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Schatten, Eis und Stille

von Jasmin Timm (Autor:in)
164 Seiten

Zusammenfassung

Schatten Die Dunkelheit ist seine Welt. Wenn die Nacht über die weiten Wälder hereinbricht, wird der Schatten zu einer tödlichen Gefahr – für alle, die seine Liebsten bedrohen. Das Licht des Mondes ist nicht mehr nötig, um seinen Weg zu finden, er kennt jeden Baum und Strauch in dieser Welt. Einem unheimlichen Schemen gleich huscht er über die vertrauten Pfade. Er verbreitet die Kälte des Todes, verteilt das Blut seiner Feinde. Schreie hallen durch die nächtlichen Stunden, wenn seine Opfer gefunden werden. Kann er es schaffen, die Seinen zu beschützen? Eis Einer Eisprinzessin gleich schwebt die schöne Blondine in ihrem Glitzerkleid über die Tanzfläche des Ballsaales. Pamela umgibt sich mit eisiger Kälte und abweisendem Stolz, um alle von sich zu halten, wirkt eisig und unnahbar. Falsch und morbide erscheint ihr die Welt der High Society, genauso unecht wie das Lächeln ihres Verehrers. Langeweile und Ungeduld dämpfen jede Freude an dem rauschenden Fest. Ihr Leben ist so öde, so leer und berechenbar. Sie sehnt sich nach einem Abenteuer – nicht ahnend, wie dicht es ihr auf den Fersen ist. Stille Der ruhige Russe sitzt angespannt und finster am Tisch seiner Familie. Bogdan schweigt und beobachtet. Seine stille Art macht es allen schwer, ihn zu verstehen und jetzt hat er nur noch Augen für die Blondine, die da am Arm eines anderen Mannes über die Tanzfläche gleitet. Sie ist sein Ziel, die einzige richtige Person für die wichtige Aufgabe. Und niemand wird ihn daran hindern, sie in seine Fänge zu bekommen. Nur sie kann seine Welt wieder in Ordnung bringen. Menschen reden auf ihn ein, die verschiedenen Sprachen mischen sich in seinem Kopf und seine Miene wird immer düsterer. Er muss handeln, muss seine Chance ergreifen, wenn es eine goldene Zukunft für ihn geben soll. Ihm ist jedes Mittel recht. Doch ist diese junge Frau, die so nahbar wie ein Eisberg wirkt, wirklich die Richtige für seine Zwecke?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Prolog in Russland

Stille.

Olga zog sich vorsichtig zurück, um ihren Herrn nicht weiter zu stören. Das Scheitern dieses letzten Versuches brach ihr das Herz. Bogdan Karanow, aristokratischer russischer Millionär und gerade der einsamste Mann auf der Welt, war der Verzweiflung nah. Was nutzte ihm all sein Geld, wenn er damit seiner eigenen Familie nicht helfen konnte.
Die treue Dienerin warf einen letzten Blick auf die düstere Silhouette des Mannes mit den traurig hängenden Schultern. Seine Wut und Ratlosigkeit schwebten als finstere Aura über dem altehrwürdigen Sommerpalast in der unendlichen Weite Sibiriens. Leise schloss sie die Flügeltüren hinter sich, als sie ihn mit seinem Zorn allein ließ.
Der große Russe stand am hohen Fenster und starrte hinaus in die düstere Nacht der sibirischen Taiga, düster und finster, wie sein Geist. Trostlos. Hoffnungslos.
Und doch…
Helles Mondlicht überstrahlte das weite Land. Seine Heimat lag ruhig und gelassen da, dichte, grüne Wälder, ein endloses Meer aus Lärchen, Fichten, und den wunderbaren Auenwäldern an seinem Lieblingsfluss. Die funkelnden Sterne am klaren Himmel ließen die Sorgen und Probleme der Menschen da unten auf dem kleinen Planeten kalt. Alles wirkte so friedlich, so still. Das Herz wurde ihm ein bisschen weiter, die Schönheit seiner Heimat beruhigte und erdete ihn.
Bogdan lehnte seine Stirn an die kühle Glasscheibe und seufzte leise. Der Aufruhr in seinem Innern kam langsam ein wenig zur Ruhe. Alle Wut brachte doch nichts.

Sein Zorn auf den unfähigen Psychologen verflog, als er die dumpfen Vibrationen des Helikopters wahrnahm, der vom weitläufigen Gelände des Sommerpalastes abhob. Fort, weit fort in den Westen, zurück nach Moskau. Der selbstgefällige, arrogante Mann war unbrauchbar, sein Ruf hatte nicht gehalten, was er großmäulig versprochen hatte: professionelle Hilfe. Nichts dergleichen hatte er geleistet.
Mit stummer, kaum gebändigter Wut hatte sich Bogdan Karanow angehört, was der fremde Seelenklempner über die kleinen, hilfsbedürftigen Kinder faselte. Wirr seien sie, unfähig zur Kommunikation – was ja wohl in der Familie läge – und entwicklungsgestört.
So ein dummer Idiot, darauf war er auch schon gekommen. Dafür hätte es keinen Psychologen aus dem westlichen Teil Russlands gebraucht. Das sahen alle, die mit den Kindern tagtäglich zu tun hatten. Und das Heilmittel? Wegsperren und mit Psychopharmaka ruhig stellen. Es gäbe da fantastische Einrichtungen, Heilstätten für Debile, in der Nähe von Moskau.
Im Westen.

Langsam schüttelte Bogdan den Kopf.
Nein, es musste einen anderen Weg geben.
Ein Plan musste her.
Ein neuer, vielleicht verrückter Ausweg.
Auf jeden Fall musste er die alten Pfade verlassen. Egal, was ihm die sogenannten Experten geraten hatten: es war falsch gewesen – und dumm und irrelevant.
Ein Ansatz aus einem anderen Blickwinkel musste her. Etwas, das er noch nicht versucht hatte. Zunächst einmal wollte er die Kinder in Ruhe lassen. Alles Vertrauen war verbraucht. Sie hatten Angst. Und niemand konnte ihnen erklären, dass das unnötig war. Sie waren in Sicherheit, beschützt und geliebt. Doch sie glaubten es nicht, vertrauten nicht mehr, niemandem, und das tat weh.
Er durfte nicht aufgeben, er durfte nicht verzweifeln, denn die Kinder brauchten ihn. Sie hatten niemanden mehr und brauchten seine Hilfe. Er schalt sich einen Narren, die Worte dieses Idioten ernst genommen zu haben. Es galt nach vorne zu schauen, einen Weg zu finden.
Westen…

Westen?
Da kam ihm ein Gedanke, denn seine Cousins hielten sich doch gerade weit im Westen auf. Westlicher als die USA ginge es ja schon fast nicht mehr. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Dort musste es doch jemanden geben, der ihm und vor allem den kleinen Kindern helfen konnte. All sein Reichtum musste doch zu etwas nütze sein.

Mit einem winzigen Funken Hoffnung setzte er sich an seinen Computer und surfte durch die bunt glitzernde Medienwelt des westlichen Amerika. Der Funke loderte heller, als er auf einen Namen stieß. Und flammte hoch auf, als er das Bild zu dem Namen sah.
Blond. Sie war blond, jung und hinreißend schön. Bogdans Puls ging hoch, keuchend holte er tief Luft und ließ seine Fingerspitzen über das Antlitz der jungen Frau auf seinem Monitor streichen, zart und fast schon ehrfürchtig.
Wow, sollte eine junge Blondine aus Amerika die Antwort auf all seine Probleme sein? Nun, damit fingen die Probleme doch erst an, Amerika war weit, weit im Westen…

Zufrieden, in seine Gedanken versunken, begann er den Anfang einer langen Reise zu planen. Er ahnte nichts von dem todbringenden Schatten, der ihn und seine Liebsten beobachtete, aus der silbrigen Mondnacht heraus.

Schatten.

Wie verzaubert lag der Sommerpalast im schimmernden Licht des runden Mondes. Nur wenige große Sterne leuchteten am wolkenlosen Firmament der samtdunklen Nacht über den weiten Nadelwäldern Russlands. Der Vollmond schickte die kleinen Sterne schlafen, so sagte man.
Schweigend, tief in die Stille der Schatten gehüllt, verborgen unter den mächtigen Bäumen rund um den Park, und doch dicht bei dem Sommer-Palast, stand ein Krieger und beobachtete gelassen den Abflug des Helikopters. Langsam wischte er seinen Dolch sauber. Kein Blut sollte die lederne Scheide an seinem Gürtel beflecken. Er verschwand in der Tiefe des Waldes, das schwere Bündel hinter ihm zog eine breite, rot triefende Spur durch die feine Nadelstreu. Ein zynisches Lächeln verwischte in der Dunkelheit des Waldes. Spione sollten vorsichtiger sein, solange der Schatten wachte.

Die Eisprinzessin in der Glitzerwelt

Eis.

Strahlende Lichter füllten den Saal, überall glitzerte und glänzte es, eine oberflächlich perfekte Welt. Leises Stimmengewirr und gedämpftes Gelächter. Haute Couture und Juwelen aller Art. Prestige und Macht, darum drehte sich diese kleine, elitäre Welt.
Klassische Walzertakte füllten gerade die große Halle des Hilton Hotels, und überdeckten die gemurmelten Gespräche. Hunderte der Reichen und Schönen saßen fröhlich zusammen und feierten ein karitatives Event. Eine Wohltätigkeitsgala, bei der Millionen gespendet und gesammelt wurden. Keiner wollte zurückstehen, jeder den Nächsten übertrumpfen. Weder bei der großzügigen Geldausgabe noch beim Repräsentieren dessen, was man besaß und wer man war. Oberflächlichkeiten wechselten mit Häme und Genugtuung. Hier war niemand frei von Eitelkeit, falschem Stolz und Arroganz.

Die goldblonde Schönheit saß gelassen, ruhig und mit ausdruckslosem Gesicht am Tisch ihrer Familie, kühl und reserviert. Inmitten der Wohltätigkeitsgala der Familie Mallory, zu der nur die oberste Crème der High Society geladen worden war, gab sie das perfekte Bild der Tochter. Unbeeindruckt perlte all der Glanz, all der Luxus an ihr ab und konnte die öde Langeweile in ihrem Inneren nicht vertreiben. Es war so anstrengend, die Fassade aufrecht zu erhalten und so zu tun, als gehöre man dazu.
Pamela jedoch hatte kein Interesse an den Dingen, die um sie herum vor sich gingen. Das hier war vielmehr die Show ihrer Mutter. Die brauchte das: die ganz große Bühne, die Medienpräsenz, der Mittelpunkt… nur, dass diese Zeiten vorbei waren.

Christina O´Hara war nicht mehr die gefeierte Schönheit von vor zwanzig, dreißig Jahren. Selbst an ihr hatte der Zahn der Zeit genagt und unschöne Details hinterlassen. Auch wenn die Chirurgie nachhalf, das zu überdecken.
In endloser Reihe defilierten die älteren Herren vorbei und baten um den einen oder anderen Tanz. Oftmals nahm Pam mit unterkühltem Lächeln die Stelle ihrer Mutter ein, denn so konnte sie minutenlang dem Tisch und seiner unendlichen Langeweile entfliehen.
Dann folgte wieder ein kleiner Zwischengang des exklusiven Menüs. Der Starkoch hatte sich wirklich alle Mühe gegeben, doch die Häppchen waren so winzig und edel, dass sie kaum einen hohlen Zahn füllten. Und so zart im Geschmack, dass die feinen Aromen unter dem Prickeln des teuren Champagners verschwanden. Davon konnte man doch nicht satt werden. Sehnsüchtig dachte sie an den kleinen, irischen Pub, auf den sie sich schon seit einer Woche freute. Der Termin stand – doch noch konnte sie hier nicht verschwinden.
Erneut kam ein Galan daher und forderte die kühle, schöne Frau auf, die wenigen ergatterten Kalorien direkt wieder auf der Tanzfläche zu verbraten. Endlose beschwingte Walzerdrehungen später ließ Pam sich entmutigt wieder auf ihren Stuhl fallen. Oh, der vorsichtige Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie noch mindestens zwei Stunden diese Show erdulden musste.

Pam hatte es so satt.
Ihr Leben war so fade, so eintönig. Nur wenig interessierte sie an dem, was sie alltäglich tat. Weder mochte sie diesen Affenzirkus voll nutzlosem Luxus noch die genauso nutzlosen, hirnlosen Menschen, die ihn bevölkerten. Ihr war langweilig in der Gegenwart von Champagner und Brillanten. Die Gespräche über Protz und Prunk ödeten sie an. Dieser Abend war einfach nur schrecklich.

Sie wünschte sich ein bisschen Aufregung, ein Abenteuer weit ab der Luxusgesellschaft. Und sie ahnte nicht, wie dicht es ihr schon auf den Fersen war. Sie blies Trübsal, während sich ihre geheimsten Wünsche schon anschickten, wahr zu werden.
Doch leider waren ihre vermeintlichen Aussichten für die nächsten Wochen nicht gerade prickelnd aufregend. Die Semesterferien gingen zu Ende und bald würde sie wieder ihr langweiliges Studium aufnehmen müssen. Jura – ausgerechnet – trocken und lernintensiv. Dabei hatte sie kein Interesse an diesem komplizierten Gesetzes-Kram.
Aber es war ein ehrenvoller Weg, – der leichteste noch dazu – den sie eingeschlagen hatte, um der Verachtung ihrer Mutter einen Riegel vorzuschieben.

Wie sie Stella beneidete, die es so früh geschafft hatte, ihren eigenen Weg zu gehen. Dank der Großeltern hatte ihre jüngere Schwester es tatsächlich geschafft, unabhängig zu werden. Dazu fehlte Pam der Wille, die Energie, der Mut. Und es waren ja auch nur noch ein paar Monate, bis sie ihre Freiheit erlangen würde.
An ihrem vierundzwanzigten Geburtstag. In neun Wochen war es soweit, dann würde sie verschwinden. Aus Denver, aus der ganzen vermaledeiten Gegend. Nie wieder eine Wohltätigkeitsveranstaltung besuchen, nie wieder das aufgesetzte leere Lächeln und die oberflächlichen Gespräche erdulden müssen. Sie straffte die Schultern. Die Zuversicht, dass es bald vorbei war, gab ihr wieder einmal einen Schub innerer Kraft. Innerlich spöttisch lächelnd wappnete sie sich für die nächste Stunde.
Stoisch, mit äußerlich gelassenem Gleichmut, saß sie hier ihre Zeit ab, repräsentierte an der Seite ihrer Mutter und ihrer Schwester Bianca die Familie O`Hara, und weilte mit ihren Gedanken dabei in einer freien, abenteuerlichen Zukunft. Sie dachte zufrieden an ihr Hobby, ihre geheime Leidenschaft, das Zeichnen, das Malen und die Comics, die sie aus ihren Werken zauberte – Mangas der amerikanischen Art.

Stechende blaue Augen lasteten schwer auf ihr, brennend wie Laser. Die feinen Härchen im Nacken stellten sich auf, bestätigten ihr wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. Schon seit sie den Ballsaal betreten hatte. In dieser riesigen Halle, an deren Wänden entlang die Tische der Ehrengäste um die Tanzfläche herum verteilt waren, hatte sie eine Weile gebraucht, um den Mann zu identifizieren, dessen Blick sie drohend auf sich liegen spürte.
Es war einer der Russen um Gregory Karanow, der mit Alicia hier war. Ihre Cousine, die im Moment als Escort Girl arbeitete, wirkte lustig und entspannt, zufrieden und glücklich. Der große Mann an ihrer rechten Seite war faszinierend, herrlich maskulin, dominant, aber auch erstaunlich fürsorglich.

