus mit gezogenem Schwert, nachdem ich die Tür eingetreten hatte, es war jedoch völlig leer. Etwas humpelnd, ich hatte mir bei dem Tritt den Fuß verstaucht, durchsuchte ich das Haus nach Waffen und Vorräten und wurde auch bald fündig.

Der Förster und seine Frau hatten wohl ein leidenschaftliches Leben in der Natur geführt, sie hatten wirklich sehr viele Wanderschuhe und es waren auch sehr gute und vermutlich teure darunter. Ich nahm mir ein paar schöne, hellbraune Wildlederstiefel, die mir wirklich gut passten, und auch noch ein paar leichtere Schuhe, die aber auch eine feste Sohle hatten.

Die Förstersfrau musste ziemlich groß für eine Frau gewesen sein, wenn mir ihre Schuhe passten, meine letzten Stiefel aus dem Sportladen waren viel zu breite Männerstiefel gewesen, die Damenschuhe waren einfach zu kurz.

Waffen fand ich leider keine, auch keine Schusswaffen, aber dafür hatten die Leute eine sehr gut ausgerüstete Vorratskammer, in der ich meine Verpflegung aufstockte, diesmal auch mit hausgemachten geräucherten Würsten, die noch haltbar schienen. Die Kleidung der Dame des Hauses passte mir ebenfalls wirklich gut, ich tauschte meine Klamotten einfach gegen ihre aus. Mit einem bisschen Bedauern ließ ich auch meine alten Sachen zurück, die ich als Mann getragen hatte.

Langsam aber sicher entwickelte ich mich zum Profidieb. Schmuck und Ähnliches ließ ich wie immer liegen, ich wollte überleben und keine Karriere als Plünderer anstreben. Ich beschloss, die Nacht in dem Haus zu verbringen, ich glaubte nicht, dass die Eigentümer ausgerechnet heute Nacht zurückkamen, wenn sie überhaupt noch lebten, und außerdem war ich mittlerweile wirklich todmüde.

Es tat mir gut, mich mit etwas anderem als der Vergewaltigung zu beschäftigen, mich für ein paar Stunden auf etwas ganz anderes zu konzentrieren, als immer wieder die gleichen Gedanken und Gefühle im Kreis zu wälzen. Ein Feuer zu machen wagte ich nicht, Elektrizität funktionierte auch hier nicht, aber ich konnte trotzdem ein nettes Mahl zubereiten, wenn es auch kalt war. Das Schlafzimmer der beiden war sehr gemütlich, Kinderzimmer gab es keine in dem Haus. Ich fragte mich, was wohl aus dem Pärchen geworden war und hoffte, dass ich mich eines Tages bei ihnen bedanken und vielleicht sogar den Schaden irgendwie begleichen konnte.

Als ich mich schließlich schlafen legte, war es schon dunkel draußen, die Geräusche des Waldes, an die ich mich während der letzten Tage schon gewöhnt hatte, drangen durch das offene Fenster zu mir hinein. Die Sterne erzeugten ein wenig Licht, jedoch war kein Mond zu sehen. Trotzdem war es nach wie vor fast taghell für mich, also ließ ich den Rollladen herunter.

Ich dachte mit Grauen an die Vorkommnisse, die mich während des letzten Tages heimgesucht hatten, und fragte mich, wie ich das Ganze wohl überlebt hatte. Zwei Mal, als ich schon dachte, es sei vorbei mit mir, waren mir die roten Schleier zu Hilfe gekommen. Aber ich wusste nicht, was das eigentlich war oder wie ich es gemacht hatte. Alles war vollkommen unbewusst geschehen. Ich versuchte, die roten Schleier wieder herbeizurufen, und sie waren sofort da und legten sich über meinen Blick.

Sie waren am Blickrand am deutlichsten sichtbar und leuchteten ein wenig, ich konnte sie sehen, weil es in dem Zimmer jetzt ziemlich dunkel war und die Decke nichts als ein Schemen war. Ich konzentrierte mich auf das Gefühl, dass ich während der Heilung empfunden hatte, und sofort fing mein Körper wieder an zu brennen. Diesmal war es bei weitem nicht so intensiv und konzentrierte sich auf meine Füße, wo ich mir ein paar Blasen gelaufen hatte und auf die Verstauchung beim Eintreten der Tür. Das brennende Gefühl verebbte rasch, die Schleier jedoch blieben.

Die Schmerzen an den Füßen waren verschwunden, die Blasen auch, wie ich erfühlen konnte. Ich versuchte mit meinem Bewusstsein nach etwas zu greifen und es zu bewegen, und auch das war auf Anhieb erfolgreich. Ich konnte erkennen, wie die Lampe, die an der Decke hing, sofort zu schaukeln anfing. Offenbar hatte ich einige neue Fähigkeiten bekommen. Die Nähe des Todes hatte mein Unterbewusstsein dazu gebracht die Schleier hervorzurufen. Das war eine Fähigkeit, die mit meinem neuen Körper gekommen war, da war ich mir ganz sicher.

Ich übte noch ein wenig, vor allem versuchte ich, Dinge zu bewegen, aber bald schon versank ich aus purer Erschöpfung in einen tiefen Schlaf. Ich erwachte mehrmals schreiend in der Nacht, von Albträumen geplagt. Wieder und wieder vergewaltigten mich in dieser Nacht diese merkwürdigen Wesen, diesmal war ich jedoch wach und bei Bewusstsein, sie lachten und verhöhnten mich dabei in ihrer seltsamen Sprache, die ich nicht verstand.

Endlich, am Morgen des nächsten Tages, erwachte ich von den Geräuschen des Waldes anstatt von meinen Schreien und konnte nicht mehr einschlafen, obwohl ich sicher nicht mehr als ein paar Stunden geschlafen hatte. Ich wollte es auch nicht, die Bilder der Nacht waren zu viel gewesen.

Ich stand auf, packte alles zusammen, und verließ nach einem reichhaltigen Frühstück das Haus, ausgerüstet mit neuen Stiefeln und allem, was ich sonst noch als nützlich empfunden und eingepackt hatte. Ich versuchte kurz, die Tür zu richten, mein schlechtes Gewissen kam hervor, ich war jedoch ziemlich erfolglos. Meine weitere Wanderung setzte ich sehr vorsichtig fort, ich lief abseits der Straße durch den Wald und überquerte Wiesen und Felder so schnell wie möglich. Die Felder waren teilweise bepflanzt und teilweise lagen sie brach, ich fragte mich, wer das getan hatte und ob die Ernten wohl eingefahren würden.

Kurz zweifelte ich daran, überhaupt noch einmal Menschen zu treffen. Ich fragte mich, ob diese grünen, hässlichen und gewalttätigen Wesen wohl alles an Zivilisation war, das noch übrig geblieben war, schob den Gedanken aber als zu pessimistisch beiseite, noch hatte ich Hoffnung. Ich marschierte also immer weiter und suchte mir früh einen Schlafplatz. Ich übernachtete wieder im Wald am Rand einer Lichtung unter einer großen Eiche. Ich wollte unbedingt einen Gedanken überprüfen, den ich den ganzen Tag über gehabt hatte, und der mich einfach nicht mehr los ließ.

Wenn ich die Schleier während eines Kampfes hervorrufen konnte, könnte mir das einen entscheidenden Vorteil bei meiner nächsten Begegnung mit den Grünhäutigen einbringen. Also zog ich das Schwert und kämpfte gegen einen Ahornbaum, der mir als Gegner im Moment völlig ausreichend erschien. Das Erste, was ich an diesem Tag tat, waren einfache Übungen mit dem Schwert, zuschlagen und parieren, wobei das Parieren zugegebenermaßen ziemlich einfach war, da der Gegner doch recht statisch war.

Dann rief ich mitten im Kampf die roten Schleier zu mir, ich brauchte mich nicht mal besonders darauf zu konzentrieren, sie waren einfach da, sobald ich sie rief. Ich versuchte sie festzuhalten, während ich weiterhin zuschlug und unsichtbare Schläge parierte. Das Schwert mit meinem Geist zu erfühlen war der nächste Schritt, ich konnte tatsächlich mit meinem Bewusstsein fühlen, wie die Klinge auf den Baum traf, als hielte ich die Klinge geistig völlig umschlossen. Dann gab ich der Klinge beim Zuschlagen mehr und mehr Kraft und unterstützte mit dem Geist die Klinge.

Die Klinge blieb prompt im Baum stecken und ich konnte sie nur noch mit Mühe herausziehen, schließlich hatte ich jedoch Erfolg. Den nächsten Schlag führte ich mit sehr viel Kraft, sowohl mit den Armen als auch mit dem Geist. Die Klinge schlug in den Baum ein und zerteilte glatt den Stamm in zwei Hälften, der Baum fiel gefällt auf den Waldboden und federte noch einmal nach. Der Stamm war etwa zwanzig Zentimeter im Durchmesser, das hätte ich normalerweise auch mit einer Axt niemals auch nur annähernd mit einem Schlag schaffen können.

Ich sah mir die Klinge genauer an und ein Schauer lief mir den Rücken hinunter, als mir klar wurde, dass ich fast mein Schwert mit diesem Trick eingebüßt hatte. Ich hatte zufällig genau an der richtigen Stelle meine Kraft ausgeübt, ansonsten hätte es mir wohl entweder das Schwert aus den Händen gerissen oder die Klinge wäre zersplittert.

Ich übte trotzdem eine Weile weiter, diesmal mit dünneren Ästen, ich wollte auf jeden Fall für die nächste Begegnung mit den Wesen gewappnet sein. Meine Arme und Gelenke spürten sehr bald die Einschläge der Klinge und meine Muskeln protestierten wegen der ungewohnten Anstrengung. Nach einer guten Weile beließ ich es dabei, es hatte keinen Sinn, sich völlig zu verausgaben.

Ich hatte sowieso schon Muskelkater in den Beinen, und jetzt würde morgen noch der in meinen Armen dazukommen. Ich hoffte, dass ich noch in der Lage sein würde zu marschieren, aber meine Sicherheit erschien mir trotzdem wichtiger. Auch wenn ich nicht glaubte, dass diese paar Stunden im Ernstfall nützen würden, fühlte ich mich trotzdem etwas besser, vielleicht konnte ich schon ein wenig mehr tun als bei der letzten Begegnung mit den Grünen.

Mit diesem Gedanken legte ich mich schließlich schlafen, ziemlich müde vom Marschieren und den Schwertübungen. Am nächsten Morgen erwachte ich wieder gemeinsam mit der Sonne, aber diesmal nach einem tiefen, traumlosen Schlaf. Ich konnte mich kaum bewegen, und allein der Gedanke daran aufzustehen kam mir wie ein schlechter Scherz vor. Ich rappelte mich schließlich trotzdem auf und zwang mich dazu etwas zu essen, dies war sicherlich nicht die richtige Zeit für eine Diät, schließlich konnte ich noch immer meine Rippen zählen.

Meine Ausrüstung zusammenzupacken ging jeden Morgen etwas schneller, danach machte ich mich auch gleich auf den Weg. Ich marschierte wie üblich mit einigem Abstand an der Straße entlang, und dann nach einer Zeit wieder eine Weile direkt auf der Straße. Ich wollte unbedingt aus diesem Dickicht kommen, in dem ich gerade gelaufen war. Wälder waren ja ganz angenehm, solange es keine Büsche gab, aber wenn man kaum noch durch das Gestrüpp laufen konnte und die Kleidung sich langsam aber sicher in kleine Stofffetzen auflöste, war es kein Spaß mehr. Also blieb an diesen Stellen nur die Straße.

Ich traf an diesem Tag auf einen weiteren Trupp der Grünen, kurz, nachdem ich auf die Straße zurückgekehrt war. Diesmal schlug ich mich jedoch rechtzeitig in den dichten Wald und konnte so eine weitere sicherlich ebenfalls tödliche Begegnung vermeiden. Ich hatte aus dem Försterhaus zum Glück noch Nadel und Faden mitgenommen, was mir an diesem Abend zugutekam. Meine Hosen waren bald geflickt und die Kratzer darunter konnte ich mit den Schleiern schnell heilen.

Danach übte ich fleißig weiter mit dem Schwert und den roten Schleiern bis zur Erschöpfung, an Motivation mangelte es nach meinem Erlebnis nicht. Ich tat alles, um nicht mehr an diesen tragischen Tag denken zu müssen, deshalb gab ich meinem Geist und meinem Körper so viel ich konnte zu tun.

Die nächsten Tage verliefen in etwa genau wie dieser Tag, ich wich den Grünen mehr als einmal erfolgreich aus und verhinderte eine weitere blutige Begegnung, ihre Fernsicht war wohl doch um einiges schlechter als die meine. Sonst wäre es für mich nicht möglich gewesen, mich in die Büsche oder ein Bachbett zu verziehen, bevor sie mich sahen.

Die Tage reihten sich aneinander und ich entwickelte Routine in dem, was ich tat. Am Tage marschieren, am frühen Abend oder manchmal auch frühen Nachmittag schon mit dem Schwert üben. Nach einer Weile konnte ich meine geistigen Kräfte so präzisieren, dass ich sie ziemlich effektiv im Übungskampf einsetzen konnte, ohne gleich mein Schwert zu zerbrechen. Meine Muskeln entwickelten sich ungewohnterweise nicht so langsam, wie es bei meinem alten Körper passiert war. Ich konnte richtig fühlen, wie ich wesentlich schneller als gewohnt mit jedem Tag deutlich stärker und stärker wurde, obwohl sich die Größe der Muskeln kaum änderte.

Muskelkater war nach einigen Tagen auch Geschichte, ich brauchte bald schon neue Herausforderungen, um meine Muskeln noch zu kitzeln. Ich fing also an, die Strecken tagsüber richtig zu laufen, anstatt nur zu marschieren. Sogar mit dem Rucksack konnte ich stundenlang laufen, ohne mich wirklich dabei zu überanstrengen. Meine Ausdauer wurde dabei mit jedem Tag in unglaublichem Maße besser, sowohl mit dem Schwert als auch im Laufen.

Mir war bewusst, dass mich die Trainingsstunden nicht nur wichtige Stunden beim Laufen kosteten, sondern auch dass ich mir eventuell falsche Lehren aneignete, die später nur noch schwer abzugewöhnen waren, falls ich irgendwann wieder auf Menschen traf. Ich war mir aber sicher, dass es der einzig richtige Weg war. Ich hielt also meine Einteilung so bei, die Vorstellung, noch einmal gefangen genommen zu werden, war einfach zu erschreckend. Außerdem - wer sollte schon mein Lehrer sein, es gab sicherlich nicht viele Schwertkämpfer in meiner Zeit, und vermutlich noch viel weniger Überlebende. Vielleicht konnte ich ja auch irgendwann doch noch eine Schusswaffe ergattern, danach würde ich das Schwert kaum noch brauchen.

Ich verlor viele Stunden dadurch, dass ich weiteren Grünen weitläufig ausweichen musste. Die Truppen blieben niemals aus, sie waren eine ständige Bedrohung für mich, aber ich war bald so geübt darin ihnen auszuweichen, dass ich mich schließlich einigermaßen sicher fühlte. Trotzdem hatte ich regelmäßig jede Nacht Albträume. Nicht selten wachte ich morgens schreiend auf, wonach ich immer schnell das Weite suchte, für den Fall, dass mich jemand gehört hatte. Zum Glück für mich lernte ich ziemlich schnell, auch im Schlaf nicht mehr zu schreien, sonst hätte ich jene Tage kaum überlebt.

Das Entsetzen über die Vergewaltigung blieb mir erhalten. Ich sollte es für den Rest meines Lebens nicht mehr vergessen, mein brennender Hass auf die Grünen war unauslöschlich, da war ich mir absolut sicher. Nach einigen weiteren Tagen traf ich schließlich auf einen größeren Fluss. Ich checkte die Karte und vermutete, das es die Inn war, ein Fluss östlich von München, der irgendwann in die Donau mündet.

Bis dahin hatte ich alle Gewässer problemlos überqueren können, es gab viele kleinere Brücken, dieser hier jedoch stellte sich als Herausforderung dar, denn eine der Brücken, die ich fand, war eingestürzt. Ich beschloss, mich nach Süden zu wenden, da musste es auf jeden Fall weitere Brücken geben; irgendwann auf jeden Fall die Autobahnbrücke. Ich war eine ganze Weile nach Süden unterwegs, bis ich endlich eine passable Brücke gefunden hatte.

Dort fand ich auch ein Touristenschild, der Fluss war tatsächlich die Inn. Danach wandte ich mich Richtung Nordwesten. Ein Fahrrad zu benutzen wagte ich nicht wieder, ich war zu Fuß einfach deutlich schneller und sicherer beim Verstecken.

Für mich war jetzt alles Kriegsgebiet, alleine schon der Gedanke an meine Erlebnisse mit dem Trupp der grünen Wesen bescherte mir eine Gänsehaut und ich zitterte immer wieder vor Wut und Angst. Dörfern und Städten ging ich also lieber aus dem Weg, genauso wie allen größeren Straßen.

Nur wenn meine Lebensmittel wieder einmal völlig aufgebraucht waren, ging ich das Risiko ein, wieder ein Haus oder ein kleines Dorf zu betreten. Ich nahm weite Umwege in Kauf, um gefährlich erscheinendem Gelände aus dem Weg zu gehen. Mal war es zu offen, zu dicht an der Straße, hatte zu wenig Bäume, zu wenig Deckungsmöglichkeiten, oder was auch immer sonst noch unpassend war. Ich traf zum Glück mittlerweile auch auf immer weniger der Truppen. Ich hoffte immer noch, dass mein Ziel nicht das Falsche war. Wer weiß, vielleicht war München längst in der Hand der Grünen, oder noch etwas Schlimmerem, aber mein Gefühl zog mich immer weiter nach Westen.

Durch den Wald zu laufen hatte für mich immer noch eine ganz neue Qualität, die ich so von meinem alten Ich her so überhaupt nicht kannte. Ich nahm deutlich mehr Geräusche wahr, ich sprang leichtfüßig über Hindernisse, Felsen, Baumstämme oder kleine Bäche. Ich nahm viele Tiere wahr, die durch den Wald huschten, Rehe und Wildschweine. Hunde und Katzen sah ich oft eher in der Nähe von Orten, die ehemaligen Haustiere bewahrten sich die scheinbare Nähe zu ihrem alten Zuhause, auch wenn die Menschen verschwunden waren.

Ich ging den ehemaligen Haustieren aus dem Weg, sie waren sicher völlig verwildert und im Rudel nicht ganz ungefährlich. Ab und zu hörte ich das Bellen oder Winseln eines Hundes im Wald, aber doch eher selten. Ich vermutete, dass viele der Haustiere verhungert waren, unfähig sich zu ernähren. Das Wetter war so schön zum Wandern, wie es seit Jahren nicht mehr gewesen war, es regnete nur sehr selten.

Ein warmer Sommerregen überraschte mich auf einer Lichtung mitten im Wald. Er erinnerte mich an den einen Tag, an dem ich im Regen getanzt und die Empfindungen des Wassers auf meiner Haut genossen hatte. Alles erschien mir so wunderschön und ich erinnerte mich gern an das Gefühl. Zuerst war da der unverkennbare Geruch nach Regen, den ich so sehr mochte. Dann kamen die ersten kleinen und nassen Tropfen, die auf meine Haut fielen. Sie fühlten sich kühl und nass, aber nicht unangenehm an, der Regen brachte meinem Geist Ruhe und Frieden. Ich reckte mein Gesicht nach oben und genoss den Regen auf meiner Haut. Es war ein sehr angenehmes Gefühl, so friedlich und unschuldig. Ich breitete die Arme aus und hieß den Regen mit all den Fasern meines Ichs willkommen.

Der Wald bekam einen anderen Geruch, er roch jetzt leicht modrig und doch auch nach der Möglichkeit neuen Lebens, eine Mischung, wie sie mir noch nie zuvor aufgefallen war. Der Wald hielt den meisten Regen ab, einiges jedoch tropfte hindurch. Meine Kleidung wurde mit der Zeit immer nasser, es störte mich jedoch nicht, es wurde mir auch nicht zu kalt. Es war anders als trocken, aber nicht unangenehm. Ich genoss den Regen einfach. An diesem Abend riskierte ich ein kleines Feuer in einer Waldhütte, die einen Vorrat trockenes Holz hatte, und trocknete meine Kleidung damit.

Die Strecken durch den Wald waren am schönsten für mich, ganz im Gegensatz zu früher, als ich mich noch um Insektenbisse und ähnliches sorgte, das kam mir jetzt alles unwichtig und bedeutungslos vor. Nicht nur wegen meiner Fähigkeit zu heilen oder der Relation zu Verletzungen, die ich bereits überstanden hatte; ich war insgesamt stärker verbunden mit der Natur, als ich es früher gewesen war. Obwohl ich zugeben musste, es war schon praktisch, die Insektenstiche mit den Schleiern loswerden zu können.

Oft musste ich Hindernisse umgehen oder auch ganze Waldstücke, die unpassierbar waren, aber meistens schlüpfte ich auch einfach durch dichten Wald. Ich hatte das Gefühl, das es mehr Tiere als früher gab, auf jeden Fall nahm ich mehr von ihnen wahr. So viele Eichhörnchen alleine schon, aber auch Rehe, Hasen und Wildschweine, einmal sah ich sogar einen Bären in der Ferne, den ich großräumig umging. Sehr leise war ich nicht unterwegs, vor allem im Laub nicht, es gab aber genug Geräusche im Wald, da fielen meine nicht weiter auf.

Schließlich traf ich auf eine Autobahn, es war die A9, die große Autobahn von Berlin nach München, diese Strecke kannte ich. Die Autos standen alle noch auf der Fahrbahn, was war hier nur passiert? Eine Atombombe vielleicht, in der Atmosphäre gezündet? So etwas konnte alle elektrischen Geräte zerstören und die Fahrzeuge lahmlegen. Es war ein völliges Rätsel. Die Wagen waren meistens leer, trotzdem lagen auf der Autobahn Leichen, allerdings nur noch als Skelette, sie waren seit Monaten tot. Manche von ihnen sahen nach einem gewalttätigen Ende aus, man sah eingeschlagene Schädel und abgetrennte Extremitäten.

Ich war mir sicher, dass Grüne die Ursache für den gewaltsamen Tod gewesen waren. Andere Skelette sahen so aus, als wären sie einfach hingefallen und nicht mehr aufgestanden. Was mich an mein Erlebnis erinnerte, vielleicht war das etwas, das allen Menschen passiert war, und ich war einfach nur in der glücklichen Lage gewesen, dass mich jemand versorgt hatte.

Doch warum hatte es meine Wohltäter nicht erwischt, und warum war ich dann doch am Ende alleine gewesen? Vielleicht hatten die Grünen meine Wohltäter aus dem Krankenhaus schließlich doch noch erwischt? Doch warum blieb ich in meinem Bett verschont? Irgendwie eröffnete jede Antwort tausend neue Fragen, ich musste doch irgendwann einmal etwas Klarheit in die Sache kriegen, irgendwo mussten doch einfach noch Menschen da sein, es musste einfach so sein!

Ich beschloss, erst mal der Autobahn nach Süden zu folgen, trotz des erhöhten Risikos der sehr gut überschaubaren Straße. Ich hatte mit meiner Richtung im Wald ganz schön daneben gelegen, wenn ich hier so weit nördlich herauskam. Mein Orientierungssinn hatte sich also nicht deutlich verbessert, stellte ich mit Bedauern fest. Ich schätzte, dass ich durch die Truppen und die Umwege, die ich nehmen musste, mindestens die doppelte Strecke zurückgelegt hatte. Ich blieb in der Nähe der A9 Richtung Süden und hielt auf München zu. Diesmal wollte ich die Stadt nicht noch einmal verpassen.

Nach zwei weiteren Tagen erreichte ich schließlich das Autobahnkreuz München Nord und lief in südöstlicher Richtung weiter, ich war immer noch keinem einzigen Menschen begegnet, aber dafür auch keinem Grünen. Ihre Truppen waren mittlerweile ganz ausgeblieben, nachdem sie schon vorher immer seltener geworden waren, je näher ich an München herankam.

 

 

8 Endlich Menschen

 

Dann sah ich eines Morgens in der Ferne wieder einen Trupp näherkommen und schlug mich wie gewohnt in die Büsche. Als der Trupp langsam näherkam, konnte ich jedoch bald schon erkennen, dass es diesmal keine Grünen waren! Es waren ganz eindeutig Menschen, angeführt von zwei Reitern. Sie trugen ähnlich zusammengeflickte Lederrüstungen wie die Grünen, allerdings waren auch einige Stahlplatten in die Rüstung eingefügt worden, irgendjemand hatte da eine ziemlich gute Schmiedekunst bewiesen.

Ich zitterte am ganzen Körper. Teils vor Angst, wieder einem Trupp gewissenloser Männer in die Arme zu laufen, und teils vor der Erwartung und Erregung, endlich Antworten zu bekommen. Ich rang lange mit mir und überlegte, ob ich den Trupp nicht vielleicht doch einfach ziehen lassen sollte. Dann obsiegten endlich mein Wissensdurst und meine Neugier. Ich verließ vorsichtig meine Deckung und ging auf den Trupp zu, ich hielt meine Hände seitlich ein wenig gespreizt ab, mit den Handflächen nach vorne. Die Truppen wurden auf mich aufmerksam und blieben stehen, niemand hatte es offensichtlich sehr eilig. Als Gegner war ein Mädchen für den Trupp vermutlich keine Aufregung wert.

Was mir alles sehr recht war, das war etwas ganz anderes, als schreiend auf mich zuzulaufen. Ich beruhigte mich ein wenig, aber mein Herz schlug mir immer noch bis zum Hals. Frauen waren in der Truppe keine. Ein roh aussehender Mann des Trupps sah mich sichtlich verächtlich an und spuckte auf den Boden „Ich dachte, sie ist ein Mensch, dabei ist sie bloß eine unheilige Elfenhexe.“ Ich konnte erkennen, dass er ein ziemlich pompöses christliches Kreuz an einer Kette um den Hals hängen hatte.

Ich fragte mich, ob die Umwandlung einige der Ansichten des Mittelalters wiederbelebt hatte, die katholische Kirche war auch vorher sehr frauenfeindlich eingestellt, wenn es jetzt auch noch Hexen und Elfen gab, machte das Einigen in dieser Truppe sicher ziemlich zu schaffen.

Es war eine Vorstellung, die mir kalte Schauer über den Rücken jagte. Jede Art von religiösem Fanatismus hatte mir schon immer eine Heidenangst eingejagt. Ich sah bei dem Gedanken an Religion große Haufen von brennenden Büchern vor meinem geistigen Auge, wertvolles geistiges Eigentum mutwillig zerstört, aus keinem anderen Grund als der fehlenden Akzeptanz anderer Ansichten und Meinungen. Und jetzt passte ich, so wie ich war, ganz sicher in das Feindbild der konservativen katholischen Kirche. Ich fragte mich unwillkürlich, ob er wirklich zu dieser fanatischen Kategorie gehörte, oder ob es bei ihm vielleicht einfach nur der übliche Fremdenhass war. Ich wäre am Liebsten gleich wieder davon gelaufen. Ich sah aber keine Chance gegen die Pferde, genau wie schon gegen den grünen Offizier auf seinem vor einiger Zeit, diesen Fehler würde ich nicht noch einmal wiederholen.

Ich machte mich also seufzend kampfbereit und holte die Schleier herbei. Ich konnte sicherlich wenigstens ein paar von ihnen mitnehmen, zog den Rucksack von meinen Schultern und ergriff mein Schwert, wohl wissend, dass ich keine Chance hatte.

„Halts Maul, Anton!“, rief einer der beiden Reiter überraschend laut und autoritär und streckte beruhigend die Arme nach vorne mit den Handflächen nach unten.

„Wo sind denn bloß deine Manieren, siehst du nicht, dass sie noch ein halbes Kind ist?“ fügte er sanfter hinzu.

Dann wandte er sich mir zu. „Ganz ruhig, Mädel, wir wollen dir nichts tun.“ Er lächelte mich an, ich ließ also das Schwert erst einmal stecken. Er ignorierte meine aggressive Geste völlig, als hätte sie nie stattgefunden.

„Darf ich mich vorstellen, ich bin Hans Schmidt, und dies ist meine Truppe, normalerweise haben wir auch durchaus Manieren Gästen gegenüber. Wir sind hier auf Patrouille, um gegen marodierende Orkbanden vorzugehen. Sie haben uns in den letzten Wochen wieder vermehrt Ärger gemacht. Hast du gar keine getroffen? Du solltest auf jeden Fall in dieser Gegend nicht alleine herumlaufen.“

Ich lachte fast hysterisch auf bei der Bemerkung.

Er stieg von seinem Pferd und ging auf mich zu, die Hände leicht erhoben, mit den Handflächen nach unten, wohl um mich zu beruhigen.

„Darf ich dich fragen, wer du bist und wo du herkommst?“

Ich beruhigte mich ein wenig. Aus irgendeinem Grund fasste ich sofort instinktiv Vertrauen zu dem Mann. Auch wenn es mir doch innerlich gegen den Strich ging, dass er mich wie ein Kind behandelte.

Ork, ich vermutete mal er meinte die Grünen damit, ein durchaus passender Name, fand ich. Er trug eine recht ordentliche Rüstung, besser als alles, was ich bisher gesehen hatte, und war schon etwas älter. Vielleicht so um die fünfundfünfzig, aber durchaus eher schlank und durchtrainiert als fett oder extrem kräftig.

Er trug Lederhosen mit weiteren Stahlplatten daran und Reiterstiefel. Sein Pferd hatte einen ziemlich teuer aussehenden Sattel, wobei ich wirklich nichts von Sätteln verstand.

Schließlich fasste ich mich und antwortete ihm.

„Ich komme aus Waging, wo ich einen Wochenendtrip verbracht hatte und dann nach einem Blackout in einem verlassenen Krankenhaus aufwachte. Ich bin schon seit einigen Wochen unterwegs, ohne auch nur einen einzigen Menschen getroffen zu haben. Ich habe wirklich sehr viele Fragen, was ist denn nur passiert?“

Die Fußtruppe fing an sich lautstark zu unterhalten, ich konnte einige Wörter aufschnappen, wie

„Unmöglich!“ und „Wie soll sie das geschafft haben?“

Dann rief Hans „Ruhe! Wir werden sie erst mal in die Stadt bringen und dann sehen wir weiter. Natürlich nur, wenn dir das recht ist, Mädchen. Wo sind denn deine Eltern?“

„Nennen Sie mich Althea, bitte. Meine Eltern starben schon vor vielen Jahren, und Geschwister hatte ich auch nie.“

Dies war der Name, den ich mir schon vor einiger Zeit für eine Begegnung wie diese zurechtgelegt hatte, ein Name aus einem Roman über Elfen, den ich jetzt sehr passend für mich fand. Ich klärte den Mann vorerst nicht über seinen Irrtum auf, dass ich eigentlich nicht sehr viel jünger als er war, sondern behielt erst mal die Rolle des Mädchens bei. Das erschien mit deutlich sicherer für den Augenblick.

Anton umklammerte sein Kreuz so fest, dass sich die Knöchel seiner Hand weiß färbten, und starrte mich hasserfüllt an, ohne weiter zu sprechen. Ich nahm mir vor sehr, sehr vorsichtig im Umgang mit diesem Mann zu sein.

„Wo bist du denn zu Hause?“, fragte er mich als nächstes. Ich gab ihm die Adresse meines Appartements an, er kannte den Ort, war aber nie da gewesen, was mich nicht weiter überraschte, es war ein ziemlich kleines Kaff.

„Komm erst mal mit uns und dann sehen wir weiter, wir sind sowieso mit der Patrouille fast fertig. Hast du Hunger?“

Ich schüttelte den Kopf. Wir marschierten nebeneinander los, ich folgte ihm und konnte kaum meinen Jubel unterdrücken. Ich hatte endlich wieder menschliche Gesellschaft, ich fühlte mich sicher und hatte endlich wieder jemanden, mit dem ich mich unterhalten konnte. Das Gefühl war unbeschreiblich, vor allem war ich unendlich erleichtert, ich war endlich außer Gefahr. Der Rest des Trupps reihte sich, ohne weitere Fragen oder Verwirrung hinter uns auf, anscheinend ein ziemlich disziplinierter und selbstständiger Haufen, wenn man die Umstände bedenkt, normales Militär war das hier sicher nicht.

Ich konnte die hasserfüllten Blicke von Anton in meinem Rücken spüren, entschloss mich jedoch, sie zu ignorieren.

Dann sprudelten die Fragen nur so aus mir heraus.

„Was ist denn nur passiert? Ich habe sehr viele Grüne, ich meine Orks, getroffen, aber keine Menschen. Die Dörfer waren alle leer und so viele Tote, was ist um Himmels willen denn passiert?“

Hans starrte mich fassungslos an, ohne jedoch seinen Schritt zu verlangsamen.

„Du weißt wirklich nicht, was passiert ist, wo bist du denn die letzten Monate über gewesen?“

Ich versuchte, seine Frage so gut wie möglich zu beantworten.

„Ich bin vor einigen Wochen in einem Krankenhaus aufgewacht, in diesem Körper hier, und war völlig alleine, seitdem versuchte ich herauszufinden, was passiert ist. Ich habe jedoch nur Ork getroffen. Einmal war die Begegnung ...“

Mein Gesicht muss wohl gezeigt haben, was ich erlebt hatte, er runzelte die Stirn und blickte zornig vor sich auf den Boden.

„Ja, sie machen auch nicht vor Kindern halt, sie sind das reine Böse, ich wüsste keinen anderen Namen für diese Tiere.“

Der Reiter hinter uns hustete und ich blickte zurück, er starrte mit traurigen Augen auf den Boden und sah aus, als ob er von einer sehr schmerzvollen Erinnerung heimgesucht wurde.

„Sie haben meine Familie ermordet, diese Schweine, meine Frau und meine beiden Söhne, sie werden dafür bezahlen“, knurrte er.

„Dies ist Walter, Althea, einer meiner Offiziere. Was er erlebt hat, haben wir so ziemlich alle durchgemacht. Aber ich fange am besten von vorne an. Vor einigen Monaten begann das, was wir die große Umwandlung nennen. Es fing eigentlich ganz harmlos an. Einige Menschen fielen in Ohnmacht und erwachten nicht mehr daraus, sondern fielen in ein tiefes Koma. Merkwürdig war zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur, dass das Phänomen wohl weltweit zum gleichen Zeitpunkt auftrat. Dann fingen sich ihre Körper an zu verändern. Du musst wohl auch einer dieser Ersten gewesen sein, sonst wärst du nicht in ein Krankenhaus gebracht worden. Elfen haben von allen am längsten im Koma gelegen, es sind wohl deshalb auch nicht viele von euch am Leben geblieben, denn meistens gab es nur am Anfang noch reguläre medizinische Behandlungen. Obwohl, wenn ich mir dich so genau anschaue, eine wie dich habe ich, glaube ich, noch nicht gesehen, mit den Katzenaugen und ganz weißen Haaren. Entschuldige, wo war ich stehen geblieben? Ach genau, jedenfalls fiel dann plötzlich überall der Strom aus, und noch mehr Menschen sanken in dieses merkwürdige Koma, und die allermeisten bekamen diese merkwürdige grüne Haut. Sehr viele Menschen sind auch einfach umgefallen und gestorben. Das völlige Chaos brach aus. Ohne Elektrizität funktionierte nichts mehr. Die Krankenhäuser, Wohnungen, Fabriken, Heizungen, Fahrzeuge und so weiter, einfach alles war plötzlich völlig funktionslos. Ich glaube, wir haben nie realisiert, wie abhängig wir davon waren, bis sie schließlich nicht mehr funktionierte. Es gab keinen offensichtlichen Grund, keine atomaren Explosionen in der Atmosphäre oder etwas ähnliches. Die Elektrizität hörte einfach, von einem Tag auf den anderen, auf zu funktionieren. Keine Batterie, kein Kraftwerk, nichts. Damit war die Zivilisation, so wie wir sie kannten, am Ende. Wir konnten mit dieser Situation einfach nicht umgehen. Viele Menschen wachten zum Glück bald wieder auf und fingen an, sich gemeinsam mit uns um die anderen zu kümmern, manche waren zu Zwergen geworden, unglaublich viele zu Ork und andere wieder zu ganz anderen Wesen. Die meisten aber haben die Verwandlung nicht überlebt. Dann plötzlich fingen die Ork an, sich zusammenzurotten und schlugen gegen uns los. Sie töteten alle, die keine Ork waren, wo auch immer sie uns nur finden konnten. Zum Glück für uns sind sie anscheinend nicht sonderlich intelligent, deshalb konnten wir uns den überwiegenden Teil der Schusswaffen aus den Kasernen hier in der Umgebung sichern und hatten dadurch einen entscheidenden Vorteil. Die großen Waffen funktionierten nicht mehr, da sie größtenteils mit Elektrizität oder mit Motoren betrieben wurden. Schusswaffen funktionieren allerdings auch nur noch sehr unzuverlässig, warum wissen wir nicht. Die Ork marschierten aus uns unbekannten Gründen nach vielen Wochen harter Kämpfe in den Osten, vielleicht um sich zu sammeln und eine Heimat aufzubauen, hoffentlich bleiben sie auch dort. Wir verschanzen uns hier seitdem. Inzwischen ist der größte Teil der Munition aufgebraucht, produzieren können wir auch keine mehr, und wir dachten schon, es wäre für uns alles verloren, als einige Menschen hier ihre neuen Begabungen entdeckten. Wir vermuten jetzt, dass die Elektrizität nicht einfach verschwunden ist, sondern irgendwie durch Magie ersetzt wurde, und das gab uns eine neue Waffe im Kampf gegen die Ork. Allerdings ist seit einiger Zeit schon Ruhe eingekehrt, ich bin aber sicher, dass der Kampf noch nicht zu Ende ist. Wir konnten einige der Bauernhöfe im Westen, Süden und Norden retten, deshalb hoffen wir hier so bald keine Hungersnot erleben zu müssen, die Stadt ist sowieso menschenleer, vor allem im Vergleich zu früher. Ich bin einer der neuen Stadträte von Riem, wir versuchen zurzeit, alles so gut es geht zusammenzuhalten. Ich wollte mir ein Bild von der Lage machen, deshalb habe ich heute die Patrouille begleitet. Wie viele Ork hast du denn getroffen?“

Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass er mir eine Frage gestellt hatte. Ich versuchte noch, die von ihm erhaltenen Informationen zu verdauen, diese Geschichte kam mir wie der Scherz eines verrückten Gottes vor, so unglaublich und verrückt war das alles. Aber es erklärte durchaus vieles und beantwortete noch mehr meiner Fragen. Ich brauchte auch nur in den Spiegel zu schauen, da starrte mir der Beweis für seine Geschichte entgegen..

„Die Ork halten sich größtenteils wirklich im Osten auf, östlich der Inn habe ich die meisten getroffen, ich habe schon seit einiger Zeit keine mehr gesehen.“

Er stoppte den Trupp mit einer Handbewegung und holte aus seinen Satteltaschen eine Karte heraus, die er auf dem Boden ausbreitete. Ich kniete mich davor, die Karte zeigte den größten Teil von Süddeutschland. Ich zeigte ihm meine zurückgelegte Strecke, jedenfalls da, wo ich sie vermutete, und auch, wo ich Ork gesehen hatte und wo nicht mehr. Auf der Karte sah die Strecke, die ich zurückgelegt hatte, gar nicht mehr so toll aus. Es waren Luftlinie gerade mal 100km. Natürlich hatte ich durch die vielen Umwege wegen der Ork, meiner Unkenntnis der Gegend und wegen meines Schwerttrainings sehr viel Zeit verloren, aber es war offensichtlich, wie langsam ich vorangekommen war. Es war doch ein anderes Reisen, wenn man sich auch noch um Ernährung und Sicherheit kümmern muss. Hans blickte grimmig auf die Karte. „So nahe sind sie also im Norden schon wieder, wir müssen dort die Höfe besser schützen. Wir müssen so schnell wie möglich zurück zur Stadt und die Wachen der Höfe verstärken.“ Er packte die Karte zusammen und wir marschierten in Richtung Stadt.

„Du hast da eine ganz schöne Strecke zurückgelegt, und das ganz alleine durch ein Land, das von diesen wilden Tieren beherrscht wird, wie hast du das nur geschafft?“, fragte er mich schließlich, „Ich kenne nicht viele, die das überlebt hätten. Die meisten Menschen starben einfach, wir haben sonst kaum jemanden aus dem Osten hier, Überlebende kommen seit Monaten immer nur von Westen.“

Ich schwieg, von Erinnerungen überwältigt. Man konnte nicht behaupten, dass ich sonderlich erfolgreich gewesen war. Dass ich noch lebte, verdanke ich dem Zufall und sehr, sehr viel Glück, und ich wusste es. Er bestand nicht auf eine Antwort, was ich ihm hoch anrechnete, und wir gingen schweigend weiter. Mir fiel auf, dass das Tempo der Truppe ziemlich langsam war, jedenfalls verglichen mit dem Marschtempo, das ich veranschlagt hatte. Es fiel mir schwer, meinen Schritt anzupassen. Ich war vielleicht Zickzack und orientierungslos gelaufen, aber ich war wenigstens nicht langsam gelaufen.

 

 

9 Grenzfeste Riem

 

Bald erreichten wir trotz des geringen Tempos München, genauer den Stadtteil Riem. Endlich war ich bei Menschen angekommen, nach meiner wochenlangen Reise, die ich ganz alleine und ziellos bestreiten musste. Hohe Palisaden waren rund um das Stadtviertel aufgebaut worden, sicher zum Schutz gegen die Ork, teilweise war der Schutzwall sogar aus Steinen und alten Häuserresten fest und massiv gemauert. Wir passierten ein Holztor, von grimmig aussehenden Soldaten bewacht, alle mit Gewehren, Lanzen, Schwertern und Äxten ausgerüstet. Anscheinend wurden auch hier noch Probleme durch die Ork erwartet und man hatte sich entsprechend abgesichert. Hans verabschiedete sich freundlich.

„Ich muss schnellstmöglich zum Rat, Georg hier wird dich zu uns bringen. Ich werde dich erst mal bei mir einquartieren, falls dir das recht ist. Wenn ich vom Rat zurückkehre, sehen wir weiter.“

Georg war einer der Soldaten aus dem Trupp. Er war noch sehr jung, vielleicht so um die zwanzig, und er hatte ein freundliches und nettes Gesicht. Ich beschloss, ihn fürs Erste zu mögen.

„Hi Georg, vielen Dank, nett dich kennenzulernen, ich heiße Althea.“

„Hallo Althea, die Freude liegt ganz meinerseits.“ Ich lächelte ihn an.

„Komm, ich führe dich ein wenig im Ort herum, bevor wir zum Haus des Kommandanten gehen.“

Ich blickte ihn verwirrt an.

„Ich dachte, er ist Ratsmitglied?“

„Ja, ist er auch, er ist aber auch der Kommandant der lokalen Kaserne, er war einmal ein General in der alten Bundeswehr und hat hier unsere Verteidigung organisiert. Wir sind eigentlich recht gut organisiert, er war es auch, der unsere Waffen aus den Kasernen beschafft hat. Leider haben wir nur noch Munition für wenige, bald werden die Waffen also ganz unbenutzbar werden. Sie funktionieren sowieso nicht sehr zuverlässig, wir haben noch nicht herausgefunden, warum.“

„Und wo kommst du her, wie bist du in die Armee gekommen? Du bist ziemlich jung für einen Soldaten, finde ich.“

Er lachte laut auf.

„Ich hätte nie gedacht, dass mir ein Mädchen mal so etwas sagen würde. Ich war auch vorher schon in der Bundeswehr, mein ganz normaler Wehrdienst, und mein Vater hat mich in seine Truppe genommen. Er möchte wohl gerne auf mich aufpassen und er braucht auch jeden Mann, also bin ich dabei.“

„Hans Schmidt ist dein Vater?“, fragte ich neugierig.

„Ja, ist er“, sagte er und grinste mich dabei an. „Er versucht sich so gut es geht im Rat durchzusetzen, immer zur Vorsicht mahnend, anscheinend wollen viele Ratsmitglieder schon nach dieser kurzen Pause ohne Angriffe auf die Stadt selbst an einen Frieden glauben.“

„Einen Frieden wird es nicht geben, ich habe noch nie so aggressive Wesen wie die Ork gesehen, ich glaube nicht an einen Frieden mit denen.“

Alleine der kurz aufblitzende Gedanke an meine Vergewaltigung ließ mein Blut kochen, ich fühlte, wie ich wieder zu zittern anfing. Georg nickte lediglich zustimmend und sagte nichts darauf, sah mich stattdessen nur neugierig an. Meine Reaktion war ihm vermutlich nicht entgangen.

Die Menschen auf den Straßen sahen eigentlich ganz normal aus, Menschen wie vor der Umwandlung. Ein paar sehr Kleinwüchsige waren darunter, ich vermutete, dass es ehemalige Menschen waren, die in Zwerge verwandelt wurden, aber ich sah niemanden wie mich, keinen einzigen Elfen.

Die Kleidung war bei manchen etwas mitgenommener als bei anderen. Ich konnte mir deswegen sehr gut vorstellen, dass viele eine ähnliche Geschichte wie ich erzählen konnten, einfach war es sicher für die meisten nicht gewesen. Wir gingen weiter durch die Stadt, wobei mir schnell klar wurde, dass es nur ein relativ kleiner Teil des Stadtteils war, der von den Palisaden umzäunt war.

Georg bemerkte meinen Blick.

„Das ist so in etwa, was wir mit Wachen bemannen können, große Teile von München sind nur durch gelegentliche Patrouillen geschützt und eigentlich eher Feindesland.“

Die Verteidigung war ziemlich professionell organisiert, Hans verstand offensichtlich sein Handwerk, er hatte sich nicht mit zu viel Fläche übernommen, was ein unerfahrener oder gieriger Mann vielleicht gemacht hätte.

