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Ein fast perfektes Team – Mehr als ein Delikt

Zwei Romane

von Katharina Kohal (Autor:in)
516 Seiten

Zusammenfassung

"Ein fast perfektes Team":
Sie hätten ihren riskanten Coup noch abbrechen können, doch irgendwann gab es kein Zurück mehr. Wider besseres Wissen und gegen ihr Gewissen führen Norbert und seine Freunde ihren Plan aus. Denn die Aussicht, an dem skrupellosen Bankchef Kai Wenderick Vergeltung auszuüben, ist zu verlockend. Das aus dem Betrug erzielte Geld soll Norbert als Entschädigung für dessen persönlich erlittenen finanziellen Verlust dienen. Zunächst scheint alles zu gelingen. Doch sie haben ihren Widersacher unterschätzt und nicht damit gerechnet, dass die Liebe ins Spiel kommt.


"Mehr als ein Delikt":
Ein Journalist wird ermordet. Schon bald vermutet Hauptkommissar Baumann einen Zusammenhang zu dessen investigativen Recherchen. Während Baumann und sein Assistent in dem Fall ermitteln, birgt ein Ausgrabungsteam in Süditalien einen sensationellen Fund, kämpft eine Berliner Firma mit unlauteren Mitteln ums Überleben und bereitet der Bruder des ermordeten Journalisten, der Künstler Sven Ludwig Richter, eine Vernissage vor. Wenig später wird auch auf ihn ein Mordanschlag verübt.
Für lange Zeit bleiben den Ermittlern die Zusammenhänge verborgen, bis Hauptkommissar Baumann schließlich die Hintergründe erkennt. Aber es sind nur Indizien, die ihn und seinen Assistenten schließlich auf die richtige Spur lenken. Beweise hat er nicht. Noch nicht.


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

 

 

 

 

Ein fast perfektes Team

 

und

 

Mehr als ein Delikt

 

 

 

Zwei Kriminalromane

von Katharina Kohal

 

 

 

Zum Inhalt

 

 

 

Ein fast perfektes Team

 

Ein Kunstbetrug mit Leidenschaft und Folgen:

 

Sie hätten ihren riskanten Coup noch abbrechen können, doch irgendwann gab es kein Zurück mehr. Wider besseres Wissen und gegen ihr Gewissen führen Norbert und seine Freunde ihren Plan aus. Denn die Aussicht, an dem skrupellosen Bankchef Kai Wenderick Vergeltung auszuüben, ist zu verlockend. Das aus dem Betrug erzielte Geld soll Norbert als Entschädigung für dessen persönlich erlittenen finanziellen Verlust dienen. Zunächst scheint alles zu gelingen. Doch sie haben ihren Widersacher unterschätzt und nicht damit gerechnet, dass die Liebe ins Spiel kommt.

 

Der Roman ist mit einem Augenzwinkern und einer Prise Humor geschrieben, wobei die Sympathien in diesem Fall auf Seiten der Betrüger liegen. Bei der Durchführung ihres Coups erfahren sie ein paar Aspekte über den Kunstbetrieb und lernen durch die attraktive Katalanin Estrella auch ein wenig von Barcelona kennen.

 

 

Mehr als ein Delikt

 

Mord, Betrug und eine Sommerromanze in trügerischer Idylle:

 

Ein Journalist wurde ermordet. Schon bald vermutet Hauptkommissar Baumann einen Zusammenhang zu dessen investigativen Recherchen. Während Baumann und sein Assistent in dem Fall ermitteln, birgt ein Ausgrabungsteam in Süditalien einen sensationellen Fund, kämpft eine Berliner Firma mit unlauteren Mitteln ums Überleben und bereitet der Bruder des ermordeten Journalisten, der Künstler Sven Ludwig Richter, eine Vernissage vor. Wenig später wird auch auf ihn ein Mordanschlag verübt.

Für lange Zeit bleiben den Ermittlern die Zusammenhänge verborgen, bis Hauptkommissar Baumann schließlich die Hintergründe erkennt. Aber es sind nur Indizien, die ihn und seinen Assistenten schließlich auf die richtige Spur lenken. Beweise hat er noch nicht.

 

 

Ein fast perfektes Team

Ein Kunstbetrug mit Leidenschaft und Folgen

 

1. Estrella

Es war schon spät am Abend, Estrella Cardona wischte den Flur der Chefetage, als sie hinter sich ein leises Geräusch vernahm. Hastig drehte sie sich um. Vor ihr stand Kai Wenderick, der Chef der SüdBank. Sie hatte ihn nicht kommen hören.

„Oh, jetzt haben Sie mich erschreckt!“, formulierte sie in ihrem unüberhörbar spanischen Akzent. „Ich wusste nicht, dass Sie noch hier sind in der Bank!“

„Ja, ja, und wir beide sind jetzt ganz allein“, erwiderte er.

Mehr als durch diese Worte fühlte sie sich durch sein Lächeln irritiert. In seinen Gesichtszügen und dem Ton vermisste sie die harmlose Freundlichkeit, mit der er sich gestern Vormittag noch mit ihr unterhalten hatte. Da war sie mit der Reinigung der Kunsthalle der SüdBank beschäftigt, und er war dabei, sich die Vorbereitungen für die nächste Ausstellung anzuschauen. Die Kunsthalle war seine persönliche Passion, dort war er der Kunstbeauftragte und betrachtete die Gemälde und Grafiken fast als sein Eigentum. Gestern kam Estrella kurz mit ihm ins Gespräch. Sie hatte ihn als gutaussehenden, charmanten Herrn im besten Alter wahrgenommen. Wie alt genau er war, wusste sie nicht. Mitte fünfzig vielleicht? Offensichtlich war es ein Fehler, dass sie gestern mit ihm gescherzt und ein wenig geflirtet hatte. Auf jeden Fall hatte er sie gründlich missverstanden. Denn jetzt trat er mit einem süffisanten Lächeln an sie heran. Der Fluchtweg zur Treppe war ihr abgeschnitten.

„Warum auf einmal so abweisend, schöne Frau? Gestern jedenfalls schienen Sie mir einer amourösen Episode nicht abgeneigt.“ In seinen Augen lag unmissverständlich Begierde, ein unverhohlenes Verlangen. Und noch etwas anderes glaubte sie in den Gesichtszügen zu erkennen: die feste Entschlossenheit, seinen Willen gegen ihren Widerstand durchzusetzen.

Estrellas entschiedenes „No“ ignorierte er. Mit den Worten „Komm schon“ ergriff er ihr Handgelenk und versuchte sie an sich heranzuziehen. Sie wehrte sich mit aller Vehemenz. Für einen kurzen Augenblick lockerte sich sein Griff, und sie nutzte die Gelegenheit, ihren Arm freizubekommen. Als er versuchte, sie wieder zu packen, langte sie beherzt nach dem vollen Eimer und schüttete ihm das Wischwasser ins Gesicht. Benommen und verdattert stand er für einen Augenblick hilflos da. Die Schmutzbrühe rann über sein weißes Hemd, die Haare und das Gesicht waren klatschnass, und die seifige Lauge brannte in seinen Augen.

Aber Estrella blieb keine Zeit für lange Betrachtungen. Sie raste an ihm vorbei in Richtung des Treppenhauses. Den Fahrstuhl ließ sie außer Acht. Vermutlich stand er weiter unten, in der ersten oder zweiten Etage. Auf der Treppe entledigte sie sich blitzschnell ihrer Schuhe. Barfuß und somit völlig lautlos lief sie weiter. Hätte sie mehr Zeit, käme ihr Cinderella in den Sinn. Aber die Situation verlangte nach Eile und Entscheidungskraft, denn sie hörte Wenderick auf dem Flur entlangrennen. Von dem Schock hatte er sich offensichtlich schnell wieder erholt. Wohin in aller Eile? Wie groß war ihr Vorsprung, und hatte sie eine Chance, vor ihm den Ausgang im Erdgeschoss zu erreichen? Mit Sicherheit nicht. Er war schnell und voll rasender Wut. In der zweiten Etage war sie gezwungen, eine Entscheidung zu treffen. Sie hörte ihn unmittelbar auf der Treppe über ihr; mit dem Erreichen des nächsten Absatzes käme sie in sein Sichtfeld. Estrella entschied sich, in den vor ihr liegenden Flur zu flüchten und nach der linken Seite zu laufen. Rechtzeitig fiel ihr ein, dass sowohl die Gänge als auch das Treppenhaus mit Bewegungsmeldern ausgestattet waren. Um die Beleuchtung nicht in Gang zu setzen, presste sie sich dicht an die Wand.

Wenderick rannte ein Stockwerk tiefer. Wann würde er bemerken, dass sie nicht mehr vor ihm im Treppenhaus lief? Spätestens in der ersten Etage. Und jetzt hörte sie, wie er wieder die Stufen hoch raste. Wohin in ihrer Not? Im Dunkeln stieß sie an das große Kopiergerät, das in einer Nische stand. Hastig rollte sie das schwere Gerät ein Stück hervor, stieg über das Netzanschlusskabel und presste sich hinter den Kopierer in die Wandvertiefung hinein. Dann bemühte sie sich, das Gerät so dicht wie möglich an sich heranzuziehen. Es gelang ihr in dem Augenblick, als die Beleuchtung anging und Wenderick in der Mitte des Flures stehenblieb; sie hörte nur seinen keuchenden Atem. Wie sie vermutete, entschied er sich für die rechte Hälfte des Ganges und öffnete zielgerichtet die Toilettentüren. Innerhalb einer halben Minute stand er wieder draußen. Jetzt lief er die linke Flurhälfte ab. Estrella hoffte inständig, dass das Herausragen des Kopierers nicht ins Auge fiel. Zu ihrer Erleichterung wandte er sich wieder dem Treppenhaus zu. Aus der Ferne hörte sie seine Schritte und dann überhaupt nichts mehr. Das Licht erlosch. Wo, um alles in der Welt hielt er sich jetzt auf? Auf keinen Fall hatte er das Haus verlassen, das spürte sie. Vermutlich wartete er in der Finsternis auf ein Geräusch von ihr. Kurzzeitig hatte sie erwogen, mit ihrem Generaltransponder eine Tür zu einem der Mitarbeiterzimmer zu öffnen, um sich dort sicherer verstecken zu können. Aber der Piep-Ton beim Entriegeln des Schlosses würde ihm ihre Position sofort verraten. Also wagte sie sich vorerst nicht aus ihrem Versteck hervor und verharrte weiter in ihrer unbequemen Stellung.

Mit angehaltenem Atem lauschte sie in die unheimliche Stille.

 

2. Eine folgenschwere Begegnung

„Ja, Herr Lange, wie ich Ihnen bereits sagte: Es tut mir leid, dass ich Ihnen da nicht weiterhelfen kann. Der Kollege, mit dem Sie damals den Vertrag abgeschlossen hatten, befindet sich im Ruhestand. Aber ich denke schon, dass alles soweit in Ordnung geht. Jedenfalls haben wir nichts Gegenteiliges gehört. Wir könnten da ohnehin nichts ausrichten. Uns als Bank sind bei dem weiteren Ablauf die Hände gebunden. Aber Sie können sich ja selbst vor Ort vom aktuellen Stand des Baugeschehens überzeugen. Es tut mir wirklich leid.“ Mit diesen Worten geleitete der Kundenberater der SüdBank Norbert zur Tür. Ratlos blieb er ein paar Sekunden auf dem Flur stehen, bis er sich dann dem Treppenhaus zuwandte. In diesem Moment stieß er heftig mit einer Frau mittleren Alters zusammen.

„Na, na! Ein bisschen müssen Sie schon aufpassen!“, meinte Norbert verärgert und schaute gleich darauf in ein verweintes Gesicht.

„Ich muss gar nichts!“, erwiderte Estrella wütend und kam beim Weiterlaufen ins Stolpern.

„So aufgeregt wie Sie sind, können Sie unmöglich auf die Straße. Ist etwas passiert?“ Norbert hatte ihren südländischen Akzent bemerkt und auch, dass sie völlig außer sich war.

Ungehalten fuhr sie ihn an: „Natürlich ist etwas passiert! Aber das wollen Sie doch nicht wissen!“, und fügte, als sie sein betroffenes Gesicht sah, etwas versöhnlicher hinzu: „Sie können da nicht helfen. Sie sind ein Kunde, nicht wahr?“

Norbert nickte und meinte lakonisch, dass er wohl die längste Zeit hier Kunde gewesen sei. Estrella verstand nicht alles, aber immerhin so viel, als dass er ebenfalls Probleme mit der SüdBank und deren Personal hatte. Prüfend schaute sie ihn an, und Norbert fiel zum ersten Mal auf, dass sie trotz der verweinten Augen eine attraktive Frau war. Spontan schlug er vor, sich bei einer Tasse Kaffee auszutauschen. Vor allem, so redete er sich selbst ein, müsse er verhindern, dass sie in ihrem aufgebrachten Zustand kopflos auf die Straße lief. Nach einem kurzen Zögern nahm Estrella sein Angebot an.

Minuten später betraten sie die Konditorei auf der gegenüberliegenden Straßenseite und suchten sich einen Platz aus. Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, fragte Norbert vorsichtig, ob sie ebenfalls eine enttäuschte Kundin sei. Aber Estrella schüttelte nur stumm den Kopf; und so entschied er sich, in knappen Worten seine eigene Misere zu schildern.

Vor reichlichen zehn Jahren hatten er und seine Frau sich entschlossen, in den Bau einer Immobilie in der Nähe des Bodensees zu investieren, gewissermaßen als Altersvorsorge. Ein Anlagenberater bei der SüdBank hatte sie zum Kauf des „Betongoldes“ animiert. In der Nähe des Ortes Hagnau plante ein Bauunternehmen eine Wohnanlage mit altersgerechten komfortablen Wohnungen. Norbert und seine Frau Christa hatten vor, im Rentenalter dorthin zu ziehen. Entsprechend seinen Unterlagen war der Kredit an die Bank unterdessen abbezahlt und die Wohnanlage längt bezugsfertig. Heute wollte er sich bei der SüdBank über den aktuellen Stand informieren. Aber niemand von den jetzigen Mitarbeitern fühlte sich in dieser Angelegenheit zuständig. Mit Christa hatte er nicht über seine Befürchtungen gesprochen. „Ja, das sind zurzeit so meine Sorgen“, beendete er die Schilderung. Er war nicht sicher, ob ihn die Frau verstanden hatte.

Aber offenbar doch, denn nun meinte sie: „Sicher muss Ihnen jemand sagen können, wie jetzt der Stand ist?“

Norbert zuckte mit den Schultern. „Ich werde zurzeit nur vertröstet. Aber augenscheinlich haben auch Sie Kummer?“

Nervös rührte Estrella in ihrem Kaffee, dann schaute sie ihn an. Sie sah sein gutmütiges Gesicht mit ausgeprägten Lachfältchen um die jetzt sorgenvoll blickenden Augen. Sein Haar war nicht völlig ergraut. Flüchtig bemerkte sie die Tendenz zu einem leichten Bauchansatz. Seine Figur hatte sie vorhin in ihrer Aufregung nicht so recht wahrgenommen. Er fing ihren Blick auf und schmunzelte. Auch in ihren ausdrucksvollen Augen zeigte sich nun der Anflug eines Lächelns. Über ihnen schwangen sich in sanftem Bogen dunkle, dichte Augenbrauen, zwischen denen sich jetzt eine steile Zornesfalte andeutete.

„Ich habe fast die ganze Nacht hinter einem Kopiergerät verbracht.“

„Wie bitte?“ Er glaubte, sie falsch verstanden zu haben.

„Nein, nein, es stimmt“, versicherte sie rasch. Und in wütenden Worten schilderte sie die Ereignisse der letzten Nacht. Sprachlos hörte er ihr zu.

Als sie geendet hatte, meinte er empört: „Das ist eine bodenlose Frechheit! Eine Unverschämtheit! Und Sie haben ihm wirklich das Dreckwasser ins Gesicht geschüttet?“

„Was sollte ich tun? Ich musste mich wehren.“

„Das nenne ich mutig! Sie müssen den Kerl wegen versuchter Vergewaltigung anzeigen!“ Und als die Kellnerin interessiert aufhorchte, fügte er leiser hinzu: „Ich kann Ihnen natürlich dabei behilflich sein, ich meine, falls es sprachliche Schwierigkeiten geben sollte.“

Aber Estrella schüttelte den Kopf. „Als wir heute zusammenstießen im Treppenhaus, ich kam gerade vom Personalchef. Er hat mir gar nicht zugehört, sondern gesagt, dass Herr Wenderick eine angesehene Person ist und Ehefrau und zwei erwachsene Kinder hat. Und ich soll überlegen, ob ich ihn nicht ermutigt habe.“ Dann schüttelte sie verständnislos den Kopf. „Nur weil ich mich gestern freundlich unterhalten habe mit ihm in der Kunsthalle, er kann doch nicht denken, dass alles erlaubt ist!“

„Sie hatten ihn zufällig in der Kunsthalle kennengelernt?“

„Nein, er ist auch Vorsitzender von der Geschäftsstelle in der Kunsthalle, und ich reinige dort zweimal in der Woche.“ Und dann erklärte sie ihm, dass sie auf den Nebenjob als Reinigungskraft angewiesen sei, um ihren einjährigen Aufenthalt in Berlin zu finanzieren, jetzt aber gekündigt habe.

„Ich möchte mein Deutsch etwas verbessern in einem Sprachkurs an der Uni. Die Firma in meiner Heimat, bei der ich bisher gearbeitet habe, musste viele Mitarbeiter entlassen, auch mich. Wenn der Sprachkurs hier zu Ende ist, werde ich mich bei einer Reiseagentur bewerben.“

„Ihr Deutsch klingt doch schon ganz gut“, beeilte sich Norbert, zu versichern.

Aber Estrella wehrte lächelnd ab. „Ganz gut ist nicht gut. Ich muss es besser lernen. Ich hatte früher in der Schule schon Deutschunterricht. Das hilft etwas. Aber meinen Akzent hört man sicher sehr.“

„Das ist doch gerade reizvoll. Sind sie Spanierin?“

„Ich komme aus Barcelona, ich bin Katalanin!“, stellte sie klar.

„Aha, verstehe.“ Dann schaute Norbert auf die Uhr. „Ich befürchte, ich muss los, sonst gibt es Ärger zu Hause. Meine Frau wartet nicht gerne mit dem Essen auf mich. Sie hat diese Woche Spätdienst und für uns beide gekocht.“

„Ach ja, die Deutschen sind immer so pünktlich! Und sie essen Punkt zwölf Uhr, nicht wahr?“ Zum ersten Mal sah Norbert sie jetzt lachen. Wie alt mochte sie sein? Sicher nicht mehr ganz jung. Er schätzte sie auf Mitte vierzig, vielleicht auch etwas älter.

„Wie wird es jetzt für Sie weitergehen? Bei der SüdBank haben Sie ja gekündigt.“

„Ich werde schon etwas finden. Vielleicht als Verkäuferin. Wenn der Sommerkurs zu Ende ist, gehe ich zurück nach Barcelona.“

Norbert gab ihr seine Handynummer. „Rufen Sie mich bitte an, falls Sie doch Hilfe bezüglich einer Anzeige brauchen.“

Doch Estrella schüttelte energisch den Kopf. „Die SüdBank und der Herr Wenderick sind für mich gestorben.“ Ihre Worte unterstrich sie mit einer eindeutigen Geste. „Aber es ist eine gute Idee, wenn wir in Kontakt bleiben. Ich möchte erfahren, ob Sie betrogen wurden oder ob alles in Ordnung geht.“ Aus ihrer Tasche holte sie einen Stift und schrieb auf den Rand der Serviette. Norbert las den Namen Estrella Cardona und dahinter eine Handynummer. Dann bezahlte er die beiden Kaffee, und sie verabschiedeten sich mit dem Versprechen, in Verbindung zu bleiben.

 

3. Freunde

Der Timer klingelte und zeigte ihm an, dass die Kartoffeln fertig waren. Holger Grafe schlurfte von der kleinen Terrasse der Berliner Altbauwohnung zurück in die Küche. Das Alleinsein bekam ihm nicht. Seit seine Frau vor fünf Jahren verstarb, fühlte er sich verloren, ihm fehlte ein Stück Lebensfreude. Und wie an so vielen anderen Tagen wusste er auch heute wieder mal nichts Rechtes mit sich anzufangen. Zum Glück wohnten seine beiden Freunde Norbert und Alexander in der Nähe. Seit sie alle drei in Rente waren, sahen sie sich öfter als die Jahre zuvor. Ein paar Mal hatten sie versucht, ihn aus seiner Lethargie zu reißen. „Holle, warum malst du nicht mehr? Fang doch einfach wieder an! Jetzt, wo du als Rentner Zeit dazu hättest.“ Und jedes Mal hatte Holger daraufhin gleichgültig mit den Schultern gezuckt und erwidert: „Wozu, die Wände hängen voller Bilder.“

Das stimmte. Im Flur, im Wohnzimmer und Schlafzimmer, ja selbst in der Küche hingen Gemälde aus einer Schaffensperiode von mindestens drei Jahrzehnten. Für die Malerei hatte er sich immer interessiert und in seiner Freizeit früher gerne und oft gemalt oder gezeichnet. Aber seit Hannahs Tod fehlte ihm der Antrieb dazu und generell wohl auch die Energie und der Unternehmungsgeist.

Holger hatte gerade am Küchentisch Platz genommen, als es an der Tür klingelte. Unwillig ließ er das Essen stehen und schlurfte zur Tür. Aber dann hellte sich seine Miene auf.

„Nobbe, komm rein! Du hast sicher schon gegessen. Was gab’s denn Gutes?“

Aber Norbert winkte ab. Er sah nicht glücklich aus. „Ich glaube, ich habe ein Problem.“

„Doch hoffentlich nicht mit Christa?“

„Noch nicht, aber es könnte eins werden.“ Und mit knappen Worten informierte er den Freund über das unbefriedigende Gespräch in der SüdBank und seine Befürchtungen, dass da gründlich etwas schiefgelaufen sei.

Holger schnitt ein Stück von dem Schnitzel ab und brummte: „Wie sieht denn die Wohnanlage aus? Du hast sie dir doch bestimmt schon irgendwann mal in Natura angeschaut.“

„Nein, leider nicht. Ich hatte den geplanten Gebäudekomplex und die Grundrisse der Wohnung nur auf dem Papier gesehen. Es sah alles prima und sehr ansprechend aus.“ Für einen Moment war Holger sprachlos. Seine Gabel mit dem Stück Schnitzel hing in der Luft.

„Willst du damit sagen, dass du noch nie dort gewesen bist?“

Norbert gab unwillig zu, dass er sich auf die ansprechenden Bilder im Hochglanzprospekt verlassen hatte. Außerdem fühlte er sich damals zu einer schnellen Entscheidung gedrängt, da angeblich kaum noch Wohnungen verfügbar wären.

„Na ja, und der nächste Weg an den Bodensee nach Hagnau ist es ja von hier aus auch nicht gerade“, versuchte er, sich zu rechtfertigen.

Verständnislos sah Holger seinen Freund an. „Mensch Nobbe! So naiv kann doch keiner sein!“

Norbert seufzte „Wenn etwas schiefgegangen sein sollte, weiß ich gar nicht, wie ich es Christa beibringen soll. Letztendlich hatte ich sie damals zum Abschluss des Kaufvertrages überredet. Du kennst sie ja. Sie wird mir Vorwürfe machen.“

„Na, das dürfte ja jetzt die kleinste Sorge sein. Wollen wir mal Sascha anrufen? Vielleicht hat der eine Idee.“

Am späten Nachmittag trudelte Alexander, genannt Sascha, mit seinem Rennrad ein. Er trug es die wenigen Stufen hinauf bis zur Wohnung im Hochparterre.

„Du glaubst jetzt aber nicht, dass du es bei mir im Flur abstellen kannst?“, empfing ihn Holger, um ihn aber dennoch gleich darauf mitsamt dem Rad hineinzulassen.

Dr. Alexander Niermeyer war sichtbar der fitteste der drei Freunde; er unternahm etliches dafür und pflegte, begleitet vom gutmütigen Spott der beiden anderen, beständig seine Eitelkeit. Mit der sportlichen, hochgewachsenen Figur, dem jungenhaften Lächeln und dem kurzen Haarschnitt würde man nicht annehmen, dass er bereits fünfundsechzig war. Seinen Eintritt in den Ruhestand hatte er noch nicht so recht verkraftet. Nach wie vor betreute er Doktoranden, genauer gesagt Doktorandinnen, und erschien zwei- bis dreimal wöchentlich im Institut. Verheiratet war er nie und würde sich auch nicht binden wollen.

Jetzt stand er im neongelben Fahrradoutfit und leicht verschwitzt in Holgers Flur.

„Wo brennt’s Leute?“

Und Norbert schilderte zum zweiten Mal seine Sorgen und Befürchtungen. Mit den Worten: „Vorwürfe kannst du dir sparen, die hat Holle mir schon gemacht“, beendete er die Darlegung der Fakten.

Sascha runzelte die Stirn: „Das klingt ja wirklich nicht gerade beruhigend. Wie wäre es, wenn wir mal zu dritt dort am Bodensee auftauchen und uns die Lage vor Ort anschauen würden?“

„Aber ohne Christa“, warf Norbert sofort ein.

„Natürlich ohne Christa. Sie muss doch sowieso während der Woche arbeiten, und am Samstag sind wir wieder zurück. Als Begründung kannst du ihr ja sagen, dass wir dort eine Radtour machen“, schlug Sascha nicht ohne Hintergedanken vor.

Norbert grinste schief und deutete auf seinen Bauch. „Das glaubt sie mir nie!“

Auch Holger äußerte Bedenken: „Wir könnten doch sowieso nicht drei Räder auf dem Fahrradträger transportieren.“

„Die kann man theoretisch vor Ort ausleihen. Mein Rennrad nehme ich jedenfalls mit.“

Weitere Fragen gab es vorerst nicht, und man einigte sich darauf, dass Sascha die beiden Freunde morgen in aller Frühe mit dem Auto abholen würde.




Etwas verschlafen stiegen Holger und Norbert am nächsten Morgen mit ihren Reisetaschen zu.

Vor ihnen lagen laut Routenplaner eine Strecke von 760 Kilometern und eine Fahrzeit von reichlich sieben Stunden. Staus und Pausen nicht eingerechnet.

Hinter Bayreuth fuhren sie auf einen Parkplatz und vertraten sich die Beine. Wortlos übergab Sascha den Autoschlüssel an Holger. In der Höhe von Nürnberg nahmen sie ein spätes Mittagessen ein. Danach fuhr Norbert den Rest der Strecke. Erst kurz vor siebzehn Uhr erreichten sie Hagnau.

Aber für die weite Anreise wurden sie belohnt. Der Ort lag idyllisch zwischen Weinbergen und dem Bodensee. Norbert hatte für sie ein familiengeführtes kleines Hotel direkt an der Seestraße gebucht. Wie in alten Zeiten teilten sie sich ein Zimmer. In diesem Fall war es eher eine große Junior Suite denn ein normales Hotelzimmer. Holger bevorzugte die Couch, die beiden anderen die komfortableren Betten. Vom Balkon aus bot sich ihnen ein sensationeller Ausblick auf den See.

Sascha streckte sich und breitete die Arme weit aus. „Jungs, hier könnte ich bleiben. Wenn du wirklich hierherziehen solltest, Nobbe, dann musst du mit mir als Dauergast rechnen.“

„Nichts lieber als das, aber das Örtchen, in dem die Wohnanlage steht, liegt ja mindestens 30 km von hier entfernt. Für heute reicht es aber erst einmal. Ich schlage vor, wir suchen uns jetzt eine gemütliche Gaststätte mit Blick aufs Wasser.“

Schon bald fanden sie ein Restaurant direkt am See. Das frühlingshafte Wetter war warm und mild, und so wählten die Freunde einen Tisch auf der Terrasse.