Der Typ, der Pam anstarrte, war anders.
Wilder.
Nicht zivilisiert.
Da brodelte etwas unter der Oberfläche.
Sein Blick war beides zugleich, eisig vor Wut und stechend heiß, unter dunklen, zusammengezogenen buschigen Brauen. Der dichte, schwarze Vollbart mit den charmanten grauen Strähnen verdeckte den Ausdruck seines Mundes und machte ihn noch rätselhafter. Die langen Haare waren lockig und umrahmten etwas wild sein verwegenes Gesicht. Pam verzog einen Mundwinkel, aber so, dass ihre Mutter es nicht bemerkte.

Himmel, was dachte sie denn da. Der Mann saß gute zwanzig Meter von ihr entfernt, in einen teuren Anzug gehüllt, benahm sich zivilisiert und sie unterstellte ihm Wildheit und Düsternis?

Okay, okay, keine Schauerromane mehr vor dem Einschlafen. Wenn sie sich schon einbildete, er sei gefährlich, sollte sie auf jeden Fall Abstand wahren. Sie war nicht so draufgängerisch, wie ihre kleine Schwester.
Energisch wandte sie den Blick ab und konzentrierte sich darauf, die vorbildliche Tochter zu sein. Gedanken an einen Russen zu verschwenden würde ihr keine Pluspunkte bei ihrer Mutter einbringen. Im Jetzt und Hier durfte sie nicht sie selbst sein. Also sperrte sie ihre Wünsche tief in ihrem Herzen weg, verschloss sich und gab kühl lächelnd ein paar Kommentare zu oberflächlichen Gespräch ab, das Bianca und Mum führten.

Der Abend indes plätscherte belanglos dahin, und sie musste auf ihre langjährige Erfahrung, Konzentration und Geduld zurückgreifen, um nicht wütend zu werden. Sie hasste es von Tag zu Tag mehr, zu solchen Ereignissen geschleppt zu werden. Die Zeit war viel zu schade dafür. Noch ein Würdenträger, der sie lächelnd zu einem kurzen Tanz aufforderte. Ein paar Drehungen später saß sie wieder an ihrem Tisch. Sekunden später konnte sie sich schon nicht mehr an seine Worte, an sein Geschwätz erinnern. Nichtigkeiten füllten den Abend.

Sie fühlte nichts.
Nichts außer Langeweile, eisiger Kälte und einer gewissen Genervtheit.

Keine Freude über die Musik. Oder das luxuriöse Essen. Oder über das eisblaue Kleid, das sie heute trug. Der Chiffon voller Straß glitzerte um sie herum und fühlte sich luftig leicht an in der Schwüle der Sommernacht. Oder Freude über die Gegenwart ihrer nur ein Jahr älteren Schwester, die sie seit einer Weile nicht mehr gesehen hatte. Sie beide sahen sich so ähnlich, dass sie früher als Zwillinge durchgegangen waren, verständlich, das kam in ihrer Familie schließlich gehäuft vor. Bianca war noch ein kleines Bisschen heller, eine wahre Platinblonde, die Augen noch ein wenig mehr grün als blau. Und sie bekam sogar noch schneller einen Sonnenbrand.
Pamela seufzte. Bianca hatte sich gut gemacht in der Zeit in Kalifornien. Es lief toll dort an der Kinderklinik, in der sie arbeitete, sie wirkte glücklich und entspannt. Und Bianca gelang es, den Abend mit fröhlichem Small Talk zu füllen, in den sie immer ihre Mutter mit einband. Lauter kleine Geschichten über die kleinen Patienten, denen sie helfen konnte.
Aber das war auch das Mindeste, was sie tun konnte. In Pams Augen eine Art Bezahlung für die vielen Abende, die sie mit ihrer Mutter allein in der Öffentlichkeit verbracht hatte.
Ja, sie gönnte ihrer großen Schwester die Erfolge und das Glück, weit weg von Denver. Nur leider bedeutete das, dass sie die gehäufte Aufmerksamkeit ihrer Mutter auf sich lasten fühlte. Sie musste an allen Terminen teilnehmen, die diese ihr aufhalste, anstatt es auf ihre drei Töchter zu verteilen.

Mum beugte sich zu ihr herüber, der Atem, scharf vom Alkohol, streifte ihre Nase und sie unterdrückte ein Würgen.
„Der schicke Typ da drüben an dem russischen Tisch, der hat ein Auge auf dich geworfen… geh doch mal mit ihm tanzen…“
Unfein schnaubte Pamela. Zum einen, um den Dunst fort zu pusten, zum anderen, nein, tanzen stand hier nicht zur Debatte, nicht mit dem Alpha-Tier da drüben. Sie stand trotzdem auf, entschuldigte sich, sie wolle sich die Nase pudern… wohlweißlich nahm sie ihre Handtasche mit, auch wenn sie unförmig groß zu dem zarten Abendkleidchen wirkte.

An Stellas Tisch vorbeikommend, konnte sie einen neidvollen Blick nicht unterdrücken. Ihre kleine Schwester sah großartig aus, in einem prachtvollen Abendkleid, das von CC zu eben dem Zweck kreiert worden war: schick aussehen und reiche Frauen animieren, selbst so eines haben zu wollen. Heute, auf der Spendengala, würde bald eine Modenschau folgen, bei der auf verschiedene Kleider geboten werden konnte – für einen guten Zweck.
Die Familie Mallory als Veranstalter hatte für höchste Qualität und Wow-Effekte gesorgt, den ganzen Abend schon. Versteigerungen von Luxusgütern, um notleidenden Kindern zu helfen...
Stella jedenfalls, die sah klasse aus, zusammen mit dem reichen sexy Mann neben ihr. Insgeheim musste sie lächeln, denn sie wusste, auf welche Art ihr Schwesterchen sich das Studium verdiente. Neid auf die Freiheit der Berufswahl kam hoch. Neid auf den verdammt heißen Lover an diesem Tisch.

Aber alles zu seiner Zeit… eine kleine Weile noch musste sie das Spiel mitspielen.

Geduld.

War leider nicht ihre Stärke.

Den Blick des besagten, finsteren Russen spürte sie im Nacken, aber es war ihr egal. Sie verschwand um eine Ecke, lief in den Gang hinunter, an den Toiletten vorbei und weiter, bis sie einen Hinterausgang fand.
Hinaus in die schwüle Wärme der Nacht und erst mal eine Kippe anstecken. Nur wenn sie arg unter Stress stand, griff sie zur Zigarette, denn sie lieferte oft genug einen plausiblen Grund, eine kurze Auszeit zu nehmen. Der Rauch schmeckte ein wenig eklig, aber das nahm sie gerne in Kauf. Im Grunde brauchte sie nicht das Nikotin, sondern den kleinen glimmenden Stängel in der Hand, um für kurze Momente zu entkommen.
Tief und hastig inhalierte sie den Rauch, ihre Mutter würde ihr nur allzu schnell auf den Fersen sein. Ein paar wenige Sterne standen am Himmel, strahlend hell genug, um gegen das Lichtermeer Denvers anzukommen.
Sie seufzte, gab sich wildromantischen Träumen hin. Sie wünschte sich weit hinaus aus der Stadt auf die Ranch ihrer Cousine, jetzt ein Pferd nehmen und davonreiten in die Nacht. Fort von all dem hier und den Pflichten, die ihr auferlegt waren. Hinaus in die Freiheit, um das Licht aller Sterne sehen zu können, die Milchstraße, die Weite des Himmels. Tief durchatmen können in der Frische einer kühleren Nacht. Mit jedem Monat mehr hier in der schwülheißen Stadt fühlte sie sich eingeengter. Bedrückt. Die vielen Menschen nahmen ihr die Luft zum Atmen. Ihre Geduld war ziemlich am Ende.

Und mit ihrer Selbstbeherrschung war es eh fast vorbei, seit sie ihren Ex-Verlobten Steve mit seiner neuen Flamme auf der Tanzfläche gesehen hatte. Himmel, die Wut und Enttäuschung ließen wohl nie ganz nach, es war doch schon ein ganzes Jahr her, dass sie sich getrennt hatten.
Nun, es stimmte wohl. Die erste große Liebe als Verrat zu akzeptieren war wohl am Schwersten. Die folgenden, wenn es denn je welche geben sollte, waren sicherlich einfacher zu verkraften. Sie hatte ihr Herz einem jungen Mann geöffnet, der es herausgerissen und mit Füßen getreten hatte. Nie hätte sie geglaubt, dass Liebe so wehtun konnte.
Pam seufzte schwermütig.
Die Kippe war alle.
Sie sollte wieder hinein gehen, und den Abend tapfer zu Ende ertragen. Aber das konnte sie nicht. Plötzlich erschien es ihr unglaublich schwer, sich noch einmal unter das hohle, reiche, oberflächliche Volk zu mischen.

Ein Taxi fuhr langsam auf der Hauptstraße vorbei, auf der Suche nach Fahrgästen und sie hastete, einem unvernünftigen Impuls folgend, hinterher. Der Fahrer wunderte sich vielleicht, aber er fuhr sie ohne weitere Fragen zu einer der kleineren Bars in der Innenstadt, die sie so mochte. Hierher kam ihre Mutter nicht, viel zu düster, zu Irisch und voll des einfachen Volkes. Sie verließ das Taxi, hinterließ einen glücklichen Fahrer, der sich um 100 $ reicher sah.

Stille.

Auf dem Fest, da sie so schmählich verlassen hatte, nahm das Schicksal seinen Lauf. Das Abenteuer begann, es war der jungen Frau dicht auf den Fersen.

Bogdan sah die Frau, die er sehnlichst begehrte, aus dem Ballsaal verschwinden und jeder Muskel in seinem Körper spannte sich an, sprungbereit, ihr zu folgen. Der Abend wandelte sich zum Besseren. Nun sah er seine Chance kommen, sich ihr zu nähern.

Seit sie erschienen war, hatte sein Fokus auf der zierlichen, zarten Frau gelegen. Perfekt. Die Fotos aus dem Internet hatten ihn nur unzureichend auf den Anblick in der Realität vorbereitet. Sie war schön, elegant und kühl. Es traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Sie turnte ihn an, intensive Gefühle rauschten durch seinen Körper, kochten in seinem Blut und trieben seinen Puls in unerwartete Höhen. Sein ganzer Körper vibrierte voller Energie und Spannung, und er musste die Zähne zusammenbeißen, um halbwegs gelassen zu wirken.
Er beobachtete jeden ihrer Schritte und sah den Moment, als sie ihn erkannte – als den Stalker, der er war. Ja, erst seit heute Abend, aber er fühlte sich fast wie ein Verbrecher, so intensiv lastete sein Fokus auf ihr. Hellblaue, strahlende Augen bohrten sich in seinen finsteren, starren Blick und er sah den leichten Schrecken, den sie sofort zu verbergen versuchte. Bogdan nahm sich ein wenig zurück. Wandte leicht den Blick ab, um sie für den Moment in Ruhe zu lassen. Mit langsamen, tiefen Atemzügen versuchte er sich zu beruhigen. Er hatte doch Zeit.

Gregory, sein älterer Cousin und Patriarch der Familie, redete auf Russisch auf ihn ein und forderte seine Aufmerksamkeit. Andere Gäste am Tisch plauderten gelassen auf Amerikanisch – schnell und teilweise für den Russen unverständlich. Und so verfinsterte sich sein Blick immer mehr, je öfter er aus der Betrachtung seiner Beute herausgeholt wurde.

Nach einer Weile entspannte er sich ein wenig. Die blonde Schönheit eilte zwar immer wieder fort, um auf der Tanzfläche elegante Kreise zu drehen. An ihrer Seite jedoch waren wechselnde Partner, gutaussehend und reich, doch alle älter und keiner schien einen Anspruch auf sie erheben zu können. Es gab keinen Mann an ihrer Seite. Niemand, der sie erobert hatte. Das Internet hatte Recht, sie als „alleinstehend“ zu bezeichnen. Und so gestattete er sich, ein wenig befreit durch zu atmen. Die Kälte, die ihr Lächeln ausstrahlte, die abweisende Haltung, ja – er konnte verstehen, dass sie allein war.
Sie ließ niemanden an sich heran.
Der Spitzname „Eisprinzessin“ passte zu ihr. Warum nur hatte er das Gefühl, dass es unter ihrer unterkühlten, gelassenen Oberfläche genauso brodelte, wie in ihm? Wie ein unsichtbarer Faden fühlte er eine Verbindung zur schönen Amerikanerin, intensiv und fremdartig. Seine Neugier, sein Jagdtrieb waren geweckt.
Kaum hatte sie den Ballsaal verlassen, sprang er von seinem Stuhl auf, eine gemurmelte Entschuldigung auf den Lippen. Voller Vorfreude machte er sich sofort auf den Weg, ihr in Richtung Damentoiletten zu folgen. Egal, dass sein Cousin ihn ermahnte, höflich und zivilisiert zu bleiben. Sein Lächeln wurde tiefer und ehrlicher, verdeckt vom dichten Bart. Er fühlte sich gerade alles andere als zivilisiert.

Tattoos in einer irischen Bar

Schummriges Licht, gedämpfte Gespräche, leises Lachen, rauchige Luft. Heute saß niemand an dem alten Klavier und füllte den Raum mit melancholischen Klängen, schade. Die Livemusik war hier immer ein Genuss. Dafür spielte dezente irische Musik aus der Konserve im Hintergrund und vertiefte die urige Atmosphäre, die sie immer in eine andere Zeit zurück versetzte – gefühlt in ein früheres Jahrhundert.
Nur eine Handvoll Gäste hatten sich hierher verirrt, alte Bekannte zumeist. Pamela liebte das stimmungsvolle, bodenständige Ambiente, die vertrauten Gesichter, die sie mittlerweile grüßten, als wäre sie hier zuhause. Sie liebte das warme Holz, die gemütliche Atmosphäre und die Ruhe, die dieser kleine Pub ausstrahlte. Verblasste Schwarz-Weiß-Fotos schmückten die Wände und gaben dem Ganzen einen nostalgischen Touch.

Pete hob neugierig den Kopf, als Pam eintrat, und nickte ihr zu, während er mit ruhigen Handgriffen weiter Bier zapfte. Als die Blondine das erste Mal seinen kleinen Pub besucht hatte, war er überrascht gewesen.
Wie eine durchscheinende, zarte Elfe aus Licht und Glitzer hatte sie sich voller Anmut in der Düsternis seines Pubs bewegt. Nach und nach war er mit ihr ins Gespräch gekommen, aber den einzigen Fakt, den er über sie kannte, war, dass ihre noblen Verwandten sie hier niemals suchen würden. Hierher kamen sie nicht.
Und das gab ihr eine Art Anonymität, die sie zu manchen Zeiten brauchte. Als Rückzug. Hier war sie frei. Er ließ es darauf beruhen und zapfte ihr ein Pils. Mehr brauchte er nicht zu wissen. Sie nickte in seine Richtung und eilte aufs Klo, bevor sie sich in ihre angestammte Nische setzte. Er mochte ihre ruhige, gelassene Art. Die Lässigkeit, mit der sie teure Juwelen trug und gleichzeitig seine Pommes vernichtete, oder das Bier oder einen Eintopf. Es war, als ob sie in eine luxuriöse Welt hineingeboren worden sei, aus der sie momentan keinen Ausweg fand, aber sich in seiner Bar wohler fühlte, in seiner einfachen Welt zuhause war.