„Über welche Waffen verfügt ihr denn, wie effektiv könnt ihr euch verteidigen?“

„Größtenteils Waffen aus dem Museum und Nachgebautes, Schwerter, Bögen und einige Armbrüste. Einige Bögen, vor allem Sportbögen. Die Sportbögen sind ziemlich wirkungsvoll und haben eine hohe Reichweite. Wir haben auch einen Schmied, der ziemlich gut ist, er hat auch mein Kettenhemd gefertigt, dass ich unter dem Plattenpanzer trage.“

Erst jetzt fiel mir auf, wie gut die Rüstung war, die er trug, sie war auf jeden Fall deutlich besser als die seiner Kameraden. Stahlplatten waren auf einem Lederpanzer befestigt worden, unter dem er noch ein Kettenhemd trug. Es war bestimmt nicht leicht für ihn, den ganzen Haufen Metall durch die Gegend zu schleppen.

Es war interessant, wie schnell wir doch wieder auf einen fast mittelalterlichen Status gefallen waren, nach so vielen Jahrhunderten der glorreichen Zivilisation der Moderne. Naja, eigentlich nur Jahrzehnte, ein Augenzwinkern in der Geschichte, der große Holocaust gerade mal 50 Jahre her.

„Die meisten Läden haben geschlossen oder wurden geplündert, aber wir könnten in der Kneipe eine Cola trinken gehen, wenn du magst. Wir haben noch genügend Vorräte, hauptsächlich, weil viel weniger Menschen als früher da sind.“

Ich akzeptierte dankend, obwohl mir eher nach etwas Alkoholischem war.

„Habt ihr auch was anderes, ein Bier, oder vielleicht sogar ein Hefeweizen? Cola mag ich nicht so gerne.“ Er grinste breit. „Ich bin nicht sicher, ob ich das tun sollte.“ Er sah mich prüfend an, gab dann aber nach. „Ich denke mal, wir können auch so etwas kriegen.“

Wir betraten eine kleine Kneipe, es war wohl einmal ein Irish Pub gewesen, sie war sehr gemütlich. Wir setzten uns an einen freien Tisch und bestellten ein Bier und ein Weißbier, wobei er mich amüsiert beobachtete. Ich stellte meinen Rucksack neben dem Tisch ab. Er zog seinen schweren beschlagenen Lederpanzer aus, behielt jedoch das Kettenhemd darunter an.

„Ich habe nicht viel Geld“, fiel mir ein. „Was ist eigentlich mit der Währung passiert, ist das immer noch die gleiche?“

„Nein, wir haben den Tauschhandel wieder entdeckt, nur die Soldaten werden mit allem kostenlos ausgerüstet, da wir nichts zum Tauschen haben. Du bist also von mir eingeladen.“

„Na toll“, meinte ich, „dann kann ich ja mein Geld wegwerfen.“

„Stimmt. Was hast du eigentlich vorher gemacht, ich meine vor dem Holocaust, warst du noch in der Schule?“

„Nein, ich war Systemadministrator, ich habe in verschiedenen Rechenzentren gearbeitet. Ich schätze, den Job kann ich komplett vergessen. So ohne Strom. Ich habe also keine Ahnung, was ich jetzt noch machen kann, sehr viele praktische Talente habe ich nicht. Eigentlich kann ich gar nichts außer Maschinen dazu zu überreden, das zu tun, was ich von ihnen will.“

Er zog zweifelnd die Augenbrauen hoch, sagte jedoch nichts zu meiner Erklärung. Ich schob seine Zweifel darauf, dass ich doch sehr viel jünger aussah, als ich in Wirklichkeit war.

„Ich denke, du kannst erst mal bei mir und meinem Vater bleiben, alles Weitere sehen wir später.“

Endlich brachte die Bedienung unser Bier, gedankenversunken trank ich einfach, ohne daran zu denken, Georg zuzuprosten. Er machte mich gleich darauf aufmerksam.

„Vielleicht sollten wir auf deine Heimkehr in die Zivilisation anstoßen, jedenfalls, was davon übrig ist.“

Ich lief rot an, zumindest fühlte es sich so an.

„Entschuldige bitte, ich glaube, ich bin Gesellschaft einfach nicht mehr gewohnt“, antwortete ich und prostete ihm zu. Wir tranken unser Bier, es schmeckte einfach wunderbar, mir war gar nicht klar gewesen, wie sehr ich so etwas vermisst hatte. Mein erstes Bier seit vielen Monaten. Es war angenehm kühl, eiskaltes Bier war sicherlich eine Seltenheit mittlerweile, aber es schmeckte auch so herrlich.

Wir unterhielten uns größtenteils wehmütig über das alte Leben vor der Umwandlung und tranken noch einige Biere, bevor wir schließlich die Kneipe verließen. Anscheinend hatte das Bier auf meinen neuen Körper eine ganz andere Wirkung, ich war ziemlich betrunken und konnte kaum laufen.

Mein altes Ich wäre wohl kaum angeheitert gewesen, ich war jedoch alles andere als nüchtern. Mir war klar, dass ich so etwas eigentlich jetzt überhaupt nicht gebrauchen konnte, ich wollte doch eigentlich eher sehr vorsichtig sein. Wir liefen durch die Stadt, er war offensichtlich auch nicht mehr ganz nüchtern, aber bei Weitem nicht so betrunken wie ich.

„Du hast ja ganz schön gebechert, Mädchen, wir wollten doch eigentlich nur ein Bier trinken.“

„Du hast ja wohl auch nicht weniger getrunken, Angeber, bloß weil du ein Mann bist, brauchst du hier keinen raushängen zu lassen.“

Er lachte wieder, diesmal kling es ziemlich gehässig in meinen Ohren, und ich wollte ihn herausfordern.

„Du darfst mich morgen gerne versuchen mit der Klinge kitzeln, wenn du es drauf hast, du Vorgartenzwerg“, lallte ich undeutlicher als mir lieb war. Er lachte noch lauter, sagte aber nichts mehr dazu.

„Was, hast du etwa Angst vor einem Mädchen? Du solltest dich schämen.“

„Abgemacht, du bekommst, was du verdienst“, meinte er mit einem leicht zornigen Unterton.

Meine Bemerkungen taten mir schon wieder Leid, ich war doch so froh, diese Leute gefunden zu haben, nachdem ich so lange alleine gewesen war. Ich sagte nichts mehr und versuchte ihn nicht noch mehr zu verärgern. Schließlich betraten wir ein großes Haus, wohl das Haus, in dem er und sein Vater wohnten. Es war ziemlich groß für zwei Personen, was ich Georg auch sagte.

„Ja, zu wenig Platz ist keins unserer Probleme mehr, jedenfalls für eine ganze Weile nicht“, meinte er mit traurigem Blick. Innen war das Haus sehr gemütlich eingerichtet, aber nicht sonderlich gepflegt, offensichtlich ein Junggesellenheim. Nicht, dass ich ordentlicher gewesen wäre.

Eine Frau hatte hier jedenfalls nicht bei der Ausstattung mitgeholfen. Mir gefiel es jedoch, ich war ja schließlich keine Frau. Also keine Richtige. Was auch immer.

Sein Vater, Hans, war bereits zu Hause und saß nachdenklich in einem Schaukelstuhl vor dem Kaminfeuer. Er drehte sich lächelnd zu uns um, als wir das Zimmer betraten. Er sah mich kurz an, wie ich da schwankend in der Tür zum Wohnzimmer stand, und sein Gesichtsausdruck wurde sofort ziemlich finster.

„Georg, du solltest sie nach Hause bringen und nicht betrunken machen! Was hast du dir denn dabei gedacht, sie ist doch noch ein halbes Kind!“

Ich verteidigte Georg energisch, aber doch noch recht undeutlich in der Aussprache, was die ganze Sache natürlich noch schlimmer für ihn machte.

„Ich kann auf mich selbst aufpassen, ich habe einfach ein bisschen viel getrunken, außerdem will er es wieder gut machen und morgen mit mir mit dem Schwert üben, damit ich mich besser wehren kann.“

„Ich kämpfe doch nicht gegen ein Mädchen“, meinte Georg immer noch provoziert und sauer.

„Das reicht jetzt, du da, komm mit mir, ich bringe dich ins Bett. Eins der Gästezimmer, wir haben einige davon. Und du, Georg, du wirst morgen sehr wohl mit ihr kämpfen, wenn sie das dann noch will. Das wird dich vielleicht lehren, dich das nächste Mal an deine Anweisungen zu halten.“

Sein Ton duldete keinen Widerspruch, so hatte ich das nicht geplant. Ich hielt den Mund, ich wollte nicht noch mehr Unheil stiften. Hans brachte mich in ein gemütliches kleines Zimmer und wünschte mir eine gute Nachtruhe.

„Das Bad ist den Flur entlang, Handtücher sind irgendwo im Bad, nimm dir einfach, was du brauchst, du kannst auch gerne duschen, wenn du möchtest.“

„Hans?“, sprach ich ihn noch einmal an. „Ich wollte keinen Ärger machen, Georg war sehr nett zu mir.“

„Ich weiß, mach dir keine Gedanken, Georg schadet es nichts, wenn er mal etwas tun muss, von dem er glaubt, dass es unangenehm oder seinem Ruf schädlich ist, er kann manchmal doch ziemlich arrogant sein. Und du kannst sicher ein wenig Übung brauchen.“ meinte er versöhnlich. „Vor allem, wenn du irgendwann weiterziehen willst. Schlaf jetzt, du hast eine lange Reise hinter dir und brauchst Ruhe und Frieden. Willkommen daheim, das hier wird erst einmal dein Zuhause sein, solange du es möchtest.“

Ich dankte ihm, während mir vor Rührung die Tränen über die Wangen liefen. Sichtlich peinlich berührt verließ er den Raum. Das Gefühl, nach wochenlanger Einsamkeit wieder irgendwo willkommen zu sein, tat meiner abgestumpften Seele einfach zu gut. Meine Emotionen gingen mit mir durch; der Alkohol machte es nicht besser. Ich hoffte nur, ich hatte Georg nicht zu sehr verärgert.

Ich folgte Hans` Rat und legte erst mal meinen Rucksack ab. Dann verstaute ich alles daraus in einem Schrank. Meine Kleidung sah eigentlich dafür, dass ich für Wochen in den Wäldern gewesen war, noch ziemlich gut aus. Das Waschen mit Kernseife in Bächen hatte ihr wohl nicht zu sehr geschadet, und mit Nadel und Faden konnte ich auch früher schon einigermaßen umgehen.

Trotzdem sollte ich meine Sachen mal wieder richtig waschen, aber zum Glück war die Ersatzkleidung im Rucksack wenigstens einigermaßen sauber. Ich ging in das Bad und duschte mich. Es war wie üblich kein warmes Wasser da, aber die Temperatur kam mir nach wie vor angenehm vor. Es war ein weiteres Stückchen willkommener Luxus, ich hatte unterwegs immer seltener Häuser mit funktionierendem fließendem Wasser gefunden. Ohne Wartung und ohne Strom brach das System wohl langsam zusammen.

Viel später, nach einer ausgiebigen Wäsche, zog ich mich in das Zimmer zurück und legte mich hin. Offensichtlich hatte ich ziemliches Glück gehabt, Hans zu treffen, er schien ziemlich nett zu sein, besonders für einen Soldaten. Ich war immer noch ziemlich betrunken, ich versuchte die Schleier zu rufen, vielleicht nützten sie mir etwas hier.

Diesmal war der Schmerz in meinem Körper wieder heftiger, jedoch bei Weitem nicht so stark wie beim ersten Mal, als ich völlig zerschunden und dem Tode geweiht unter dem Baum lag. Ich wurde auf einen Schlag wieder nüchtern.

Ich beschloss, diesen Trick das nächste Mal etwas früher anzuwenden, bevor ich wieder soviel Unsinn anstellte. Mit dem Gedanken an die Schwertübungen am nächsten Tag schlief ich ein. Ich freute mich darauf, mich mit Georg zu messen. Ob ich mir wohl vieles falsch beigebracht hatte?

 

 

10 Bayrische Gastfreundschaft

 

Ich erwachte wie üblich mit der Dämmerung, auch ohne die Geräusche des Waldes, die mich sonst geweckt hatten. Ich zog mich an und ging die Treppe hinunter. Ich fand die Küche meiner Nase folgend, weil jemand offensichtlich dabei war, Frühstück zu machen. Mir lief bereits das Wasser im Mund zusammen, ein Frühstück ohne Aufbruchstimmung, das war etwas Neues. Nun, jedenfalls, wenn man das letzte halbe Jahr betrachtete.

„Guten Morgen, hast du Hunger?“, fragte mich Hans.

„Oh ja, ich könnte ein Pferd verspeisen“, grinste ich. „Ich habe herrlich geschlafen, das letzte Mal in einem Bett ist eine Weile her, meist habe ich es nicht gewagt, in Häusern zu übernachten. Nur wenn ich ein einsames Gebäude fand, aber in Dörfern war es mir zu unsicher.“

Er blickte mich durchdringend an.

„Ich habe fast vergessen, was du alles durchgemacht hast, du hast doch einige ziemlich harte Strecken hinter dir. Ich könnte mir vorstellen, dass Georg durchaus die eine oder andere Überraschung erleben wird, wenn er wirklich mit dir trainiert. Auch wenn du nicht danach aussiehst. Wir werden sehen.“ Er schob den Gedanken beiseite.

„Setz dich erst mal, wir wollen etwas essen, Georg wird wahrscheinlich auch bald kommen, er ist aber kein Frühaufsteher.“

Ich setzte mich an den Küchentisch.

„Könnte ich etwas Kaffee bekommen, ich habe schon Ewigkeiten keinen mehr getrunken!“

Er sah mich wieder verwundert an und reichte mir die Kaffeekanne.

„Du bist nicht so jung, wie du aussiehst, nicht war? Die anderen Elfen haben auch jünger ausgesehen, als sie wirklich waren. Aber trotzdem habe ich das Gefühl, dass du irgendwie anders bist als die anderen. Sie sind übrigens nicht bei uns hier geblieben. Keiner von ihnen blieb lange, irgendeine Sehnsucht zog sie fort von uns. Und bevor du fragst, ich habe leider keine Ahnung, wo sie alle hingegangen sind.“

Er blickte mich ein wenig verlegen an.

„Ich habe mir über andere Dinge den Kopf zerbrochen und diese Sache erst mal ignoriert, deshalb kann ich dir hierbei leider nicht helfen.“

Ich verstand, was er meinte, er hatte sicherlich genug Probleme.

„Reisende soll man ziehen lassen“, sagte ich ihm.

Er nickte.

„Erst einmal solltest du aber auf jeden Fall hier bleiben, du kannst so lange bleiben, wie du möchtest. Jedenfalls solange es hier noch sicher ist.“

Seine Stimme klang dumpf, als er den letzten Satz sagte. Schauer liefen mir den Rücken hinunter.

Ich wandte mich dem herrlichen Frühstück zu. Es gab frische Brötchen, Marmelade, Butter und weich gekochte Eier. Mit kleinen Jauchzern wandte ich mich den Brötchen und den Eiern zu. Ich wusste gar nicht so genau, wo ich anfangen sollte. Ich nahm mir ein weiches Ei, es war genau richtig, wie ich es mochte, so richtig schön weich in der Mitte. Ich nahm sehr kleine Portionen, um das Ei richtig zu genießen. Dann gönnte ich mir noch ein halbes Brötchen mit reichlich Butter und Salz und zum Abschluss noch eines mit der leckeren Pflaumenmarmelade. Ich war im siebten Himmel und stöhnte wohlig auf.

Er lächelte mich an. „Eine Weile her bei dir, nicht wahr?“

Ich nickte heftig. Dann lehnte ich mich zurück, zog die Schuhe aus und legte die Füße auf eine Bank. So wohl hatte ich mich wirklich seit Ewigkeiten nicht gefühlt. Ich nahm die Kaffeetasse in beide Hände und blies vorsichtig darüber, um ihn zu kühlen.

Hans blickte an mir vorbei, während ich gerade noch meinen Kaffee genoss.

„Guten Morgen, Georg, wie geht es dir?“

„Ich habe ein wenig Kopfschmerzen, aber ansonsten ganz gut. Guten Morgen, Althea! Bist du bereit für den Kampf?“ sagte er lächelnd in meine Richtung blickend. „Ich denke, ich werde dir heute wohl ein paar blaue Flecke beibringen müssen.“

Ich lächelte ihm verlegen zu, verkniff mir aber eine Bemerkung.

Er setzte sich zu uns und fing ebenfalls an zu essen, mit deutlich mehr Appetit als ich, jedenfalls aß er reichlich.

Ich konnte bei Weitem nicht mehr so viel wie früher essen. Ich wollte aber auch etwas besser als früher auf meine Figur achten, alles andere wäre einfach Verschwendung gewesen, also kam es mir eigentlich sehr gelegen. Zurzeit hatte ich allerdings das entgegengesetzte Problem, ich war eher untergewichtig, auch wenn meine Muskulatur recht gut entwickelt war. Sie zeigte sich nur nicht. Obwohl ich durch die Magie auch noch mal sehr viel Energie verbrauchte, anscheinend Körpersubstanz. Zu wenig und ich verbrannte vermutlich Muskeln mit Magie.

Ich war bereit für den Kampf mit Georg und sehr neugierig, vor allem, wie gut ich mir wohl selbst das Kämpfen mit dem Schwert beigebracht hatte. Ob ich mir sehr viele falsche Techniken angeeignet hatte?

„Brauche ich mein eigenes Schwert?“, fragte ich Georg noch.

„Nein, wir haben reichlich Übungsschwerter aus Holz.“ Er schaute mich ernst an. „Wir wollen uns doch nicht ernsthaft verletzen. Ich wusste gar nicht, dass du eines hast. Wir verschwinden dann mal, danke für das Frühstück, Vater!“

Ich bedankte mich ebenfalls und zog meine Schuhe wieder an, dann brachen wir auf. Die Kaserne war nicht weit entfernt, wir waren bald schon dort, und ich sah mich um. Die Kaserne war einmal eine Schule mit einem großen Schulhof gewesen. Es war ziemlich traurig zu sehen, was aus unserer Welt geworden war. Ich versuchte nicht darüber nachzudenken, wie viele Kinder wohl gestorben waren.

Aber abgesehen davon war die Schule war sicherlich ein idealer Ort, um Soldaten auszubilden, mit einem großen Übungsplatz zum Exerzieren, dem Schulhof für Übungen und der Turnhalle zum Trainieren. Die Kaserne war bereits ziemlich voll, die meisten Soldaten hier waren dem Anschein nach in der Ausbildung. Es waren jedoch auch einige Ältere da, die früher wohl in der alten Bundeswehr gedient hatten und jetzt hier als Offiziere und Unteroffiziere ihren Dienst verrichteten.

Natürlich waren diese Männer vermutlich auch keine Meister im Schwertkampf, nicht nach maximal acht Monaten oder so ohne Schusswaffen, jedoch wussten sie, was einen Soldaten ausmachte und kannten sich mit Disziplin aus. Ich machte mit Georg einige Übungen zum Aufwärmen der Muskeln und Gelenke unter dem Gespött seiner Kameraden. Ein Mädchen war anscheinend nicht, was sie hier erwarteten oder wünschten.

Georg ertrug es mit stoischer Ruhe, anscheinend hatte er doch einige Qualitäten, die ich nicht in ihm erwartet hätte, vor allem nicht schon in seinem Alter. Dann packten wir uns in dicke, gepolsterte Jacken und nahmen uns einige Holzschwerter und Fechthelme. Wir betraten eine Matte und stellten uns gegenüber auf. Ich schlug spielerisch und provokant gegen sein Schwert, dann fingen wir an.

Er stellte sich mir gegenüber auf und verneigte sich, ich erwiderte seine Geste genauso ehrfürchtig. Dann fingen wir an, aufeinander einzuschlagen. Er war nicht schlecht, aber irgendwie kam er mir furchtbar langsam vor, seine Bewegungen waren einfach vorherzusehen und ich konnte seine Schläge sehr gut parieren.

Ich kämpfte ohne die Schleier, das kam mir nach meinen frechen Bemerkungen von gestern unfair vor, außerdem wäre das viel zu gefährlich für ihn gewesen. An den Kampf mit dem Ork konnte ich mich kaum noch erinnern, aber Georg schlug weitaus weniger hart zu.

Ich wehrte wieder einen seiner Schläge ab und schlug selbst zu, nicht mit voller Kraft, aber doch recht hart. Er konnte meinen Schlag parieren, aber es bereitete ihm sichtlich Mühe, er bekam einen überraschten Gesichtsausdruck. Mit meinem nächsten Schlag, den ich mit aller Kraft ausführte, schlug ich ihm sein Schwert aus der Hand.

Ich atmete nicht einmal schwer.

„So langsam solltest du vielleicht ein wenig ernsthafter an die Sache herangehen“, meinte ich grinsend zu ihm. Er nickte und hob sein Schwert auf. Diesmal wurde seine Miene schon deutlich ernster als gerade eben noch. Ein paar der Soldaten hatten bereits die Kämpfe um uns herum eingestellt und schauten neugierig zu. Ein paar machten scherzhafte Bemerkungen in Georgs Richtung, und mir wurde klar, dass mir dieser Trick nicht noch einmal gelingen würde.

Seine Schläge prasselten nun deutlich schneller auf mich ein, aber ich hatte trotzdem keine Mühe, sie zu parieren, er war immer noch viel zu langsam. Er schlug jetzt auch deutlich fester zu als eben noch, meine Arme und Gelenke schmerzten bald. Also begann ich, meine Schnelligkeit auszunutzen. Seine Schläge abzuwehren war eins, daraus einen guten Angriff zu starten doch noch etwas völlig anderes.

Er schlug jetzt offensichtlich mit voller Kraft zu, seine Schläge waren noch einmal härter geworden, trotzdem gelang es ihm nicht, meine Deckung zu durchbrechen. Dann machte er eine Pause in seinen Angriffen, er schien Atem zu schöpfen. Ich ließ ihm die kleine Pause und eröffnete dann meine Angriffe, kam ihm aber diesmal zuvor. Anscheinend schlug ich wesentlich schneller zu als er, er hatte wirklich Mühe zu parieren und kam schnell ins Hintertreffen.

Ich versuchte eine Lücke zu finden, durch die ich einen Treffer landen konnte - und da war sie. Ich fintete rechts, schlug dann links zu und landete meinen nächsten Schlag in seiner rechten Seite. Er trat zurück, verbeugte sich kurz und erkannte so den Treffer an. Ich verbeugte mich ebenfalls.

Dann griff er erneut an, diesmal wollte ich mich jedoch nicht wieder die ganze Zeit auf die Verteidigung konzentrieren, sondern konterte frühzeitig. Ich ließ seinen Schlag an meiner Holzklinge ins Leere laufen und landete einen Konter auf seiner Brust. Er atmete bereits ziemlich schwer, das konnte ich hören, ich war nicht mal ansatzweise in Atemnot. Meine Umgebung nahm ich kaum noch wahr, ich konzentrierte mich ausschließlich auf ihn und auf sein Schwert. Er trat erneut zurück und verbeugte sich wieder, so wie ich.

Er rief mir zu: „Auf fünf Treffer, lass uns weitermachen.“

Ich nickte.

Als Nächstes hob er sein Schwert über den Kopf und ließ es hart und wiederholt auf mich herunter krachen.

Ich wusste genau, dass es das beste gewesen wäre, dem Schlag einfach auszuweichen. Aber ich wurde leichtsinnig und schwang mein Schwert ebenfalls über den Kopf, um zu parieren. Es gelang mir, jedoch nur gerade so, und meine Klinge knickte durch die Wucht des Schlages ein. Sein Schwert glitt auf meiner linken Seite herab, knapp an meiner Schulter vorbei. Ich zog die Klinge in einem Bogen über den Kopf an die rechte Seite, er parierte. Dann landete ich nach einer schnellen Drehung um meine Achse meinen nächsten Treffer wieder auf seiner Seite, diesmal die linke. Er hatte viel zu lange gebraucht, sein Schwert in die neue Position zu bringen. Er trat erneut zurück, diesmal stützte er seine Hände auf seine Knie.

„Wo hast du das nur gelernt? Ich bin der beste Schwertkämpfer hier, aber du bist wie eine Wand aus Holz!“

Ich antwortete mit gesenktem Kopf:

„Ich hatte furchtbare Angst und wochenlang nichts Wichtigeres zu tun als zu lernen, mich gegen die Ork zu verteidigen; darum habe ich täglich trainiert. Kein Training hätte für mich den Tod bedeutet. Allerdings ist deine Technik viel besser, du bist nur langsamer, glaube ich.“

Er hob wieder sein Holzschwert und bedeutete mir anzugreifen. Ich tat ihm den Gefallen und fing an auf ihn einzuschlagen. Diesmal war es ein sehr langer Schlagabtausch, er war geschult und besann sich offensichtlich auf das, was er gelernt hatte, da war er mir auch deutlich im Vorteil. Ich kannte die Paraden und Finten nicht, die er anwandte, ich versuchte einfach aus dem zu lernen, was er da tat.

Dann schließlich hatte ich zumindest die eine Kombination von Schlägen durch zweimaliges Wiederholen durchschaut. Er wandte sie noch ein drittes Mal an, und diesmal bemerkte ich auch die Lücke, die er am Ende jedes Mal offenließ. Das nutzte ich aus, ich folgte der Kombination, so schnell ich konnte, und als er dann am Ende wieder seine Deckung aufmachte, stach ich auf seine Brust ein. Ich konnte fühlen, wie ich ihn traf, und er trat wiederum zurück.

„Noch einen, dann hast du mich besiegt und ich habe dich nicht einmal gekratzt.“ Er sah nun sichtlich niedergeschlagen aus. Ich überlegte, ob ich ihn einen Treffer landen lassen sollte, aber ich entschloss mich dazu, ihn auch dieses Mal ernst zu nehmen. Außerdem klang mir noch seine Bemerkung in den Ohren, die über das kleine Mädchen. Ich erinnerte mich dunkel an eine Kombination aus dem Florettfechten, die ich vor langer Zeit in einem anderen Leben gelernt hatte, und die versuchte ich nun. Ich wechselte ein paar Schläge mit ihm und dann schlug ich seine Klinge beiseite und machte einen Ausfall. Ich traf ihn an der Brust, jedoch traf er mich ebenfalls am linken Arm, gleichzeitig. Er trat zurück und zog die Maske ab. Um uns herum wurde plötzlich Beifall geklatscht, ziemlich laut, und Pfiffe waren zu hören. Ich zog meine Maske ebenfalls ab und blickte mich um. Die Soldaten, die vorher trainiert hatten, standen alle um uns herum.

„Ich habe dich einmal am Arm verletzt und du hast mich fünf Mal getötet, ich zeuge dir meinen Respekt, edle Kriegerin.“

Er meinte es ernst, sein spöttisches Grinsen war verschwunden. Dann hob er sein Schwert zum Gruß vor sein Gesicht, eine Geste, die ich wiederholte. Ich lief wieder rot an, ich konnte es deutlich fühlen. Trotzdem tat mir der Erfolg gut, es gab mir Mut. Ich verbeugte mich vor ihm, was er mir nachmachte.

Ein älterer Mann trat aus den Reihen der Soldaten heraus.

„Ich denke, ich habe genug gesehen. Georg, du warst nicht schlecht, deine Technik hervorragend. Aber es hat nicht gereicht.“ Er blickte mich nachdenklich an. „Ich habe noch niemanden gesehen, der sich so schnell wie du bewegt hätte. Wer bist du, und wo kommst du her?“ Er redete weiter, ohne auf eine Antwort zu warten. „Hm, offensichtlich eine Elfe. Naja, aber ich denke, jemand sollte an deiner Technik arbeiten, bevor du dich mit deinem Zahnstocher umbringst.“

Georg übernahm es, für mich, zu sprechen.

„Franz, das ist Althea. Sie hat sich alleine sechs Wochen durch den Osten, also das Ork-Land, geschlagen, und sie ist meines Vaters und mein Gast. Althea, dies ist Franz, einer unserer Offiziere. Seine Funktion als Lehrer ist jedoch viel wichtiger, er ist unser Fechtlehrer. Er war mal deutscher Meister im Degenfechten, davor.“

Franz brummte mürrisch vor sich hin „Das nützt mir jetzt nur noch wenig, aber ich kenne ein paar Grundlagen, und ich denke, ich würde dir gerne etwas beibringen, nur, wenn du das möchtest, natürlich.“

Ich überlegte nicht lange, ich konnte jede Hilfe brauchen, und war überglücklich für die Gelegenheit. Ich verneigte mich vor Franz.

„Ich fühle mich geehrt, dass ihr offensichtlich mehr in mir seht, als ich bin. Ich würde dennoch sehr gerne euer Angebot annehmen. Ich kann jede Hilfe dringend brauchen“, antwortete ich ihm und spürte, wie mir das Blut schon wieder in das Gesicht schoss. Ich fühlte mich aber in der Tat ziemlich geehrt, damit hatte ich nicht gerechnet, ich war hier immerhin eine Fremde und keiner ihrer Soldaten.

Ein sehr kräftiger Soldat, offensichtlich ehemaliger Bodybuilder oder etwas ähnliches, rief laut aus.

„So ein Schwachsinn, das Ganze war doch getürkt, dieses kleine Mädchen ist doch kein ernsthafter Gegner. Sind euch ihre Titten in den Kopf gestiegen?“

Damit hatte ich schon eher gerechnet. Georg bekam jedoch noch vor mir ein zornesrotes Gesicht.

„Manfred, ich habe dich schon oft genug mit dem Schwert zusammengestutzt. Wenn ich dir sage, dass sie besser ist als du, solltest du mir das auch glauben.“

Ich stellte mich zwischen die beiden.

„Georg, ich kann für mich selbst reden. Manfred, du bist gerne eingeladen, eine Runde mit mir zu fechten, wenn du einen Beweis möchtest. Wie wäre es mit jetzt gleich?“

Georg sah mich besorgt an, sein Blick tat mir irgendwie gut, ich mochte ihn. Er hatte mir nichts von dem heutigen oder gestrigen Tag übel genommen, anscheinend im Gegenteil.

„Althea, du hast gerade mit mir eine Runde gekämpft, du solltest eine Pause einlegen.“

„Ich möchte es aber gerne gleich erledigen.“ Ich blickte Manfred an. „Hol dir deine Ausrüstung, dann können wir loslegen, Manfred.“

Ich war eigentlich völlig ruhig, aber gegen diese Muskeln wollte ich schon noch mal gerne kämpfen, er sah noch kräftiger aus als der Ork damals. Jemand gab ihm eine Maske und seine Jacke, dann legten wir los.

Franz schmunzelte, ich fragte mich, was das wohl zu bedeuten hatte. Manfred hob das Schwert über den Kopf und schlug auf mich ein, offensichtlich mit voller Kraft. Ich wusste sofort, dass ich diesen Schlag niemals voll parieren konnte. Also wich ich zur Seite aus und schlug lediglich von der Seite auf sein Schwert, so dass er mir nicht damit folgen konnte.

Gefühlt dauerte es eine kleine Ewigkeit, bis er sich wieder gefangen hatte und bereit für den nächsten Schlag war. Er war noch deutlich langsamer als Georg, er bewegte sich wie in Zeitlupe. Dann fing er beidhändig geführt an auf mich derart heftig einzuschlagen, dass ich nicht allem ausweichen konnte. Seine unglaublich harten Schläge erwischten also mein Schwert wie Dampfhämmer. Ich musste versuchen seine Schläge irgendwie abgleiten zu lassen, um ihnen die Wucht zu nehmen. Als mir das endlich gelang, hatte ich schon das Gefühl, das Schwert gleich fallen lassen zu müssen, so weh taten mir die Hände und die Gelenke. Mir wurde klar, dass ich diesen Kampf schnell beenden musste. Also zuckte nach einem weiteren seiner ausholenden Schläge mein Holzschwert viel zu schnell für ihn nach vorne und traf ihn ziemlich fest auf die Brust. Er war fair und trat nach dem Treffer zurück. Er nahm sich die Maske vom Kopf und meinte.

„Okay, das reicht mir, ich erkenne einen Meister, wenn ich ihn treffe. Du bist wirklich klasse. Ich denke, du solltest dich jetzt wirklich ausruhen, wenn es dir recht ist.“ Dann hob er sein Schwert vor sein Gesicht, wie Georg auch schon vorher, ich nahm meine Maske ab und wiederholte die Geste erneut. Dann nannte ich mich leise fluchend eine Idiotin, ich hätte die roten Schleier für die Parade seiner hammerartigen Schläge hernehmen sollen, wofür hatte ich das eigentlich geübt? Dann fiel mir noch ein Fehler auf und ich rief die Schleier und heilte meine Hände und Gelenke. Es brannte nur kurz und tat danach nicht mehr weh.

„Ich würde mich gerne ausruhen, vielen Dank für den Gang, Manfred.“

Franz kam auf mich zu und holte mich ebenfalls aus den Wolken.

„Du hast nicht besonders gut ausgesehen, jedenfalls am Anfang nicht, du bist relativ schwach in den Handgelenken. Du musst lernen, die Schläge besser abgleiten zu lassen, oder deine Handgelenke werden dich im Stich lassen. Groß genug bist du ja, das verschafft dir einen echten Vorteil. Ich habe auch ein paar rudimentäre Florett-Techniken erkannt. An deiner Technik müssen wir noch sehr viel arbeiten. Aber du hältst das Schwert sehr gut, wer hat dir das beigebracht?“

Ich antwortete etwas beschämt wegen seines Lobes, erst holte er mich runter, dann hievte er mich wieder nach oben.

„Es kam mir einfach richtig vor, das Schwert so zu halten, hoffentlich habe ich mir nicht all zu viel Falsches beigebracht“, antwortete ich ihm.

„Ach was, nichts, was man nicht in ein paar Wochen mit täglichem Training wieder ausbügeln könnte, komm heute Nachmittag oder spätestens morgen früh bei mir vorbei, ich bin meistens eh hier, also brauchst du keine Termine auszumachen. Wenn ich einen Moment beschäftigt bin, sieh einfach zu und lerne.“

Er lächelte mich freundlich an und wandte sich wieder seinen anderen Schülern zu. Georg und ich entledigten uns der Ausrüstung und dann verließen wir die Turnhalle.

„Wow, Franz muss dich wirklich mögen. Tägliches Training, puh, das ist ja wirklich ätzend.“ stöhnte er gespielt. „Komm, lass uns nach Hause duschen gehen. Dann versuchen wir Vater zu finden, vielleicht nimmt er dich ja in unserer Truppe auf. Wir haben schon auch ein paar andere Frauen in der Truppe, es hat sich nicht vermeiden lassen, wir waren auf jeden guten Soldaten angewiesen.“

Er schaute traurig auf seine Stiefel, als er das sagte. Ich blickte ihn voller Mitgefühl an, ich konnte mir ungefähr vorstellen, was in ihm vorging. Ich hatte als Mann mal ähnlich gedacht.

„Ich würde mich freuen, allerdings nur als Söldner oder so, also nur für eine Weile. Ich will mich irgendwann einmal auf die Suche nach den anderen Elfen machen, ich glaube, ich kann hier nicht ewig bleiben, vielleicht zieht es mich ja fort, wie die anderen.“

Mir war tägliches Training nur recht, ich musste so viel wie möglich und so schnell wie möglich lernen. Das waren auf jeden Fall die besten Voraussetzungen, um auf meiner weiteren Suche zu überleben. Ich wusste jetzt schon, dass ich weitere Antworten wollte, außerdem sträubte ich mich dagegen, irgendwelche Verpflichtungen einzugehen.

Ich hatte endlich ein Ziel vor Augen, ich wollte meine Artgenossen finden und etwas mehr über mich selbst erfahren. Ich war erleichtert, als ich endlich erkannte, was ich eigentlich für mich selbst wollte. In letzter Zeit hatte mein Leben immer nur daraus bestanden, den nächsten Tag zu überleben und zu vermeiden, jemanden zu treffen, der mich vergewaltigen oder töten wollte.

Unbewusst war mir hier bei den Menschen klar geworden, was ich als Nächstes zu tun hatte. Ich war jetzt eine Elfe und wollte meine Artgenossen finden, auch wenn ich mich bestimmt unter diesen Menschen hier ebenfalls sicher und wohlfühlen konnte. Allerdings war ich jetzt anders als sie, das hatten mich die hasserfüllten Blicke von Anton gelehrt.

Aber eins nach dem anderen, im Moment war ich hier am richtigen Platz und auch sicher. Zunächst wollte ich meine Fähigkeiten mit dem Schwert aufbessern. Meine neuen geistigen Kräfte weiter zu erkunden war meine nächste Aufgabe, vielleicht konnte ich das sogar parallel zum Training mit dem Schwert üben. Ich wollte herausfinden, was ich alles mit meiner Gabe anfangen konnte. Ich hatte immerhin einen Ork geköpft und fast durch eine Wand gestoßen. Ich war mir ziemlich sicher, dass meine Fähigkeiten noch mehr hergaben und ausgebaut werden konnten.

Ich musste nur herausfinden, was genau ich eigentlich tat. Meine allererste Lehrstunde, bei der ich fast gestorben war, wollte und konnte ich ganz sicher nicht wiederholen. Ich zuckte zusammen, als mich Georg an der Schulter berührte.

„Althea, hast du mir zugehört? Oh, entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich habe mich gefragt, wie alt du eigentlich bist. Vater meinte, Elfen sehen deutlich jünger aus, stimmt das?“

Ich sah ihn grinsend an und meinte: „Ja, das stimmt wohl schon, jedenfalls, wenn ich jünger als einundvierzig aussehe.“

Er sah mich überrascht an.

„Einundvierzig, du bist echt einundvierzig? Du siehst gerade mal wie sechzehn aus, wenn auch ein bisschen groß, du bist an die zwei Meter groß, oder?“

„Ja, ich bin knapp zwei Meter, früher war ich deutlich kleiner, fast zwanzig Zentimeter.“

Wir gingen ins Haus zurück und duschten, Georg zeigte mir auch, wo ich im Haus meine Wäsche waschen konnte, was ich auch am Nachmittag machen wollte. Er half mir dabei und erzählte mir sehr viel von der neuen Stadt, die sie gegründet hatten.

Sein Vater war wohl ein sehr gütiger Mensch, viele hätten in einer so isolierten Situation versucht, eine kleine Diktatur aufzubauen, er hatte jedoch einen demokratisch gewählten Stadtrat ins Leben gerufen, anstatt die Soldaten die Herrschaft übernehmen zu lassen, was er sicherlich problemlos hätte tun können.

Dies war nicht der schlechteste Ort zum Leben, den ich mir vorstellen konnte. Informationen von draußen bekamen sie kaum, es gab nur noch ein paar weitere dieser Enklaven um München herum, die anscheinend aber nicht alle das Glück dieser hier hatten. Manche waren wohl auch absolutistisch geführt, und es schien, dass sich viele von ihnen mehr und mehr isolierten oder gar ganz untergingen, es kamen immer noch Flüchtlinge hier an.

Absolutismus war nicht unbedingt die beste Lösung, angesichts der Gefahr durch die Ork; was wir wirklich brauchten, war echter Zusammenhalt. Er erzählte mir auch von den Magiern, die nach dem Umbruch aufgetaucht waren. Sie wurden von der katholisch christlichen Gemeinschaft der Übriggebliebenen nicht sonderlich wohlmeinend aufgenommen, wie man sich vielleicht vorstellen kann. Da sie jedoch mehr und mehr im Kampf gegen die Orkhorden notwendig wurden und immer öfter eingesetzt werden mussten, wurden sie gezwungenermaßen akzeptiert, von den meisten Menschen jedenfalls. Jede Hilfe in diesem verzweifeltem Kampf war willkommen und notwendig.

Ich dachte mir, ich sollte diesen Magiern vielleicht einmal einen Besuch abstatten, vielleicht konnten sie mir dabei helfen, meine Gaben zu beherrschen. Da meine Gaben mir schon so oft geholfen hatten, hieß ich sie als eine große Hilfe willkommen. Vorurteile wie die der Katholiken gegen meine Gaben kannte ich nicht. Ich fragte mich, was jemand wie Anton wohl dazu zu sagen hätte, und beschloss erst einmal, dieses Detail auch weiterhin zu verschweigen. Das galt auch für Georg und Hans, obwohl ich das Gefühl hatte, den beiden vertrauen zu können. Georg zeigte mir das Haus, in dem die Magier trainierten, ich nahm mir vor, sie später einmal aufzusuchen, falls mich Hans wirklich in seine Truppe aufnahm und ich erst mal, vielleicht mit irgendeiner Aufgabe bekleidet, bleiben konnte.

Hans kam nach Hause, als wir mit dem Waschen fertig waren und ich die Kleidung gerade im Garten aufhängte. Georg sah seinen Vater grinsend an, als er ihm von den Neuigkeiten berichtet, ich war beeindruckt, wie locker er seine Niederlage wegsteckte.

„Vater, darf ich dir unsere neue beste Schwertkämpferin vorstellen? Sie hat mich locker mit 5:0 geschlagen und ist dabei nicht einmal ins Schwitzen gekommen.“ Er übertrieb maßlos, fand ich.

„Sie würde meiner Ansicht nach gut in unsere Truppe passen. Franz möchte sie persönlich täglich unterrichten, was hältst du davon?“

Hans blickte mich lange und nachdenklich an, ich hatte fast das Gefühl, dass er mit so etwas schon gerechnet hatte.

„Franz trainiert sonst nur die anderen Trainer, keine Anfänger. Du kannst stolz darauf sein.“

„Und sie ist auch älter als sie ausschaut, sie ist einundvierzig Jahre alt.“ prustete Georg los „und sie hat mich beim Kämpfen völlig ohne Technik echt wie einen Lehrbuben aussehen lassen. Du weißt, dass ich der Beste mit dem Schwert in der Truppe bin, außer Franz natürlich. Vater, stell dir nur vor, wie gut sie sein könnte, wenn sie erst was gelernt hat. Franz meinte, sie hat null Technik, aber sehr viel Potenzial.“

Hans blickte mich erneut nachdenklich an.

„Ich könnte mir vorstellen, du willst irgendwann weiter, oder?“, fragte er mich direkt und ohne Umschweife nach meinen Plänen.

Ich stotterte. „Ich denke, ich möchte irgendwann einmal meine Leute suchen, und Sie wissen sicherlich …“

„Ich denke, wir sollten wohl beim Du bleiben“, unterbrach er mich freundlich.

Ich fuhr fort. „Okay, du weißt sicherlich auch, warum ich früher oder später aufbrechen muss. Ich kenne die Menschen und ihre Vorurteile, und es wird nicht immer so friedlich bleiben, es wird noch Ärger meinetwegen geben. Vielleicht könntet ihr mich für einige Zeit als Söldner oder so in eurer Truppe aufnehmen, wenn euch das recht ist. Damit ich meinen Unterhalt verdienen kann und euch nicht zur Last falle.“

Hans lächelte.

„Zu Last fällt uns ein Mädchen hier sicherlich nicht, wir können dir allerdings auch nicht viel zahlen, ich kann dir lediglich Kost und Logis anbieten, und außerdem natürlich alles, was die Stadt so zu bieten hat, wenn du es zum täglichen Leben brauchst. Für Soldaten ist als Übergangslösung hier alles kostenfrei, vermutlich bleibt das nicht ewig so, eben nur, bis wir wieder eine stabile Währung haben. Wenn sich ein Soldat daneben benimmt, bekommt er Ärger mit mir, und zwar ernsten. Ansonsten würde ich sagen du kannst weiter bei uns wohnen, die Kaserne ist sicherlich nichts für dich, was meinst du, Althea?“

„Ich denke, dass du ein sehr großzügiger Mann bist, Hans, ich nehme dankend an. Wenn ich dir mit irgendwas behilflich sein kann, sag bitte Bescheid, nur Kochen kann ich leider nicht sehr gut.“

Hans und Georg lachten beide.

„Ach was, kochen tun wir normalerweise auch nicht, wir essen entweder in der Kneipe oder manchmal kommt auch ein Dienstmädchen, um hier ein bisschen zu putzen und zu kochen. Dann sei mir noch einmal herzlich willkommen, Althea, es ist schön, mal wieder eine Frau im Haus zu haben.“

Hans zwinkerte mir zu und wir fingen alle gemeinsam an, zu lachen.

Er sah mich noch einmal ernster an.

„Alle Elfen zog es irgendwann fort von hier, dich wird vermutlich das gleiche Schicksal ereilen, aber jetzt wollen wir nicht weiter darüber nachdenken. Lasst uns was trinken gehen und ein bisschen feiern, diesmal aber ein Bier weniger für die Schönheit des Hauses.“

Und er grinste schelmisch wie ein kleiner Junge. Hier würde ich mich sehr wohl fühlen, das spürte ich. Und wenn ich bei der Gelegenheit noch was lernen und vielleicht sogar noch die eine oder andere Rechnung begleichen konnte, die ich mit den Ork noch offen hatte, sollte mir das nur recht sein.

Wir verbrachten noch einen sehr netten Abend in der Kneipe, bis wir uns irgendwann spät abends zu Bett legten.

 

 

11 Ein neues Zuhause

 

Während der nächsten Tage gewöhnte ich mich schnell in mein neues Leben ein, nur die täglichen Märsche fehlten mir ein wenig, also versuchte ich stattdessen so viel wie möglich, zu trainieren. Ich lief täglich einige Runden innerhalb der Palisaden, nicht so weit aber dafür deutlich schneller als beim Wandern. Allerdings auch mit einigen Zwangspausen. Ich wurde oft angesprochen und fragte die Leute bei der Gelegenheit danach aus, ob sie Elfen kannten und vielleicht wussten, wo sie hingegangen waren.