„Ihr seid heute Abend meine Gäste“, verkündete Norbert. „Und danke nochmal, dass ihr so spontan mitgekommen seid!“

„Was heißt hier mitgekommen. Wärst du denn alleine überhaupt gefahren?“ Norbert gab freimütig zu, dass ihm dies schwergefallen wäre, zumal Christa auf keinen Fall dabei sein sollte. Dann bestellten sie und schoben alle Bedenken und Befürchtungen erst einmal weit von sich. Als der Kellner die Hauptspeisen brachte, widmeten sie sich schweigend ihren Tellern. Nur hin und wieder ließ einer von ihnen eine anerkennende Bemerkung zum Essen oder zu der herrlichen Landschaft fallen.

Bei einer Flasche Wein ließen die drei Freunde dann später auf dem Balkon den Abend ausklingen. In der einbrechenden Dunkelheit sahen sie weit entfernt am gegenüberliegenden Ufer auf der Schweizer Seite die Lichter der ihnen unbekannten Ortschaften.

Norbert seufzte: „Das alles könnte so schön sein. Aber ich befürchte, dass es morgen eine böse Überraschung geben wird. Nein, eigentlich keine Überraschung, sondern die Bestätigung meiner schlimmsten Vorahnungen.“

„Nobbe, nun male mal den Teufel nicht an die Wand!“

 

4. Bittere Gewissheit

„Und du bist sicher, dass wir hier richtig sind?“, fragte Sascha zweifelnd.

„Ja ganz sicher, zwischen Beuren und Lellwangen. Hier ist ja weiter nichts.“ Fassungslos schauten sie auf die Bauruine. Ein Neubau, der aber offensichtlich vor Jahren abgebrochen und nie fertiggestellt wurde, lag vor ihnen. Deutlich waren die Absätze, die einmal als Terrassen geplant wurden, und die begonnenen Treppenhäuser zu erkennen. Auf dem öden Gelände wucherte Gestrüpp. Das verwahrloste Baugelände war mit einem mittlerweile verrosteten Drahtzaun abgesichert. Nachfragen bei Anwohnern der benachbarten Orte bestätigten Norberts Befürchtungen: Hier wurde vor reichlichen zehn Jahren mit dem Bau einer Wohnanlage begonnen, in der altersgerechte Wohnungen mit großzügigen Terrassen und Balkonen entstehen sollten. Aber nach drei Jahren ging der Bauträger in Konkurs, und übrig blieb diese unansehnliche Bauruine.

Norbert fehlten die Worte, er war verzweifelt.

Sascha klopfte ihm tröstend auf die Schulter. „Jetzt hast du zumindest Gewissheit. Wir müssen nun mal überlegen, wie es weitergehen soll.“ Schweigend liefen die drei Freunde zum Auto zurück.

„Und wie könnte es deiner Meinung nach weitergehen?“, fragte Norbert gereizt. „Der Kundenberater hat mir ja bereits gesagt, dass die SüdBank da ohnehin nichts machen kann, weil sie mit dem Bauträger nichts zu tun hätte.“

„Das wollen wir doch erst einmal sehen. Du lässt dir gleich Anfang nächster Woche einen Termin bei der Bank geben, aber diesmal zu einem Gespräch mit dem Chef. “

Die restlichen beiden Tage verbrachten die Freunde wie geplant in Hagnau. Doch die entspannte Stimmung des ersten Abends, als sie in der Gaststätte saßen und später vom Balkon ihres Zimmers die grandiose Aussicht auf den Bodensee genossen, war endgültig dahin. Sascha zumindest versuchte das Beste aus dem Aufenthalt herauszuholen und stieg auf sein Rennrad.

Zwei Tage später, es war ein Freitag, traten sie in aller Frühe die Rückfahrt an.

„Na, der Ausflug zu dritt ist dir wohl nicht bekommen? Du hast dich doch hoffentlich nicht bei den Radtouren übernommen!“, lästerte Christa und bestückte den Geschirrspüler. Schon die ganze Zeit während des Abendessens fiel ihr auf, wie wortkarg Norbert war, aber er begründete die gedrückte Stimmung mit der langen Autofahrt und seiner Übermüdung. Ein paar Mal war er drauf und dran, Christa alles zu beichten, entschied sich aber letzten Endes dagegen. Im Gegensatz zu der Euphorie, mit der er damals den Vertrag abgeschlossen hatte, war sie von Anfang an skeptisch und misstrauisch. Letztendlich behielt sie mit ihren Vorbehalten Recht und würde ihm nun mit Sicherheit seine Gutgläubigkeit vorwerfen. Ihre Eigenheiten und Launen kannte er mittlerweile bestens. Über vierzig Jahre waren sie miteinander verheiratet.

Als er sie damals kennenlernte, war sie ein zurückhaltendes junges Mädchen mit braunen Augen und dunklen Locken. Ein paarmal noch hatten sie sich gesehen, doch bald darauf wieder aus den Augen verloren und erst drei Jahre und fünf Kilo später wiedergetroffen. Aus dem stillen, schüchternen Mädchen war mittlerweile eine selbstbewusste Frau geworden. Es waren ihr Lächeln und die dunklen Augen, die ihn sofort wieder in ihren Bann zogen. Ein halbes Jahr später heirateten sie. Kinder hatten sie keine, und so begann Christa zunehmend und sehr zu seinem Verdruss ihre ausgeprägten pädagogischen Ambitionen auf ihn zu richten. „Wo willst du denn hin? …Warum hast du noch nicht …? Was machst du da eigentlich?“, waren Fragen, denen Norbert gerne aus dem Weg ging. So gesehen graute ihm vor dem kommenden Ruhestand seiner Frau.

Und nun also zeichnete sich ein weiteres, ernsthaftes Problem ab. Beschuldigungen waren das Letzte, was er momentan ertragen würde. Nein, da musste er jetzt alleine durch und versuchen, die Angelegenheit wieder ins Reine zu bringen.

Gleich am Montagmorgen rief Norbert bei der SüdBank an und bat um einen Termin, diesmal bei dem Leiter der Bank.

Am Mittwochmorgen empfing ihn ein gutaussehender, wortgewandter Herr und stellte sich als Kai Wenderick vor.

Wenderick? Den Namen hatte Norbert vor kurzem aber in einem ganz anderen Zusammenhang gehört.

Höflich hörte er sich Norberts Anliegen an. Kai Wendericks Tonfall war verbindlich, und seine Miene drückte Verständnis aus. „Ich verstehe Sie vollkommen, Herr Lange. Glauben Sie mir, wenn ich eine Lösung parat hätte, würde ich sie Ihnen unverzüglich anbieten. Aber leider …“, und hierbei hob Wenderick bedauernd die Hände, „… kann unsere Bank Ihnen da nicht weiterhelfen. Ich rate Ihnen dringend, gegen die Baugesellschaft zu klagen. Aber da die Firma bereits vor Jahren in den Konkurs ging und die Gesellschaft de facto nicht mehr existiert, sehe ich ehrlichgesagt wenig Chancen auf einen Erfolg.“

Norberts letzte Hoffnung schwand dahin. Mit einem Anflug von Verzweiflung warf er ein: „Letztendlich hat aber der Kundenberater Ihrer Bank mir zu dieser Anlage geraten. Sicher gibt es doch eine Art Versicherungsfonds, um derart getäuschte Kunden zu entschädigen.“

Herrn Wendericks bis dahin freundlicher Ton wurde um eine Nuance schärfer. „Leider nein, Herr Lange. Die Beratung erfolgte damals über eine Tochterfirma. Es handelte sich um eine ausgelagerte Beratungsgesellschaft, die schon vor Jahren aufgelöst wurde. Unsere Bank ist hierfür nicht zuständig und haftet demnach auch nicht für Ihren Verlust.“ Für Herrn Wenderick war die Angelegenheit damit erledigt und das Gespräch beendet. Nicht aber für Norbert. Ungebremst verschaffte er nun seinem Ärger Luft.

„Das kann ja wohl nicht wahr sein! Damals überredete mich Ihr Mitarbeiter zur Zahlung in diesen Fonds, und nun lassen Sie mich als Kunden im Regen stehen! Ich werde Ihrer Bank gegenüber Haftungsansprüche geltend machen!“

Wenderick hatte sich unterdessen erhoben. In kaltem Ton erklärte er: „Das steht Ihnen natürlich frei. Sie werden aber keinen Erfolg haben. Wie ich Ihnen bereits darzulegen versuchte, war der Kundenberater kein Mitarbeiter unserer Bank. Ich kann Ihren Ärger durchaus verstehen, aber wir sind für diesen Fall nicht zuständig.“ Innerhalb von Sekunden war sein Lächeln zu einer eisigen Miene gefroren. Jede weitere Bemerkung seines Gegenübers glitt an ihm ab.

Eine Minute später fand sich Norbert auf dem gepflegten Korridor der Chefetage wieder. Beim Anblick des tadellos gereinigten Fußbodens fiel ihm plötzlich das Gespräch mit der Katalanin ein. Sie war es, die den Namen Wenderick zum ersten Mal genannt hatte. Aber unterdessen arbeitete sie nicht mehr hier in der Bank. Wenn Norbert ihr damals eine leichte Übertreibung bei der Schilderung des Geschehenen unterstellt hatte, so glaubte er ihr nun uneingeschränkt. Die freundliche Verbindlichkeit war eine Maske, unter der sich ein knallharter, vermutlich sogar gefährlicher Typ verbarg.

Wie mochte es der temperamentvollen Katalanin jetzt gehen? Irgendwo hatte Norbert noch die Serviette mit ihrem Namen und der Handynummer.

Momentan hatte er keine Lust, nach Hause zu gehen. Und bei dem Gedanken an das unausweichliche Gespräch mit Christa und dem anschließenden Disput bekam er Kopfschmerzen. Er wählte Saschas Handynummer und kurz darauf die von Holger.

Eine Stunde später saßen alle drei in dessen Küche.

„Es ist ja noch nicht aller Tage Abend, Nobbe!“, versuchten die beiden Freunde, ihn zu trösten.

„Irgendeine Möglichkeit, die Bank für den entstandenen Verlust haftbar zu machen, muss es doch geben. Ein Bekannter von mir ist Anwalt. Ich werde ihn heute Abend anrufen und deinen Fall schildern“, versprach Sascha. Die drei verabredeten sich für den nächsten Tag zur gleichen Zeit wieder bei Holger in der Wohnung.

Aber es war keine gute Nachricht, die Sascha am darauffolgenden Tag überbrachte. Der Anwalt sagte zwar zu, sich den Fall nochmal genauer anzuschauen, wies aber fairerweise daraufhin, dass nur wenig Hoffnung auf eine aussichtsreiche Klage bestünde. Als Gründe nannte er die Kaufberatung durch eine externe Beratungsgesellschaft und dass die rechtlichen Ansprüche womöglich verjährt wären. Die Aussichten auf eine Haftung seitens der Bank seien denkbar schlecht.

Auf Saschas Mitteilung folgte ein bedrücktes Schweigen. Schließlich erhob sich Holger und schlurfte zur Kaffeemaschine. Aber auch der sich bald darauf verbreitende aromatische Duft trug nicht wesentlich zur Hebung der Stimmung bei.

Norbert nahm einen Schluck Kaffee und monierte: „Es ist schon eine Schande, dass die Bank keinerlei Entgegenkommen für falsch beratene Kunden zeigt. An Geld kann es doch nicht fehlen, wenn sich die SüdBank eine Kunsthalle leisten kann. Sie soll ja angeblich Wendericks persönliche Leidenschaft sein. Dafür gibt er offensichtlich gerne Geld aus.“

„Na ja, das Geld dafür kommt sicher aus einem ganz anderen Topf. Aber woher weißt du eigentlich, dass die Kunsthalle seine Leidenschaft ist? Habt ihr euch etwa darüber unterhalten?“

„Nein, natürlich nicht.“ Und Norbert erzählte von der Begegnung mit Estrella und davon, dass sie Wenderick in der Kunsthalle antraf, als sie dort putzte. „Sie ist übrigens eine gebürtige Katalanin und kommt aus Barcelona. In Berlin wohnt sie nur für ein Jahr, um ihre Deutschkenntnisse aufzubessern.“

Die beiden anderen grinsten: „Hast du Christa von ihr erzählt?“ Statt einer Antwort tippte Norbert mit dem Zeigefinger unmissverständlich an seine Stirn. Dann meinte Sascha: „Es kann ja nichts schaden, wenn ich mir die Kunsthalle mal anschaue.“

„Seit wann interessierst du dich denn für Kunst?“, wollte Holger wissen.

„Ich bin einfach neugierig geworden, was dort so ausgestellt wird“, meinte er ausweichend. Damit war das Thema vorerst erledigt. Abschließend wandte sich Sascha an Norbert: „Ich gebe dir auf jeden Fall die Telefonnummer des Anwalts. Vielleicht hat er doch noch eine Idee, wie du an dein Geld kommst. Aber die Sache wird sehr langwierig werden. Irgendwann musst du mit Christa darüber sprechen.“

Am Abend surfte Sascha ein wenig im Internet und fand heraus, dass am kommenden Donnerstag um neunzehn Uhr in der Kunsthalle der SüdBank eine Ausstellungseröffnung stattfinden würde. Kurzentschlossen griff er zum Telefon. „Holle, kommst Du mit?“

 

5. Eine Idee

An dem Donnerstagabend betraten beide die Kunsthalle und schoben sich durch das dichte Gedränge.

Holger griff nach einem Flyer. „Worum geht es heute eigentlich?“

„Du hast dich wohl überhaupt nicht informiert?“, meinte Sascha grinsend. „Es geht um Papiercollagen und Farblithografien von Georges Braque. Ausgestellt sind der Neuerwerb einer Lithografie und einige Leihgaben aus Privatbesitz und vom Kunstmuseum Pablo Picasso in Münster. Eine Menge Vogelbilder sind hier in der Ausstellung zu sehen. In Braques Spätwerk nimmt das Bildthema Der Vogel im Flug eine zentrale Bedeutung ein.“

Verblüfft schaute Holger seinen Freund an. „Wieso interessiert dich das? Bist du jetzt unter die Ornithologen gegangen?“

„Ehrlichgesagt interessiert mich hier nur ein Vogel, nämlich dieser Wenderick, der sich offensichtlich als Kurator präsentiert. Ich bin gespannt, wie er aussieht.“ Saschas Bemerkungen gingen in den einsetzenden Klavierklängen unter. An einem Flügel, den er bis dahin nicht bemerkt hatte, saß ein junger Mann und spielte ein lyrisches Stück von Mendelssohn Bartholdy. Nachdem der letzte Ton verklungen war, trat ein gutgekleideter Herr nach vorne, er mochte Mitte fünfzig sein, und sprach ein paar einleitende Worte.

„Das muss er sein“, raunte Sascha seinem Freund zu.

„Der ist das? Auf mich macht er einen ausgesprochen kultivierten Eindruck.“

Sascha schaute nochmal auf den Flyer. „Das muss er aber sein. Außer einer Frau Dr. Uta Ruland und ihm wird hier keiner weiter sprechen.“ Als er den mahnenden Blick eines anderen Gastes auffing, verstummte er. Die Begrüßungsrede zog sich nach seinem Ermessen endlos lange hin.

Schließlich beendete Kai Wenderick die Ausführungen mit den Worten: „Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Betrachten der zauberhaften Werke von Georges Braque. Frau Dr. Uta Ruland wird Ihnen eine kurze Einführung zu dieser Ausstellung und zur Geschichte unserer neuerworbenen Farblithografie geben.“ Frau Ruland trat hervor. Weitere Ausführungen folgten. Fasziniert schaute Sascha zu ihr hin.

Gerade zitierte sie den Künstler mit den Worten: „Ich suche nicht die Überspanntheit, die Spannung genügt mir“, und betonte, dass Georges Braque ein Künstler der eher leisen Töne sei aber gleichwohl die Kunst revolutioniert habe. Neben Picasso und Matisse gehöre er zu den Pionieren der Moderne des 20. Jahrhunderts.

Holger beobachtete seinen Freund von der Seite und lästerte: „Sicher ist sie etwas älter als deine Doktorandinnen.“ Aber Sascha überhörte die ironische Bemerkung. Wie gebannt beobachtete er die Rednerin und sog ihre Worte förmlich auf. Ihre Stimme hatte einen sanften Klang. Das leicht gewellte Haar trug sie offen. Und es war nicht gefärbt, denn zwischen dem dunkelblond glaubte Sascha, ein paar silbern schimmernde Haare zu erkennen. Ihr Alter war schwer zu schätzen. Sie war schlank und zierlich, die auffällige Brille, die sie bei ihrem Vortrag trug, betonte ihre intellektuelle Ausstrahlung. Dadurch wirkte sie ein wenig distinguiert und unnahbar. Vermutlich lebte sie allein und ließ niemanden näher an sich heran.

„Wie alt schätzt du sie?“, flüsterte Sascha.

„Vielleicht fünfzig oder knapp darüber“, raunte Holger zurück. Diesmal handelte er sich den ärgerlichen Blick eines neben ihm stehenden Gastes ein. Schließlich beendete Frau Dr. Ruland ihren Vortrag. Abschließend spielte noch einmal der junge Pianist. Nachdem der letzte Ton und der Applaus verklungen waren, lud Herr Wenderick die Gäste zu einem Glas Wein und einem kleinen Imbiss ein.

Saschas Blick folgte Frau Dr. Ruland. Was er dann bemerkte, mochte er kaum glauben. Und es gefiel ihm nicht. Herr Wenderick legte den Arm um ihre Taille und küsste sie flüchtig. Sascha musste sein Vorurteil, dass sie niemanden an sich heranließe, revidieren. In seinen Augen war ihre aparte Ausstrahlung somit entzaubert. Ausgerechnet Wenderick! Enttäuscht wandte er sich ab.

Holger und er ließen sich in der Menge zu dem kleinen Buffet treiben, und jeder nahm ein Glas Rotwein. Dann betrachteten sie die ausgestellten Werke, insbesondere die neuerworbene Farblithografie. Nach einer halben Stunde reichte es Sascha.

„Kommst du noch mit auf ein Glas Bier? Außerdem habe ich heute Abend noch nichts Vernünftiges gegessen.“ Bereitwillig ließ sich Holger überreden, und beide suchten eine nahegelegene Gaststätte. Kurz darauf betraten sie ein volles Lokal, fanden aber trotzdem bald einen freien Tisch.

Nachdem sie bestellt hatten und die Getränke gebracht wurden, fragte Sascha: „Was hältst du nun von diesem Kai Wenderick? Im Prinzip waren wir doch vor allem seinetwegen da, um ihn uns mal genauer anzuschauen. Was ist dein erster Eindruck von ihm?“

Holger nahm einen Schluck Bier und meinte nachdenklich: „Er wirkt keineswegs unsympathisch. Außerdem scheint er sehr redegewandt und kunstverständig zu sein. Aber hast du mal seine Augen beobachtet, wenn er lacht? Sie lächeln nicht mit, sie bleiben wachsam, beobachtend, irgendwie hart. Kurz und gut: Ich glaube, es würde wenig Sinn machen, ihn nochmal um einen Gesprächstermin zu bitten. Der würde Nobbe wieder eiskalt abservieren.“

Sascha stimmte ihm zu. Dann fragte er unvermittelt: „Wie haben dir eigentlich die Bilder von Braque gefallen?“

Holger zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Sie sind nicht so ganz mein Fall.“

Aber zu seiner Überraschung kam Sascha nun so richtig in Fahrt und begann in ironischem Ton zu dozieren. „Empfindest du nicht auch die Ästhetik, die bildnerische Aura der Stillleben? Wenn er zwei, drei Gegenstände in reduzierten Farbtönen miteinander in Beziehung setzt, folgt er damit fast einer mathematischen Logik. Und in seinem grafischen Spätwerk schafft er mit den Vogelbildern eine beeindruckende Beziehung zwischen Bewegung und Raum.“

Holger deutete einen Applaus an. „Ich gratuliere dir zu deinem Kurzzeitgedächtnis. Du gibst komplette Passagen aus Frau Dr. Rulands Einführungsrede fast wortwörtlich wieder. Wieso machst du dich über sie lustig? Ich dachte, sie gefällt dir.“

„Im Prinzip schon, aber sie ist Wendericks Geliebte und fällt damit aus meinem Interessenbereich.“

„Da wird sie sich aber grämen!“, zog Holger ihn auf.

Aber Sascha ging nicht auf diese Bemerkung ein, sondern fuhr mit seinen Betrachtungen fort. „Trotzdem finde ich, dass Georges Braques Bilder leicht zu fälschen wären.“

„Du musst es ja wissen!“

Mit einem hintergründigen Lächeln ergänzte Sascha: „Und gerade deshalb gefallen mir seine Werke.“

Jetzt glaubte Holger, sich verhört zu haben. In diesem Augenblick kam der Kellner und brachte das Essen, nachdem er sich entfernt hatte, forderte er: „Den Zusammenhang musst du mir erst einmal erklären!“, und ergänzte nach zwei, drei Sekunden mit einem schiefen Lächeln: „Du willst mir jetzt doch nicht zu verstehen geben, dass es dir ein Leichtes wäre, einen Braque zu fälschen?“

„Ich spreche nicht von mir.“

„Sondern?“ Sascha schwieg. Sein Blick ruhte unmissverständlich auf seinem Freund. „Das ist jetzt nicht dein Ernst!“ Doch als Sascha nichts erwiderte, ahnte Holger, dass er es genau so meinte. „Sag jetzt bitte nicht, ich soll ein Bild fälschen, damit wir es dann diesem Wenderick zum Kauf anbieten können, sozusagen als Entschädigung für Nobbe! Vergiss es.“ Doch Sascha zuckte nur mit den Schultern und griff zum Besteck. Auch Holger widmete sich jetzt seinem Steak, stellte aber nochmal klar: „Du kannst nicht ernsthaft erwarten, dass ich einen Braque fälsche.“

In beruhigendem Ton erwiderte Sascha: „Nein, ich dachte eigentlich auch nicht an einen Braque ...“. Diesmal wartete der andere einfach ab, bis sein Freund weitersprach. „… sondern an einen Picasso.“

„Geht in Ordnung.“ Entspannt aß Holger weiter. Er wusste, dass Sascha mitunter zu sarkastischen Bemerkungen und makabren Späßen neigte. Aber ein paar Augenblicke später fragte er in bemüht beiläufigem Ton: „Warum eigentlich einen Picasso und keinen Braque?“

„Wenn du Nobbe zugehört hättest, würdest du von alleine darauf kommen.“

„Rede bitte nicht in Rätseln. Ich habe keine Lust auf ein Quiz beim Essen.“ Holgers Worte klangen genervt und deuteten Sascha an, dass er die Geduld seines Freundes lange genug strapaziert hatte. Bereitwillig ließ er sich deshalb auf eine Erklärung ein.

„Dir ist sicher bekannt, dass es beim Verkauf eines Kunstwerkes außer auf den Namen des Künstlers und der Qualität des Bildes auch auf eine lückenlose Provenienz ankommt. Ein bis dahin unbekanntes Werk kann nicht plötzlich aus dem Nichts auftauchen. Die früheren Besitzverhältnisse müssen eindeutig geklärt sein. Und das wäre für uns im Fall eines Georges Braque äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich.“

Obwohl Holger den letzten Satz nicht ernst nahm, ergänzte er in provokantem Ton: „Bei einem Picasso wäre das natürlich viel einfacher.“

Aber Sascha erwiderte nur: „Kommt drauf an.“

Demonstrativ legte Holger sein Besteck beiseite und verschränkte die Arme. „Jetzt machst du mich wirklich neugierig.“

Verstohlen warf Sascha einen Blick in den Raum. Schon das allein und dessen ernste Miene waren Holger Beweis genug, dass sein Freund offensichtlich etwas Unlauteres im Schilde führte. Dieser Zug an ihm war höchst ungewöhnlich. Der Lärmpegel in der Gaststätte hatte unterdessen einen Level erreicht, der ein unerwünschtes Mithören ausschloss. Trotzdem senkte Sascha seine Stimme, als er erklärte: „Im Prinzip brachten mich erst die Braque-Ausstellung, Braques enge Verbindung zu Picasso und die Tatsache, dass Nobbe eine Katalanin aus Barcelona kennengelernt hat auf die Idee.“

Holger schaute ihn verständnislos an. „Abgesehen davon, dass du nicht von mir verlangen kannst, einen Picasso zu fälschen: Was hätte die Katalanin denn mit der Provenienz des Bildes zu tun?“

„Erst einmal nichts, da müssten wir natürlich nachhelfen.“ Während Holger gleichmütig wieder nach Messer und Gabel griff und sein Steak zu Ende aß, beeilte sich Sascha, zu erklären: „Dir dürfte ja bekannt sein, dass Picasso eine Zeit lang in Barcelona gelebt hat. Deshalb kam ich ja erst auf den Gedanken, dass wir Norberts Bekanntschaft mit der Katalanin nutzen könnten, um eine fiktive Verbindung zu dem Maler herzustellen.“

Bis hierhin hatte Holger seinem Freund zumindest zugehört. Aber nun fragte er zu Recht: „Warum sollte ausgerechnet sie uns bei einem Betrug helfen wollen?“

„Wenn die Geschichte, die sie Norbert erzählt hat, wirklich so stimmt und nicht übertrieben ist, muss sie diesen Wenderick abgrundtief hassen. Und das dürfte für sie Grund genug sein, ihm ordentlich eins auswischen zu wollen.“

Zumindest ließ sich Holger auf Saschas Gedankenspiel ein und spann den Faden weiter. „Nur mal angenommen, wir würden die Sache tatsächlich durchziehen. Denkst du nicht, dass wir die Geschichte mit der Provenienz auch alleine hinkriegen würden?“

„Eben nicht. Wir müssten mit einem Kaufbeleg nachweisen, wo und wann wir das Bild zu welchem Preis erworben haben. Am einfachsten wäre, es hätte sich seit Jahrzehnten in Familienbesitz befunden. Der Künstler könnte doch zu seinen Lebzeiten ein Werk verschenkt haben. Da bietet sich eine fiktive Bekanntschaft mit Picasso geradezu an. Sicher hat die Katalanin Vorfahren, die zu seiner Zeit in Barcelona gelebt haben. Und was das Künstlerische betrifft, Holle, da würde ich mich voll und ganz auf dich verlassen.“

Nach einem kurzen Schweigen meinte Holger lakonisch: „Du traust mir ja eine Menge zu.“

„Natürlich, Holle! Du hast dein Leben lang gemalt. Deine Wände hängen voller Bilder, und sie sehen professionell aus!“

Aber Holger schüttelte den Kopf. „Ich meine das nicht unbedingt künstlerisch, sondern vor allem moralisch. Bis jetzt habe ich mir nichts Ernsthaftes zuschulden kommen lassen, und so sollte es auch bleiben. Davon einmal abgesehen habe ich jahrelang keinen Pinsel mehr in die Hand genommen. Seit Hannah verstorben ist, habe ich nicht mehr gemalt oder gezeichnet, das weißt du doch. Und außerdem eigne ich mich nicht als Fälscher. Hast du mal daran gedacht, was passieren würde, wenn die Sache aufflöge? Wir wandern alle in den Knast!“

Jetzt sprach Sascha so beruhigend und überzeugt, dass Holger geneigt war, ihm weiter zuzuhören. „Das wird nicht geschehen, Holle. Außer deinen malerischen Fertigkeiten, die du natürlich wieder reaktivieren müsstest, wäre der Dreh- und Angelpunkt, wie vertrauenswürdig die Katalanin ist und ob sie überhaupt mitmachen würde. Nobbe müsste sich also nochmal mit ihr treffen und ihr vorsichtig auf den Zahn fühlen ohne unsere Idee offenzulegen.“

„Es ist deine Idee“, stellte Holger klar. Sein Freund überging diesen Einwand und redete, so als wäre die Sache längst beschlossen, einfach weiter.

„Wenn sie also bereit und geeignet wäre, mit uns zusammenzuarbeiten, könnten wir uns eine Provenienz ausdenken.“

Holger schwieg dazu. Schließlich fragte er: „Und wie wollen wir das Nobbe beibringen?“

„Morgen früh, wenn Christa arbeitet, rufe ich ihn an, und wir treffen uns dann wieder bei dir.“

Mit einem hintergründigen Lächeln meinte Holger: „Ich befürchte bald, du möchtest aus meiner Küche einen konspirativen Treffpunkt machen.“

Sascha grinste. „Da ist was dran.“

 

6. Ein konkreter Plan

Am nächsten Vormittag saßen die Freunde in Holgers Küche beisammen.