Das Licht in der Nische ging an. Sie hatte eines Tages eine kleine Lampe mitgebracht und Pete hatte sie für sie installiert. Speziell ihre Tischfläche war nun mit einem hellen Spot erleuchtet, während sie selbst, vor allem ihr Gesicht, im Dunklen blieb. Emsig schrieb sie in eine Kladde, skizzierte eine Szene zwischendurch. Immer hatte sie Papier und Stift dabei. Oft fragte sie seine raubeinigen Gäste, ob sie sie zeichnen dürfe, und die meisten fühlten sich geschmeichelt.
Nach einer Weile hatte sie es sich angewöhnt, die Portraits zu kopieren und die Originale zurück zu bringen. So mancher Gast hatte sich sein Konterfeit gegen kleines Geld (das an Pete ging) gekauft, andere hatten es dem Pub geschenkt, und so zierten Kuli- und Bleistiftskizzen inzwischen eine ganze Wand. Als Pete ihr nun ein erstes Bier brachte, dunkel und malzig, summte sie zufrieden vor sich hin, grinste ihn fröhlich an und tat einen tiefen Schluck.
„Oh, Himmel, Pete, das hab ich jetzt gebraucht! Es erdet mich, danke… machst Du mir bitte meinen Lieblingssnack?“
Sie klimperte mit den Wimpern, die Lippen noch am Glas, und brachte ihn zum Lachen. Das Mädchen war goldrichtig. Wieder einmal hob sich seine Stimmung, nur weil sie da war. Zufrieden trollte sich der Barkeeper, um die Bestellung weiter zu geben.

Pete hob den Kopf, als ein Fremder den Pub betrat. Es war Samstag, da passierte so etwas schon mal, aber zumeist kamen doch nur die Stammgäste. Der hier war, nun… sehr fremd. Er setzte sich an die Bar und bestellte sich einen Whiskey. Der alte Ire schenkte ihm zwei Fingerbreit ein und der Fremde leerte das Glas in einem Zug. Noch mal dasselbe. Okay.

Pamela starrte den Mann aus ihrer dunklen Ecke heraus an. Der Karanow war ihr hierher gefolgt? Sie schnaubte empört. Hatte wohl den Taxifahrer erwischt, der sie her gebracht hatte. So ein Pech. Sie mochte es nicht, wenn man ihr nachspionierte. Das gab einen dicken Minuspunkt. Sie hatte so sehr gehofft, seiner Aufmerksamkeit entkommen zu sein. Nun stieg die Spannung, was er wohl wollte. Ein leichtes Kribbeln durchkroch ihren Körper und machte, dass sie sich lebendig und überaus weiblich fühlte. Verwundbar und wunderbar zugleich.

Bogdan leerte das zweite Glas, bevor er sich umdrehte und Pam fixierte. Der Taxifahrer hatte die Wahrheit gesagt, so unwahrscheinlich er es auch fand, dass eine O’Hara ausgerechnet hier ihren Abend verbrachte.
Im ersten Moment hätte er sie beinahe übersehen, es war eher sein Instinkt, der sie in ihrer Nische erspähte. Doch erst nach dem dritten Glas fühlte er sich mutig genug, zu der unterkühlten Blondine hinüber zu gehen und sich an ihren Tisch zu stellen. Ihm fehlten die Worte, wie er sein Auftauchen rechtfertigen könnte, und so schwieg er.

Pam starrte zu ihm hoch, wartete ab. Da er nicht das Wort an sie richtete, sondern einfach nur auf sie hinuntersah, mit einem völlig undeutbaren Ausdruck, zuckte sie schließlich mit den Schultern und widmete sich wieder ihrem Buch.
Sollte er doch sagen, was er wollte, schließlich konnte sie ja keine Gedanken lesen. Der Russe zögerte immer noch. Nicht gewillt, wieder zu gehen, aber auch nicht wissend, was er sagen sollte. Und nicht nur die mangelnde Sprache war sein Problem. Also sagte er nur seinen Namen in die angespannte Stille.
„Bogdan Karanow.“

Sie nickte und schwieg. Der Typ wusste wer sie war, da war sie sich absolut sicher. Das brauchte sie ihm nicht zu erklären. Verdammt, was wollte er? Nach einer Weile war ihre Geduld am Ende. Schon wieder.
„Setzen Sie sich oder gehen Sie zurück an die Bar!“
Sie fauchte ihn schließlich an, da sie diese angestaute Energie, diese Unentschlossenheit nervte, die er ausstrahlte.
„Bar?“
Sein tiefer grollender Bass ließ sie hochschauen. Der Russe sah fragend auf sie hinunter, den Kopf leicht schräg gelegt.

Okay, vielleicht hatte er sie wirklich nicht verstanden. Sie seufzte und gab nach, er wirkte im Moment so harmlos wie ein kleiner Junge. Also schob sie ihren Kram auf der Bank etwas zur Seite und klopfte mit der flachen Hand auf die freigelegte Sitzfläche. Sie legte den Kopf schräg, als er immer noch nicht reagierte, und deutete dann mit beiden Zeigefingern auf ihn, dann übertrieben auf den Sitzplatz. Ein kleines, schiefes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, unter dem Bart, verhalten noch, aber umwerfend. Lachfältchen um die funkelnden Augen machten ihn sympathisch. Der Russe war auch ohne Worte charmant.
Und sie hatte ihn vorher für gefährlich gehalten?
Sie seufzte erneut, schüttelte über ihre eigenen verqueren Gedanken den Kopf, und widmete sich wieder angelegentlich ihren Aufschrieben. Blätterte nach vorne, korrigierte ein paar Wörter, dann wieder nach hinten. Die Geschichte des neuen Comics nahm langsam Gestalt an.

Bogdan setzte sich vorsichtig. Er war sich nicht sicher, was er hier eigentlich machte. Eine amerikanische Kneipe hatte er noch nie betreten. Und dass sich ausgerechnet eine der O‘Hara Töchter hierher verirrte, war kaum zu glauben. Es nahm ihr etwas von dem Status der unberührbaren, unglaublich kalten Luxusprinzessin. Nur dieser fragile Hauch von Tüll und Glitzersteinchen erinnerte noch an den Ball, den sie fluchtartig verlassen hatte. Geduldig beobachtete er sie, versuchte einen Blick in ihre Aufzeichnungen zu erhaschen, ohne zu neugierig zu wirken.
Das Schweigen an diesem kleinen Tisch war tief, aber entspannt. Sie hob den Blick und starrte an ihm vorbei ins Leere, um dann leicht den Kopf zu schütteln, sie blätterte zurück, strich einen Satz, und machte sich dann mit neuem Elan an die nächsten Zeilen. Die Wortlosigkeit des Russen gefiel ihr. Nichts unterbrach ihre Konzentration, ihre Gedanken und sie freute sich darüber. Das machte ihn doch gleich noch ein wenig sympathischer.
Vorsichtig lehnte der große Mann sich neben ihr an die Rückwand und machte es sich bequem. Jetzt hatte er alle Zeit der Welt und eine tiefe Ruhe umgab ihn.
Leise wehte sein Duft ein wenig in ihre Richtung. Maskulin, herb, ein wenig nach Wald, ein wenig nach würzigen Kräutern. Unerwartet klar und ehrlich nach den übertriebenen After Shaves, mit denen sie beim Tanzen zu kämpfen hatte. So mancher der Männer auf dem Ball hielt es wie die Damen – viel ist besser…
Bogdan merkte, wie sie nachdenklich schnupperte, nahm wahr, wie entspannt sie jetzt wirkte. So viel ruhiger, gelassener, als noch auf der Gala. Ein ruhiges Lächeln umschmeichelte ihre Lippen, während sie konzentriert weiter schrieb. Nippte in Gedanken versunken an ihrem Glas, als sie die kleine Geschichte weiter spann.
Dann, am Ende ihres Bieres, kam Pete mit Fish & Chips. Sie liebte die sauren Pommes, die es so lecker nirgendwo sonst in der Stadt gab. Und die Knoblauchsauce, die so gar nichts Leichtes hatte. Keine Aioli, sondern harter, scharfer Stoff.

Enthusiastisch legte sie Stift und Buch weg und machte sich über die fetttriefende Mahlzeit her. Himmlisch, sie schloss vor Wonne die Augen, und genoss die ersten Bissen. Ihr entflutschte ein kleines Stöhnen. Zufriedenheit – ein warmes Gefühl in ihrem Bauch.
Das hatte ihr gefehlt.
Es erdete sie.
Holte sie runter, nach der überkandidelten Snob-Society vorhin.

Und zu ihrer Überraschung rückte der Russe ein wenig näher. Schnupperte in der Luft, wie ein bettelnder Hund. Sie musste grinsen und stippte ein weiteres saures Pommes in die scharfe Knoblauchcreme. Hielt es ihm hin. Und ganz vorsichtig aß er es aus ihrer Hand. Sanft schlossen sich seine Lippen um das Stück Kartoffel, streiften dabei ihre Finger mit seinem erstaunlich weichen Bart. Ein wohliger Schauer überlief sie, der sie vollkommen überraschte.
Pete kam mit einem weiteren Bier und sie orderte noch eine Portion der fettigen Köstlichkeiten.

Bogdan kaute sorgfältig. Analysierte den ungewohnten, aber überraschend angenehmen Geschmack. Sie aß selbst ein paar der Pommes, bevor sie ihm ein Stück panierten Fisch anbot. Wieder mit der scharfen Sauce. Er war begeistert. Das war besser, leckerer, als dieser Luxuskram zuvor. Nahrhafter.

Sie grinste ihn an, hob einen Daumen hoch. Er nickte, hob seinerseits einen Daumen und deutete bittend auf ein weiteres Pommes. Sie lachte fröhlich, hatte sie ihn doch richtig eingeschätzt, und schob ihm den Teller hin. Verblüfft sah er zu, wie sie sich wieder an ihr Buch machte, den Stift quer zwischen den Zähnen, als sie eine frühere Passage erneut las. Ihre Stirn lag in Falten, sorgfältig las sie Zeile um Zeile, bis sie zufrieden nickte.
Der Stift kam aus dem Mund, um dem Bierkrug Platz zu machen, und sie leerte in tiefen Zügen das halbe Glas. Rülpste dann undamenhaft, und lachte, als Pete das mit einem „Mahlzeit“ kommentierte. Der Barkeeper kam gerade an ihren Tisch und brachte die zweite Portion Fish & Chips. Der Russe machte sich mit den Händen verständlich. Auch er wollte jetzt lieber Bier.

Es war schon weit nach Mitternacht, als Bruno endlich die Bar betrat. Eine düstere Wolke umgab seine große Gestalt, er war traurig und ausgepowert. Seine schwarze Kleidung entsprach dem Zustand seiner Seele.
Er hatte eine lange Schicht hinter sich, und wollte nur noch ein Bier und einen Absacker, bevor er endgültig das Wochenende einläutete, das aus Couch und Fernsehen bestehen würde. Pete nickte ihm zu, gab sich ein wenig verärgert, obwohl er ein Schmunzeln kaum unterdrücken konnte. Das versprach spannend zu werden. Er deutete auf Pam in ihrer Ecke.
„Hey, die Lady wartet schon seit Stunden auf Dich… wo warst Du?“

Der riesige, muskulöse Mann zuckte die Schultern. Wo wohl? Bei der Arbeit im Krankenhaus. Als Arzt auf der Intensivstation war nie etwas Routine. Da liefen die Arbeitszeiten manchmal anders, wenn noch Notfälle dazwischen kamen, das sollte Pete doch gut genug wissen. Aber er nahm sein Bier und gesellte sich zu Pam an den Tisch.
Erst kurz bevor er sich setzte, sah er den Fremden neben ihr auf der Bank im dunklen Schatten. Er stutzte. Der düstere Typ, genauso ganz in schwarz gekleidet, jedoch im Gegensatz zu ihm selbst mit teurem Anzug und Krawatte, hielt sich zwar zurück, aber es ging eine bedrohliche, düstere Aura von ihm aus. Die Temperatur im Raum schien um einige Grade zu sinken. Die Feindseligkeit war nicht zu übersehen.

Was er nicht erwartet hatte, war ihr strahlendes Lächeln, als er sich setzte. Ihre echte Freude haute ihn um. Die kühle Blondine hatte ihn zuvor schon einige Male taxiert, aber erst vor ein paar Tagen zu diesem Treffen aufgefordert. Jetzt war sie voller Vorfreude. Sie sprach ihn auf Italienisch an, plauderte unverblümt, so selbstsicher, dass der Russe dies nicht verstand.
Bruno nickte zustimmend zu ihrem Vorschlag, grinste sie lasziv an und wackelte mit den buschigen Augenbrauen. Sie musste mädchenhaft kichern, ein Hauch von Röte überzog ihre Wangen, bevor sie in ihrer Tasche – groß wie ein Umzugskarton - kramte und eine kleine Flasche hervorzog. Dann stand sie auf, nickte Bogdan kurz zu, und verschwand mit Bruno in Richtung der Toiletten.

Pete kam an den Tisch, um die leeren Teller abzuräumen. Ihm war gar nicht wohl in seiner Haut, als er den Blick des fremden Russen sah. Der grillte die Tür nach nebenan, hinter der die beiden zusammen verschwunden waren. Ein Wunder, dass sie nicht durch die Hitze der Wut zu Asche zerfiel.

„Das ist völlig harmlos, was die da treiben, ehrlich…“
Doch Bogdan tat so, als verstünde er den Barkeeper nicht. Wut und Eifersucht kochten in ihm auf hoher Flamme. Nicht dass er ein Recht dazu hätte. Sie hatte ihm nichts eingeräumt.
Aber das änderte nichts an seinen Gefühlen. Ihre Schönheit mit anderen Männern zu teilen, war ihm zuwider. Und dass sie so bereitwillig mit diesem riesigen Alpha-Tier verschwunden war, steigerte seine miese Laune nur. Was hatte ihm da all seine Vorsicht und Zurückhaltung den ganzen Abend über genützt?
Gregory, sein Cousin, hatte ihn darauf hingewiesen, dass er bei solch einer Lady nicht mit Gewalt kommen dürfe. Er konnte sich nicht einfach nehmen, was er wollte, wenn er eine längerfristige Geschichte erwartete und Rücksicht auf die Geschäfte seiner Familie nehmen sollte. Scheiß drauf.

Im Moment jedenfalls sah er rot.

Blutrot.

Sollten seine Leute doch Geschäfte mit anderen Klans machen, er für seinen Teil hatte genug Rücksicht bewiesen. Er verstand die amerikanischen Frauen nicht. Zogen sich konservativ an – für russische Verhältnisse – und verschwanden mit Schlägertypen in der Toilette einer gewöhnlichen Bar.
Er hörte ihr helles Quietschen und Lachen und den tiefen Bass des Mannes. Missmutig musste er sich eingestehen, dass er nicht einmal sagen konnte, in welcher Sprache sie da miteinander turtelten. Sie gaben sich noch nicht einmal Mühe, leise zu sein. Vorbei war es mit der Eiseskälte, die sie noch im Ballsaal verströmt hatte.
Bogdans Fäuste ballten sich, bis die Knöchel weiß hervortraten. Mühsam beherrschte er sich. Er sprang nicht auf, zögerte die Explosion seiner Wut mit jedem mühsamen Atemzug weiter hinaus. Dann, zu seiner riesigen Überraschung, kamen sie beide wieder raus, kaum drei Minuten später. Hatte der Typ so wenig Durchhaltevermögen?
Seine Augen wurden riesengroß, dann schmale, wütende Schlitze.

Halbnackt.