Niemand konnte mir jedoch weiterhelfen, sie wussten nur, dass sie irgendwann alle weggegangen waren. Ich machte mir ziemlich viele Gedanken darum, es weckte auf jeden Fall meine Neugier. Ich erfuhr aber dafür viel über München und die Gegend um München herum. Es hatte allein in München Millionen von Toten gegeben, viele waren von Ork ermordet worden, die zum Glück irgendwann nach Osten wanderten. Die neuen Riemer nahmen mich sehr freundlich und fast alle vorurteilsfrei in ihre Mitte auf, freundlicher als ich es angesichts meiner neuen Gestalt erwartet hatte. Es gab wohl einige dieser Festungen in der weiteren Umgebung von München, die Ork hatten aber die Reiselust der Leute stark reduziert, niemand wusste genau, wo sie waren. Georg lief einmal mit, ich hängte ihn jedoch so schnell ab, dass er keine Lust auf eine Wiederholung hatte. Ich trainierte meistens mit Franz und einem Holzschwert, und dann auch mit den anderen Soldaten in der Turnhalle; außerdem an Gewichten, um fit zu werden - Muskelaufbau, der allerdings nach wie vor kaum zu sehen war. Mir war jedoch bewusst, dass jedes bisschen Training überlebenswichtig für mich sein konnte und ich bekam meine Erfolgserlebnisse dadurch, dass ich bald schon deutlich mehr Gewicht auflegen konnte. Die Steigerungsrate war wirklich enorm, wie ich auch schon bei allen anderen Arten von Training bemerkt hatte. Ich kam zwar nicht ganz an Anton heran, aber alle anderen Männer übertraf ich an den Gewichten schon bald. Zum Glück gab es deshalb nicht viele verletzte Gemüter, die meisten brummten irgendwas über Elfen und machten mit ihrem eigenen Training weiter.

Franz war eine wirkliche Offenbarung für mich. Er war auch nicht mehr der Allerjüngste, vielleicht so um die fünfzig, aber er wusste einfach alles über das Fechten. Ich merkte bald, dass ich mit meinen Elfenreflexen auch deutlich schneller als er war, aber seine Technik war so gut, dass ich meine höhere Geschwindigkeit einfach nicht in einen Vorteil gegen ihn umsetzen konnte. Er war ziemlich entgeistert über meine miese Technik, was er auch immer wieder lautstark kundtat, allerdings sah er auch Potenzial in mir. Sonst hätte er mich nicht so intensiv und zeitraubend selbst unterrichtet, sondern das vielleicht einen der geschickteren Schüler übernehmen lassen. Er verbrachte Stunde um Stunde mit mir, korrigierte mich immer wieder und zeigte mir neue Kombinationen.

Ich lernte die neuen Bewegungsabläufe sehr schnell, anscheinend hatte mein neues Ich eine Begabung dafür, immer komplexere Bewegungen und Kombinationen einzustudieren. Es war jedenfalls deutlich besser als ich es von früher her gewohnt war. Schießen übte hier keiner, Schusswaffen waren ausschließlich für den Ernstfall reserviert, und dann bekamen nur die besten Schützen eine Waffe. Bogenschießen war noch etwas, mit dem ich liebäugelte, laut allen Geschichten, die man so hörte und die ich gelesen hatte, waren Elfen ziemlich geschickt mit dem Bogen. Die Versuche, die ich mit dem Bogen machte, waren vielversprechend, aber ich entschied dann doch letztendlich, mich erst einmal auf eins zu konzentrieren, nämlich den Schwertkampf. Da hatte ich ziemlich viel Talent und brauchte dringend Nahkampferfahrung.

Mein Erlebnis mit den Ork hatte für ein dringendes Bedürfnis gesorgt, mich in engen Tumulten schützen zu können. Am Fernkampf war ich weniger interessiert, ich versuchte den Gegnern eher weiträumig auszuweichen. Einfach war das Training mit Franz selten, er beschimpfte mich die ganze Zeit über und trieb mich sehr hart an. Deutlich härter als seine anderen, männlichen Schüler. Da ich sehr viel von ihm lernte, ignorierte ich das so gut ich konnte. Er hatte unzählige Vorurteile Frauen gegenüber, seine Bemerkungen stießen mir immer wieder auf. Ich behielt das Geheimnis meiner männlichen Herkunft trotzdem für mich. Er hätte mir wahrscheinlich sowieso nicht geglaubt, und wenn, wer weiß, was er dann mit mir gemacht hätte. Mit Hans und Georg kam ich hervorragend aus, Georg wich mir eigentlich so gut wie nie von der Seite, trotz seines Jobs als Soldat. Ich vermutete, sein Vater hatte etwas damit zu tun, dass Georg so viel Zeit hatte. Ich hoffte bloß, dass Georg nicht mehr als Freundschaft von mir wollte, ich war ganz sicher zu mehr nicht bereit. Und schon gar nicht mit einem Mann, das fühlte sich für mich irgendwie falsch an. Noch nicht. Oder niemals. Was auch immer.

Einen Moment abzupassen, in dem ich alleine war, war nicht allzu einfach. Ich wollte die erste einsame Gelegenheit ausnutzen, um mich heimlich zu verdrücken und dem Haus der Magier einen Besuch abzustatten. Ich wollte auf jeden Fall mehr über meine Magie herausfinden.

Allein die Vorstellung, eine Reaktion wie bei dem Ork unbewusst bei jemandem hervorzurufen, der ein normaler und unschuldiger Mensch war, beunruhigte mich. Der kopflose Ork suchte mich immer noch regelmäßig in meinen Träumen heim, obwohl er sein Schicksal ganz sicher verdient hatte. Oft hatte ich in der gleichen Nacht dann auch noch meinen anderen Albtraum, in dem ich am Ende halb tot war und völlig hilflos. Immer wieder kam ich an den Punkt, an dem ich wusste, dass ich sterben würde. Weder Hans noch Georg sprachen mich darauf an, wenn ich morgens schreiend aufwachte, sie konnten sich ihren Teil denken, sie wussten schließlich, wo ich gewesen war.

Mein Wunsch nach Schutz auf meinen zukünftigen Reisen war stärker als alles andere. Die Begegnung mit den Ork wollte ich auf gar keinen Fall in der Form wieder erleben müssen, die nächste Begegnung würde so oder so anders verlaufen. Das schwor ich mir insgeheim, so etwas würde ich nicht noch einmal mitmachen, lieber wollte ich sterben, als das erneut erleben zu müssen.

Dabei war mir mein neues Leben eigentlich viel zu wertvoll, es war für mich fast, als hätte ich die Verantwortung für diese zierliche Elfe übernommen und musste jetzt alles tun, um sie zu beschützen. Manchmal fragte ich mich, ob ich vielleicht schizophren werden würde. Als irgendwann endlich die Gelegenheit kam und Hans mit Georg etwas gemeinsam zu erledigen hatte, verließ ich das Haus gut gelaunt und voller Tatendrang ebenfalls ein wenig später.

Vielleicht konnten mir die Magier helfen meine neuen Fähigkeiten besser zu beherrschen, auch wenn ich mittlerweile auch so schon deutlich besser als noch vor einigen Wochen damit zurechtkam. Ich lief also alleine durch die Straßen der Grenzfestung Riem. Ich fand diesen Namen passend, auch wenn es einmal einfach nur ein Münchner Vorort gewesen war. Ich nutzte die Gelegenheit und beobachte wie üblich die Menschen um mich herum, die ebenfalls durch die Straßen liefen. Ich zog nicht mehr ganz so viele Blicke wie am Anfang auf mich, die regelmäßigen Läufe beim Training hatten die Leute an mich gewöhnt.

Manchmal war das neue Leben hier für mich wie ein Albtraum und ich wollte unbedingt aufwachen. An diesem Tag war es so, es fühlte sich falsch an, durch diese vertrauten und doch fremden Straßen zu wandern, ich sah dieselben alten Bilder, und doch war alles verzerrt. Und all dies auch noch aus einer auf das äußerste veränderten Wahrnehmung heraus, die mich jeden Morgen aus dem Spiegel mit ihren unwirklichen und goldenen Schlitzaugen anstarrte.

Manchmal fragte ich mich, ob das alles nicht zu viel für mich gewesen war und ich in Wirklichkeit bereits völlig verrückt war und irgendwo in einer Anstalt vor mich hin vegetierte. Es war eine Sache, Veränderungen willkommen zu heißen - das hier war jedoch etwas ganz anderes.

Der Gang zum Haus der Magier fiel mir deutlich schwerer als erwartet, vielleicht auch angesichts der Tatsache, dass ich dort sicherlich nichts Vertrautes erwarten konnte, sondern eher etwas sehr Ungewöhnliches. Was mir in meiner Stimmung nicht gerade entgegenkam. Ich schüttelte die trüben Gedanken ab und konzentrierte mich wieder auf meine Umwelt. Ich war hier oft vorbei gejoggt, aber zu unchristlich frühen Zeiten, und ich hatte es nie gewagt zu klopfen.

 

 

12 Sabine

 

Vor dem Haus der Magier war die Straße um mich herum leer, also ging ich nach einem kurzen Klopfen einen Moment später einfach hinein. Ich glaubte nicht, dass mich jemand gesehen hatte. Ich wusste nicht wirklich, warum ich die roten Schleier unbedingt geheim halten wollte, da waren natürlich einmal Anton und seine christlichen Brüder, aber es war auch noch etwas Anderes. Ein Gefühl, eine Intuition. Etwas Weibliches vielleicht. Oder vielleicht etwas Elfisches.

Als ich das Tor des Gebäudes öffnete, schlug mir ein ohrenbetäubender Lärm entgegen. Es klang wie elektrische Entladungen in einem Kraftwerk, die zwischen zwei Polen, unter Hochspannung gesetzt, hin und her sprangen. Dann sah ich die Ursache des Lärms. Einige Männer und Frauen waren damit beschäftigt, einen Betonklotz in der Mitte des Innenhofs mit Blitzen zu beschießen, die aus ihren Fingern sprangen. Altbekannte elektrische Gesetze galten hier ganz sicher nicht, sonst wären die Hände und Arme der Magier ziemlich verschmort gewesen, mal abgesehen von den tödlichen Strömen, die durch die Körper der Menschen hätten fließen müssen. Aber es war ja auch keine richtige Elektrizität, sondern eben Magie, erinnerte ich mich.

Es war ein sehr beeindruckendes Schauspiel, ich erstarrte in Ehrfurcht und bewunderte den Anblick. Magie war etwas sehr Mächtiges, wenn man denn damit vertraut war. Elektrizität konnte jeder nutzen, Magie war einigen wenigen vorbehalten. Ich fragte mich, was das für unsere Zivilisation bedeuten würde.

Das Gebäude war ein mehrstöckiges Haus mit einem großen Innenhof, der offensichtlich für Trainingsstunden verwendet wurde. Es war kein bestimmtes Alter der anwesenden Personen feststellbar, alle Altersgruppen waren hier vertreten. Ich konnte von Teenagern bis zu älteren und grauhaarigen Menschen alle Altersstufen erkennen. Es waren allerdings nur Menschen zu sehen, keine Elfen wie mich und auch keine Zwerge. Ich versuchte mich bemerkbar zu machen, allerdings ziemlich erfolglos bei dem Lärm und den konzentrierten Mienen. Erst als ich den Hof betrat und auf einen der Übenden zuging, drehten sich ein paar Gesichter zu mir um.

„Was machst du denn hier? Du solltest die Übungsstunde lieber von Weitem beobachten, es ist gefährlich hier, Kind“, wies mich eine ältere Frau sofort zurecht.

„Ich glaube, ich kenne sie, Hans und Georg haben sie aus der Wildnis mitgebracht“, meinte ein junges Mädchen, und ein paar der Leute fingen an, miteinander zu tuscheln.

Eine große und junge Blondine in einer langen Robe kam auf mich zu. Sie sah absolut fantastisch aus. Die Kurven unter der Robe waren zwar nur schwach zu erkennen, aber sie musste eine wirklich tolle Figur haben. Dann fiel mir mein aktueller Körper wieder ein, und ich seufzte traurig.

„Du bist neu in der Stadt. Eine Elfe. Jemanden wie dich haben wir hier schon lange nicht mehr gesehen. Was möchtest du denn im Haus der Zauberei?“ Sie lächelte mich freundlich an. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du nur unsere Übungsstunden beobachten möchtest.“ Sie sah mich fragend an, aus schönen blauen Augen, die ich hingerissen bewunderte. Ich riss mich zusammen und versuchte mich zu erinnern, was sie gerade gefragt hatte.

„Ich glaube, dass ich ebenfalls magische Fähigkeiten habe, und brauche dringend Hilfe, um sie zu kontrollieren. Ich weiß nicht, wo ich sonst hingehen könnte“, antwortete ich verlegen. Ich hoffte, es war ihr nicht aufgefallen, dass ich sie so intensiv angestarrt hatte.

Sie sah mir mit so festem und selbstbewusstem Blick in die Augen, dass mir unbehaglich zumute war, aber ich hielt stand. Dieser Blick war typisch für selbstbewusste Menschen, die sich ihrer Schönheit sehr sicher waren. Irgendwann schüttelte sie irritiert den Kopf und entließ mich aus ihrem Blick. Meine Katzenaugen, vermutete ich, mich hätten solche Augen bestimmt auch irritiert. Sie meinte zu der älteren Dame:

„Halte doch bitte das Training heute ab, Gerda, ich glaube, ich bin erstmal beschäftigt. Wenn es wieder falscher Alarm ist, bin ich gleich wieder da.“

Sie nickte mir freundlich zu und winkte mir ihr zu folgen, dann ging sie auf einen der Hofeingänge in das Haus zu, und ich lief ihr hinterher. Hinter uns fing der Lärm bald wieder an, es war eine Erlösung, nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.

„Entschuldige bitte unseren frostigen Ton, aber seit wir entschieden haben, für unsere Trainingsstunden Zuschauer zuzulassen, um unsere Arbeit den Leuten ein wenig näher zu bringen, hätte es beinahe ein paar tragische Unfälle gegeben. Daher war die Tür offen, aber wir sind vorsichtiger mit Besuchern geworden. Du bist also alleine durch die Wildnis gereist, wenn ich das richtig gehört habe, wie ist es dazu gekommen? Freiwillig macht so was ja wohl keiner, oder?“ Sie schaute mich freundlich und neugierig an.

„Ich kann dir meine Geschichte leider nicht vollständig erzählen“, antwortete ich, „da ich leider selbst nur einen kleinen Teil davon kenne. Kurz gefasst ist meine Geschichte diese: Ich bin etwa hundert Kilometer östlich von hier aufgewacht und musste mich zu euch hierher durchschlagen. Ich hatte keine Wahl, es waren keine Menschen da, als ich erwachte. Dafür gab es aber reichlich Ork. Was mir alles wirklich passiert ist, wird mir erst so langsam klar, auf jeden Fall bin ich in einem Krankenhaus aufgewacht, in dem ich monatelang im Koma gelegen haben muss.“

Sie sah mich mitfühlend und etwas überrascht an, ich konnte in ihren Augen erkennen, dass sie instinktiv mehr erkannt hatte, als ich ihr erzählt hatte.

„Merkwürdig, die Elfen haben am längsten im Koma gelegen, aber niemand auch nur annähernd so lange wie du. Du hast unglaublich viel Glück gehabt, irgendjemand hat sich sehr gut um dich gekümmert. Leider wissen wir nicht viel über Elfen, sie sind alle kurz nach dem Erwachen davongelaufen.“

Ich fasste aus irgendeinem Grund Vertrauen zu ihr. Sie hatte ein sehr schönes Gesicht und strahlte eine ruhige und selbstbewusste Autorität aus. Ich vermutete, dass sie eine hohe Position in der Schule einnehmen musste. Ich sah sie an und war etwas betreten, sie rührte doch sehr stark an meiner männlichen Seele. Soviel Schönheit kannte ich früher nur aus der Ferne. Sie löste dadurch ziemlich zwiespältige Gefühle bei mir aus. Aber wenigstens waren es keine Negativen.

„Ich vergesse meine Höflichkeit über meiner Neugier, bitte verzeih mir. Ich bin Sabine, die Leiterin dieser Schule. Bevor du fragst - dass ich Leiterin bin, hat nichts mit meiner Erfahrung zu tun, es gibt bei uns Magier mit viel mehr Lebenserfahrung. Aber ich habe hier die mächtigsten magischen Fähigkeiten. Deshalb wurde ich für die Rolle ausgewählt, jedenfalls für so lange, bis jemand mit stärkeren Kräften auftaucht. Jahrelange Erfahrung mit dem Thema Magie hat sowieso niemand hier, wie du dir vorstellen kannst. Allerdings habe ich mich auch schon vor der großen Umwandlung mit Magie beschäftigt, also weiß ich ein wenig mehr als die anderen, zumindest theoretisch, vorher waren meine Bemühungen zu zaubern natürlich völlig wirkungslos, das weiß ich jetzt.“

Wir erreichten schließlich einen größeren und sehr gemütlichen Raum mit ein paar Sesseln, wo sie mich aufforderte, mich zu setzen. Der Raum musste eine Art Ruheraum sein. Sie sah mich analysierend an, vor allem in die Augen und auf meine Ohren.

„Elfenblut, das hat meiner Ansicht nach die interessantesten und auch ästhetisch faszinierendsten Veränderungen hervorgerufen, ich habe bis jetzt leider nur davon gehört. Elfen sind körperlich viel jünger geworden, körperlich sogar noch jünger als sie auf den ersten Blick aussehen.“ Sie lächelte mich bei der Bemerkung an.

„Wir sollten dich ein wenig genauer anschauen. Ich möchte dich untersuchen, auf geistiger Ebene, das tut nicht weh und du wirst es nicht einmal bemerken. Ich werde in die Astralebene vorstoßen und deine Erscheinung von dort betrachten. Bitte hab keine Angst, es wird dir nichts passieren, versprochen. Ich möchte mir nur einen ersten Eindruck verschaffen, bevor ich dir noch ein paar Fragen stellen muss.“ Ihre Augen blieben fragend auf mich gerichtet, also wartete sie wohl wirklich auf eine Zustimmung von mir, bevor sie irgendwas unternehmen wollte. Ich nickte ihr aufmunternd zu, was hätte ich auch sonst machen sollen. Genau deshalb war ich schließlich hergekommen, ich wollte ja Antworten von ihr.

Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und kuschelte sich zwischen die Armlehnen. Als sie sich wohl genug fühlte, schloss sie ihre Augen. Dann ging ein kleiner Ruck durch ihren Körper und sie erschlaffte. Ich war etwas beunruhigt, unternahm aber nichts, sie wusste bestimmt genau, was sie tat. Ein Prickeln ging durch meinen Körper, und ich fühlte mich unruhig, ich spürte trotz ihrer Ankündigung, dass ich nichts bemerken würde, dass etwas in diesem Raum vor sich ging, konnte aber nicht genau sagen, was es war. Ihr Körper jedenfalls war völlig regungslos.

Ich konnte sehr zarte Berührungen fühlen, nicht wie bei einem körperlichen Kontakt, sondern eher wie ein leichter Wind, der einem mit sanfter Brise durch das Haar und über den Körper streicht. Was ich fühlte, hatte allerdings etwas mehr Konsistenz als ein Luftstrom, ich konnte irgendwie sogar erkennen, dass es so etwas wie Hände mit Fingern waren, mit denen sie mich abtastete. Die zarten Bewegungen ihrer Hände hörten auf, und sie ließ sie auf meinem Kopf liegen. Dann konnte ich ein Tasten in meinem Kopf fühlen, wie von einem Insektenfühler, sehr zart, aber auch sehr präzise und bestimmt. Ich wurde jetzt doch nervös.

Es kam mir vor wie eine kleine Ewigkeit, bis sie sich endlich zurückzog. Sie war bestimmt sehr vorsichtig vorgegangen, so viel glaubte ich erkennen zu können, aber es war trotzdem eine höchst beunruhigende Erfahrung gewesen.

Nachdem die Berührungen schließlich ganz aufhörten, konnte ich eine letzte Berührung fühlen, und zwar an meiner Brust. Ihre geistige Hand hatte sehr zart meine rechte Brust berührt, wobei mir ein wenig unklar war, wofür das wohl gut sein konnte. Meine Hand zuckte kurz hoch, aber dann ließ ich sie wieder fallen und unternahm nichts, außer mich fast unmerklich ihrer Hand entgegen zu recken. Ich genoss ihre unfassbar zarte Berührung, die keinerlei körperliche Bedrohung für mich bedeutete.

Sie kehrte in ihren Körper zurück, der sich dann auch bald wieder zu regen anfing. Einen Moment später schien sie wie aus einem tiefen Schlaf aufzutauchen. Sie kuschelte sich noch tiefer in den Sessel, bis sie endlich anfing zu sprechen.

„Du hast das alles so mitbekommen, oder? Das ist unerwartet“, fragte sie mich und schien dabei ziemlich erstaunt zu sein, auch ein bisschen peinlich berührt, vielleicht wegen ihrer letzten Berührung. Sie fasste sich und fuhr fort.

„Das habe ich noch nie erlebt, von meinen Schwestern hier ist keine dazu in der Lage, und ich habe auch noch niemanden getroffen, der das gekonnt hätte. Bisher war ich immer völlig unbemerkt bei meinen Untersuchungen. Ich glaube, du hast ein sehr starkes magisches Potenzial in dir, allerdings auch unterentwickelt und ungenutzt.“ Sie sah mich jetzt ernst und ein wenig traurig an.

„Ich habe aber trotzdem keine wirklich tollen Nachrichten für dich. Du wirst leider bei uns nicht sehr viel lernen können, da deine Muster keinen entsprechen, die uns menschlichen Magiern bekannt wären. Woran hast du denn gemerkt, dass du ungewöhnliche Kräfte in dir birgst?“

Ich wurde blass und senkte den Kopf. Sie setzte an etwas zu sagen, aber ich hob die Hand und streckte den Zeigefinger hoch und sie verstummte. Ich weiß nicht genau, warum ich ihr so stark vertraute, aber es war ein Gefühl in meinem Inneren, dass mir genau das sagte. Vielleicht war es auch einfach ihre Berührung gewesen, die mir gut getan hatte.

Also erzählte ich ihr mehr als irgendjemand anders zuvor, seit ich aufgewacht war. Es sprudelte einfach so aus mir heraus und ich ließ so gut wie nichts aus. Ich erzählte von der Vergewaltigung, wobei mir Tränen über das Gesicht liefen. Dass ich fast gestorben war. Sie sah dabei aus, als wollte sie mich in den Arm nehmen und trösten. Auch von den roten Schleiern berichtete ich ihr, und wie mich mein Unterbewusstsein gerettet hatte. Ich erzählte von meiner ganzen Reise, wie ich versucht hatte, mich selbst zu trainieren, um mich zu schützen, und wie ich dann schließlich hier angekommen war. Ich verschwieg ihr aber, dass ich früher einmal ein Mann gewesen war, ich dachte mir, das ging niemanden außer mir etwas an.

Sie blickte mich mitfühlend an.

„Du hast in der Tat Fähigkeiten, wie sie hier sonst keiner hat, und wahrscheinlich auch keine von unseren Fähigkeiten, was wir aber sehr schnell herausfinden werden. Ich glaube, dass du keinen Funken der menschlichen Magie in dir hast, also nicht die Art, wie wir sie hier anwenden. Deine Beschreibung, das alles klingt eher nach Telekinese und anderen rein geistigen Fähigkeiten. Unsere Fähigkeiten beruhen hingegen auf Magie, die Magie, die seit der Umwandlung wieder in diese Welt geströmt ist. Wir versuchen, die überall existierenden Ströme und Flüsse auszunutzen und zu beherrschen. Ich kann sehen, mithilfe meiner Magie, dass du großes magisches Potenzial besitzt, aber leider keines, das ich irgendwo zuordnen kann. Vielleicht können wir dir einige deiner Geheimnisse entreißen, wenn du die Zeit findest, ab und zu hier mal vorbeizukommen, aber viel Erfolg verspreche ich mir nicht davon. Es tut mir unendlich leid, aber ich werde dir nicht sehr viel helfen können, auch wenn ich es mir noch so wünschte. Was ich aber befürchte, ist, dass die Kontrolle deiner Fähigkeiten ganz ähnlichen Mechanismen unterliegt wie die unseren. Also könnte man es mit ein wenig geistigem Training versuchen, das sollte dir helfen, nur das zu bewirken, was du auch wirklich willst. Wie denkst du darüber?“ Sie schaute mich erwartungsvoll an.

„Ich würde gerne dein Angebot annehmen, ich denke, die Zeit dazu werde ich schon finden. Ich trainiere gerade viel mit den Wachen, was mir aber genug Freizeit lässt, falls ich mit der Wache keinen Einsatz habe.“ Sie runzelte die Stirn.

„Davon sollten wir dich befreien, ich denke nicht, dass das eine angemessene Beschäftigung für dich ist. Wenn du möchtest, kann ich versuchen, mit dem Kommandant darüber zu reden.“

Ich zuckte ein wenig vor ihrer Bemerkung zurück.

„Aber ich möchte dort weiter trainieren, und auch meinen Pflichten in der Wache nachkommen. Ich denke, ich werde eines Tages noch gebraucht, und glaube auch, dass ich das Training sehr gut gebrauchen kann. Es ist also durchaus mehr eine Symbiose als eine unangemessene Tätigkeit.“

Sie blickte mir überrascht in die Augen.

„Natürlich kannst du dort bleiben, wenn du das möchtest, ich konnte mir nur nicht vorstellen, dass du dich für das raue Soldatenleben interessierst. Solange du auch hier bei mir ein bisschen Zeit verbringst. Viel werden wir dich sowieso nicht lehren können, besonders nicht über deine Fähigkeiten. Ich hatte das nicht als Vorwurf oder so gemeint.“

Wir blickten uns einen winzigen Augenblick schweigend an, dann lachten wir beide gleichzeitig laut los. Es war herzlich und erfrischend und löste die auf beiden Seiten existierenden Spannungen völlig auf. Mir war natürlich klar, dass sie mir nur hatte helfen wollen, aber einen Moment hatte ich die Befürchtung, eine Regel oder ein Gesetz gebrochen zu haben, und deshalb schroffer reagiert, als ich es hätte tun sollen.

Ich setzte schon zu einer Entschuldigung an, aber sie winkte ab.

„Es tut mir leid, ich hätte gleich sehen müssen, dass so ein starker Geist wie deiner sich nicht zu irgendwas zwingen lässt, ich habe einfach nicht bedacht, dass es dir dort gefallen könnte, bei den Soldaten.“

Dann wechselte sie geschickt das Thema und wir unterhielten uns über die Veränderungen, die dieser Welt passiert waren. Anscheinend waren die Ausmaße der Katastrophe noch viel schlimmer als ich es mir vorgestellt hatte. Die alte Welt, die ich gekannt hatte, existierte nicht mehr. Es waren viele neue Rassen hinzugekommen, unbekannte und fremde Wesen, die ich eigentlich nur aus Märchen und Büchern kannte. Zwerge und Elfen kamen auch darin vor, allerdings waren das keine fabulösen Wesen, sondern einfach nur stark veränderte Menschen, die genau wie ich versuchten, in einer ihnen fremd gewordenen Welt zurechtzukommen.

Eigentlich genau wie Ork, Goblins und die anderen Kreaturen, gegen die wir nun Krieg führten, aber so ganz konnte ich mich mit dieser eher friedfertigen Idee noch nicht anfreunden, besonders nach allem, was ich mit ihnen erlebt hatte. Sie sprach mich leider nicht mehr darauf an, warum sie mich an der Brust berührt hatte, also erwähnte ich es ebenfalls nicht, obwohl ich noch nie eine dermaßen charismatische Frau getroffen hatte, ich fühlte mich sehr stark zu ihr hingezogen.

Irgendwie empfand ich jedoch meine Gedanken, die ich dabei hatte, als verstörend. Außerdem war ich wirklich nicht mehr in der Situation für das, was mir so an Bildern in den Kopf sprang. Jetzt wäre ich ja genau genommen homosexuell, wenn ich mich mit einer Frau einlassen würde. Als ich spät am Abend nach Hause ging, oder vielmehr Hans und Georgs Zuhause, ging mir nicht das erste Mal der Gedanke durch den Kopf, dass ich wohl noch sehr viel mehr Probleme mit dieser ganzen Geschichte haben würde, als ich bisher bedacht hatte.

Trotzdem war ich an dem Abend zufrieden und hatte die Hoffnung mich und mein neues Leben irgendwie in den Griff zu bekommen. Sabine konnte mir zwar nicht mit allem, was ich mir erhofft hatte, helfen, aber es würde bestimmt reichen, bis ich jemanden getroffen hatte, der mir wirklich weiterhelfen konnte, jemanden von meinem Volk.

Dass ich in dieser kleinen Grenzfeste nicht für alle Ewigkeit bleiben wollte, war für mich sowieso klar gewesen. Vor allen Dingen da ich anscheinend weder von der Rasse noch von meinem Wesen her hierher passte, auch wenn ich so warmherzig von den meisten hier aufgenommen wurde. Früher oder später musste ich aber wieder aufbrechen, ob ich wollte oder nicht.

Ich schlief trotz allem sehr ruhig diese Nacht, wohl auch deshalb, weil ich weder von Hans noch von Georg mit unangenehmen Fragen bombardiert wurde. Beide warteten wohl auf eine Erklärung von mir, wo ich gewesen war, aber als diese ausblieb, forderten sie keine ein. Das gab mir das Gefühl der Freiheit, die ich eigentlich genau genommen nie eingebüßt, aber trotzdem vermisst hatte. Ich war einfach zu lange allein gewesen.

Die nächsten Wochen waren sehr entspannend für mich. Körperliche Anstrengungen steckte ich in einer völlig unwirklichen Art weg. Eine elfische Art, wie ich bei mir dachte. Die Leistungsfähigkeit von Elfen war beeindruckend, aber ich hatte immer noch ein paar Probleme damit, es als meine eigene Leistungsfähigkeit zu akzeptieren. Außer dem täglichen Lauf- und Krafttraining übte ich ständig mit Franz, hauptsächlich mit dem Schwert, und bekam auch noch ein paar Grundlagen im Kampf mit Messern mit.

Vor allem der Messerwurf schien etwas zu sein, in dem ich ebenfalls viel Talent und Begabung mitbrachte. Ich wurde sehr schnell richtig gut darin, als ich erst mal den Bogen heraushatte. Auch bestand Franz darauf, mit vielen unterschiedlichen Klingen zu üben, nicht etwa mit einer, die meiner Waffe am ähnlichsten war, sondern mit allem Möglichen.

Es waren immer Holzwaffen, nie Metallschwerter, und ich fragte ihn einmal danach.

„Du wirst sehen, dass du auch so schon genug Hemmungen haben wirst, mit deiner Waffe richtig zuzustoßen, nach den ganzen Übungskämpfen. Ich will nicht, dass du im entscheidenden Moment so lange zögerst, bis du tot bist, wenn es mal ernst wird. Unmerkliches Zurückzucken im letzten Moment hat mir schon ein paar Mal fast den Kopf gekostet. Holz ist harmlos, damit kann man auch richtig zuschlagen, was man mit den richtigen Schwertern ja auch tun sollte, wenn man gegen die Ork überleben möchte.“

Ich musste ihm recht geben, rieb allerdings meine blauen Flecke und verzerrte das Gesicht. Er lachte und trieb mich noch härter an. Die Wochen vergingen wie im Flug, ich hatte eine großartige und friedliche Zeit mit meinen Gastgebern, und die Tage waren angefüllt mit hartem Training. Ich konnte fühlen, wie ich immer besser wurde und mein übermächtiges Schutzbedürfnis sich langsam etwas beruhigte. Bald hatte ich mir meinen Platz ganz oben unter den Soldaten gesichert und ich war mir fast sicher, auch Franz einmal schlagen zu können.

Seinen Grad an Perfektion zu erreichen dauerte üblicherweise viele Jahre, aber ich hatte den Vorteil meiner wesentlich schnelleren elfischen Reaktionen, womit ich auch auf unerwartete und untrainierte Angriffe noch schnell genug und meistens auch effektiv reagieren konnte. Ich besuchte Sabine sehr oft nach dem Training, konnte aber tatsächlich nicht wirklich viel von ihr lernen, bis auf einige Techniken, die es mir erlaubten, die Schleier etwas schneller herbeizurufen, was ich allerdings vorher nie als Problem empfunden hatte, sie waren immer sofort da.

Ob die Kräfte dadurch auch stärker wurden, konnte ich nicht abschätzen.

Eine völlig andere Geschichte für mich war Sabine und meine Reaktionen auf sie. Ich konnte mich gerade noch so beherrschen, was meine Gefühle für sie betraf. Ein unterschwelliges Verlangen nach mehr war ständig präsent, wenn ich bei ihr war. Sie war eine umwerfende Frau, das brachte meine Gefühlswelt ganz schön durcheinander. Sehr verwirrend, da ich doch eigentlich jetzt auch eine Frau war. Jedenfalls war es alles nicht einfach. Aber die geistige Übung mit ihr tat mir gut, und ihre Gegenwart war sehr angenehm für mich.

Ich fühlte mich merkwürdig, wenn ich so intim und nah mit ihr in einem Raum war, mein altes Ich wäre nicht in der Lage gewesen, auch nur ein einziges Wort herauszubringen.

Es wurde nicht einfacher, da wir nach einigen meiner Besuche die gemeinsamen Stunden mit einem wirklich schönen und kribbelnden Spiel verbrachten, ohne dass wir es abgesprochen gehabt hätten. So etwas in der Art hatte ich vorher noch nie gemacht, ich vermute, es war eher etwas Weibliches.

Es ging bei dem Spiel um absichtliche zufällige Berührungen, jeder musste den anderen zufällig irgendwo berühren, möglichst auf nackter Haut oder einer intimen Stelle.

Sie hatte das Spiel angefangen, als sie mich aus der Astralwelt an der Brust berührt hatte, und ich hatte es an unseren ersten Treffen danach fortgesetzt, als ich aus Versehen über ihren Schenkel strich, als ich mir gerade eine Tasse Tee nehmen wollte.

Die nächste Berührung war wieder die ihre, diesmal griff sie nach dem Zucker schräg hinter mir auf einem Schränkchen und stützte sich dabei sehr zart an meiner Schulter über meinem Ausschnitt ab. Keine von uns beiden entschuldigte sich für die „versehentlichen“ Berührungen.

Das Spiel ging so über Wochen weiter. Es kam nicht zu Intimitäten zwischen uns, obwohl wir ziemlich viel Zeit miteinander verbrachten und über alles Mögliche redeten.

Es war trotzdem eine sehr prickelnde und erotische Erfahrung für mich, vor allem, da ich in solchen typisch weiblichen Dingen völlig unerfahren war. Sie brachte mir damit nicht nur etwas über die Magie bei, sondern auch etwas darüber, was es bedeutete, eine Frau zu sein - das Indirekte, das Angedeutete, das Geheimnisvolle, das Unbewusste. Eine leichte Berührung kann manchmal mehr sagen als tausend Worte oder hemmungsloser Sex.

 

 

13 Krieg

 

Eines Morgens dann wurde ich vom lauten Schrillen einer Sirene geweckt, wie sie bei Bombenangriffen oder der Feuerwehr eingesetzt wurden.

Ich verstand nicht, was zu tun war, ich kannte diese Alarmsignale aus der alten Welt als Probealarm und blieb daher gelassen. Ich zog ich mich trotzdem so schnell wie möglich an und lief die Treppe hinunter, wo ich meine beiden Hausherren in ziemlicher Eile beim Ankleiden halb angezogen in der Küche vorfand.

„Was hat das zu bedeuten?“, fragte ich sie nervös.

„Wir haben wieder mal ein paar Ork, die unserer Siedlung zu nahe kommen, das ist nichts Neues, aber wir müssen trotzdem die Stadt sichern, für den Fall, dass es sich um einen größeren Angriff handelt. Du solltest auf jeden Fall mitkommen, aber halte dich zurück, ich will nicht, dass dir etwas passiert. Außerdem kannst du ja ein bisschen auf meinen hitzköpfigen Sohn hier aufpassen, der weiß nämlich nicht, wie er sich in einer solchen Situation richtig und vernünftig zu verhalten hat.“

„Vater, das ist nicht ...“ setzte Georg an, wurde jedoch gleich wieder von seinem Vater unterbrochen.

„Ich habe nur gescherzt, bitte passt ein wenig gegenseitig auf euch auf, Kinder. Ich muss los …“

Er rannte aus dem Haus und Georg zwinkerte mir zu. „Worauf wartest du, willst du hier alleine versauern und den ganzen Spaß verpassen?“ rief er und rannte seinem Vater hinterher.

Ich glaubte nicht, dass das ein Spaß werden würde, aber beeilte mich trotzdem, die beiden einzuholen. Meine Erfahrungen mit Ork waren alles andere als spaßig. Ich war schon froh, in letzter Zeit nicht mehr ganz so oft meine Nacht mit Albträumen verbringen zu müssen.

Georg und Hans rannten die Straße entlang, in Richtung auf das große Osttor am Eingang der Stadt. Trotz der Sirenen waren die Stiefel der beiden deutlich zu hören, als sie auf den Asphalt aufschlugen. Was mir bis dahin noch nicht aufgefallen war - Georg hatte anscheinend Nägel in seinen Schuhen, die mir ziemlich laut und unpraktisch vorkamen. Leise Sohlen waren mir deutlich lieber.

Bald hatten wir das Tor erreicht und kletterten die Leitern hoch auf die Palisaden, gleichzeitig mit vielen anderen Soldaten, die ebenfalls vom Alarm aufgeschreckt zu uns stießen. Ich konnte an den Gesichtern der Soldaten die gemischten Gefühle erkennen, die sie beherrschten. Manche sahen sehr verbissen und wütend aus, und andere wieder lachten und scherzten.

Es gibt eben viele Möglichkeiten mit der eigenen Angst umzugehen, jeder macht das auf seine Art und Weise. Ich selbst stand ein wenig neben mir, als wäre ich aus meinem Körper getreten und sah ihm jetzt zu, was er so tat. Erst als ich schließlich auf den Palisaden angekommen war und auf das Feld vor den geschlossenen Toren der Stadt hinaus blickte, rutschte ich wieder in meinen Körper hinein.

Ich war natürlich nervös, vor allem wegen der ganzen Aufregung um mich herum, allerdings empfand ich keine Angst mehr, ich fühlte mich wesentlich sicherer neben all diesen Männern und Frauen, die hier standen und bereit waren, gegen die Ork zu kämpfen und schlimmstenfalls auch zu sterben. Als ich damals alleine in dem Haus gefangen und eingesperrt war, war ich völlig überrascht, verängstigt und gedemütigt gewesen. Alles ist relativ, und relativ gesehen zu damals war ich heute bedeutend sicherer unter all diesen Soldaten.

Das sollte sich allerdings bald als eine schöne Illusion herausstellen.

Auf dem Feld vor der Feste war nichts zu sehen, jedenfalls konnte ich nichts erkennen. Hans ging zu einem der Wachtürme, um zu erfahren, wer den Alarm ausgelöst hatte und warum. Ich lief ihm hinterher, ebenfalls neugierig darauf, was das wohl alles zu bedeuten hatte.

Wir betraten eine kleine Holztür und liefen eine Leiter den Turm hinauf, der wie die Palisaden aus massivem Holz bestand. Kein wirklich guter Schutz vor Kugeln dachte ich so bei mir, vor allem gegen moderne Hochgeschwindigkeitsgewehre. Aber auch das gute alte G3, die Standardwaffe beim Bund, sollte durchaus durch die Holzwände durchkommen.

Der Wachposten nickte Hans schweigend zu und deutete nur auf den Horizont. Wir drehten uns in die Richtung, die uns der Mann zeigte, und sahen dann das Unmögliche, das Unfassbare, das Unbegreifliche. Eine riesige Armee, so groß, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte, bedeckte die Felder hinter der Baumreihe vor den Palisaden. Die Felder waren schwarz vor Menschen, oder was auch immer das war, eine konkrete Vermutung hatte ich jedoch. Ork. Hans drehte sich zu mir um und schaute mir fest in die Augen.

„Ich möchte, dass du mir etwas versprichst, ich möchte eine Gegenleistung für meine Gastfreundschaft einfordern, die ich dir entgegengebracht habe.“ Ich konnte sehen, wie schwer ihm das fiel, das auszusprechen.

„Wenn diese Armee hier einfällt, sind wir verloren. Wir hätten keine Chance, ob mit oder ohne Magie. Wenn es zum schlimmsten kommt, möchte ich ...“ er stockte einen Moment mitten in seiner Rede.

Ich beendete seinen Satz für ihn.

„... dass ich deinen Sohn hier herausbringe. Ich gebe dir gerne mein Wort, falls ich irgendwie dazu in der Lage bin. Ich habe zwar keine Ahnung, wie wir das schaffen sollen, aber ich werde mein Bestes geben.“

Er ergriff mit hartem Griff meine Schulter, als wolle er allein durch seine Körperkraft seinen Willen durchsetzen. Ich ignorierte den Schmerz so gut ich konnte. Er hatte einen eisenharten Griff.

„Althea, meine kleine und viel zu bescheidene Elfe, wenn du es nicht kannst, dann kann es niemand hier. Wir werden das hier nicht überleben. Ich bin mir ziemlich sicher, ich kann mich auf dein Wort verlassen. Du hast genau wie ich mit einem Blick erkannt, wie die Lage ist, und nun werden wir da runter gehen und den Leuten Lügen erzählen, weil davonlaufen ebenfalls aussichtslos ist. Aber zu zweit habt ihr vielleicht eine Chance. Außerdem glaube ich, dass du ein Talent zum Überleben hast. Habe ich wirklich dein Versprechen? Ich vertraue dir mein kostbarstes Gut an.“

Ich blickte ihm in die Augen und sah eine Mischung aus Verzweiflung und Panik, stärker als alles andere war aber die Angst um seinen Sohn.

„Ich verspreche es dir, Hans, wenn ich hier irgendwie lebend herauskomme, werde ich deinen Sohn mitnehmen, selbst wenn ich ihn bewusstlos schlagen muss. Falls wir dann noch leben, und falls es eine Möglichkeit gibt hier herauszukommen.“

Er lächelte mich an und meinte.

„Daran habe ich keinen Zweifel. Wer weiß. Vielleicht findet ihr ja sogar jemanden, der uns helfen kann.“ Er zuckte mit den Schultern, so richtig glaubte er nicht daran, und drehte sich zum Wachposten um, um seine Befehle zu erteilen.

Ich war sprachlos. Dieser Mann war einfach so bereit, sein Leben für seine Ideen zu opfern und ging ohne zu Zögern in den sicheren Tod, einfach nur aufgrund des Versprechens, das ich ihm gegeben hatte. Ein Versprechen von mir, bei dem es um die wichtigste Sache in seinem Leben ging. Ein dicker Kloß steckte in meinem Hals, ich war so viel Vertrauen in meine Fähigkeiten einfach nicht gewohnt. Außerdem hatte das Elfenmädchen natürlich überhaupt keine Ahnung, wie sie ihr Versprechen einlösen sollte, oder auch nur, was sie nun überhaupt tun sollte. Ich war verzweifelt, der vermeintlich sichere Ort und meine neue Heimat, war nun zu einer Todesfalle geworden, und obwohl ich instinktiv auf der Stelle einfach davon rennen wollte, konnte ich es nicht.

Diese Menschen hatten hier trotz des Leides und dem Tod um sie herum etwas geschaffen, was meinen Respekt verdiente. Ein Neuaufbau einer Gemeinschaft nach der Umwandlung, die der Wiedergeburt des Phönixes aus der Asche glich. Alleine schon der Gedanke, Hans, Sabine und Franz und meine anderen Freunde hier ihrem Schicksal zu überlassen, war furchtbar. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie stark meine Bindung an diesen Ort bereits nach diesen wenigen Wochen voller Frieden und schönen Erlebnissen geworden war.

Ich war nun durch ein Versprechen fest an Georg gebunden. Ich wusste nicht, wie ich die Menschen hier allein dem Tod überlassen konnte, nur um mein Leben zu retten, das eigentlich schon vom Schicksal vorbestimmt unter einem Baum im Niemandsland hätte enden sollen. Dann sah ich das Tückische an dem Versprechen, dass ich Hans gegeben hatte - es ging eben nicht nur um mein eigenes Leben, sondern auch um Georg, er hatte mir eine Verpflichtung auferlegt, die auch darin bestand, die Menschen hier im Stich zu lassen.

Als ich den Gedanken endlich einigermaßen klar fassen konnte, wurde ich wütend. Ich konnte es nicht glauben, was Hans hier mit mir tat. Ich starrte seinen Rücken wütend an.

Er drehte sich zu mir um und zwinkerte mir zu, mein zorniges Gesicht ignorierend, und lächelte mich freudlos an.

Dann verließ er den Turm und kletterte die Leiter nach unten. Ich dachte kurz noch über eine weitere Verpflichtung nach, die ich dem Elfenmädchen gegenüber empfand, dass ich geworden war. Der Elfenkörper, in den mein Ich versetzt worden war.

Ich erkannte jedoch, dass das jetzt keine Rolle mehr spielte. Ich war einfach nur noch ich. Den Tod vor Augen konnte ich endlich Frieden mit mir selbst schließen. Ich war, wer ich war, mochten andere darüber richten, ich würde es nicht mehr tun. Auf diesem Turm, die entsetzlichen Massen meines persönlichen Erzfeindes vor Augen, konnte ich mein neues Ich endlich akzeptieren. Nun war ich endlich bereit, Hans zu folgen.

Hans redete mit den Menschen, machte den Soldaten Mut und war wieder ganz der charismatische Führer, als den ich ihn vorher erlebt hatte, und nicht mehr der um seinen Sohn besorgte Vater.