Nachdem Sascha in groben Zügen den Plan erläutert hatte, fragte Norbert verunsichert: „Ganz abgesehen davon, ob Holle so etwas hinbekäme: Wie soll ich denn Frau Cardona die Sache vortragen? So gut kenne ich sie doch gar nicht, eigentlich überhaupt nicht.“ Doch hierzu hatte Sascha offensichtlich schon einen Plan.

„Du rufst sie einfach an, fragst unverbindlich wie es ihr geht und erwähnst dann beiläufig, dass du durch die SüdBank nun tüchtig in der Klemme stecken würdest. Stimmt ja auch. Und dann schlägst du ihr nach einigem Bla Bla spontan vor, sich mal wieder auf einen Kaffee zu treffen. Als Begründung kannst du ihr ja sagen, dass du nichts Näheres am Telefon erzählen möchtest. Auch das wäre nicht gelogen. Mit deinem Charme dürfte es dir doch nicht schwerfallen, die Katalanin zu einem Kaffee zu überreden!“, versuchte Sascha, seinen Freund ein wenig herauszulocken. „Und dann bringst du sie so nach und nach aber unauffällig auf die Idee mit dem Picasso. Es muss so aussehen, als wäre es ihr Einfall.“

Norbert entgegnete barsch: „Ganz sicher ist Frau Cardona nicht blöd!“

„Natürlich musst du es sehr geschickt und klug einfädeln, Nobbe.“

Er kannte Saschas Methoden, ihn einzufangen, und reagierte darauf mit einem schiefen Lächeln. Trotzdem bat er nach ein paar Augenblicken: „Jetzt klärt mich bitte erstmal ganz genau auf, wie die Sache mit Picasso und Barcelona im Detail zusammenhängt.“ Erfreut nickte Sascha ihm zu, und Holger griff nach seinen Notizen.

„Ich habe in Kurzform mal etwas aus Picassos Biografie und dessen Zeit in Barcelona herausgesucht.“, begann er und las von einem Blatt ab: „Picasso wurde 1881 in Málaga geboren, siedelte dann mit seinen Eltern und den beiden Schwestern im Herbst 1895 nach Barcelona über, weil sein Vater dorthin als Professor an die Kunstakademie berufen wurde. Von einigen Unterbrechungen abgesehen lebte Picasso dort bis April 1905, danach zog er nach Paris. Im Juni 1910 kehrte er kurz zurück, reiste aber bald darauf weiter nach Cadaqués ans Mittelmeer.“

Holger bemerkte, wie Norbert sich unruhig auf dem Stuhl bewegte, deshalb fuhr er eilig fort: „Im Mai 1913 kam er zur Beerdigung seines Vaters. Dann hielt er sich nochmal im Oktober 1926 zu einem Interview für die La Publicidad in Barcelona auf. Nach den Sommerferien im Jahr 1933 kam er mit seiner Frau Olga und ihrem gemeinsamen Sohn Paul in die Stadt, um Verwandte und alte Freunde zu besuchen, und fuhr im September nach Paris zurück. Soviel ich weiß, ist Picasso aus politischen Gründen nie wieder nach Barcelona zurückgekehrt. Nicht einmal zur Beerdigung seiner Mutter im Januar 1939, da zwei Wochen nach ihrem Tod die Stadt von Francos Truppen eingenommen wurde. So, das wär’s fürs erste.“

Sascha enthielt sich jedes Kommentars, und Norbert rollte mit den Augen.

„Wie soll ich mir das alles merken?“

„Du musst nur wissen, dass Picasso in der Zeit von 1895 bis 1905, von einigen Unterbrechungen abgesehen, in Barcelona lebte. Alle anderen Aufenthalte waren nur kurz. Er ist also im zarten Alter von vierzehn Jahren mit seiner Familie dorthin gezogen und ist, als er vierundzwanzig war, dann endgültig weg.“

Sascha fasste zusammen. „Nun kommt es darauf an, ob Frau Cardona Familienangehörige hatte, die zu dieser Zeit in Barcelona lebten und ob eine Begegnung mit dem Maler theoretisch überhaupt möglich gewesen wäre.“

„Ich bezweifle, dass sie überhaupt mitmacht.“, entgegnete Norbert ein wenig ungehalten. Für ein paar Augenblicke sahen ihn die beiden anderen schweigend an.

Er verstand es als Vorwurf und erhob sich. „Okay, ich rufe sie nachher an und melde mich wieder bei euch.“

Sie trafen sich in dem gleichen Café gegenüber der SüdBank, in dem sie das erste Mal gesessen hatten.

„Normalerweise trinke ich keinen Wein am Vormittag“, erklärte Estrella, ließ sich aber von Norbert zu einem Glas überreden. Die Kellnerin brachte den Kaffee und zwei Gläser Silvaner. Nachdem er sich erkundigt hatte, wie es ihr gehe und ob sie etwas Neues gefunden hätte, erzählte sie, dass sie jetzt nachmittags stundenweise im Lager eines Einkaufscenters arbeite.

Dann berichtete Norbert von der enttäuschenden Entdeckung vor Ort in der Nähe des Bodensees und Kai Wendericks vernichtender Abfuhr.

Estrellas Augen blitzten vor Zorn, und ihr Gesicht glühte. „Es ist wirklich eine Unverschämtheit, dass er Sie so … wie sagt man es im Deutschen?  … abserviert! Ich hasse diesen Menschen! Ich würde ihn umbringen, wenn ich könnte!“, stieß sie wütend hervor.

„Na ja, vielleicht nicht gleich umbringen“, lenkte Norbert beschwichtigend ein. „Wenn ich nur eine Idee hätte, wie man ihm schaden, ihn mal so richtig abkassieren könnte! Aber leider fällt mir dazu nichts ein. Ich weiß einfach zu wenig über diesen Herrn.“ Gedankenverloren rührte er in seinem Kaffee und gab sich den Anschein, als überlege er. Da von Estrellas Seite keine Äußerung zu dem Thema folgte, wagte Norbert den nächsten Vorstoß. „Hatten Sie nicht mal erwähnt, dass er auch so etwas wie der Kunstbeauftragte der Kunsthalle sei?“

Estrella nickte. „Ja, er kümmert sich um das Kaufen von Bildern. Und er hat eine Geliebte, die Bilder für die Ausstellungen aussucht. Ich habe sie auch schon in der Kunsthalle gesehen.“

Sinnierend meinte Norbert: „Vielleicht könnten wir Wenderick auf diesem Gebiet eins auswischen.“

„Ihn wegen der Geliebten erpressen?“, fragte sie erstaunt.

„Nein, nein, ich meine auf der Kunststrecke.“

„Sie wollen ein Bild aus der Galerie stehlen?“ Durch den Genuss des Weines hatte Estrella gerötete Wangen und sprach mit erhobener Stimme. Erschrocken bat Norbert sie, etwas leiser zu reden, und bestellte Mineralwasser und zwei Espressi.

„Nein, Frau …“. Für einen Moment war ihm ihr Name entfallen.

„Estrella Cardona“, half sie weiter. „Aber nennen Sie mich doch einfach Estrella.“ Aus ihrem Munde und mit der spanischen Aussprache Estreya klang ihr Vorname weicher und melodischer, als Norbert ihn sich vorgestellt und ausgesprochen hätte.

„Gerne. Ich bin Norbert.“ Er sah jetzt etwas verlegen aus. Mit dem Rest Silvaner stießen sie an. Oh je, wenn Christa mich hier sähe! waren seine Gedanken, und augenblicklich stieg ein Schuldgefühl in ihm auf. Aber es währte nicht lange. Die Kellnerin schaute mit einem vielsagenden Lächeln zu ihnen herüber. Norberts nächster Gedanke war: Hier können wir nicht bleiben! Laut fragte er: „Wollen wir dann bald gehen, irgendwo anders hin?“, und deutete augenrollend mit dem Kopf in Richtung der Kellnerin.

Estrella nickte zustimmend. „Sie denkt, wir sind ein heimliches Liebespaar“, platzte sie laut lachend heraus. Jetzt errötete auch Norbert. „Ist es dir peinlich, wenn du hier gesehen wirst mit mir? Immerhin du hast eine Ehefrau.“

Aber er verneinte und versicherte verlegen, dass es sich gerne mit ihr unterhalte. Nachdem sie das Mineralwasser und die Espressi getrunken hatten, winkte er die Kellnerin heran und zahlte.

„Warum hast du es jetzt so eilig?“

„Das erzähle ich dir draußen, wenn wir ein Stück weit weg sind. Wir müssen hier nicht in der Nähe der SüdBank in diesem Café sitzen. Es wäre doch zu blöd, wenn plötzlich Herr Wenderick mit seiner Liebsten auf einen Kaffee hereinkäme und uns hier zusammen sehen würde.“ Das Argument zog, und Estrella erhob sich eilig. Nachdem sie das Café verlassen hatten, ergänzte er: „Außerdem schien die Kellnerin recht neugierig zu sein. Ich habe nämlich eine Idee. Aber die ist nicht für fremde Ohren bestimmt.“ Augenblicklich war ihr Interesse geweckt. Mit zügigen Schritten steuerten beide auf einen kleinen Park zu und nahmen auf einer Bank Platz. Jetzt sehen wir erst recht wie ein Liebespaar aus, dachte Norbert und kam schnell wieder auf das Thema Galerie zurück.

„Ein Bild können wir nicht stehlen, das würde nicht funktionieren“, begann er und fuhr dann zögerlich fort: „Aber wie wäre es, wenn wir ihm eine Fälschung für seine Galerie verkaufen würden?“

Sie sah ihn zweifelnd an. „Was soll das für eine Bild sein? Und wer könnte es malen?“

Norbert log: „Vorhin im Café fiel mir ein, dass mein alter Schulfreund ziemlich gut malen kann. Wenn es uns irgendwie gelingen würde, diesem Wenderick eine Fälschung für teures Geld anzudrehen …“

Estrella schaute ihn mit großen Augen an. „Aber das ist ja noch viel komplizierter als ein Bild zu stehlen! Und wer soll es Wenderick verkaufen? Doch nicht du?“

Norbert schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. Er kennt mich ja. Und du kämst selbstverständlich auch nicht in Frage.“

„Soll dein Malerfreund ihm das Bild persönlich verkaufen?“

„Nein. Aber wir sind drei alte Schulfreunde. Der dritte, Sascha, ist sehr redegewandt, und Wenderick kennt ihn nicht. Aber ich habe ja noch gar nicht mit meinen Freunden darüber gesprochen. Vielleicht können wir die Sache auch gleich wieder vergessen.“ Norbert schwieg ein paar Sekunden und überlegte angestrengt, wie er jetzt unverfänglich auf Picasso und Estrellas Heimatstadt Barcelona käme.

„Welchen Künstler könnte dein Freund fälschen?“, fragte sie interessiert.

Norbert zuckte mit den Schultern. „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Es wäre auf jeden Fall sehr gewagt. Denn selbst wenn ihm eine gute Fälschung gelingen würde, sagen wir mal eine Zeichnung oder ein Gemälde im Stil von Picasso, wäre da noch die Sache mit der Provenienz.“ In kurzen Worten erläuterte er das Problem und gab zu Bedenken, dass Picasso die meiste Zeit seines Lebens in Frankreich gelebt hätte, aber er, Norbert, leider keinen Franzosen kenne, der für eine fiktive Bekanntschaft mit dem Maler in Frage käme und im Besitz eines Gemäldes sein könne.

Er ließ Estrella Zeit, über das Gesagte nachzudenken. Die Wirkung des Alkohols schien nachgelassen zu haben, zumindest war sie tief in Gedanken und schwieg.

Endlich kam die von Norbert erhoffte Bemerkung. „Aber ich weiß, dass Picasso auch in Barcelona gelebt hat. Und ich komme aus Barcelona.“ Norbert sah erstaunt auf. Seine Überraschung war schlecht gespielt.

„Ich wusste gar nicht, dass er auch dort war!“ Und nach einer kleinen Pause fragte er vorsichtig, ob er ihr seine beiden Schulfreunde vorstellen dürfe. Estrella hatte nichts dagegen.

Plötzlich schaute sie erschrocken auf die Uhr. „Oh, die Vorlesung fängt in zehn Minuten an, das schaffe ich nie!“ Hastig verabschiedete sie sich und drehte sich, während sie davoneilte, kurz um. „Wir rufen uns an, ja? Adéu!“

 

7. Das Team

Am darauffolgenden Vormittag saßen die drei Freunde, diesmal aber in einem anderen Café und warteten auf Estrella.

Holger schaute auf die Uhr: „Na wo bleibt denn deine schöne Spanierin?“

„Erstens ist sie nicht meine Spanierin und zweitens hatte sie betont, dass sie Katalanin sei. Ich glaube, auf diesen Unterschied legt sie Wert. Und drittens ist es erst kurz nach elf Uhr“, stellte Norbert klar.

Nach einer weiteren Viertelstunde Wartezeit wurde auch Sascha ungeduldig. „Ich befürchte, die Katalanin hat uns versetzt oder du hast dich bezüglich des Treffpunktes missverständlich ausgedrückt.“ Aber in diesem Moment schwang die Glastür auf und eine dunkelhaarige, attraktive Frau mittleren Alters kam herein. Suchend glitt ihr Blick über die wenigen Gäste. Als sie die drei Herren sah, schritt sie lächelnd auf sie zu und warf schwungvoll ihre Tasche auf den freien Stuhl am Vierertisch. Eilig hatten sich die Freunde zur Begrüßung erhoben. Norbert und Holger registrierten, wie Sascha seine, wie sie es nannten, Balzhaltung einnahm: herausgestreckte Brust und leicht zur Seite geneigter Kopf. Wie ein balzender Gockel, dachten sie verärgert. Wenn er es denn besäße, würde er auch noch sein Gefieder spreizen.

Estrella gab allen die Hand. „Entschuldigung, wenn ich etwas zu spät bin, aber die Bahn war gerade weg. Einfach fortgefahren, ohne mich!“, erklärte sie lachend.

„Aber das macht doch nichts“, versicherten die drei Freunde.

„Estrella, ich möchte dir gerne Herrn Dr. Alexander Niermeyer und Herrn Holger Grafe vorstellen.“ Und mit einer galanten Handbewegung wies er auf die Katalanin. „Und das ist Frau Cardona. Sie kommt aus Barcelona.“

Sascha lachte: „Wir wussten noch gar nicht, dass du reimen kannst, Nobbe!“ Nachdem der Kellner an den Tisch kam und weitere Bestellung abgegeben wurden, wandte sich Norbert an seine beiden Freunde.

„Ich habe euch ja bereits erzählt, dass Estrella ebenso wie ich allen Grund hat, Wenderick zu hassen. Und da kamen wir beide gestern auf eine Idee.“ Nach einem flüchtigen Blick in Richtung des Kellners und der anderen Gäste, die ein paar Tische weiter entfernt saßen, schilderte Norbert mit gedämpfter Stimme seinen beiden Freunden genau die Geschichte, die sie sich zu dritt zwei Tage zuvor ausgedacht hatten. Dabei vermied er es, sie anzuschauen. Sascha hatte sichtlich Mühe, ernsthaft zuzuhören, und Holger betrachtete konzentriert seine Hände.

„Sie lachen?“, bemerkte Estrella an Sascha gewandt. „Sie finden die Idee … absurd?“

„Ein bisschen schon.“

„Sicher es kommt es darauf an, wie geschickt der Maler ist und wie gut die Provenienz ausgedacht wird.“ Ihr Blick wanderte zwischen Sascha und Holger hin und zurück; sie wusste nicht, wer von den beiden der Künstler und wer der Mittelsmann sein würde. Der Kellner brachte die Kännchen Kaffee und den Cappuccino.

Nachdem er wieder gegangen war, meinte Estrella seufzend: „Es ist nicht einfach, eine Provenienz zu erfinden. Picasso hat gelebt in Barcelona um 1900. Da war die Mutter von meiner Großmutter erst sechzehn Jahre alt. Sie hieß Teresa und ist geboren 1884. Sie war also noch etwas zu jung um eine Geliebte von Picasso zu sein.“

„Sie muss ja nicht unbedingt seine Geliebte gewesen sein, sondern nur sein Model“, warf Norbert ein.

Aber Estrella lachte: „Bestimmt waren alle Modelle von ihm auch seine Geliebte! Und warum sollte er sonst ein Bild schenken, wenn er das Modell nicht auch geliebt hat?“ Dieser Logik hatten die Freunde nichts entgegenzusetzen.

Jetzt meldete sich Holger zu Wort. „Rein zufällig habe ich vor kurzem eine Biografie über Picasso gelesen.“ Wieder gelang es Sascha nur mit Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken. Unbeirrt fuhr Holger fort: „Daher weiß ich, dass er bis 1905 größtenteils in Barcelona gelebt hat und erst dann nach Paris ging. Zu dieser Zeit war er also vierundzwanzig und Frau Cardonas Urgroßmutter einundzwanzig Jahre alt. Da könnte es doch theoretisch zwischen den beiden gefunkt haben.“

„Sie sind bestimmt der Künstler?“, vermutete Estrella.

Holger gab sich bescheiden. „Naja, zumindest habe ich eine Zeitlang sehr viel gemalt.“

Sascha kam jetzt auf einen weiteren heiklen Punkt zu sprechen. „Die Frage wäre außerdem, wie wir an Wenderick herankommen und ihm das Bild andrehen könnten.“

Holger und Norbert waren der Meinung, dass dies eher beiläufig geschehen und der Verkauf des Bildes nicht im Vordergrund stehen solle.

Doch ihr Freund entgegnete: „Wie stellt ihr euch das vor? Soll ich mich etwa von ihm finanziell beraten lassen und nebenbei erwähnen, dass ich jemanden kenne, der einen Picasso hat? Nein, das würde nicht funktionieren.“

„Und außerdem müssen Sie immer lachen! Doch, ich habe es gesehen. Dann glaubt Ihnen Wenderick sowieso kein Wort.“

Für einen Moment fühlte Sascha sich ertappt. „Aber wenn es darauf ankommt, kann ich sehr ernst sein“, beteuerte er mit treuherzigem Blick und musste wieder grinsen. Estrella hatte noch eine andere Idee, die ihm sehr entgegenkam.

„Vielleicht sprechen Sie lieber mit Frau Ruland. Sie berät ihn für die Ausstellungen in der Kunsthalle und sie ist seine Freundin.“

Schon längst hatte Sascha im Internet herausgefunden, dass sie als Kunsthistorikerin an der Uni einen Lehrauftrag hat. Zuversichtlich meinte er: „Dann werde ich einen Weg finden, diese Frau Dr. Ruland kennenzulernen. Aber noch wichtiger ist, dass Holle etwas Vernünftiges hinkriegt.“

„Wer ist Holle? Ich kenne nur eine Frau Holle aus dem deutschen Märchen.“

Sascha schlug vor: „Wenn es Ihnen recht ist, können wir uns gerne mit den Vornamen und mit Du anreden. Wir werden ja noch viel miteinander zu tun haben. Also ich bin Alexander, genannt Sascha, und unser Malerfreund heißt Holger. Wir sagen aber meist Holle zu ihm. Nobbe kennen Sie … kennst du ja schon.“ Er schaute nach dem Kellner, um Wein zum Anstoßen zu bestellen.

„Das Du nehme ich gerne an, aber Wein für mich am Vormittag bitte lieber nicht. Dann rede ich immer zu laut und werde rot“, erklärte sie rasch, Norbert konnte es bestätigen. „Und ich heiße Estrella.“ Sie sprach ihren Namen mit jenem weichen, melodischen Klang aus, den er schon am Tag zuvor aus ihrem Munde gehört hatte.

Unterdessen hatten die anderen Gäste bezahlt und das Café verlassen. Somit konnten sie sich jetzt ungestört und bedenkenlos zu ihrem Plan austauschen.

Sascha fuhr fort: „Vor allem kommt es darauf an, Holle, ob du dir die Sache überhaupt zutraust.“

Dieser hatte die Angelegenheit bereits sorgfältig durchdacht. „An ein Ölgemälde würde ich mich auf keinen Fall wagen. Das wäre zu riskant, weil zu viel bedacht werden müsste: Außer der Handschrift des Malers müssen die Farbpigmente stimmen. Leinwand und Keilrahmen sollten ebenfalls das richtige Alter haben, sonst würden die Experten das Bild schon bald als Fälschung erkennen. Aber bei einer Zeichnung wäre das weitaus schwieriger bzw. fast unmöglich. Natürlich würde ich nur altes Papier verwenden und mich im Vorfeld intensiv mit Picassos Arbeiten beschäftigen. Die Strichführung muss stimmen.“

Nach ein paar Augenblicken fasste Sascha zusammen: „Zum einen müsste Holle also nicht nur eine sehr gute, sondern perfekte Zeichnung gelingen. Zum anderen wäre genau zu überlegen, wie ich an Frau Ruland herantrete, um sie auf das vermeintliche Picasso-Werk aufmerksam zu machen. Alles muss glaubhaft und schlüssig wirken.“

„Ich sehe da noch ein weiteres Problem“, gab Norbert zu bedenken. „Wenn Wenderick nun die Eigentümerin, also Estrella, persönlich kennenlernen will?“

„Genau das müssen wir verhindern“, stimmte Sascha zu. „Schon deshalb ist es wichtig, dass alles über Frau Dr. Ruland läuft.“ Er fing Holgers ironischen Blick auf und fühlte sich durchschaut. Doch dann fuhr er ungerührt fort. „Es kann ja nichts schaden, wenn sie Estrella kennenlernt. Im Gegenteil, das macht die Sache glaubhafter. Und falls Wenderick sie auch sehen will, dann ist Estrella eben gerade verhindert, krank oder verreist. Aber wie gehen wir nun generell vor? Wollen wir erst einmal abwarten, was Holle zustande bringt?“

Aber der hatte einen anderen Vorschlag. „Wir sollten beides parallel laufen lassen. Ich werde mich auf die Zeichnung vorbereiten und ein paar Skizzen anfertigen, und du, Sascha, versuchst dich an Frau Ruland heranzumachen. Das sollte dir doch nicht schwerfallen, oder?“, fügte er mit einem süffisanten Lächeln hinzu. Doch der ignorierte diese Bemerkung.

„Ich habe allerding noch keine Idee, wie ich das unauffällig anstellen könnte.“

„Wobei die Betonung auf unauffällig liegt“, spielte Holger auf das mitunter machohafte Gehabe seines Freundes an. Dieser hatte die Spitze verstanden und lächelte boshaft zurück.

 

8. Erste Versuche

„Ich frage mich wirklich, was du den ganzen Tag so treibst“, nörgelte Christa wieder einmal an ihm herum, als sie am zeitigen Nachmittag von ihrem Dienst nach Hause kam. „Wenigstens das Frühstücksgeschirr hättest du in den Geschirrspüler räumen können. Und die Abfälle hast du auch nicht runtergebracht.“ Wütend stellte sie ihre Tasche ab. „Außerdem hatte ich dich gebeten, die Wäsche aus der Maschine herauszunehmen, wenn sie fertig ist.“ Norbert nahm den Abfallbeutel und brachte ihn weg.

Als er etwas außer Atem vom Treppensteigen wieder vor ihr stand, meinte sie: „Wir müssen mal über unseren Urlaub reden. Ich sitze ja im Reisebüro an der Quelle. Aber du könntest dir ruhig auch mal Gedanken darüber machen, wo wir dieses Jahr hinwollen.“

Bereitwillig setzte sich Norbert an seinen Rechner und surfte ein wenig im Internet. Dabei kam ihm der Einfall, mal nachzuschauen, wann und welche Vorlesungen Frau Dr. Ruland hielt. Er sah, dass sie unter anderem Vorträge zur Kunstgeschichte im Rahmen des Seniorenkollegs anbot, immer dienstags und donnerstags um zehn Uhr. Gleich nachher würde er Sascha darüber informieren. Als Christa nochmal die Wohnung verließ, nutzte er die Gelegenheit und rief seinen Freund an. Und prompt teilte der ihm mit, dass er sich online im Seniorenkolleg angemeldet hätte und morgen, am Donnerstag, die erste Lehrveranstaltung besuchen würde. Die Vorlesungsreihe lief bereits, aber es wäre durchaus möglich, auch jetzt noch einzusteigen.

Frustriert stellte Norbert fest, dass sein Freund wiedermal alles besser wusste und wie so oft einen Schritt voraus war. Außerdem ärgerte es ihn, dass Sascha heute Vormittag bei dem Treffen mit Estrella die Gelegenheit genutzt hatte, um mit ihr zu flirten. Deshalb gefiel ihm die Idee, ihn auf Frau Dr. Ruland anzusetzen.

Christa kam vom Einkauf zurück und riss ihn aus seinen Gedanken. „Hattest du eigentlich mal in der Stube staubgesaugt?“

„Ja, habe ich“, versuchte er es mit einer Notlüge.

„Sieht aber nicht danach aus.“

Norbert fühlte, wie Wut in ihm aufstieg. Mit für ihn ungewohnter Schärfe blaffte er zurück: „Ich möchte nicht ständig von dir gegängelt werden. Lass mich doch einfach mal in Ruhe!“ Beleidigt zog sich Christa daraufhin ins Schlafzimmer zurück und fing an, den Kleiderschrank aufzuräumen. Norbert nahm kurzerhand seine Jacke und verließ die Wohnung. Eine halbe Stunde später klingelte er bei Holger.

„Du kommst wie gerufen. Ich habe schon mit ein paar Skizzen begonnen. Wenn du sie mal sehen möchtest?“

Ratlos schaute Norbert auf die Blätter. „Willst du meine ehrliche Meinung hören?“

„Natürlich.“

„Irgendwie sieht alles dilettantisch aus.“ Bevor Holger etwas erwidern konnte, klingelte es noch einmal. Sascha stand mit seinem Rennrad an der Tür.

„Na, da wären wir ja alle wieder beisammen!“ Dann begutachtete auch er die Arbeiten. „Du siehst, meine Begeisterung hält sich in Grenzen, Holle. Sowas können wir auf keinen Fall anbieten. Wenderick und Frau Ruland lachen sich krank, wenn sie das sehen.“

„Dass ihr euch da mal nicht täuscht.“ Holger stand gelassen auf und holte einen dicken Wälzer einer zweibändigen Ausgabe zu Picassos Werken hervor. „Hier, Band 1, Junge Kunst 1898-1901. So hat er damals gemalt. Seht euch mal die Federzeichnung mit Aquarell und Buntstift an. Sie ist 1903 in Barcelona entstanden, Angel Fernández de Soto au café. Oder hier, ein Portrait seiner Schwester Lola, Zeichenkohle und Buntstift auf Papier, um 1899 in Barcelona...“

Sascha unterbrach ihn: „Lass mal gut sein, Holle. Wir sehen, du hast dich bemüht … im Rahmen deiner Möglichkeiten. Aber irgendwie wirken die Skizzen dilettantisch und verkrampft. Sieh doch mal, wie schwungvoll Picasso die Federzeichnung ... Dingsbums au café hingekriegt hat, alles mit einer Linie durchgezogen. Da sehe ich ehrlichgesagt himmelweite Unterschiede zu deinen Strichen.“

Die sehe ich ja genauso, aber ich bin eben nicht Picasso“, erwiderte Holger gereizt.

Norbert klopfte ihm versöhnlich auf die Schulter. „Lass dir Zeit, Holle. Und wenn es gar nichts wird, wäre das auch nicht so schlimm.“

„Was sind denn das für Töne, Nobbe?“, tadelte Sascha.

Doch Norbert zuckte resigniert mit den Schultern. „Ich weiß nicht, ob wir da nicht zu viel riskieren. Wenn der Betrug rauskommt …“

„Er wird nicht rauskommen. Holle wird noch üben. Die Figuren können doch ruhig etwas krumm und schief sein, Hauptsache die Linie stimmt, oder?“ Er bekam keine Antwort. Ein paar Augenblicke lang starrten alle drei auf Holgers Skizzen. Dann entschied Sascha: „Egal, wir ziehen die Sache durch. Es ist doch toll, dass Estrella mitmacht! Und das ist schließlich eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen unseres Planes. Morgen gehe ich in Frau Dr. Rulands Vorlesung, und dann sehen wir weiter.“ Mit diesen Worten verabschiedete er sich und verschwand samt seinem Rennrad wieder.