Der andere Mann war oben ohne.
Und Bruno glänzte.
Anders konnte man es nicht formulieren, und es war auch so beabsichtigt. Ohne dem Russen einen Blick zu gönnen, eilte Pam hinter dem halbnackten Arzt her. Sie rückte mit seiner Hilfe die Tische in der Mitte des Gastraumes ein wenig zur Seite und brachte einen einzelnen Stuhl direkt unter der hellen Deckenlampe in Stellung. Wie unter einem Spotlight. Bruno setzte sich, verkehrt herum, die Beine gespreizt und stützte einen Arm auf die Rückenlehne. Selbstbewusst hob er den Kopf, präsentierte kerzengerade seine Brust mit all den schwarzen Tribal-Tattoos. Seine Maori-Abstammung pflegte er auf diese plakative Art, er war stolz auf die Traditionen. Seine durchtrainierten Muskeln an Oberarmen, an Brustkorb und Schultern spannten sich. Jetzt war er zufrieden, sich so oft als Ausgleich für die langen Arbeitsschichten im Krankenhaus im Fitnesscenter gequält zu haben. Es zahlte sich aus. Stolz und selbstbewusst.
Trotz seiner Vorliebe für Bier und Sofa bot er einen prächtigen Anblick, und der anerkennende Blick und die lobenden Worte der elfengleichen Blondine taten seiner Seele gut. Zufrieden setzte er sich kerzengerade in Pose und hielt still. Er spürte die brennenden Blicke des düsteren Fremden, der in Pams Nische saß, auf jedem Quadratzentimeter seiner nackten Haut und musste innerlich grinsen. Er sah die kaum verhohlene Aggression und die Ungeduld, die Anspannung in jeder Faser des anderen Mannes. Wusste die junge Schönheit, welch einen Besitzanspruch der Typ ausstrahlte? Der elegante schwarze Anzug von der teuren Art passte hervorragend zu ihrem glitzernden, luftigen Cocktailkleid. Der Termin für ihre Zeichnung stand schon seit einer Woche, doch hatte sie wirklich geplant, einen anderen Mann dazu mitzubringen?

Pam kam an ihren Platz zurück, schlängelte sich an Bogdan vorbei, der ihren Körper, ihre Wärme, als Schock empfand. Sie streifte ihn, als sie sich setzte, scheinbar ohne Absicht. Sie war heiß und aufgeregt. Ihr femininer Duft schwebte an ihm vorbei, kroch ihm unter die Haut. Er konnte auch ein wenig ihres weiblichen, ganz persönlichen Duftes riechen, den sie zuvor, als sie nachdenklich ihre Notizen geschrieben hatte, noch nicht verströmt hatte. Er sah ihren Puls an ihrer Kehle, den schnellen, aufgeregten Herzschlag.
Oh, diese Frau machte ihn maßlos an. Sein Puls schoss hoch, Blut strömte in seine Lenden. Fassungslos musste er sich eingestehen, dass er auf sie reagierte, wie auf keine andere Frau zuvor. Mühsam biss er die Zähne zusammen und rang um Beherrschung. So dicht saß sie neben ihm, kaum eine Handbreit entfernt, und doch außer Reichweite. Unberührbar. Er seufzte und versuchte sich zu konzentrieren und die Anspannung zu beherrschen, die er kaum zu verbergen vermochte. Unruhig schob er sich auf der Bank herum, bis er eine weniger schmerzende Stellung gefunden hatte. Sein harter Penis drückte gegen die Anzughose. Das war verdammt peinlich. In den nächsten Minuten würde er keinesfalls aufstehen.

Was hatte sie mit dem Typen vor, der da auf dem Präsentierteller saß. Die wenigen anderen Gäste, die noch in der Bar verweilten, hielten sich im Hintergrund und schienen das Ganze schon zu kennen, es war nichts Aufregendes oder Besonderes mehr. Sie plauderten und tranken weiter, wie zuvor. Pete drehte an der Stereoanlage und Musik füllte mit rockigen Klängen den kleinen Raum.

Pam zog einen Din A 4 Block aus ihrer riesigen Tasche und begann zu zeichnen. Sie nahm einen weichen Bleistift und hauchte vorsichtig die Umrisse des scharfen Typen auf das blanke, weiße Papier. Bruno hielt sich fit, er war groß und voller Muskeln an den richtigen Stellen, massig. Ein lieber Kerl, glatzköpfig, mit Vollbart und goldenen Ohrringen, die ihn – zusammen mit den Tattoos – wie einen verwegenen Piraten aussehen ließen. Fehlte nur ein rotes Kopftuch und ein Messer zwischen den Zähnen. Sie grinste über ihre Gedanken. Das konnte sie in die Geschichte einweben, fantastische Idee.

Aber sie konzentrierte sich nicht so sehr auf den Kopf, vielmehr machten sie Licht und Schatten der Tattoos auf dem mit Öl überzogenen Oberkörper an, all die definierten Muskeln, das Spiel der Zwischentöne. Die brauchte sie jetzt möglichst präzise, wenn sie später seinen Körper im Comic von anderen Seiten und in anderen Stellungen naturgetreu nachzeichnen wollte.
Sie begann mit den Schattierungen, bevor sie sich ein wenig um das Gesicht kümmerte. Kaum eine halbe Stunde später stand sie auf und zeigte Bruno das erste Bild, auch andere Gäste und Pete kamen dazu, um das Ergebnis zu bewundern. Lob und verhaltenes Lachen schallte durch den irischen Pub. Nach einigem hin und her drehte Bruno sich samt Stuhl um, präsentierte selbstbewusst seinen breiten Rücken und spannte die Schultern. Jetzt war Pam nicht so schnell zufrieden, sie korrigierte seine Haltung, schob einen Arm weiter nach vorne und fragte ihn immer wieder leise, ob es denn bequem genug sei, um eine Weile still halten zu können. Bruno grinste nur. Für so eine Zeichnung konnte er ewig still halten, egal in welcher Position. Seine buschigen Augenbrauen wackelten auffordernd und entlockten ihr ein fröhliches Kichern. Nein, sie hatte kein Interesse an dem Arzt, wissend, dass er schon vergeben war. Kopfschüttelnd, mit einem Lächeln auf den Lippen kam sie zu ihrem Sitzplatz in der Nische zurück.

Bogdan hielt ganz still, als sie sich wieder an ihm vorbei zwängte. Er hatte sich so hingeschoben, dass der Platz noch enger war. Zwar lag ihre Konzentration auf der Zeichnung der Rückansicht dieses fabelhaften Männerkörpers, aber sie war neben ihm, in seiner Reichweite. Unmerklich rückte er langsam näher, bis sich ihre Oberschenkel berührtem.
Seine Aggression schwand in dem Maße, wie er glauben konnte, dass der Andere kein Liebes- sondern Zeichenobjekt war. Bogdans Blicke wurden weicher, freundlicher, er nahm sich ein wenig zurück, um ihr die Zeit zu lassen, die sie brauchte. Und wieder überraschte sie ihn. Pam hob eine Augenbraue, den Blick fest auf Bruno gerichtet, und flüsterte so leise, dass er sich verhört zu haben glaubte:
„Noch nicht, Russe, hab Geduld, noch diese Zeichnung, dann gehör ich Dir heut Nacht…“

Bogdan schnaubte leise. Er musste sich verhört haben. Es konnte gar nicht anders sein. Inzwischen hatte er verstanden, dass es bei dem Tätowierten nicht um ein Liebesverhältnis ging. Okay, es erleichterte ihn zu sehen, dass sie doch nicht so verkommen war, wie er vor Minuten noch geglaubt hatte. Doch er verstand sie nicht.

Nichts Geradliniges war an ihrer Art. Sie entsprach weder der biederen Spießbürgerlichkeit, oder flachen Oberflächlichkeit, vor der sein Bruder ihn gewarnt hatte, noch war sie eine der Frauen, die ihn in seiner Heimat angebaggert hatten. Diese blonde Amerikanerin hatte keine Ahnung von seinem Reichtum.
Er konnte sie nicht richtig einschätzen. Sie kam aus reichem Elternhaus, und ihre Ausbildung passte perfekt zu seinen Wünschen. Das war alles, was er an Information brauchte. Wenn sie sich auch noch durch ein, zwei Aspekte und Eigenschaften mehr qualifizierte, wäre sie sein. Sein Eigentum, bevor sie bis drei gezählt hatte. Er gab sich zwei Wochen, um herauszufinden, ob sie passend genug war. Dann würde er zuschlagen. Das Abenteuer begann also in einer kleinen Bar.

Pam stellte ihre zweite Skizze fertig. Sie brauchte nicht lange, um von den groben Umrissen zu den feinen Details zu kommen. Alles was sie brauchte, war ein Anblick der Schatten und der glänzenden Reflexionen auf seinen Tattoos, um den Ansatz für die späteren Zeichnungen zu haben. Das, was sie mit den Zeichnungen vorhatte, war ihr Geheimnis. Bruno, Pete und all die anderen, die sie hier gemalt hatte, waren einverstanden gewesen, dass ihr die Kopien zur freien Verwendung zur Verfügung standen. Sie seufzte, als ihr Nacken zu schmerzen begann.
Zeit hier abzubrechen.
Sie rieb sich die verspannten Muskeln, bewegte den steifen Hals, und stand auf.

Pamela war sich des aufmerksamen Blickes des Russen bewusst, der auf ihr lag. Versonnen betrachtete er sie, ein wenig nachdenklicher als zuvor. Das Raubtierhafte jedoch, war nicht ganz verschwunden, nur hinter einer zivilisierten Maske versteckt. Verdeckt für all diejenigen, die nur die Oberfläche betrachteten und sich damit zufrieden gaben. Ein kleiner Schauder jagte über ihren Körper, sie fühlte sich bewundert, ganz feminin, ein Gefühl, das sie selten genug hatte. Vor allem wenn ihre beiden schönen Schwestern dabei waren.
Doch warum auch immer, sie war sich sicher, dass der düstere Russe Bianca nicht einmal einen flüchtigen Blick zugeworfen hatte. Seine brennenden Augen hatten wie Magnete auf ihr, Pamela, geheftet, seit sie den Ballsaal betreten hatte. Merkwürdig, aber es verlieh ihr ein Hochgefühl und eine gewisse Sehnsucht… nach mehr. Eine unverhoffte Chance, eine Affäre, vielleicht? In diesem Augenblick, mit genug Champagner im Blut, fühlte sie sich verwegen genug, einen Russen zu probieren.

Bruno nahm begeistert das Bild seiner Rückenansicht in die Hände. Er war zufrieden. Es würde ein tolles Geschenk für seine Verlobte werden. Klar, Miss Pamela nahm es noch einmal mit, kopierte es, aber er würde das Original bald bekommen. Das reichte ihm. Und zu wissen, dass es aus ihrer Hand stammte, aus ihrer Feder sozusagen, mit Unterschrift, und all die feinen Leute nichts davon wussten, womit sie sich die Zeit vertrieb, machte es noch wertvoller. Er grinste sie an, ein high five.

„Pete, ich geh dann, ich bring die Bilder morgen oder so…“
Sie ging an der Bar vorbei, zahlte und gab ihm ein mehr als großzügiges Trinkgeld. Er nahm es, ohne zu fragen. Zum einen fühlte sie sich so sicher, dass er nichts an die Öffentlichkeit weitergeben würde. Klar hätte er sie auch ohne Geld niemals verraten, denn er war stolz darauf, dass sie sich in seinem Pub wohl und vor allem sicher fühlte.
Damit schloss er ein, dass all seine Stammgäste auch auf seiner Seite waren. Er hatte sich jeden einzelnen vorgeknöpft, aber die hatte Pam schon lange um den Finger gewickelt. Keiner wollte ihr was Böses.
Und zum anderen konnte er jeden zusätzlichen Cent gebrauchen. Es machte das Leben leichter, wenn er sich um seine Mutter und deren Pflege keine großen Sorgen mehr zu machen brauchte.

Pamela stopfte all ihre Sachen zurück in ihre Tasche. Auch das Babyöl, das sie noch schnell in eine Ziptüte steckte, damit es keine unschönen Flecken hinterlassen konnte. Dann sah sie den Russen an, der sie seinerseits interessiert beobachtete.
Er wartete gespannt darauf, was sie wohl vorhatte. Hatte er sie vorhin richtig verstanden? Inzwischen hasste er sich für seine eigene Sturheit und Faulheit.
Oh, es hatte doch genug Zeit gegeben, ordentlich Englisch zu lernen, bevor er nach Amerika flog, doch er hatte keinen Sinn darin gesehen, sich mit so etwas zu quälen. Er hatte normalerweise genug Leute, die ihm das abnahmen, für ihn dolmetschten.
Dachte er.
Und jetzt, in Gegenwart einer vielschichtigen jungen Dame, war er sich nicht sicher, ob er die Worte korrekt interpretiert hatte. Hatte sie ihm wirklich eine Liebesnacht versprochen? Da bestand dringender Handlungsbedarf und er würde sich beeilen, das Fehlende in den nächsten Wochen aufzuholen. Bis dahin würde er improvisieren und auf das Beste hoffen.

Sie gab es auf. Er reagierte nicht so, wie ein Amerikaner es tun würde. Nach ihrem Versprechen vorhin, hätte jeder junge Mann, den sie kannte, schon längst mit Sabbern angefangen, die Finger auf Wanderschaft geschickt. Oder ihr zumindest schon mal einen Kuss gestohlen, bevor sie ihre zweite Zeichnung beendete. Aber er hatte sich nicht gerührt. Geduldig und wachsam, und erstaunlich zurückhaltend. Innerlich gab sie ihm dafür einen kleinen Pluspunkt.
Ihre Geduld war jetzt jedenfalls am Ende. Verdammt, wenn sie wenigstens wüsste, wieviel er verstand, von dem was sie sagte. Wie gut war sein Englisch wirklich? Und was faszinierte ihn ausgerechnet an ihr? Was wollte er?

„Komm, wir gehen… Ciao, Pete, bis morgen!“
„Ciao, Eisprinzessin, wir sehen uns!“

Bogdan erhob sich von der Sitzbank, zögernd. Sie waren die letzten Gäste an diesem Abend und der Wirt schien schließen zu wollen. Also ging er mit der Frau nach draußen. Er zückte sein Portemonnaie, als er an Pete vorbeikam, aber der winkte nur ab. Oh, offenbar war er an diesem Abend von einer amerikanischen Blondine freigehalten worden.
Wie ungewöhnlich.
Das gab es in seiner Heimat nicht.

Ungezügelte Leidenschaft mit unverhofftem Ende

Sie schlenderten nebeneinander die Straße hinunter, und er hatte keine Ahnung, was auf ihn zukam, was von ihm erwartet wurde und wie er es in eine Frage formulieren konnte, ohne dass sie beleidigt war. Er hatte so verdammt wenige Informationen und sein Mangel an sprachlichen Möglichkeiten ärgerte ihn. Machte ihn wütend. Er hatte es sogar versäumt, ihre Adresse rauszusuchen. Und diese Form der Nachlässigkeit kannte er an sich gar nicht. Diese kleine, wichtige Information war ihm entgangen, als er sich akribisch auf seinen Amerika-Aufenthalt vorbereitet hatte. Wie konnte ihm nur so ein Fehler passieren!
Andererseits glaubte sie wohl inzwischen, dass er nur wenig Englisch verstand, und das machte es vielleicht für ihn einfacher, ihr näher zu kommen. Wer war sie, wie war sie und wo fand er einen Punkt, an dem er einen Hebel ansetzen konnte? War sie genug, genau das, was er brauchte? So viele verwirrende Fragen. Schweigend liefen sie nebeneinander her, und Pamela konnte ein amüsiertes Grinsen kaum unterdrücken.
Die Nervosität des Russen war greifbar. Er traute sich offenbar nicht, ihr näher zu rücken, doch seine Anspannung und maskuline Aggressivität war nur schlecht kaschiert. Warum er immer noch zögerte, ihr einen Kuss zu rauben, war ihr unbegreiflich, aber sie spielte gelassen mit.
Wenn er mit in ihre Wohnung kam, gehörte er ihr.
Ihre Beute.
Zumindest für diese Nacht.
Zwei Blöcke weiter betraten sie die bewachte Lobby eines luxuriösen Hochhauses. Der Portier grüßte freundlich, hier war Miss O´Hara also bestens bekannt. Bogdan merkte sich diese Information und folgte ihr in den Aufzug.