Die Verteidigung zu organisieren war Hans` nächste Aufgabe, und das war nicht leicht. Die Offiziere wurden zusammengerufen und ein Schlachtplan entwickelt. Die meisten von ihnen kannte ich vom Sehen, hatte aber selten mit ihnen geredet. Sie betraten ein Haus an den Palisaden, nachdem sich jeder oben auf dem Turm ein Bild gemacht hatte.

Ich unterhielt mich leise flüsternd mit Georg. Georg kämpfte immer direkt an der Seite seines Vaters, genau wie ich jetzt. Bei den zwei kleineren Patrouillen, die wir unternommen hatten, war nie ein anderer Offizier dabei gewesen. Jetzt lernte ich auch die anderen Offiziere kennen. Es gab doch einige, ganz wehrlos waren wir dank Hans Vorbereitungen nicht.

Hans forderte Georg und mich auf, ihm in die Besprechung der Offiziere zu folgen. Ich fühlte mich ziemlich geehrt, dass er mich zu so einer wichtigen Besprechung mit dabei haben wollte. Ich vermutete, dass er sicherstellen wollte, dass wir gründlich über die Lage informiert waren, für den Fall, dass wir wirklich irgendwo Hilfe holen konnten.

„Wir haben hier ein kleines Problem“, die Offiziere lachten, wirklich erheitert war jedoch niemand. „Ich denke mal, jeder hier hat die Lage erkannt, oder gibt es noch Fragen?“

Jetzt, wo ich darauf achtete, erkannte ich überrascht, wie manipulativ Hans seinen Offizieren gegenüber auftrat. So wie er die Frage gestellt hatte, würde keiner der Offiziere mehr wagen, weiter nachzuhaken, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, als jemand dazustehen, der das Offensichtliche nicht erkannt hatte.

Allerdings funktionierte der Trick nicht. Ein älterer Offizier meldete sich trotzdem zu Wort.

„Die Lage ist uns allen klar, ich frage mich dennoch, wie zum Teufel du uns hier rausbringen willst? Wir haben in dieser beschissenen Festung keine Chance gegen diese Art von Übermacht, das wird unser aller Grab werden.“

Hans antwortete lautstark und bestimmt.

„Christian, du bist verrückt, wenn du glaubst, dass wir da draußen irgendeine Chance haben.“

Er zeigte auf die Felder in Richtung des Heeres.

„Wohin sollten wir denn gehen, diese verdammte Armee ist viel zu groß, ein Flüchtlingszug wie der unsere würde niemals unentdeckt ihre Reihen durchbrechen, wir würden innerhalb kürzester Zeit weitere Kräfte auf uns ziehen, selbst wenn wir irgendwo durchbrechen könnten. Wir sind zu langsam und wir haben keine Fahrzeuge. Dafür haben wir Kinder, Alte und Kranke dabei, die als Erste die Opfer des Gewaltmarsches wären. Wie stellst du dir also eine Flucht vor? Ich glaube, dass wir nur eine einzige Chance haben.“

Dann wartete Hans einen Moment auf ihre Reaktionen. Dies waren gut ausgebildete Offiziere, keine einfachen Soldaten, und trotzdem waren sie jetzt sehr aufgewühlt.

Bis auf den silberhaarigen Christian, der nur noch nickte und überraschend entspannt nach seinem Ausbruch wirkte. Seine Augen blickten ein wenig traurig in die Ferne, als ob er trotz besseren Wissens auf eine andere Antwort gehofft hatte.

„Und ich habe mal gedacht, ich würde an Lungenkrebs sterben, weil ich zu viel rauche.“ lachte er schließlich leise in sich hinein.

Ich musste schon sehr genau hinhören, um die Bemerkung noch mitzubekommen. Die anderen Offiziere murmelten ebenfalls vor sich hin, und einige waren nur blass geworden, ohne jegliche weitere Reaktion. Allen war mittlerweile klar, dass wir hier in der Falle saßen.

„Ruhe, wenn ich nicht mal euch die Wahrheit sagen kann, wem denn sonst? Die Soldaten und Bürger sollen von der Hoffnungslosigkeit nichts mitbekommen. Ich habe noch eine letzte Hoffnung, und die werde ich euch jetzt mitteilen. Wir haben eine kleine Chance, dass die Armee einfach um uns herum fluten wird, ohne uns groß zu belästigen. Sie werden einige Angriffe machen, allerdings ist es unwahrscheinlich, dass sie es auf uns abgesehen haben. Vielleicht können wir ihnen so viel Ärger bereiten, dass sie weiter ziehen und sich die Mühe mit uns nicht machen. Wir sind stark befestigt und nicht so leicht zu bezwingen, eine langfristige Belagerung kommt für einen Gegner dieser Größe nicht infrage.“

Christian lächelte traurig, als er das hörte, und auch ich fragte mich, was Hans da für einen Unsinn redete. Keine Armee dieser Größe kam ohne Nachschub aus, und sich durch ein feindliches Fort den Nachschub abschneiden zu lassen, das macht kein Heerführer, sogar ich als Laie konnte das erkennen.

Allerdings wirkte die Rede auf seine Offiziere, die verstummten und anscheinend mehr als willens waren, sich an diesen Strohhalm zu klammern.

„Wir brauchen also eine Taktik, wie wir die ersten Tage überstehen können, vielleicht haben wir dann eine Chance. Und es gibt noch eine weitere Hoffnung, die zugegebenermaßen nicht wirklich groß ist. Wir versuchen, Hilfe zu holen.“

Die Offiziere murmelten wieder vor sich hin, einer meinte „Und wer soll den Stunt abziehen? Eine Flucht durch die Linien ist Selbstmord.“

Als er das sagte, wurde mir klar, dass nicht Hans´ Ansprache die eigentliche Manipulation gewesen war, die Frage von Christian gehörte dazu. Allen sollte klar gemacht werden, dass eine Flucht unmöglich war. Es war Manipulation in der Manipulation.

Hans ignorierte ihn scheinbar und fuhr fort.

„Die Hauptkräfte scheinen vor den Ostwällen zu sein, weiß jemand, wie die anderen Himmelsrichtungen aussehen?“

Niemand antwortete.

„Dann sollten wir das jetzt mal herausfinden. Und wir sollten nachsehen, ob sie schweres Gerät dabei haben, und wenn ja, welches.“

Die so locker geführte Ansprache war ein Befehl, das war jedem hier im Raum klar; wie genau er durchzuführen war, blieb den Offizieren überlassen.

Christian sah Hans an, irgendein geheimer und unsichtbarer Informationsaustausch schien vorzugehen. Hans blickte fast flehend, als Christian endlich meinte:

„Wir bemannen die Wälle, wie immer in Acht-Stunden-Schichten, akustischer Alarm, Schusswaffen und die doppelte Mannschaft. Wir müssen den Jungs nur klarmachen, dass sie unsere restlichen Vorräte damit verballern, also kein Sportschießen auf Ork.“ Ich und ein paar der Offiziere lachten.

„Wir senden Kundschafter in alle Richtungen, das sollte die zweite Aufgabe heute sein. Wenn wir die Lage überblicken, können wir unsere Kräfte vielleicht auf einen Wall konzentrieren und die Magier bekommen etwas Schlaf zwischendrin.“

Wieder erblassten einige, als ihnen klar wurde, dass die Größe des Gegners auch pausenlose Angriffe rund um die Uhr erlauben würde. Sollten die Verluste sich auf beiden Seiten in Grenzen halten, wäre das Fort verloren, allein schon wegen der Müdigkeit der Kämpfer und Magier. Aber vielleicht gab es tatsächlich eine kleine Chance, wenn wir nur lange genug durchhielten - ich bezweifelte ebenfalls, dass der Gegner das Fort sehr lange belagern würde.

Hans blickte ernst in die Runde.

„Machen wir es so, wir haben Arbeit, meine Herren.“

Wir verließen das Gebäude und die Offiziere zerstreuten sich, um ihre Kundschafter auszusenden und die Wälle in Schichten organisiert besetzen zu lassen. Wichtig war jetzt erst mal, den Kampf ausgeruht zu beginnen. Allerdings waren die Ork in der Lage, uns einfach zu überrennen, der Kampf würde sicher nicht all zu lange dauern, dessen war ich mir ziemlich sicher, und auch Hans und Christian, wie ich vermutete. Wenn sie die Wälle überwanden.

Ich hatte allerdings noch eine andere Verpflichtung - ich musste Georg hier raus schaffen. Vielleicht konnten wir ja wirklich Hilfe holen, nur woher sollte die kommen?

Wieder runzelte ich die Stirn. Wenn ich das Versprechen brechen würde, konnte ich hier wenigstens mit Anstand sterben und würde nicht wie ein Feigling davonlaufen. Dann wäre die Lage allerdings völlig hoffnungslos. Eigentlich war ich Hans auch ein bisschen dankbar. Einen Tod mit Anstand, gab es so etwas wirklich? Vielleicht der von Hans, allerdings würde auch der im Strudel der Geschichte untergehen, und tot war er dann trotzdem.

Zornig wischte ich mir die Tränen aus den Augen, die ohne dass ich es bemerkt hatte, aufgetaucht waren. Hans winkte mich näher zu sich und Christian heran.

„Ich glaube, ihr zwei kennt euch noch gar nicht, Althea, das hier ist Christian.“ Dann zeigte er auf mich.

„Und das hier ist Althea. Ich glaube übrigens, dass ihr Name nicht wirklich auf eine griechische Herkunft schließen lässt.“ Er zwinkerte mir zu. „Aber ich finde es passend für eine Elfe.“

„Sie hat in ihrem ersten Übungskampf Georg ziemlich zurechtgestutzt, deshalb habe ich sie als Söldner auf Zeit angeheuert. Allerdings nur für ein Dach überm Kopf, Gold wollte sie zum Glück keins.“

Christian blickte mich neugierig an.

„Du bist ein guter Beobachter, ich glaube nicht viele haben mitbekommen, was da drin eigentlich wirklich passiert ist und welche vielschichtigen Zwecke die Besprechung hatte.“

Ich blickte ihn überrascht an.

„Anscheinend nicht gut genug, ich habe gar nicht mitbekommen, dass du auf mich geachtet hast.“ Genau, wie es mir ein Rätsel war, woran er es überhaupt gemerkt hatte. Er konnte anscheinend in Gesichtern so gut wie andere in Büchern lesen.

Er grinste mich an.

„Ach, ich war früher, also in der alten Welt, als noch alles in Ordnung war, beim BND, unserem Nachrichtendienst. Ich hoffe doch, dass ich in den dreißig Jahren dort was aufgeschnappt habe.“ Er lachte leise. Christian war mir sofort sympathisch, mein erster Eindruck war der eines Felsens in der Brandung, verlässlich wie Mutter Erde selbst und nicht klein zu kriegen.

„Ich denke mal, uns ist allen klar, dass wir hier nicht mehr lebend herauskommen, jedenfalls nicht alle. Einzelne werden wohl versuchen zu verschwinden, aber ich schätze mal, die Chancen dafür sind nicht sehr gut. Die Streifen und Kundschafter der anderen Seite schlagen wahrscheinlich gerade ihre Netze auf. Irgendwie schon eine Scheiß-Situation, in der wir da stecken. Wirst du deinen Filius rausbringen?“

Christians Gespür für das, was in den Menschen um ihn herum vor sich ging, war wohl tatsächlich ziemlich gut. Vielleicht kannten die beiden sich aber auch schon eine Weile.

„Ich habe ihn ihr anvertraut, sie wird ihn raus bringen.“

„Du hast ihn ihr ... sie ist doch noch ein Kind ... naja, du wirst wissen, was du tust.“ Christian sah mich an.

„Ich finde ihre Augen unheimlich, ich kann absolut gar nichts darin lesen.“ Dabei zwinkerte er mir zu.

Ich lachte laut auf.

„Du kannst also meine Gedanken nicht lesen? Das finde ich doch schon mal beruhigend. Wie lange kennt ihr zwei euch eigentlich schon?“ Hans schaute Christian an.

„Ich denke mal, so um die 30 Jahre, oder?“

„Ja, Hans und ich waren in der gleichen Grundausbildung, danach sind wir verschiedene Wege gegangen. Aber wir haben uns nie aus den Augen verloren. Irgendwann bin ich dann zu ihm versetzt worden, in seinen Haufen. Er hört auf mich, aber die wirkliche Karriere hat er gemacht.“

Da standen also 60 Jahre Berufssoldat und Geheimdiensterfahrung vor mir, ich war mehr als nur ein wenig beeindruckt. Das erklärte auch, warum Christian Hans so gut einschätzen konnte. Ich bin auch bei der Bundeswehr gewesen, aber so professionelle Offiziere hatte ich in meiner Ausbildung nie.

Warum die beiden die Fluchtchancen so hoffnungslos einschätzten, war mir nicht ganz klar. Von ihnen konnte ich auf jeden Fall noch wertvollen Rat erwarten, den ich auch mitnehmen wollte.

„Wie würdet ihr denn von hier verschwinden, wenn ihr es müsstet?“, fragte ich sie. „Nachts sollten wir auf jeden Fall gehen, aber wann? Und in welche Richtung? Den Westen werden sie vielleicht nicht so dicht überwachen, aber sie rechnen bestimmt auch mit einer Flucht in der Richtung, weil sie im Osten angekommen sind. Vielleicht Süden oder Norden? Und wann? In ein paar Tagen, wenn die Aufmerksamkeit ein wenig nachgelassen hat? Vielleicht auch schon morgen. Falls wir bis dahin noch leben.“

Christian und Hans nickten zustimmend und gaben mir recht, der Westen, das war wohl die Richtung, in die ich von jetzt an blicken und nach einer Lücke Ausschau halten sollte. Sie meinten auch, dass man, falls man genug Freiwillige findet, in jede Richtung ein Zweierteam losschicken sollte. Wichtig war vor allem, dass jemand durchkam, nicht unbedingt, wie viele. Ich schluckte nervös, als mir klar wurde, wie schlecht Georgs und meine Chancen waren durchzukommen.

Vielleicht hatte ich ja eine Gelegenheit, noch mal bei den Magiern vorbei zu gehen und Sabine ein Lebewohl zu wünschen. Ich mochte sie mittlerweile sehr. Aber ich hatte die Befürchtung, dass es ziemlich hektisch werden und ich nicht viel Zeit haben würde. Vielleicht konnte ich heute Nacht noch einmal vorbei schauen, falls uns die Ork solange in Ruhe ließen und erst mal Aufstellung nahmen.

„Wir müssen auf jeden Fall noch abwarten, der erste Angriff wird vermutlich der heftigste, danach könnte es etwas ruhiger werden, falls wir den überstehen und dem Gegner genügend Verluste beibringen können. Eventuell sind wir ja noch nicht ganz umzingelt, dann solltest du sofort verschwinden - aber ich denke mal, es ist dafür zu spät. Wir werden mehr erfahren, sobald wir den Report von den Offizieren bekommen. Wer weiß, vielleicht gibt es ja andere Wege für ihre Nachschubstrecken, wir sind gut befestigt, und falls ihre Verluste zu hoch sind …“

Er verstummte, als ihm klar wurde, das er sich an einen imaginären Strohhalm klammerte. Wir gingen zu seinem Haus, wo wir als erstes Kaffee kochten. Der Kaffee tat gut, ich genoss ihn so gut und langsam wie möglich, trotz der schlechten Stimmung.

„Georg, du wirst dich mit Althea absetzen. Wir werden diese Schlacht nicht überstehen, und falls doch, brauchen wir Hilfe. Ich muss jemanden schicken, auf den ich mich voll verlassen kann und der verhandeln kann. Du wirst als mein Sohn die notwendigen Verhandlungen führen, falls wir irgendwo ein Bündnis eingehen können. Ich schicke dich mit Althea auf die Reise - auch, weil ich hoffe, dass wir die Elfen für unsere Sache gewinnen können. Alle alten Sagen und Geschichten sagen, die mächtigsten Magier und Zauberer kommen aus ihrer Rasse. Ein Problem für euch könnte es werden, Althea an ihre Wurzeln zu erinnern, sodass ihr den Weg zu den Elfen findet, und ihr habt nicht viel Zeit. Sie hat bisher merkwürdigerweise keinen Drang gehabt, den anderen Elfen zu folgen. Wie auch immer, Georg, wirst du gehen, kann ich mich auf dich verlassen? Es wird auf Geschwindigkeit ankommen und ihr müsst wohl oder übel zu Fuß gehen.“

Georg schaute seinen Vater wutentbrannt an.

„Du weißt genau, dass andere aus der Truppe für so einen Auftrag besser qualifiziert sind, ich will bei dir bleiben, du brauchst mich hier und du weißt das auch. Ich werde dich auf gar keinen Fall im Stich lassen.“

Ich verließ den Raum, das war nicht meine Angelegenheit, außerdem hatte ich das Gefühl, dass die beiden jetzt ein bisschen Zeit alleine brauchten. Es dämmerte langsam, vor der Tür standen einige der Offiziere und diskutierten.

„Solltet ihr nicht innerhalb einer Stunde einen Lagebericht abgeben?“ fragte ich sie unverschämterweise, und wurde auch prompt mit einigen bösen Blicken bedacht. Andere waren eher zurückhaltend, sie konnten mich wohl nicht richtig einschätzen und waren vorsichtig. Keinen von ihnen hatte ich beim Kämpfen getroffen, ich vermutete, dass sie eigene Bereiche hatten. Das war sinnvoll, die Truppen sollten immer ein bisschen Distanz voneinander halten, es gab zwischen Soldaten immer wieder Spannungen.

Ich hätte gerne mit einigen von denen die Klinge gekreuzt, ich war in den letzten Wochen deutlich besser geworden und hatte eigentlich so ziemlich alle Grundlagen und zusätzlich ein paar ziemlich nette Überraschungen parat. Außerdem war ich von den Reflexen her allen Soldaten, die ich hier kannte, sowieso weit überlegen.

Einer der Offiziere hob sich von den anderen ab, er zeigte weder böse Blicke noch irgendeine andere Regung. Stattdessen strahlte er ruhige Kompetenz aus. Er war Anfang vierzig, schätzte ich mal.

„Wir haben alle Informationen zusammen. Wir vermuten, zwei der Kundschafter haben es nicht geschafft, sie sind beide nach Osten gegangen und nicht zurückgekehrt. Es schaut ziemlich düster aus, wir sitzen hier auf jeden Fall fest. Hans hatte recht, wir kommen nicht mehr raus, wir sind bereits nach allen Seiten abgeriegelt. Und sie machen sich für den Angriff fertig. Ich schätze, morgen früh geht es los.“

„Wir können also keine guten Nachrichten bringen, aber wir haben immerhin welche. Ist er beschäftigt oder können wir rein?“ fragte ein anderer.

Ich nickte ihm zu und ging voran. Das Geschrei der beiden war ziemlich deutlich zu hören, deshalb wollte ich den Streit beenden. Und zwar bevor sie etwas sagten, was einer dem anderen wirklich übel nahm. Die Ursache für den Streit war ja eigentlich ihre unerschütterliche Liebe und dass sie sich umeinander sorgten.

Die Offiziere blickten sich etwas betreten an, aber niemand sagte etwas. Die Älteren und Erfahrenen nickten leicht, als schienen sie mit einem der Standpunkte einverstanden zu sein, ich vermutete, es war der von Hans.

Ich ging in die Küche und alle anderen folgten mir. Die Zwei stritten so laut, dass sie uns zuerst gar nicht bemerkten.

„Ich schätze ma,l irgendjemand muss gehen, und ich denke auch, dass Georg die besten Chancen hat. Wir brauchen zwar jeden Mann hier, aber wenn wir jemand schicken, sollte es schon einer von den besten sein“, meinte der, der mich vorhin angesprochen hatte.

Georg und Hans verstummten, als ihnen klar wurde, dass noch mehr Personen anwesend waren. Georg wurde noch blasser und stürmte aus dem Zimmer. Ich sah Hans fragend an, und er nickte mir zu. Ich lief Georg hinterher; wie die weitere Besprechung hier ausfallen würde, konnte ich mir auch so in etwa vorstellen. Die wichtigste Information hatte ich schon: Keine Chance, hier schnell herauszukommen. Ich musste eine brauchbare Lücke für uns zwei suchen und auf jeden Fall nachts verschwinden, wenn es richtig dunkel war. Idealerweise lebend.

Georg war auf dem Weg in die Kneipe, wie ich schon vermutet hatte. Ich rannte hinterher und holte ihn bald ein. Anstatt überflüssige Reden zu schwingen, ging ich schweigend neben ihm her.

„Er ist doch mein Vater“, sagte er schließlich, als würde dieser eine Satz alles erklären, und eigentlich tat er das auch.

Ich legte meinen Arm um seine Schulter und drückte ihn an mich. Wir erreichten die Kneipe und bestellten jeder ein Bier. Ich grübelte, wie ich es ihm einfacher machen konnte, aber mir fiel nichts Intelligentes ein. Vermutlich gab es keinen guten Weg ihn zu trösten, an einen Erfolg unserer Mission glaubte er ebenso wenig wie ich. Wir tranken eine Weile schweigend und gingen früh nach Hause, jeder in seine eigenen Gedanken versunken.

Schlachten sind etwas Schreckliches und Furchtbares. In einer Schlacht gerät immer alles völlig außer Kontrolle. Es ist das pure Chaos und jede Art von Kontrolle in einer Schlacht ist völlige Illusion. Als grobe Faustregel für Schlachten könnte man sagen, dass in etwa eine zweifache Übermacht ausreichen sollte, um einen Sieg zu erreichen. Leider stimmt das nur, wenn man äußere Einflüsse, wie das Gelände, völlig außer Acht lässt.

Richtig kompliziert wird es, wenn man eine Festung erstürmen will, sehr viele Faktoren sind dann ausschlaggebend, wie zum Beispiel die Technik und Qualität der Belagerungsmaschinen und der Artillerie.

Das hatte ich in meiner Zeit beim Militär und aus diverser Literatur gelernt. Ich hätte es gerne bei der Theorie belassen, niemand will wirklich Krieg. Krieg ist unerträgliches und entsetzliches Grauen. Und eine Schlacht ist der schlimmste Teil des Krieges.

Ich hatte einiges über den Ersten Weltkrieg und die Grabenkämpfe gelesen. Die Idee zum „Herrn der Ringe“ wurde im Ersten Weltkrieg in den Gräben an der Französisch-Deutschen Grenze geboren. Die unglaubliche Brutalität und die Verzweiflung dieses Krieges war in die Geschichte eingeflossen.

Was genau Menschen dazu bewog, Soldaten zu werden und in den Krieg zu ziehen, wusste wohl niemand so genau, die meisten Soldaten seit je her ziehen in den Krieg, um ihre Familien und ihr Land zu beschützen. Wir kämpften aus einem noch simpleren Grund, wir kämpften um das nackte Überleben. Die Ork würden bei niemandem Gnade walten lassen, das hatten wir alle schon auf das Bitterste gelernt. Ich hatte es, und mit Sicherheit nicht als Einzige, am eigenen Leib erfahren.

Diese Menschen hier nicht zu beschützen war für mich völlig undenkbar. Also würde ich genau wie alle anderen Soldaten kämpfen, und wenn nötig, auch dafür sterben. Die Ork waren uns deutlich stärker als nur zweifach überlegen, eher zehnfach, selbst wenn wir alle Bewohner mit einrechneten, nicht nur die Soldaten. Wir hatten nicht die geringste Chance.

Irgendwann gingen wir zu Bett, Georg war immer noch sehr unglücklich über die Entscheidung seines Vaters.

Am nächsten Morgen lag auf dem Stuhl, auf den ich normalerweise meine Kleider ablegte, etwas Neues.

Ein glänzendes und gut geöltes, nagelneues Kettenhemd. Auf der Innenseite des Kettenhemds war eine dicke Lage Wollstoff festgenäht, um die Kleidung darunter zu schützen und Treffer abzufedern. Ich fand auch eine dicke, schwarze Lederjacke, die über dem Kettenhemd getragen werden sollte, und eine ebenfalls dazu passende Lederhose mit doppelt genähten Verstärkungen an einigen Stellen, die mir ebenfalls wie angegossen passte.

Die Jacke hatte die passenden Haken für die Ösen am Kettenhemd. Das Kettenhemd wurde ebenfalls in die Lederhose eingehakt, alles passte perfekt zusammen.

Stiefel, ebenfalls schwarz, mit jeweils einem Dolch außen in einer Lederscheide. Die Stiefel sahen aus wie Soldatenstiefel, nur deutlich schlanker und schmaler, gemacht für zierliche und schlanke Elfenfüße. Das alles hier war offensichtlich extra für mich angefertigt worden.

Mit einem feierlichen Gefühl zog ich mich an. Das Kettenhemd kam als letztes, es war schwer, würde mich aber nicht besonders behindern. Als ich alles verbunden und festgeschnürt hatte, betrachtete ich mich im Spiegel.

Die Hosenbeine waren sehr lang, aber auch relativ eng anliegend, boten aber trotzdem genug Freiheit, sich sportlich darin zu bewegen. Ich sah kritisch auf mein mittlerweile ziemlich langes, silbernes Haar, was mich so behindern würde. Ich machte mir einen Zopf, Pferdeschwanz bekam ich gerade so noch hin.

Mir fiel eine der Regeln aus meinen Büchern ein, Elfen, Magie und Eisen. Irgendwas störte mich an der Kombination. Ich fühlte mich jedoch großartig. Ich rief die Schleier herbei, und sie kamen sofort, ich hatte anscheinend keine Einschränkungen mit dem Kettenhemd. Das Metall fühlte sich ein bisschen ungewohnt an, ich war aber noch beweglich genug, um nicht allzu viel meiner Schnelligkeit zu verlieren. Für eine Schlacht sicherlich das Ideale, dachte ich bei mir und ging die Treppen herunter.

„Du siehst toll aus, Althea“, rief Hans erfreut, als ich die Küche betrat.

„Hans, ich danke dir! Ich werde auch nicht fragen, wie die Sachen in mein Zimmer gelangt sind.“ Ich zwinkerte ihm zu und verbeugte mich.

Dann rannte ich zu ihm, umarmte ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Etwas so Wertvolles und Schönes hatte ich noch nie bekommen.

Er wurde tatsächlich rot, ich konnte mein glückliches Lächeln aber nicht unterdrücken. Ich drehte mich im Kreis vor ihm.

„Wie siehts aus?“

„Wirklich großartig!“ Er hustete verlegen. „Wegen meines Besuchs in deinem Zimmer, -ich sehe dich schon ein bisschen wie eine Tochter. Kannst du mir vergeben?“

„Du darfst, wann auch immer und so oft du möchtest, mein Zimmer besuchen, vor allem natürlich, wenn du so schöne Dinge hineinlegst.“

Ich lächelte ihn überglücklich an und umarmte ihn noch einmal, gerührt, dass er mich in seine Familie aufgenommen hatte. Ernst sagte ich zu ihm:

„Du wirst mir damit heute bestimmt mehrmals das Leben retten, ich kann dir dafür nicht genug danken.“

Er erwiderte meine Umarmung und lud mich zum Frühstück ein. Ich genoss meinen Kaffee und gönnte mir reichlich zu essen, ich hatte ziemlichen Hunger. Irgendwann kam endlich auch Georg dazu. Er lachte, und mir war sofort klar, dass auch er Bescheid wusste.

„Woher hattet ihr meine Maße, es passt alles so perfekt?“, fragte ich ihn.

„Eines der Mädels hier hat fast deine Maße, wir haben einfach nur alles noch einmal enger und länger machen lassen. Ist es zu schwer? Ich hoffe nicht, wir haben versucht, es so leicht wie möglich zu machen, im Notfall kannst du einfach die Lederjacke ausziehen, und du verlierst eine Menge Gewicht. Du hast fleißig trainiert, auch mit den Gewichten, jetzt kannst du die zusätzlichen Muskeln gut brauchen.“

Er grinste mich an. Ich umarmte auch Georg, dann wandten wir uns wieder dem Frühstück zu. Ich war beeindruckt, was für eine Schneidermeisterleistung das war, auch wenn vorhandenes Material „nur“ angepasst worden war. Das sah ganz anders aus als die Rüstungen der Ork oder der anderen Soldaten.

Das restliche Frühstück verlief schweigend. Meine kurze Euphorie ließ schnell wieder nach, und mit düsteren Gedanken erwartete ich den Tag.

 

 

14 Die Schlacht

 

Ohne aufzuräumen liefen wir im Laufschritt zum Tor und besetzten die Wälle, Hans wies uns unsere Plätze zu. Es waren bereits einige Soldaten anwesend, die sich ebenfalls auf den ersten Angriff vorbereiteten. Es kamen immer mehr von unseren Soldaten hinzu, es war mir nicht klar gewesen, dass es so viele waren. Ein stolzes und mächtiges Gefühl, dieser Truppe anzugehören, machte sich in mir breit.

Einer der Soldaten kam aufgeregt über die Wälle gelaufen, anscheinend ein Bote von einem der anderen Offiziere. Völlig außer Atem kam er bei uns an.

„Hans, die Waffen funktionieren nicht mehr! Keine einzige Schusswaffe! Es ist gespenstisch, wir hatten einen Schusswechsel mit einem Stoßtrupp, plötzlich verstummten alle Schüsse, wir wissen nicht, was passiert ist. Die Ork hatten ebenfalls Schusswaffen, die zum gleichen Zeitpunkt die Funktion einstellten.“

Man konnte den Hoffnungsschimmer deutlich sehen, der über Hans´ Gesicht huschte.

„Ich weiß auch nicht, was es zu bedeuten hat, aber es kommt für uns sicherlich gerade richtig. Bitte sag Sabine Bescheid, sie möchte zu mir kommen, und dann kehr auf deinen Posten zurück, das könnte das Blatt tatsächlich für uns wenden. Wir wären die Einzigen mit wirklich effektiven Fernwaffen, unseren Magiern.“

Er blickte Christian an, der ebenfalls zu uns gestoßen war.

„Das riecht ganz sicher nach Magie, meinst du nicht, alter Freund? Ich warte die ganze Zeit schon auf die ersten größeren Geschütze von den Ork. Mit einer so großen Armee hat der Gegner sicher auch welche aufsammelt, unvorbereitet sind sie hier nicht erschienen. Ihre Artillerie können sie jetzt vermutlich auch vergessen, genauso wie wir. Ich hatte auch schon an Artillerie gedacht, aber mir war der Aufwand, sie zu bewegen, zu hoch, wir hatten wichtigere Dinge zu tun. Dachte ich jedenfalls.“ Er schüttelte den Kopf.

„Das könnte uns die Zeit geben, die wir dringend brauchen.“ Er ließ sich von einem Posten die Waffe reichen, und gab ein paar Schüsse ab. Alles, was wir hörten, war ein Klicken. Auch mehrmaliges Durchladen half diesmal nichts.

„Das Glück ist auf unserer Seite. Wir haben dadurch einen ordentlichen Vorteil erlangt, die Wälle sollten uns gegen vieles schützen. Schlechtere Katapulte in Schussweite sind für Sabine und ihre Truppe bestimmt kein Problem.“

Auch Christian sah man an, dass er etwas Hoffnung schöpfte. „Sie funktionieren schon seit ein paar Wochen sehr unzuverlässig, jetzt gehen sie wohl gar nicht mehr. Ich bin nicht unglücklich darüber, die Banden hier in der Gegend hatten nicht viele Waffen, aber die dort bestimmt.“

Christian zeigte auf die Truppen, die sich für den Angriff bereit machten.

„Vielleicht bleiben sie funktionslos, dann haben wir eine kleine Chance, das alles hier zu überleben. Wenn sie die Palisaden nicht durchbrechen.“

Hans blickte gedankenverloren auf den Gegner und stützte die Fäuste auf die Brüstung.

„Wir müssen die Wälle verstärken; wenn wir unter den Wehrgängen eine Stein- oder Lehmfüllung hätten, könnten wir sie damit zusätzlich stützen. Mit mittelalterlichen Mitteln ziemlich schwer zu brechen. Feuer können wir hoffentlich schnell genug löschen, bevor sie die Wälle beschädigen. Wasser haben wir genug, Sand ebenfalls. Steinwälle werden wohl nicht schnell genug fertig. Ich hoffe, wir können sie mit unserem Material aus den leeren Häusern hier so bald wie möglich aufbauen, sonst müssten wir das Material von außen holen. Hinter den Palisaden ein weiterer Wall, was meinst du, Christian?“

„Falls wir den ersten Sturmangriff überstehen, könnte es vielleicht doch zu schaffen sein. Alle müssen eben mithelfen, auch die Zivilisten und Kinder. Ich hoffe bloß, die Belagerung dauert nicht zu lange, wir sind nicht darauf vorbereitet. Aber eine wirklich lange Belagerung kann sich unser Gegner auch nicht erlauben. Ich habe genug Bögen und Pfeile, wir sollten damit noch einen Vorteil haben.“

Christian hatte jetzt offensichtlich seine Lethargie abgeschüttelt. Hans nickte ihm zu.

„Du bist eben doch auf alles vorbereitet, alter Freund“, grinste er.

Sabine war inzwischen angekommen und kletterte auf den Turm. Georg reichte ihr die Hand und half ihr, die letzten Stufen zu überwinden.

„Sabine, was meinst du, warum funktionieren die Waffen nicht mehr? Etwas Unerklärliches wie das hier riecht in meinen Augen immer nach Magie, aber vielleicht täusche ich mich ja auch.“

Hans blickte sie fragend an. Sabine lächelte leise und antwortete ziemlich schnell.

„Nein, du hast recht. Wir haben es alle gespürt, es war wie ein riesiges Beben im magischen Netz. Wer auch immer diese Magie gewirkt hat, hat wesentlich mehr Erfahrung und Macht damit als wir, ich wüsste nicht einmal annähernd, wie man so etwas erreichen kann. Es ist eine Art Puffer, eine magische Barriere, wie wir sie auch verwenden, allerdings sehr viel mächtiger. Es gibt für uns keine sichtbare Grenze, und das Muster ist so kompliziert gewebt, dass wir es nicht einmal ansatzweise verstehen. Ich kann jedoch sehen, dass es sich direkt aus der Quelle der Magie bedient, um sich zu erneuern. Ich denke nicht, dass wir es irgendwie brechen oder umgehen können, auch in hundert Jahren nicht. Selbst wenn wir es könnten, würden wir dabei zu viel im magischen Gewebe zerstören. Das Muster verhindert irgendwie die chemische Reaktion, die eine Explosion hervorrufen würde. Wir vermuten, dass es sie so stark verlangsamt, dass einfach nicht schnell genug Druck aufgebaut werden kann. Keine Schusswaffen oder Sprengstoff, das ist die direkte Konsequenz daraus. Ich weiß nicht, was noch alles davon betroffen sein könnte.“

Mir wurde plötzlich klar, was sie mit dem Beben meinte, ich hatte es ebenfalls gespürt. Ich hatte angenommen, dass es zu den Vorbereitungen von Sabine und ihrer Truppe gehörte. Eigentlich war dies hier sowieso Sabines Welt, ich konnte vieles nicht tun, was für sie kein Problem darstellte. Da meine Magie von anderer Art war, übersah ich im Gegensatz zu ihr viele Aspekte der menschlichen Magie. Allerdings war das Beben so mächtig gewesen, dass auch ich es kaum übersehen konnte.

„Ich denke mal, damit können wir leben, das könnte unsere Rettung sein. Irgendeine Ahnung, wer so etwas bewerkstelligen könnte, Sabine?“, fragte Hans neugierig, wenn auch wohl ohne viel Hoffnung auf eine Antwort.

„Ich habe keine Ahnung, es kann nur eine große Gruppe von sehr mächtigen Magiern gewesen sein. Wir haben bei Weitem nicht die Möglichkeiten für so etwas, ich hoffe nur, es waren nicht die dort.“

Sie zeigte auf die Truppen auf der Ebene.

„Falls die Magier dieses Kalibers haben, sind wir so gut wie tot. Wir haben auch so keine Hoff...“

Hans legte seine Hände auf ihre Schultern und unterbrach sie.

„Ich weiß. Mach dir keine Sorgen, wir sind bis heute noch keinen Ork-Magiern begegnet. Ich glaube nicht, dass sie recht zahlreich sind. Falls sie überhaupt in der Lage sind, die Magie zu beherrschen. Denkst du, ihr könnt Katapulte vernichten?“

Sabine lächelte schon etwas hoffnungsvoller als gerade eben noch.

„Zeig mir einfach, wo sie stehen, wir erledigen sie für dich.“

Sie lächelte mich ebenfalls an. Ich fand, sie sah auch hier oben in ihrem einfachen Gewand einfach umwerfend aus. Wieder einmal fragte ich mich, ob ich mich je an meinen weiblichen Körper gewöhnen würde und seufzte etwas wehmütig. Sie verließ uns und stieg die Leiter herunter, jedoch nicht ohne beim Vorbeilaufen mit ihrer Hand über meinen Hintern zu streichen, außer mir bemerkte es aber niemand. Mir liefen wohlige Schauer den Rücken hinunter. Ob sie mein sehnsüchtiges Seufzen bemerkt hatte und mich trösten wollte?

Hans sah jetzt deutlich zuversichtlicher aus als noch einige Stunden zuvor.

„Dann lasst uns mal die Verteidigung vorbereiten, sie werden sicherlich trotzdem bald angreifen. Christian, sorg bitte dafür, dass wir überall genug Bogenschützen haben. Ich will aber die meisten auf der Seite, die am stärksten attackiert wird. Denk dir selbst was aus, wie wir das hinkriegen. Die Bogenschützen müssen die Ersten hier sein, am besten so viele wie möglich auf den Türmen, dort werden sie die größte Durchschlagskraft haben.“

Christian grinste, salutierte und verschwand. Ich konnte Hans gut verstehen, ich wusste genau wie er, dass diese Aufgabe zuverlässig erledigt werden würde, die wichtigsten Aufgaben für die besten Leute.

Georg und ich blieben bei Hans, die Truppe am Haupttor war seine eigene. Anscheinend hatte Hans eine kleine persönliche Truppe, genau wie jeder seiner Offiziere auch, die er unter seiner eigenen Fuchtel hatte. Georg und ich bekamen einen Platz direkt über dem Tor zugewiesen, für den wir zwei heute verantwortlich waren. Zu wenige ausgebildete Offiziere in Hans Armee, da musste jeder mithelfen, auch der General selbst. Einige seiner Offiziere kamen sogar mir recht grün vor. Und ich hatte sicherlich am wenigsten Ahnung vom Militär.

Ich sah, wie die Bogenschützen auf ihre Positionen eilten, die Soldaten nahmen alle gewissenhaft und diszipliniert ihre Posten ein. Ich sah ihnen an den Gesichtern an, dass sie wussten, dass es hier um unser Überleben ging. Die Palisaden füllten sich mit Soldaten mit Speeren und Bogen in der Hand. Pfeile wurden nach oben gereicht, es waren große Bündel, ich fragte mich, wer die alle gefertigt hatte, und bewunderte wieder einmal die Weisheit und die Vorbereitung der Menschen hier.

Überall auf den Palisaden wurden lange Lanzen ausgelegt. Die Lanzen hatten eine Spitze und einen umgekehrten Widerhaken. Die Funktion wurde mir klar, als ich auf die Sturmleitern der Ork blickte, die auf der anderen Seite herangetragen wurden.

Das Heer der Ork tat mehr oder weniger das Gleiche wie wir, sie nahmen auf dem Feld vor dem Osttor Aufstellung und bereiteten sich auf die Schlacht vor. Es ging nicht so diszipliniert zu wie bei uns, einige Male gab es sogar lauten Streit zwischen den einzelnen Trupps. Schließlich hatten sie sich aufgestellt, und es kehrte Ruhe ein.

Wir waren zum Glück ebenfalls fertig, ich sah als Letztes noch Sabine und ihre Truppe sich verteilen und in die hohen Türme aus Holz klettern, wo sie am sichersten waren und den besten Überblick hatten. Die Offiziere der Ork brüllten weiter Kommandos, verstehen konnte ich nach wie vor jedoch kein Wort.

Ich fragte Hans nach der Sprache, er zuckte jedoch nur mit den Schultern.

Die Spannung lag wie Elektrizität in der Luft, wie bei einem Gewitter, die Wolke der Ork rieb sich an der Wolke der Menschen, und bald würden schreckliche Entladungen die Folge sein. Ich konnte es fast körperlich spüren, und es ging den anderen Soldaten auf den Mauern auch nicht viel anders, wenn ich das nervöse Zucken von Händen oder Füßen einiger betrachtete.

Die Magier auf den Türmen blieben anscheinend ruhig und bereiteten sich meditierend vor, ich sah keinen Einzigen, der einen nervösen Eindruck machte. Die Magier hingen von ihrer Konzentration ab, ohne die funktionierte bei ihnen nichts. Da hatte ich es mit meiner Magie etwas einfacher, allerdings ließen auch meine Fähigkeiten nach, wenn ich nicht konzentriert genug war.

„Macht euch kampffertig!“, rief Hans.

„Kampffertig machen!“, wurde der Befehl auf beiden Seiten wiederholt. Bögen wurden probeweise gespannt, Pfeile und Speere bereitgelegt und Schwerter gezogen.

„Noch nicht feuern!“, rief Hans.

„Nicht feuern!“

Wieder wurde der Befehl zu beiden Seiten lauter wiederholt. Wir waren genau zum richtigen Zeitpunkt fertig geworden, die Ork waren ebenfalls bereit.

Ein einzelner Ork trat nach vorne. Es war der kräftigste und hässlichste Ork, den ich je gesehen hatte. Er hatte eine tiefschwarze Stahlrüstung an und trug ein ziemlich gut geschmiedetes Schwert, von dem zu urteilen, was ich von hier aus sehen konnte. Er rief das Heer zur Ordnung und brüllte noch zwei Befehle. Zwei der Ork, die sich eben noch bei der Aufstellung geprügelt hatten, wurden vor ihn geschleift. Er brüllte etwas laut, dann stellten sie die beiden Ork vor ihm auf. Er zog sein Schwert und köpfte die beiden mit einem Hieb. Die Körper sackten zusammen, die beiden Köpfe rollten bis zu den Orksoldaten, die den blutigen Geschossen auswichen. Er brüllte noch ein paar Sätze, dann drehte er sich zu uns um.

Das musste der Anführer sein, vermutlich der gefährlichste Ork von allen. Seine lauten Rufe erschallten unter den Ork, das ganze Heer antwortete immer wieder donnernd wie mit einer Stimme. Die lauten Kampfrufe und die Demonstration ihrer Entschlossenheit erfüllten ihren Zweck, wir waren deutlich ängstlicher als noch ein paar Sekunden zuvor, dafür nahm die Aggression bei den Ork immer weiter zu.

Im Gleichschritt kam das Heer näher und verteilte sich breit vor der Festung. Dann liefen sie langsam los, wurden immer schneller, und schließlich stürmten sie aus tausenden von Kehlen schreiend auf uns zu.

Der Angriff war furchtbar. Viel schlimmer, als ich es mir in meinen schlimmsten Albträumen vorgestellt hatte.

Trotzdem war ich plötzlich sehr ruhig.

Sie trugen schwere und hohe Sturmleitern in ihren Reihen, es waren so viele, einfach unglaublich viele. Sie hatten mehrere Arten von Leitern, die stabilsten waren schwere Stämme mit kleinen Stufen und Ästen an der Seite, mit breiten Querstämmen unten, auf denen die Leitern aufgestellt wurden, um sie gegen seitliches Kippen zu sichern.

Hans rief wieder laut Befehle. „Bogenschützen und Magier zum Feuern bereit machen, alle bereit machen!“

Ich konnte jetzt schon die Rüstung der Ork genauer erkennen. Kaum jemand von ihnen war besser als die Truppen ausgestattet, die ich vor einigen Wochen gesehen hatte. Die Rüstung saß schlecht oder war teilweise gar nicht vorhanden, ich sah sogar einige nackte Oberkörper. Viele kämpften mit riesigen rohen Schwertern, andere hatten Äxte, Speere und teilweise sogar einfache, aber schwere Knüppel. Sie hatten sehr viele gehärtete Lederschilde, die mit Metallteilen verstärkt waren.

„Feuer! Macht die Hunde fertig!“, schrie Hans. Auch das wurde die Palisaden entlang immer weiter wiederholt.

Die Bogenschützen nahmen nun ihre tödliche Arbeit auf, und die Reihen der Ork lichteten sich spürbar, ihre Rüstungen boten wenig Schutz gegen den unerbittlichen Pfeilhagel. Manche fielen auch nur zurück, weil sie sich um Pfeile kümmerten, die in ihren Gliedmaßen steckten, aber viele sanken in den Staub, um sich nie wieder zu erheben. Leider war der Nachschub an Ork schier unerschöpflich. Die Sturmleitern wurden angelegt und die Truppe auf den Palisaden sofort aktiv.

Mit Georg zusammen hatte ich ein wenig links vom Tor oben Stellung bezogen. Die erste Leiter wurde direkt vor mir angelegt, ein Ork hatte sich mit der Leiter nach oben katapultieren lassen und flog direkt auf mich zu. Schauer liefen mir den Rücken hinunter, als mir klar wurde, was ich gleich zu tun hatte. Angst umklammerte für einen winzigen Moment mein Herz, dann konnte ich das Gesicht des Ork direkt vor mir sehen und reagierte instinktiv.

Ich stach mit der Lanze zu, der Ork griff sich an den Hals, sein Kampfschrei erstickte in seinem Blut. Dann zog ich die Lanze zurück und hakte sie in die oberste Sprosse der Leiter ein. Ich drückte, so fest ich konnte, nach vorne, als der nächste Ork gerade an seinem Kumpan vorbei über die Brüstung schaute.

Die Leiter kippte nach hinten, die daran hängenden Ork klammerten sich fest. Dann fiel die Leiter endlich um.

Wir bekamen ziemlich schnell den Bogen heraus, wann wir mit den langen Lanzen die Leitern umstoßen mussten, um den größten Schaden anzurichten. Wenn man die Leiter zu früh umwarf, passierte gar nichts, sie wurde nur wieder aufgestellt. Den Pfeilen der Ork auszuweichen war möglich, aber man konnte sich nicht ununterbrochen darauf konzentrieren.