Norbert und Holger blieben alleine zurück.

„Du, Holle, ich habe einfach kein gutes Gefühl bei der ganzen Sache. Sag doch einfach, dass du es nicht hinkriegst. Das kann dir doch keiner verdenken oder übelnehmen, auch Sascha nicht.“

Aber offensichtlich war Holgers Ehrgeiz plötzlich geweckt. „Nein, so leicht gebe ich nicht auf, nicht nach ein paar mehr oder weniger missglückten Skizzen. Denk doch mal daran, Nobbe, wie dich Wenderick und die Bank abserviert haben. Und stell dir dann unseren Triumph vor, wenn er auf den falschen Picasso reinfällt und ordentlich was dafür zahlt. Mindestens das Geld für deine in den Sand gesetzte Altersvorsorge sollte da schon rauskommen. Außerdem fängt die Sache gerade an, mir Spaß zu machen.“

Während bei Norbert zu Hause Eiszeit herrschte, Christa war noch immer beleidigt und verbrachte den Abend mit einer Kollegin im Kino, versuchte Sascha sich auf den morgigen Tag vorzubereiten. Er suchte nach sinnvollen Fragen, mit denen er nach der Vorlesung an Frau Ruland herantreten und sie in ein Gespräch verwickeln könnte. Ihr Vortrag beinhaltete unter anderem die Werke des Impressionismus und der Moderne.

Nach einer halben Stunde gab er auf. Stattdessen suchte er im Internet nach etwas Brauchbarem zu Georges Braque. Warum sollte er nicht einfach bei einer zwanglosen Plauderei mit ihr an den Galerie-Besuch anknüpfen? Er würde sich da ganz auf seine Intuition und seinen Charme verlassen.

Am nächsten Morgen klingelte es bei Holger kurz vor um neun. Sascha stand vor der Tür. „Stör ich dich beim Frühstück? Aber ich brauch dringend noch was zu Georges Braque. Hast du mal einen Katalog oder ein paar geistreiche Fragen?“

Holger sah seinen Freund entgeistert an. „Warum um alles in der Welt hast du mich denn nicht vorher angerufen? Ich hätte in Ruhe was rausgesucht. Und überhaupt, wie siehst du denn aus?“

„Wie sehe ich denn aus?“, fragte Sascha argwöhnisch.

„Wie ein auf jung getrimmter eitler alter Gockel!“

Beleidigt schaute er in den Spiegel der Flurgarderobe. „Was ist an meinem Outfit nicht in Ordnung?“

„Lass den albernen Schal weg. Und kein Mann trägt solch eine Sonnenbrille! Warum hängst du dir den Pullover eigentlich über die Schulter?“

Sascha reichte es. „Soll ich etwa so wie du herumlaufen? Mit einer geriatriefarbenen Weste, dieser beigen, typischen Altherrenbekleidung?“

Aber Holger fuhr ungerührt fort: „Und wenn ich dir noch einen gutgemeinten Rat geben darf: Fang nicht wieder an, plump herum zu flirten, wenn du mit der Kunsthistorikerin sprichst. Es würde nicht gut ankommen. Du machst dich damit nur lächerlich.“

„Danke, Holle, das baut mich richtig auf!“, erwiderte er aufgebracht. „Aber lass mal, ich komme schon alleine klar. Ich nehme an, du bist einfach unzufrieden mit dir und deinen verkümmerten Malkünsten.“

Wütend verließ er die Wohnung und ließ die Tür laut ins Schloss fallen. Holger setzte sich wieder an den Tisch und fing an zu zeichnen. Es war seine nunmehr achte Skizze.

Sascha war noch immer verärgert, als er mit dem Auto in Richtung Campus fuhr. Es war ein Fehler, dass er vorher bei Holger vorbeigeschaut hatte und überhaupt mit dem Auto unterwegs war. Endlich hatte er einen Parkplatz gefunden. Er musste sich beeilen. Den Schal, die Sonnenbrille und den Cashmere-Pullover ließ er im Wagen zurück.

Der Hörsaal war nur mittelmäßig besetzt. Sascha schaute sich um; in der ersten Reihe war fast alles frei. Dort wählte er einen Platz direkt vor dem Rednerpult, denn er hatte vor, schon während der Vorlesung den Blickkontakt zu ihr aufzunehmen. Sie sollte auf ihn aufmerksam werden.

Dann betrat Frau Dr. Ruland den Hörsaal. Nachdem das Klopfen zur Begrüßung verklungen war, begann sie mit ihren Ausführungen. Sie trug die auffällige, ein wenig extravagante Brille, die sie schon zur Ausstellungseröffnung in der Kunsthalle getragen hatte. Hin und wieder setzte sie diese ab und hielt sie spielerisch in den Händen.

Das Thema interessierte Sascha nicht, genaugenommen langweilte er sich. Holger wäre der richtige Zuhörer, aber das war ja nun leider nicht möglich.

Um die Zeit zu überbrücken, gab er sich seinen Betrachtungen zu Frau Dr. Rulands Outfit hin. Was sie wohl unter dem feminin geschnittenen Kleid trug? Manchmal lugte ein schmaler Träger aus dem Ausschnitt hervor. Jetzt wandte sie sich zum Whiteboard um. Unter dem dünnen Stoff ihres Kleides zeichneten sich kaum sichtbar, aber für Sascha dennoch erkennbar, die Konturen des Slips ab. Er stellte sich vor, dass sie einen Tanga trüge.

Nach endlosen eineinhalb, aber für Sascha doch recht erbaulichen Stunden deutete Frau Rulands Tonfall auf das baldige Ende der Vorlesung hin. Während des ganzen Vortrages hatte sie nicht ein einziges Mal in seine Richtung geschaut.

„Für weitere Fragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung“, hörte er sie sagen.

Aus den Reihen hinter ihm meldeten sich zwei, drei Senioren zu Wort. Dann packte Frau Ruland ihre Unterlagen zusammen, und die Zuhörer verließen nach und nach den Saal. Es wurde Zeit für Saschas Auftritt. Nachdem er sich an den Klappsitzen der ersten Reihe vorbeigeschlängelt hatte, ging er mit einem gewinnenden Lächeln auf sie zu. So genau wusste er noch nicht, wie er das Gespräch eröffnen sollte. Er hatte während ihres Vortrages ohnehin kaum zugehört. Und offensichtlich rechnete Frau Dr. Ruland jetzt auch nicht mehr damit, angesprochen zu werden. Mit leicht erstauntem Blick schaute sie ihn an. Sascha kam etwas umständlich auf Georges Braque und seine filigranen Vogelbilder zu sprechen und betonte, wie sehr ihn die Ausstellungseröffnung in der Kunsthalle beeindruckt habe.

„Schön, dass Ihnen die Bilder gefallen. Sie kennen ja sicher die Öffnungszeiten. Leider habe ich jetzt gleich einen Termin und bin etwas in Eile.“ Mit einem entschuldigenden Lächeln verabschiedete sie sich.

Abgeblitzt. Sie ließ ihn wie einen lästigen Studenten stehen. Wie ein hilfloser Trottel kam er sich vor.  Der erste Eindruck war immer entscheidend und in diesem Fall vergeigt. Sascha wurde wütend auf sich selbst. Und auf Holle. Hätte der ihn heute Morgen nicht so verunsichert, wäre er in der jetzigen Situation viel souveräner aufgetreten. Frustriert verließ Sascha das Gebäude der Kunsthochschule und lief zu seinem Wagen. Zu Holger wollte er auf keinen Fall. Also fuhr er zum Institut, um dort mal wieder nach dem Rechten zu sehen und sich nebenbei ein paar Streicheleinheiten zu holen. Die würde er mit Sicherheit bekommen. Denn seine Doktorandinnen hatten ihre Promotionsarbeiten längst noch nicht beendet, und waren weiterhin auf ihn angewiesen.

Auch am darauffolgenden Dienstag saß Sascha wieder in der ersten Reihe im Hörsaal. Frau Dr. Ruland hatte ihn sofort erkannt, als er nach der Vorlesung auf sie zuging. Doch diesmal steckte in ihrem Lächeln eindeutig eine Spur Ironie, schlimmer noch: Sascha glaubte, so etwas wie Nachsicht zu erkennen. Nach wenigen Worten verabschiedete sie sich höflich aber mit Nachdruck von ihm.

Am Nachmittag trafen sich die drei Freunde wieder in Holgers Wohnung.

„Na, wird doch langsam.“, meinte Norbert wohlwollend mit einem Blick auf dessen vielleicht zwanzigste Zeichnung. „Und wie sieht’s bei dir aus, Sascha?“ Dieser zuckte nur vage mit den Schultern.

Wenig hilfreich meinte Holger: „Vielleicht bist du auch einfach nicht ihr Typ.“ Es war eine schlichte Vermutung, doch Sascha fühlte sich getroffen. Es kam nicht oft vor, dass er bei Frauen so sang- und klanglos abblitzte. Aber augenscheinlich war Frau Dr. Uta Ruland gegen seinen Charme immun.

Angespannt saß Sascha zwei Tage später wieder in ihrer Vorlesung. Er fühlte sich unter Druck. Wie würde es weitergehen, wenn er auch diesmal eine Abfuhr erhielt?

Das Klopfen der Zuhörer riss ihn aus seinen Gedanken. Die Vorlesung war zu Ende, und er hatte es nicht einmal bemerkt. Noch bevor er sich aus der ersten Reihe gezwängt hatte, packte Uta Ruland ihren Laptop ein und verließ den Hörsaal.

Am frühen Nachmittag war das Kundenrestaurant nur spärlich besetzt. Von einem der Tische weit hinten im Raum winkte Holger. Norbert steuerte auf den abgelegenen Platz zu.

„Was meinst du, ob er diesmal Erfolg hatte? Sonst wird es eng. Wir müssten uns dann eine neue Strategie überlegen.“ In diesem Moment steuerte Sascha auf den Tisch zu. Den fragenden Blicken seiner Freunde wich er aus.

Begütigend meinte Norbert: „Schwamm drüber, wir sind eben alle nicht mehr die Jüngsten.“ Und nachdem er Saschas betroffene Miene bemerkte, fügte er rasch hinzu: „Wobei du von uns dreien eindeutig am jugendlichsten wirkst, wenn ich das mal so sagen darf. Kein Mensch würde dich auf fünfundsechzig schätzen.“ Misstrauisch schaute Sascha ihn an, entdeckte aber in Norberts Gesichtszügen nicht die geringste Spur von Ironie.

Holger hingegen unterdrückte ein Grinsen, enthielt sich aber jedes weiteren Kommentars. „Leute, ich glaube, es geht voran. So langsam krieg ich die Sache hin. Hier, schaut mal.“ Er holte sein Tablet hervor und zeigte ihnen ein paar Aufnahmen der letzten Skizzen.

Diesmal hatte Sascha nichts auszusetzen. „Alle Achtung, Holle! Ich würde sofort glauben, dass sie von Picasso sind. Oder hast du da was abfotografiert?“

Unbemerkt von ihnen war Estrella an den Tisch herangetreten und schaute Holger von hinten über die Schulter.

„El señor Picasso número dos! Soy muy impresionado!“, rief sie lachend, ihre dunklen Augen blitzten übermütig dabei. „Und wie sieht es bei dir aus, Sascha, hattest du Erfolg bei Frau Ruland?“ Verlegen schüttelte er den Kopf. „Nicht so schlimm, wir werden eine neue Taktik überlegen. Ich glaube, Frau Ruland ist eine sehr kühle Frau.“ Sie hatte es als Ermutigung gemeint, aber Sascha traf die Bemerkung umso härter.

Schnell wechselte er das Thema. „Würde sie dich eigentlich wiedererkennen? Sie hat dich doch bestimmt in der Kunsthalle beim Reinigen gesehen.“

Aber Estrella verneinte. „Sie hat nicht auf mich geachtet, sie hat nur einen Blick für Wenderick und die Bilder gehabt.“

Norbert kam aus dem Selbstbedienungsbereich mit einem Tablett, vier Sektgläsern und drei Piccolo zurück. „Wir sollten auf Holgers künstlerischen Erfolg anstoßen.“

„Und auf eine Reise nach Barcelona!“ Als die Freunde sie überrascht anschauten, erklärte Estrella: „In der kommenden Woche werde ich für ein paar Tage in Barcelona sein. Kommt ihr mit? Ich könnte euch die Stadt zeigen, und Holle könnte sich ein paar Original-Zeichnungen anschauen im Museu Picasso, und außerdem könnten wir nach altem Papier suchen.“

Holger und Sascha zeigten sich spontan begeistert, doch Norbert meinte seufzend: „Und wie soll ich das Christa beibringen?“

„Mensch, Nobbe, du kannst doch nicht immer und ewig unter ihrem Pantoffel stehen“, regte sich Sascha auf.

Aber Estrella entschied: „Christa kommt mit.“

„Wie sollte das funktionieren? Christa darf nichts von unserem Plan erfahren.“

„Sie wird nichts davon mitbekommen. Ich werde mich um sie kümmern, wenn ihr Papier aussucht oder ins Museu geht.“ Als Norbert und die beiden anderen dazu schwiegen, erklärte sie mit einem entwaffnenden Lächeln: „Macht euch keine Sorgen, Christa und ich werden gut auskommen miteinander, und ich werde sie ablenken.“

Etwas umständlich kam Norbert zuhause auf die Barcelona-Reise zu sprechen und druckste herum, dass Sascha eine katalanische Mitarbeiterin habe, die in der nächsten Woche für ein paar Tage nach Barcelona müsse. Er würde sie gerne begleiten, da er die Stadt kennenlernen wolle. Aber alleine mit ihr könne Sascha wegen des Geredes im Institut nicht reisen.

„Seit wann kümmert sich dein Freund um das Geschwätz der anderen?“, unterbrach ihn Christa. „Oder willst du mir nur zu verstehen geben, dass du mitfliegen willst?“

„Nein, nein, und schon gar nicht ohne dich. Aber ich sollte mich doch um einen Kurzurlaub für uns beide kümmern. Wie wäre es, wenn wir einfach mitkämen?“, fragte er, um gleich darauf absichtsvoll zu bemerken: „Aber vergiss es. So kurzfristig würdest du doch sowieso keinen Urlaub bekommen und noch schnell die Flüge buchen können.“ Damit hatte er Christas Ehrgeiz geweckt.

„Mach dir mal um meinen Urlaub keine Sorgen. Das kriege ich schon irgendwie hin. Und was die Buchung der Flüge betrifft: Wozu arbeite ich denn in einem Reisebüro? Das wäre ja gelacht!“

Norbert gab sich freudig erstaunt. Noch glücklicher wäre er allerdings, wenn sie ihn alleine mit Estrella und seinen beiden Freunden fliegen ließe.

 

9. Barcelona

Jetzt Anfang Mai lagen die Temperaturen in Barcelona bei angenehmen zwanzig Grad.

„Nachher im Hotel hau ich mich erstmal hin. Irgendwie bin ich kaputt.“

„Wovon denn, Norbert? Du hast doch heute noch gar nichts gemacht, außer warten und rumsitzen!“ Christa schien unerbittlich; schon nach der Busfahrt vom Flughafen zum Plaça de Catalunya war ihr Unternehmungsgeist wieder geweckt.

Aber Estrella meinte verständnisvoll: „Ihr könnt euch nachher alle noch ausruhen ein wenig und die Koffer auspacken. Um neunzehn Uhr ich hole euch ab von Hotel.“ Sie selbst würde in den kommenden Tagen in ihrem eigenen kleinen Appartement wohnen, das sie allerdings mit der jungen Frau teilen müsse, in deren Wohnung sie zurzeit in Berlin untergebracht war.

Das Hotel lag im Eixample, einem vornehmen Viertel mit zahlreichen Bauwerken des Modernisme, des katalanischen Jugendstils. Obwohl ihre Hotelzimmer weit oben im fünften Stockwerk lagen, war der Straßenlärm selbst durch die geschlossenen Fenster deutlich vernehmbar. Nicht zu Unrecht befürchtete Norbert, dass die Geräusche sie nachts nicht einschlafen ließen.

„Wir hätten Ohrstöpsel mitnehmen sollen.“ Wortlos holte Christa ein Päckchen Ohropax aus ihrer Kosmetiktasche und warf es auf Norberts Bett.

Auf seinen verwunderten Blick hin meinte sie trocken: „Was glaubst du denn, wie ich sonst dein Schnarchen aushalte?“

Im Zimmer nebenan hatten die beiden Freunde ganz andere Probleme.

„Ich kann nicht im Doppelbett neben dir schlafen“, bekundete Holger.

„Jetzt wirst du komisch“, giftete Sascha zurück. „Mensch Holle, stell dich nicht so an! Wir haben ja immerhin zwei getrennte Matratzen und kein französisches Bett.“

„Trotzdem, es stört mich“, beharrte er. Wütend begann Sascha die Betten auseinanderzurücken.

„Beim Zelten früher hatte es dir doch auch nichts ausgemacht!“

„Das war etwas ganz anderes!“ Zwischen den Betten war jetzt ein Spalt von dreißig Zentimetern.

„Reicht das dem Herrn?!“

Schweigend packten beide ihre Koffer aus, und Sascha streckte sich danach auf seinem Bett aus.

Er musste eingeschlafen sein, denn ein Klopfen ließ ihn aufschrecken. Norbert stand in der Tür und erklärte, dass Estrella unten in der Lounge auf sie wartete. Es war schon neunzehn Uhr. Zehn Minuten später brachen alle zu einem kleinen Rundgang im Eixample auf.

Nicht weit vom Hotel entfernt wies Estrella sie auf zwei sehenswerte Gebäude von Antoni Gaudí hin: die Casa Batlló mit ihrer markanten, mit bunten Mosaiksteinen verzierten Fassade und die Casa de Milà mit den geschwungenen Balkonen und den skurrilen Schornsteinen und Lüftungsschächten. Estrella wusste zu berichten, dass dieses Gebäude zu Gaudís Zeiten vor allem Spott und Ablehnung hervorgerufen hatte. Wegen der langen Bauzeit wurde es von der Bevölkerung Barcelonas auch La Pedrera, der Steinbruch, genannt.

Vom lauten, dichtbefahrenen Passeig de Gràcia führte Estrella ihre Gäste auf die parallel verlaufende Rambla de Catalunya. Im dichten Gedränge der Passanten kamen sie nur langsam voran. Zudem wurden sie immer wieder von Gauklern und Musikanten abgelenkt und hielten mehrmals inne, um die Auslagen der Straßenhändler anzuschauen. Endlich bogen sie in eine ruhigere Seitenstraße ein.

„Eigentlich treffen sich die Barceloner nicht vor einundzwanzig Uhr zum Essen. Aber wir suchen jetzt ein gemütliches Restaurant.“ Zielgerichtet steuerte sie auf ein kleines Lokal zu.

„Hier gibt es sicher auch Tapas?“

„Ja, auch. Aber Tapas sind ein spanisches Gericht. Typisch für Katalonien sind Fische, Meeresfrüchte und Eintöpfe.“

Beim Betreten des Restaurants wehte ihnen ein Duft von heißem Olivenöl und köstlichen Gewürzen entgegen.

„¡Hola! Somos cinco personas“, wandte sich Estrella an den Kellner.

„Por favor.“ Er führte sie zu einem Sechsertisch an der Fensterfront, die auf einen begrünten Innenhof zeigte. Die bis zum Boden reichenden hohen Fenster waren weit geöffnet und ließen die milde Frühlingsluft herein.

„Hast du mit dem Kellner Katalanisch gesprochen?“

„Nein, es war Spanisch. Nur sechzig Prozent der Bevölkerung in Barcelona sind Katalanen. Der Rest ist zugewandert aus Spanien oder dem Ausland.“ Als der Kellner die Speisekarten gebracht hatte, schauten alle etwas ratlos hinein.

„Lasst mich eine Empfehlung machen“, schlug Estrella vor. „Wir nehmen als Getränke Mineralwasser und eine Flasche Rosé aus der Region. Und als Vorspeisen können wir pa amb tomàquet, gegrilltes Gemüse und Gambas mit allioli nehmen. Dann wir wählen die Hauptspeisen.“ Die Getränke und die Vorspeisen wurden bald gebracht. Estrella hatte unterdessen die Hauptgerichte ausgesucht.

„Typisch für die katalanische Küche sind eine Mischung aus Fisch und Fleisch, wir nennen es Mar i Muntanya, das heißt Meer und Berg.“ Nachdem der Kellner die Bestellungen aufgenommen hatte, meinte sie: „Ich schlage vor, morgen am Nachmittag besuchen wir die Sagrada Familia, die berühmte Basilika von Gaudí. Jeder Tourist muss sie gesehen haben.“

„Und was machen wir am Vormittag?“, wollte Christa wissen.

„Ihr müsst etwas ohne mich unternehmen. Ich besuche meine Großmutter.“

„Was?“, kam es fast gleichzeitig von Sascha, Holger und Norbert. Niemand von ihnen hatte damit gerechnet, dass Estrellas Großmutter noch lebte. Sascha schaffte es immerhin, die unpassende Betonung dieses Wortes rechtzeitig in einen bewundernden Ausruf zu wandeln.

Mit Sicherheit hatte Estrella die unterschwellige Befürchtung, ihre Großmutter könne die erfundene Provenienz durch ihre Aussage gefährden, herausgehört. Denn sie erklärte gleich darauf mit einem traurigen Lächeln: „Sie ist leider dement. Ich glaube, sie kann mich verstehen, aber sie sagt immer nur sí sí. Großmutter ist jetzt 96 Jahre alt.“

„Wo wohnt sie eigentlich?“

„In einer Seniorenresidenz. Sie liegt am ehemaligen Hafen unten am Meer.“ Bisher hatten sie nie darüber gesprochen, ob von Estrella weitere Verwandte lebten. Als Norbert vorsichtig danach fragte, verneinte sie. Dann wechselten sie das Thema.

„Ihr könnt morgen Vormittag für die Stadtbesichtigung den Bus mit hopp off hopp on nehmen. Es gibt zwei Linien, die rote und die blaue. Sie fahren durch verschiedene Stadtteile von Barcelona. Und am Nachmittag, sagen wir um fünfzehn Uhr, treffen wir uns direkt vor der Westfassade der Sagrada Familia, sie heißt Passionsfassade. Ich gebe Sascha noch meine Handy-Nummer, für alle Fälle.“ Norbert hatte sie bereits und war sichtlich erleichtert, dass Estrella nicht darauf zu sprechen kam. Wie auch hätte er es Christa gegenüber begründen können?

Nach einer angemessenen Zeitspanne kamen die Hauptgerichte, und alle gaben sich schweigend dem Genuss der köstlichen katalanischen Küche hin.

Es wurde ein entspannter Abend, aber da Christa mit in der Runde saß, ließ man das entscheidende Thema selbstverständlich aus.

Der Gedanke daran, die kommenden Tage größtenteils getrennt von den anderen und alleine mit Christa zu verbringen, drückte Norberts Laune erheblich. Er bedauerte, dass er kaum in Estrellas Nähe sein könnte und befürchtete zudem, dass Sascha die Situation schamlos für sich ausnutzen würde.

Schon den ganzen Vormittag über fühlte er sich von Christa zur Eile gedrängt. „Wenn ich schon einmal hier bin, möchte ich auch so viel wie möglich sehen“, war ihr Argument, und prinzipiell gab er ihr Recht. Doch er hätte sich gerne mehr Zeit genommen. Sascha und Holger hatten sich schon beizeiten abgesetzt und erkundeten das Barri Gòtic zu Fuß. Mit Sicherheit saßen sie jetzt in einem der Straßen-Cafés und genossen das frühsommerliche Wetter. Norbert beneidete sie von ganzem Herzen.

Selbst der nachmittägliche Besuch der Sagrada Familia besserte seine Stimmung kaum, obwohl sie die Besichtigung gemeinsam mit Estrella unternahmen. Die anderen waren begeistert von der riesigen Basilika mit der floralen Ornamentik, den Türmen und den unterschiedlich gestalteten Fassaden.

Aber Norbert nörgelte rum: „Die Kräne verderben den Gesamteindruck! Und die ganze Kirche erinnert mich irgendwie an eine getröpfelte Sandburg. Alles am Rande des Kitsches.“

„Kulturbanause!“, war Christas einziger Kommentar hierzu.

„Norbert hat Recht“, sprang Estrella ihm bei. „Die Kirche ist eine ewige Baustelle, sie wird wohl nie fertig. Ihr werdet sehen, oben auf den Türmen bringen Bauarbeiter neue Schmuckelemente an, aber sie haben nur noch wenig mit dem Stil von Gaudí zu tun.“

Aber von dem riesigen hellen Innenraum mit dem hohen Gewölbe und den steinernen Säulen war selbst Norbert beeindruckt.

„Wir können jetzt mit dem Fahrstuhl nach oben fahren und dort die Spitzen von den Türmen ansehen. Von oben haben wir auch einen herrlichen Blick auf die Stadt.“

Erst nach zwei Stunden waren sie wieder draußen auf dem begrünten Vorplatz. Norbert ließ sich auf eine der Bänke fallen.

„Irgendwie bin ich jetzt pflastermüde.“

Christa zeigte keinerlei Verständnis. „Da ziehe ich doch morgen lieber mit Holger durch die Stadt.“

Aber der reagierte erschrocken und beeilte sich zu erklären: „Sonst gerne, Christa, wirklich, aber ich möchte mir morgen in Ruhe das Picasso-Museum ansehen.“ Estrella rettete die Situation und hakte sich bei ihr unter.

„Wir beiden Frauen könnten morgen ein paar Geschäfte anschauen, mal ohne die Männer. Und abends treffen wir uns alle wieder in dem gleichen Restaurant.“ Den anderen war es mehr als Recht, und auch Christa war von der Idee angetan.

„Aber heute Abend würde ich gerne mal in ein Restaurant in der Barceloneta mit Blick aufs Meer gehen“, schlug sie vor.

„Das können wir gerne machen. Aber im Strandviertel Barceloneta sind viele Restaurants für Touristen gemacht. Ihr dürft euch nicht wundern, wenn dort das Essen schlechter ist und teurer. Wie sagt man im Deutschen?“

„Abzocke?“

Und so war es denn auch. Die Freisitze waren überfüllt, es war laut, das Essen kam spät, schmeckte bei weitem nicht so gut wie in dem kleinen, etwas abgelegeneren Restaurant und war viel teurer. Zudem wurden Getränke in Rechnung gestellt, die sie nicht bestellt hatten. Man war sich einig, das nächste Mal wieder in dem gemütlichen Lokal vom Abend zuvor einzukehren.

Der nächste Tag gestaltete sich dann eher nach Norberts Geschmack. Er würde ihn mit seinen Freunden verbringen und bedauerte nur, dass Estrella nicht dabei war. Sie war mit Christa unterwegs, und er wusste seine Frau in ihrer Gesellschaft bestens aufgehoben. Für den einen Tag zumindest würde sie ihn nicht gängeln und dominieren. Störfaktor Christa. Und augenblicklich schämte sich Norbert dieses Gedankens.

Das Museu Picasso in der Carrer Montcarda hatten sie mit Hilfe des Stadtplanes bald gefunden. In diesem Viertel lebte Picassos Familie zwischen 1895 und 1905, hier lagen die Schule der Schönen Künste, in der er die Ausbildung absolvierte, seine Ateliers und die Vergnügungslokale, die er mit den Freunden damals aufsuchte.

Als Holger, Sascha und Norbert die lange Schlange der Wartenden vor dem Museum sahen, war aller Enthusiasmus erst einmal dahin. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als sich einzureihen.

„Wir hätten zeitiger vom Hotel aufbrechen sollen, aber ihr konntet euch ja nicht vom Frühstücksbuffet trennen“, nörgelte Holger. Sascha verkniff sich eine gehässige Bemerkung und schob stattdessen die beiden Freunde in der weiterrückenden Reihe nach. Eine halbe Stunde später standen sie endlich im Eingangsbereich des Museums.