Jetzt schien sie ein wenig verunsichert, starrte ihn unter halbgeschlossenen Augenlidern an, zupfte plötzlich nervös an ihrer Tasche herum und schien sich dann zu einer Entscheidung durchzuringen. Plötzlich straffte sie die Schultern und Bogdan atmete tief durch, als sie einen Teil ihrer Nervosität hinunter schluckte, und ihn einladend anlächelte, sinnlich und erwartungsvoll. Ihre Selbstsicherheit kehrte zurück. Sie nahm ihn mit in ihre Wohnung, und er hütete sich, diese Gunst zu hinterfragen.

Erregung durchflutete ihn, er hoffte, dass er die Signale richtig gedeutet hatte, und sie ihn zu sich einlud – zu einer langen Nacht. Sein Handy vibrierte stumm, wütend wie eine Hornisse, in seiner Hosentasche, aber er ignorierte es. Sein Cousin würde ihn heute Abend nicht aufhalten, nicht so kurz vor dem Ziel.
Vorsichtig schob er sich näher an die junge Frau heran, hob eine Hand und strich langsam und mit erstaunlicher Zärtlichkeit eine Strähne aus ihrem Gesicht. Er war schon gespannt. Dieser feste, strenge Dutt aus gesponnenem Gold – wie lang wohl ihre Mähne war? Hatte sie Locken oder war ihr Haar glatt und kühl. Wieder strich er über ihre Wange, mit dem Rücken seines Zeigefingers und ihre Lider flatterten kurz, bevor sie sie mit einem leisen Seufzer schloss.

Gewissheit. Mehr brauchte Bogdan nicht. Sie reagierte perfekt auf ihn, jetzt mussten sie nur noch in die Nähe eines Sofas oder Bettes kommen, und er würde sich seinen ersten Fick in Amerika holen. Diese Schönheit, von der sein Bruder nur als „unnahbar“ und „schwierig“ sprach, würde ihn heute noch zwischen ihre Beine lassen. Seine Lenden füllten sich erwartungsvoll mit Blut und er unterdrückte mühsam einen genüsslichen Schauder. Es machte keinen Sinn sie hier schon im Aufzug zu bedrängen, im Gegenteil, er wollte ein wenig abwarten, um zu sehen, was sie ihm denn freiwillig anbot.
Nicht, dass es jetzt noch ein Zurück gäbe, sie war seine Beute und der Jäger schon sehr nah. Tief holte er Luft und sog ihren ganz eigenen, privaten Duft unter dem zarten Parfum ein, feminin und ein wenig lüstern. Es törnte ihn an, dass sie sich ein bisschen in seine Richtung lehnte, statt vor ihm zurückzuweichen. Ein zufriedenes, zuversichtliches Brummen entwich seiner Brust.

In der 26. Etage stiegen sie aus, es gab nur eine Tür, und Pam öffnete sie mit einer Schlüsselkarte. Gehörte ihr somit die ganze Ebene? Gelächter und laute Musik schlugen ihr entgegen und sie erstarrte mitten im Schritt. So abrupt, dass der große Mann hinter ihr in sie hineinlief, sie schier auf den hohen Absätzen umschubste. Seine Reflexe waren großartig.
Er fing sie auf, einen Arm von hinten um ihre Taille geschlungen, presste er sie hart an seinen Brustkorb, bis sie ihr Gleichgewicht wiederfand. Seine Größe und Kraft imponierten ihr. Sie begann sehr leise zu schimpfen, auf Italienisch, schleuderte dann wütend ihre Schuhe von den Füßen und machte sich energisch von ihrem Begleiter los. Bogdan folgte ihr vorsichtig in die Tiefen der Wohnung. Abschätzend ließ er seinen forschenden Blick über Möbel und Wände streifen. Interessiert sah er die wenigen persönlichen Details, alles wirkte seltsam leer und ohne feminine Note. Schade, er hätte sich gerne ein klareres Bild von der jungen Schönheit gemacht, die ihn in ihre Wohnung eingeladen hatte. Seine Neugier war unermesslich groß, jede Kleinigkeit konnte ihm weiter helfen. Doch auch hier, in ihren eigenen vier Wänden, schien sie nicht allzu viel von sich preisgeben zu wollen – ganz so, als ob es den Schein zu wahren gelte. Bogdan ahnte nicht, wie Recht er mit dieser Einschätzung hatte. Auch diese Wohnung war nicht mehr als ein Teil ihrer wohldurchdachten Fassade, die sie der Öffentlichkeit präsentierte. Ihre Leidenschaft, ihre Hobbys versteckte sie gut und sorgfältig, verstaut in kleinen Kisten und Schachteln schlummerten Bilder, Zeichnungen und der Beginn einer Comic-Serie. Amerikanische Manga, von Hand gezeichnet, nicht am Computer kreiert.

„Jeremy, was machst Du denn hier? Verdammt, das kann ich jetzt aber gar nicht gebrauchen!“
„Pam? Süße, bist Du das?“
Sie kreischte laut auf und begann den jungen Mann auf dem Boden mit Flüchen und Sofakissen zu bewerfen. Der andere Typ, ein dunkelhäutiger Jüngling, erhob sich hastig und versuchte sein Shirt – und alles andere - wieder in die offene Hose zu stopfen. Das halbnackte Mädchen zwischen ihnen war offensichtlich trotz des Lärms eingeschlafen und hatte sich auf Jeremys Schoss zusammengekringelt.
„Was spielt ihr denn hier? Ich will jetzt mal eine Antwort! Was macht ihr in meiner Wohnung?“

Jeremy schob vorsichtig den Kopf des Mädchens auf ein Kissen und kam auf die Beine. Er wirkte amüsiert, ein wenig überrascht, aber es war ihm keineswegs peinlich. Musste es ja auch nicht, er hatte schließlich einen Schlüssel für die Wohnung. Sie hatte ihm das Recht eingeräumt.

„Hm, ich dachte, Du hättest gesagt, dass Du bei Bianca oder Deiner Mum übernachtest, deswegen hielt ich es hier für sturmfrei…“
„Plan B, Jeremy, und das nächste Mal eine Nachricht aufs Handy, per favore. Geh doch zu Bianca eins tiefer, die ist sicher nicht da, die ist bei Mum geblieben.“
„Ja, ist ne Idee, das machen wir so. Komm, Benny, wecken wir mal Lizzy, wir verziehen uns…“
Seufzend, aber mit einem nachsichtigen Lächeln verfolgte Pam, wie sich das Trio samt aller Playstation-Teile aus dem Staub machte. Stille kehrte ein, die Wohnung war aufgeräumt und leer. Sie hatten wenigstens kein Chaos angerichtet. Zumindest dieser Teil der Abmachungen funktionierte. Bestens.

Dann waren die drei fort und Pam schlenderte zur Bar.

„Willst du einen Drink?“
Bogdan, der beobachtend neben der Tür gelauert hatte wie eine düstere Präsenz, kam näher und nickte, als sie einen Wodka hochhielt. War zwar nicht ganz seine Marke, aber er hatte in den letzten Wochen gelernt, sich auch mit so etwas zufrieden zu geben. Sein Tribut an Amerika.

Endgültig allein. Zusammen in einer verschlossenen Wohnung. Prickelnde Spannung kroch seinen Nacken hinauf. Das leichte Zittern ihrer Hand beim Einschenken verriet ihm ihre Nervosität und ließ ihn lächeln. Sein Bart versteckte seine gute Laune. Gut. Er hoffte, dass sie nicht zu viel Routine hatte. Dass es etwas Besonderes war. Dass sie ihn, einen völlig Fremden, zu sich nachhause mitgenommen hatte.
Als sie ihm das Glas anbot, hielt er das Kristall mit ihren Fingern fest, umschloss ihre zierliche Hand mit seiner großen Pranke und hob das Glas an die Lippen.
Die kühle, farblose Flüssigkeit brannte herb in seiner Kehle und entfachte das Feuer in seinem Innern nur noch mehr. Sein Penis war schon wieder hart, kaum dass sich die Tür geschlossen hatte. Vorausschauend hatte die junge Frau eine Kette vorgelegt, sodass er sich sicher und ungestört fühlte. Nur zögernd ließ er ihre Finger vom Glas entkommen, strich mit seiner freien Hand über ihren nackten Unterarm und beobachtete zufrieden ihre Gänsehaut. Oh, ja, auch sie spürte Verlangen und das Bedürfnis nach Sex.

„Wer?“
Mehr wollte er nicht sagen, um sich nicht zu verraten. Aber die Neugier war zu groß.
„Jermey? Oh, ein allgemeiner Freund. Er hat mir schon oft einen Gefallen getan und wir vertrauen einander.“
„Lover?“
„Nicht aktuell, aber ja, in der Vergangenheit war er in meinem Bett.“
Bogdans finstere Miene hellte sich nicht auf. Sie konnte nicht abschätzen, ob er verstanden hatte, was sie sagte. Aber im Grunde war das ja auch egal, denn nun kam er näher, stellte sein Glas auf die Theke und drängte ihren Rücken gegen das dunkle Holz der Bar. Sie hielt den Atem an, als er sich langsam zu ihr herunterbeugte, eine Hand langsam und vorsichtig um ihr Kinn legte, es zu sich anhob. Gleichzeitig, wie in Zeitlupe, senkte er seinen Blick auf ihren Mund, sanft strich er mit seinen Lippen über die ihren. Kitzelte mit den weichen Barthaaren über ihre Wangen. Gab ihr jede Menge Zeit, sich abzuwenden, sich zu entziehen. Die Vernunft gebot, dass sie floh, aber dazu waren ihre Knie zu weich. Die Gefahr, die von ihm ausging, zog sie magisch an.

Sie genoss diesen ersten, sanften, vorsichtigen Kuss, ein Seufzen entfloh ihren Lippen, als sie wieder zu atmen begann. Er strich mit seinem erstaunlich weichen Bart über sie. Knurrte leise an ihren Lippen und rückte näher, um ihren Körper mit dem seinen zu berühren. Seine Hitze versengte sie schier. Durch ihr dünnes Chiffonkleidchen hindurch spürte sie seinen harten, angespannten, heißen Körper, alle Muskeln vor Energie vibrierend.
Er vertiefte den Kuss, wurde fordernder, fuhr mit seiner Zungenspitze über ihre Lippen, in ihre Mundwinkel, versuchte, ihren Mund zu erobern, und da gab sie mit einem Stöhnen nach. Öffnete sich ihm, gewährte ihm Einlass. Sie ahnte nicht, dass sie damit ihr Schicksal besiegelt hatte.

Bogdan hörte auf, klar zu denken. Alle Logik war in den Hintergrund getreten, als sie den Mund weit genug öffnete, um seiner fordernden Zunge Einlass zu gewähren. Er brummte, tief, zufrieden. Gab sich dem heißen Kuss hin, spielerisch und ein wenig wild. Dann ging alles ganz schnell.
Vorsichtig drehte er sie so weit um, dass er an den Reißverschluss ihres sexy Cocktailkleidchens kam. Es war erstaunlich konservativ geschnitten, hochgeschlossen, über knielang, aber der durchscheinende, mehrlagige Stoff gab ihm etwas Aufreizendes und feminine, fließende Weichheit. Mit einem entschlossenen Ratsch öffnete ihr Verführer den Verschluss und zog ihr das Kleid herunter, ohne jede Raffinesse, ohne Zärtlichkeit. Sie schnappte nach Luft, als der eisblaue glitzernde Stoff sich zu ihren nackten Füßen bauschte. Ein BH passte nicht unter das Kleid, ihre Brustwarzen zogen sich in der plötzlichen Kälte hart zusammen. Oder war es Erregung und Lust?

Nun stand sie im Slip vor ihm, recht unsanft drehte er sie wieder um und bemächtigte sich erneut ihrer Lippen, küsste sie lang, ausgiebig, hart und fordernd. Gier und kaum verdeckte Wut, immer noch. Unterdrückte Leidenschaft? Verhaltene Erregung?

Nein, er ging ohne Zögern aufs Ganze, schob sie, in seinen festen Armen gefangen quer durch den Raum bis zum Sofa und ließ sich einfach mit ihr drauf fallen. Keuchend entwich die Luft aus ihren Lungen, als sein volles Gewicht sie traf. Grob spielte er mit ihren Brüsten, ohne von ihren inzwischen geschwollenen Lippen zu lassen. Trunkene Erregung durchflutete sie, auch wenn er sich nicht einmal Mühe zu geben schien, dass auch sie den Sex genoss. War etwas in ihrem Bier gewesen? Woher kam ihre Erregung?

Sie versuchte sich ein wenig von ihm zu lösen, doch ein knurriges „Nein“ hinderte sie. Fester umschloss er ihre Brust mit der einen Hand, und seine Lippen bahnten sich einen fordernden Weg hinunter über ihr Kinn zu ihrem Hals, dem Schlüsselbein folgend, dann bis zu ihrer Brustwarze. Als er an der kleinen harten Perle heftig zu saugen begann, spürte sie glühende Lust, die bis in ihre Vagina ausstrahlte, so dass sie unruhig das Becken bewegte, gefangen unter seinem Gewicht, und gleichzeitig wurde ihr Höschen ein wenig feuchter. Himmel, sie war schon lange mit keinem Mann mehr zusammen gewesen und auf solch einen Überfall nicht vorbereitet.
Aber ihr Körper schien bereit, bereiter als ihr Kopf, der leicht trunken zu analysieren versuchte, was da gerade passierte. Sie stöhnte, ihre Hände vergruben sich in seinem Haar, massierten seine Schulter, krallten sich in sein Jackett. Es erregte sie ungemein, wie er auf ihrem nackten Körper lag, dass sie seine unbändige Kraft und seine Schwere fühlte, und dass er dabei noch vollständig angezogen war. Ihre Gedanken vernebelten sich, sie war nur noch Gefühl und hämmernder Puls.

Dann spürte sie eine kleine Veränderung, einen Hauch von kühler Luft in ihrem Intimbereich, und das war die einzige Warnung, die sie bekam. Später konnte sie sich nicht erklären, wann er es geschafft hatte, sich einhändig das Kondom überzuziehen, sie hätte geschworen, dass die andere Hand permanent an ihr herumfummelte.
Aber dann war er in ihr, hatte sich mit einem harten, festen Stoß in sie gerammt und sein zufriedenes Stöhnen bewies, wie sehr er es genoss. Sie schrie auf, leise zwar, doch deutlich gab sie ihren Schmerz zu verstehen. Aber er ließ ihr keine Zeit, sich an seine Größe zu gewöhnen, sondern begann sie in einem langsamen, geschmeidigen Rhythmus zu lieben, hart, bis zum Anschlag und langsam wieder hinaus. Er stemmte sich hoch, auf die Ellbogen, eine Hand in ihre Schulter verkrallt, und nahm sich mit brutaler Kraft, was sie ihm freiwillig angeboten hatte.

Pam versuchte gar nicht erst, sich zu wehren.