Kurze Zeit später war ich deshalb zu spät mit der Lanze an einer Leiter, der Ork sprang auf die Palisaden, zog sein Schwert, stürmte auf mich zu und schlug auf mich ein. Ich ließ die Lanze gezwungenermaßen fallen, griff nach meinem Schwert und rief die Schleier. Ich parierte seinen Schlag, gab der Leiter mit meinen Kräften einen deutlich festeren Stoß, als ich es mit der Lanze vermocht hätte, und konterte die Angriffe des Ork.

Mein Schwert fuhr in sein Auge und traf auf das Gehirn dahinter. Er sackte sofort zusammen. Ich wischte das blutige Schwert an ihm ab, steckte es weg und nahm wieder die Lanze auf.

Unsere Bogenschützen waren unermüdlich und sorgten für den größten Schaden beim Gegner, die Pfeile fanden jede Lücke in den Schildwällen der Ork, und wenn nicht von oben, dann von der Seite.

Der Anführer des Heeres brüllte unermüdlich seine Befehle und trieb die Orksoldaten immer wieder zum Angriff an. Wir lernten alle auf die harte Tour, diese Stimme zutiefst zu hassen; immer wenn wir dachten, wir bekamen eine Atempause, bemerkte der schwarze Ork die Lücke und schickte frischen Nachschub in die Schlacht.

Sabine und ihre Magier in Aktion zu sehen war etwas völlig anderes als beim Training. Ich konnte gut beobachten, wie sie ihre Feuerbälle auf den Gegner schossen. Es war tödlich und grauenhaft, aber auch wunderschön. Sabine sah in meinen Augen einfach umwerfend aus, wie sie gleich ganze Reihen der Ork in magischem Feuer badete. Wie eine mythische Göttin der Rache, die ihr wütendes Feuer auf den Feind herabregnen ließ. Genau wie ein Lavastrom wunderschön war, während er ganze Städte und Landstriche vernichtete.

Es war eine fürchterliche Waffe, allerdings war unser Feuer nicht nahe an den Holzpalisaden einsetzbar, aus offensichtlichen Gründen. Das Feuer hatte eine hypnotische Wirkung auf mich, ich musste meinen Blick immer wieder fast mit Gewalt davon abwenden.

Die Magier hatten jeweils noch sechs Fußsoldaten bei sich auf dem Turm, die sie beschützen sollten, falls jemand zu dicht an sie herankam, und außerdem noch dazu zwei Bogenschützen. Diese schossen von weit oben auf die Ork, es waren die Sportschützen mit der größten Reichweite. Die Bogenschützen auf den Mauern hatten nur wenige Meter zu überwinden. Leider genau wie die Ork von unten, die bei uns einen furchtbaren Blutzoll verursachten.

Katapulte waren bei den Ork keine zu sehen, also hielten sie sich wohl zurück oder sie hatten tatsächlich keine. Eine große Haubitze wurde irgendwann in Position gebracht, und wir bekamen alle einen riesigen Schrecken, dabei blieb es zum Glück aber, die Ork machten sich ohne Erfolg an dem Ding zu schaffen.

Georg und ich bekamen nach stundenlangen Angriffswellen endlich eine kurze Atempause. Der schwarze Ork hatte die Lücke bei uns anscheinend diesmal noch nicht bemerkt. Ich blickte nach unten in Richtung Stadt und sah einige Ork auf unserer Seite! Sie kämpften mit unserer Reserve, sie mussten irgendwo über die Wälle gekommen sein. Ein schneller Blick zu den Seiten und ich überzeugte mich davon, dass die Lücke auf der Mauer anscheinend schon wieder geschlossen worden war. Ich blickte Georg kurz an, er nickte zustimmend, und ich kletterte schnell die Leiter am Wall herunter, um unten auszuhelfen.

Das Schwert war schnell gezogen, und auch einer der Dolche, der aus meinem linken Stiefel. Ich rannte auf die Ork zu, als der Erste auf mich zukam. Ich rollte mich unter seinem wuchtig geführten Schlag über meiner Schulter ab, hob mein Schwert mit der rechten Hand nach oben, um den erwarteten zweiten Schlag abzuwehren, und stieß dem Ork mein Messer durch eine Lücke in der Rüstung in den Unterleib. Er fror ein, mitten in der Bewegung, seine Hand griff nach seinem Bauch, dann sank er in sich zusammen. Ich nahm mir vor, Franz für jede Trainingsstunde einzeln zu danken, wenn ich das hier überleben sollte.

Pfeile kamen von außen über die Wälle geflogen, ich behielt ihre Flugbahn auch jetzt, so gut es ging, im Auge um, falls notwendig, ausweichen zu können.

Der nächste Ork focht mit einem unserer Soldaten, er machte ihm schwer zu schaffen. Ich hatte einmal mit ihm trainiert, konnte mich allerdings nicht mehr an seinen Namen erinnern. Dieser Ork trug eine bessere Rüstung, die ihn gegen die Schläge unseres Soldaten gut schützte. Ich stach deshalb dem Ork mit dem Schwert von hinten in eine Lücke in der Rüstung und sein Schwertarm erlahmte. Der junge namenlose Soldat sorgte für den Rest, warf mir einen schnellen und dankbaren Blick zu und dann kümmerten wir uns gemeinsam um die restlichen Ork.

Vier weitere Ork fielen unter meinen schnellen Schwerthieben, dann schien der innere Bereich gesichert zu sein. Ich hörte die Stimme des schwarzen Ork und sah entsetzt hinauf zu Georg, der ganz allein geblieben war. Ich rannte zurück zur Brüstung, ich befürchtete das Schlimmste, kletterte die Leiter herauf und konnte gerade noch völlig fassungslos sehen, wie Georg unter den wuchtigen Hieben eines Ork fiel, noch während er einen Zweiten in Schach zu halten versuchte.

Ich schrie laut auf, und rannte auf die beiden Ork zu. Der Ork drehte sich glücklicherweise zu mir um, anstatt Georg den Rest zu geben, als er meinen wütenden Schrei hörte. Ich sah wieder die Schleier, so zornig, wütend und angsterfüllt, wie ich war, kamen sie ungerufen.

Den einen der beiden Ork warf ich direkt von der Brüstung, er schlug einige Meter weiter wie ein grausiges Geschoss bei seinen Kameraden ein. Dem Zweiten schlug ich das Schwert mit meiner geistigen Kraft so schnell und so fest ich konnte seitlich gegen den Hals. Er war noch zu verblüfft, um zu reagieren, er hatte sein Schwert nur halb erhoben, als mein eigenes bereits darauf traf.

Die Wirkung des Schlages war heftig, sein Schwert wurde beiseite gefegt und meines traf fast ungebremst seinen Hals, sein Kopf fiel über die Palisaden auf die Ork herunter und rollte über den Boden davon, sein Körper sank in sich zusammen. Zwei weitere, die sich jetzt ebenfalls von einer Leiter auf die Brüstung hinauf schwangen, griffen mich gleichzeitig an. Einer schlug das Schwert nach meiner Hüfte, der andere hieb nach meinem Kopf. Meine geistigen Kräfte arbeiteten wie von selbst und unterstützten meine Paraden.

Den Schlag auf die Hüfte wehrte ich mit dem Messer ab, den auf den Kopf mit dem Schwert. Der eine Ork sank plötzlich ganz von alleine nach vorne, ein Pfeil in seinem Rücken sagte mir auch warum.

Nun stand der letzte Ork mir plötzlich ziemlich alleine gegenüber. Er holte mit einem wuchtigen Schlag aus, den ich mit dem Schwert und den Schleiern parierte. Er schaffte es irgendwie, das Schwert für einen weiteren Schlag herumzureißen, sehr viel schneller als ich es erwartete hatte. Ich blockte den Schlag mit meinem Messer, mein Schwert krachte fast gleichzeitig schwer auf seine rechte Schulter herunter, allerdings fing seine Rüstung den meisten Schaden ab.

Sein nächster Hieb galt meinem Kopf, mein Schwert kam hoch und blockte ihn ab. Ich machte einen langen Ausfallschritt nach vorne, mein Messer zuckte nach oben und drang in seine Achsel ein, tief genug um ihn aufstöhnend auf die Knie sinken zu lassen, seine Hand presste sich gegen die Wunde. Ich holte erneut aus und mein Schwert trennte seinen Kopf von den Schultern.

Ich sah mich um, die Leiter war immer noch an der Mauer und weitere Ork kamen nach oben. Ich stieß dem Nächsten das Schwert ins Gesicht, er wich aus, verlor das Gleichgewicht und fiel nach unten, seine Kameraden mitreißend. Dann kippte ich die Leiter wieder fest nach hinten und kniete mich atemlos und besorgt zu Georg auf den Boden.

Ich hielt die Luft an, doch dann stöhnte Georg auf. Er war offensichtlich nur bewusstlos gewesen und hatte höchstens mit einer flachen Schwertseite oder etwas ähnlichem Bekanntschaft gemacht.

Ich reichte ihm meine Hand und zog ihn unendlich erleichtert hoch. Ich umarmte ihn schnell und gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. Dann wandte ich mich der Brüstung zu.

„Hey, wofür war das denn? Das hat wehgetan!“ rief er halb ernst gemeint.

„Das war dafür, dass du deine Augen nicht da hattest, wo sie hingehörten, ich wette, sie waren nicht an den Palisaden und schauten nach Leitern!“

Er wurde rot.

„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, als du da unten mitten in die Ork gerannt bist.“

Ich seufzte und blickte ihn an.

„Wenn du gestorben wärst, hätte mir das dein Vater nie verziehen. Du bist ein Idiot, mich einer solchen Gefahr auszusetzen. Hans hätte mich glatt gevierteilt, da sind mir ja sogar die Ork noch lieber als das.“

Er grinste, immer noch ein wenig schmerzverzerrt.

„Hilf mir mal, vielleicht können wir die Leiter hier hochziehen, dann haben sie wenigstens eine weniger.“

Ich rief die Schleier, schubste die Ork unten von der Leiter weg, und dann zogen wir sie mit vereinten Kräften gerade so nach oben, das Ding war echt schwer. Es gab uns wirklich die erhoffte kleine Atempause, bis die Orks eine neue heranschleppten. Aber auch diese Pause war nur kurz. Dann, endlich, nach einer schier endlosen Zeit, ließen ihre Versuche, die Mauer zu erstürmen, nach. Der Boden vor dem Fort war über und über mit toten Ork bedeckt, ihre Verluste waren ziemlich hoch.

Allerdings hatten wir ebenfalls Verluste zu beklagen. Angesichts der Übermacht der Ork konnte für uns jeder Mann zu wenig letztendlich den Untergang bedeuten, die Ork hatten das Problem kaum, sie hatten immer noch eine riesige Armee mit schier unerschöpflichem Nachschub. Wir sanken völlig erschöpft in uns zusammen, wo auch immer wir standen, soweit ich nur sehen konnte, sogar die Magier und Bogenschützen. Meine Arme fühlten sich an, als würden sie sich jeden Moment von meinem Körper lösen und einfach abfallen.

 

 

15 Eine Atempause

 

Die Verletzten wurden abtransportiert, und auch die Toten. Einer der Verletzten war der junge Soldat, dem ich geholfen hatte, und ich winkte ihm müde zu. Er war bei Bewusstsein, und ich hoffte nicht zu stark verletzt. Er winkte zurück, und ich lehnte mich etwas beruhigt wieder an die Palisaden, ich nahm mir vor, ihn zu besuchen.

Hans tauchte unten auf dem Platz vor den Wällen auf, er schien noch relativ fit zu sein. Er rief ein paar Befehle, ein paar Boten gingen zur Kaserne. Zivilisten tauchten auf und fingen an aufzuräumen.

Auch die Leichen der Ork innerhalb der Mauern wurden auf Karren geladen und entfernt. Es ging alles sehr organisiert vor sich, wieder musste ich den Leuten hier meinen Respekt zollen.

Als die Ersatz-Wachmannschaft ankam, die sehr ausgeruht aussah, waren alle auf den Wällen und dahinter erst mal entlassen.

Ein Alarm würde uns überall hinter den Palisaden erreichen, eine Pause hatten wir alle nötig. Georg und ich gingen müde zu Hans, Georg sah immer noch etwas blass aus, er hatte doch einen ziemlichen Schreck hinter sich, obwohl er vorgegeben hatte, so cool zu sein.

Hans blickte mir und Georg entgegen, er wartete unten auf uns. Georg bekam noch einen Klaps auf den Hinterkopf, und dann eine enge und liebevolle Umarmung. Ich konnte Hans nicht in die Augen schauen, vor Scham über mein Versagen. Ich hatte meinen Posten verlassen und fast hätte ich deshalb seinen Sohn verloren, und es wäre meine Schuld gewesen.

Er fasste mich an den Schultern, seine Stimme war kaum zu hören, so leise sprach er.

„Ich danke dir, meine Tochter, ich schulde dir ein Leben. Du hast meinen Sohn dort oben gerettet, ohne dich wäre er unter den Toten.“

Seine Augen sahen müde aus, aber es strahlte auch wie immer ein unauslöschlicher Funken darin, die Liebe für seinen Sohn. Ich war tief berührt wegen seines Danks. War er etwa dankbar und stolz auf mich? Ich konnte es kaum fassen. Noch nie war jemand stolz auf mich gewesen.

„Du hast dich im Kampf besser geschlagen, als ich zu hoffen gewagt hätte. Ich bin jetzt ganz sicher, dass ich dir meinen Sohn anvertrauen kann. Ich danke dir.“

Ich widersprach ihm heftig.

„Aber ich hätte doch fast Georg verloren, weil ich meinen Posten verlassen habe.“

„Nie die Stellung verlassen, das ist richtig. Aber wenn es hinter einem in den eigenen Reihen rundgeht, ist es manchmal sinnvoller, es doch zu tun, mach dir keine Gedanken, ich hätte an deiner Stelle vermutlich nicht viel anders als du gehandelt. Wichtig ist, du warst, so schnell es ging, wieder oben.“

Dann legte er seine Arme um Georgs und meine Schultern.

„Kommt, bringt einen alten Mann zu seinem Haus und einem warmen Feuer im Kamin.“

Wir gingen im Gleichschritt los und verließen die Wälle, wir lachten und waren einfach nur froh, dass wir noch lebten. Wir gingen nach Hause, die anderen Soldaten und die Magier waren ebenfalls schon weg.

Hans´ Haus war so eine Art inoffizielles Hauptquartier. Dort warteten bereits die meisten der Offiziere, auch Christian. Er ging auf mich zu, legte seine Hand auf meine Schulter und griff fest zu.

„Großartige Arbeit, Mädel. Nicht alle Bereiche auf der Mauer waren so dicht wie eurer.“

Er schaute mich mit traurigen Augen an. Mir war, als konnte er den Schmerz fühlen, den ich empfand. Jeder der Ork, den ich tötete, war wie ein weiterer Schnitt in meiner Seele gewesen, es waren immerhin denkende und fühlende Wesen, die ich getötet hatte. Es war kein Vieh, die Ork waren vor kurzem alle einmal Menschen gewesen, und ich hatte heute so unglaublich viele von ihnen getötet. Ich versuchte den Gedanken zu verdrängen, aber es gelang mir nicht. Christians traurige Augen schauten, als ob er etwas wüsste, was ich noch nicht realisiert hatte. Er war offensichtlich genauso wenig wie ich glücklich darüber mich als Killer zu sehen.

„Vielleicht werden die Zeiten auch wieder einmal besser“, meinte er leise. Die anderen Offiziere klopften mir auf die Schulter und gratulierten ebenfalls, was mir aber nicht viel bedeutete. Ich konnte einfach nichts wirklich Gutes daran finden, Menschen zu töten.

„Ich denke, wir haben eine echte Elfenkriegerin hier, die ihren Wert bewiesen hat. Sie und Georg sollten sich jetzt aber schlafen legen. Es gibt nicht viel zu besprechen. Wir haben die erste Welle zurückgeschlagen, es werden weitere folgen. Georg, Althea, los, verschwindet schon.“ meinte Hans.

Wir verließen die Küche und stiegen die Treppen hinauf. Georg legte seine Hand auf meine Schulter. Er küsste mich auf die Wange und hielt mein Gesicht mit der anderen fest.

„Ich habe dir noch gar nicht gedankt, du hast mir das Leben gerettet.“

„Blödsinn, wir haben uns ständig gegenseitig gerettet. Geh schlafen, Georg.“

Ich ertappte meine Hand, als sie unbewusst nach ihm griff, berührte ihn jedoch nicht, da er bereits zu seinem Zimmer ging. Ich ging stattdessen in meines, endlich allein.

Ich brach auf dem Bett zusammen und weinte bitterlich. Ich hatte die Gedanken, so gut es ging, verdrängt, aber jetzt kamen die Schreie der Ork, die ich getötet hatte, unbarmherzig in mir hoch. Ich rollte mich auf dem Bett zusammen, außerstande, mich weiter zu bewegen oder auch nur auszuziehen. Ich war gelähmt vor Entsetzen, die Schreie meiner Opfer hallten wieder und wieder in meinen Ohren und klagten mich an. Ich schrie vor Schmerz und Scham über meine Taten ins Leere, ohne jedoch auch nur einen einzigen Ton von mir zu geben.

Hans verbarg seine Überraschung, als Sabine plötzlich in seinem Haus auftauchte. Er lächelte sie freundlich an.

„Solltest du nicht schlafen, wie alle anderen, Sabine? Nicht, dass du nicht jederzeit in meinem Haus willkommen wärst, meine Freundin.“ Er sah sie neugierig an.

„Ich musste kommen, ich werde hier gebraucht, Hans. Es geht um Althea, sie braucht Hilfe.“

Seine Augenbrauen hoben sich überrascht.

„Was ist denn los mit ihr? Sie ist oben und schläft. Was hat sie denn für ein Problem?“

„Sie schreit ihren Schmerz heraus, sie kann es nicht mehr kontrollieren. Alle können es hören, sie befindet sich in einem fürchterlichen Zustand. Sie nimmt den Tod nicht leicht, weißt du.“

„Ich sollte vielleicht nicht überrascht sein. Ich vermutete schon, dass sie mehr als nur körperliche Begabungen und schnelle Reflexe hat, sie ist offensichtlich ein magisches Wesen. Vielleicht war es ein Fehler, sie zum Soldaten auszubilden.“

Sabine sah Hans nachdenklich an, er sagte jedoch nichts mehr, sondern nahm ihren Arm und brachte sie zu meinem Zimmer. Sie betraten mein Zimmer, wo ich in voller Montur auf dem Bett lag.

„Komm, hilf mir.“ Sie lief zum Bett und nahm meinen Kopf in ihre Hände. „Zieh ihre Rüstung aus. Los, mach schon!“

Hans zuckte zusammen, tat aber wie geheißen und zog mir die Stiefel aus. Ich bekam von alldem nur wenig mit, ich war mit meiner Agonie gefangen in meinem eigenen Körper. Hans zog auch die Lederjacke und die Lederhose aus, mit Sabines Hilfe. Dann scheuchte Sabine ihn aus dem Zimmer.

„Nun geh schon ins Bett, ich mache den Rest alleine. Vermutlich bleibe ich heute Nacht hier, das Bett ist ja zum Glück groß genug für zwei. Ich bin unsicher, was ich genau mit ihr tun soll, für mich ist das auch Neuland. Ich werde Zeit brauchen.“

Hans nickte, berührte sie sachte an der Schulter und ging.

„Kümmere dich gut um sie. Und vielen Dank, Sabine.“

Sie zog mich komplett aus und dann sich selbst und legte sich zu mir. Sie hielt mich eng umschlungen und versuchte mich zu erreichen, über den Hautkontakt und auch astral. Sie strahlte auf allen Kanälen Trost und Ruhe aus. Irgendwann im Laufe der Nacht drang sie auf astraler Ebene endlich zu mir durch. Ich bin heute nach wie vor fest davon überzeugt, es war allein ihre Präsenz, die mich schließlich aus meiner Agonie erwachen ließ. Meine geistigen Schreie verstummten. Völlig erschöpft kuschelte ich mich an meine Retterin und schlief endlich tief erschöpft ein.

Am nächsten Morgen erwachte ich und lag in ihren Armen. Wir waren beide nackt und ich fragte mich, was hier wohl vorgegangen war. Ich hatte kaum noch Erinnerungen an die Vorkommnisse der Nacht. Sabine erwachte ebenfalls und lächelte mich an.

„Geht es dir wieder besser, Liebes?“ Sie blickte mich mit ihren großen und wunderschönen blauen Augen besorgt an.

Ich wurde rot und sah die Zimmerdecke an.

„Was ist passiert? Ich erinnere mich nur noch daran, zu Bett gegangen zu sein, und dann eigentlich an gar nichts mehr.“

„Letzte Nacht habe ich deinen Schmerz gefühlt und deine verzweifelten Schreie gehört. Viele von uns haben es, deshalb bin ich hier. Ich habe vor langer Zeit etwas Ähnliches mitgemacht, aber bei Weitem nicht so schlimm wie du. Es kann passieren, dass wir unsere Seele mit unseren schlimmen Taten so stark verletzen, dass sie es nicht ertragen kann. Es ist, wie schon gesagt, auch mir passiert, aber bisher habe ich von keinem anderen Fall außer uns beiden gehört. Es tut mir unendlich leid, ich hätte es irgendwie verhindern müssen.“

Sie klang sehr besorgt und machte sich Vorwürfe für meinen Zustand, für den sie doch gar nichts konnte. Als Antwort lächelte ich sie an und liebkoste ihr Gesicht mit meinen Händen und küsste sie dankbar auf die Wange.

„Mach dir keine Sorgen, du hättest es nicht verhindern können. Wieso sind wir beide eigentlich nackt?“

Jetzt war es an ihr, rot zu werden.

„Es war die einzige Möglichkeit, die mir einfiel, dich zu erreichen. Wenn sich jemand so tief in sich selbst zurückgezogen hat wie du gestern, Althea, wird es sehr kompliziert. Die astrale Ebene alleine reicht nicht. Unsere Haut ist ein einzigartiges Organ, die Berührungen auf der Haut erreichen auch unser tiefstes Inneres, deshalb konnte ich dich letztendlich gestern Nacht erreichen. Es tut mir leid, wenn ich für dein Empfinden zu intim geworden bin, aber es war deine einzige Chance.“

Sie schlug verlegen die Augen nieder, und ich musste kichern.

„Es ist schon in Ordnung, wirklich, bitte mach dir keine Gedanken, im Gegenteil, ich danke dir vielmals, du hast mir das Leben gerettet.“

Ich umarmte sie dankbar, eng umschlungen lagen wir eine ganze Weile da und genossen einfach nur die Körperwärme des anderen. Ich vergrub mein Gesicht in ihren Haaren und rieb meine Lippen und Wange über ihren Hals. Ich fühlte von irgendwo her Echos ihrer liebevollen und besorgten Rufe in meinem Geist. Ich erschauerte und klammerte mich noch enger an sie. Sie machte nach einer Weile Anstalten aufzustehen, aber ich ließ es nicht zu, ich umklammerte sie und zog sie wieder zu mir heran. Ich war noch nicht bereit, ihre Nähe aufzugeben. Sie zitterte für einen Moment am ganzen Körper, umschlang mich eng und küsste mich liebevoll auf die Wange. Ich fühlte ihre Hände streichelnd an meinen Rücken.

Sie gab mir die Kraft, weiterzumachen, trotz aller Schmerzen in meiner Seele.

Irgendwann trieb uns die Sorge nach der Lage draußen aus dem Bett, wir hatten keine Ahnung, was passiert war, also zogen wir uns an. Ich brauchte eine Weile länger, bis ich in meine Lederkleidung und das Kettenhemd gestiegen war. Sabine sah mich lächelnd an, als ich mich anzog. Als ich fertig war, legte sie die Fingerspitzen ihrer linken Hand auf meine Wange. Ich erwiderte die Geste mit beiden Händen und legte meine Stirn auf die ihre. Für einen winzigen Moment schlossen wir die Augen und waren eins. Wir trennten uns ein wenig erschrocken und blickten einander tief in die Augen, dann verflog der Moment wie Pollen im Wind.

Jemand hatte meine Sachen gereinigt, ich vermutete Hans. Sabine schaute mich neugierig an.

„Kannst du irgendwas Magisches erreichen, mit dem Kettenhemd? Wir haben schon Probleme, wenn jemand von uns mal zu viel Blechschmuck trägt. Keine Chance auf Magie mit einem Kettenhemd.“

Ich blickte sie überrascht an.

„Ich habe keine Probleme festgestellt, alles scheint normal zu sein.“

„Ich bin fast neidisch, manchmal kommt im Kampf doch mal ein Ork zu uns durch, dann wäre so was ziemlich praktisch. Aber ich weiß nicht, ob ich deine Agonie ertragen könnte. Elfen nehmen den Tod nicht leicht, deshalb kämpfen sie wohl so ungern. Die elfische Seele ist deutlich empfindlicher als die menschliche, aber wir zahlen alle unseren Preis für jedes Wesen, das wir töten. Anscheinend hat sich nicht nur unser Körper in der Umwandlung verändert. Ich wünschte, wir müssten überhaupt nicht töten, ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg. Vielleicht hast du Glück und es legt sich auch bei dir nach einer Weile, wie bei mir. Ich habe keine Probleme mehr damit, Lebewesen zu töten“, meinte sie tieftraurig und ohne jeden Stolz.

„Aber wir haben keine Wahl, wenn wir überleben wollen, du und ich.“ Sie senkte den Kopf. Dann erhob sie ihn wieder und lächelte mich an.

„Ich habe übrigens immer noch Zweifel daran, ob du wirklich eine Elfe bist. Elfen haben nämlich keine Katzenaugen, jedenfalls keine von denen, die wir hier hatten.“

Sie legte ihre Hand zart auf meine Wange und schaute mir in die Augen.

„Ein bisschen unheimlich ist es schon, wenn du einen damit anblickst.“

Sie umarmte mich noch einmal und küsste mich auf die Wange. Dann nahm sie meine Hand, öffnete die Tür und zog mich mit ihr. Wir stiegen nach unten, es wurde gerade hell. Wir hatten großes Glück, Hans war bereits auf und machte gerade Kaffee, der absolut wunderbar roch und meine Lebensgeister weckte.

„Althea, guten Morgen! Gut dich zu sehen, sehr gut. Dich natürlich ebenfalls, Sabine.“

Er blickte mich sorgenvoll an.

„Ich habe beschlossen, dass du heute nicht am Kampf teilnehmen wirst. Ich kann dir auf gar keinen Fall erlauben, heute wieder zu kämpfen, du musst dich erst mal einen Tag ausruhen.“

Ich lächelte Hans an, ich konnte nicht anders, er behandelte mich schon fast wie Georg.

„Das ist wirklich lieb gemeint von dir, so an mich zu denken, aber ich muss dein Angebot leider ablehnen. Ich bin schon okay, mach dir keine Sorgen. Sabine wird eventuell heute Nacht wieder ...“

Ich blickte sie fragend an und sie antwortete schnell.

„Natürlich werde ich für dich da sein, Liebes, mach dir keine Sorgen. Hans hat bestimmt genug Platz, oder du bleibst einfach bei mir.“

Sie schaute Hans fragend an, der nur wortlos nickte, man sah ihm aber die Sorge um mich an. Dann hieb sie jedoch in die gleiche Kerbe wie Hans.

„Allerdings solltest du auf Hans hören, weißt du. Diese Sache ist sehr ernst. Du könntest das nächste Mal davon sterben, und ...“

Ich vollendete den Satz.

„Mit meinem Geschrei kriegen deine Magier nicht genug Schlaf, was alles riskiert, was ihr hier aufgebaut habt.“

Sabine blickte mich gekränkt an.

„Das wollte ich nicht damit sagen, wenn sich ein Magier gegen so etwas nicht abschirmen kann, dann brauche ich den Magier da draußen auch nicht. Nein, ich wollte sagen, du könntest das nächste Mal davon sterben und dann bin ich eventuell nicht da, um dich zu retten.“

Ich antwortete ihr schnell.

„Es tut mir leid.“

Und legte meine Hand auf ihren Arm. Ich meinte es jedoch wirklich so, ich wollte ganz sicher niemandem zur Last fallen.

In dem Moment kam zum Glück Georg die Tür herein gepoltert.

„Morgen, ich brauche dringend einen Kaffee. Das war echt hart gestern, wird es heute genauso schlimm, Vater, was meinst du? ... Oh, Sabine, was machst du denn hier?“

Hans antwortete ihm ernst.

„Althea hat das gestern nicht so leicht genommen, wie es erst aussah. Sabine hat sie wieder erweckt, sie ist fast daran gestorben.“

Ich schaute ihn verwundert an, woher wusste er das alles?

„Es scheint, als ob Töten für sie ein echtes Problem darstellt, wir dürfen sie auf gar keinen Fall da wieder raus lassen. Leider ist sie starrsinnig, sie will nicht vernünftig sein.“

Georg hob eine Augenbraue.

„Vater, ich will dir ja nicht widersprechen, aber Althea ist klasse da draußen, und wir brauchen jeden Mann und jede Frau, die was taugen. Und Althea ganz besonders, wenn sie irgendwie damit klarkommt. Und du weißt das selber auch. Sie wird so oder so irgendwann damit klarkommen müssen.“

Jetzt blickte ich Georg verwundert an. Er klang so erwachsen und er hatte wirklich einen hervorragenden Sinn für seine Umgebung, wesentlich besser, als ich in seinem Alter dazu in der Lage gewesen wäre.

„Ich werde für sie da sein, wenn sie meine Hilfe braucht. Ich fürchte aber, Hans hat recht, es ist zu gefährlich, wir wissen nicht, was sie sich auf Dauer damit antut“, meinte Sabine dann, ihre Miene war sehr traurig dabei. Sie schlang ihren Arm um mich und hielt mich fest. Hans blickte nachdenklich in die Runde.

„Ich weiß was ich am liebsten machen würde, und das ist, Sabine und Althea Hausarrest zu geben, aber ich fürchte, das hat wenig Sinn. Welcher Kerker würde die beiden schon halten.“

Ich lachte auf.

„Du hast heute verloren, und du weißt es auch, also stell dich nicht so an. Gib mir lieber noch einen Kaffee und verrate uns, was uns heute erwartet. Wie lange werden die Angriffe andauern, was denkst du?“

Er blickte mich durchdringend an, ließ mir aber meinen Willen.

„Okay, okay, leider habt ihr Recht, wir haben vermutlich wirklich keine andere Wahl. Du hast sie aber letzte Nacht nicht gesehen, Georg, sie lag kreidebleich auf ihrem Bett und war völlig weggetreten. Sabine kam ungerufen hier her, weil Althea anscheinend auf geistiger und magischer Ebene so laut geschrien hat, dass alle Magier im Ort es gehört haben, und wer weiß wer sonst noch. Sonst hätten wir es nicht einmal mitbekommen. Ich weiß nicht, ob sie es ohne Sabine überhaupt geschafft hätte.“

Georg runzelte die Stirn und schaute mich an.

„Du hast mehr in dir, als wir vermutet haben. Magisch begabt, oder?“, er sah Sabine fragend an und ignorierte damit seinen Vater. Ich vermutete, er war immer noch sauer, weil er von hier weggehen sollte.

Sabine war sich ihrer Einschätzung sicher.

„Oh ja, zweifelsohne das stärkste Talent, das ich je in meinem Leben gesehen habe. Allerdings völlig anders als alles, was wir Magier so zu bieten haben. Sie hat ihre Kräfte leider nicht sehr gut unter Kontrolle, und ich vermute mal, sie hat nicht einmal die Oberfläche ihrer Fähigkeiten angekratzt. Ausbilden kann ich sie leider so gut wie gar nicht.“

Georg nickte nicht sehr überrascht, fand ich.

Hans beteiligte sich wieder am Gespräch.

„Schade, wir könnten eine weitere Magierin brauchen. Sie macht sich aber auch genau da sehr gut, wo sie zurzeit kämpft. Also, ich vermute mal, die Ork werden sich eine neue Taktik ausdenken, um unsere Wälle klein zu kriegen, vielleicht Katapulte oder so etwas in der Art. Gestern war ein verlustreicher Tag für sie, sie werden das nicht sehr oft wiederholen wollen oder können. Was sie genau vorhaben, kommt darauf an, was sie bereits haben, und was sie eventuell erst bauen müssen. Gut, dass du gerade hier bist, Sabine, deine Truppe muss perfekt vorbereitet sein, hattet ihr irgendwelche Verluste gestern?“

Sabine schüttelte den Kopf. Er nickte erleichtert.

„Ich schätze mal, heute werden wir ein paar größere Geräte beseitigen müssen, was auch immer es sein wird. Ich muss los, Kinder. Falls heute kein Alarm kommt, haben sie nichts dabei und müssen erst mal etwas konstruieren. Das sollte uns hoffentlich ein wenig Zeit geben, die Palisaden und Mauern zu verstärken, ich habe da noch ein paar Ideen. Wir sehen uns später. Oh, Georg, du bleibst am besten bei Althea, ihr müsst euren Aufbruch planen. Sabine, kommst du bitte mit?“

Sie tranken ihren Kaffee aus, ein wenig überhastet, und verließen den Raum. Ich beschloss, den Besuch im Krankenhaus sofort zu machen. Ich wollte den jungen, namenlosen Soldaten besuchen, bevor ich die Feste verließ, auch wenn es mir schwerfiel, ich hatte Krankenhäuser noch nie gemocht. Georg führte mich hin, bis auf Elektrizität hatten sie anscheinend wirklich alles hier in der Feste, was man so brauchte. Natürlich würden die Medikamente bald rar werden, aber sie kamen erst einmal klar.

Die Ärzte waren, wie Georg mir erklärte, bereits dabei, alles durch Naturmedizin zu ersetzen, was nur irgendwie möglich war. Ich konnte diese Menschen hier immer wieder einfach nur bewundern, mit welchem Einsatz und Einfallsreichtum sie ihr Leben nach der großen Veränderung meisterten. Es würde mir schwerfallen, sie zu verlassen, ich hatte allerdings keine Wahl. Ich musste wenigstens versuchen, sie zu retten.

Im Krankenhaus begaben wir uns auf die Suche, es war nicht einfach, ohne den Namen des Soldaten. Wir trafen jedoch noch auf jemand völlig anderen, jemanden, den ich fast vergessen hatte, nämlich Anton. Die Begegnung verlief jedoch anders als erwartet.

„Schau mal einer an, wen wir hier haben, die kleine Elfenhexe.“

Ich blickte ihn zornig an, und auch Georg sah nicht begeistert aus.

„Immer mit der Ruhe, Georg, ich suche keinen Streit. Althea, du hast dich gestern wirklich gut geschlagen, ich habe dich beobachtet. Ich denke immer noch, dass Fremde gefährlich sind, aber Du bist ab heute eine Ausnahme für mich. Ich würde jederzeit mit dir Seite an Seite kämpfen. Georg sollte sich glücklich schätzen, dass jemand wie du auf seinen Arsch achtet. Und jetzt geht, lasst mich schlafen, ich will bald wieder fit sein. Los, geht schon!“

Damit drehte er uns den Rücken zu, und wir verließen das Zimmer. Ich fühlte mich gut nach seiner Ansprache, ein Lob aus seinem Munde war etwas Besonderes für mich, es gab mir Hoffnung. Dass ich vielleicht auch eines Tages eine Heimat finden würde, so ähnlich wie hier eventuell sogar. Vielleicht hatte ich hier doch auch schon so etwas wie einen sicheren Hafen gefunden, zu dem ich immer wieder zurückkehren konnte, etwas, was ich eines Tages sogar Heimat nennen konnte.

Anton hatte mich überrascht. So etwas hätte ich von einem streng gläubigen Katholiken nie erwartet. Eigentlich traute ich seinem plötzlichen Sinneswandel nach wie vor noch nicht. Anton war und blieb in meinen Augen ein furchtbar engstirniger und dummer Mensch. Aber seine Geste war ein kleiner Anfang, und es war eine Brücke, die mir Hoffnung gab. Georg hingegen war ihm immer noch sauer, wegen der Begrüßung und des Tons, den Anton angeschlagen hatte, aber das machte mir nicht viel aus.

Ich ergriff lachend seinen Arm und zog ihn weiter. Ich fühlte mich wesentlich besser - zu sehen, wofür ich hier kämpfte, machte einen Unterschied. Ich verdrängte die dunklen Gedanken der letzten Nacht. Sabine hatte mich zwar aus der Agonie befreit, allerdings war mein Geist nicht geheilt. Ich befürchtete, das waren Wunden, die mir für immer erhalten bleiben würden. Ich hoffte, ich würde irgendwie damit leben können, eine Alternative dazu sah ich nicht. Meinen Soldaten fanden wir schließlich in einem fast leeren Zimmer am Ende eines Ganges. Es ging ihm den Umständen entsprechend gut. Er hatte einige ziemlich tiefe Schnittwunden, würde die Sache aber überstehen, wie er mir versicherte. Er dankte mir für meinen Besuch, und auch für meine Hilfe gestern. Sein Name war Michael, wie ich schließlich herausfand.

Ich erklärte ihm, dass der Grund für meinen Besuch war, seinen Namen zu erfahren, und dass ich hoffte, er würde mich nicht für merkwürdig halten. Er lachte und meinte, dass er mich sehr wohl für merkwürdig hielte, aber dass es ihm nichts ausmache. Wir lachten ziemlich viel, es war gegen Mittag, als wir schließlich das Krankenhaus verließen. Georg und ich taten schließlich das Unausweichliche, wir fingen mit der Planung unseres Ausbruchs an, wir konnten es nicht mehr weiter hinausschieben. Es hatte immer noch keinen Alarm gegeben, daher entspannten wir uns ein wenig.

Ich musste an meine Zeit im Grenzland denken, es war merkwürdig, aber ich war schon lange nicht mehr allein gewesen. Ein merkwürdiges Gefühl überkam mich, irgendwie vermisste ich die Einsamkeit bereits ein bisschen. Es ist alles so viel einfacher manchmal, alleine.

Ich schob den Gedanken jedoch schnell beiseite und ging mit Georg zum Stadttor. Es war ein herrlicher Sommertag, sonnig und der Himmel strahlte in einem wunderschönen Blau. Auf einem der Türme am Tor fanden wir Hans in einer Diskussion mit den Offizieren. Unbemerkt kamen wir die Treppe hoch und konnten gerade noch seinen letzten Satz hören.

„Ich sage euch, wenn sie heute Nacht nicht gehen, kommen sie gar nicht mehr heraus. Wir brauchen Hilfe, selbst wenn sie uns nicht einfach überrennen können, werden sie uns belagern und alles abriegeln. Und falls sie weiter ziehen - die Truppen, die sie in dem Fall zurücklassen, werden stark genug sein, um ihren Nachschub zu sichern. Wir können davon ausgehen, dass sie uns so dicht zumauern, dass nicht einmal eine Maus herauskommt. Sie können sich einen Guerilla-Krieg hier hinten nicht erlauben, das zermürbt jede Armee. Also, ich sage, sie gehen heute Nacht.“

Dann erkannte ich Christians Stimme.

„Wir brauchen noch mindestens vier weitere Soldaten, es sollten schnelle Läufer und leicht gerüstet sein. Wir können sie je zu zweit in die beiden anderen Richtungen schicken. Wir müssen davon ausgehen, dass sie es nicht alle schaffen, wir sollten also unsere Chancen erhöhen.“

Die anderen Offiziere murmelten zustimmend.

Ich lächelte die Anwesenden aufmunternd an und sagte: „Ich denke, ihr habt völlig recht. Hans, wir müssen aufbrechen, und das sobald wie möglich. Georg wird sich wohl oder übel damit abfinden müssen, ein wenig Zeit mit mir alleine zu verbringen.“

Georg stieß mir mit dem Ellenbogen in die Seite und fügte hinzu: „In Ordnung, Vater, ich sehe ein, dass wir los müssen. Ich hoffe nur, dass wir schnell genug sind. Pferde kriegen wir leider nicht heraus, oder was meinst du?“

Ich wurde blass, daran hatte ich gar nicht gedacht, eventuell Tage auf einem Pferd verbringen zu müssen, ich konnte ja nicht mal reiten!

„Nein, es wird ohne gehen müssen, vielleicht könnt ihr später welche auftreiben, aber hier heraus, das muss erst einmal so leise wie möglich vonstattengehen. Wir werden alle Vorbereitungen für eure Flucht treffen, ihr zwei solltet versuchen, noch ein bisschen zu schlafen. Es wird eine lange Nacht für euch werden, und ihr müsst den ersten Tag so viel wie möglich nachts marschieren.“

Wir gingen zu Hans´ Haus, wo ich meine Sachen zusammenpackte. Viel war es nicht, was ich unterwegs so zusammengesammelt hatte. Außer natürlich der Rüstung, die Hans mir geschenkt hatte, die ich bereits trug.

Wie ich mit dem Kettenhemd und einem Rucksack gleichzeitig klarkommen würde, war mir noch ein Rätsel. Der Schneider hatte jedoch auch daran gedacht. Hans gab mir zusätzliche Polster, die unter der Lederjacke in kleinen Taschen im Futter getragen wurden. Die verhinderten, dass das Metall durch die Lederjacke die Haut aufrieb.

Es war alles ein bisschen schwerer und unbequemer als vorher, aber ich hoffte, damit auszukommen. Wenigstens ein gutes Training, so ein Marsch mit viel Gewicht. Falls wir unterwegs genug Nahrung fanden, aber wir konnten ja schlimmstenfalls jagen gehen. Georg war ein ordentlicher Bogenschütze und kannte sich auch mit Fallenstellen aus.

Im Gegensatz zu mir, ich hatte keine Ahnung davon, vielleicht konnte ich die der Gelegenheit etwas von ihm lernen. Wir nahmen trotzdem genügend Vorräte mit, um uns eine Weile über Wasser zu halten, wir würden ja schließlich unterwegs auch etwas finden, ich war ja allein ebenfalls klargekommen.

Ich zog für heute Nacht das Kettenhemd wieder aus und verstaute es im Rucksack. Das Schwert befestigte ich wie immer so, dass ich es einigermaßen schnell erreichen konnte, brachte jedoch noch ein paar Riemen an, damit es nicht klapperte. Heute Nacht würden wir vor allem jeden Lärm vermeiden müssen.

Dann legte ich mich hin, ich konnte jedoch nicht einschlafen, und bald war mir auch klar warum - wenigstens Sabine musste ich noch besuchen, ich konnte doch nicht ohne Abschied für längere Zeit verschwinden. Ich ging die Treppen hinunter und fand Hans in der Küche, zusammen mit Sabine.

„Hallo, ich wollte gerade zu dir!“, meinte Sabine. Hans drehte sich zu mir um.

„Wolltest du nicht ein wenig schlafen?“

„Ich habe es versucht, leider wenig erfolgreich. Ich kann aber sowieso nicht weg, ohne mich von Sabine zu verabschieden, meinst du nicht?“

Sabine antwortete lächelnd und nahm damit dem versteckten Vorwurf von Hans die Schärfe, wobei mir natürlich völlig klar war, dass Hans recht hatte. Wir brauchten den Schlaf oder es wurde zu gefährlich.

„Natürlich kannst du das nicht, Liebes, deshalb bin ich ja hier. Hans hat mich benachrichtigt und gesagt, dass ihr heute Nacht aufbrechen werdet. Bist du sicher, dass du ohne mich auskommst, Kleines?“

Ich musste über das „Kleines“ grinsen, ich war sicher einen Kopf größer als sie.

„Ich könnte mir vorstellen, dass es nicht einfach für euch zwei wird. Ich werde hier allerdings für die Verteidigung der Feste dringend gebraucht. Ich kann hier nicht weg, ohne mich wird das Haus führerlos, und ich bin nicht sicher, ob mein Stellvertreter ausreichend auf die Aufgabe vorbereitet ist. Ich habe auch keine Idee, wen ich dir von meinen Magiern mitgeben könnte, außer mir kann dir vermutlich keiner mit deinen Seelenschmerzen helfen. Ach, Althea.“

Sie seufzte und schaute mich mit ihren schönen Augen traurig an, ich konnte ihr deutlich ansehen, dass sie uns am liebsten begleitet hätte. Aber so gerne ich sie dabei gehabt hätte, ich wusste auch, sie wurde hier dringend gebraucht. Hans durfte ja aus dem gleichen Grund nicht mitkommen. Ich umarmte sie fest.

„Wir kommen schon klar, Sabine, mach dir keine Sorgen. Ich werde einen Weg finden, damit klarzukommen. Und du musst hier die Stellung halten. Irgendjemand muss doch hier aufpassen, wenn ich nicht da bin.“

Ich zwinkerte ihr zu und wir lachten beide. Sie legte ihre Hände auf meine Wangen und flüsterte mir ins Ohr.

„Ich hoffe, wir sehen uns wieder, ich habe dich sehr lieb gewonnen, und möchte dich auf gar keinen Fall verlieren. Komm wieder und vergiss mich nicht.“

Sie schaute mich fast flehentlich an. Mein Herz machte einen Sprung, als ich das Ersehnte von ihr hörte. Ich nahm sie in den Arm und drückte sie an mich.

„Ich werde dich auf jeden Fall wiedersehen. Aber ich kann nicht für immer hier bleiben, irgendwann muss ich mich auch auf die Suche nach meinen Leuten machen. Ich muss sie einfach finden, weißt du.“

Sie nickte wortlos, drückte mich ein letztes Mal fest und verließ das Haus. Ich drehte mich traurig um und ging niedergeschlagen die Treppe hoch, um mich wieder hinzulegen. Hans hatte ich völlig vergessen.

„Alles in Ordnung, Althea?“, rief er mir nach. Ich drehte mich um und setzte mich auf die Treppe.