„Du wirst dir ja die Zeichnungen wesentlich genauer und mit anderem Blick anschauen als wir. Deshalb schlage ich vor, dass wir uns trennen und in zwei Stunden zu einer Pause in der Cafeteria treffen.“ Saschas Vorschlag war den anderen beiden Recht, und so zog Holger alleine los.

An den Gemälden lief er zügiger vorbei, obwohl sie ihn ebenso interessierten. Umso genauer studierte er dafür die Zeichnungen und Radierungen.

Als sie zwei Stunden später alle gemeinsam in der Cafeteria saßen, gestand Norbert: „Ehrlichgesagt reicht es mir jetzt.“

„Mir eigentlich auch“, stimmte Sascha ihm zu. Die beiden ließen Holger im Museum zurück und waren sich schnell einig, den Nachmittag gemütlich anzugehen.

„Für heute bitte keine weiteren Strapazen“, bat Norbert und schlug vor, in einem der Straßencafés etwas zu trinken. Nachdem sie dos cervezas bestellt hatten, erörterten sie den Stand der Dinge.

„Für Holger ist es bestimmt sehr wichtig, ein paar Originale ganz aus der Nähe zu sehen. Aber die nächste Frage wäre nun: Wo bekommen wir das passende Papier her?“

„Es müsste mindestens einhundert Jahre alt sein. Wir werden Estrella fragen, wo es hier so etwas geben könnte.“

Schweigend genossen sie ihr kühles Bier und schauten ein wenig dem Treiben auf der Straße zu. Nach einer halben Stunde winkte Sascha nach dem Kellner, und bald darauf begaben sie sich in das Gewühl der Gassen, die zum ehemaligen Hafen hinunterführten. Aber entsprechende Läden, in denen es Papier geben könnte, fanden sie dabei nicht. Etwas missgestimmt und erschöpft kamen sie gegen neunzehn Uhr im Restaurant an. Wie erwartet waren sie dort die Ersten.

Ebenso hatte sich Holger, nachdem er zwei weitere Stunden im Museum verbracht hatte, erfolglos auf die Suche nach Papiergeschäften begeben. Aber was er fand, waren nur Artikel für den allgemeinen Bürobedarf. Kurz nach neunzehn Uhr betrat er das Restaurant. Dort saßen Norbert und Sascha schon beim Bier und schauten ihm erwartungsvoll entgegen.

„Die Papiersuche gestaltet sich schwieriger als gedacht“, meinte Holger resigniert. Als kurz darauf die beiden Damen eintrafen, unterbrachen sie augenblicklich alle weiteren Diskussionen zu ihrer erfolglosen Suche.

Nachdem sie die Getränke und Vorspeisen gewählt hatten, erzählte Estrella: „Christa und ich haben heute viele Geschäfte angesehen, aber nichts gekauft. Und am Nachmittag haben wir meine Großmutter besucht.“ Die Freunde wussten nicht so recht, was sie davon halten sollten. „Großmutter hat sich sehr gefreut“, beteuerte Estrella, als sie Saschas argwöhnischen Blick auffing.

Nach einem umfangreichen Essen und dem Genuss von reichlich Wein schlenderten sie ein wenig durch die abendlichen Straßen. Bald kamen sie in das dichte Gewühl eines Abschnittes der Ramblas.

„Passt gut auf eure Taschen auf“, ermahnte Estrella. „Hier in dem Gedränge wird viel gestohlen.“

Sascha gelang es, sie ein wenig beiseitezunehmen. „Hast du eine Idee, wo wir geeignetes Papier kaufen können?“

„Ja, morgen suchen wir Geschäfte für Künstlerbedarf“, erwiderte sie leise. Norbert und Christa empfahl sie, den Parc Güell zu besuchen. Bevor er etwas erwidern konnte, stieß Sascha ihn an. Er verstand: Bei der Suche nach dem Papier sollte Christa nicht dabei sein. Ihm blieb nichts anderes übrig, als wieder mit ihr alleine loszuziehen.

Es war schon spät, als sie sich von Estrella verabschiedeten. Eine dreiviertel Stunde später betraten Sascha und Holger ihr Zimmer. Wie bereits den Tag zuvor hatte der Zimmerservice die beiden Betten wieder zusammengeschoben.

Sascha grinste, und Holger regte sich auf. „Die begreifen es einfach nicht. Morgen früh lege ich einen Zettel hin.“

„Und was willst du draufschreiben? Was Spanisches? Oder dachtest du eher an eine Zeichnung mit zwei getrennten Betten?“, stichelte Sascha.

Mit einem vernichtenden Blick blaffte Holger: „Ich schreibe: Please keep beds separate. Was denn sonst.“

Ohne weiteren Kommentar begann er wieder umzuräumen.

Am nächsten Vormittag quälten sie sich zu dritt durch das Gewühl der Altstadt. In erster Linie schauten sie nach Läden für den Künstlerbedarf. Nach zwei Stunden vergeblicher Suche schienen sie in einem der Geschäfte Glück zu haben. Der Verkäufer bat sie, nach der Mittagspause zurückzukommen. In der Zwischenzeit wolle er in seinem Lager nach alten Papierbeständen schauen.

Zum Mittagessen steuerte Estrella diesmal zielgerichtet den Mercat de la Boqueria an, den bekanntesten und größten Markt Barcelonas. Über Wurstwaren, Schinken, Obst und Fisch bis hin zu lebenden Meerestieren war hier alles zu finden. Es war sehr laut, farbenfroh und roch, je nach den Auslagen, an denen sie vorüberkamen, nach Fisch oder exotischen Gewürzen. Bald schon hatte Estrella eine Theke ausgesucht, an der sie drei freie Plätze fanden. Sascha bestellte ein Gericht mit Meeresfrüchten und Holger entschied sich für einen katalanischen Eintopf; dazu wählten sie einen Weißwein aus der Region aus, der durch seine strohgelbe Farbe auffiel. Das Aroma war fruchtig und erinnerte ein wenig an Bergkräuter. Bei der Zubereitung der Speisen sahen die Gäste von ihren Barhockern aus zu, wie die beiden Köche mit lauten Zurufen und übertriebener Geschäftigkeit agierten.

 Estrella meinte lächelnd: „Es ist alles etwas Show und für Touristen gemacht.“

Das Essen war, wie mit eigenen Augen gesehen, frisch zubereitet und schmeckte hervorragend.

„Und jetzt eine Siesta“, seufzte Holger, als sie ihre Mahlzeit beendeten und jeder von ihnen, außer Estrella, noch ein zweites Glas Wein bestellt hatte. Aber sie mahnte zum Aufbruch.

„Wir gehen zurück zu dem Laden, und dann muss ich mich verabschieden für heute. Ich treffe noch Freunde.“

Der Verkäufer erkannte sie gleich wieder. Er hatte seine alten Papierbestände herausgeholt und zeigte ihnen einen kleinen Stapel leicht vergilbten Papiers. Holger griff nach einem der Blätter.

„Wann wurde es ungefähr hergestellt?“

Estrella übersetzte, als der Verkäufer erklärte: „Sie sind aus einer ganz alten Produktion übriggeblieben, von 1958.“

Sascha und Holger schauten sich unschlüssig an. Wohl mehr, um den Händler nicht zu enttäuschen, denn aus Überzeugung entschieden sie sich zum Kauf.

„Besser als nichts. Wir nehmen den Stapel.“ Finanziell wurde man sich schnell einig, und die Bögen wurden verpackt.

Draußen vor dem Laden äußerte Holger seine Bedenken. „So ganz zufrieden bin ich nicht. Ich habe keine Ahnung, inwiefern das genaue Alter von Papier bestimmt werden kann. Aber zumindest haben wir schon mal was in der Hand.“

Estrella verabschiedete sich und empfahl, sich am nächsten Tag um elf Uhr am Eingangstor der Santa Maria del Mar, unweit des Museu Picasso zu treffen.

Nachdem sie in dem Gedränge verschwunden war, schlug Sascha vor, den Stapel Papier erst einmal zum Hotel zu bringen und sich danach mit Norbert und Christa im Parc Güell zu treffen.

Norbert und Christa hatten den Tag diesmal geruhsam und entspannt verbracht. Der Besucherstrom am Eingang des Parc Güell hatte sich schon recht bald in die weitläufige Parkanlage verteilt, und die beiden fanden immer wieder einen beschaulichen Platz zum Verweilen. Selbst Norbert war von den pittoresken Formen der Gebäude und den zahlreichen Skulpturen angetan. Ein weiterer Besuchermagnet war die wellenförmige Sitzbank, die sich als Mauer um den großen Forumsplatz entlang zog. Durch die geschwungene Linienführung der mit bunten Mosaiksteinen verzierten Steinbank entstanden viele kleine Nischen, in denen die Besucher ungestört sitzen konnten. In einer von ihnen nahmen Norbert und Christa Platz und sahen dem lebhaften Treiben auf dem Forumsplatz zu. Plötzlich klingelte sein Handy. Sascha rief an.

Nach einer reichlichen Stunde waren sie wieder komplett, zu viert, einschließlich Christa. Aber Estrella fehlte. Norbert gelang es kaum, seine Enttäuschung darüber zu verbergen, dass sie auch am Abend nicht dabei sein würde.

Die Freunde verbrachten den späten Nachmittag bis in die Abendstunden hinein in dem weitläufigen Park mit seiner üppigen Vegetation, den Grotten, Viadukten und Kolonnaden; alles ein gelungener Mix aus Natur und von Gaudí gestalteten Elementen.

Erst spät am Abend, fast zu katalanischen Zeiten, kehrten sie zum Abendessen ein. Diesmal wählten sie ein Restaurant in der Nähe ihres Hotels im Eixample. Der Freisitz lag in einer Grünfläche zwischen zwei Fahrbahnen. Doch schon nach kurzer Zeit bereuten sie, dort Platz genommen zu haben, denn den Lärm und die Abgase empfanden sie als äußerst störend. Mit Bewunderung beobachteten sie die Kellner, die geschickt die Speisen und Getränke über die Fahrbahn balancierten und zu den Gästen trugen.

Gleich nachdem sie gegessen und gezahlt hatten, verließen sie den lauten Platz und schlenderten zum Hotel. Die Männer einigten sich noch auf ein Bier an der Bar.

Christa verabschiedete sich mit den Worten: „Also dann bis morgen. Mach nicht mehr so lange, Norbert.“ Bevor er etwas erwidern kannte, hatte sie sich entfernt. Und alle drei atmeten auf.

„Nun erzählt mal, wie es heute gelaufen ist“, forderte Norbert seine Freunde auf.

„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich befürchte, wir werden Schwierigkeiten haben, Papier aus der Zeit um 1900 zu finden. Was wir bekommen haben, ist zwar bereits vergilbt und angestaubt, aber für unseren Zweck nicht alt genug. Wir können kein Risiko eingehen.“ Die Freunde diskutierten eine Weile hin und her.

„Und wenn wir nun mal in ein Antiquariat gehen und gezielt nach Büchern aus dieser Zeit suchen?“

„Keine schlechte Idee. Es muss aber ein großes Format sein, sonst würde die Skizze zu mickrig ausfallen. Sicher weiß Estrella, wo wir fündig werden. Also ziehen wir morgen nochmal mit ihr los.“

„Und Christa?“

„Tja, Nobbe. Da wirst du wohl wieder alleine mit ihr was unternehmen müssen“, waren sich Sascha und Holger einig.

Es war bereits nach Mitternacht, als sich Norbert als Erster verabschiedete.

Ein paar Minuten später fragte Sascha in verschwörerischem Ton: „Übrigens: Hast du es heute Nachmittag bemerkt?“

„Was denn? Hat es was mit Estrella zu tun?“

„Nein.“

„Oder mit Nobbe und Christa?“

„Völlig falsch. Aber du kannst dich freuen.“

„Worüber oder worauf denn?“, wollte Holger, nun misstrauisch geworden, wissen.

„Unsere Betten stehen getrennt!“

Als Norbert so lautlos wie möglich das Zimmer betrat, hörte er aus der Richtung des Doppelbettes ein leises Schnarchen. Auf Zehenspitzen schlich er zuerst ins Bad, tastete sich dann wenig später im Dunkeln zu seiner Betthälfte und legte sich vorsichtig hinein. Für einen Augenblick glaubte er, Christa sei wachgeworden, aber im nächsten Moment hörte er wieder ihre gleichmäßigen Atemzüge. Er lag noch eine Weile wach und dachte an Estrella.

 

10. Ein Erfolg

Estrella führte sie in die Carrer de la Palla in der Altstadt. Hier hofften sie, fündig zu werden. Allerdings war Christa mit dabei. Sie hatte darauf bestanden, die vermeintliche Besichtigungstour diesmal wieder gemeinsam zu unternehmen. Und den Freunden blieb nichts anderes übrig, als ihren Wunsch zu akzeptieren. Sie würden also improvisieren müssen.

Bisher kamen sie nur an Geschäften mit altem Porzellan, Schmuck oder Jugendstilmöbeln vorbei.

„Was genau sucht ihr eigentlich?“, wollte Christa wissen.

„Ach, ich möchte etwas mitbringen für eine Kommilitonin in Berlin, es soll etwas typisch Katalanisches sein.“, erwiderte Estrella ausweichend. Weiteren Erklärungen wurde sie enthoben, denn Christa hatte einen Souvenirladen mit traditioneller Handwerkskunst entdeckt. Sie zog Norbert mit hinein.

„Wir treffen uns wieder hier vor dieser Tür, in einer Stunde“, rief Estrella ihnen nach. Eilig liefen sie und die beiden anderen weiter. Sie kamen an unzähligen Läden voller Geschirr, Textilien und alter Kleinmöbel vorbei.

„Es muss doch auch Läden mit alten Schwarten und abgegriffenen Schmökern geben!“ Gerade, als Sascha die Geduld und Holger die Lust am Weitersuchen verloren, entdeckte Estrella das mit Büchern dekorierte schmale Schaufenster eines kleinen Antiquariates. Um ein Haar wären sie daran vorbeigelaufen.

Darinnen sah es verheißungsvoll chaotisch aus. Bis unter die Decke reichende, mit Büchern vollgestopfte Regale standen an den Wänden und als Raumteiler mitten in dem dämmrigen Geschäft. Eine Wendeltreppe führte im hinteren Teil des Raumes in das Obergeschoss.

Estrella wandte sich an den Verkäufer. „Wir suchen etwas Edles, Großformatiges, Erscheinungsjahr um 1900.“

Verständnislos schaute er sie an. „Welches Genre? Literatur? Sachbücher? Atlanten?“

„Das wäre in diesem Fall egal. Es käme auf die Aufmachung und das Erscheinungsjahr an.“

Der junge Mann zuckte gleichgültig mit den Schultern und wies mit einer vagen Geste in den hinteren Teil des Raumes. Bei diesen unkonkreten Angaben konnte er nicht weiterhelfen.

Eilig glitten ihre Augen über die endlosen Reihen in den Regalen und blieben nur an Buchrücken mit einer Mindesthöhe von dreißig Zentimetern hängen. Hin und wieder griffen sie nach einem besonders prachtvollen Exemplar und schlugen es auf. Aber auf den zweiten Blick erkannten sie dann jedes Mal, dass das Erscheinungsjahr später als 1900 war.

Holger entdeckte einen goldverzierten Band und zog ihn heraus. Und zu seiner Überraschung handelte es sich um ein Exemplar, das 1901 veröffentlicht wurde. Interessiert blätterte er weiter.

„Es ist erfreulich großformatig und auch guterhalten. Aber ich sehe keine freien Seiten. Doch hier, die Rückseite des dritten Blattes ist nicht bedruckt. Zumindest kommt es in Betracht.“ Estrella behielt das Buch in der Hand, und die beiden Freunde nahmen die Aluminiumleiter zu Hilfe, um in den oberen Reihen weiterzuschauen. Aber nach zehn Minuten hatten sie sich entschieden.

„Wir nehmen es.“ Sascha ging zur Kasse. Der Preis lag dem Alter und dem Zustand des Buches angemessen bei fünfunddreißig Euro. Erst als sie den Laden verlassen hatten, schauten sie sich den Inhalt und den Titel genauer an: Er hieß Erotika, las historias eróticas de Giacomo Casanova und war der erste Teil einer zweibändigen Ausgabe.

„Verdammt, wie unpassend!“, fluchte Holger. „Wie sollen wir erklären, dass das Buch einer alten Dame gehörte?“

Beim gemeinsamen Mittagessen, auch diesmal hatte Estrella wieder die große Markthalle in der Altstadt mit den kleinen Bistros und Theken ausgewählt, packte Christa ihre Mitbringsel aus. Holger blätterte verstohlen in dem eben gekauften Erotika-Band. Mit Daumen und Zeigefinger prüfte er die Beschaffenheit des Papiers. Die Struktur war angenehm glatt, die Buchseiten nur wenig vergilbt, an den Rändern leicht abgegriffen und an manchen Stellen etwas fleckig. Das Buch war eine dekorative Ausgabe in einem goldgeprägten Ledereinband.

„Was hast du denn da Schönes?“ Interessiert beugte sich Christa über den Tisch.

Sascha erfasste die Situation sofort. „Das Buch gehörte Estrellas Großmutter, eigentlich der Urgroßmutter. Sie hat es ihr geschenkt, und Estrella möchte es einer Freundin in Berlin zeigen.“

„Darf ich es mal anschauen?“, fragte Christa an Estrella gewandt.

„Natürlich, gerne. Aber es ist sehr alt und in Spanisch geschrieben. Du wirst es nicht lesen können.“

Bewundernd hielt Christa das Buch in den Händen und betrachtete den goldgeprägten Einband. „Das ist ja wirklich prachtvoll! So etwas gibt es heutzutage sicher gar nicht mehr zu kaufen.“ Dann gab sie das Buch zurück, und das Thema schien damit erledigt. Auf Christas Frage, was sie am Nachmittag unternehmen würden, erklärte Estrella, dass sie wieder ihre Großmutter in der Seniorenresidenz besuchen wolle.

Sascha empfahl: „Vielleicht sollte jeder den Nachmittag nach eigenem Gusto verbringen. Ich möchte mich gerne nochmal alleine umschauen und fotografieren. Treffen wir uns heute Abend so gegen zwanzig Uhr wieder an alter Stelle in dem kleinen Restaurant?“ Holger war der Vorschlag recht. Er hatte ohnehin vor, ein weiteres Mal ins Museum zu gehen, diesmal ungestört und alleine.

Und bevor Norbert zu Wort kam, entschied Christa: „Einverstanden. Norbert und ich werden uns in der Altstadt noch ein wenig umschauen.“

Kaum, dass sie die Markthalle verlassen hatten, raunte Sascha Estrella zu: „Nimmst du mich mit?“ Auf ihren erstaunten Blick hin erklärte er leise: „Ich habe nämlich eine Idee.“

Vor der Boqueria verabschiedete sich Christa und zog Norbert mit sich fort. Sascha atmete erleichtert auf und sah den beiden nach. Als Holger sich ebenfalls entfernt hatte, erklärte er sein Vorhaben.

„Falls Wenderick deine Großmutter später mal persönlich kennenlernen wollte, würdest du ja nicht dabei sein können. Dann müsste ich ihn begleiten. Insofern fände ich es gut, wenn sowohl die Mitarbeiter der Seniorenresidenz als auch deine Großmutter mich vorher schon mal gesehen haben.“ Estrella nickte, sie fand den Gedanken einleuchtend. „Aber ich habe noch eine andere Idee“, fuhr er eilig fort. „Wir sollten ein Foto von ihr machen, auf dem sie das Buch in den Händen hält. So wirkt die Geschichte mit der Provenienz glaubhafter.“

Halb bewundernd, halb amüsiert schaute sie ihn von der Seite an und lachte. „Man muss sich vorsehen vor dir! Du bist für einen Betrug gut geeignet!“

„Danke, aus deinem Mund klingt es wie ein Kompliment.“

„Es ist ein Kompliment!“

Dann bat Sascha in ernsterem Ton: „Sag aber bitte noch kein Wort zu den anderen.“ Momentan gefiel ihm der Gedanke, mit seinem Einfall eine Spur voraus zu sein. Irgendwann, später einmal, würde er auch Holger und Norbert einweihen. Vielleicht.

Die Residenz lag in einem großzügigen Gebäudekomplex mit Terrassen und Balkonen mit Blick auf das Meer. Im unteren Bereich waren ein Kindergarten, ein paar Geschäfte und zwei Cafés untergebracht. Viele der Appartements gehörten nicht zum betreuten Wohnen, sondern wurden normal vermietet.

„Das wäre doch was für Norberts Altersruhesitz!“, meinte Sascha verschmitzt.

 Mit ein paar Worten wandte sich Estrella an die Leiterin und stellte ihn vor.

„Da wird sich Frau Zafón aber freuen!“

Kurz darauf betraten sie das helle, geräumige Zimmer. Enkelin und Großmutter umarmten sich.

„Què tal?“

„Sí, sí.“

Ein paar Minuten lang hörte Sascha dem Monolog zu, der immer wieder von Valentinas sí, sí begleitet wurde. Endlich kam Estrella auf das Buch zu sprechen. Sie holte es aus ihrer Tasche und reichte es ihrer Großmutter. Sascha lächelte ihr zu und fotografierte sie mit dem Buch in der Hand. Nach drei, vier Aufnahmen bedankte er sich mit „gràcies“ und verabschiedete sich von Valentina Zafón. Estrella gab er zu verstehen, dass er draußen in der Besucherecke auf sie warten würde. Eine Viertelstunde später kam sie aus dem Zimmer.

Sascha zeigte ihr die Aufnahmen auf dem Smartphone. „Ich denke, sie sind gut gelungen“, stellte er zufrieden fest. Auf den Fotos war eine strahlende Valentina zu sehen, die den goldgeprägten Lederband in ihren runzligen Händen hielt.

„Wann wirst du die Aufnahmen deinen Freunden zeigen?“

Sascha zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es noch nicht. Erst muss unser Künstler mal einen akzeptablen Picasso hinkriegen.“

„Und du musst mit Wenderick reden, weil es mit Frau Ruland nicht geklappt hat“, erinnerte sie ihn. Sascha stieß hörbar die Luft aus. Der Gedanke an seinen missglückten Versuch einer Kontaktaufnahme mit der Kunsthistorikerin ärgerte ihn noch immer. Auch Holgers hämischer Blick und Norberts mitfühlende Äußerung, dass sie alle nicht mehr die Jüngsten seien, fielen ihm augenblicklich wieder ein.

Die Tage in Barcelona gingen zu Ende. Norbert war es nicht leid darum. Er freute sich auf die kommende gemeinsame Zeit mit seinen beiden Freunden. Und mit Estrella.

Als Christa mit Bedauern feststellte: „Die Zeit war einfach zu kurz, wir müssen unbedingt bald wiederkommen!“, stimmte er ihr nur halbherzig zu.

 

11. Ein Missgeschick

 Das frühlingshafte Wetter in Berlin empfing sie mit einem strahlend blauen Himmel. Norbert freute sich, zu Hause zu sein. Endlich könnte er sich wieder mit Sascha und Holger treffen oder auch nur ein wenig faulenzen, natürlich immer darauf bedacht, nicht durch allzu große Untätigkeit Christas Unmut zu erwecken. Jetzt waren beide erst einmal mit dem Auspacken ihrer Koffer beschäftigt. Und Norbert traute seinen Augen kaum.

„Wo hast du das denn her?! Du hast doch nicht etwa das Buch von Estrellas Großmutter eingepackt?“, fragte er entgeistert.

„Natürlich nicht. Aber es hat mir so gut gefallen, und da habe ich einfach mal in zwei, drei Antiquariate geschaut und tatsächlich noch so ein Prachtexemplar gefunden.“

Norbert hielt ungläubig den zum Verwechseln ähnlichen goldbedruckten Band mit dem Titel Erotika in den Händen. Es waren die erotischen Erzählungen von Giacomo Casanova, Band II. Musst du denn alles haben und nachmachen, waren seine Gedanken.

Als sie sich zwei Tage später in Holgers Wohnung trafen, war diesmal auch Estrella mit dabei. Mit einem katalanischen Weißwein stießen sie auf die Tage in Barcelona an. Holger hatte auf dem ausgezogenen Küchentisch seine Skizzenblätter ausgebreitet, deren Aufnahmen er den Freunden schon im Kundenrestaurant gezeigt hatte.

„Der Museumsbesuch in Barcelona hat mich angeregt. Am besten gefiel mir Liegender weiblicher Akt, Picasso zu seinen Füßen von 1902. Die Zeichnung ist in Tusche und Aquarell ausgeführt.“

Holger zeigte ihnen die Abbildung im Katalog. Zu sehen war ein bäuchlings auf einem Bett ruhender weiblicher Akt, zu dessen Füßen links im Bild, dem Betrachter abgewandt, Picasso saß. Seine rechte Hand lag auf dem Gesäß der Frau. Das Kissen, auf dem ihr Kopf ruhte und das herabhängende Federbett, auf dem sie lag, waren mit sparsamen feinen Linien nur angedeutet. Unten rechts im Bild hatte Picasso mit wenigen Strichen eine Vase mit drei Blumen gezeichnet.

„Und du meinst, du bekämst Ähnliches hin?“, fragte Sascha zweifelnd. Wortlos holte Holger eine weitere Skizze hervor.

Norbert war beeindruckt, Estrella begeistert und Sascha behauptete: „Das hast du eins zu eins abgekupfert.“ Er schüttelte ablehnend den Kopf. „Sowas können wir nicht anbieten.“

„Natürlich nicht.“ Holger griff nach einem anderen Blatt. Es war ebenfalls eine aquarellierte Tuschezeichnung, aber etwas kleiner als die vorige und in deutlichen Abänderungen der Details. Sie war von sicherer Hand in einer Linie durchgezogen. Hauchzart und sparsam hatte er lichte Ockertöne und bläuliche Schattierungen gesetzt.

Alle schwiegen.

„Schade, dass es kein Papier aus der Zeit um 1900 ist. Die Zeichnung würde, so wie sie ist, als ein früher Picasso durchgehen.“ Sascha war ebenso wie die anderen beeindruckt aber auch in Sorge, ob es Holger gelingen würde, die Zeichnung mit gleichem Schwung in das Buch zu übertragen. Er selbst schien ebenfalls skeptisch und betonte, dass er hierzu Ruhe brauche.

„Setz dich nicht unter Druck, Holle. Ich muss sowieso noch überlegen, wie ich am besten an Wenderick rankomme.“

Nach einer zweiten Flasche Wein und einer weiteren kurzweiligen Stunde verabschiedeten sich alle. Sascha nahm sein Rennrad, Estrella lief zur U-Bahn und Norbert ging die kurze Strecke bis zu seiner Wohnung zu Fuß. Er beeilte sich, um vor Christa anzukommen.

Als sie eine Viertelstunde nach ihm eintraf, stellte sie fest: „Du hast eine tüchtige Fahne, mein Lieber. Das gefällt mir gar nicht.“

Einen Tag danach saß Holger vor dem edlen Band und starrte auf die leere Seite. Was hatte er sich da eigentlich zugemutet? Wie konnte er auch nur einen Augenblick lang annehmen, er würde ein zweites Mal so eine Skizze hinbekommen, wie er sie gestern seinen Freunden gezeigt hatte? Nein. Holger legte das Buch vorerst beiseite. Er brauchte Zeit dafür und die richtige Stimmung.

Erst am Dienstagvormittag der darauffolgenden Woche entschloss er sich, das Buch wieder hervorzuholen. Vorsichtig blätterte er darin und bemühte sich, die Seiten nicht zu knicken. Im Nachhinein empfand er es als Vorteil, dass die Zeichnung nicht auf den ersten Blick ins Auge fallen würde, sondern der Betrachter drei Seiten weiter- und umblättern musste, um den vermeintlichen, bis dahin unbekannten Picasso zu entdecken.