Sie hatte verloren, seiner Gewalt hatte sie nichts entgegen zu setzen. Angst keimte in ihr auf, was er wohl tun würde, wenn sie sich wehrte. Also hielt sie einfach still und erduldete seinen Überfall. Steve, ihr Ex-Verlobter, hatte ihr beigebracht, still zu halten. Das tat weniger weh. Erschrocken dachte sie an das Ziehen in ihrem Magen zurück, als sie ihn heute mit seiner neuen Flamme gesehen hatte. Warum tat es trotzdem noch so weh, ihn mit einer anderen zu sehen… nach alldem…

Bogdans Beherrschung war dahin. Am Rande nahm sein benebeltes Hirn wahr, dass die Frau unter ihm keine Freude empfand und weit von Spaß entfernt war. Und von ihrem Höhepunkt. Aber das war ihm im Moment herzlich egal. Sein Körper forderte sein Recht, er hatte es zu lange ignoriert. Der Alkohol, mehr als er gewohnt war, tat sein Übriges. Und auch der Zorn auf seinen Cousin war noch in seinem Blut.

Und so nahm er sich, was seine Erregung forderte, stieß seine Lenden mit aller Kraft vor und zurück und holte sich seine Befriedigung. Rücksicht konnte er das nächste Mal nehmen, es langsamer angehen lassen, jetzt forderte er sein Recht. Als er brüllend den Kopf nach hinten riss, in der Bewegung erstarrte und sich all seine Wut in einem überwältigend befriedigenden Höhepunkt entlud, entschlüpfte der Frau unter ihm ein leiser Seufzer. Er brach auf ihr zusammen, keuchend, brauchte ein paar Minuten, um seinen Atem wieder unter Kontrolle zu kriegen und einfach nur die Ruhe und Befriedigung zu genießen, die ihn durchströmte.

Leise, abgehackte Koseworte, die sie nicht verstand, kamen über seine Lippen, während er mit ihrem Haar spielte. Er stemmte sich auf einen Ellbogen hoch und sah auf die Frau hinunter, die so teilnahmslos und schlaff unter ihm verharrte. Er sah die winzige Träne, die sich unter den hellen, dichten Wimpern hervorstahl und wischte sie vorsichtig ab. Er leckte sie von seinem Finger, doch ihre Augen blieben geschlossen.

Entsetzt sah er den Abdruck seiner Hand auf ihrer Schulter, die Rötung wechselte langsam zu einer unangenehmen Bläue. Er hatte ihr wehgetan. Sie war zart und ihre Haut nahm ihm die grobe Behandlung übel. Vorsichtig, um sie nicht noch mehr zu erschrecken, zog er seinen Penis zurück, verließ nicht ohne Bedauern ihre feuchte Grotte, doch er wollte Sicherheit, und somit galt es, das Kondom rechtzeitig zu entsorgen. Er stand auf, machte einen Knoten in den Gummi und suchte nach dem Bad.

Zufrieden betrachtete er sich im Spiegel, als er sich die Hände wusch. Noch nicht einmal seine Krawatte war großartig verrutscht.
Er lachte leise.
Die nächste Runde würde anders laufen.
Der nächste Sex würde heiß, genüsslich, fürsorglich.

Und nur für sie.
Er hatte dieses Mal nur genommen. Nun würde er geben. Bis er ihren Höhepunkt mit der Zunge schmeckte und spürte, wie sich ihre Vagina um seine Finger zusammen zog. Dann erst würde er sich erlauben, ein weiteres Mal ihren Körper zu lieben, bis sie zum nächsten Höhepunkt kam. Er freute sich darauf, langsam und genüsslich jeden Teil ihres Körpers zu erkunden, mit Finger und Zunge, mit Lippen und all seinen Sinnen anbeten. Er wollte nackt sein, wenn er neben ihr lag, Haut an heißer, erregter Haut, und ihre kleinen Hände auf sich spüren. Sie war unter dem zurückhaltenden Kleid eine wunderschöne wohlgerundete Frau. Auch wenn er persönlich noch etwas mehr Kurven bevorzugte. Vorfreude brachte ihn zum Lächeln und nahm viel von seiner bedrohlichen Düsternis. Schmunzelnd verließ er das Bad.

Doch es kam ganz anders.

Ganz anders.

Die kleine Blondine überraschte ihn.
Völlig.
Er blickte in einen Pistolenlauf.

Als er das Bad verließ, stand sie vor ihm, in ein weites Männer-T-Shirt gehüllt, mit nackten Beinen, eine zierliche, tödlich schöne Beretta im Anschlag. Sie strahlte Zorn aus, aber verdeckt unter ihrer eiskühlen, kristallharten Maske. Diese brodelnde Wut, die er selbst so gut von sich kannte, hatte er schon den ganzen Abend in ihr gespürt, und genau das hatte ihn angezogen. Allerdings fragte er sich zweifelnd, ob sie hier in ihren eigenen vier Wänden Vorsicht walten lassen oder tatsächlich schießen würde.

Mühsam schluckte er alles runter, was ihm auf der Zunge lag, und wurde still. Ganz ruhig, ganz konzentriert, um ja keine falsche Bewegung zu machen.
Verflucht, wenn er doch genug Worte zur Verfügung hätte, um ihr klar zu machen, dass er beim nächsten Mal zärtlicher sein würde. Netter. Nur für sie. Doch er hatte keine amerikanischen Worte für diese zornige Schönheit. Strähnen ihres hellgoldenen Haares hatten sich aus dem Dutt gestohlen, aber er hatte immer noch keine Ahnung, wie lang es wirklich war. Kurioser Gedanke, während er in einen Pistolenlauf starrte.

Langsam, ganz langsam, ernüchtert, schob er sich in die von ihr anvisierte Richtung, zur Ausgangstür. Siedend heiß wurde ihm klar, dass er noch seine Schuhe trug und einfach so gehen konnte, ohne etwas von sich zu hinterlassen. Nicht einmal das Jackett hatte er ausgezogen. Das wütende Funkeln in ihren Augen wurde heftiger, glitzernder und er akzeptierte, dass er auf verlorenem Posten stand. Als er ansetzen wollte, um zu sprechen, beschwichtigend die Arme hob, fauchte sie ihn nur an, er redete auf Russisch weiter, abgehackt, mit rauer Stimme.
Sie schüttelte nur den Kopf, presste die Lippen zusammen, und die Waffe in ihrer Hand gab ein bedrohliches leises Klicken von sich, als ein Hahn sich spannte. Er schluckte alle weiteren Worte hinunter und öffnete die Kette an der Wohnungstür. Drückte die Klinke und trat hinaus in den dunklen Flur. Sie knallte die Tür hinter ihm zu, heftig und laut und er hörte das Ratschen der Kette und den Riegel im Schloss.

Völlig verblüfft und irritiert stand er im kalten, dunklen Flur und starrte die geschlossene Tür an. Dann hörte er ein leises Rumpeln von der anderen Seite, gefolgt von einem herzzerreißenden Schluchzen. Das sich nach und nach von der Tür entfernte. Fassungslos starrte er ins Leere, hin und her gerissen, ob er sich jetzt mit Gewalt noch einmal Zutritt verschaffen sollte, ober ob es besser war, das erst einmal auf sich beruhen zu lassen. Sie würde sich schon wieder beruhigen und ihm einen zweite Chance geben, ganz sicher. Himmel, er konnte es doch nicht an einem Abend für immer vermasselt haben. Warum hatte er sich nicht besser beherrschen können und war es langsamer, liebevoller angegangen. Eine solch zarte Schönheit musste umsorgt und verwöhnt werden. Er brauchte unbedingt eine Möglichkeit, das wieder gut zu machen.

Dafür würde er schon sorgen.

Nach einer Weile trat er zum Aufzug und ein zufriedenes Schmunzeln lag auf seinem Gesicht, als er nach unten fuhr. Stück für Stück analysierte er die Ereignisse des Abends, jede kleine Szene. Und mit jeder Sekunde wurde er sicherer, dass alles gut werden würde. Ja, sie war die Richtige für das, was er vorhatte. Dieser starke, aggressive Auftritt eben hatte es gerade bewiesen. Er hatte die perfekte Frau gefunden, für die er nach Amerika gekommen war. Zeit, die Heimkehr zu planen.

Pamela torkelte in ihr Bad, ihre Knie zitterten, der Puls raste. Gott sei Dank hatte der Russe nicht geahnt, dass da gar keine Patrone in der Waffe war. Sie hatte geblufft und gewonnen. Erleichtert starrte sie ihr Spiegelbild an und schwor sich, dass ihr so etwas nie, nie wieder passieren würde.

Klar, sie war einverstanden gewesen. Ja, sie hatte den Sex gewollt. Aber doch nicht so! Und ja, es hatte sie erschüttert, wie ähnlich er sich verhalten hatte. Genauso wie Steve in dem halben Jahr, das sie zusammen gewesen waren. Der reiche, verwöhnte Sohn aus gutem Hause hatte ihr Abgründe seiner Seele gezeigt, die bei ihr immer noch einen Würgereiz hervorriefen. Der rücksichtslose Bastard hatte ihr auf alle nur erdenklichen Arten wehgetan, auf alle, die keine bleibenden Spuren auf ihrem Körper hinterließen. Der Russe hingegen hatte ihr blaue Flecken verpasst. Nicht tolerierbar. Das ging zu weit.

Steve hatte dafür gesorgt, dass sie vor dieser Art Gewalt vernünftige Angst hatte. Er hatte ihr den freien Willen zu brechen versucht mit grausamem Sex. Still zu liegen, nachzugeben, keine Bewegung, das hatte sie gelernt. Und es hatte ihr mit Sicherheit geholfen, jetzt ohne weitere Blessuren davon zu kommen. Warum nur begehrte sie den herrischen Bogdan so sehr? Sie hatte seinen Namen sehr wohl verstanden, auch wenn er nun nicht mehr von Interesse war. Nicht nach diesem Auftritt.
Pamela ahnte nicht, wie falsch sie damit lag, denn dem Russen war nichts ferner gewesen, als ihr weh zu tun. Er hatte nur keine Ahnung gehabt, wie er sich besser verständlich machen könnte, und nach einer Weile hatte seine Leidenschaft einfach sein Gehirn ausgeschaltet. Die Zeit ohne Frau war für ihn zu lang gewesen. Und sein Glücksgefühl viel zu überwältigend, um noch vernünftig zu sein.

Am meisten schockierte sie aber die Tatsache, dass sie Lust gefühlt hatte, als er sie dominant und grob auf dem Sofa genommen hatte. Schon der ganze Abend in der Bar hatte sie erregt. Der harte Fick hatte sie scharf gemacht, und wenn er etwas mehr Stehvermögen bewiesen hätte, wäre sie vermutlich gekommen. Seine ganze Art, sein Duft, seine Kraft, alles hatte sie unglaublich erregt.
Verdammt. Sie wollte das nicht. Sie wollte nicht so sein, nicht so fühlen. Es war gruselig.

Die Party der Karanows

Zwei Wochen später war sie schon wieder in der leidigen Situation, zusammen mit ihrer Mutter zu einem gesellschaftlichen Event fahren zu müssen, zu dem sie überhaupt gar nicht wollte.

Ein Geburtstagsfest zu Ehren von Fjodor Karanow statt. Auch wenn er der Älteste der Familie war, hielt er sich sehr bedeckt und im Hintergrund. Die Party fand in einer exklusiven Villa am Rande der Rocky Mountains statt, sehr nobel, abgehoben, und der Gastgeber war Gregory Karanow.
Der mächtige Russe, reich und gutaussehend, der anerkannte Chef seines Klans, wie Pam inzwischen wusste. Er hatte es sich in Denver gemütlich gemacht. Seine Geschäfte liefen ausnehmend gut, vor allem mit dem de Sanctis Klan, dem ja auch Pam angehörte.
Ihre Cousine Alicia, die dem dominanten Russen immer noch als Gespielin diente, hatte alles für seine Familie und den Geburtstag seines Bruders hergerichtet. Luxus und russische Lebensart, um den Mächtigen und Wichtigen hier in Denver imposant zu zeigen, wer man war. Pam hatte kurz mit ihr telefoniert, um herauszukriegen, ob es ein Motto gab, aber Alicia hatte nur gelacht. Gute Laune, das reiche schon als Mitbringsel. Oh, das allein war für Pam schon eine echte Herausforderung, ihre Laune war so eisig, so depressiv, wie lange nicht mehr.

Sie musste dort hin, hatte keine andere Wahl. Der Druck, den ihre Mutter ausübte, war groß, die finanziellen Verpflichtungen und die Freiheit ihrer kleinen Schwester standen auf dem Spiel. Pamela hatte sich in gewisser Weise geopfert, denn Mum hatte einen Trumpf im Ärmel, den sie jeder Zeit ausspielen konnte. Das durfte sie nicht riskieren. Und es war ja eines der allerletzten Male, bald war sie frei.

Also machte sie sich partyfein.
Das Cocktailkleid, dieses Mal noch konservativer als vor zwei Wochen, war hochgeschlossen, mit langen Ärmeln. Der seidenähnliche Stoff glänzte wunderschön in einem zarten Hellgrün, unaufdringlich und sanft, bestickt mit unzähligen winzigen Blüten und Ranken.
Sie mochte das Kleid, es war bequem, vor allem der weit schwingende Rock mit einer züchtigen Länge hinunter bis über das Knie, machte ihr Spaß. Dazu recht flache Pumps, denn sie sollte gleich lange bleiben, wie ihre Mum, und das bedeutete im Regelfall Fußschmerzen nach vier oder fünf Stunden. Christina O´Hara war nicht dafür bekannt, als Erste nachhause zu gehen. Pamela seufzte.
Schmuck? Oh, da gab es ja noch die Ohrringe und den Ring, den ihr Dad ihr zu einem ganz ähnlichen Kleid geschenkt hatte. Leider hatte er sich damals in der Farbe vergriffen und ihr Steine in zartem Grün geschenkt, die genau zur Augenfarbe ihrer älteren Schwester passten. Und ignoranter Mann, der er war, merkte es noch nicht einmal. In der ersten Zeit hatte sie sich geweigert, den Schmuck zu tragen, aber im Grunde hatte sie sich dieses Kleid von CC extra zu diesem Zweck anfertigen lassen, passend Ton in Ton. Und es war bildschön geworden.

Sie schminkte sich dieses Mal sorgfältig, niemand sollte die dunklen Ringe unter ihren Augen sehen, denn allein das Wissen heute zu dem Fest gehen zu müssen, hatte ihr schlaflose Nächte bereitet. Sie fühlte sich erschöpft und ausgelaugt, noch bevor sie zu der Feier aufgebrochen war. Warum um Himmels Willen durfte sie nicht einfach einen ruhigen, gemütlichen Abend auf dem eigenen Sofa verbringen…

Christina O´Hara wartete unten in der Limousine, sie mochte das Hochhaus nicht, in dem jede ihrer älteren Töchter eine Wohnung hatte. Es gab keinen Grund, sich da hinauf zu begeben. Bianca war schon wieder in Kalifornien, um sich um kranke Kinder zu kümmern. So edel und karitativ das Ganze nach außen hin aussah, für sie als Mutter war es nicht leicht die Töchter loszulassen. Immerhin waren beide hübsch genug, um vorgezeigt zu werden, ein Statussymbol, wertvoll in der High Society. Und beide noch ohne Partner an der Seite, der die Pläne der Lady unterbinden würde.
Es war deren Pflicht, an der Seite ihrer Mutter zu repräsentieren. Empörend genug, dass Nesthäkchen Stella sich schon als Teenager ausgeklinkt hatte, um bei den Großeltern zu leben. Die Jüngste ging einen eigenen Weg. Daher musste Pamela, die noch nicht einmal die Hübscheste der Drei war, die Stelle angemessen ausfüllen. Sie seufzte. Irgendwie drängte sich in ihr der Verdacht auf, dass es eine der letzten wichtigen öffentlichen Veranstaltungen war, zu denen ihre Mittlere mitkam. Es bereitete ihr eine große Genugtuung, zu wissen, wie sehr Pam es hasste und wie wenig sie sich dagegen wehren konnte. Doch die Zeit lief ab, bald stand auch dieses undankbare Kind finanziell auf eigenen Füßen und ihr als Mutter war dann jede Macht, jedes Druckmittel genommen.