„Ja, natürlich. Ich mag Sabine sehr, es fällt mir schwer, sie zurückzulassen. Ich weiß, ihr braucht sie hier, aber ich brauche sie doch auch.“

Ich schlug die Augen nieder, als mir klar wurde, wie kindisch und egoistisch sich das anhören musste.

„Es tut mir leid, ich sollte nicht …“

Hans kam zu mir und legte mir seine rechte Hand auf die Schulter.

„Ich kann dich gut verstehen, Sabine ist schon etwas ganz Besonderes. Wir werden dir nicht weglaufen, und falls ihr wirklich Hilfe findet, und wir es bis dahin schaffen, dann werden wir uns alle wiedersehen, hoffentlich unter glücklicheren Umständen.“

Ich umarmte ihn schnell und ging dann in mein Zimmer. Er musste sich noch um Georg kümmern, es war hart für ihn, seinen Sohn einfach so wegzuschicken, hinaus ins Feindesland. Ich legte mich hin, und fragte mich, was ich gerade alles erlebt hatte und was das bedeutete.

Sabine hatte überraschend intensiv auf mich reagiert; ob sie sich wohl zu Frauen hingezogen fühlte?

Ihre Reaktion auf mich wärmte mein Herz, sie war mir ebenfalls lieb und teuer. Meine sexuelle Ausrichtung war mir ein Rätsel, ich hatte überhaupt keinerlei Ahnung davon. Vielleicht würde ich das irgendwann noch herausfinden, aber jetzt noch nicht. Später, irgendwann. Ich schaffte es, trotz aller Aufregung irgendwann einzuschlafen.

Ich erwachte von alleine am späten Abend und ging nach unten zur Küche. Georg war ebenfalls schon auf und genoss seinen Kaffee sichtlich.

Ich blickte mit flehenden Augen in Richtung Hans und bekam daher ebenfalls eine Tasse in die Hand gedrückt. Kaffee, eine wirklich gute Idee, Aufwachen war wichtig. Ich hoffte, meine Koffeinabhängigkeit würde mir unterwegs keine Probleme bereiten. Mein Körper war eigentlich zu jung für so manches, was ich ihm zumutete. Aber so ein bisschen Luxus ist doch eine feine Sache, vor allem wenn man es so gewöhnt war.

Nun, die nächsten Tage oder vielleicht sogar Wochen würde ich so oder so ohne auskommen müssen, was vielleicht nicht das Schlechteste war. Wir packten unsere Sachen zusammen und verließen das Haus. Mein Rucksack war in der Tat noch mal deutlich schwerer, genau wie meine Kleidung, aber ich kam mit beidem sehr gut klar, ich spürte das zusätzliche Gewicht kaum.

Das harte Training und die regelmäßigen Mahlzeiten hatten ihre Wirkung gezeigt, ich war deutlich fitter als damals, als ich hier angekommen war. Ich war immer wieder erstaunt, wie schnell sich mein neuer Körper neuen Belastungen anpasste, früher hätte ich nach Jahren nicht diese Art Wirkung erzielt.

Sechs weitere Soldaten kamen zur nächtlichen Stunde in Hans´ Küche, zwei seiner Offiziere und vier sehr leicht gerüstete Soldaten, die ganz ähnlich wie wir gekleidet waren.

„Hallo, was habt ihr denn vor?“, fragte Georg verblüfft.

„Das Gleiche wie wir, vermute ich mal. Wenn jedes Team in eine Himmelsrichtung startet, haben wir die größten Chancen, dass eine Gruppe auch durchkommt, nicht wahr?“

„Genau, ich hoffe zwar, dass alle von euch durchkommen, und musste sehr lange mit mir ringen, ob wir tatsächlich sechs Leute entbehren können, aber wir haben keine andere Wahl. Hört mir zu, von euch hängt alles ab, ob wir überleben oder nicht. Haltet euch bedeckt und lauft so schnell und so leise, wie ihr könnt, dann habt ihr vielleicht eine Chance.“

Wir nickten alle Hans zustimmend zu.

„Also, jetzt macht euch los, und möge Gott mit euch allen sein.“

Er nickte seinen beiden Offizieren zu, die ihre Soldaten zum Ost- und zum Südwall führten und ihnen vermutlich noch ein paar warme Worte mit auf den Weg gaben. Hans selbst führte uns zwei zum Nordwall, wo wir unsere Reise antreten wollten.

„Ihr werdet in euren Rucksäcken eine Wanderkarte finden, von vor dem Umbruch noch, das sollte euch genug Orientierung verschaffen, um hierher zurückzufinden. Ich habe auch die Riemer Festung eingezeichnet, für den Fall der Fälle. Ich bin nicht sicher, wo ihr auf eine größere Siedlung treffen werdet und ob ihr überhaupt etwas ausrichten könnt, aber wir alle drücken hier die Daumen. Ob tatsächlich Hilfe für uns verfügbar und auch zum Aufbruch bereit ist, ist die nächste Frage. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand bereits ein Heer auf die Beine stellen kann, das gegen das da draußen bestehen kann. Es ist einfach zu wenig Zeit vergangen seit dem Umbruch. Schaut euch um und schickt uns, was auch immer ihr an Hilfe findet. Irgendwo müssen sich auch die Elfen gesammelt haben, und vielleicht auch noch andere, Zwerge oder eine andere freundliche Rasse. Ihr müsst sie davon überzeugen, dass die Grenzfeste hier für die Sicherheit aller wichtig ist. Ohne sie werden alle, auch die anderen, auf Dauer hilflos den Ork ausgeliefert sein. Vielleicht solltet ihr nach Norden gehen, es gibt sicherlich noch mehrere Siedlungen wie unsere, ich hoffe nur, dass ihr auch eine Größere findet. Ich habe mich leider nie wirklich intensiv darum gekümmert, die Kommunikation mit den anderen aufzunehmen. Ich habe einfach nicht damit gerechnet, dass irgendjemand ein so großes Heer so schnell nach dem Umbruch aufstellen könnte, und habe mich erst mal um unsere Befestigung gekümmert, damit wir kleinere Angriffe abwehren konnten.“

Er machte sich ernste Vorwürfe, aber ich fand, er hatte alles Menschenmögliche getan.

„Okay, macht euch jetzt auf die Socken. Wir lassen euch die Palisaden herunter, sie erwarten, wenn überhaupt, bestimmt höchstens einen massiven Ausfall am Tor, vielleicht habt ihr Glück und kommt so ungesehen durch.“

„Sollten wir nicht warten, bis es ganz dunkel ist?“

„Althea, wovon redest du, ich sehe kaum die Hand vor Augen, es ist stockfinster, bis auf ein paar wenige Sterne am Himmel?“

Georg blickte mich verblüfft an. Hans grinste.

„Elfen können nachts wesentlich besser als Menschen sehen, das habe ich schon gehört, und Altheas Katzenaugen deuten darauf hin, dass sie sogar noch besser als normale Elfen sehen kann, für sie ist es wahrscheinlich gerade mal so dunkel wie für uns eine Dämmerung.“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Ja, es kommt mir fast taghell vor.“

Meine Nachtsicht war wirklich beeindruckend, wenn es für sie wirklich so dunkel war, wie sie sagten, und ich hatte keinen Grund, daran zu zweifeln. Viele Sterne sah ich auch nicht, als ich den Himmel danach absuchte. Richtig dunkel war es nur noch selten seit der Umwandlung gewesen, eigentlich nur in geschlossenen Räumen, ich dachte an das T-Shirt, was ich mir nachts über die Augen gelegt hatte, weil es so hell gewesen war. „Das sollte von Vorteil für euch sein. Ihr müsst jetzt los.“

Hans umarmte uns beide, dann stiegen wir mit einem langen Seil die Palisaden herunter.

 

 

16 Der Aufbruch

 

Wir liefen leise durch die Dunkelheit Richtung Norden, weg vom Fort. Ein Blick zurück zeigte mir, dass Hans uns traurig hinterher sah, er hatte nicht viel Hoffnung auf Hilfe. Ich wusste, ich würde alles tun, was in meiner Macht stand. Es musste doch noch mehr Menschen geben, und vielleicht hatten diese sich ebenfalls so gut wie wir hier organisiert, oder vielleicht sogar besser. Das Problem Ork war sicher für die meisten offensichtlich, ich hoffte, wir brauchten nicht viel Überredungskunst.

Es war sowieso ein Wunder, dass wir den ersten Angriff so gut überstanden hatten, Sabine hatte mit ihrer Gruppe den entscheidenden Ausschlag gegeben. Ich ging ein wenig voraus, da ich als Einzige etwas sah, und Georg folgte mir mit etwas Abstand. Ein Ork trat hinter einem Busch hervor und sah suchend in unsere Richtung. Ich deutete Georg einen Halt an und nahm meinen Rucksack leise ab, dann warf ich den Rucksack mit aller Kraft auf den Ork und zog laufend ein Messer aus dem Stiefel.

Der Ork wurde von dem Rucksack getroffen, der ihm die Luft aus den Lungen presste. Er gab nur einen erstickten Laut von sich, dann war ich bei ihm und jagte ihm das Messer in den Hals.

Wir verharrten kurz, ich sah mich um, dann ging es weiter. Wir marschierten die ganze Nacht durch, glücklicherweise ohne weitere Zwischenfälle.

Der Plan war denkbar einfach - da wir nicht wussten, wohin wir gehen sollten, mussten wir auf die Begegnung mit irgendwelchen Leuten hoffen, die uns dann hoffentlich in die richtige Richtung schicken konnten.

Am Morgen erreichten wir eine Landstraße in Richtung einer Autobahn, und wir diskutierten, ob wir lieber querfeldein laufen oder der Straße in Richtung Autobahn folgen sollten.

‚Pass auf, hinter dir!‘

Ich drehte mich um, und sah den Ork, der sich gerade zum Angriff bereit machte.

Ich zog mein Schwert aus der Scheide. Zum Umgehen war es viel zu spät, ich hoffte nur, er würde nicht weglaufen. Georg machte sich ebenfalls fertig. Mein Rucksack sank auf den Boden.

„Danke, Georg.“

„Wofür?“, fragte er verwirrt, machte sich aber ebenfalls kampfbereit.

Dann sah ich hinter dem Ork im Gebüsch den Grund, warum er nicht weggelaufen war, drei weitere Ork traten hervor.

Wir blickten uns an, das würde auf jeden Fall eng werden, sehr eng. Ich zog ein Messer aus meinem Stiefel und hielt es in der Linken als zusätzliche Hilfe beim Parieren von Schlägen. Dann kam mir eine Idee: Ich tauschte zuerst die Klingen, dann wirbelte ich das Messer in einem kleinen Kreis herum und fasste es an der Klinge.

Ich warf das Messer auf den am gefährlichsten aussehenden Ork, er stand ein wenig hinten an, und hatte einen Bogen in der Hand. Ich rief die roten Schleier herbei und ergriff das Messer mit meinem Geist. Ich führte es in der richtigen Bahn, beschleunigte den Wurf noch mal erheblich und lenkte es direkt auf die Brust des Bogenschützen. Er hob den Arm, um das Messer abzulenken, aber es war viel zu spät. Das Messer schlug in seinen Arm ein und nagelte seinen Arm auf seine Brust.

Es sank durch seinen Arm gerade noch tief genug in seine Brust ein, um das Herz zu treffen, er war schon tot, als er zu Boden sank. Ich zog das andere Messer aus dem anderen Stiefel und tauschte wiederum die Klingen. Das Schwert in der Rechten erwartete ich sie.

Die anderen drei grunzten überrascht auf, sahen verblüfft auf ihren Kameraden herunter und griffen daraufhin zornig an. Ich hatte sie wütend gemacht, was ein Vorteil sein konnte. Sie würden weniger koordiniert kämpfen, was unsere Chance sein konnte, das Ganze zu überleben. Ihr Angriff war sehr unklug, sie griffen alle drei mich an.

Zwei Hiebe konnte ich mit dem Schwert abfangen, sie kamen von oben auf mich mit großer Wucht, ich konnte sie aber halten, mit den Schleiern geistig unterstützt, und mein Schwert brach nicht.

Der Dritte versuchte mich in der Seite zu treffen, was ich gerade so mit dem Dolch verhindern konnte. Bevor sie wieder ausholen konnten, um erneut zuzuschlagen, hatte Georg dem einen schon das Schwert in die Seite gestoßen. Er sank zu Boden, und die zwei anderen erkannten ihren Fehler. Einer konzentrierte sich nun auf mich, und der Zweite auf Georg. Ich parierte den zweiten Schlag des Ork mit meinem Schwert, und mein Dolch versank in seiner Brust. Das kostete mich den zweiten Dolch, er war in seinen Rippen und dem Lederpanzer verkeilt.

Der letzte Ork hatte allerdings auch nur noch wenige Sekunden. Georg konterte einen Schlag und hieb ihm quer über die Brust, ich stach von hinten zu und gab ihm den Rest. Kein Grund irgendwelche Risiken einzugehen, nur tot konnten sie uns nicht mehr schaden. Ich kontrollierte den Zustand der anderen und vergewisserte mich, dass sie ebenfalls tot waren. Sie hätten über uns berichten können, was wir uns nicht leisten konnten. Ich hoffte, man würde es für einen Zusammenstoß unter Kundschaftern halten, falls man die Leichen je fand. Ich holte mir meine Dolche zurück, und reinigte sie an den Leichen.

„Guter Wurf, der Bogenschütze hätte uns viel Ärger machen können“, meinte Georg. „Du hast seinen Arm auf die Brust genagelt, durch die Lederrüstung. Wie machst du das nur?“

Ich sah ihn nachdenklich an, er wusste das meiste eh bereits. Wenn ich Georg nicht trauen konnte, wem denn dann?

„Magie, Georg. Erinnerst du dich an die Nacht, als Sabine bei mir war?“

„Das war gestern“, meinte er trocken.

Ich nickte nur.

„Nun, ich habe ähnlich wie Sabine magische Fähigkeiten, eine Art Telekinese scheint eine davon zu sein. Ich habe dem Dolch noch mal einen geistigen Schubs mitgegeben. Ich benutze es auch oft beim Parieren, wenn es um Kampf mit dem blanken Stahl geht.“

„Nette Fähigkeit, kein Wunder, dass du mir den Kopf geschoren hast.“

„Georg, glaub mir, bei den Übungskämpfen habe ich nie Magie angewandt, nicht bei dir und nicht bei anderen. Es wäre viel zu gefährlich für Übungskämpfe, ich kann es manchmal nicht so genau dosieren.“

Er sah mich an.

„Keine Angst, ich glaube dir, Althea.“

Ich gab ihm einen kräftigen Schubs und er stolperte ein paar Schritte weg. Ich musste lachen, worauf er mich nur angrinste.

„Okay, also, wo gehen wir nun hin? Ich plädiere für die Autobahn, da habe ich damals eure Patrouille getroffen, wieso sollten die anderen es anders machen?“

„In Ordnung, lass uns gehen.“

Wir gingen also in Richtung A9 und marschierten westlich der A99 weiter Richtung Norden. Wir schlugen ein hartes Marschtempo an, ich kannte jedoch Georgs Grenzen und hielt mich zurück. Am späten Mittag suchten wir uns einen Schlafplatz, wir waren beide ziemlich fertig, etwas abseits in einem kleinen Wäldchen. München gingen wir aus dem Weg, das hielten wir beide zu gefährlich, man sah in München die Ork nicht kommen.

Für die Märsche wechselte ich wieder zu Jeans und T-Shirt, für alles andere war es mittlerweile zu heiß. Am nächsten Tag, an dem wir genauso hart marschierten, trafen wir zwar auf keine Patrouille, wir konnten jedoch einen Bauern sehen, der seine Kühe auf eine Weide trieb. Wir verließen die Straße und gingen auf ihn zu. Er schien friedlich zu sein, wir grüßten ihn und fragten ihn nach der Lage. Er war ziemlich gesprächig, froh darüber, eine Unterbrechung der Arbeit zu bekommen.

Er teilte uns mit, dass sich ein paar Kilometer im Norden ein Ort befand, in dem sich die Überlebenden der Umgebung zusammengezogen hatten. Dort befand sich auch eine Kaserne, die Menschen hier hatten ähnliche Probleme mit den Ork wie wir gehabt, hatten jedoch zurzeit anscheinend Ruhe. Wir beschlossen, es dort zu versuchen, im schlimmsten Fall konnte uns der Kommandant dort vielleicht einen Tipp geben, wo wir Hilfe finden würden.

Das Städtchen Unterschleißheim war nicht sonderlich groß, aber auch hier hatten die Menschen ganze Arbeit bei der Befestigung der Stadt mit Palisaden geleistet. Die Wachen waren ordentlich gekleidet und machten einen ausgeschlafenen Eindruck, die Rüstungen waren auch recht ordentlich geschmiedet, und ihre Waffen machten ebenfalls einen guten Eindruck.

Wir grüßten die Wachen und teilten ihnen mit, woher wir kamen und was wir hier wollten. Der Wachsoldat rief sofort seinen Offizier herbei, der uns aufforderte mitzukommen. Er brachte uns zu einem großen Gebäude, das wie ein altes Ratshaus aussah, und übergab uns dort einem ranghöheren Offizier. Der Mann hatte bereits einige graue Haare und wohl auch Erfahrungen im Militärdienst. Seine Fragen waren knapp und präzise, er erkannte sofort die Bedrohung auch für seine Stadt und befahl, den Stadtrat zusammenzurufen.

Auch hier hatte man sich auf eine Art demokratischer Regierungsform geeinigt, was mir sehr willkommen war, ich hatte einen Despoten oder Ähnliches befürchtet, das hätte ein schnelles Ende unserer Mission bedeuten können. Der Stadtrat versammelte sich binnen einer Stunde, und dann wurden Georg und ich in das Zimmer herein gerufen. Georg sollte hier Wortführer sein, hatten wir kurz vorher beschlossen, er hatte sicherlich einen Vorteil bei den Menschen. Wenigstens sah er nicht so fremdartig aus wie ich. Er berichtete dem Rat von unserem Problem, was sofort laute Diskussionen hervorrief. Dann stand einer der Männer auf und fing an zu sprechen.

„Ruhe, bitte, meine Herren. Versuchen wir doch ein wenig strukturierter an das Problem heranzugehen. Die erste Frage, die sich uns stellt, ist: Glauben wir den beiden oder nicht?“

Er blickte in die Runde, die meisten Ratsmitglieder nickten zustimmend.

„Wenn sie uns anlügen - welchen Grund könnten sie haben? Den Weg für einen Überfall auf uns vorbereiten, wenn wir ausrücken. Anscheinend haben wir bei unseren Kontaktaufnahmen Riem übersehen. Es gibt aber laut unserem Informationsstand keine größere Ansammlung von Menschen in der Umgebung, die uns schaden wollen. Ich behaupte mal, das Risiko, dass wir von Menschen im größeren Rahmen angegriffen und überrannt werden, ist gering. Und die beiden arbeiten nicht für die Ork, Ork kennen keine Bündnisse. Eine Notbesatzung wird in jeder Stadt verbleiben.“

Er blickte sich in der Runde um.

„Wir stimmen ab. Ich glaube den beiden. Wer ist ebenfalls dafür, ihnen zu glauben?“

Die Abstimmung fiel deutlich zu unseren Gunsten aus.

„Ich schlage vor, sofort einen oder zwei Kundschafter Richtung Riem auszusenden, der die Aussagen von Georg und seiner Begleitung überprüft.“

Er nickte uns beiden zu, um Entschuldigung heischend. Ich zwinkerte ihm zu, ich hätte das Gleiche getan. Eigentlich war mir jedoch nicht nach netten Gesten, ich hatte das Gefühl, das wir zu viel Zeit mit diesem Kram verschwendeten. Es war aber immer noch besser als willkürliche Entscheidungen in einer Diktatur.

„Mit dem Pferd sollten sie in ein paar Stunden wieder hier sein. Ich bitte um Handzeichen für die Zustimmung des Rates hierzu.“

Der Rat stimmte einstimmig zu.

„Nun dazu, ob wir den Riemern helfen oder nicht. Wir alle wussten, dass so etwas im Bereich des Möglichen war, und haben dafür auch schon gemeinsam unsere Pläne gemacht. Genau aus diesem Grund haben wir auch den Kontakt zu anderen Überlebenden gesucht. Ich denke mal, wir brauchen hier eine schnelle Entscheidung, vorher möchte ich jedoch das eigentlich Offensichtliche noch einmal kurz zusammenfassen. Wir werden Krieg bekommen, und zwar einen Richtigen, das sollte jedem hier klar sein. Nicht nur die Riemer, sondern wir alle. Die Sicherheit der Palisaden ist nicht mehr viel wert, wenn wir es mit einem richtigen Heer mit Belagerungsmaschinen zu tun bekommen. Dieses Ork-Heer wird irgendwann auch bei uns haltmachen, vermutlich eher früher als später, also werden wir so oder so mit ihnen kämpfen müssen. Mir ist ein Kampf in München lieber als hier, wo unsere Familien sind, deshalb sollten wir ihnen dort sofort helfen. Außerdem sind unsere Chancen, wenn wir alle zusammenarbeiten, deutlich höher. Wir werden also sofort Boten aussenden, um die Nachbarn zu benachrichtigen und zur Party einzuladen. Dann marschieren wir gemeinsam nach Riem und zeigen den Ork, dass wir Bayern sind und auch weiterhin einen Anspruch auf Bayern erheben. Ich bitte um Zustimmung des Rates.“

Das Ergebnis war fast einstimmig, diese Menschen hatten genau wie wir die Ork erlebt und fürchteten nichts mehr, als von ihnen überrannt zu werden. Es waren grausame Gegner, die kein Erbarmen oder Frieden kannten. Es gab keinen Jubel, als die Entscheidung gefällt war, sondern lediglich grimmige Mienen. Jeder wusste, dass viele der Soldaten vermutlich nicht wieder zurückkommen würden.

„Ich danke ihnen, meine Herren. General Staudt, bitte veranlassen sie das Nötige, die Boten müssen ebenfalls gleich raus. Falls die beiden recht haben, dann zählt jede Minute. Wir brauchen wenigstens hundert Mann von jeder Feste, vielleicht können wir mit gut tausend Mann dem ganzen Spuk ein Ende bereiten.“

Als ich das hörte, war ich zum ersten Mal seit der Ankunft der Ork guter Hoffnung; das war viel mehr als alles, was ich mir von unserer Mission erträumt hatte.

„Der Rat ist hiermit geschlossen, ich denke mal, wir können alle ein Bier auf den Schrecken gebrauchen, lasst uns zu mir gehen.“

Das war nicht so ganz, was ich von einem Stadtrat erwartet hätte, aber anscheinend funktionierte es hier. Bayern war schon immer ein wenig anders gewesen, mir gefiel die Mentalität durchaus. Der Sprecher kam zu uns und stellte sich vor.

„Mein Name ist Thomas Stadler, ich bin der Wirt der Kneipe hier im Ort, schon seit Ewigkeiten. Wie lange wird die Grenzfeste Riem durchhalten, was glaubt ihr?“

Er sah Georg an, ich meldete mich jetzt jedoch zu Wort.

„Ich heiße Althea, ich stehe als Soldat in den Diensten des Kommandanten der Festung München, seinem Vater. Lange werden wir nicht mehr durchhalten, höchste Eile ist geboten. Wir haben vorgestern einen Angriff abwehren können, und größere Belagerungsmaschinen haben wir noch nicht gesehen. Wenn sie allerdings irgendwie über die Palisaden kommen, ist alles vorbei, solange die Palisaden halten, haben wir noch Hoffnung.“

Er blickte mich an.

„Nicht was ich hören wollte, Hektik ist nicht die beste Vorbereitung für einen Krieg.“ Er schaute mir in die Augen.

„Eine Elfe. Hm, warum bist du nicht bei den anderen Elfen?“

Ich starrte ihn verständnislos an.

„Hm, so richtig elfisch schaust du vielleicht auch wieder nicht aus, Mädchen. Elfe oder nicht, das ist die Frage, was? Ich habe einen Sohn, der zum Elf wurde, nach dem großen Umbruch. Ich war ein paar Mal dort, ein nettes Städtchen habt ihr euch da aufgebaut.“

Ich starrte ihn fassungslos an, und packte ihn an den Armen.

„Ihr kennt die Elfenstadt? Ihr wisst, wo ich die Elfen finden kann?“

„Ja, natürlich, mein Sohn ist fünfzehn Jahre alt, er hat es hier nicht mehr ausgehalten. Er wurde richtig krank, ich musste ihn hinbringen. Er hat dort bei den Elfen nette Pflegeeltern gefunden. War vielleicht besser so, er vermisste seine Mutter so sehr. Alle Elfen sind in die Elfenstadt gezogen und nie wieder zurückgekommen, egal wie alt sie waren. Sie können auf Dauer nur unter anderen Elfen leben.“

Ich sah ihn erschüttert an, der Gedanke an auseinandergerissene Familien jagte mir nach wie vor die Schauer den Rücken hinunter. Ich ließ ihn los und verbeugte mich halb vor ihm.

„Es tut mir sehr leid für euch beide, Thomas, das muss hart für euch sein. Was ist denn aus deiner Frau geworden?“

„Ich weiß es leider nicht, sie ist am Tage nach dem Umbruch nicht von der Arbeit nach Hause gekommen. Ich hoffe, dass sie trotz allem ein Geschöpf Gottes geblieben ist und nicht zur Schattenseite geschoben wurde. Ich fürchte aber, sie hat es nicht überlebt, wie viele anderen. Wir konnten sie nicht suchen, ihre Arbeitsstelle ist zu weit im Ork-Land.“

Gott, das so oft missbrauchte Wort ließ mich zusammenzucken. Religionen, ich fürchtete mich vor ihnen. Die meisten Kriege der alten Welt hatten religiöse Gründe. Ich schalt mich jedoch sofort selbst wegen meines völlig fehlplatzierten Misstrauens, er hatte einen äußerst vernünftigen Eindruck gemacht, sicherlich nicht den eines Fanatikers.

„Oh, es tut mir leid, ich wollte euch nichts unterstellen. Ich denke durchaus, dass ihr ein Geschöpf Gottes seid, Althea. Ich bin jedoch auch der Ansicht, dass Ork zum Beispiel eher zur Gegenseite gehören.“

Ich nickte ihm zu und er fuhr fort.

„Aber ich denke mal, wir haben ein bisschen Gesprächsstoff, vielleicht magst du mit zu mir kommen? Ich kann dir bestimmt einen Sekt oder so etwas anbieten, in der Kneipe.“

„Klar, hört sich toll an, ich könnte jetzt ein schönes, kühles Weißbier brauchen.“

Er grinste mich breit an, irgendwie fühlte ich mich fast ein wenig durchschaut wegen meiner eher männlichen Getränkewahl. Der Gedanke war aber natürlich Unsinn.

„Bayrische Elfen sind mir die liebsten. Du kriegst ein frisches Weißbier vom Fass.“

Ich schlug ihm begeistert auf den Rücken, das war doch mal ein herzliches Willkommen hier. Wir gingen los, der restliche Rat war bereits vor einer Weile losgelaufen, ich war mit Thomas zurückgeblieben.

Georg war mit den Ratsmitgliedern mitgegangen, lautstark diskutierte er mit einigen, die Möglichkeit, seinem Vater wirklich helfen zu können, hatte seine Laune ganz erheblich gebessert und er blühte auf vor Initiative. Wir erreichten die Kneipe kurz nach ihnen, Thomas bot mir einen netten Platz an der Theke an.

Seine Küche war etwas ganz Besonderes, das bewies er mir sehr bald nach der Ankunft, und sein Bier war das Beste seit langem, das Riemer Kneipenbier konnte da nicht ganz mithalten.

Ich hielt mich mit dem Alkohol zurück, ich wollte mich nicht vor den Fremden hier verplappern. Ich unterhielt mich an diesem Abend noch sehr lange mit Thomas, ich bekam genaue Wegbeschreibungen und auch den Ort meines Begehrens in meiner Karte eingezeichnet. Ich hoffte, dass die Elfen vielleicht sogar noch mehr Unterstützung im Kampf beitragen konnten als die Menschen, jedenfalls, wenn die anderen Elfen so viel Talent im Töten wie ich hatten. Dann wären sie mit Sicherheit wertvolle Verbündete, auf die wir auf keinen Fall verzichten konnten.

Thomas nannte mir sogar den Namen der Stadt der Elfen, sie hieß Larithin. Ich erfuhr auch, dass viele der Einwohner der Feste Unterschleißheim eigentlich Münchner waren. Georg landete im Laufe des Abends irgendwann an unserem Tisch, und er berichtete aufgeregt, dass der Rat ihn gebeten hatte, die Truppen so bald wie möglich zu seinem Vater zu führen.

„Georg, wir werden noch mehr Hilfe brauchen, nicht nur die der Menschen. Ich habe von dem Wirt erfahren, dass es zwei Tage Fußmarsch von hier eine Elfenstadt gibt. Wenn wir die Elfen auch dazu überreden können, uns zu helfen, dann haben wir eine echte Chance.“

Ich sah ihn ernst an, meine nächste Bemerkung fiel mir nicht leicht.

„Ich glaube, wir werden uns trennen müssen. Ich glaube nicht, dass die Truppen hier schon völlig ausreichen werden. Jemand muss aber diese Menschen nach Riem führen, und ich denke, das solltest du tun.“

Er war nicht glücklich darüber.

„Wir haben beide versprochen, meinem Vater Hilfe zu bringen und außerdem aufeinander aufzupassen. Wie soll ich auf dich aufpassen, wenn du alleine zu den Elfen läufst?“

Er sah nachdenklich in sein Glas und seufzte.

„In Ordnung, ich muss hier nur sicherstellen, dass alles seinen Gang geht, dann komme ich mit.“

„Georg, ich werde morgen in aller Frühe aufbrechen, und werde nur deshalb so lange warten, weil ich ein bisschen Schlaf brauche. Wir beide wissen ganz genau, dass du hier gebraucht wirst. Und dass jemand sofort zu den Elfen gehen muss, der eine Chance hat, dort auch etwas zu erreichen. Dein Vater brauche jede Hilfe, die er kriegen kann, und zwar so schnell wie möglich.“

Thomas nickte zustimmend und kam mir überraschend zu Hilfe.

„Stimmt, die Elfen können ganz schön arrogant sein, und die Kleine hier hat sicherlich die besten Chancen, falls sie wirklich ein Elf ist.“

Er sah wieder etwas irritiert zu meinen Augen.

„Und wenn nicht, naja, nahe genug, sollte reichen.“

Georg sah nicht sehr glücklich aus. Ich war es eigentlich auch nicht, ich sollte doch auch auf ihn aufpassen. Ich hatte ihn hergebracht und er war sicher, Hans wäre bestimmt auch dieser Meinung gewesen. Das musste Georg schließlich ebenfalls einsehen, es ging um seine Heimatstadt, also zählte jede Minute.

„Warum komme ich nicht einfach mit?“

„Weil hier wahrscheinlich bald ein Dutzend Anführer von kleineren Truppen herumtanzen, die alle überzeugt werden wollen, und zwar von dir. Falls hier irgendwas schief geht, brauchen wir entweder dich oder mich hier. Also, siehst du es endlich ein, oder muss ich dich erst verprügeln?“

Ich zwinkerte ihm zu, worauf er mich breit angrinste.

„Wahrscheinlich würde dir das sogar das gelingen, du kleine und arrogante Elfenhexe.“

Den Spruch hatte ich mir verdient, ich lächelte zurück. Er blickte in sein Bierglas.

„Okay, ich gebe es zu, wir haben keine andere Chance, und mein Vater geht vor.“

Er schaute mich traurig an.

„Ich werde dich vermissen, Althea, und bitte vergiss nicht, wiederzukommen.“

Nun war ich doch gekränkt, nahm es ihm aber nicht übel, genau so verhielten sich anscheinend alle anderen Elfen nun mal.

„Wir brauchen dich, außerdem stehst du bei uns im Sold.“

Wir lachten beide dabei laut auf und alles war wieder gut.

„Ich verspreche es dir, ich werde bei den Elfen sobald wie irgend möglich wieder verschwinden und nach Riem zurückkehren. Sobald ich das Gefühl habe, dass sie wirklich kommen, bin ich da wieder weg, dein Vater braucht jeden Mann.“

„Mein Vater braucht vor allen Dingen seinen besten Soldaten, der noch dazu ein Mädchen ist.“

Ich wurde rot.

„Sag so was nicht.“

„Warum nicht, du musst meinem Vater helfen, ich versuche dir nur klar zu machen, wie wichtig du für uns geworden bist. Du hast Soldaten wie Anton beeindruckt, die Truppe motiviert und meinen Vater seit langen wieder mal zum Lachen gebracht.“

Er sah mir tief in die Augen, die Bedeutung seiner Blicke blieb mir jedoch verschlossen, Georg war manchmal ein Rätsel für mich. Wir tranken noch ein letztes Bier, dann zeigte uns Thomas ein Plätzchen zum Übernachten, er hatte ein paar Gastzimmer, die sehr bequem waren. Zum Abschied umarmte ich Georg, er würde mir fehlen. Er war mir wochenlang praktisch nicht von der Seite gewichen und für mich ein guter und treuer Freund geworden. Er hielt mich fest an sich gedrückt, als wollte er mich nie wieder loslassen. Ich zauste ihm durch die Haare und gab ihm noch einen Kuss auf die Wange, dann ging ich in mein Zimmer.

Ich lag noch eine Weile wach und grübelte über den heutigen Tag nach. Thomas hatte mir einen neuen Weg eröffnet, wenn der Weg auch nicht mehr ganz so eindeutig wie vorher war, ich war verunsichert, wer oder was ich nun eigentlich war. Dieses Ziehen, die Sehnsucht der Elfen, von der er berichtete, das hatte ich so nie empfunden. Nur den Drang, herauszufinden, wer ich eigentlich war.

Ich wollte weiter ziehen, aber nicht in eine bestimmte Richtung, und krank wurde ich auch nicht dabei. Nun, die einzige Möglichkeit, Genaueres herauszufinden, war wohl, die Elfen aufzusuchen, und genau das hatte ich vor. Ich würde die Suche nach mir selbst und meiner Rasse eventuell doch noch nicht erfolgreich abschließen können, aber vielleicht bekam ich wenigstens für die Feste weitere Unterstützung.

Schließlich fiel ich in einen unruhigen Schlaf, aus dem ich früh am Morgen erwachte. Ich packte mein Zeug zusammen und brach auf, nachdem ich mich von Thomas verabschiedet hatte, Georg schlief zum Glück noch, ansonsten wäre mir der Abschied deutlich schwerer gefallen.

 

 

17 Die Elfen von Larithin

 

Wenn alles gut ging, sollte ich die Elfenstadt eigentlich in höchstens zwei Tagen erreichen, eventuell sogar ein bisschen schneller. Sie lag südwestlich vom Ammersee, in der Nähe des Städtchens Peißenberg. Ich hatte auch mit Georg schon ein ordentliches Tempo gehalten, aber diesmal war ich wirklich schnell unterwegs. Ich lief die Berge in lockerem Trab hinunter, und hinauf marschierte ich hart, solange ich das Tempo irgendwie durchhielt. Nahrung hatte ich genug dabei für die zwei Tage, auch wenn es kalt nicht besonders schmeckte. Die Schwert-Übungen ließ ich weg, solange ich mich kräftig und wach genug fühlte, rannte ich immer weiter, getrieben von der Sorge um meine Freunde in der Feste.

Als ich durch die völlig unbewohnte Ruine von Peißenberg durchgelaufen war und danach noch nordwestlich einen kleineren Berg hinauf, kam endlich auch die lang ersehnte Stadt der Elfen in Sicht; sie lag direkt vor mir in einem Tal. Laut Karte war merkwürdigerweise an der Stelle einmal ein Berg gewesen.

Es war ein überwältigender Anblick, die Stadt sah aus wie aus einem Märchen, inklusive dem Schloss mitten in der Stadt auf einer Anhöhe. Alle Gebäude einschließlich der Wälle waren völlig in Weiß gehalten. Die Dächer leuchteten in einem märchenhaften Rot, und Flaggen wehten hoch darüber in vielen Farben. Dies war keine Baustelle wie alles andere was ich bisher gesehen hatte, dies war fast völlig fertiggestellt. Die unglaublich machtvolle Magie der Elfen hatte diese Stadt geschaffen, auch mit modernster Baukunst und sehr vielen Maschinen hätten wir so etwas nicht in einem halben Jahr hinbekommen. Die Stadt war so groß, dass sie für viele Tausend Einwohner Zuflucht bot, und sie strahlte wie ein leuchtendes Juwel in dem Tal, ihre schiere Schönheit überwältigte mich. Ich war wie berauscht, ich wusste auf einmal, ich war am Ende meiner Suche angelangt, dies waren meine Leute, mein Volk, vielleicht würde es auch meine neue Heimat werden.

Ich war voller Hoffnung, endlich meine Bestimmung zu finden, als ich den Berg herunterrannte und dann über die Ebene vor der Stadt in Richtung des großen Tors lief. Ich schritt auf die Wachen zu, die am Tor standen. Es war ein ganz normaler und gewöhnlicher Tag für die Elfen, viele kamen und viele andere verließen die Stadt und gingen irgendwo ihren Geschäften nach.

Es herrschte ein reger Verkehr, sogar vor der Stadt schon. Es sah ganz danach aus, als ob hier eine blühende Kultur entstanden war, die alles in den Schatten stellte, was die Menschen in der gleichen Zeit mit ihren Festungen erreicht hatten. Als ich näherkam, konnte ich den weißen Stein bewundern, aus der die Mauern bestanden. Es sah fast so aus, als wäre die ganze Stadt aus dem Boden gewachsen, wie grob behauener Felsen, ohne Narben oder Fugen.

Ich konnte die Magie nur bewundern, mit der sie eine solche Stadt geschaffen hatten. Die Wachen hielten mich zwar auf und betrachteten mich ein wenig misstrauisch, vor allen Dingen, als sie in meine Augen sahen, aber sie waren dabei sehr freundlich. Mir fiel sofort auf, dass hier niemand gänzlich weiße Haare wie ich hatte, auch ihre Augen sahen für mich enttäuschend menschlich aus.

Meine Hoffnung sank und mein Stimmungshoch verflog. Die Elfen sahen ganz anders aus als ich. Die spitzen Ohren waren identisch zu meinen, auch die Feingliedrigkeit stimmte mit meiner überein. Die Elfen waren ein hochgewachsenes Volk, ich überragte jedoch die meisten von ihnen, auch die Männer. Sie waren ausnahmslos alle wirklich schön, ich sah niemanden, der vernarbt oder verkrüppelt war.

Ihre Haut war völlig weiß, nicht wie meine, ich hatte aufgrund meines Aufenthaltes in der Sonne schon ein bisschen Farbe bekommen, wenn auch nicht viel. Einer der Wachen sprach mich genauso verunsichert an, wie ich mich gerade fühlte.

„Bist du dem Ruf gefolgt?“

Ich blickte ihn verwirrt an.

„Es tut mir leid, ich habe leider keine Ahnung, wovon du redest. Ich bin im Auftrag der Menschen hier, um die Hilfe des Elfenvolkes zu erbitten, im Kampf gegen die dunklen Mächte der Ork.“

Der Ruf, er musste damit wohl die Sehnsucht der Elfen zu diesem Ort meinen, von der mir Thomas berichtet hatte. Ich seufzte wieder, meine Hoffnung sank.

„Ich denke mal, du solltest mit einem Offizier reden, bitte folge mir. Darf ich dich um deinen Namen bitten?“

„Natürlich, ich heiße Althea.“

Er lächelte.

„Die Heilerin, ein schöner Name für eine Elfe. Selbst wenn du keine Elfe bist. Du hast aber viele unsere Rassenmerkmale, aber so etwas wie dich habe ich noch nie gesehen. Was für einer Rasse gehörst du denn an?“

Ich blickte ihn enttäuscht an.

„Ich weiß es nicht, das ist der zweite Grund, warum ich hier bin, ich habe gehofft, etwas mehr über mich selbst herauszufinden.“

Er antwortete zuversichtlich.

„Ich schätze mal, irgendwer hier bei uns kann dir bestimmt weiterhelfen, wenn es der Wunsch der Königin ist. Wir haben sehr mächtige Magier hier, sie sollten etwas über dich herausfinden können.“

„Ihr habt eine Königin?“

Ich muss wohl ziemlich verblüfft ausgesehen haben, er lachte jedenfalls auf.

„Oh ja, bei uns weiß jeder ziemlich genau, wofür er bestimmt ist. Jedenfalls fast jeder, und die Königin hat ebenfalls eine Bestimmung, sie kann eigentlich am wenigsten entscheiden, was sie einmal tun möchte, sie wurde zur Königin geboren. Aber lass dir das am besten von ihr selbst erklären, ich vermute, man wird dich sowieso zu ihr bringen, und zwar ziemlich schnell, die Nachrichten, die du bringst, sind ja recht brisant.“

Er klopfte an eine Tür in einem der Türme und trat gleich danach ein. An einem Tisch saß ein eleganter und Autorität ausstrahlender Elf in einer Uniform, er war in irgendwelche Dokumente vertieft. Er blickte auf und lächelte mich an.

„Ah, eine äußerst willkommene und noch dazu wirklich hübsche Ausrede, dem Papierkrieg zu entkommen. Was kann ich für euch tun, meine Dame?“

Der Wachsoldat sprach für mich.

„Althea kommt als Botschafterin. Allerdings nicht als Elfische, sondern von den Menschen, interessant, nicht? Sie ist, das glaube ich jedenfalls, keine richtige Elfe, wenn sie uns auch ziemlich ähnlich sieht. Sie bittet uns, die Hunde des Krieges zu entfesseln und gegen die Ork zu ziehen.“

Der Offizier bekam sofort eine bitterernste Miene.

„Dann sollten wir sofort zur Königin aufbrechen, anscheinend sind sie näher als wir dachten. Bitte folge mir doch, Althea.“

Er nickte dem Wachposten zu.

„Du gehst zurück auf deinen Posten, und haltet die Augen auf, vielleicht ist ihr jemand gefolgt. Schicke Boten zu den anderen Toren, wir müssen die Wachsamkeit erhöhen. Denkst du, sie greifen uns hier an?“

Er hatte die Frage an mich gerichtet.

„Nein, nicht so bald jedenfalls, sie haben ihre Aufmerksamkeit einer Menschenfestung zugewendet. Die wird allerdings nicht mehr lange standhalten. Höchste Eile ist geboten, denn das Heer der Ork ist riesig und die Menschenfestung in Riem wird ohne Hilfe fallen.“

„In Ordnung, lass uns gehen. Wir werden die Königin aus ihren Tagesgeschäften reißen müssen. Wahrscheinlich ist sie nicht sonderlich unglücklich darüber, aber Krieg wird sie absolut nicht begeistern.“

Ich nickte und dachte an meine eigenen Probleme mit dem Tod, den ich den Ork immer wieder bringen musste. Aber auch ohne das war Krieg einfach zu schrecklich. Wir liefen durch die Stadt, die Straßen waren eng, jedoch nicht viel enger als in vielen anderen europäischen Städten, die ich gesehen hatte. Es gab natürlich keine mehrspurigen Straßen, die waren ohne Elektrizität und Autos überflüssig, sie waren aber breit genug, um auch Wagen hindurch zu lassen. Es gab Geschäfte und wohl auch Handel, der Offizier erklärte mir, dass sie sogar eine Währung hatten, die nächstliegende, es waren Edelmetalle wie Gold und Silber.

Die Elfen hatten ihre Stadt aus dem Felsen wachsen lassen, auf dem sie sie errichtet hatten, und zwar, wie ich richtig vermutet hatte, mit magischen Mitteln. Wie genau, konnte mir der Offizier nicht erklären, aber es hatte wohl etwas damit zu tun, wie eng die Elfen mit der Natur verwurzelt waren. Die Dächer waren aus Holz gebaut und mit Ziegeln bedeckt, was sie mit der Hand hatten machen müssen. Es war trotzdem eine großartige Leistung, vor allem, wenn man bedachte, dass sie für die Stadt nicht mehr als ein halbes Jahr Zeit gehabt hatten.

Ich konnte jetzt auch sehen, dass an vielen Dächern noch gearbeitet wurde, auch hier war also nicht alles reine Hexerei, was mich irgendwie beruhigte und den Elfen etwas von ihrer Menschlichkeit zurückgab. Die Elfen, denen wir begegneten, kamen mir auf den ersten Blick ein wenig hochnäsig vor, sie waren allerdings immer äußerst freundlich, wenn man sie grüßte. Ob Menschen oder Zwerge hier genauso freundlich behandelt wurden, wagte ich jedoch nicht abzuschätzen..

Wir erreichten das Schloss, hier hatten die Elfen eine wahre Meisterleistung vollbracht, es gab sogar richtige Fenster, was in der restlichen Stadt eher auf Nischen in den Wänden beschränkt war, die man mit Holzläden abdecken konnte. Das Schloss hatte viele Stockwerke über dem Boden und war so akkurat wie ein Haus unserer Zeit gebaut worden, obwohl es gewachsen war. Die Wände waren fast völlig glatt und trotzdem machte alles einen irgendwie verwachsenen Eindruck.

„Wir benutzen Magie, um alles zu erschaffen, was wir brauchen, wir haben für die ganze Stadt allerdings keinen einzigen eisernen Nagel verwendet. Stahl und Eisen machen uns sehr zu schaffen, wir versuchen es überall zu vermeiden, wo es geht. Rüstungen haben wir aus Aluminium oder Titan geschmiedet, zum Beispiel.“

Ich dachte kurz an mein Kettenhemd im Rucksack, nein, eine Elfe war ich wohl wirklich nicht.