Mit zaghaften Bleistiftstrichen begann Holger, seine Skizze auf die freie Seite zu übertragen. Ein paar Mal setzte er den Bleistift ab. Aber das war kein Problem. Schon vor Tagen hatte er einen weichen Radiergummi gekauft, mit dem er die hauchzarten Linien wieder entfernen und gegebenenfalls korrigieren könnte. Weitaus schwieriger wäre es dann schon bei der Federzeichnung. Er würde die gleiche Federstärke und Tusche verwenden, mit der ihm die erste Skizze gelungen war. Ebenso entschied er sich für die vor einer Woche gewählten Aquarellfarbtöne. Hierzu hatte er sich feinkörnige Pigmente und Gummi arabicum besorgt. Um kein Risiko einzugehen, rührte er die Farben selber an und würde die gewünschten Farbtöne durch Lasieren und schichtweises Übermalen erzeugen. Er hoffte, dass die Papierbeschaffenheit des Buches für die Aquarellmalerei geeignet wäre. Die Textur der Seiten schien ihm saugfähig und glatt genug. Aber dennoch würde ein Risiko bleiben.

Nachdem Holger mit der Bleistiftskizze fertig war, kam der von ihm gefürchtete schwierigere Teil. Die mit Tusche gezogenen Linien würde er nicht so ohne weiteres korrigieren können. Zum Lockerzeichnen hatte er sich ein Blatt zurechtgelegt. Darauf zog er zuerst vorsichtig, dann mit immer sicherer werdender Hand Figuren in schwarzer Tusche, bis er meinte, sie aus dem Handgelenk zeichnen zu können. Schließlich nahm Holger wieder das Buch zur Hand und wagte sich an die Aktzeichnung. Links oben am Kopf der männlichen Figur setzte er an. Der Anfang gelang ihm problemlos. Ohne abzusetzen zog er die Bleistiftkonturen mit der Feder nach. Danach begann er an der Schulter des liegenden weiblichen Aktes eine Linie zu ziehen, die sich schwungvoll über die Rückenpartie und die Beine bis zu den Zehenspitzen fortsetzte. Danach setzte er die Feder ab. Erst jetzt bemerkte er, dass seine Handflächen vor Anspannung feucht waren. Holger hielt inne, wusch sich die Hände und schüttelte die Arme locker aus. Dann nahm er wieder am Küchentisch Platz und schaute auf die begonnene Federzeichnung. Die schwarze Tusche hob sich effektvoll von dem leicht vergilbten Papier ab. Bevor er mit dem Kopf, dem angewinkelten Arm, der Brust und der Bauchseite des weiblichen Aktes anfing, zeichnete er mit zügigen Strichen das angedeutete Bett. Anstelle der Vase auf dem Original von Picasso hatte er mit sparsamen Linien eine Karaffe und zwei Gläser skizziert. Mit dem bisherigen Ergebnis konnte er zufrieden sein.

Jetzt kam er zum heikelsten Teil der ganzen Aktion. Holger griff nach dem dicken Band mit Picassos Werken aus den Jahren 1901 bis 1904 und schaute sich zum wiederholten Mal das Signum links oben auf der echten Zeichnung, die ihm als Vorlage diente, an. Das Original hatte er im Museu Picasso eingehend studiert. Der Schriftzug Picasso gelang ihm mittlerweile fast im Schlaf, so oft hatte er ihn auf dem Papier geübt.

Lange hatten die Freunde darüber diskutiert, ob die dem Original nachempfundene Zeichnung signiert werden sollte. Damit würde sich Holger auf kriminelles Terrain begeben. Ohne Signum könnte er sich, wenn es denn später hart auf hart käme, mit einer zu Übungszwecken angefertigten Kopie herausreden. Aber mit Picassos Schriftzug auf der Zeichnung würde sich diese Hintertür ein für alle Mal schließen. Es wäre ein Fall von Urkundenfälschung. Doch letztendlich wollten sie Wenderick ja einen Picasso verkaufen, und nicht irgendeine Zeichnung, die nur an seinen Stil erinnerte.

Holger holte tief Luft und schrieb dann mit sicherer Hand den Namen des berühmten Malers in die linke obere Ecke der begonnenen Skizze. Danach setzte er die Feder an dem mit Bleistift vorgezeichneten Kopf an. Die gewellten Haare gelangen ihm perfekt, ebenso das mit nur wenigen Strichen angedeutete, dem Betrachter halb zugewandte Gesicht der Frau. Holger überlegte kurz, wie er mit der Bauchseite beginnen sollte. Er entschied sich, links an den Zehenspitzen anzufangen und die Linie über das Knie und die leichte Wölbung des Oberschenkels hinweg durchzuzeichnen.

Und dabei passierte es.

Er verfehlte die vorgezeichnete Bleistiftlinie in Höhe der Hüfte und glitt leicht nach unten ab.

„Mist, verdammter!“ Fluchend hielt er inne, dann setzte er die Feder neu an und vollendete den Rest des Bauches, über die Brust bis hin zum angewinkelten Arm, auf dem ihr Kopf ruhte, in einem Schwung. Aber der ausgerutschte Federstrich am Schenkel war deutlich sichtbar. Er hatte sich verzeichnet. Was sollte er jetzt tun? Nach kurzer Überlegung holte er eine Rasierklinge und begann vorsichtig die Tusche wegzukratzen, nur ganz leicht und flach. Nach zwei, drei Minuten hatte er sie restlos entfernt. Aber übrig blieb ein angerauter Fleck auf dem Papier. Mit dem Daumennagel versuchte er, diesen glatt zu streichen. Er hoffte, dass er die Stelle später mit der Aquarellfarbe kaschieren könnte. Mit der Rückenpartie des sitzenden Mannes würde er beginnen.

Es gelang auf Anhieb. Dann setzte er einen kräftigeren Ton auf den Schulterbereich der Frau und führte den Pinselstrich weiter über den Rücken bis zum Gesäß. Er begutachtete sein bisheriges Werk und war zufrieden. Jetzt wagte er sich an die Bauchpartie. Für die Schattierung wählte er einen mehr ins Blau gehenden Farbton. Doch genau an der Stelle, die er kaschieren wollte, zeigte sich der mit der Rasierklinge angeraute Fleck deutlicher als zuvor.

Entmutigt legte er das Buch und seine Utensilien beiseite. Die Zeichnung sah zwar nicht vollkommen verdorben aus, war aber für den beabsichtigten Zweck ungeeignet.

Holger griff zum Telefon. Nach wenigen Klingeltönen hob Norbert am anderen Ende ab.

„Kannst du mal kommen?“

„Was, jetzt gleich?“

„Ja bitte.“

„Ist was passiert?“

„So gesehen ja. Ich glaube, ich hab’s vergeigt.“

„Etwa das Bild?“ Schweigen. „In zwanzig Minuten bin ich da.“

Eine halbe Stunde später schauten die beiden Freunde auf die Zeichnung.

„Na, was soll ich sagen, Holle, so richtig schlecht sieht das Bild doch gar nicht aus“, versuchte Norbert, ihn zu beruhigen.

Doch Holger schnaubte verächtlich. „Auch einen nicht richtig schlechten Picasso können wir unmöglich anbieten. Wenderick und die Kunsthistorikerin würden den Braten sofort riechen.“ Die Verzweiflung war ihm anzusehen.

„Kannst du das Blatt nicht geschickt heraustrennen und nochmal schauen, ob es weiter hinten noch eine freie Seite gibt?“

Aber Holger schüttelte den Kopf. „Dann wäre das Buch beschädigt, und das würde sofort auffallen. Außerdem habe ich bereits nach einer weiteren leeren Seite gesucht. Es gibt keine.“

Norbert nickte. Dann holte er den Rucksack und griff hinein. Wortlos legte er den von Christa gekauften Band auf den Tisch.

Holger traute seinen Augen kaum. „Wo kommt der denn her? Mensch, Nobbe, das könnte die Rettung sein! Hast du den Band gekauft?“

Norbert schüttelte den Kopf. „Nein, das war Christa. Nimm diesen hier, ich stelle den anderen ins Regal zurück.“

„Aber sie würde den Tausch doch spätestens dann bemerken, wenn sie das Buch aufschlägt!“

„Wohl kaum. Sie hat das Buch gesehen, und es gefiel ihr. Und wie so oft, wenn ihr etwas gefällt, muss sie es auch haben. Sie wird nie wieder einen Blick hineinwerfen, glaub es mir.“

„Und wenn doch?“

„Dann wird sie denken, die Zeichnung gehöre zu den erotischen Erzählungen dazu, und sie hätte sie beim ersten Mal überblättert, weil sie auf der Rückseite ist.“

„Das klingt nicht gerade nett, Nobbe, aber hoffentlich hast du Recht. Eine Bitte noch: kein Wort zu Sascha! Du weißt doch, wie sarkastisch er manchmal sein kann. Er muss nicht alles wissen.“

Norbert grinste verständnisvoll. „Versprochen. Es bleibt unter uns.“

„Exzellent! So ist es einfach perfekt!“ Mit ehrlicher Bewunderung betrachtete Sascha zwei Tage später die neuentstandene Zeichnung. „Nein, wirklich, Holle. Ich bin beeindruckt.“ Endlich löste er den Blick von dem Bild. „Wie hast du das hinbekommen? Mit so klarer Linienführung, ohne die Feder abzusetzen! Und dann die dezente Farbgebung in den Aquarelltönen!“

Holger war froh, dass sie beide allein waren. In Norberts Anwesenheit hätte er womöglich grinsen und Sascha gestehen müssen, dass ihm dies alles erst im zweiten Anlauf und in dem anderen Band gelungen war. Aber so zuckte er gelassen mit den Schultern und betonte, dass ihm die vielen Skizzen im Vorfeld geholfen hätten.

„Aber trotzdem habe ich Bauchschmerzen“, gestand er.

„Warum denn?“

„Wegen der Signatur. Hast du dir mal überlegt, was ich persönlich riskiere, wenn der Betrug rauskäme?“

„Er wird nicht rauskommen“, wiederholte Sascha nicht zum ersten Mal.

„Wie kannst du da nur so sicher sein? Die Zeichnung wird garantiert untersucht. Und ich bekomme einen Prozess an den Hals.“ Saschas Gegenargument bekam er nicht mit, weil es klingelte.

Ein paar Minuten später begutachtete auch Norbert die Zeichnung. „Holle, du bist ein Genie!“

Aber Holger winkte ab und schaute Sascha auffordernd an. „Nun käme also der nächste Schritt.“

Er wusste genau, worauf sein Freund anspielte, ließ sich aber nicht darauf ein. Stattdessen konterte er: „Genau. Als nächstes müssen wir dein Meisterwerk sorgfältig fotografieren.“ Mit diesen Worten holte er sein Smartphone hervor und legte das Buch mit der aufgeschlagenen Seite zurecht. Er fotografierte die Zeichnung mit und ohne Blitz. Zum Schluss schob er ein Lineal zum Größenvergleich daneben. Mit dem Ergebnis waren sie zufrieden.

„Das sind die Aufnahmen, die ich zeigen werde.“

„Und wem wirst du sie zeigen?“, fragte Holger in provokantem Unterton. „Du musst versuchen, irgendwie an Wenderick heranzukommen.“

Sascha reagierte gereizt: „Und wie stellt ihr euch das vor? Bei ihm in der Bank vorsprechen?“

Aber Norbert schüttelte den Kopf und meinte versöhnlich: „Uns wird schon noch was einfallen. Vielleicht geht er joggen. Ich werde mal Estrella fragen.“

Ungläubig starrte Sascha ihn an. „Woher soll sie das denn wissen? Und außerdem: Denkt ihr, ich fange ihn vor seiner Wohnung ab und drehe mit ihm ein paar Runden, nur um ins Gespräch zu kommen? Nee, das könnt ihr gleich vergessen.“ Noch bevor die anderen etwas erwidern konnten, winkte er ab. „Lasst mal, ich kümmere mich selbst darum.“

Als Norbert zu Hause ankam, war Christa bereits da. Aber zu seiner Erleichterung empfing sie ihn diesmal nicht mit Vorwürfen. Sie war beschäftigt. Schon zum dritten oder vierten Mal hatte sie die Kleidung gewechselt, sich immer wieder umgezogen. In dem neuen Kleid fühlte sie sich auf einmal zu dick; auch die Variante mit Rock und Bluse sagte ihr nicht zu, nach ihrem Geschmack wirkte sie zu bieder darin, etwas gouvernantenhaft. Und mit Hose und T-Shirt gefiel sie sich erst recht nicht. Zum Schluss entschied sie sich doch für das Kleid und ergänzte es, um die Fettpölsterchen ein wenig zu kaschieren, mit einem dekorativen Schal. Teils belustigt, teils interessiert verfolgte Norbert ihre Umkleideaktion.

Auf das Klassentreffen hatte sich Christa sorgsam vorbereitet. Über die Jahre war sie etwas fülliger geworden, aber die dunkelbraunen, lebhaften Augen, ihr frischer Teint und das dunkle Haar, dessen ergrauende Ansätze sie regelmäßig nachfärbte, ließen sie jünger erscheinen als die zweiundsechzig Jahre, die sie alt war. Und ihre Augen waren es denn auch, die Norbert damals, als er sie kennenlernte, faszinierten.

Heute verbrachte er den Abend also alleine vor dem Fernseher. Er musste sich eingestehen, dass ihm dies nicht ungelegen kam. Wieder dachte er an Estrella. Manchmal glaubte er, in ihrem Blick echte Zuneigung zu erkennen. Doch wahrscheinlich war es ihre natürliche Freundlichkeit, die er darin sah. Sie war um Jahre jünger als er, und dieser Altersunterschied war bei allem Wohlwollen und Bemühungen seinerseits nicht zu übersehen. Er schaute auf seinen Bauch hinunter. Die zweite Flasche Bier, die er gerade öffnen wollte, stellte er in den Kühlschrank zurück.

Erst spät am Abend hörte Norbert das Schließen an der Wohnungstür. Er lag schon im Bett, als Christa die Wohnung betrat.

„Na, war’s schön?“, fragte er verschlafen.

„Hm.“

„Waren viele da?“

„Nö.“ Da sie offensichtlich nicht gewillt war, mehr zu erzählen, drehte er sich auf die andere Seite.

Als sie sich später neben ihn legte, schlief er bereits.

 

12. Uta Ruland

Am Dienstag war der Hörsaal nur spärlich besetzt. Frau Rulands Blick glitt über die Anwesenden. Es mochten circa zwanzig Personen sein, die sich ab der dritten Reihe über den Raum verteilten. Aus Erfahrung wusste sie, dass die Teilnehmerzahl zu Beginn des Semesters immer recht hoch war, aber der Eifer der Senioren im Verlauf der Wochen deutlich nachließ. Uta Ruland hatte gelernt, damit umzugehen und es nicht persönlich zu nehmen. Mit freundlichen Worten begrüßte sie die überschaubare Runde. Noch einmal glitt ihr Blick verstohlen über die Reihen.

Nicht dass sie ihn vermisst hätte, das nicht, aber ihr war schon die beiden letzten Male aufgefallen, dass der selbstbewusste Herr aus der ersten Reihe fehlte. Seine beharrliche Art und die Unverfrorenheit, mit der er versuchte, sie in Beschlag zu nehmen, hatten sie zumindest verblüfft. Aber offensichtlich hatte er ihre Signale verstanden. Umso besser. Uta Ruland fuhr mit ihren Ausführungen fort.

Da entdeckte sie ihn. Diesmal saß er ein paar Reihen weiter hinten. Betont sachlich schaute er in ihre Richtung und schrieb konzentriert mit. Für einen Augenblick fühlte sie sich irritiert und abgelenkt. Es war nicht auszuschließen, dass er nach der Vorlesung wieder nach vorne käme. Wie sollte sie sich dann ihm gegenüber verhalten? Ihm nochmal eine Abfuhr erteilen?

Sie konzentrierte sich wieder auf ihre Ausführungen, und versuchte dabei gelassen zu bleiben. Nach neunzig Minuten beendete sie den Vortrag.

„Selbstverständlich stehe ich Ihnen für weitere Fragen gerne zur Verfügung.“ Einladend schaute sie in die Runde und vermied dabei den Blick zu ihm. Nachdem das obligatorische Klopfen verklungen war, erhoben sich die Zuhörer. Zwei Damen und ein älterer Herr kamen zielstrebig nach vorne. Er war nicht dabei.

Sascha packte seine Unterlagen ein und verließ den Hörsaal.

Auch während der Donnerstagsvorlesung glitt ihr Blick immer wieder über die Bankreihen des Hörsaals. Sorgsam hatte sich Uta Ruland im Vorfeld eine Antwort zurechtgelegt, falls er nach der Vorlesung doch wieder an sie herantreten sollte. Diesmal würde sie ihn nicht gleich zurückweisen, sondern erst einmal anhören, was er ihr zu sagen hatte. Aber alle Überlegungen hatten sich erübrigt; er war nicht da.

Sascha sah auf seine Uhr. Er musste sich beeilen, in fünf Minuten würde die Vorlesung zu Ende sein. Vor der Tür hielt er inne und wartete. Jetzt hörte er das Klopfen auf den Tischen und gleich darauf das Klappen der Sitzflächen in den Stuhlreihen. Schnell öffnete er die Tür und betrat den Hörsaal. Wie vermutet liefen wieder zwei, drei Senioren nach vorne zum Rednerpult. Uta Ruland sprach mit ihnen und bemerkte nicht, dass er sich hinten anstellte, brav, wie ein wissbegieriger Student.

Dann stand er direkt vor ihr und glaubte, als sie erstaunt zu ihm aufblickte, ein verhaltenes Lächeln in ihren Augen zu erkennen.

„Ja?“

„Eine Frage.“

„Ja bitte?“ Ermunternd schaute sie ihn an.

„Hätten Sie kurz Zeit? Ich würde Ihnen gerne etwas zeigen.“

Uta Ruland sah flüchtig auf ihre Uhr. „Gut, das würde passen.“

Fünf Minuten später saßen sie sich in der Cafeteria gegenüber, und Sascha erläuterte sein Anliegen. Interessiert nahm sie die Fotos, die er vor ihr auf dem Tisch ausgebreitet hatte.

„Wie gesagt, von Kunst verstehe ich nicht viel, deshalb wollte ich Sie um Ihre Meinung bitten“, beendete Sascha seine Erklärungen.

Ihr wurde bewusst, dass sein Interesse an ihrer Person wohl ausschließlich fachlicher Natur war, deshalb entgegnete sie betont sachlich: „Um mir ein Urteil zu bilden, müsste ich auf jeden Fall auch die Originalzeichnung sehen. Lässt sich das einrichten?“

Sascha schien zu überlegen, bevor er antwortete: „Ich denke schon. Meine Bekannte möchte das Bild gerne einem Experten zeigen und spielt mit dem Gedanken, sich von dem Buch mit der Zeichnung zu trennen. Wenn es sich tatsächlich als ein echter Picasso herausstellen sollte, hat sie vor, es bei einer Auktion anzubieten. Aber ich bezweifle, dass die Zeichnung wirklich von ihm ist. Und Sie wissen ja sicher, wie das so ist, wenn eine Legende jahrzehntelang in der Familie kursiert: Zum Schluss stellt sie sich nur als Wunschdenken heraus. Davon einmal abgesehen finde ich die Zeichnung originell.“ Sie betrachtete eingehend die Aufnahmen, auch das Foto, auf dem Estrellas Großmutter das Buch in ihren Händen hält. Sascha erklärte: „Die Aufnahme ist erst vor kurzem entstanden. Die betagte Dame lebt in einer Seniorenresidenz in Barcelona und musste sich von ein paar liebgewonnenen Dingen aus Platzgründen trennen, so auch von diesem Buch.“

„Aber dann hängt sie doch sicher an der Zeichnung?“, gab Uta Ruland zu bedenken.

„Nicht allzu sehr. Das Bild hatte der Maler ja ihrer Mutter, also der Urgroßmutter meiner Bekannten geschenkt.“

Mit der nächsten Frage hatte er ebenfalls gerechnet: „Warum wenden Sie sich ausgerechnet an mich?“

„Ich hatte Sie bei der Ausstellungseröffnung in der SüdBank erlebt und Ihre mitreißende Art bewundert, wie Sie schlüssig und leichtverständlich die Hintergründe zu den Braque-Bildern erläuterten.“ Das war nicht gelogen. Er war von ihr beeindruckt, ja geradezu fasziniert. Sein Kompliment quittierte sie mit einem verlegenen Lächeln. „Und bei der Erwähnung, dass Braque eine Verbindung zu Picasso hatte, kam mir später die besagte Zeichnung in den Sinn.“ Sascha war selbst überrascht, wie leicht ihm die Lüge über die Lippen kam.

„Warum haben Sie mich dann über diesen Umweg des Seniorenkollegs angesprochen?“

„Ich wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.“

Jetzt lächelte sie wieder. „Verstehe. Aber ich bin kein Experte auf diesem Gebiet. Hierzu müsste ich einen Kollegen hinzuziehen. Können Sie mir die Fotografien erst einmal überlassen?“

„Ja, sicher. Das ist kein Problem.“

Nach kurzer Überlegung schlug Frau Ruland dann vor: „Am besten wäre es, wenn mein Kollege und ich Ihre Bekannte einmal treffen könnten und sie das Original gleich mitbringen würde. Wenn es sich tatsächlich um einen echten Picasso handeln sollte, wäre diese Entdeckung eine Sensation. Ich kann mir vorstellen, dass der Leiter der SüdBank, den Sie ja bereits bei der Eröffnung der Braque-Ausstellung kennengelernt hatten, am Erwerb der Zeichnung interessiert wäre. Sie würde ausgezeichnet in seine Ausstellung passen.“ Sascha bemühte sich um einen überraschten Gesichtsausdruck, so als wäre ihm dieser Gedanke bis dahin noch nie gekommen.

Am frühen Abend saßen die vier Freunde, einschließlich Estrella, wieder an Holgers Küchentisch. Durch die weit geöffnete Terrassentür zog die milde Abendluft herein.

„Die Sache ist übrigens gebongt. Sie hat angebissen“, erwähnte Sascha bemüht beiläufig.

„Wieso sie?“

„Uta Ruland.“ Es gelang ihm nicht ganz, den Triumph in seiner Stimme zu verbergen.

„Junge, Junge, du hast’s immer noch drauf“, murmelte Holger anerkennend.

Sascha gab sich den Anschein, als überhöre er das Kompliment und wandte sich an Estrella. „Frau Ruland und ein Kollege von ihr möchten uns beide treffen und die Zeichnung mal näher anschauen.“

Aber Estrella hatte Bedenken. „Wo werden wir sie treffen? Auf keinen Fall in der Kunsthalle!“

„Nein, nein. Ich könnte mir vorstellen, dass uns Frau Ruland in ihrem Dienstzimmer im Institut empfangen wird. Und ich werde sie vor unserem Treffen ausdrücklich darum bitten, Wenderick vorläufig nichts von dem vermeintlichen Picasso zu sagen. Außerdem hatte ich ihr ohnehin schon signalisiert, dass du die Zeichnung vorrangig, wenn überhaupt, in eine Auktion geben willst. Vielleicht könntest du dich generell ein wenig zieren, das Bild zu verkaufen. Sentimentale Gefühle, Familienbesitz und so. Lass dir was Rührseliges einfallen. Aber es muss glaubhaft rüberkommen.“

 

13. Carsten Landner

Wenn Uta Ruland in ihrer langjährigen Tätigkeit als Kunsthistorikerin außer den erworbenen Kenntnissen auf dem Gebiet der Kunstgeschichte zwei Eigenschaften besonders pflegte und über die Jahre kultivierte, dann waren dies eine Portion Skepsis und das Vermeiden jeglicher Euphorie bei vermeintlichen Neuentdeckungen. So auch in diesem Fall. Deshalb griff sie unverzüglich zum Telefon und rief ihren Kollegen Carsten Landner an. Er war ebenfalls Kunsthistoriker. Aber die Unterschiede sowohl im Auftreten als auch im äußeren Erscheinungsbild konnten gegensätzlicher kaum sein. Breitschultrig und mitunter ungehobelt stapfte Landner durch die Welt der Schönen Künste und verbarg hinter seiner brüsken Art einen feinen Sinn für kunstwissenschaftliche und ästhetische Aspekte. Öffentliche Auftritte mied er, sie lagen ihm nicht. Folgerichtig hatte er eine Tätigkeit im Museumsarchiv gewählt und agierte eher im Hintergrund. Unter anderem beriet er Restauratoren. Nebenher verfasste er Beiträge in Kunstfachzeitschriften, so auch vor ein paar Jahren einen Artikel über das Frühwerk von Picasso. Hin und wieder wurde Carsten Landner um Expertisen gebeten. Dabei tat er sich besonders schwer und benötigte wegen seiner Akribie und Ausführlichkeit bei der Erstellung der Gutachten jede Menge Zeit. Der Aufenthalt in Museen war eine Leidenschaft von ihm. Nicht selten fing er dann die verstohlenen Blicke anderer Besucher auf, aus denen er dann las: Siehe da, sogar dieser Klotz interessiert sich für Kunst.

In der Kunsthalle der SüdBank war Carsten Landner nur ein einziges Mal.

„Uta, du vergeudest Mühe, Zeit und auch deine Gefühle an diesen selbstgefälligen Galan“, waren seine Worte. Auch wenn sie sich an die knarzige und direkte Art schon längst gewöhnt hatte und den fachlichen Rat zu schätzen wusste, so hatte sie ihm diese unerbetene Meinungsäußerung damals sehr übelgenommen. Im Gegensatz zu Kai Wenderick fehlten ihm jeglicher Charme und die Geschmeidigkeit in den Umgangsformen. Und so war es eine Selbstverständlichkeit, dass es zwischen ihr und Dr. Carsten Landner nie mehr als eine kollegiale Freundschaft gab und geben würde.

Nachdem Uta Ruland ihm in kurzen Worten die Sachlage geschildert hatte, ätzte er sofort: „Das kann nicht sein. Woher kennst du diesen Vogel, der dir da einen Picasso unterjubeln will?“

Uta holte erst einmal tief Luft, bevor sie klarstellte: „Er saß im Seniorenkolleg und trat nach der Vorlesung an mich heran. Und außerdem will er mir nichts unterjubeln, sondern hat mich nur um meinen Rat gebeten.“

„Hm, anschauen kann ich mir die Zeichnung ja mal.“

Sie hatte nicht vor, Kai Wenderick über die potenzielle Neuentdeckung zu informieren. Wenn es sich tatsächlich um einen echten Picasso handelte, bliebe genügend Zeit, es ihm zu sagen. Garantiert wäre er an einem Ankauf interessiert. Er war immer so ungeduldig und fordernd. Auch ihr gegenüber. Dass sich aus ihrer beider Zusammenarbeit in der Kunsthalle eine intime Beziehung ergab, war ihrerseits nie vorgesehen. Doch seine Aufmerksamkeit und Bewunderung stärkten damals nach der Scheidung ihr Selbstwertgefühl und halfen ihr aus einer persönlichen Krise. Fünf Jahre war das nun her, und fast ebenso lange waren Kai Wenderick und sie ein Paar. Er war verheiratet, und die Mitarbeiter der SüdBank wussten, dass sie seine Geliebte war. Womöglich hatte es sogar seine Frau erfahren. Aber von einer Scheidung war nie die Rede. Und Uta Ruland war dies recht.

Sie riss sich aus ihren Gedanken und studierte eingehend die Fotografien, die ihr Herr Dr. Niermeyer überlassen hatte.

Sie trafen sich in Landners Archivräumen. Diese lagen im Untergeschoss des Museums und waren hell und freundlich ausgestattet. Carsten Landner führte Estrella, Sascha und Uta Ruland zu einer geräumigen Nische, in deren Mitte ein großer runder Tisch mit sechs Stühlen stand. Ächzend ließ er sich auf einem davon nieder. Links von ihm nahm Uta Ruland Platz, Estrella ließ den Stuhl neben Landner frei, legte ihre Tasche darauf und wählte den nächsten. Ihm gegenüber saß Sascha. Es war offensichtlich, dass der Kunsthistoriker in dieser Runde die Gesprächsführung übernehmen und im Spannungsfeld zwischen ihm und Sascha die Erörterung stattfinden würde. Wie zwei gegnerische Parteien saßen sie sich gegenüber.