Ein weiterer Seufzer, als sie nun sah, für welches Kleid sich ihre Tochter entschieden hatte.
Welch eine Verschwendung!
So ein femininer Körper in so einem alles verhüllenden Sack. Das Mädchen versteckte seine Reize gekonnt, sie zeigte keine Motivation, sich einen der reichen - richtig reichen - Männer zu schnappen, die heute zu der Party kommen würden. Himmel, sie wurde doch auch nicht jünger und da sie nicht die Schönheit ihrer Schwestern hatte, sollte sie ihre dahinrasende Zeit nutzen und sich einen Millionär angeln. Aber so nicht. Und immer noch hatte sie keine klare Antwort gegeben, warum Steve sich von ihr getrennt hatte. Der Kerl sah doch so gut aus, war reich, kam aus vornehmen Hause, und sie waren verlobt gewesen. Warum zum Teufel hatte Pamela die Verlobung gelöst? Die damals gemurmelte Antwort wegen häuslicher Gewalt konnte Christina so nicht gelten lassen. Bestimmt hatte Pam einfach nicht genug getan, um den reichen jungen Mann halten zu können. Dummes Ding.

Pamela stieg in die Limousine, den prüfenden, verächtlichen Blick ihrer Mutter spürte sie bis auf die Knochen. Sie begrüßte die Ältere mit einem eisigen Wangenkuss und setzte sich vorsichtig hin. Das würde ein langer Abend werden. Ihre Laune konnte gar nicht mehr tiefer sinken.

Doch bei den Karanows war erstaunlicherweise zunächst alles richtig entspannt. Musik plätscherte leise dahin, umhüllte das Anwesen samt der fantastischen Beleuchtung wie eine Aura aus einem Märchen. Fackeln umgaben den Garten, indirekte Lichter erhellten die Schatten, bunte Lampions setzten Akzente. Der Pool war zur Hälfte mit einer Platte abgedeckt, die als Tanzfläche diente. Springbrunnen brachten kühle Frische in den Garten. Die laue Sommernacht, die weit offenen Räume, die direkt auf die partymäßig aufgerüstete Terrasse gingen, der weiße Flügel und die merklich russische Innendekoration machten die untere Etage des Hauses zu einem Gelände, in dem man sich dahinschlendernd, langsam flanierend, verlustieren konnte.

Die Party war schon in vollem Gange, denn Christina O`Hara war bekannt dafür, niemals als Erste zu kommen oder gar als Erste zu gehen. Sie fühlte sich nur in der Menge wohl und mochte die ersten, oft etwas peinlichen Momente nicht, wenn die Gastgeber gerade erst fertig waren und man schon im Türrahmen stand. Fröhlich plaudernde Gäste tummelten sich allenthalben und Pam und ihre Mutter mischten sich unter das Volk in Partylaune.
Bekannte und weniger bekannte Gesichter begegneten ihnen, es gab Cocktails zu Hauf und immer wieder kleine Bistrotischchen mit Häppchen. Draußen spielte eine leise, unaufdringliche Band, deren Musik in alle Winkel der neumodischen Villa getragen wurde, modernster Technik sei Dank. Auch wenn der Karanow erst seit kurzem hier residierte, es war ein persönliches, gemütliches Zuhause, das Alicia ihm eingerichtet hatte. Warme Farben und tolle Bilder aus der Weite Russlands vermittelten Fernweh. Oder Heimweh.

Und so gelang es Pamela ein, zwei Stunden an der Seite ihrer Mutter zu verweilen, ohne dass irgendetwas passierte. Nichts. Nichts Wichtiges jedenfalls. Alicia tauchte ein paar Mal auf, und auch Stella mit einem ihrer Kunden. Und da trennte sie sich kurz von ihrer Mutter, die so gar nichts von der Jüngsten der drei Schwestern wissen wollte. Stella, merklich unterkühlt, gab nur kurz Auskunft, einen Wangenkuss, und verschwand dann wieder mit ihrem Lover in der Menge. Pam blieb traurig zurück. Stella ahnte ja nicht einmal, was ihre Schwestern ihr alles abgenommen hatten, nachdem sie zu Grandpa ausgezogen war. Die beiden Älteren hatten einen Pakt geschlossen, die Jüngste zu beschützen, nachdem klar war, dass diese nicht zurückkommen wollte. Eigentlich gönnte sie es der Kleinen, aber andererseits beneidete sie sie um ihre Freiheit. Sie schaffte es, wieder einen neutralen, beherrschten Gesichtsausdruck, eine kühle, arrogante Maske aufzusetzen, bevor sie sich wieder an die Seite ihrer Mutter begab.

Stechende Augen verfolgten sie. Sie spürte den Blick schon seit einigen Minuten, weigerte sich aber, es zur Kenntnis zu nehmen, ihm die Genugtuung zu bereiten, dass sie sich nach ihm umwandte. Ihre Befürchtungen waren wahr geworden, aber sie würde dafür sorgen, dass sich der kleine Alptraum von vor zwei Wochen nicht wiederholte. Über eine Stunde lang gelang es ihr, dem Russen auszuweichen. Er schlich sich immer wieder in ihre Nähe, suchte aber nicht offen das Gespräch. Er belauerte sie wie eine jagdbare Beute. Stella hatte mehr Glück, sie wurde gebucht, von Männern, die ihr dafür Geld zahlten, dass sie sie begleitete – und mehr – und sie genoss dieses Leben, denn der Escort Service, bei dem sie arbeitete, hatte extrem strenge Richtlinien, was die männlichen Kunden anbelangte. Stella war sicher. Ihre körperliche Unversehrtheit stand nie zur Diskussion.

Christina amüsierte sich. Ein wenig. Die Party war nett und luxuriös. Es gab teures Essen, teuren Champagner und die oberste Sahneschicht der Stadt war anwesend. Und einige empörend arrogante New Yorker. Und einige interessante, weil weniger gut taxierbare Russen. Pamela war das letzte Mal früh verschwunden. Sie hatte es ihr durchgehen lassen, weil sie damit deren Anwesenheit zur heutigen Party erzwingen konnte. Dieses Mal sollte das besser nicht passieren, sonst würde es krachen. Auch ihre Geduld war begrenzt. Doch in angenehm oberflächliche Gespräche mit älteren Herren vertieft, schwand langsam ihr Interesse an der Tochter. Sie fühlte sich wohl, solange sie genügend Aufmerksamkeit bekam.

Die unterkühlte Blondine jedoch wurde langsam ein wenig nervöser. Es schien kein Entrinnen zu geben. Langsam schlich sich der Russe näher. Er nutzte alle möglichen Vorwände, um den O‘Haras näher zu kommen. Nachdem er die junge Frau zwei Wochen nicht aus seinem Kopf bekommen hatte, wollte er jetzt nichts überstürzen. Zumal sie ihn seit einer Stunde bewusst ignorierte.
Ja, sie hatte ihn bemerkt. Ihre Blicke hatten sich immer wieder wie zufällig getroffen, in einem Spiegel, in einer Reflexion der Fensterscheiben, quer durch den Raum, oder auf der anderen Seite des Pools. Dass die junge Frau jedes Mal ein wenig bleicher wurde, sich hastig umdrehte und mit ihrer Mutter sprach. Dass sie sich weigerte auch nur einen Schritt in seine Richtung zu gehen, all diese Kleinigkeiten sagten ihm, dass auch sie ihn nicht vergessen hatte und ihre Gefühle mehrschichtig waren. Schon wieder ein Rätsel, das er zu lösen hatte. Sein Puls war hoch, oh, das Adrenalin tobte durch seine Adern. Hatte er es beim ersten Mal so schlimm vermasselt, dass sie ihm keine weitere Chance einräumen mochte?

Würde sie ihn hassen oder verachten, so würde ihr eisiger Blick ihn quer durch den Raum erdolchen. War sie noch richtig wütend, so würde sie quer durch den Raum kommen und ihm eine runter hauen. Wäre er ihr einfach nur gleichgültig, so würde sie seine Blicke nicht spüren, und mit einem gelassenen Schulterzucken reagieren, sobald sie Augenkontakt hatten. Ihr Zögern, ihre Zurückhaltung, das Ausweichen – was bedeutete es bei einer Amerikanerin?

Doch er konnte sich irren, denn er hatte nur ganz wenig Erfahrung mit Frauen, die er sich nicht kaufte. Und noch dazu war diese hier aus einem anderen, fremden Kulturkreis. Ganz anders, als alles was er kannte. Ihre Schönheit haute ihn wieder fast um. Auch wenn das Kleid dazu gedacht war, nicht sexy zu wirken, sondern ihre Reize zu kaschieren und zu verhüllen, erinnerte er sich zu gut daran, wie sie darunter aussah. Trug sie einen Minimizer-BH? Bogdan fletschte zuversichtlich die Zähne, oh, auch solch eine stoffliche Festung würde ihn nicht abhalten. Ein leises Schmunzeln, gut kaschiert unter dem Bart, zeichnete sich auf seinen Lippen ab, doch nur die Gäste in seiner nächsten Nähe erkannten, dass es sogar die Augen erreichte. Hatte sie sich extra unattraktiv machen wollen, um ihn zu vergraulen?

Die Zeit plätscherte dahin und Pamela drückte sich erfolgreich vor so manchem Tanz. Das wollte sie heute nicht, und so hatte sie ihre Mutter schon im Vorfeld informiert, dass sie eine leichte Fußverletzung habe. Nichts wirklich Ernstes, doch sie sei auf hohen Absätzen umgeknickt und schuf sich so eine Ausrede für die flachen Ballerinas, die ihr das Stehen neben ihrer Mum erleichterten. Christina hatte ihr nicht geglaubt, nicht ein Wort. Warum auch, war ja gelogen. Aber die erfahrene High Society Lady – und Mutter – hatte sehr wohl verstanden, dass sie nicht zu sehr insistieren durfte, wenn sie nicht riskieren wollte, dass ihre Tochter wieder früh verschwand. Inzwischen war so viel Champagner in ihre Kehle geflossen, dass es ihr egal war. Sie flirtete mit einigen einflussreichen älteren Herren und ließ sich auf die Tanzfläche bitten.

Pamela verweilte in einer ruhigen Ecke. Bisher hatte der Russe, der sich Bogdan nannte, sie nur beobachtet und sie noch nicht bedrängt. Aber sie ahnte, dass ihre ruhige Zeit bald vorüber sein würde. Und so nutzte sie den günstigen Moment, als sie sah, dass Alicia sich mit Gregory die Treppe hoch begab.

Sie verfolgte die beiden und bat hastig um ein Gespräch. Alicias Gesicht nach zu urteilen, hätte sie den Moment gar nicht ungünstiger wählen können, aber ihre Cousine sah ihr wohl an, dass es ernst war. Der zuvor lüsterne, aufreizende Ausdruck verschwand schlagartig vom Gesicht der hübschen Escort Lady und wich einem gesorgten Gesicht. Alicia war Familie, sie waren seit der Kindheit befreundet. Und Pamela atmete tief durch, als sich die Tür der Bibliothek hinter ihnen dreien schloss.

„Alicia, Mr. Karanow, bitte, es ist mir wichtig, dass Sie einen Moment Zeit für mich haben. Ich weiß mir nicht anders zu helfen. Vielleicht bin ich überängstlich, aber nach der Sache mit Steve kann ich manche Dinge einfach nicht mehr ertragen.“

Gregory schnaubte ein wenig ungehalten. Der Karanow war verärgert, dass eine der Damen, die seine Gespielin eingeladen hatte, mit hier hoch gekommen war, wo ihm doch ganz dringend der Sinn nach Sex stand. „Steve? Wer ist das?“
Alicia schaltete sich ein.
„Gregory, Darling, ich erkläre das später, nur eines: er wird im Bett brutal und auch anderweitig übergriffig. Er nimmt einer Frau jedes Selbstbewusstsein bis nur noch Angst vor seiner Gewalt übrig ist. Pamela ist vor einem Jahr in seine Fänge geraten – war sogar verlobt mit dem stinkreichen Arsch – dank ihrer Mutter. Aber sie war nicht die Einzige, er hat von zwei anderen Frauen Anzeigen an den Hals gekriegt, die aber abgeschmettert wurden, da sein Vater ein hoher Richter ist.“

Gregory nickte. Gewalt gegen Frauen war ihm zuwider. Das konnte und wollte er nicht dulden, doch er verstand den Zusammenhang mit der Party hier in seinem Haus nicht.
„Nun, und was habe ich damit zu tun?“

Pamela zögerte, sie wusste nicht, wie sie es formulieren sollte, ohne jemanden zu verärgern oder zu beleidigen.
„Also, vor zwei Wochen bei dem Wohltätigkeitsball, ist mir ihr Cousin gefolgt, Mr. Karanow. Bogdan Karanow. Er folgte mir hinterher in eine Bar und sagte kein Wort. Er kommunizierte ohne Worte, recht charmant. Ich fand ihn nett und er machte zögernde Avancen. Ich gab nach und nahm ihn mit in meine Wohnung. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Es war keine Vergewaltigung, ich wollte es im Grunde ja auch. Aber ich kann nicht mit Gewalt umgehen. Seine Brutalität hat mir Angst gemacht. Bitte sorgen Sie dafür, dass er sich von mir fern hält. Bitte. Mehr will ich doch gar nicht.“

Gregory schwieg. Alicia hatte sein Hand gedrückt und ihm zu verstehen gegeben, dass sie Pamela ernst nahm. Deren Angst schwang in den Worten mit, sie war emotional tief getroffen. Und wenn das tatsächlich ein Mann aus seinem Familienklan ausgelöst hatte, dann konnte der sich auf etwas gefasst machen.
Bogdan war nett, ruhig, zurückhaltend. Er galt bislang als beherrscht und bedacht. Er kam mit Worten nicht so gut klar, aber seine Taten sprachen bis heute immer für ihn. Er war loyal und vertrauenswürdig. Es fiel dem Klanoberhaupt schwer, ihn sich als Vergewaltiger vorzustellen.
Sicher, es brodelte etwas in ihm, nur dünn kaschiert unter einer zivilisierten Oberfläche, und bekanntlich waren alle Karanows mit einer wilden Ader gesegnet. Aber er hätte ihn nie als brutal gegen Frauen eingestuft. Da sprach die Ehre der Familie dagegen. Nun, das war ein Problem.

„Können Sie das beweisen? Was soll ich meinem geschätzten Cousin sagen?“

Alicia keuchte empört auf. Sie kannte die hoch angesetzte Ehre der Russen und ihr war klar, dass Gregory einen stichfesten Grund brauchte, um sich einzuschalten. Aber die Ehrlichkeit Pamelas in Frage zu stellen ging zu weit. Sie konnte sich gut vorstellen, wie schwer es ihrer Cousine und guten Freundin gefallen war, sich hierher zu stellen und das Thema anzusprechen. Sie kam aus einer erzkonservativen Familie, ihre eigene Mutter hatte ihr gesagt, sie solle sich nicht so anstellen und die Zähne zusammenbeißen, Steve sei die beste Partie, die sie kriegen könne. Doch Geld und Ansehen allein machten nicht jeden glücklich.