„Unsere Schmiede benutzen ebenfalls Magie, um ihre Feuer heißer brennen zu lassen. Eine Aluminium-Titan-Legierung ist so ziemlich das Beste, dass wir herstellen können, mit Elektroöfen könnten wir es nicht viel besser machen. Aber wir sollten das alles auf ein andermal verschieben, wir sind angekommen.“

Er öffnete eine große Tür und trat in eine Halle, dort saß eine Elfe in einer edlen Rüstung, die ihren Oberkörper inklusive der Brüste stilisierte, und mit einem stark verzierten und filigran wirkenden Schwert an der Seite. Sie trug lange Stoffstreifen aus Seide zur Zierde an den Beinen. Im Großen und Ganzen zum Kampf eher wenig geeignet, aber sehr beeindruckend zu Paradezwecken. Sie sah absolut umwerfend darin aus, der Stil erinnerte mich ein wenig an römische Rüstungen. Der Offizier salutierte vor ihr.

„Generalin, bitte entschuldigt die Störung, aber wir müssen mit der Königin reden, und zwar möglichst sofort, die Sache erlaubt keinen Aufschub. Es sieht so aus, als würden wir Krieg bekommen, genau, wie wir es schon vorhergesehen hatten.“

Sie nickte und ohne eine weitere Frage erhob sie sich und marschierte zu einer der Treppen, uns winkte sie mitzukommen. Sie runzelte kurz die Stirn, als sie mir in die Augen sah, machte aber keine Bemerkung. Sie verschob alle Fragen offensichtlich auf das Treffen mit ihrer Königin. Die Elfen legten eine Effizienz an den Tag, die mich beeindruckte. Dann bekam ich einen Schreck, ich blickte an mir herunter - ich trug zwar nicht die schwarzen Lederklamotten von Hans, die waren nun wirklich nicht geeignet für Gewaltmärsche, aber trotzdem nichts, was auch nur im entferntesten salonfähig war. Meine Kleidung war auch nicht mehr besonders sauber nach dem Marsch der letzten beiden Tage, und zusätzlich hatte ich noch den Rucksack auf dem Rücken.

„Ich kann doch so nicht vor eure Königin treten. Ich habe weder die Garderobe, noch ...“

Die Generalin lachte auf, es war das erste Mal, dass ich ihre Stimme hörte. Sie hatte eine helle und freundliche Stimme, die nicht zu einer Soldatin passte.

„Du hast zweifelsohne recht, aber das macht nichts, wir sind hier nicht so formal, wie es auf den ersten Blick ausschaut. Deine Garderobe ist durchaus angemessen für das erste Treffen, danach werden wir weitersehen. Wir haben sicherlich einen Platz für ein Bad und auch ein Kleid für dich, aber erst musst du ihr Bericht erstatten, wir brauchen vermutlich jede Minute für unsere Vorbereitungen, die wir bekommen können, nicht wahr?“

Sie blickte mich fragend an und ich nickte ihr zustimmend zu. Sie öffnete eine große Flügeltür und betrat ein Arbeitszimmer, in dem anscheinend eine Konferenz gehalten wurde.

 

 

18 Jaritha

 

Eine Elfe stand am Ende des Tisches, hochgewachsen und atemberaubend. Sie hatte hellblonde Haare, fast so weiß wie meine, aber durchzogen von feinen Strähnen aus fast golden wirkendem, etwas dunklerem Blond, und sehr fein geschnittene Gesichtszüge. Sie trug ein langes, weißes Kleid, modern geschnitten, sehr wallend und fast überall mit Schlitzen versehen, man konnte sehr viel ihrer weißen Haut sehen. Auf dem Kopf hatte sie ein relativ unscheinbares silbernes Diadem, nichts, was sie trug, sah eigentlich sonderlich nach Reichtum aus.

Sie war eine der wenigen Menschen, die Säcke tragen konnten und trotzdem Autorität und Macht ausstrahlten. Sie überstrahlte in ihrer zeitlosen Schönheit geradezu den ganzen Raum. Sie war aufgestanden und sprach zu den anderen Elfen, die am Tisch saßen.

„Mir ist die Lage klar, meine Damen und Herren, ich kann eure Probleme sehr gut nachvollziehen, ich habe selbst mitgeholfen diese Stadt aufzubauen, und mir gefällt die Idee auch nicht, ein so starkes stehendes Heer unter Waffen zu haben. Aber wir können davon ausgehen, dass unsere Magier und Baumeister das genauso sehen, sie würden niemals unsere Stadt mit leeren Warnungen in den Untergang treiben. Wir haben die Ork aus dem Land getrieben, und ich habe nicht vor, das Ganze beim nächsten Mal völlig alleine und ohne Soldaten zu tun. Wir brauchen unsere Armee ...“

Sie blickte uns an und verstummte. Sie fixierte mich mit ihren strahlend blauen Augen, und aus purer Ehrfurcht vor einer solchen Autorität hatte ich das Verlangen auf den Boden zu schauen. Dennoch schaute ich gerade zurück in ihre Augen. Ihr Gesicht blieb völlig ausdruckslos, ich konnte keine Regung erkennen. Sie drehte sich wieder zu ihrer Gesellschaft um.

„Ich muss euch leider vertrösten, ich habe das Gefühl, hier kommen schlechte Nachrichten. Würdet ihr mich bitte entschuldigen?“

Alle im Raum drehten sich zu mir um. Das Gemurmel im Raum wurde lauter, ich konnte einige Wortfetzen verstehen, es ging wohl hauptsächlich um mein Haar und meine Augen. Die Bemerkungen waren eher abfällig, ich hatte nicht unbedingt das Gefühl, bei diesen Leuten willkommen zu sein. Ich konnte sie sogar verstehen, es waren offensichtlich Händler, Bauern und ähnliches, ganz normale Leute, die sich um ihre Stadt sorgten und sie zu etwas besserem machen wollten. Und ich sah nicht gerade wie jemand aus, der dabei half.

Nun, sie hatten recht damit, wie sehr, konnten sie nicht einmal erahnen. Ich brachte Krieg zu diesem idyllischen Ort, ich konnte nicht gerade behaupten, dass ich mich sonderlich wohl dabei fühlte. Das war der Moment, in dem ich doch noch die Augen zu Boden schlug und meine Stiefelspitzen anblickte. Ich weiß nicht, ob mir das Blut ins Gesicht schoss, es fühlte sich auf jeden Fall so an.

Ich zwang mich, an all die Ork zu denken, die ich getötet hatte, und an die Schreie der Soldaten, die neben mir gefallen waren. Die Gesichter von Hans, Georg und Sabine tauchten vor meinem geistigen Auge auf. Das reichte, mein Blut wurde zu Eis und ich riss mich zusammen. Ich blickte auf, direkt in die Gesichter der Elfen, und öffnete meine Augen ein wenig weiter, um die Katzenaugen zu betonen. Sie mussten an uns vorbei, und ich konnte sehen, wie sie zusammenzuckten, als sie meinen verbitterten Gesichtsausdruck sahen. Kaum einer hielt meinem Blick stand.

Es war eigentlich merkwürdig, den Menschen war ich viel zu fremdartig erschienen und sie hatten doch kaum Ablehnung gezeigt. Diese Elfen jedoch lehnten mich offen ab. Das war der letzte Hinweis, den ich brauchte, dies hier war nicht mein Volk, genauso wenig wie die Menschen. Enttäuscht seufzte ich auf. Der Offizier schloss die Tür hinter den Letzten, die den Raum verließen. Ihre Königin stand immer noch bei ihrem Stuhl, als die Generalin und der Offizier zu ihr traten.

„Es scheint soweit zu sein, die junge Dame hier bringt wohl die Nachrichten, die wir die ganze Zeit befürchtet hatten. Ich weiß jedoch noch nicht viel mehr. Ihr Name lautet Althea.“

„Ein griechischer Name, wirklich passend. Mein Name ist Jaritha, und ich habe hier die Aufgabe der Königin inne. Welche Nachricht überbringst du uns, Althea?“

Ich blickte ihr fest in die Augen und riss mich so gut es ging zusammen.

„Ich komme aus einer Festung, nicht weit im Osten von hier, in der Nähe von München. Ork haben ein riesiges Heer aufgestellt und fallen in die Länder Richtung Westen ein. Die Festung ist das Einzige, was sie im Moment noch aufhält, aber sie können nicht mehr lange standhalten. Die Festung wird von Menschen und Zwergen gehalten, jedenfalls wurde sie es noch, als ich von dort aufbrach. Dieses Heer wird mordend und plündernd über alles herziehen, was ihr hier aufgebaut habt, dessen bin ich mir sicher, die Frage ist nur, wann. Ein Sturm ist aufgezogen, und wenn wir nicht alle zusammenhalten, werden wir alle in diesem Sturm untergehen. Dieser Sturm trägt jedoch keinen Menschennamen, sondern den Namen Ork. Ich war mit dem Sohn des Kommandanten der Grenzfeste Riem bereits bei anderen Menschen im Norden Münchens, wir haben dort Unterstützung zugesagt bekommen, aber es wird vermutlich nicht reichen. Wir brauchen alles, was wir auftreiben können. Daher bitte ich euch um Hilfe bei der Verteidigung gegen einen übermächtigen Gegner, der ein Feind von uns allen ist. Ich flehe euch an, eure Majestät, ihr müsst uns helfen.“

Dann sank ich auf die Knie. Jaritha lächelte zum ersten Mal und kam auf mich zu, sie ergriff meine Hände und zog mich hoch. Danach ließ sie meine Hände jedoch nicht los, sondern hielt sie weiter in einem zarten Griff und sah mich ernst an. Ich konnte fühlen, dass sie zwar auf bessere Nachrichten gehofft hatte, allerdings genau diese erwartet hatte.

„Ich habe es befürchtet, wir alle haben es befürchtet, nur nicht ganz so schnell. Ich weiß nicht einmal, wie viele Truppen ich entsenden kann. Wir werden euch selbstverständlich helfen, ich kann nur die Stadt hier nicht völlig schutzlos zurücklassen. Ich werde dich selbst begleiten, wenn du zur Feste zurückkehrst. Ich brauche wahrscheinlich etwa einen vollen Tag, bis ich das Heer zusammengezogen habe und die Stadt in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt habe. Du solltest dich solange ausruhen und erholen.“

Ich schluckte.

„Ich muss so schnell wie möglich wieder zur Feste, ich werde euch zeigen, wo sie sich die Festung befindet, ihr könnt sie nicht verfehlen. Ich habe das Gefühl, das sie dort jeden Mann brauchen werden, um durchzuhalten. Außerdem kann ich zurückkehren und euer Heer benachrichtigen, falls die Hilfe bereits zu spät kommt.“

Der Magen drehte sich mir bei dem Gedanken herum. Sie zuckte nun doch deutlich zusammen und wurde blass.

„Wie groß ist das Heer der Ork denn? Wir haben hier zwar Truppen, aber kein richtiges Heer.“

Ich kannte mich mit Menschenmassen nicht aus.

„Ich würde schätzen, dass sie mehrere tausend Mann aufgebracht haben, vielleicht so um die zehntausend Mann, vielleicht sogar mehr, es ist sehr schwer für mich das abzuschätzen. Wir haben bei ihrem ersten Angriff sicherlich einige Hundert von ihnen getötet, was ihre Stärke nicht merklich zu verringern schien. Sie haben keinerlei Magie, was uns einen großen Vorteil einbrachte, aber ich bin nicht sicher, wie lange die Festung noch durchhalten kann.“

„Wir werden so schnell wie möglich nachkommen, mit so vielen Truppen, wie ich zusammenbringen kann, du hast mein Wort darauf.“

Ich konnte deutlich fühlen, dass sie es ehrlich meinte, auch wenn ich nicht wusste, woher dieses Gefühl kam.

„Ich vertraue euch vollkommen, eure Majestät.“

Ich blickte sie unsicher an, ich war nicht sicher, ob ich meine Frage wirklich stellen sollte, sie nickte mir jedoch aufmunternd zu.

„Ich verstehe jedoch nicht, warum ihr mir einfach so vertraut. Die Menschen schickten mich, weil sie dachten, dass ich als Elfe die besten Chancen habe, euch zu überzeugen, anscheinend bin ich aber gar keine Elfe.“

Sie lächelte mich an.

„Elfen sind die magischste aller Rassen, bis auf Drachen natürlich, was glaubst du denn, woher ich weiß, dass ich dir vertrauen kann?“

Ich lächelte sie an, Magie war natürlich die Antwort.

„Ich habe viele Fragen über euer Volk, und auch darüber, was passiert ist, das meiste nach dem großen Umbruch habe ich verschlafen, fürchte ich.“

Sie nickte mir zu und ließ meine Hände los, sie hatte sie während des ganzen Gesprächs gehalten. Es hatte auf mich beruhigend gewirkt, ich hatte mich willkommen gefühlt.

„Du willst sicherlich erst morgen früh aufbrechen, ich werde heute Nachmittag bereits damit anfangen, die Armee zusammenzuziehen, heute Abend können wir uns in aller Ruhe unterhalten, was meinst du? Oh, und bitte lass alle Formalitäten, ich mag Formalitäten nicht sonderlich.“

Ich nickte ihr zu, dann verließ ich gemeinsam mit dem Offizier die Königin. Ich war mehr als nur beeindruckt von der Königin der Elfen. Sie war eine Frau von schnellen Entschlüssen und erschien mir unglaublich weise und gutmütig. So einen Herrscher wünschte sich jedes Volk, leider gab es bei den Menschen so etwas so gut wie nie, deshalb war da die Demokratie die einzige Lösung.

Außerdem war sie mindestens genau so schön wie Sabine, und durch ihre Elfen-Eigenschaften wirkte sie wie eine Fee aus einem Märchen.

Der Offizier brachte mich zu einem anderen Bereich des Schlosses.

„Hier ist dein Quartier, Althea, du findest auch ein Bad im nächsten Raum. Bitte fühle dich wie zu Hause, ich werde dir auch jemanden vorbeischicken, der dir etwas zum Anziehen für das Treffen mit Jaritha später bringt. Herzlich willkommen bei den Elfen, werte Freundin.“

Ich lächelte ihn dankbar an, ich hatte halb erwartet, dass ich in Jeans zur Königin gehen würde. Ich verbeugte mich vor ihm und dankte ihm herzlich.

„Etwas mit Hosen, falls möglich, ja?“

Er erwiderte meine Verbeugung, salutierte mir mit einem amüsierten Lächeln, und verschwand.

Ich stellte meinen Rucksack in die Ecke und fing an mich auszuziehen. Die Kleider ließ ich auf den Boden fallen, wo ich gerade ging. Ich hinterließ eine Spur bis zum Bad, nackt dort angekommen, bestieg ich die Wanne und fing an mich zu duschen.

Eine richtige Dusche mit warmem Wasser, das war schon etwas, was ich auf meinen Reisen vermisste. Als ich mein Haar wusch, konnte ich bereits fühlen, dass es wirklich schmerzhaft werden würde, eine Bürste hindurch zu bekommen.

Ich fühlte mich so gut, wie schon seit einer Weile nicht mehr. Ich verließ das Bad und ging zurück in mein Zimmer. Ich erschrak, als eine junge Elfe plötzlich vor mir stand. Sie hatte feuerrotes Haar und war noch sehr jung.

Ich wickelte das Handtuch um mich herum, und blickte sie ein wenig verlegen an. Sie kicherte lediglich und zuckte mit den Schultern.

„Hallo, es tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe. Ich habe zwei Schwestern, die auch ständig zu Hause nackt herumlaufen. Es macht mir also nichts aus, wir Elfen sehen das alles nicht so eng.“

Sie musste noch sehr jung sein, sie hatte wohl nicht einmal daran gedacht, dass es mir unangenehm sein könnte. Ich lächelte sie an, etwas betreten, und meinte zu ihr.

„Es tut mir leid, ich bin weibliche Gesellschaft nicht mehr gewohnt. Wie kann ich dir helfen?“

Sie schaute mich blinzelnd an.

„Ich soll dir helfen und ich bringe dir auch was zum Anziehen. Ich werde deine Sachen reinigen lassen, ich habe sie schon zum Waschen runtergebracht. Was kann ich sonst noch für dich tun?“

Sie unterbrach kurz ihren Redefluss und blickte mich neugierig an.

“Du hast schöne Haare, ganz weiß, so etwas habe ich noch nie gesehen. Deine Augen sehen auch komisch aus, was hast du damit gemacht, hast du sie einer Katze gestohlen?“

Ich lachte auf, sie hatte angefangen zu sprechen, wie eine kleine Erwachsene, doch dann war das Kind wieder zum Vorschein gekommen.

„Nein, ich wurde damit geboren. Bei mir ist alles ein bisschen anders als bei euch“, versicherte ich ihr.

„Ich muss morgen sehr früh aufbrechen, meinst du meine Kleidung ist bis dahin wieder trocken?“

„Natürlich, ich habe gesagt bekommen, dass es schnell gehen muss. Auf dem Bett liegt dein Kleid, es ist kein richtiges Kleid, sondern eher ein Hosenanzug, aber du siehst bestimmt toll damit aus. Darf ich dir helfen und deine Haare bürsten?“

Ich strahlte sie an.

„Würdest du das für mich tun? Das wäre wirklich wunderbar, ich habe mich so lange nicht darum gekümmert, es wird bestimmt schwer, da durchzukommen.“

Ich setzte mich auf das Bett, meine Haare waren wirklich lang geworden, sie reichten fast bis auf das Bett. Entweder würde ich sie abschneiden oder mir etwas einfallen lassen müssen, damit sie beim Kampf nicht störten. Ein halbes Jahr im Koma und dann noch die Monate danach, alles ohne einen einzigen Haarschnitt, vermutete ich mal.

„Deine Haare sind etwas verfilzt, aber das kriege ich wieder hin. Du solltest sie offen tragen, du siehst gut damit aus. Hast du eine Spange, mit der du deine Haare aus dem Weg hältst? Ich habe nichts gesehen, außer dem Lederband auf dem Boden. Ich bringe dir morgen früh ein paar Spangen. Weißt du, wie du dir die Spangen ins Haar stecken musst?“

Ich schüttelte den Kopf, was mir ihr völliges Unverständnis einbrachte.

„Halt still, sonst werde ich hier nie fertig. Ich zeige dir morgen früh, wie du mit deinen Haaren umgehen musst, ich komme gleich nach dem Aufstehen, okay?“

Ich verzog mittlerweile das Gesicht, sie war nicht gerade zimperlich, aber ich sagte nichts, ich hatte meine Haare lange genug vernachlässigt, es war schließlich meine eigene Schuld. Als sie schließlich fertig war, seufzte ich erleichtert auf.

„Schau dich im Spiegel an, gefällt es dir?“

Ich stand auf, und ging zum Spiegel, es war ein riesiger Spiegel, der sogar für meine Größe ausreichend war. Meine Haare sahen wirklich gut aus, wie ein Vorhang aus Seide flossen sie über meine Schultern und dann den Rücken hinunter.

Sie reichte mir den Hosenanzug, er war in einem dunklen Rot gehalten und hatte seitlich überall Schlitze. Ich fand es ein bisschen gewagt, ich hatte bisher schließlich nichts außer normalen Klamotten getragen. Vielleicht wurde es Zeit, dass ich mich meiner Rolle als Frau anpasste. Also zog ich ihn an. Das Mädchen hatte sogar ein paar Schuhe mitgebracht, zum Glück nichts mit Absätzen, sondern Sandalen, die ich die Unterschenkel hoch schnüren musste.

„Ich heiße übrigens Diana, und wie heißt du?“

Sie plapperte weiter, ohne auf eine Antwort zu warten.

„Hey, du schaust gut darin aus, ich denke mal, so kannst du dich bei Jaritha blicken lassen. Ich finde, du solltest deinen Bauch herzeigen, so flach wie der ist, aber es geht wohl auch so. Sieht halt nicht so hübsch aus. Hast du mal an Ohrringe gedacht? Es ist einfach, welche zu stechen.“

„Mein Name ist Althea, und nein, ich habe bisher noch keine Ohrringe, vielleicht irgendwann einmal. Schmuck wäre zu gefährlich, weißt du, ich bin Schwertkämpferin, da stört Schmuck.“

Sie nickte verständnisvoll. Ich stand auf und ging wieder zum Spiegel. Ich fand immer noch, dass es ein bisschen gewagt war, aber das dunkle Rot passte ganz gut zu meinen Haaren und zu meinem leicht gebräunten Teint. Man sah aber auch genau, wo ich Kleidung getragen hatte.

„Wie ist es mit Schminke? Ich kann bestimmt etwas von meinen Schwestern ausleihen, hast du denn gar nichts?“

„Nein danke, ich denke mal, das sollte reichen. Mit Schminke konnte ich mich noch nie anfreunden.“

Sie blickte mich erstaunt an.

„Nicht mal was für die Augen? Oh, stimmt, du brauchst sicherlich nichts, um deine Augen hervorzuheben. In Ordnung, ich denke mal, bald sollte sowieso jemand kommen, um dich abzuholen, ich verschwinde lieber. Wir sehen uns morgen früh, ja? Ich zeige dir dann, was du mit deinem Haar machen musst.“

Ich umarmte sie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Ich danke dir für deine Hilfe, Diana, du warst sehr lieb zu mir, ich fühle mich hier schon fast wie zu Hause.“

Sie wurde rot, knickste und dann lief sie aus dem Zimmer, nicht ohne mir noch mal zuzuwinken.

„Bis morgen früh, Althea!“

Ich setzte mich auf das Bett, zog die Beine an die Brust und dachte nach. Welches Recht hatte ich, diesem Volk den Krieg zu bringen? Diana hatte bestimmt Soldaten in der Familie, die die ganze Sache vielleicht nicht überleben würden. Ich wünschte mir, die Lage wäre anders, aber ich wusste genau, ohne die Grenzfeste würden die Ork überall ins Land strömen und die gerade neu entstehenden Zivilisationen zerstören. Ich hoffte nur, dass es genug Grenzfesten gab. Eine sichere Grenzlinie, das war es, was wir auf lange Sicht gesehen brauchten, um so etwas wie eine Barriere zu schaffen. Idealerweise so etwas wie die Chinesische Mauer.

Es hatte nicht lange nach der Umwandlung gedauert, bis die Menschheit sich wieder in einem gnadenlosen Krieg befand. Obwohl ich mich diesmal nicht dazu überwinden konnte, den Menschen die Schuld daran zu geben. Es waren viele neue Rassen darin verwickelt, und der Aggressor hatte nichts Menschliches mehr an sich. Aber wer stand hinter dem Aggressor? Die Ork hatten nicht die Intelligenz bewiesen, einen solchen Feldzug zu planen und durchzuführen. Außerdem fehlte ihnen eigentlich auch das Motiv dafür. Mir fehlte ein sehr wichtiges Detail in der ganzen Geschichte.

Rassenkonflikte gab es schon so lange wie die Menschheit selbst, das war nichts Neues. Die unterschiedlichen Rassen waren Grund genug für Menschen, um sich untereinander zu bekämpfen, aber woher kam das einigermaßen durchorganisierte Heer? Die Ork hatten sicherlich genug damit zu tun, sich selbst etwas aufzubauen, genauso wie die anderen Rassen ebenfalls, Grundbedürfnisse wie Nahrung und ein Dach über dem Kopf mussten auch bei ihnen vorhanden sein oder viele von ihnen würden den nächsten Winter nicht überstehen. Ich wusste nicht, wie kälteempfindlich sie waren, aber sie brauchten sicher genauso Essen wie wir Menschen.

Ich war mir sicher, dass auch diese Rasse intelligent genug war, um das klar zu sehen, sie mussten doch aber wenigstens einen Instinkt zum Überleben haben. Alles auf eine Karte zu setzen und diesen Krieg so früh zu starten war nicht logisch, es war einfach viel zu früh nach der Umwandlung für alle vernunftbegabten Parteien. Ich wusste genau, dass mir ein wichtiges Teil in diesem Puzzle entging, ich konnte nur meinen Finger nicht darauf legen.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als sich die Tür öffnete und die Generalin von vorher eintrat, Petra.

„Entschuldige bitte, ich habe geklopft, aber es kam keine Reaktion, hast du mich nicht gehört?“

Ich schüttelte etwas benommen den Kopf.

„Ich habe befürchtet, dass du vielleicht eingeschlafen bist. Es tut mir leid, dass ich einfach so eingetreten bin. Die Königin hat nun Zeit, möchtest du mir folgen? Wir haben es bereits angestoßen, dass sich unsere Truppen zum Abmarsch bereit machen, wir sollten in wenigen Tagen bereit sein. Meine Truppen werden es auf jeden Fall sein, aber komm doch erst mal mit, Jaritha wartet, und sie kann auch schon mal ungeduldig werden.“

Ich erhob mich vom Bett und streifte die Falten aus meinem Gewand, die ich verursacht hatte.

„Selbstverständlich, lass uns gehen, ich bin bereit. Oh, und ich bin dir dankbar, dass du mich aus meinen Gedanken gerissen hast, sie waren ziemlich trüb.“

Ein wenig nervös folgte ich ihr, sie brachte mich durch einige Gänge zu etwas, was wie die persönlichen Gemächer der Königin aussah, jedenfalls waren die Räume wesentlich informeller gehalten. Jaritha saß auf einer Couch und hatte die Füße hochgelegt, sie war offensichtlich damit beschäftigt, sich nach einem harten Tag auszuruhen. Sie trug immer noch ihr weißes Kleid, allerdings keine Schuhe mehr.

Ich beneidete sie nicht um ihre Aufgabe, es war bestimmt nicht einfach für sie. Der Raum war nicht klein, aber auch nicht groß genug, um ungemütlich zu wirken. Eine große Couch, wie ein U gehalten, stand mitten im Raum. Die offene Seite der Couch zeigte auf einen Kamin, der jedoch nicht brannte. Die Wände waren mit Teppichen verkleidet, hier hatte sich jemand mit viel Geschmack ein kleines Refugium der Ruhe geschaffen.

„Hallo Althea, bitte mach es dir doch gemütlich. Generalin Petra, du kannst gehen oder bleiben, wenn du möchtest, wir kommen hier schon klar. Ich danke dir vielmals.“

Sie winkte ihr zu, worauf die Generalin eine Verbeugung mit dem Kopf andeutete und den Raum verließ. Ich war überrascht, dass ich nicht von einem Diener abgeholt wurde, aber Diener hatte ich auch noch nicht gesehen.

„Normalerweise empfange ich hier niemanden mehr, aber ich bin fix und fertig nach dem Tag, ich hoffe, dir macht das informelle Treffen nichts aus. Ich wollte unbedingt noch eine Weile mit dir reden, ich brauche noch einige Informationen und Eindrücke, vor allem über das, was uns erwartet. Wir haben vorhergesehen, dass wir Ärger mit den Ork bekommen würden. Deshalb haben wir auch ein relativ großes Truppenkontingent, allerdings haben wir nicht mit einem richtigen Heer gerechnet. Eher mit vereinzelten marodierenden Truppen, die sich vielleicht hier und da mal vereinigen, um größere Überfälle unternehmen. Aber nicht mit kriegsähnlichen Verhältnissen.“

Ich setzte mich auf die andere Seite der Couch ihr gegenüber.

„Stimmt, das ist ein Punkt, der mich ebenfalls verwirrt, ich bin davon überzeugt, dass mir noch ein wichtiges Stück Information fehlt, aber ich habe keine Ahnung, welches.“

Ich schüttelte irritiert den Kopf. Sie lächelte mich an.

„Schade, ich hoffte, du weißt vielleicht mehr darüber. Warum erzählst du mir statt dessen nicht deine eigene Geschichte, am besten seit dem großen Umbruch der Welt, ich denke, damit finden wir am schnellsten eine gemeinsame Basis. Dann kann ich mir ein Bild machen.“

Ich lehnte mich zurück und berichtete ihr so ziemlich alles, was mir widerfahren war, seit dem ich in dem Krankenhaus erwacht war. Jaritha war eine aufmerksame Zuhörerin, sie war es wohl gewohnt lange Geschichten zu analysieren und sich die Informationen herauszugreifen, die ihr wichtig erschienen. Das schloss ich jedenfalls aus ihren Fragen. Ich vermutete, dass sie früher irgendeine Geisteswissenschaft studiert hatte, vielleicht Geschichte, Germanistik oder etwas in der Art.

Sie erzählte mir dann über die Elfen und gab mir einen wirklich detailreichen Einblick in diese neue Rasse. Die Elfen unterschieden sich weit stärker von den Menschen, als ich geahnt hatte. Die ersten Elfen hatten sich von einer unwiderstehlichen magisch-geistigen Kraft angezogen hier versammelt, um ihre Stadt zu errichten. Ein Elfenkreis bestehend aus zwölf Magiern, einer davon Jaritha, hatte mit vereinten Kräften ihre Stadt aus dem Felsen wachsen lassen.

Ich war erstaunt über diese Information - die Grundfesten der Stadt waren gerade mal von zwölf Personen gelegt worden. Die Magie der Elfen basierte ausschließlich darauf, die Natur zu lenken, ihr zwar keine Befehle zu erteilen, aber sie zu überreden, das zu tun, was sie von ihr wollten. Immer in völligem Einklang mit Mutter Erde und der Natur. Sie überzeugten die Felsen davon, die Form anzunehmen, die ihnen nützlich war.

Dabei hatten sie gewisse Regeln zu beachten, etwas völlig Unmögliches konnten sie nicht erzeugen, es musste etwas sein, das auch auf natürlichem Wege hätte entstehen können. Der Berg, den sie für die Gründung ihrer Stadt verwendeten, war fast völlig verschwunden, nachdem sie ihre Arbeit vollendet hatten. Alle anderen Elfen in einem gewissen Umkreis wurden danach genau wie die ersten zwölf zu diesem Ort hingezogen, von einem Ruf, der so stark war, dass kein Elf ihm lange widerstehen konnte.

Das hatte also der Wachmann gemeint, als er mich auf den Ruf angesprochen hatte. Ich hatte diesen Ruf nie vernommen, was für mich der Beweis dafür war, dass ich offensichtlich einem anderen Volk angehören musste. Leider ließ dieser Schluss keine weiteren mir bekannten Möglichkeiten offen, ich stand also wieder genau da, wo ich am Anfang gestanden hatte.

Es gab zwar noch mehrere Unterarten bei den Elfen, wie mir Jaritha berichtete, allerdings hatten alle Elfenvölker einen gemeinsamen Nenner, das war der Ruf, den sie nicht ignorieren konnten. Sie konnten ihre Heimat für einige Zeit verlassen, allerdings mussten sie irgendwann dorthin zurückkehren. Ohne die Heimat konnte ein Elf nicht überleben, jedenfalls die nicht, die nach dem Umbruch aufgetaucht waren.

„Du hast zwar einige Merkmale unserer Rasse, aber ich kann in dir etwas Fremdes erkennen, und das hat nichts mit deinen Augen zu tun. Das Fremde ist deine Seele, sie ist anders. Es tut mir sehr leid, Althea, aber ich bin davon überzeugt, dass dein Volk woanders zu suchen ist. Aber ich kann die Güte in deinem Herzen sehen, du bist uns jederzeit als Freundin willkommen, vor allem, wenn du mal nicht als Unglücksbote erscheinst.“

Sie lächelte mich an, und mir war klar, wie sie es meinte, trotzdem antwortete ich ihr.

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie schwer es mir fällt, deinem Volk eine solche Nachricht zu bringen. Ich sehe hier eine friedliche und vorbildliche Kultur im Entstehen begriffen, etwas Vergleichbares habe ich nirgendwo gesehen. Jedenfalls bisher, und euren Frieden zu stören ist mir ein Gräuel, aber ich weiß nicht, was ich sonst hätte tun können.“

Jaritha lächelte mich an und klopfte auf den Platz neben ihr. Etwas unsicher stand ich auf und ging auf sie zu. Sie streckte mir erneut die Hände entgegen und zog mich neben sich auf die Couch. Sie streckte ihre Füße aus und schob ihre Zehen unter meinen Schenkel.

„Althea, du bist einer der selbstlosesten Menschen, denen ich je begegnet bin. Du tust, was du tun musst, um uns allen zu helfen, und trotzdem denkst du noch andauernd an deine Mitmenschen. Ob du es nicht noch ein wenig besser machen könntest. Oder an deine Mitelfen oder an wen auch immer.“

Sie lächelte.

„Du musst dir keine Sorgen um uns machen, wir Elfen sind ein starkes Volk und wir werden überleben, da bin ich ganz sicher. Diese Sache geht uns alle an und mein Volk wird seinen Beitrag dazu leisten. Wenn wir auf eigenem Land kämpfen müssten, wäre es zwar am Anfang einfacher, Elfenmagie ist zu Hause deutlich am stärksten, aber man kann sich gegen alles wappnen. Wir haben nicht vor, unsere Nachbarn in diesem Kampf alleine zu lassen.“

Sie lachte auf.

„Aber deine Sorge um uns wärmt mir das Herz.“

Sie sah mich eine Weile schweigend an, ich konnte ihren Blick jedoch nicht deuten. Ihre körperliche Nähe und ihre Berührung verunsicherte mich zutiefst, sie brachte tief in mir eine Saite zum Klingen. Dann sprach sie wieder, leise, fast flüsternd.

„Deine Augen sind wirklich furchtbar irritierend, weißt du das? Es sind Augen, in denen man sich leicht verliert. Ich kann mir vorstellen, dass die Menschen wirklich unglaublich verwirrt sein müssen in deiner Gegenwart.“

Ich lachte leise.

„Es ist merkwürdig, aber die Elfen reagieren wesentlich empfindlicher darauf, das habe ich gleich bei meiner Ankunft bemerkt. Die Menschen sehen nicht viele Elfen, für sie war ich nur eine weitere Elfe, halt noch ein bisschen fremdartiger, aber das hat sie dann auch nicht weiter gestört.“

„Du hast meine Aristokraten zu Tode erschreckt, die Armen, sie konnten ihre Augen gar nicht mehr von dir abwenden. Schau nicht so entsetzt, ich habe mich seit langem nicht mehr so köstlich amüsiert. Woran hast du gedacht, als du rot geworden bist, und dann danach?“

Ich starrte verlegen auf meine Fußspitzen.

„Es gefiel mir nicht, dass ich den Krieg hier zu euch bringen muss, es bereitet mir Unbehagen, ich dachte daran, was deine Aristokraten tun werden, um deine Stadt am Leben zu erhalten und zu entwickeln. Das ist richtig, das sollten sie tun, ich wäre auf ihrer Seite, wenn ich auf mein Herz hören würde. Meine Verpflichtungen gehen jedoch in eine andere Richtung, nämlich die Menschen in ihrem Kampf gegen die Ork zu unterstützen. Es sind gute Menschen, und sie verdienen es nicht zu sterben. Ich konnte fühlen, wie ich rot wurde, also dachte ich daran, dass meine Freunde ohne Hilfe sterben müssten.“

Jaritha nickte verstehend.

„Ich mache das genauso, wenn ich versuche, jemanden von etwas zu überzeugen, was ich eigentlich nicht will - ich stelle mir die Alternativen vor. Musstest du viele Ork töten auf deinen Reisen?“

Ich erschauerte bei der Frage, antwortete jedoch ehrlich.

„Ja. Ich habe allerdings ein Problem mit dem Töten. Ich töte zwar meine Gegner, aber wirklich nur dann, wenn ich das Gefühl habe, dass es nicht anders geht. Ich fühle den Tod eines Lebewesens, auch den eines Ork, es schneidet jedes Mal tief in meiner Seele ein. Sabine, ein Magier aus der Grenzfestung, hat mir geholfen, als ich einmal so schlimm in meiner Agonie gefangen war, dass ich völlig weg war.“

„Das ist auch der Weg der Elfen, wir sind eins mit der Natur, wir können es nicht ertragen, wenn wir etwas tun, was gegen die Natur der Dinge verstößt, und Lebewesen wollen leben, alle von ihnen. Du bist uns ähnlicher, als ich dachte.“

Jaritha strich mir über die Wange, blickte mich ein wenig traurig an. Ich schloss die Augen und genoss das Gefühl ihrer Finger, die über meine Wange strichen.

„Ich kenne eine Kur für dein Problem, vermutlich hat deine Magierin dich auf ähnliche Weise wieder zurückgeholt. Das Gleiche ist mir vor einiger Zeit ebenfalls passiert, es passiert manchmal bei unseren Magiern, vor allem, wenn sie noch sehr jung sind, so wie du. Hautkontakt ist das Einzige, was dann hilft. Je mehr, desto besser.“

Ihre Hand schlüpfte durch einen Schlitz unter mein Gewand und streichelte zärtlich mein Bein. Ich berührte ihre Hand mit meinen Fingerspitzen, Kur oder nicht, das hier fühlte sich großartig an.

„Weißt du eigentlich, wie unwiderstehlich dich deine Katzenaugen machen? Du siehst damit in der Tat wie ein kleines, weißes Kätzchen aus.“

Sie sah mir erneut tief ich die Augen und ich verlor mich in ihren dunkelbraunen.

„Ich glaube, du solltest dir die Sandalen ausziehen und es dir hier bei mir bequem machen. Keine Widerrede, du willst doch nicht einer Königin widersprechen. Und wenn du glaubst, dass ich dich hier raus lasse, bist du noch verrückter, als ich dachte.“

Ich setzte an etwas zu sagen, aber sie schloss meine Lippen mit ihrem Zeigefinger.

„Althea, du bist mit Abstand die aufregendste Frau, die ich je getroffen habe. Vielleicht ein bisschen zu jung.“

Sie zog einen Schmollmund und sprach mit perfekter Mädchenimitation.

„Findest du mich denn kein bisschen interessant?“

Ich kicherte und sie fiel in mein Kichern ein.

„Jaritha, ich finde dich sogar äußerst aufregend, absolut unwiderstehlich.“

Als sie meine Antwort hörte, umschlang sie mich und küsste mich auf den Mund. Erst ganz sanft und zart, dann fordernder, sie öffnete meine Lippen mit ihrer Zunge und erforschte meinen Mund, und ich erwiderte ihren Kuss zärtlich. Dabei streichelte sie die Innenseite meines Oberschenkels mit einer sehr zarten Hand und ich erschauerte wohlig dabei.

Dann erholte ich mich ein wenig von meiner Verwirrung und ergriff ebenfalls die Initiative, meine Hand schlüpfte unter ihr Kleid und berührte ihre nackte Haut. Meine Lippen näherten sich ihr, bis ich ganz sachte mit meinen Lippen ihre berührte, sehr sanft und zärtlich, neckend. Meine Lippen strichen über ihre, dann drang meine Zunge in ihren Mund ein, umschmeichelte die ihre und erforschte ihren unglaublich warmen Mund. Als wir uns trennten, keuchte sie auf, sie war offensichtlich bereits ziemlich erregt.

„Das hier läuft irgendwie nicht ganz wie erwartet, eigentlich wollte ich hier die große Verführerin sein.“

Sie ergriff meine Beine und hob sie auf ihre Schenkel, dann zog sie mir die Sandalen aus. Dabei streichelte ihre Hand mein Bein zärtlich über die ganze Länge, jedes Mal, wenn sie meinen Oberschenkel zwischen den Beinen erreichte, fing ich ein wenig an zu zittern vor Erregung, dann strich ihre Hand wieder nach unten. Ich lehnte mich zurück und lag ausgestreckt auf ihrer Couch. Meine eigenen Hände wanderten durch die Schlitze meines Gewandes auf meinen Bauch und strichen über meinen Körper nach oben, bis über meine Brüste. All diese neuen Gefühle waren fast zu viel für mich.

Sie hatte schließlich meine Sandalen ausgezogen, und kitzelte mich an den Füßen. Ich lachte laut und setzte mich auf. Sie streckte sich neben mir aus, drückte mich wieder auf die Couch herunter und kuschelte sich an mich. Ich umschlang sie und streichelte ihre weichen, schönen Haare.

„Du bist eine wunderschöne Frau, weißt du das, Jaritha? Ich hatte eigentlich nichts in dieser Art heute Abend geplant, und eigentlich auch noch nicht in absehbarer Zukunft, aber du bist einfach unwiderstehlich.“

Sie streichelte meinen Bauch wie als Antwort.

„Du hast sehr harte Muskeln, man merkt, dass du es nicht einfach gehabt hast. Ich bin nicht mal annähernd so fit.“

Ich fühlte nach ihrem Bauch und fand allerdings auch nicht viel mehr als Muskeln, sie war ebenfalls ziemlich durchtrainiert.

„Du redest Unsinn“, flüsterte ich ihr zu.

„Ich hatte heute Abend eigentlich geplant, nach einer unbefriedigenden Unterhaltung mit dir früh schlafen zu gehen. Aber ich bin auf einmal nicht mehr müde“, meinte sie leise.

„Glaub mir, Althea, das alles kommt für mich ebenfalls unerwartet, eigentlich fühle ich mich nicht einmal zu Frauen hingezogen. Ich stehe am Vorabend eines Krieges. Morgen bist du wieder weg, und du bist schon mitten im Krieg. Was denkst du, was wir tun sollten?“

Ich küsste sie zärtlich auf die Stirn und streichelte ihre Wange.

„Ich weiß ziemlich genau, was wir tun sollten. Beide in jeweils unser eigenes Bett gehen und schlafen. Aber ich weiß auch, was ich tun werde. Ich schlage vor wir besuchen dein Schlafzimmer gemeinsam, dort möchte ich mich nämlich die nächsten Stunden aufhalten. Morgen ist mir egal, vielleicht bin ich morgen um die Zeit schon tot. Ich habe meine Jungfräulichkeit bereits an die Ork verloren. Schenk mir diese Nacht, ich will nicht mit so einer Erinnerung an den einzigen Sex sterben, den ich je hatte.“

Jaritha lächelte mich wortlos an, nickte mir zu, setzte sich auf und nahm mich sanft, aber bestimmt bei der Hand. Sie stand auf und zog mich hoch, dann ging sie wortlos mit mir zu einer der Türen, öffnete sie und zog mich in den Raum dahinter.

Ihr Schlafzimmer sah fast genauso aus wie der Raum hinter uns, lediglich die Couch war durch ein riesiges Bett ersetzt. Es war kein Bett mit einem Himmel oder so etwas in der Art, sondern eher nüchtern gehalten, trotzdem strahlte der Raum warme Behaglichkeit aus, das wenige Licht aus dem Fenster war voll ausreichend für mich, um alle Einzelheiten in dem Raum deutlich sehen zu können.

Ich achtete aber lediglich auf die Statuette der wunderschönen Elfe, die vor mir den Raum durchschritt. Beim Bett angekommen zog sie ihr Kleid aus, und ich beeilte mich, aus meinem Hosenanzug zu steigen.

Unsere Unterwäsche flog als Nächstes in irgendeine Zimmerecke, dann traten wir aufeinander zu. Sie ergriff meine Brust und streichelte sie, ihre Blicke wanderten an mir herunter und betrachteten mich, genau wie ich ihren Körper betrachtete.

„Du bist völlig nackt außer auf dem Kopf, oder?“

Ich hob die Arme, zeigte ihr meine Achseln und drehte mich. Sie kicherte leise, offensichtlich erregte es sie, ihre Hand blieb während meiner Drehung auf meiner Haut und verlor den Kontakt nicht. Ihre Haare waren nicht viel dunkler als meine, auch die an ihrer Scham nicht. Sie war einfach wunderschön und so verführerisch wie die Nacht selbst.

Ihre Hände streckten sich aus und sie fing an mich zu streicheln, sie achtete darauf, meinen ganzen Körper zu berühren. Erregt blieb ich stehen, die Arme immer noch nach der Drehung in die Luft gestreckt. Sie streichelte jede einzelne Stelle meines Körpers und setzte sich mit jedem noch so kleinen Fleckchen intensiv auseinander. Von den Füßen bis zum Kopf und den Haaren, sie ließ keine Stelle aus.

Meine Hände wanderten langsam an ihrem Körper nach unten, und ich ergriff ungeduldig ihr Schambein. Sanft kraulten meine Finger über die empfindliche Stelle und wanderten dann weiter nach unten zwischen ihre Beine. Meine andere Hand umspielte ihre Brust, sie hatte genau wie ich eher kleine Brüste, ihre Nippel waren ebenfalls klein und zierlich. Meine Lippen schlossen sich über ihrer Brustwarze, während meine Finger ihre bereits feuchte Scham erforschten.

Ich fand schnell den spannenden Punkt bei ihr, und sie stöhnte wohlig. Jaritha zog mich zum Bett, stieß mich auf die Matratze und kletterte über mich. Sie küsste mich auf den Mund, dann rutschte ihr Schoß nach oben, sie rieb ihre Scham an meinem Bauch, dann über meine linke Brust, eine feuchte Spur auf meinem Körper hinterlassend, meine Brustwarzen wurden ebenfalls hart. Ich umschmeichelte zärtlich ihre Brüste und genoss das Gefühl weicher Haut unter meinen Händen.

Ihre Hand wanderte zwischen meine Beine und streichelte mein haarloses Schambein, ihre Zeigefinger zärtlich auf der Suche nach meinem heißen Punkt. Ich ergriff ihren Hintern und schob ihre Scham über mein Gesicht, ich küsste ihre Schamlippen, saugte daran. Meine Zunge erforschte ihre Spalte und fand schließlich ihre winzige Klitoris. Ich umspielte ihren Lustpunkt mit meiner Zunge, bis sich ihre Schenkel verkrampften und sie laut aufstöhnte.

Sie drehte sich um, drückte mir ihren Schoss wieder ins Gesicht, ihr Kopf versank zwischen meinen Beinen und ihr Haar kitzelte meine Schenkel. Bald stöhnte auch ich und ließ meiner Lust keuchend freien Lauf.

Wir genossen einander noch sehr viel länger in dieser Nacht, als eigentlich gut für uns war, die Erregung hatte volle Kontrolle über uns, es muss spät in der Nacht gewesen sein, als wir schließlich beide aneinander gekuschelt in tiefen Schlaf sanken. Natürlich war die Nacht viel zu kurz, als uns Diana am nächsten Morgen weckte. Aber ich bereute keine Sekunde davon. Diana rüttelte uns beide wach, und fragte mit unschuldigen Augen:

„Ist Althea nicht im falschen Bett gelandet?“

Dann kicherte sie, und ich erkannte, dass sie uns nur aufzog.