Landner eröffnete die Runde. „So, nun zeigen Sie uns mal das gute Stück.“ Estrella holte das sorgfältig verpackte Buch aus ihrer Tasche und legte es vor Landner auf den Tisch. Gleichmütig griff er danach und schlug es auf. Nach kurzem Blättern fand er die Seite und betrachtete ein paar Augenblicke lang die Zeichnung.

„Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass sie tatsächlich von Picasso sein könnte?“ Er klang desinteressiert.

„Wir sind keineswegs sicher, dass sie wirklich von Picasso ist“, entgegnete Sascha. „Aber immerhin ist die Zeichnung mit seinem Namen signiert.“

Landner unterbrach ihn. „Das sehe ich selbst.“

Sascha überhörte die brüske Bemerkung und fuhr fort: „Ausschlaggebend für die Vermutung, dass sie wirklich von ihm sein könnte ist der Umstand, dass Frau Cardonas Urgroßmutter im Alter von neunzehn Jahren kurzzeitig mit einem jungen Maler befreundet war. Viele Jahre später, als die Affäre fast in Vergessenheit geriet, fiel ihr das Buch mit der Zeichnung wieder in die Hände.“ Er hielt inne und schaute Estrella an. Sie verstand seine stumme Aufforderung.

„Meine Urgroßmutter zeigte das Buch später ihrer Tochter, also meiner Großmutter. Und die bewahrte es auf. Aber dann ist sie in eine Seniorenresidenz gezogen, und sie gab mir das Buch. Und jetzt möchte ich gerne wissen, ob die Zeichnung wirklich von Picasso ist. Ich weiß noch nicht, ob ich das Buch verkaufen werde. Es ist ein Andenken an meine Urgroßmutter und gehört zur Familie.“

Während Estrella sprach, hatte Sascha Gelegenheit, die beiden so unterschiedlichen Frauen zu beobachten. Altersmäßig lagen sie vermutlich nicht weit auseinander. Uta Ruland schätzte er auf Anfang fünfzig, Estrella war siebenundvierzig, das wusste er. Aber in ihrem Äußeren und ihrem Naturell waren sie grundverschieden. Estrellas dunkle Augen sprühten vor Energie, wenn sie sprach, und ihre Worte unterstrich sie mit lebhaften Gesten. Die Lippen hatte sie in einem leuchtenden Rotton geschminkt, im gleichen Farbton waren ihre Fingernägel lackiert. Sie trug eine knallgelbe Jacke, die in reizvollem Kontrast zu ihrem dunklen Teint stand. Estrella war nicht zu übersehen, sie fiel sofort auf. Sascha überlegte, an wen sie ihn erinnerte. Ja, jetzt fiel es ihm ein: an die Schauspielerin Penélope Cruz. Sein Blick glitt hinüber zu Uta Ruland. Die leicht gewellten Haare trug sie hochgesteckt, nur zwei, drei Strähnen hatten sich gelöst und fielen in ihre Stirn und seitlich an den Schläfen herunter. Die Brille lag vor ihr auf dem Tisch. Ohne sie wirkten ihre aparten Gesichtszüge weicher, weniger streng. Im Gegensatz zu Estrella war sie dezenter geschminkt. Sie trug einen zarten Lidschatten, der perfekt zu ihren graublauen Augen passte. Auf die Lippen hatte sie einen mattroten Ton aufgetragen. Neben dem kräftigen Carsten Landner wirkte sie grazil, fast zerbrechlich. Das dunkle kurzärmelige Kleid schmeichelte ihrer Figur. Dazu trug sie eine silberne Kette mit einem filigranen Anhänger in orientalisch anmutendem Design und schmale, ebenfalls silberfarbene Armreifen.

Landners Stimme riss Sascha aus seinen Betrachtungen. „Wenn ich mal zusammenfassen darf: Sie möchten also wissen, ob die Zeichnung von Picasso ist, aber an einem Verkauf sind Sie nicht unbedingt interessiert.“

„Sie haben mich verstanden“, erwiderte Estrella ebenso knapp, aber mit einem Lächeln.

Gelassen richtete Landner seinen Blick auf Sascha. „Welches Interesse haben Sie eigentlich an der ganzen Angelegenheit? Ich gehe davon aus, dass Sie nicht zu Frau Cardonas Familie gehören.“

Über diese direkte Frage, aus der er unmissverständlichen Argwohn und Ironie heraushörte, war er sichtlich irritiert. Doch bevor er eine passende Antwort fand, schoss Estrella zurück: „Nein, er gehört nicht zur Familie. Warum wollen Sie das wissen? Ist es wichtig?“

Landner ignorierte ihre Attacke und erklärte zum Abschluss des Gesprächs: „Wenn Sie ein Gutachten wollen, müssen Sie mir das Original für mindestens eine Woche überlassen. Hier im Tresor ist es sicher aufbewahrt. Ich stelle Ihnen selbstverständlich eine Empfangsbestätigung aus.“

Damit waren Estrella und Sascha einverstanden. Nach der Übergabe geleitete Landner die beiden hinaus. Er selber kehrte zu Uta Ruland zurück.

„Und, was meinst du?“ Sie trug ihre Brille, die sie ein wenig streng aussehen ließ und schaute ihn erwartungsvoll an. Carsten Landner ließ sich mit der Antwort Zeit.

„Abgesehen von der schrillen Dame und ihrem arroganten Begleiter halte ich das plötzliche Auftauchen eines bis dahin unbekannten Picasso für sehr unwahrscheinlich. Aber ausgeschlossen ist es natürlich nicht. Das Bild erinnert mich übrigens sehr stark an eine Zeichnung, die er in Tusche und Aquarell gefertigt hat.“ Landner stemmte sich ächzend aus dem Stuhl und trottete zu einem der langen Regale. Als er zurückkam, hielt er einen umfangreichen Bildband in den Händen. Er blätterte zielgerichtet darin und stieß bald auf die gesuchte Seite.

„Hier, Liegender weiblicher Akt, Picasso zu seinen Füßen, 1902/1903.“

Beide schauten auf das bekannte Bild, und Uta Ruland meinte: „Sollte er tatsächlich, bevor er diese Tuschezeichnung angefertigt hatte, ein fast identisches Bild in das Buch von Frau Cardonas Urgroßmutter gezeichnet haben? Oder hat er sie gar selbst dargestellt?“

Landner zuckte mit den Schultern. „Wie gesagt: Ausgeschlossen ist es nicht. Dann hätte er allerdings eine sehr intime Beziehung zu ihr gehabt. Aber Picasso war ja bekanntermaßen kein Kostverächter. Vielleicht war die Urgroßmutter tatsächlich seine Geliebte. Ich werde die Zeichnung genauer untersuchen.“ Mit diesen Worten erhob er sich. Die Unterredung war für ihn beendet.

Unweit des Museums saß Norbert an einem der kleinen Tische vor dem Selbstbedienungscafé und sah auf die Uhr. Er wartete auf Estrella. Sie würde bald kommen und ihm berichten, wie das Gespräch verlaufen war. Und hoffentlich ohne Sascha. Es war nicht auszuschließen, dass er sich im letzten Moment an sie dranhängen würde. Nein, sie kam allein. Mit einem strahlenden Lächeln schritt sie auf ihn zu, warf ihre Tasche auf den Stuhl und küsste ihn auf die Wange.

„Oh, mein Lippenstift hinterlässt Spuren!“ Lachend versuchte sie, das Rot zu entfernen, aber beide Wangen wurden noch röter. Dann nahm sie ihm gegenüber Platz. „Puh, das war anstrengend! Ich kam mir vor wie bei einer Prüfung.“

„Was darf ich dir bringen? Ein Mineralwasser und einen Kaffee, oder lieber einen Cappuccino?“

„Muchas gracias, einen Cappuccino bitte.“

Dann schilderte Estrella temperamentvoll und gestenreich den Hergang der letzten Stunde. Verstohlen schaute sich Norbert um. Die Gäste vom Nachbartisch waren gegangen, und der nächste Tisch lag weit genug entfernt.

„Dann bleibt uns momentan nichts anderes übrig, als auf Herrn Dr. Landners Gutachten zu warten“, fasste er Estrellas Bericht zusammen. Mit einem leisen Aufschrei schaute sie auf ihre Uhr.

„Musst du zur Flaschenannahme?“

„Nein, ich bin aufgestiegen, ich räume Regale ein.“ In ihren Worten schwang eine Spur Ironie mit.

Beide erhoben sich, und Norbert stand ihr etwas verlegen gegenüber. Aber diesmal legte sie die Fingerspitzen auf ihre Lippen und deutete den Kuss nur an.

„Ich will Christa nicht eifersüchtig machen“, erklärte sie lachend, nahm ihre Tasche und eilte mit federnden Schritten davon. Einen Augenblick lang schaute er ihr nach.

Holger holte aus dem Kühlschrank für jeden eine Flasche Bier. Er und Norbert saßen noch nicht lange, als es klingelte und gleich darauf Sascha sein Rennrad in den Flur schob. Zu dessen kurzer Schilderung des Treffens in Landners Archivräumen schwieg Norbert wohlweislich.

„Und wenn er nun zu dem Schluss käme, dass die Zeichnung nicht von Picasso sein kann?“, waren Holgers Bedenken.

Sascha zuckte nur mit den Schultern. „Das wäre dann seine ganz persönliche Meinung. Ich könnte mir vorstellen, dass Uta Ruland die Fotos trotzdem Wenderick zeigen würde.“

Eine Weile diskutierten sie darüber, welche Konsequenzen das Gutachten von Landner haben könnte, vor allem, wenn sein Urteil vernichtend ausfiele.

„Letzten Endes haben wir sowieso keinen Einfluss darauf, wen Frau Ruland als Fachmann hinzuzieht. Und im Falle einer Expertise wäre unsere Zeichnung dann gewissermaßen geadelt, sozusagen über jeden Verdacht erhaben“, resümierte Sascha. Dem stimmten die Freunde zu. Nach einer weiteren halben Stunde verabschiedeten sie sich.

Es war bereits nach zwanzig Uhr, als Norbert in Erwartung neuer Vorwürfe die Wohnungstür aufschloss. Christas Dienst war längst beendet, sie müsste demnach zu Hause sein. Aber die Wohnung war leer. Als er das Wohnzimmer betrat, blinkte ihm die kleine Leuchte am Telefon entgegen. Auf dem Anrufbeantworter hatte sie eine Nachricht hinterlassen. Sie teilte ihm mit, dass sie sich gleich nach dem Dienst mit zwei ehemaligen Schulfreundinnen treffen würde. Er solle nicht auf sie warten.

 

14. Entgegen aller Vernunft

Die Picasso-Zeichnung erwähnte sie mit keiner Silbe, als Kai Wenderick diesen Abend bei ihr verbrachte. Bevor Uta Ruland nicht das Gutachten von Carsten Landner hätte, würde sie die vermeintliche Neuentdeckung für sich behalten. Zudem hatte sich die Spanierin bezüglich eines Verkaufes nur vage geäußert. Wenn sie sich denn überhaupt von dem Buch trennen wolle, so hatte sie in dem Gespräch mit Landner zu verstehen gegeben, käme nur eine Auktion in Betracht. Uta Rulands Absicht war, genau das zu verhindern. Die Gebote könnten eine Höhe erreichen, die Kai Wendericks Mittel aus dem Fonds der Kunsthalle bei weitem überstiegen. Der Kreis der Sammler und finanzstarken Kaufinteressierten war zu groß.

Uta Ruland erkannte die einmalige Chance, Einfluss auf die Entscheidung der Spanierin zu nehmen und Kai somit die Gelegenheit zum Kauf einer bis dahin unbekannten Picasso-Zeichnung zu geben. Es fiel ihr sichtlich schwer, ihm gegenüber zu schweigen. Uta war bei ihren Überlegungen hin und hergerissen, und Kai Wenderick hatte ihre Unruhe bemerkt.

„Was ist denn los mit dir? Du bist mit deinen Gedanken ganz woanders, jedenfalls nicht bei mir.“

Am nächsten Morgen, Kai hatte sich wie immer schon vor Mitternacht von ihr verabschiedet, hielt sie es nicht mehr länger aus. Am Frühstückstisch holte sie ihr Handy heraus und wählte Carsten Landners Nummer.

„Und? Hast du dir schon eine Meinung gebildet?“ Offensichtlich hatte sie ihn geweckt. Denn noch mürrischer, als es ohnehin seine Art war, knurrte er etwas ins Telefon. Es klang wie „keine Geduld“ und „in Ruhe recherchieren“.

Nach einer halben Stunde rief er zurück. „Du kannst im Laufe des Tages mal vorbeikommen.“

Zwei Stunden später saß sie bei ihm am Tisch. Das Buch lag aufgeschlagen vor ihnen.

„Wir wollen die Sache mal gemeinsam durchgehen.“ Landner griff zur Lupe. „An der Linienführung ist nicht viel auszusetzten.“

„Nicht viel?“ Sie klang enttäuscht.

„Du siehst vielleicht selber, dass an einigen Stellen ein leichtes Zögern beim Federstrich, eine Unsicherheit zu erkennen ist, aber nur ein wenig, so dass es für das bloße Auge kaum sichtbar ist. Das Papier ist stimmig, das Buch stammt aus einer Zeit um 1900 und wurde in Barcelona gedruckt. Generell ist es bei Zeichnungen schwierig, den genauen Zeitpunkt des Entstehens zu bestimmen. Diese hier könnte auch viel später und nachträglich in das Buch gezeichnet worden sein. Aber das wäre schwer nachzuweisen. Um eventuelle Unstimmigkeiten und Widersprüche herauszufinden, müssten Partikel der Tusche und der Aquarellfarbe zu einer Analyse geschickt werden. Das dürfte allerdings sehr kompliziert, wenn nicht gar unmöglich werden. Ich hatte übrigens Telefonate mit den Picasso-Museen in Barcelona und Antibes geführt. In Picassos Werkverzeichnis wird die Zeichnung jedenfalls nicht genannt. Doch damit war ja ohnehin nicht zu rechnen. Um es kurz zu machen: Alles in allem habe ich kein gutes Gefühl, Uta. Letztendlich haben wir nur die Schilderung der Katalanin; und auf deren Worte können wir uns nicht verlassen. So eine Provenienz ist schnell ausgedacht und müsste in jedem Fall bewiesen werden. Aber wie sollte das geschehen? Bliebe also außer einer fraglichen Materialanalyse noch der stilistische Vergleich. Auf jeden Fall handelt es sich um eine gutgemachte Zeichnung. Sie sieht aus wie von Picasso, aber irgendetwas ist unstimmig“, schloss Carsten Landner seine Erklärung und hob bedauernd die Schultern. „Tut mir leid, Uta, ich kann die Echtheit nicht bestätigen und verlange auch kein Honorar für meine Aufwendungen. Du musst nun selbst entscheiden, was du machen wirst. Ich an deiner Stelle würde keine weitere Zeit darauf verschwenden.“ Für ihn schien die Sache damit erledigt. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah Uta abwartend an. Wie zu erwarten war sie enttäuscht. Und unzufrieden.

„Danke erst einmal für deine Mühe, Carsten.“ Er nickte nur und stand auf.

„Die Dame kann ihr Buch wieder abholen. Sie soll aber nicht vergessen, die Empfangsbestätigung wieder mitzubringen.“

Am Nachmittag saßen Sascha und Estrella in Uta Rulands Dienstzimmer. Schon an deren bedauernder Miene erkannten sie, dass es nichts Erfreuliches wäre, was sie ihnen gleich mitteilen würde.

„Wie ich schon befürchtet hatte, ist die Angelegenheit nicht so einfach. Herr Dr. Landner ist nicht gewillt, eine Expertise auszustellen. Sie können jetzt entscheiden, ob sie weiterrecherchieren oder die Angelegenheit auf sich beruhen lassen wollen.“

Soweit zu unserem Plan, waren Saschas Gedanken. Laut gab er zu bedenken: „Aber immerhin geht es um sehr viel. Ich könnte mir vorstellen, dass ein bis dahin unbekannter Picasso viel Aufmerksamkeit und auch Interessenten finden würde.“

„Und was ist mit der Provenienz? Das Buch war im Besitz von meiner Großmutter, sie wird es bestätigen.“

Uta Ruland schaute beide nachdenklich an. Nach ein paar Augenblicken hatte sie sich entschieden.

„Glauben Sie, wir könnten ihre Großmutter in Barcelona mal aufsuchen?“ Sofort befürchtete Estrella, dass sie mit „wir“ Kai Wenderick einschloss. Aber Uta Rulands nächste Bemerkung beruhigte sie etwas. „Und es wäre nicht verkehrt, wenn Herr Dr. Landner uns begleiten würde.“

Sascha und Estrella baten sich Bedenkzeit aus.

Am Abend besprachen die Freunde wieder in Holgers Küche das weitere Vorgehen.

„Ich sehe es als gutes Zeichen, dass sich Frau Ruland jetzt vor Ort erkundigen will. Aber wie wird Estrellas Großmutter wohl reagieren, wenn sie nach dem Buch gefragt wird?“

„Sie wird es erkennen. Ich hatte ihr das Buch schon gezeigt“, meinte Estrella zuversichtlich.

„Und was ist mit der Zeichnung? Die kann sie ja noch gar nicht gesehen haben.“

„Sie wird sí sí sagen und lächeln.“

Man wurde sich einig, einem baldigen Besuch zuzustimmen. Außer Estrella würde auch Sascha mit nach Barcelona fliegen.

Kurz vor zwanzig Uhr betrat Norbert die Wohnung.

„Ich frage mich wirklich, wo du dich den ganzen Nachmittag herumgetrieben hast. Mindestens fünfmal habe ich versucht, dich zu erreichen. Und dein Handy war natürlich wieder ausgestellt“, empfing ihn Christa vorwurfsvoll.

„Jetzt bin ich doch da. Was wolltest du mir denn sagen?“

„Ich konnte heute mal zeitiger gehen und hätte gerne mit dir einen Kaffee getrunken. Aber das hat sich ja nun erledigt. Das kommende Wochenende werde ich übrigens zu meiner Schwester fahren. Wie ich dich kenne, willst du sowieso nicht mit.“

„Stimmt.“ Ihre Schwester hatte er noch nie gemocht. „Brauchst du das Auto?“, fragte er vorsichtig.

„Nein, ich fahre mit dem Zug.“

Am darauffolgenden Samstagvormittag rief er Estrella an. Umständlich schlug er vor, mit dem Auto einen Ausflug zu unternehmen.

Sie schwieg einen Augenblick und entgegnete dann etwas verlegen: „Das ist sehr lieb gemeint von dir, Norbert, aber ich bin mit zwei Kommilitoninnen.“

Na klar! Wie konnte er auch nur für einen Moment annehmen, dass die temperamentvolle Katalanin an diesem Wochenende nichts Besseres vorhätte, als mit ihm durch die Gegend zu fahren! Und gar, dass sie Ähnliches für ihn empfände, wie er für sie. Enttäuscht nahm er ihre Erklärung zur Kenntnis. Im Nachhinein war ihm sein Vorschlag peinlich. Da diesmal weder Sascha noch Holger Zeit für ihn hatten, vertrödelte Norbert den Samstag in der Wohnung. Für einen Augenblick war er drauf und dran, Christas Schwester anzurufen, um ihr mitzuteilen, dass er nachkäme. Aber dann verwarf er die Idee wieder, im Grunde genommen war ihm nicht danach. Die ewig gleichen Gesprächsthemen und die unerquicklichen Diskussionen war er leid.

Momentan konnte er sich selbst nicht ausstehen. Das ganze Wochenende empfand er als öde und enttäuschend. Immer wieder dachte er an Estrella. Er war eindeutig, aber leider unglücklich verliebt.

 

15. Zurück in Barcelona

Estrella und Sascha betraten die große Schalterhalle des Flughafengebäudes und schauten sich um. Da erblickten sie Uta Ruland und neben ihr, nicht wie erwartet, Carsten Landner, sondern Kai Wenderick! Auf der Stelle kehrte Estrella um. Sascha folgte ihr.

„Ich kann nicht mitfliegen! Was mache ich jetzt?“

„Keine Panik. Zum Glück haben sie uns noch nicht gesehen. Ich gehe jetzt alleine hin und sage ihnen, dass du den Flug kurzfristig stornieren musstest, ohne Begründung. Das geht sie nichts an.“

„Ja, aber was wird aus dem Besuch bei meiner Großmutter?“

Sascha beruhigte sie: „Ich weiß doch, wo sie wohnt, und sie hat mich bereits kennengelernt. Als hätten wir’s geahnt! Nur gut, dass du mich der Leiterin vorgestellt hast. Ich werde ihr sagen, dass du leider verhindert bist.“

„Aber meine Großmutter wird dich nicht erkennen!“

„Das lass mal meine Sorge sein, Estrella. So, ich muss los. Wir müssen uns jetzt verabschieden.“

Sorgenvoll und verwirrt blieb sie zurück, während Sascha mit einem freundlichen Lächeln auf das Paar zuging. Er begrüßte zuerst Uta Ruland.

„Nun kommt leider alles anders! Viele Grüße von Frau Cardona, bei ihr kam bedauerlicherweise etwas dazwischen. Aber ich denke, ich kann vor Ort ebenso alles regeln.“ Dann wandte er sich Wenderick zu, und Uta stellte ihn vor.

„Mein Kollege, Herr Dr. Landner, kann ebenfalls nicht mit“, erklärte sie. „Dafür begleitet mich Herr Wenderick. Er hat ein paar Tage freigenommen und möchte Barcelona kennenlernen. Ich nehme an, dass neben dem Dienstlichen auch für mich noch ein wenig Zeit für private Besichtigungstouren bleibt.“

Mit einem betont festen Händedruck schüttelte Sascha ihm die Hand. Wendericks Anwesenheit verunsicherte ihn. Er wusste nicht, inwiefern Uta Ruland ihn zwischenzeitlich doch über die Zeichnung unterrichtet hatte. Als er mit ihr einen Moment allein war, fragte er sie danach.

„Nein, ich habe ihm noch nichts davon gesagt. Bevor die Sache nicht hieb- und stichfest ist, bleibt es unter uns. Außerdem möchte ich ihn vor voreiliger Euphorie bewahren. Wenn wir morgen in die Seniorenresidenz fahren, wird er also nicht dabei sein. Aber ein Dolmetscher wird uns begleiten.“

Für einen Moment fühlte sich Sascha überrumpelt. Doch was hatte er denn erwartet? Selbst wenn er Spanisch spräche, würde sie weder ihm noch Estrella vertrauen.

Das Hotel, in dem sie untergebracht waren, erwies sich als eine Klasse besser als das vorige im Eixample und lag zudem zentrumsnah, ein weiterer Vorteil. Von seinem Hotelzimmer aus rief er bei der Seniorenresidenz an und meldete den morgigen Besuch bei Frau Valentina Zafón, Estrellas Großmutter, vorsichtshalber an. Eine unnötige Aktion, wie sich gleich darauf herausstellte, denn Estrella hatte dies bereits getan. Sie hatte mit der Leiterin telefoniert und außerdem mitgeteilt, dass sie selbst leider verhindert sei.

Zum Abendessen saßen sie zu dritt in einem noblen Restaurant auf der Rambla. Sascha fühlte sich unwohl. Die Zweisamkeit der beiden wollte er nicht stören, aber Kai Wenderick hatte darauf bestanden, den Abend gemeinsam zu verbringen.

Das Gespräch verlief unerwartet locker und im besten Einvernehmen. Sascha musste sich eingestehen, dass er Wenderick keineswegs unsympathisch fand. Fast gegen seinen Willen entdeckte er Gemeinsamkeiten und ähnliche Interessen. Und vergebens versuchte er, sich Wenderick als aufdringlichen Macho oder gar gewaltbereiten Typen vorzustellen. Es gelang ihm nicht. Zudem sprach gegen diese Vorstellung, dass die feinsinnige, zurückhaltende Uta Ruland mit ihm mehr als nur befreundet war.

Nach dem reichlichen Abendessen, dem exzellenten Wein und einem Absacker an der Hotelbar waren Sascha und Kai Wenderick plötzlich beim Du. Er wusste nicht so recht, was er davon halten sollte und befürchtete für einen Augenblick, dass sich bei ihm durch die unerwartete Vertrautheit Skrupel bei der Durchführung seines Planes einstellen könnten. Aber diese Befürchtung und die Sorge vor dem morgigen Besuch in der Seniorenresidenz verdrängte er und kam erst spät in der Nacht und leicht beschwipst auf sein Zimmer. Dort entschied er sich gegen ein weiteres Bier aus der Hausbar, duschte und legte sich ins Bett. Der Alkohol zeigte seine Wirkung, denn schon nach wenigen Minuten fiel er in einen unruhigen Schlaf.

Am nächsten Morgen betrat Sascha kurz nach neun Uhr den Frühstücksraum des Hotels. Uta Ruland und Kai Wenderick saßen an einem Vierertisch.

Kai winkte ihn sofort heran und bot ihm den Platz neben sich an. „Na, Sascha, was hast du heute schönes vor?“

„Ach, nichts Aufregendes, zu einer alten Dame, etwas abklären“, antwortete er ausweichend.

„Immerhin interessant genug, dass Uta dich dabei begleiten möchte.“ Und zum ersten Mal bekam Sascha eine Vorstellung von Wendericks autoritärem Auftreten und einer Neigung zu Jähzorn. Seine Kiefermuskeln waren angespannt und ließen ihn für eine Sekunde abweisend und berechnend erscheinen. Mit kühlem Blick sah er Sascha an. Aber ebenso plötzlich, wie die Härte in seine Miene trat, entschwand sie wieder. In einem harmlosen, verbindlichen Plauderton brachte er das Gespräch auf ein neutrales Thema.

Nach dem Frühstück brachen Sascha und Uta Ruland in Richtung des Hafens zu der Seniorenresidenz auf. Am Eingang des Gebäudekomplexes kam ein junger Mann auf sie zu und stellte sich vor. Es war der Dolmetscher. Mit gemischten Gefühlen folgte Sascha den beiden und meldete sich bei der Leiterin der Station.

Sie erkannte ihn sofort wieder. „Frau Zafón erwartet sie bereits. Sie wird sich freuen“, ließ sie über den Dolmetscher mitteilen und führte die drei Besucher zum Zimmer. Estrellas Großmutter saß sorgfältig gekleidet und frisiert in ihrem Sessel. Mit einem Lächeln gab Uta Ruland der alten Dame die Hand und überreichte ihr einen Blumenstrauß und eine Schachtel Pralinen. Beschämt gestand sich Sascha ein, dass er an ein Geschenk gar nicht gedacht hatte. Nach ein paar Höflichkeitsfloskeln nahmen die Besucher Platz.

„Viele Grüße von Ihrer Enkelin Estrella“, richtete Sascha aus. Frau Zafón schien ihn sofort zu verstehen, sie nickte erfreut und erwiderte: „Sí“.

Dann kam Uta Ruland auf das eigentliche Anliegen ihres Besuches zu sprechen. „Frau Zafón, wir sind heute auch hier, um uns mit Ihnen über ein Buch und eine Zeichnung zu unterhalten, die bis vor kurzem noch in Ihrem Besitz war.“ Durch deren freundliches Sí, sí ermuntert fuhr sie fort: „Vielleicht könnten Sie uns etwas zur Geschichte des Bildes erzählen.“ Der Dolmetscher übersetzte, und Frau Zafón antwortete mit „Sí.“

Frau Ruland wartete. Als sie nach einem langen Schweigen noch immer keine Antwort erhielt, wiederholte der Dolmetscher die Bitte. Die alte Dame sah ihn mit einem strahlenden Lächeln an und sagte nachdrücklich „sí!“ Irritiert schaute Uta Ruland zu Sascha hinüber.

Der zuckte hilflos mit den Schultern. „Möglicherweise ist ihr Sprachvermögen altersbedingt etwas eingeschränkt, eine Art Aphasie.“

„Davon hatten Sie mir vor der Reise nichts gesagt.“

Sascha hörte aus ihren Worten einen deutlichen Vorwurf heraus und beeilte sich, zu erklären: „Es fiel mir damals, als ich sie kennenlernte, nicht weiter auf. Frau Cardona sprach die meiste Zeit zu ihr.“ Diese Rechtfertigung klang dürftig, das spürte er selbst. Er wusste nicht, ob sie ihm glaubte.