Mit Misstrauen hatte Pamela gerechnet. Sie war nicht stolz darauf, aber sie hatte einen Beweis mitgebracht, den nicht einmal Gregory in Frage stellen konnte. Sie holte ihr Handy heraus und öffnete die Fotos. Das Selfie (ohne Gesicht) von ihrem nackten Dekolleté mit Bogdans Handabdruck war erschreckend, auch wenn sie es ja schon kannte. Am nächsten Morgen hatte es sich blau verfärbt. Sah spektakulär aus, auch wegen ihrer empfindlichen, durchscheinenden Haut. Schon immer hatte sie zu blauen Flecken und Blutergüssen geneigt. Jetzt zahlte sich dieser Makel aus.

Gregory fluchte leise, als er das Foto genauer betrachtete. Er vergrößerte den Handabdruck, zoomte Details heran. Anhand der beiden kleinen Leberflecke am Hals der Frau auf dem Foto konnte er sie eindeutig als Pamela identifizieren. Und die Hand war die von Bogdan. Genauso eindeutig. Denn die Kuppe vom Ringfinger fehlte.

Alicia trat zu ihrer Cousine. Sie nahm sie vorsichtig in den Arm und hielt sie fest. Zu ihrer großen Überraschung schmiegte sich die sonst so unterkühlte Blondine an sie und erwiderte die Umarmung. Das leise Zittern ließ nach.

„Okay, Miss O‘Hara, das ist ein Beweis. Keine Frage. Keine Diskussion. Aber Sie werden ihn nicht wegen Vergewaltigung anzeigen? Mit diesem Foto hätten Sie, glaube ich, schon ganz gute Chancen?“

Die junge Frau schüttelte den Kopf. Es war ja keine gewesen. Sie wollte den Russen nicht schlechter machen, als er war. Vielleicht war ja auch alles nur ein großes Missverständnis gewesen, aufgrund der Sprachbarriere. Und der kulturellen.
„Bitte sorgen Sie einfach dafür, dass er mich in Ruhe lässt. Bitte, er soll mir nicht noch einmal näher kommen.“

Gregory nickte zustimmend. Das konnte er tun. Er würde mit Bogdan reden, im Laufe des restlichen Abends, und ihm klar machen, dass er sich a: weit mehr zurück nehmen musste, wenn er mit einer Amerikanerin schlief, und b: bei dieser hier ein wenig zu weit gegangen war und es gut sein lassen sollte.

Minuten später stand Pamela wieder äußerlich gelassen an der Seite ihrer Mutter und verfolgte gelangweilt die oberflächlichen Gespräche, die diese mit Männern der Politik führte. Das Zittern war verschwunden und sie hatte ihr Selbstbewusstsein und ihre Beherrschung wieder, gottseidank. Ihr Interesse galt dem Hausherrn, der über seine Party schlenderte, Alicia am Arm und sich dabei unauffällig in die Nähe seiner Brüder und Cousins bewegte. Da die Party zu Ehren seines Bruders Fjodor gegeben wurde, der gerade seinen 40. feierte, war es nicht zu offensichtlich. Kurze Zeit später verschwanden Gregory und Bogdan nach draußen und keine fünf Minuten später kam der Hausherr allein zurück. Er fand Pamelas Blick und zeigte ihr einen erhobenen Daumen. Okay, er hatte sein Versprechen gehalten.

Und wirklich, der andere Karanow tauchte in der nächsten Stunde nicht mehr auf. Pamela begann sich zu entspannen. Leider hatte sie zuvor vor Nervosität ein wenig zu viel Champagner geschlürft, ständig aus den kostbaren Kelchen genippt und die Wirkung des Krim-Sekts, zu dem sie dann wechselte, massiv unterschätzt. Das Zeug war so merkwürdig, so… stabil, da stand sicher der Löffel drin. Gab es Sekt, bei dem der Schaum tatsächlich stehen blieb, wie bei einem Bier? Die vollen, würzigen Aromen, der ungewohnte, aber angenehme Geschmack nach dem säuerlichen Champagner, hatten sie unvorsichtig gemacht. Nun war es genug, und ihre Mutter entließ sie mit einem arroganten Lächeln. Ja, sie hatte pflichtgemäß ihre Schuldigkeit getan. Die Tochter durfte nachhause.

Grenzenlose Erleichterung durchflutete Pamela, als sie die Villa und somit die Party verließ. Jetzt hatte sie vier Wochen frei. Endlich. Das Semester würde übermorgen beginnen und dann war sie für einige Zeit so ausgebucht, dass sie ihrer Mutter keinen Platz mehr einzuräumen brauchte. Das erkannte die Dame sogar an, die nur angemessen fand, dass ihre mittlere Tochter Jura an einer hochdotierten Uni studierte. Dass das Studium ernsthaft betrieben wurde und ein guter Abschluss Pflicht war, war ja nur selbstverständlich. Also hatte Pamela ein klein wenig Freiheit vor sich – ein paar Wochen nur.

Schatten in der Dunkelheit

Lautlos bewegte sich ein Schemen durch den borealen Nadelwald. Die weiche, federnde Schicht unter seinen Füßen schluckte jeden Ton. Die Dunkelheit, allumfassend trotz der hell funkelnden Sterne, war sein Zuhause. Es war zu seiner Welt geworden, das Verborgene, das Schattenhafte. Bald würde der Mond als schmale, abnehmende Sichel über den weiten Horizont steigen. Dann wollte er an seinem Platz sein. Warten. Lauschen. Und beobachten.
Jeder Schritt war vertraut, jeder Baum bekannt. Leise und zielstrebig lief er voran, leichtfüßig in der lauen Sommernacht. Lichter erschienen im Wald, das Lager der Mörder war noch hell erleuchtet. Die Lagerfeuer flackerten hoch und verbreiteten Rauch und den Duft von nahrhaftem Eintopf. Er wandte den Blick bewusst ab, wollte sich seine gute Nachtsicht nicht von den hellen Lichtern der Stirnlampen verderben lassen.
Laute Stimmen, das Gelächter der Neuen, die erst in den letzten Stunden eingetroffen waren. Täglich kam jemand hinzu, angelockt von den irren Versprechen von Gold und Geld. Die Geräusche hallten weit in der Stille des Waldes.

Nun wurden die Schritte vorsichtiger, langsamer, er prüfte, wohin er seinen Fuß setzte. Verschmolzen mit den Schatten wartete er. Geduldig. Ruhig. Voll gespannter Erwartung, den rasiermesserscharfen Dolch sehnsüchtig in der Hand.

Ein lautes Knacken zu seiner Rechten warnte ihn vor. Mit der Eleganz eines Elchbullen suchte sich die Wache ihren Weg durch den finsteren Wald. Seine Taschenlampe ließ er aus, so wie es der Boss befohlen hatte. Aber das half dem tollpatschigen Mann nicht. Er sah zu oft in Richtung seiner Kameraden, zum Feuer hin und den Resten der Mahlzeit. Und verpasste es, auf seinen Tod zu achten.

Lautlos schnitt die scharfe Klinge durch die Kehle der Wache. Der bullige Mann brach mit einem gurgelnden Laut zusammen, als das Blut in lebendigem, pulsierenden Strom aus seiner Halsschlagader pumpte. Schwarze schien die Flüssigkeit in der Finsternis der der nächtlichen Stunde. Die durchtrennte Luftröhre blubberte voller Blut. Jeder Herzschlag brachte ihn einem kühlen, nassen Tod näher, unausweichlich in der Düsternis der Nacht.
Langsam glitt der Mann zu Boden, gehalten, wie ein Säugling, von den starken Armen des mörderischen Schemens. Der Schattenmann achtete auf die Zeichen. Sorgfältig arrangierte er den Leichnam, kaum dass der letzte Herzschlag verklungen war.
Wie ein Embryo zusammen gerollt, einen Daumen im Mund, die Augen wie zum Schlaf geschlossen, ließ er den Wächter in einer riesigen Blutlache zurück. Ein kaltes Lächeln glitt über sein Gesicht, als er das Symbol betrachtete.

Es war nicht ausschließlich Rache, die er fühlte. Der Schatten war zu solch einem Gefühl nicht mehr fähig, zu weit war er in der Kälte seines Herzens gefangen. Nein: Sicherheit war es, die ihn antrieb, seine Feinde zu dezimieren. Keiner der Banditen hatte ein Recht auf Überleben. Die Sicherheit seiner Familie stand an oberster Stelle. Nichts durfte übrigbleiben von der Gefahr.
Genauso lautlos, wie er gekommen war, verschwand der Schemen wieder in der Weite der Taiga. Und als schließlich die entsetzten Schreie der Banditen durch den Wald schallten, glitt – weit entfernt – erneut ein zynisches Lächeln über sein Gesicht.

Er huschte davon, eilte die weite Strecke zum Sommerpalast, der dunkel und schläfrig in der lauen Nacht lag. Alle Vorhänge waren zugezogen, zum Schutz vor der Dunkelheit und dem Bösen, das in den Wäldern Sibiriens lauerte.
Doch das Mädchen, das angespannt und ängstlich hinter den dicken Brokatgardinen hervorlugte, spürte seine Nähe, seine Aura, über die hunderte Meter hinweg durch die dunkle Nacht. Sein Versteck, obwohl klug gewählt, schien ihn nicht verbergen zu können – nein, im Gegenteil – je mehr er mit dem Dunklen verschmolz, desto deutlicher nahm das schlanke Kind ihn wahr.
Und obwohl sie hinter den verriegelten Fenstern und dicken Türen in Sicherheit war, fühlte sie den Schauder, der ahnungsvoll ihren kleinen, schmächtigen Körper durchlief.
Der Schattenmann seufzte traurig, als er das blasse Gesichtchen hinter den Vorhängen verschwinden sah. Wie gerne würde er ihr mitteilen, dass sie in Sicherheit waren, solange er über sie wachte.

Eine zweite Chance

Pamela schlüpfte aufatmend in die Limousine ihrer Mutter, und der Fahrer gab Gas, bevor sie richtig saß. Sie schrie auf, als sie die düstere Gestalt neben sich erkannte. Bogdan Karanow hatte sich Zugang zum Familienauto verschafft, vorbei an ihrem Fahrer und Bodyguard. Sie war geschockt. Begann zu zittern. Hatte sie seinen Hass herauf beschworen, indem sie mit Gregory geredet hatte?
Panik brach aus. Adrenalin schoss durch ihre Adern, der Puls hämmerte, trieb den Krimsekt verflucht schnell durch ihren Körper und machte jeden klaren Gedanken erst einmal zunichte.

Vorsichtig zog sich der Russe in die Ecke der Limo zurück, um sie nicht noch mehr zu verschrecken, ganz langsam hob er die Hände, die leeren Handflächen zu ihr hingestreckt, als ob er sich ergäbe. Sie schüttelte nur wild den Kopf, rückte so weit als möglich nach rechts, weg von ihm. Doch jetzt legte er bettelnd die Handflächen zusammen. Sah ihr intensiv ins Gesicht. Und sagte nur ein Wort: „Bitte!“

Sie verharrte regungslos in ihrer Ecke. Zittrig und unschlüssig. Die Türen der Limousine, die sich schnell der Innenstadt näherte, waren verriegelt, sie hatte das leise Klicken gehört. Also gab es kein Entkommen, und sie musste diese Fahrt irgendwie überleben. Was hatte er ihrem Fahrer gezahlt?

Tief einatmen, ausatmen, immer wieder. Bis sie langsam ein wenig ruhiger wurde. Der Russe strahlte im Moment keine Aggression aus. Nun, zumindest nicht sofort spürbar. Er hatte seine Emotionen weg geschlossen, sie blockierten nicht die Sicht auf den Mann dahinter. Abwartend und vorsichtig hielt er sich still. So beherrscht, so offenbar zivilisiert hatte sie ihn noch nie erlebt. Ein wenig der übermächtigen Furcht ließ nach.

Bogdan wusste, jetzt war ein entscheidender Moment in ihrer Beziehung, das stand fest, und so wie Gregory es vorhin formuliert hatte, stand alles auf dem Spiel.
Eine falsche Bewegung, und er würde es deutlich schwerer haben, sie für sich zu gewinnen. Zufrieden beobachtete er ihre Selbstbeherrschung. Sie hatte ihre Angst im Griff. So eine starke Frau, in einem so zerbrechlichen Körper. Das durfte er niemals vergessen, wie leicht er sie verletzten konnte, denn ihre innere Stärke überdeckte alles Zarte. Sie fing weder an zu schreien noch versuchte sie panisch die Tür zu öffnen. In der Tat wirkte sie gefasst. Stolz und Bewunderung für die blonde Schönheit wuchsen. Er hätte es ihr nicht zugetraut, und seine Zuversicht wuchs, dass er die richtige Frau gefunden hatte. Nach einer Weile senkte er langsam die Hände und hob nur einen Zeigefinger in die Luft. „Chance,… bitte!“

Sie legte den Kopf schief und versuchte ihn einzuschätzen. Verdammt, das letzte Mal hatte sie auch danebengelegen und sich von seiner leisen, unaufdringlichen Art einlullen lassen.

Der Mann war gefährlich.
Punkt.
Für ihre Nerven, für ihr Wohlbefinden.
Sie sollte nicht darüber nachdenken, ihm eine zweite Chance geben. Nein. Ganz sicher nicht.

„Du willst eine zweite Chance? Ehrlich?“
Sein langsames Nicken bestätigte ihren Verdacht. Der Russe verstand mehr, als er zugab.

„Warum sollte ich das tun?“
Bogdan wurde schon wieder wütend. Auf sich selbst. Auf seine Unfähigkeit, verbal mit ihr zu kommunizieren. Wie gerne wollte er ihr erzählen, was er mit ihr vorhatte, wie er sie liebevoll verwöhnen wollte. Jedes Detail ihres Körpers mit Händen und Zunge anbeten und liebkosen und alles wieder gutmachen, was vor zwei Wochen schief gelaufen war.
Dieses Mal hatte er im Vorfeld für Erleichterung gesorgt.
Unter der Dusche.

Mehrmals.

Damit er in ihrer Gegenwart nicht noch einmal in solch einen wilden Rausch verfiele. Das hoffte er zumindest. Es war wichtig, sich selbst unter Kontrolle zu halten, bis er ihr seine zärtliche Seite demonstriert hatte. Bis sie ihm wieder ein wenig vertraute. Dann konnte er wieder seiner härteren Neigung nachgeben, oh, er hoffte so sehr, dass er sich nicht in ihr getäuscht hatte, dass sein Gespür richtig lag. Dass sie es genauso wild und heftig wollte, wie er selbst. Doch zunächst musste er sich beherrscht zurücknehmen und alle Wildheit unter einem zarten, fürsorglichen, liebevollen Deckmäntelchen verstecken.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752139167
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (März)
Schlagworte
Gefahr Geheimnis Liebe Erotik

Autor

  • Jasmin Timm (Autor:in)

Mein Name ist Jasmin Timm und ich lebe im wunderschönen Harz inmitten der Natur zusammen mit meinem Mann und zwei Hunden. Seit die Kinder aus dem Haus sind und in alle Teile Deutschlands verstreut leben, bleibt viel freie Zeit für Hobbys. Ich liebe es, mit dem E-Bike durch den wilden Nationalpark Harz zu fahren, Pilze zu sammeln oder Geocaching und Handarbeiten. Ich danke meinem Mann für seine humorvolle Unterstützung und unendliche Geduld. Ich danke meiner Freundin Alex für das schöne Cover.
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Titel: Schatten, Eis und Stille