„Keine Angst, ihr zwei, ich werde schweigen wie ein Grab. Nicht einmal Folter wird dieses Geheimnis meinen Lippen entreißen.“

Sie kicherte dabei erneut, betrachtete dabei aber liebevoll und irgendwie hochzufrieden ihre Königin, der Grund blieb mir verschlossen. Jaritha runzelte die Stirn und blickte mich an.

„Es wird wahrscheinlich wirklich besser sein, das Ganze für uns zu behalten, von mir wird erwartet, für einen Thronfolger zu sorgen. Ich glaube nicht, dass es viel Kritik geben würde, aber solange wir nicht danach gefragt werden ...“

Sie zuckte mit den Schultern, dann küsste sie mich wieder leidenschaftlich. Ich erwiderte ihren Kuss ebenso leidenschaftlich und umarmte sie, ihren Körper fest an mich gepresst. Fast wäre das mit dem Aufstehen nichts geworden, aber Diana hustete leise.

Also verließen wir das Bett und zogen uns an, auch wenn es mir nicht leicht fiel. Diana brachte mir alle meine Kleider aus meinem Zimmer, inklusive der Waffen.

Das Mädchen war deutlich kräftiger, als sie auf den ersten Blick aussah, dachte ich bei mir, als sie mit dem riesengroßen Paket angelaufen kam. Ich zog Jeans und T-Shirt an, die ich zum Wandern benutzte.

Diana hatte nicht nur diese Sachen gewaschen, sondern auch meine Lederhose und Jacke reinigen lassen. Ich kontrollierte meine Dolche, ob sie sich leicht genug aus den Stiefeln ziehen ließen und auch das Schwert.

Der Rucksack war ebenfalls schon von Diana fertig gepackt worden, dann blickte ich bedauernd auf das Gewand der letzten Nacht.

„Nimm es mit, Althea, vielleicht brauchst du ja auch einmal außerhalb der Elfenstadt etwas Zivilisiertes.“

Ich blickte auf, und bemerkte, dass Diana und Jaritha mir anscheinend fasziniert zusahen, wie ich mich für die Reise fertigmachte.

Jaritha war schon längst fertig, sie trug wieder ein langes Kleid, ähnlich dem von gestern, jedoch mit einem anderen Schnitt, und es war leuchtend rot.

Sie sah wieder absolut umwerfend schön darin aus. Ich legte mein dunkelrotes Gewand eng zusammen, und packte es ebenfalls in den Rucksack. Nach der letzten Nacht würde dieses Gewand immer etwas Besonderes für mich bedeuten.

Das verdammte Ding wurde immer schwerer, irgendwann musste ich mir was damit einfallen lassen, oder mir vielleicht doch noch ein Zuhause suchen. Nun, irgendwann würde auch ich ein Zuhause finden. Ich zog noch meine alte Jacke an, es war bedeckt und etwas kühler an dem Tag, dann war ich fertig zum Aufbruch. Diana erinnerte mich an den Zopf, sie holte eine Haarspange aus Leder und Metall hervor, das Haar wurde hineingelegt und dann wieder nach oben geführt und wieder in der Spange mit einem Dorn festgesteckt.

Ich hoffte, dass es auch während eines Kampfes halten würde, es machte aber einen zuverlässigen und festen Eindruck. Ich umarmte Diana und dankte ihr herzlich.

Diana ließ mich und ihre Königin allein und verließ das Schlafgemach. Ich umarmte Jaritha und küsste sie erneut, uns war beiden klar, dass es wieder offiziell werden musste, sobald wir den Raum verlassen hatten.

„Ich wünschte, ich könnte hier bleiben und einfach mit euch zum Fort reisen. Aber ich habe eine Pflicht zu erfüllen, ich werde gebraucht.“

„Und ich wünschte, ich könnte einfach mit dir gehen. Unsere Pflicht erfüllen, das müssen wir alle, wenn wir überleben wollen, meine kleine Unglücksbotin. Eile ist geboten, und du weißt das besser als ich. Wir werden uns wiedersehen, ganz sicher. Ich bin glücklich über die letzte Nacht, meine kleine Althea, für eine Nacht durfte ich einmal einfach nur Frau sein.“

„Und ich durfte zum ersten Mal in meinem Leben einfach nur Frau sein“, flüsterte ich ihr zu.

Ich streichelte ihre Wange, küsste sie ein letztes Mal auf den Mund, dann verließen wir ihr Schlafzimmer. Sie wurde wieder Königin und ich wieder, nun ja, was auch immer. Unglücksbotin. Die Elfenstadt war gerade im Begriff zu erwachen, jedenfalls hier im Schloss. Ich zeigte den Generälen auf den Karten den Ort, an dem sich die Grenzfestung befand, im Osten von München. Petra war auch wieder dabei. Es war nicht schwer zu finden, aber Münchens Ruinen zu durchqueren würde schwierig werden, das war den Offizieren hier sofort klar. Sie planten bereits die Reiseroute, also verließ ich sie, das konnten sie besser als ich, ich kannte die Länder nicht einmal. Die Königin selbst begleitete mich zum Tor ihres Schlosses und winkte mir zu, als ich mich schließlich auf den Weg machte.

„Viel Glück, Althea, du wirst es brauchen. Wir werden so bald wie möglich nachkommen, das verspreche ich dir.“

Ich sah traurig immer wieder zurück auf ihre Silhouette, so wunderschön, stolz, aufrecht und gut. Ich war tieftraurig, kein Elf zu sein, wenn Elfsein bedeutete, so wie sie zu sein.

 

 

19 Drachenfurcht

 

Der Weg zurück zum Fort war entsetzlich lang, so kam es mir jedenfalls vor. Ich wollte so schnell wie möglich dort sein; von der Sorge um meine Freunde in der Grenzfeste getrieben, rannte ich so schnell ich nur konnte. Der Kompass half mir diesmal ziemlich gut, meinen Weg zu finden, am Morgen visierte ich einen entfernten Punkt an, den ich dann zu erreichen versuchte beziehungsweise knapp zu umgehen, falls es eine Bergspitze oder etwas in der Art war. Die Technik funktionierte recht gut, weil ich nicht dauernd Ork ausweichen musste, mit denen rechnete ich so weit von der Feste noch nicht.

Die Ruinen der Menschen, die ich durchquerte, stimmten mich traurig, obwohl ich mich mittlerweile eigentlich nicht mehr richtig zu dieser Rasse zugehörig empfand. Mir war allerdings auch kein bisschen klarer geworden, zu welcher Rasse ich dann gehörte. Ich liebte die Menschen - die Art, wie mich meine Freunde behandelten, was sie trotz der widrigen Umstände erreicht hatten - aber trotzdem waren sie anders als ich. Ich war traurig darüber, vor allem, wenn ich an Freunde wie Sabine oder Georg dachte.

Mit den Elfen war es leider genauso, ich stand ihnen offensichtlich nicht näher als den Menschen, was mich ebenfalls traurig stimmte. Sie waren ein wunderbares Volk, vielleicht ein bisschen arrogant Fremden gegenüber, aber sie hatten auch allen Grund dazu, fand ich. Wenn ich nur an ihre Stadt dachte, Larithin, das war eine unglaubliche Leistung, und obwohl sie nicht viel älter als ein halbes Jahr sein konnte, sah es aus, als würde die Stadt schon seit Jahrhunderten dort existieren.

Ich verdrängte meine trüben Gedanken und trabte im harten Laufschritt, den ich mittlerweile ewig durchhielt, einfach immer weiter. Ich musste versuchen, die Grenzfestung so schnell wie möglich zu erreichen, ich hoffte nur, dass Georg mit den Menschen und die Elfen mit ihrer wunderschönen Königin schnell genug waren. Falls Jaritha ihr Heer schnell genug aufstellen konnte, darauf mussten wir einfach bauen. Hans musste mittlerweile schon jede Hoffnung auf Hilfe aufgegeben haben, es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor, seitdem wir das Fort verlassen hatten.

Die Wolken zogen sich zusammen und es wurde immer dunkler. Ich seufzte und hielt an. Ich packte das Schwert in einen wasserdichten Beutel, dann nahm ich den Rucksack wieder auf und es ging weiter. Die ersten Regentropfen waren noch angenehm kühlend, doch bald wurde der Regen immer dichter und das Wasser prasselte in dichten Fäden auf mich herunter.

Es wurde immer dunkler, ohrenbetäubender Donner hallte aus dem tiefschwarzen Himmel und Blitze zuckten wie Schlangenzungen auf die Erde hinunter. Ich war triefend nass, dachte aber nur an meine Freunde im Fort und lief ohne Pause weiter. Die Blitze sahen merkwürdig aus, irgendwie bunter als ich sie in Erinnerung hatte, aber dafür genauso grell. Ich musste fast lachen, als mir klar wurde, dass auch in den Wolken die Elektrizität nicht mehr funktionierte, es waren jetzt stattdessen wilde magische Entladungen, und ich fragte mich, was diese wohl für einen Schaden anrichten würden, wenn sie einen trafen. Ich hatte nicht vor es herauszufinden. Die Kälte und die Nässe störten mich nicht mehr so sehr wie früher, der regen war sehr angenehm und fühlte sich gut an, lediglich die Augen brannten leicht, wenn das Regenwasser hineinlief und zu viel Salz hinaus spülte.

Einige Dinge hatten sich für mich nicht verändert, und auch die biologischen und physikalischen Naturgesetze waren die gleichen geblieben. Die Teerstraße wurde rutschig und gefährlich glatt, deshalb wich ich auf den Randstreifen aus und achtete genau darauf, wo ich hintrat. Einen verknacksten Knöchel konnte ich zwar sicherlich heilen, aber große Lust auf die Schmerzen hatte ich trotzdem nicht. Deshalb sah ich ihn erst, als ich bereits fast direkt vor ihm stand.

Vor mir auf der Straße lag ein riesiger Drache.

Er war völlig weiß bis auf goldenen Sprenkel, die sich wie Sommersprossen auf ihm verteilten, seine Haut schimmerte und glänzte nass im Licht eines Blitzes, der Anblick war etwas wunderschön. Er war gut zwanzig Meter lang, vom Kopf bis zur Schwanzspitze, seine Flügelspannweite noch wesentlich größer, vielleicht sogar doppelt so groß.

Er stieg auf die Hinterpfoten und spannte seine Flügel auf, sein Kopf streckte sich gen Himmel und dann hörte ich unglaublich furchterregendes und ohrenbetäubendes Brüllen. Ich fühlte mich in diesem Moment völlig schizophren, es war mehr als nur beängstigend für mich, als würde ich nun endlich völlig dem Wahnsinn verfallen. Ein Teil von mir schrie vor grenzenloser Angst auf, wollte einfach nur so schnell wie möglich davonlaufen, getrieben von der dunklen und alles verschlingenden Angst, die aus uralten Erinnerungen der Menschheit emporsteigt.

Drachenfurcht.

Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich mich wimmernd zusammen kauern und aufgeben oder ob ich lieber so schnell ich konnte davonlaufen sollte. Das Schizophrene an der Situation war, dass ein anderer, völlig entgegengesetzter Teil von mir völlig unbeeindruckt und gelassen dastand und sich ganz fühlte. Dieser Teil blickte gebannt und bewundernd auf den Drachen und fühlte eine befremdliche Anziehung.

Dann spuckte der Drache Feuer, eine Lanze aus glühender Flamme, die sich ein paar Meter über meinem Kopf bis weit hinter mich erstreckte. Wo der Feuerstrahl auf den Regen traf, verdampfte zischend das Wasser. Falls er mich versucht hätte zu treffen, hätte mir auch die schnellste Flucht nichts mehr genützt. Das Schönste an ihm waren jedoch seine Augen.

Als er mich damit anblickte, war mir, als ob ich in einen riesigen Spiegel schaute, in den ich hineinfiel, von dem ich magnetisch angezogen wurde. Seine Augen sahen ganz genau so aus wie meine. Goldene Katzenaugen mit einem Schlitz als Pupille in der Mitte, leicht geweitet, weil der Tag so wolkenverhangen war. Der Drache fiel zurück auf seine Vorderpfoten und sah mich an, seine Schnauze nicht mal zwei Meter von meinem Gesicht entfernt.

‚Hallo, kleine Schwester, ich grüße dich. Ich bin sehr erfreut, dass wir uns endlich treffen.‘

Seine Stimme erklang direkt in meinem Kopf, es war keine Stimme, die von Schallwellen getragen wurde. Er sprach. Der Drache sprach. Zu mir. Und die Stimme kam mir sofort sehr bekannt vor, es war die gleiche, die mich, kurz nachdem wir die Festung verlassen hatten, vor den Ork gewarnt hatte. Ohne die Warnung wäre ich sicherlich an dem Tag tot gewesen.

‚Ah, du erinnerst dich an mich, das ist schön. Kannst du auch erkennen, wer ich bin?‘

Ich versuchte meine Gedanken ebenfalls auf ihn zu projizieren.

‚Ich habe keine Ahnung, wer du bist, aber du bist nicht mein Feind, sonst wäre ich schon lange tot. Bist du ein Freund?‘

Er zuckte sichtbar zusammen.

‚Nicht so laut, ich kann dich recht gut hören. Deine starke Projektion hebe dir lieber für die Stummen auf.‘

Ein lautloses und sehr unmännliches Kichern erklang in meinem Kopf. Ich fühlte plötzlich, dass der Drache kein Männchen war.

‚Gut erkannt, kleine Schwester. Mein Name ist Elida. Ich bin mir übrigens gar nicht so sicher, ob ich dich wirklich so einfach töten könnte.‘

Sie schüttelte leicht ihren riesigen Kopf.

‚Du bist sicherlich eines der beeindruckendsten Talente in unserer Familie, soviel kann ich schon mal sagen, auch ohne dich wirklich gut zu kennen. Natürlich hast du noch keine Ahnung, wer du bist oder wozu du in der Lage bist, aber genau deswegen bin ich schließlich hier. Ich werde versuchen, dich unseren Weg zu lehren, denn du gehörst zu uns.‘

Ich konnte es nicht glauben, ich hatte mir so sehr ein eigenes Volk gewünscht, aber ein Drache zu sein, das klang irgendwie … abartig.

Und wieso kam ich in elfischer Gestalt daher und nicht in der gleichen wie sie? Ich brachte jedoch kein Wort hinaus, ich starrte sie wie gelähmt an. Sie redete unbekümmert weiter und ignorierte meine wachsende Verwirrung.

‚Du weißt noch nicht viel über dein Volk, du musst mir also für den Anfang einfach mal vertrauen, wenn ich dir etwas über dich erzähle. Nur soviel schon mal, deine Gestalt kannst du in zwei Formen wählen, entweder die Drachengestalt, was natürlich deutlich besser und sicherer ist, oder auch ...‘

Sie veränderte sich, sie wurde kleiner und bekam menschliche Züge. Elida hatte sich in einen Menschen verwandelt, eine ziemlich hübsche Frau, vielleicht so um die Mitte zwanzig. Keine herausragende Schönheit, eher unauffällig, ihr fehlten auch jegliche Anzeichen eines Drachens wie die Reptilienaugen, die ich hatte. Sie war völlig nackt und kicherte wieder, vermutlich wegen meines verblüfften Gesichtsausdrucks. Sie hatte ein Mal auf dem Bauch, eine sehr realistische Abbildung einer weißen Drachin, die genauso wie sie in Drachengestalt aussah.

‚Eine zweibeinige. Nicht jeder von uns hat einen so auffälligen zweibeinigen Konterpart wie du. Eigentlich niemand von uns, aber wie ich schon sagte, du bist ja auch etwas ganz Besonderes. Bevor wir jedoch irgendetwas anderes tun - dir fehlt noch etwas sehr, sehr Wichtiges.‘

Sie kam zu mir und schob mein nasses Shirt nach oben und presste ihre Hand gegen meinen Bauch. Ich blieb völlig regungslos stehen. Ein kurzer, stechender Schmerz, dann nahm sie ihre Hand wieder weg.

‚Jeder Drache muss sein Bildnis an sich tragen, stolz um seine Rasse und als Warnung für alle anderen.‘

Es klang fast wie eine Litanei, ein alter Spruch, den ich, wie mir ein Gefühl tief in meine Seele sagte, eigentlich kennen sollte und doch nicht kannte.

‚Eigentlich brauchst du es gar nicht, deine Augen sind Hinweis genug, aber ich finde, es steht dir recht gut.‘

Ich schaute auf meinen Bauch herunter und sah dort auf einmal einen Drachen. Einen weißen, der fast genau wie Elida in ihrer Drachengestalt aussah, nur viel kleiner und jünger, sie kringelte sich schlafend um meinen Nabel.

‚Ein Drachenmal ist magisch und passt sich mit der Zeit deinem wahren Aussehen an. Normalerweise wird es dir von deiner Mutter gegeben, wenn du ihren Horst verlässt. Sehr bald schon, vielleicht in ein paar Jahren, kannst auch du die Drachengestalt annehmen. Bis dahin bekommst du einen Tutor an deine Seite. Oder eine Tutorin, mich, falls du mich nicht ablehnst. Denn dann müsste der Rat einen anderen Drachen finden, der dein Tutor sein kann. Du sagst ja gar nichts, Kindchen, ist alles in Ordnung?‘

Ich musste mich erst mal setzen, ich war überwältigt von der Fülle an neuen Informationen. Ich war mitten auf einer Straße im Elfenland und sprach mit einer nackten Frau, die zwei Minuten vorher noch ein Drache gewesen war.

‚Naja, das Ganze klingt doch irgendwie recht unglaubwürdig, Hallo, schau mich an, sehe ich etwa wie ein Drache aus? Ja, du sagst, ich kann mich irgendwann mal verwandeln, aber trotzdem, das klingt doch … ziemlich verrückt.‘

‚Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach für dich ist, die Wahrheit zu akzeptieren, Althea. Obwohl, so langsam solltest du doch ein wenig Übung darin haben.‘ Sie berührte sachte meine spitzen Elfenohren.

Wir waren beide triefend nass und der Regen plätscherte nach wie vor um uns herum. Das Gewitter zog weiter und es wurde langsam wieder etwas heller. Ich hatte mit einer tiefen Sehnsucht im Herzen nach meiner neuen Rasse und meiner neuen Heimat gesucht, und nun stand sie plötzlich einfach direkt vor mir.

„Wie geht es jetzt weiter? Ich habe Freunde, die ich nicht im Stich lassen darf und auch nicht will. Ich habe ihnen Hilfe versprochen, und das muss ich auch einhalten. Kann, was auch immer ich jetzt als Drache tun müsste, so lange warten?“

Elida lächelte mich an.

„Ich bin zwar deine Tutorin, deine Lehrerin, aber deinen Weg bestimmst alleine du. Bei Drachen geht es alles ein bisschen anders zu als bei allen anderen, das wirst du schon noch lernen. Ich werde vermutlich meistens woanders sein, nicht direkt bei dir, aber in deiner Nähe, und ich werde dir immer mit meiner Hilfe und meinem Rat zur Verfügung stehen. Man lenkt keine Drachen, man erzieht sie nicht, Drachen sind einfach. Du bist einfach. Genau so, wie du bist. Merke dir das. Deshalb musste ich den richtigen Augenblick wählen mich dir vorzustellen, und mir kam das jetzt richtig vor. Also ist es auch der richtige Zeitpunkt.“

‚Und hier kommt meine erste Lektion. Drachen unterhalten sich untereinander selten in der Lautsprache, Gedanken sind ehrlicher, auch wenn man sie theoretisch genauso perfekt fälschen kann, aber es gilt trotzdem als höflicher unter Drachen.‘

Ich versuchte es ihr erneut nachzuahmen, und projizierte diesmal mit weniger Kraft als beim ersten Mal meine Worte auf sie, anstatt sie auszusprechen.

‚Ich habe oft gelesen, Drachen sind Einzelgänger ohne jeden Zusammenhalt oder einer Gemeinschaft. Wie kommt es, dass ich trotzdem eine Tutorin habe?‘

Sie runzelte die Stirn.

‚Das ist eine lange Geschichte, Kleines, ich werde dir aber trotzdem ein paar Hinweise geben. Wir sind alle in der Tat überzeugte und unverbesserliche Einzelgänger, genau wie du auch.‘

Offensichtlich wollte sich mich da an etwas erinnern, ich gehörte jetzt zu ihnen.

‚Ich fühle mich jetzt schon in deiner Gegenwart allmählich unwohl, Gesellschaft liegt uns einfach nicht. Wir sind eine sehr lose Gruppe von Einzelgängern. Aber wir haben irgendwann trotzdem den Drachenrat gegründet. Der Rat ist dafür da Konflikte zwischen Drachen in gewissen Grenzen zu halten. Wir haben ein paar sehr alte sorglose Exemplare, und auch ein paar, die sicherlich nicht die freundlichsten sind. Drachen gibt es seit Anbeginn der Zeit, und es wird uns auch ewig geben. Falls wir uns nicht gegenseitig auslöschen. Der Rat hat den Zweck, genau das zu verhindern, und wir geben den Jüngsten von uns eine Art Schonzeit, es werden schließlich nicht jeden Tag Drachen geboren. Du bist die erste Drachin seit etwa neunhundertfünfzig Jahren. Kinder sollten nicht durch die Klauen von alten und verbitterten Drachen nur wegen ihrer Jugend sterben, diese Entscheidung hatten wir schon vor dem langen Schlaf gefällt. Wir mussten für eine Weile schlafen, da die Magie wieder einmal gegangen war, aber jetzt sind wir wieder da. Der Rat war es auch, der alle Drachen vereinigt hat und die Rune in Stellung gebracht hat, die die Schuss- und Explosivwaffen untauglich macht. Wer braucht schon einen Mensch oder einen Ork mit einer Bombe, mit der sie einen Drachen so leicht wie ein Kaninchen töten könnten?‘

‚Den Elfen, Zwergen und Menschen habt ihr sicherlich damit einen Gefallen getan, sie hätten keine Chance gegen die geballte Übermacht der Ork gehabt, und schon gar nicht mit Schusswaffen.‘

‚Oh, und etwas anderes noch, etwas sehr Wichtiges für dich. Ich musste mich dir jetzt so langsam zeigen, du hast nämlich, ohne es zu wissen, ein paar ganz furchtbare Fehler gemacht. Wir Drachen sind eins mit der Natur, mit dem Universum und allem Leben darin. Du kannst nicht einfach so töten, ohne daran erinnert zu werden. Du musst die Schmerzen der Toten akzeptieren und sie aufnehmen, oder sie töten dich. Ich wäre schon früher gekommen, aber du warst leider seit einiger Zeit selten allein.‘

Sie berührte mich mit ihren Händen an der Stirn, und ich sank instinktiv in ihre Arme. Ich fühlte eine Welle meinen Körper durchfluten, es war wie das eiskalte Wasser aus einem Gletscherbach, erfrischend und heilend. Seit der Schlacht, eigentlich seitdem ich den ersten Ork getötet hatte, hatte ich mich nicht mehr so entspannt gefühlt.

Es kam mir so vor, als ob die Schreie der Toten, meiner Opfer, in meinem Geist leiser wurden, als ob sie sich beruhigten. Die Schnitte und Wunden in meiner Seele heilten und vernarbten, es fühlte sich deutlich besser an, als wäre mir das Schlimmste meiner Taten vergeben worden.

Instinktiv hatte ich sofort erfasst, was Elida da machte und den Prozess der Selbstheilung angestoßen. Ich war mit mir selbst im Reinen. Mir wurde plötzlich klar, dass ich genau das schon lange nicht mehr gewesen war. Ich umarmte Elida fest, Tränen liefen mir über das Gesicht.

‚Ich danke dir.‘

‚Keine Ursache. Ich werde dich auch weiterhin beobachten, und dir helfen, wo ich kann. Du solltest vor allen Dingen an deinen Fähigkeiten arbeiten, ich kann dir auch ein paar Tricks zeigen. Die wirst du zu deiner Verteidigung noch brauchen. Deine telekinetischen Fähigkeiten sind jedoch einzigartig, ich kann dir damit also nicht viel helfen. Aber deine telepathischen Fähigkeiten, die haben alle Drachen. Und die deinen sind wirklich entsetzlich untrainiert. Den Rest deiner Magie, den wirst du schon selbst herausfinden müssen, jeder Drache hat andere magische Fähigkeiten. Manchmal überschneiden sie sich ein wenig, aber nur sehr, sehr selten sind sie identisch. Lass dir Zeit, ich habe hundert Jahre gebraucht, um alle die meinen zu finden.‘

‚Hundert Jahre, wie alt bist du denn?‘

‚Oh, ich bin so um die neunhundertfünfzig Jahre alt, ziemlich jung also noch, aber ich bin ein bisschen herumgekommen. Bis zu dem Tag, an dem die Magie die Erde verließ, und sich alle Drachen schlafen legten, tief im Innern der Mutter Erde. Dahin hatten wir uns zurückgezogen, aber wir konnten den Tag des Erwachens kommen fühlen, an dem wir uns wieder in die Lüfte erheben konnten.‘

Sie seufzte, die Erinnerung daran schien ihr schwerzufallen.

‚Wieso habe ich eigentlich elfische Gestalt? Heißt das, dass ich eigentlich elfisch bin und gar kein richtiger Drache von Geburt an?‘

‚Oh nein, du bist einfach nur in der zweiten Phase nach der Geburt eines Drachen. Drachen werden eigentlich als Drachen aus einem Drachenei geboren und wachsen dann in ihrem Horst bei ihrer Mutter auf. Irgendwann einmal, nach ein paar Jahren, wechseln sie zu ihrer zweibeinigen Gestalt, und dann ist es ihre Zeit umherzuwandern und den Horst der Mutter zu verlassen. Das bleibt dann auch so, bis sie reif genug dazu sind, beide Gestalten anzunehmen. Die zurückkehrende Magie hat, falls wir alle gefunden haben, insgesamt drei Menschen auf diesem Planeten in Drachen verwandelt. Alle befinden sich in ihrem zweibeinigen Lebensabschnitt und natürlich ohne vernünftige Dracheneltern oder anderen Vorfahren. Wir haben eine ganze Weile gebraucht, um herauszufinden, woher die neuen Präsenzen eigentlich kamen, die wir gespürt hatten.‘

Sie war sichtlich mit der Zeit immer unruhiger geworden, sie fühlte sich ganz offensichtlich immer unwohler in meiner Gesellschaft, wie sie schon erwähnt hatte.

‚Nun, ich muss wieder los, kann ich noch etwas für dich tun? Eventuell dich in die Nähe des Forts bringen? Du kannst noch nicht fliegen, aber ich kann es.‘

Ich lächelte sie an, aber bei dem Gedanken zu fliegen wurde mir ziemlich schummrig in der Magengegend.

‚Das wäre wirklich eine Hilfe, ich habe keine Zeit mehr und ich denke, es wäre gut, wenn ich so schnell wie möglich dort wäre. Ich danke dir, wirklich, für alles.‘

‚Kein Problem, Liebes, dafür bin ich da. Wenn du mich brauchst, rufe mich, du weißt ja jetzt wie.‘

Sie verwandelte sich zurück in den großen, weißen und wunderschönen Drachen. Ich bestieg sie vorsichtig, wobei mir ein wenig mulmig war. Ihre Haut war sehr weich und warm, nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte, und das trotz der Nässe. Sie kicherte.

‚Du verletzt mich nicht so leicht, Althea, steig einfach auf und halte dich gut fest.‘

Ich klammerte mich an ihre Hautfalten, und sie erhob sich mit zwei, drei Flügelschlägen in die Luft. Mir wurde seltsamerweise nicht schlecht, früher hatte ich so meine Probleme mit dem Fliegen gehabt, jetzt machte es mir gar nichts mehr aus. Wir flogen sehr schnell, und ich konnte die Landschaft, die ich gerade noch durchwandert hatte, weit unter mir nur so dahin fliegen sehen. Ich war nach sehr kurzer Zeit am Ziel, es war mittlerweile Nacht und wir landeten auf einer Straße nahe beim Fort. Es war für mich immer noch fast taghell, ich ahnte jedoch, dass es schon ziemlich dunkel sein musste.

‚Viel Glück, Althea, ich denke, du bist in einer wirklich guten Mission unterwegs, und ich glaube, du wirst alles Glück brauchen. Ruf mich, wenn du Hilfe brauchst. Aber denk daran, töte nur, wenn du es wirklich nicht mehr vermeiden kannst.‘

Ich umarmte sie am Hals und trat zurück.

‚Danke für alles, Elida, du hast mir sehr geholfen und mir auch endlich meine wahre Identität gegeben, vielleicht kann ich ja auch irgendwann einmal etwas für dich tun. Falls du mich jemals brauchst, werde ich auch für dich da sein.‘

Ich hatte keine Ahnung, wie ich einem Drachen helfen sollte, aber ich meinte es so. Sie schaute mich erstaunt aus ihren großen Drachenaugen an, dankte mir ernst, erhob sich wortlos in die Lüfte und verschwand bald über den Baumwipfeln. Ich hoffte nur, dass niemand uns gesehen hatte, dunkel genug war es jedenfalls. Eine strahlende Euphorie erfüllte mich, ich hatte endlich meine Bestimmung gefunden – oder doch wenigstens meine Rasse, mit meiner Bestimmung war ich mir nicht so sicher. Aber ich war doch einen großen Schritt weiter gekommen.

 

 

20 Wieder in der Feste

 

Elida hatte mich südlich der Festung abgesetzt und war über den äußeren Belagerungsring geflogen, ich hoffte, ich konnte so ohne weitere Probleme zum Tor kommen, und dass eine der Wachen so nett war, mich einzulassen.

Ich lief durch die Straßen in Richtung Norden auf die Festung zu; die Gegend war neu für mich, daher bewegte ich mich sehr vorsichtig weiter und rechnete jederzeit mit einer Ork-Begegnung. Ich würde sie hoffentlich früher sehen als sie mich. Der Bereich vor der Festung erschien mir völlig leer, ich konnte keine Lager oder etwas in der Art erkennen. In einiger Entfernung von der Festung waren Lagerfeuer zu sehen. Ich wertete das als gutes Zeichen, schließlich wären die Ork bestimmt in der Festung gewesen, wenn sie bereits gefallen wäre.

Ich beschloss, die Strecke zur Festung zu rennen, es war dunkel genug, mit ein bisschen Glück würde ich unbemerkt bis ans Tor kommen. Ich rannte, so schnell ich konnte, über die Straße, das Klappern des Rucksacks kam mir entsetzlich laut vor. Als ich etwa dreiviertel der Strecke geschafft hatte, hörte ich lautes Geschrei von einem Haus her, da hatten sich wohl ein paar Orkwachen verschanzt. Dann flogen um mich herum die ersten Pfeile klappernd auf die Straße und ich hörte Verfolger hinter mir.

Das Tor war schon recht nahe, und die Wachen des Forts waren durch das Geschrei aufmerksam geworden. Das war mein Glück, ich konnte sehen, wie sich unten am Tor eine kleine, helle Öffnung bildete, hier hatte jemand ziemlich schnell geschaltet.

„Lauf, mach schon, schneller! Du hast es gleich geschafft!“ rief einer der Wachen vom Turm herunter. Die Wachen hatten das Feuer auf die Ork eröffnet, die Pfeile von hinten kamen schon deutlich unregelmäßiger und ungezielter bei mir an. Dass irgendjemand bei dieser Dunkelheit treffen würde, war eigentlich auszuschließen, ich machte mir da keine allzu großen Sorgen. Ich erreichte schließlich das Tor, die kleine Tür wurde hinter mir mit ziemlich dicken Balken verriegelt, und ich konnte ein Schwert an meiner Kehle fühlen.

Also waren die Wachen nicht nur munter, sondern auch vorsichtig genug und fielen nicht auf uralte Tricks herein. Dann meinte einer, den ich als Offizier in Erinnerung zu haben glaubte, an dessen Namen ich mich jedoch nicht erinnern konnte:

„Das ist Althea, nimm das Schwert runter, bevor sie dich damit rasiert, Dummkopf. Es ist schön, dich wieder hier zu haben, Althea. Schade nur, dass du allein kommst. Wir hatten auf mehr Hilfe gehofft.“

„Hilfe kommt noch, sie sollten wenige Tage hinter mir sein, ich bin vorausgegangen. Ich musste doch sichergehen, dass hier bei euch alles in Ordnung ist. Geht es euch einigermaßen gut? Was machen Hans und Sabine, und ist Georg schon eingetroffen? Er hätte eigentlich schneller als ich hier sein sollen.“

Er winkte mir, ihm zu folgen.

„Komm erst mal mit. Ich denke, Hans wird sich freuen, wenn er dich sieht. Georg ist noch nicht hier, aber es ist beruhigend zu hören, dass es auch ihm gut geht, er kann bestimmt eine Weile auf sich selbst aufpassen. Hans ist ziemlich in Sorge um ihn, um euch beide, um genau zu sein. Wir haben uns hier den Umständen entsprechend relativ gut geschlagen. Das Heer der Ork ist immer noch hier, wie du vermutlich schon gemerkt hast. Und sie sind noch vollständig, sie sind nicht wie gehofft weiter gezogen, stattdessen bauen sie Belagerungsmaschinen. Ein paar haben Sabine und ihre Truppe fein säuberlich zerlegt, jetzt bauen sie seit einer Weile an etwas Stabilerem. Lange halten wir auf jeden Fall nicht mehr durch, die Lage sieht nach wie vor ziemlich finster aus.“

Er blickte zu Boden, und man konnte ihm die Verzweiflung ansehen, die er vor seinen Männern am Tor gerade noch verborgen hatte. Dann riss er sich zusammen und grinst mich breit an.

„Die wundersame Hilfe kommt nicht, oder? Hätte auch nichts anderes erwartet, um dieses Heer zu vernichten, bräuchten wir schon ein Wunder.“

Ich grinste zurück und schlug ihm auf die Schulter.

„Kopf hoch, die Hilfe folgt mir auf den Fersen. Ein Menschenheer wird kommen, und die Elfen werden auch gut gerüstet erscheinen. Ich habe das Wort der Elfenkönigin höchstpersönlich, ich bin nur vorausgeeilt. Wir müssen noch eine kleine Weile durchhalten, dann können wir sicherlich mit vereinter Kraft den Ork zeigen, wozu Menschen und Elfen in der Lage sind.“

Er sah mich überrascht an, dann senkte sich sein Blick wieder auf seine Stiefel, jedoch nur für einen kurzen Moment. Mit deutlich energiegeladenen Schritten ging er weiter durch die Stadt, offensichtlich mit neuem Mut und neuer Hoffnung.

„Ich habe mit der Elfenkönigin selbst verhandelt, ihr ist die Lage völlig klar und sie sieht auch die Gefahr für ihr eigenes Volk, die von solch einem Ork-Heer ausgeht, sie kämpft mit uns Schulter an Schulter, glaub mir. Und sie haben schon mobil gemacht, als ich aufbrach. Und Georg kommt mit noch mehr Hilfe, er ist bei Freunden, deshalb konnte ich ihn alleine lassen.“

Bevor ich noch zu längeren Erklärungen ansetzen konnte, brachte er mich mit einer Bewegung seiner Hand zum Schweigen.

„Das will mit Sicherheit Hans alles als Erster hören. Ich danke dir trotzdem für die frohe Kunde, ich werde es schon mal in der Stadt verbreiten. Das ist mal ein Gerücht, was uns wirklich helfen könnte. Die Leute brauchen jetzt ein wenig Mut, sie haben in letzter Zeit nicht viel außer Verzweiflung gekannt.“

Hans konnte wirklich froh sein, solche Leute in seinem Stab zu haben, ich hatte ihm eigentlich nur einen kleinen Hoffnungsschimmer geben können, aber er glaubte daran und war bereit, sich an genau diesen zu klammern und weiterzumachen. Er warf meinem Rucksack einen Blick zu, als ob ihm gerade etwas einfiel, ich schüttelte sofort leicht den Kopf. Anscheinend war ihm gerade in den Sinn geschossen, dass ich eine Frau war, und er wollte Manieren zeigen und meinen Rucksack für mich tragen. Ich war ihm dankbar, dass er mein leises Kopfschütteln bemerkte und die Idee von sich aus wieder fallen ließ. Ich hatte das Gefühl, dass die Leute mich hier so langsam respektierten, genau so, wie ich war.

Er brachte mich zu Hans, der sich wie immer in seiner Küche aufhielt. Die beiden anderen Männer, die mit ihm dort waren, kannte ich noch nicht. Er sprang von seinem Stuhl auf und blickte mich an, dann schweifte sein Blick suchend um mich herum, die Stirn leicht gerunzelt, doch dann lächelte er trotzdem und umarmte mich herzlich. Ich konnte keine Regungen an ihm erkennen, die darauf deuteten, dass er sich um seinen Sohn sorgte. Ich brauchte es auch nicht, ich konnte es trotzdem so deutlich sehen, als ob es in sein Gesicht geschrieben worden wäre. Ich beeilte mich, ihm alles Wichtige über seinen Sohn zu sagen.

„Dein Sohn ist in Ordnung, er befindet sich in guter Gesellschaft. Er sollte bald hier sein, und zwar mit schlagkräftiger Hilfe, das hoffe ich jedenfalls.“

Er lächelte mich an, umarmte mich erneut erleichtert und hob fragend die Augenbrauen. Dann besann er sich offensichtlich eines anderen und meinte zu mir:

„Setz dich erst mal hin, ich mache uns einen Kaffee. Dann musst du mir in aller Ruhe alles erzählen. Wir haben ein bisschen Zeit, nachts ist es bisher da draußen ziemlich ruhig geblieben, ich hoffe, wir haben heute auch Ruhe. Wie und wo bist du durch die Linien gebrochen? Im Osten schaut es schlimm aus, das wirst du jedoch morgen noch früh genug sehen.“

Er nahm mir den Rucksack ab und lehnte ihn gegen die Wand, ich setzte mich an seinen alten Küchentisch und fühlte mich sofort wieder wie zu Hause. Eigentlich fehlte nur noch Georg, um den ich mir trotz allem ein wenig Sorgen machte, er sollte jedoch sicher sein, wo er war, wenn er keine Dummheiten machte. Ich fing an zu erzählen, wie unsere Reise verlaufen war, kaum unterbrochen von Hans, der nur vereinzelt eine Frage einwarf. Als er von den Menschen hörte, bei denen sich Georg noch befand, hellte seine Miene sich auf, ich musste ihm haarklein erzählen, was das für Leute waren, wie sie organisiert waren und vieles mehr.

Meistens konnte ich aber einfach nur mit den Schultern zucken, ich wusste einfach nicht genug über diese Leute. Er war sichtlich unzufrieden über den Mangel an Informationen, fand sich jedoch schnell damit ab. Ich erzählte ihm, dass ich Georg dort alleine zurückgelassen hatte, um mich auf den Weg zu den Elfen zu begeben, als ich herausgefunden hatte, wo diese zu suchen waren. Ich blickte ihn unsicher an, schließlich hatte ich ihm eigentlich etwas anderes versprochen.

Er grinste mich an.

„Ich hätte nie zu hoffen gewagt, dass wir hier so schnell effiziente Hilfe bekommen können, es war ganz richtig von dir, weiter zu ziehen. Georg kann auf sich aufpassen, und er sollte sicher sein, es sind bestimmt gute Menschen.“

Ein Schatten flog über sein Gesicht, und ich wusste, was er dachte. Menschen waren die letzten Jahrzehnte drauf und dran gewesen, ihre ganze Heimatwelt zu zerstören. Inwieweit man Menschen trauen konnte, war schon immer eine schwierige Frage gewesen. Er forderte mich auf, den Rest meiner Geschichte zu erzählen. Ich verschwieg ihm das Treffen mit Elida und auch die Nacht mit Jaritha, aber ich berichtete ihm alles, was er wissen musste.

Ich erzählte ihm von Larithin, der Stadt, die magisch aus dem Felsen gewachsen war, von der Art, wie die Elfen lebten und wie organisiert sie bereits waren, so kurze Zeit nach der großen Umwandlung. Ich sah neue Hoffnung auf seinem Gesicht. Und ich hoffte, dass unsere neuen Verbündeten nicht gleich wieder davonliefen, wenn sie sahen, was sie hier bekämpfen sollten.

Der Offizier von der Wache und seine Besucher verabschiedeten sich bald, ich vermutete, dass die Neuigkeiten sich heute Nacht noch wie ein Lauffeuer durch die Feste verbreiteten. Hans erzählte mir, was in meiner Abwesenheit alles passiert war. Die Ork waren anscheinend wesentlich schlechter organisiert, als wir befürchtet hatten, teilweise berichtete Hans sogar von Kämpfen untereinander im Lager dort, vermutlich, um die Frage der Führung neu zu entscheiden, und technisch waren wir ebenfalls weit überlegen.

Alles, was sie bisher an Belagerungsmaschinen aufgefahren hatten, war so schlecht, dass sie kein Problem für Sabine und ihre Truppe darstellten. Die Festung hielt also immer noch stand. Er erzählte mir auch, dass die Menschen im Fort an Katapulten arbeiteten, die hoffentlich bald in der Lage waren, aus der Festung heraus das Feuer auf die feindlichen Truppen zu eröffnen.

Ich fragte ihn nach den anderen vier Boten, aber er schüttelte den Kopf und sagte mir, dass er nichts mehr von ihnen gehört hatte.

Wir diskutierten noch eine Weile die Lage, dann schickte er mich ins Bett, mit einem Augenzwinkern und der Bemerkung ich wüsste ja schließlich, wo mein Zimmer sei. Die Nacht war wieder sehr kurz, trotzdem nahm ich mir die Zeit, vor dem Einschlafen ein paar Objekte in der Luft zu jonglieren, an Elidas Worte denkend, die mir geraten hatte, meine Fähigkeiten zu trainieren. Ich wurde immer besser, lange hielt ich in dieser Nacht jedoch nicht durch.

Ich erwachte im Morgengrauen, ziemlich gut erholt, obwohl ich nicht mehr als ein paar Stunden geschlafen haben konnte. Nach einem recht schweigsamen Frühstück mit Hans - man konnte ihm ansehen, wie stark ihn die Lage seiner Stadt belastete - schickte er mich erst einmal in die Turnhalle, um dort Franz zu treffen. Ich freute mich auf die Begegnung mit Franz, es schien mir eine Ewigkeit her zu sein, seit ich seine lehrreichen Stunden genossen hatte. Ich hatte aber den Verdacht, dass Hans mich auch noch von den Wällen fernhalten wollte, was ihm sicherlich nicht lange gelingen würde, ich musste mir doch bald selbst ein Bild von der Lage machen.

Ein sonderlich gutes Zeichen war das nicht. Ich nahm mir vor, mich nach den Stunden bei Franz mal ein bisschen umzuschauen, ohne Hans um Erlaubnis zu fragen. Franz nahm mich wie üblich recht hart heran, allerdings bemerkte ich auch, dass er mich nicht völlig verausgaben wollte. Ich sprach ihn darauf an, und er murmelte nur, dass wir schließlich schon im Krieg seien und jedes Schwert gebraucht würde.

Er ermahnte mich jedoch, die Stunden fortzusetzen, es gab noch viel für mich zu lernen, und die Zeiten verlangten es seiner Ansicht nach, womit ich ihm nur recht geben konnte.

Ich hatte ein schlechtes Gewissen deshalb, aber zwei Stunden später entließ er mich sowieso. Meine Lederjacke mit dem Kettenhemd hatte ich zwar für das Training ausgezogen, aber ich hatte sie dabei. Nach einer kleinen Weile zum Abkühlen schlüpfte ich wieder in meine Klamotten, das war zwar etwas unangenehm nach dem Sport, aber dafür war ich wieder voll gerüstet. Ich verabschiedete mich von Franz und machte mich auf den Weg Richtung Osttor. Es waren nach mir noch andere Soldaten eingetroffen, anscheinend war ich wenigstens nicht die Einzige, die hier Zeit in der Turnhalle verbrachte. Die Menschen auf den Straßen lächelten mich an, es gab nur noch sehr wenige, die mich noch mit Misstrauen betrachteten.

Ich vermutete, dass die Gerüchteküche schnell umgegangen war. Plötzlich baute sich ein Soldat breit vor mir auf, und versperrte mir den Weg. Ich wollte ihm ausweichen, aber er stellte sich erneut vor mich, was mich zum Halten zwang. Ich erkannte Anton, den katholischen Christen. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Ich würde nie den Ausdruck von Fremdenhass auf seinem Gesicht bei unserer ersten Begegnung vergessen. Zu meiner Überraschung grinste er mich jedoch breit an.

„Das kleine Mädchen, das große Soldaten in die Knie zwingt, ist wieder da. Du bist zurückgekommen, um mit uns zu sterben, für so blöde habe ich dich gar nicht gehalten.“

Ich grinste zurück, als ich den Respekt in seinen Augen lesen konnte.

„Ich konnte mir doch nicht entgehen lassen, wie du von einem Ork endlich auf die angemessene Größe zurechtgestutzt wirst“, entgegnete ich ihm.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739398884
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Oktober)
Schlagworte
Drachen Elfen Althea Fantasy Ork SciFi

Autor

  • Derik Peterson (Autor:in)

Als großer Fan von Rollenspielen und dem klassischen Fantasy Genre ala Tolkien wollte ich schon immer einmal etwas über unsere Welt schreiben, die in die Situation versetzt wurde, dass Magie funktioniert. Ich spiele gerne mit Überraschungen und Wendungen, deshalb sind meine Geschichten nie ganz geradeaus. Mein Lieblingscharakter ist immer ein weiblicher Elf, deshalb ist Althea auch genau das geworden. Naja, fast. Es gibt ganz bestimmt noch mehr von mir zu lesen, also Ausschau halten.
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Titel: Althea Sammelband