Uta Ruland griff in ihre Handtasche und holte die Fotografien von dem Buch und der Zeichnung hervor und reichte sie Frau Zafón. Als diese das Foto sah, auf dem sie das Buch in ihren Händen hielt, strahlte sie. Auf der nächsten Aufnahme war die Zeichnung in Großaufnahme zu sehen. Auch beim Betrachten dieses Fotos glitt ein wiedererkennendes Lächeln über ihr Gesicht.

„Sie kennen die Zeichnung?“, fragte Frau Ruland.

„Sí, sí“, bestätigte die alte Dame.

„Das Bild gehörte einmal Ihrer Mutter?“ Die Frage stellte sie rein rhetorisch, denn Uta Ruland erwartete keine Erläuterung mehr. Das „sí“ kam überzeugend heraus. Ein letztes Mal versuchte sie es mit einer offenen Frage.

„Von wem ist die Zeichnung ihrer Meinung nach?“ Doch das darauffolgende „sí“ bestätigte nur die Gewissheit, aus Frau Zafóns Mund nichts über die Herkunft des Bildes zu erfahren. Nach ein paar freundlichen Worten wollte sie die Fotos wieder vom Tisch nehmen, aber die alte Dame griff energisch nach der Fotografie mit der Großaufnahme der Zeichnung. Uta Ruland überließ sie ihr und verabschiedete sich. Vor der Tür zahlte sie den Dolmetscher aus, der sich die ganze Zeit mehr als überflüssig vorgekommen war. Sascha gegenüber äußerte sie sich mit keiner Silbe zu dem Besuch. Nachdem sie sich verabschiedet hatte, eilte sie davon.

Nur mit Mühe war es Sascha gelungen, seine Verwunderung und Erleichterung über Frau Zafóns Reaktion zu verbergen. Ihm schien, als hätte sie aus ihm bisher unbekannten Gründen die abgebildete Zeichnung wiedererkannt, und wollte das Foto deshalb als Andenken behalten. Gleich heute Abend würde er Estrella anrufen und fragen, wie es zu dieser wundersamen Reaktion kam.

Kai Wenderick hatte den Vormittag in der Altstadt verbracht und sich vom Menschenstrom erst durch die Ramblas und dann bis hinunter ans Meer, an die Plaja de la Barceloneta, treiben lassen. Er hatte seine Sandalen ausgezogen und grub die Zehen in den warmen Sand. In diesem Augenblick klingelte sein Handy.

„Wo steckst du gerade?“, fragte Uta Ruland.

„Mit beiden Füßen im Sand.“

„Das klingt gut. Wo wollen wir uns treffen?“ Wenderick schaute sich um und sah hinter sich ein Fischrestaurant. Er nannte Uta die Adresse und setzte sich an den Strand. Eine halbe Stunde später war sie bei ihm.

„Na, habt ihr bei der alten Dame alles klären können?“

„Nein, es war wenig hilfreich. Die Angelegenheit ist komplizierter als gedacht. Und wo warst du?“

„Ach, mal hier, mal da, mal irgendwo. Im Urlaub lass ich mich gerne treiben. Von Sightseeing-Touren halte ich nicht viel, Highlights abhaken ist nicht so mein Ding. Ich schau lieber dem Getümmel in den Straßen zu.“

Uta war da anderer Meinung. „Wenn ich mit dir schon mal in Barcelona bin, möchte ich auch was von der Stadt sehen“, ließ sie ihn wissen. „Heute Nachmittag besuche ich übrigens mit Herrn Dr. Niermeyer das Museu Picasso. Kommst du mit?“

„Mit Sascha? Natürlich komm ich mit.“

Zu dritt schlenderten sie durch die Ausstellungsräume und schauten sich das eine oder andere Gemälde genauer an. Aber Sascha und Uta zog es zu den Räumen, in denen die Graphiken und Zeichnungen hingen.

Um die Bilder zu schonen, war die Beleuchtung gedimmt. Plötzlich blieb Sascha stehen. In einem schmalen Rahmen hing die Zeichnung „Liegender weiblicher Akt, Picasso zu seinen Füßen“ in Tusche und Aquarell. Er bemühte sich gar nicht erst, sein Interesse zu verbergen. Bei dem letzten Besuch vor ein paar Wochen war er achtlos an dem Bild vorbeigegangen und kannte es daher nur aus dem Bildband von Picassos Frühwerken. Jetzt sah er es im Original. Nachträglich bewunderte er Holgers Fertigkeit. Die Ähnlichkeit seiner Zeichnung mit dem echten Picasso hier im Museum war augenfällig. Uta empfand das wohl ebenso. Beide wechselten einen kurzen Blick. So nah wie möglich trat sie heran, damit ihr kein Detail entging. Dann trat sie wieder zurück und betrachtete die Zeichnung aus größerem Abstand. Kai Wenderick hatte sie dabei beobachtet.

„Na, du suchst wohl schon was Neues für unsere nächste Ausstellung in der Kunsthalle?“, zog er Uta auf. Sie erwiderte sein Lächeln und lief rasch weiter. Sascha fieberte danach, mit ihr allein zu sprechen. Wenn Kai doch schon mal in den nächsten Raum vorausgehen würde! Aber er blieb stur an ihrer Seite. Nach zwei Stunden begaben sie sich ins Museumscafé. Als Kai nach freien Plätzen suchte, nutzte Sascha die Gelegenheit.

„Die Ähnlichkeit der beiden Zeichnungen ist doch frappierend, nicht wahr?“ Uta Ruland nickte. „Darf ich fragen, ob Sie bereits zu einem Ergebnis nach dem Gespräch mit der alten Dame gekommen sind?“

„Gespräch ist gut“, meinte sie trocken. „Es war wohl eher ein Monolog, sí? Aber die Zeichnung schien sie sofort wiedererkannt zu haben.“

„Ja, das Gedächtnis funktioniert offensichtlich noch gut.“ In diesem Moment winkte Kai sie an einen freigewordenen Tisch heran.

Nachdem sie ihre Bestellungen abgegeben hatten, kündigte er an, am Abend das Cordobés, ein beliebtes Restaurant mit Flamencoaufführungen zu besuchen.

„Und danach vielleicht noch in eine Bar. Kommst du mit?“, fragte er an Sascha gewandt. Utas Zustimmung setzte er voraus. Aber Sascha winkte ab. Er hatte keine Lust darauf, ein weiteres Mal im Schlepptau der beiden den Abend zu verbringen. Momentan hatte er nur einen Wunsch: so bald wie möglich mit Estrella zu telefonieren.

Nach einer halben Stunde verließen sie das Café, und Sascha verabschiedete sich. Er wollte in Ruhe nachdenken, wie es nun weiterginge. Seine Mission hier in Barcelona war im Prinzip erfüllt, daher spielte er mit dem Gedanken, zwei Tage früher zurückzufliegen. Was sollte er hier alleine in der Stadt? Zu blöd, dass Kai Wenderick mitgekommen war und Estrella deshalb Hals über Kopf absagen musste. Er zückte sein Handy und versuchte, sie zu erreichen. Aber sie nahm den Anruf nicht entgegen.

Erst spät am Abend, als er in einem Strandrestaurant am Platja de Bogatell saß, rief sie zurück.

„Hallo Sascha! Wo bist du gerade? In der Altstadt? Nein, lass mich raten, du bist am Meer.“ Er bestätigte es. „Aber du bist nicht allein?“

„Natürlich nicht. In Barcelona ist man scheinbar nie und nirgends alleine. Uta Ruland und Wenderick sind nicht in der Nähe, wenn du das meinst.“

Estrella lachte etwas gequält. „Aber erzähle, wie ist es gelaufen in der Seniorenresidenz?“, erkundigte sie sich.

„Frau Dr. Ruland war ziemlich verärgert, dass sie als Antwort nur sí, sí zu hören bekam.“

„Ah, das habe ich befürchtet. Und sonst?“ Verstohlen schaute Sascha sich um. Die Tische waren alle besetzt, und so senkte er vorsichtshalber die Stimme. Er stellte ihr die Frage, die ihn die ganze Zeit beschäftigte.

„Woher kennt deine Großmutter eigentlich die Zeichnung? Sie hat sie eindeutig wiedererkannt.“ Gleich darauf hörte er Estrellas übermütiges Lachen.

„Gestern habe ich eine E-Mail mit dem Foto von der Zeichnung an die Seniorenresidenz geschickt. Ich habe die Leiterin gebeten, es meiner Großmutter zu zeigen.“

„Du hast ihr hoffentlich nichts Näheres erzählt?!“

„Nein, nein! Nur dass drei Leute kommen und mit ihr sprechen wollen, über das Bild.“

Sascha holte tief Luft. Aber Estrellas Plan hatte eindeutig funktioniert. „Trotzdem: In Zukunft bitte keine unbesprochenen Sachen mehr, Estrella, und nichts im Alleingang! Du hättest mich vorher darüber informieren müssen.“

Statt einer Antwort seufzte sie: „Ach, Sascha, ich wäre jetzt so gerne in Barcelona.“

„Das wäre mir auch sehr viel lieber. Was soll ich jetzt hier alleine mit den verbleibenden Tagen anfangen?“

Was er zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Später würde er bedauern, dass sie so schnell vergingen.

 

16. Sascha und Uta Ruland

Am nächsten Morgen sah er Uta Ruland und Kai Wenderick nicht im Frühstücksraum. Erst als Sascha sich das zweite Mal am Frühstücksbuffet bedient und wieder Platz genommen hatte, betraten sie den Raum. Sie steuerten auf seinen Tisch zu. Und er sah sofort, dass Kai nicht bester Stimmung war. Er wirkte gereizt und übelgelaunt. Sascha vermutete, dass es letzte Nacht recht spät geworden war. Beide sahen übermüdet aus.

„Mein Koffer ist gepackt“, erklärte Kai Wenderick mürrisch.

„Schlechte Nachrichten?“

„Wie man’s nimmt. Auf jeden Fall ist das Taxi schon bestellt.“

„Also geht’s für euch beide heute schon zurück?“, schlussfolgerte Sascha.

„Nein, Uta wollte sowieso nochmal ins Museum und auch einiges besichtigen. Ihr könntet ja was zusammen unternehmen“, schlug er in beiläufigem Tonfall vor. Aber sein Blick und das angedeutete Lächeln besagten: Lass die Finger von ihr.

Nach dem Frühstück und nachdem Kai Wenderick sich von ihm verabschiedet hatte, zog Sascha sich diskret zurück. Während Uta Ruland Kai zum Taxi begleitete, hielt er sich in der Lounge des Hotels auf und blätterte im Reiseführer.

Nach fünf Minuten kam sie auf ihn zu. „Wie sieht es aus, Herr Dr. Niermeyer? Ich gehe nochmal ins Museu Picasso. Hätten Sie Lust, mitzukommen?“

„Bis Mittag sehr gerne. Aber für den Nachmittag wollte ich Sie eigentlich überreden, Barcelonas Hausberg, den Montjuïc zu besuchen. Natürlich nicht zu Fuß, wir würden mit dem Bus fahren. Außer der Zitadelle und der Fundació Miró könnten wir noch den Pavelló Mies van der Rohe besichtigen und dann später auf halber Höhe des Montjuïc vom Plaça de l´ Armada ein Stück mit der Seilbahn bis zum World Trade Center zurückgondeln.“

„Das klingt interessant aber auch sehr anstrengend.“

Im Museu Picasso hielten sie sich nur eine knappe Stunde auf. Diesmal steuerten sie zielgerichtet auf das Bild Liegender weiblicher Akt, Picasso zu seinen Füßen zu und studierten eingehend die Linienführung. Sascha wartete vergebens darauf, dass Uta Ruland sich bezüglich Holgers Zeichnung im Buch und zu deren Ähnlichkeit mit dem Original, vor dem sie standen, äußerte.

Durch die angrenzenden Räume liefen sie zügig, nahmen im Museumscafé ein zweites Frühstück und verließen bald darauf das Gebäude. Für den Nachmittag hatten sie sich viel vorgenommen, aber er gestaltete sich ganz nach Saschas Plan und Vorstellungen.

Erschöpft und pflastermüde saßen sie am frühen Abend in einer Gondel der Hafenseilbahn und glitten von halber Höhe des Berges hinab zum World Trade Center. Wenig später schlenderten sie durch die dichtbevölkerten Gassen der Altstadt. Zum Abendessen fanden sie einen freien Tisch auf der Terrasse eines kleinen Restaurants, unweit ihres Hotels. Uta sah ein wenig abgespannt aus und hatte schon im Vorfeld angekündigt, an diesem Abend nicht lange aufzubleiben. Der gestrige Barbesuch, der sich bis weit nach Mitternacht hingezogen hatte, ließ sie jetzt müde erscheinen.

Vor ihnen stand ein großer Teller mit pa amb tomàquet, den gerösteten, mit Olivenöl und reifen Tomaten bestrichenen Brotscheiben.

„Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass Sie ständig grübeln?“, fragte Sascha lächelnd. „Machen Sie sich Sorgen wegen Kais plötzlicher Abreise?“ Ihn in ihrer Gegenwart beim Vornamen zu nennen, kam ihm seltsam und unpassend vor.

„Nein, das ist es nicht. Ich bin es gewohnt, dass Kai ständig zu dienstlichen Belangen gerufen wird, auch während der wenigen Urlaubstage, die wir gemeinsam verbringen“, erwiderte sie.

„Was ist es dann?“

„Ehrlichgesagt denke ich über die Zeichnung nach. Frau Zafón konnte die Provenienz des Bildes nicht bestätigen. Mit anderen Worten: Die Reise hätte ich mir sparen können.“ Sie klang jetzt vorwurfsvoll und gereizt.

„Von ihrer Demenz wusste ich doch selbst nichts“, versuchte er, sich herauszureden.

„Frau Cardona hätte es mir sagen müssen.“

„Möglicherweise hat sie diese Tatsache einfach verdrängt oder das Ausmaß unterschätzt.“

„Sie vertrauen ihr?“ Für einen Moment war Sascha irritiert.

„Wem? Frau Cardona? Ja natürlich. Aber sie kann sich ja ohnehin nur auf das berufen, was ihr die Großmutter früher einmal erzählt hatte.“ Er fühlte sich in der Defensive.

„Wo lebt eigentlich ihre Mutter?“

Mit dieser Frage hatte er gerechnet. „Sie ist verstorben. Frau Zafón ist die einzige Verwandte, die Frau Cardona noch hat.“ Uta Ruland nickte nachdenklich, und damit schien das Thema erst einmal erledigt. Sascha nahm einen Schluck von dem Quinze Roures, einem katalanischen, im Fass gereiften Weißwein. Der Kellner brachte die Hauptgerichte, für Uta eine Paella und für Sascha eine llangosta amb pollastre, Languste mit Hühnchen. Für ein paar Minuten schwiegen sie und genossen die katalanischen Gerichte. Verstohlen schaute Sascha zu ihr hinüber. Wie ernst sie war. Ob sie ihm misstraute? Und wenn, dann läge sie völlig richtig. Er war ein Betrüger ..., schoss es ihm augenblicklich durch den Kopf.

Uta hatte seinen betroffenen Blick gespürt und deutete ihn falsch. Mit einem versöhnlichen Lächeln erklärte sie: „Meine Bemerkung vorhin war nicht so ernst gemeint. Der Tag heute hat mir gut gefallen. Schon allein deshalb hat sich die Reise für mich gelohnt.“ Augenblicklich durchströmte ihn ein warmes Glücksgefühl, und er vergaß für einen Moment den eigentlichen Grund seines Barcelona-Aufenthaltes. Jetzt genoss er einfach das Zusammensein mit ihr.

„Wenn Sie möchten, besuchen wir morgen die Sagrada Familia und den Parc Güell.“

„Sie kennen sich hier offenbar recht gut aus. Sicher durch Frau Cardona. Sind Sie schon lange mit ihr zusammen?“ Es klang nach einer beiläufigen Frage. Doch ihre Annahme, Estrella und er seien ein Paar, wollte er umgehend richtigstellen. Deshalb erklärte er rasch, dass sie sich durch Estrellas Sprachkurs kennengelernt hätten, aber nur befreundet seien. Dann wechselten sie das Thema und kamen auf den morgigen Tag zu sprechen.

Nach dem Essen entschuldigte sie sich: „Ich würde mich jetzt gerne zurückziehen. In der letzten Nacht habe ich nicht mehr als fünf Stunden geschlafen.“ Sascha gab dem Kellner ein Zeichen. Nach einem kurzen Disput, wer was bezahlen würde, beglich er kurzerhand die Rechnung.

„Warum eigentlich denken Männer immer, dass sie für die Frauen bezahlen müssten?“ Die Frage klang ein wenig herausfordernd.

„In meinem Fall wäre es nur der Versuch einer Wiedergutmachung für den enttäuschenden Großmutterbesuch, sí?“

Jetzt lächelte Uta: „Zumindest die Großmutter schien nicht enttäuscht gewesen zu sein. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich sogar über den Besuch gefreut hat. Insofern gibt es nichts wiedergutzumachen.“

Dann kehrten beide zum Hotel zurück. Für den morgigen Tag verabredeten sie sich für acht Uhr im Frühstücksraum. Ihre Besichtigungstour wollten sie um neun starten.

Wenn er insgeheim befürchtete, der nochmalige Besuch der Sagrada Familie und der Aufenthalt im Park Güell wären eine Wiederholung dessen, was er bereits mit Estrella und den anderen gesehen hatte, so täuschte er sich gründlich. Mit Uta Ruland hatte er eine wahre Kunstkennerin und zudem eine charmante Begleiterin an seiner Seite. Sascha erkannte sofort, dass sie die Bauwerke und deren Geschichte im Vorfeld gründlich studiert und sich hierzu ein umfängliches Hintergrundwissen angeeignet hatte. Sie wies ihn auf gestalterische Elemente und Facetten hin, die er bei dem Besuch vor Wochen trotz Estrellas Erläuterungen übersehen hatte. So war ihm bisher nicht bekannt, dass Gaudí die letzten Monate vor seinem Unfalltod in der Sagrada Familia gelebt hatte, um seinem Werk und der Arbeit nahe zu sein.

Auch den Park Güell sah jetzt mit anderen Augen. Ursprünglich war er als luxuriöser Park mit Gärten und Häusern für das gehobene Bürgertum gedacht, eine Art Altersruhesitz sollte es werden. Doch das Projekt wurde von den wohlhabenden Bürgen rundweg abgelehnt und somit ein Reinfall. Die Nachkommen von Güell verkauften das riesige Gelände später an die Stadt. Heute gehört der Park zum Weltkulturerbe der UNESCO. Jetzt im Nachhinein ärgerte sich Sascha darüber, wie achtlos er damals an der Haupttreppe mit dem Drachen und dem Wasserfall auf der Suche nach Norbert und Christa vorübergeeilt war. Ebenso hatte er nur einen flüchtigen Blick in den Saal der einhundert Säulen und dessen wellenförmige Decke aus Mosaiksteinen geworfen. Doch sie hatten damals anderes im Sinn, versuchte er sich vor sich selbst zu rechtfertigen.

An einem der Kioske am Rande des großen Platzes, der ursprünglich als Forumsplatz gedacht war, kauften Uta Ruland und Sascha Sandwiches und zwei Flaschen Wasser und nahmen in einer Nische auf der langen wellenförmigen Sitzbank Platz.

„Haben Sie bemerkt, dass die Farbigkeit der Mosaikarbeiten von der einen Seite bis zum anderen Ende der Bank hin abnimmt und dann ins Weiß übergeht?“

Sascha schüttelte den Kopf. „Wie sollte ich. Die Bankreihe ist ja immer vollbesetzt. Aber wir könnten die Leute ja bitten, mal kurz aufzustehen.“ Sie lächelte artig über seinen Witz. Dann bissen beide in die pappigen Sandwiches. „Schlechtes Essen – herrliche Aussicht“, witzelte er weiter. Aber sie schwieg und genoss den großartigen Blick über die Stadt, den sie von hier oben hatten.

Hinsichtlich des kärglichen Mittagessens kündigte Sascha an: „Aber heute Abend gehen wir richtig gut essen. Sie sind mein Gast.“

„Das Thema Wiedergutmachung hatten wir bereits gestern abgehakt. Und bestechen lass ich mich erst recht nicht, Herr Dr. Niermeyer“, erwiderte sie streng. Doch an ihren Augen sah er, dass sie es nicht ernst meinte. „Ich schlage vor, wir betrachten das heute Abend als ein gemeinsames Arbeitsessen. Einverstanden?“

„Habe ich eine Wahl?“

„Nein.“

Sascha streckte, nachdem er den letzten Bissen des Weißbrotes mit Mineralwasser heruntergespült hatte, die Beine weit von sich. Er freute sich über den gemeinsamen Tag mit ihr. „Dieser Mensch war einfach genial“, stellte er angesichts der Symphonie an Farben und Formen, die sich ihnen bot, bewundernd fest, „… und wohl auch ein bisschen verrückt.“

„Wie wohl die meisten Genies ihrer Zeit. Vielleicht schaffen wir es noch, auf dem Rückweg einen Blick auf die Casa Batlló zu werfen.“ Sascha versuchte seine Unkenntnis zu verbergen und brachte das Gespräch auf die ihm bekannte Casa Milà, um gleich darauf festzustellen, dass Uta Ruland auch über diesen Bau bestens informiert war. Mit Blick auf die Uhr stellte sie bedauernd fest, dass deren Besichtigung am heutigen Tag wohl nicht mehr zu realisieren sei.

„Die Casa Milà muss man von innen sehen und bis hinauf auf das Dach mit den merkwürdigen Kaminen steigen. Und unbedingt sehenswert sind die beiden im Stil des Modernisme restaurierten Wohnungen. Wirklich schade, dass wir morgen schon abreisen.“

„Wir könnten doch einfach nachbuchen“, schlug er übermütig vor. Aber sie lachte nur.

„Natürlich. Und meinem Chef sage ich, dass die Dienstreise etwas länger dauert und er meine Vorlesungen selber halten soll!“

Sascha erhob sich von der Bank. „Auf geht’s, damit wir wenigstens noch die Casa Batlló sehen.“ Er reichte ihr die Hand und zog sie mit Leichtigkeit empor.

In den vergangenen zwei Stunden hatten sie nicht nur die Casa Batlló mit ihren markanten Balkonen, den dekorativen Glasfenstern und der karnevalesk anmutenden Fassade aus bunten Mosaiksteinen gesehen. Sie schafften es sogar, die Casa Milà von innen zu besichtigen.

„Hier könnte ich wohnen“, schwärmte Uta Ruland, als sie die im Stil des Modernisme gestaltete Wohnung betraten.

„Mir persönlich wäre das alles ein wenig zu verspielt und geschwungen. Ich sehe hier keine einzige gerade Linie.“

„Das ist richtig, hier gibt es keine. Im Inneren des Gebäudes hat Gaudí auch keine einzige tragende Wand vorgesehen, nur Säulen und Träger.“ Sie stiegen durch das einer Felsgrotte ähnelnde und mit Pflanzen ausgestattete Treppenhaus bis hinauf zum Dach und hatten von dort aus einen überwältigenden Blick auf die Stadt. Sascha gelangen sogar ein paar heimliche Schnappschüsse von Uta. Während sie auf dem gewellten Dach zwischen den kriegerisch anmutenden Schornsteinen umher stieg, schien sie nicht zu bemerken, dass er sie dabei fotografierte.

Als sie später wieder auf dem Passeig de Gràcia waren, meinte sie unvermittelt: „Eigentlich habe ich jetzt Hunger.“

„Tatsächlich? Ich dachte schon, dass Ihnen solch menschliche Empfindungen völlig fremd sind“, spottete Sascha. „Aber ehrlichgesagt knurrt mir schon seit mindestens einer Stunde der Magen. Ich habe nur nicht gewagt, Sie in Ihrem Besichtigungseifer auszubremsen.“

„Das haben Sie recht gemacht!“, gab sie trocken zurück und stellte mit einem Blick auf die Uhr bedauernd fest: „Für ein Abendessen ist es leider noch viel zu früh, zumindest für katalanische Verhältnisse.“

Doch Sascha entgegnete mit Entschiedenheit: „Bis zwanzig Uhr halte ich es auf keinen Fall aus! Ich bekomme sonst schlechte Laune.“

„Und das wiederum würde ich nicht aushalten.“

Unterdessen standen sie vor einer Bar. Kurzentschlossen traten sie ein und bestellten Tapas und zwei Biere. Bald darauf waren ihre Lebensgeister und Utas Unternehmungslust wieder geweckt.

„Den Plaça Reial sollten wir uns unbedingt noch ansehen.“

„Sie sind wohl überhaupt nicht totzukriegen!“ Statt einer Antwort winkte sie dem Kellner und zahlte ungeachtet Saschas Widerspruchs die Rechnung. „Dann lade ich Sie aber später zum Abendessen ein!“

„Momentan bin ich satt.“

Auf dem Rückweg in die Altstadt nahmen sie die Metro. Endlich, als sie sich durch das Gedränge auf der Rambla hindurchgearbeitet hatten, erreichten sie über eine kurze Querstraße den Plaça Reial.

„Nun? Habe ich zu viel versprochen?“, fragte Uta, als sie die geschlossene Platzanlage betraten.

Sascha schaute sich bewundernd um: „Das ganze Flair hier mit den klassizistischen Häusern und den Palmen wirkt auf mich wie eine italienische Piazza.“ Mittlerweile war es schon nach zwanzig Uhr. Sie steuerten auf eines der Restaurants unter den Arkaden zu und nahmen auf der Terrasse Platz.

„Warum waren Sie eigentlich nicht schon längst einmal in Barcelona, wenn Sie sich mit Gaudí und seinen Werken so gut auskennen? Außerdem gibt es hier doch jede Menge Museen, die Sie interessieren dürften.“

„Stimmt.“ Uta Ruland nahm einen Schluck Cava. „Aber es hat sich einfach nicht ergeben. Dienstlich und auch privat war ich bisher vor allem in Italien und Frankreich.“

„Interessiert sich Kai für diese Länder?“, tastete sich Sascha vorsichtig vor.

„Eher nicht. Ich war früher oft mit meinem Mann im Urlaub dort.“ Uta sah seine überraschte Miene. „Das ist nun Jahre her. Ich bin schon lange geschieden. Und Sie? Sind oder waren Sie verheiratet?“

„Nie und nimmer“, gab er schroffer als beabsichtigt zurück. Diese Frage aus ihrem Munde hatte ihn überrascht.

„Ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten“, entschuldigte sie sich denn auch sofort.

Aber Sascha winkte ab. „Das sind Sie nicht. Aber eine feste Bindung kam für mich bisher einfach nicht in Betracht. Ich hatte mich wohl immer zu sehr auf die Arbeit konzentriert.“ Das stimmte nur zum Teil. Denn die Beziehungen, die er hatte, hielten wegen der einen oder anderen Affäre nie sehr lang. Treue war seine Stärke nicht, und seine Unabhängigkeit hatte er bis heute nicht bereut.

Uta hatte ihn beobachtet und fragte: „Aber Sie waren mindestens schon einmal in Barcelona?“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752120653
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Oktober)
Schlagworte
Fälschung Mord Archäologenteam Wohlfühlkrimi Barcelona Picasso-Zeichnung Kunstbetrug Liebe Flucht Italien Cosy Crime Whodunnit Krimi Ermittler Thriller Spannung

Autor

  • Katharina Kohal (Autor:in)

Eine Prise Humor, ein Schuss Romantik und mitunter ein Hauch Fernweh; das sind die Zutaten für ihre Kriminalromane. Katharina Kohal lebt mit ihrer Familie in Leipzig. Mit dem Eintritt in den Ruhestand entdeckte sie ihre Lust am Schreiben neu und veröffentlichte seither:
„Ein fast perfektes Team“,
„Ein perfider Plan – Projekt LoWei Plus“,
„Mehr als ein Delikt“,
„Eine mörderische Tour“,
„Cyber Chess mit tödlicher Rochade" und
„Verstörende Erinnerung“.