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Herbstversprechen auf Gracewood Hall

von Sandra Rehle (Autor:in)
190 Seiten
Reihe: Gracewood Hall, Band 5

Zusammenfassung

Liz Sommer kann es selber kaum glauben, in wenigen Wochen heiratet sie ihren absoluten Traummann Max auf Gracewood Hall. Und während die Bedfords diesen Tag unvergesslich machen wollen, haben Max ehemalige Schwiegereltern ganz andere Pläne... ⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


In Gedenken an Carla Kunte

 

Das Buch

Liz Sommer kann es selber kaum glauben, in wenigen Wochen heiratet sie ihren absoluten Traummann Maxwell Thompson auf dem malerischen Herrenhaus der Familie Bedford, „Gracewood Hall“.

Und während die Bedfords diesen Tag unvergesslich machen wollen, haben Max ehemalige Schwiegereltern ganz andere Pläne...

 

Die Autorin

 

Sandra Rehle__Autorenphoto_SW_300.jpgDie Liebe zu Büchern zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Sandra Rehle. Daher war es ganz natürlich, dass sie alles über Bücher und Geschichten lernen wollte. Nach vielen Jahren als Verlagskauffrau und Historikerin schreibt sie nun eigene Geschichten.

„Herbstversprechen auf Gracewood Hall“ ist der fünfte Band ihrer „Gracewood Hall“ Reihe. Alle Teile können unabhängig voneinander gelesen werden.

Sie lebt und liebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern im schönen Hamburg.

 

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter dnb.dnb.de abrufbar.

 

Impressum

© 2021 Sandra Rehle, Minsbekweg 17, 22399 Hamburg
info@sandrarehle.de

Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand, Norderstedt

Covergestaltung: Sandra Rehle, Hamburg

Covermotiv: © Shutterstock.de
ISBN: 9783753441481

 

Familie Bedford und ihre Freunde,

 

die in „Herbstversprechen auf Gracewood Hall“ eine Rolle spielen

 

Richard Bedford, Oberhaupt der Familie

Vivien Bedford, seine Frau, erfolgreiche Künstlerin Nigel Bedford, ältester Sohn mit roten Haaren und einem eigenwilligen Kleidungsstil

Arthur Hayes, Nigels große Liebe

Nora Parker, geborene Bedford, die Tochter, begnadete Sängerin,

Timothy (Tim) Parker, ihr Ehemann, arbeitet im Londoner Finanzwesen

Nicholas (Nick) Bedford, das jüngste „Kind“, leidenschaftlicher Fotograf mit viel Charme

Maxwell Thompson, Nigels Schulfreund aus Internatszeiten, Ziehsohn der Bedfords

Liz Sommer, lebhafte Bloggerin aus Deutschland, wirbelt Max Leben gehörig durcheinander

Milla Sjögren, weltreisende Yogalehrerin mit einem Plan

Bree Sullivan, weltreisende Friseurin ohne Plan

Mrs. Mildred Cuthbert, Haushälterin

Mr. Walter Cuthbert, ihr Mann und Forstwirt

Annie Taylor, arbeitet aushilfsweise auf Gracewood Hall

die Kinder

Claire Parker, Tochter von Nora und Timothy

Henry Parker, Sohn von Nora und Timothy

Lilly Thompson, Tochter von Maxwell und Diana

 

 

Ein vollständiges Personenverzeichnis findest du auf meiner Homepage http://www.sandrarehle.de

Freitag - Kapitel 1

 

„Wenn ich noch eine weiße Taube sehe, schreie ich“, rief Liz und ließ ihren Kopf auf den Schreibtisch sinken.

„Okay, dann keine weißen Tauben. Ich schreibe Nigel gleich eine Mail“, schallte es über den Flur.

„Ich weiß, du hast dich so darauf gefreut, aber was sein muss, muss sein!“ Liz richtete sich auf, als rüste sie sich zum Kampf. „Und wo wir gerade dabei sind, keine Schwäne und auch keine goldenen Ringe, Glocken oder pummlige Brautpaare!“

„Oh nein! Nicht auch noch das pummlige Brautpaar!“

Sie drehte sich um und da stand er. Die dunklen Haare noch verstrubbelt von der Nacht, lehnte er lässig am Türrahmen und ihr Herz ging auf.

„Schon wieder eine Werbemail von einem Hochzeitsausstatter?“, fragte Max mitfühlend. Er arbeitete heute ausnahmsweise von Zuhause aus und hatte nur Bluejeans und eines seiner vielen grauen T-Shirts an.

„Eine? Seit ich verkündet habe, dass wir heiraten werden, platzt mein Postfach aus allen Nähten! Dabei habe ich schon mehrfach betont, dass ich alles beisammen habe und keine Dekoartikel oder so mehr brauche. Aber manche Firmen sind da wirklich… beratungsresistent.“ Liz grinste schief. „Du hast keine Ahnung, was für scheußliche Sachen es gibt! Da könnte einem glatt die Lust aufs Heiraten vergehen. Ich bin so froh, dass ich vor unserer Hochzeit noch die der Websters auf Gracewood erleben konnte!“

„Ich sage jetzt nicht, dass du unsere Hochzeit vielleicht erst im Nachhinein hättest verkünden sollen.“ Max trat auf sie zu und lächelte.

„Nein, ich höre auch gar nichts!“, antwortete sie und erwiderte sein Lächeln. Sie hatten schon mehrfach darüber gesprochen, wie viele private Infos sie auf ihrem Blog teilen wollte, schließlich war sie nun nicht mehr allein. Aber den passenden Weg hatten sie noch nicht gefunden.

Er nahm ihre Hände, zog sie schwungvoll auf die Füße und legte seine Arme um sie. „Ich frage dich nur…“ Er senkte seine Stimme und in ihr begann alles zu vibrieren.

„Ja?“, hauchte sie. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass sie in ein paar Wochen mit ihm verheiratet wäre. Hätte ihr das jemand vor einem Jahr erzählt, sie hätte ihn ausgelacht.

Max hob sie langsam hoch und begann kleine Küsse hinter ihrem Ohr zu verteilen. Er konnte einfach nicht genug von ihr bekommen. Ihr wohliger Seufzer verriet ihm, dass es ihr ähnlich ging.

„…ob du auch einen Espresso möchtest“, beendete er den Satz, obwohl er längst etwas anderes im Sinn hatte.

Liz prustete los. „Wie könnte ich bei einem so verlockenden Angebot nein sagen?“

 

***

 

„Hallo?“ Nora rieb sich die Augen. War sie etwa eingeschlafen? Verdammt! Seit dem Sommer passierte ihr das immer wieder. Ihr Tages- und Nachtrhythmus war völlig durcheinander.

„Habe ich dich etwa geweckt?“ Nigels Stimme tönte durch den Hörer und sie zuckte zurück. „Es ist elf Uhr! Vormittags!“

„Hallo Bruderherz“, murmelte sie und gähnte.

„Du hast tatsächlich geschlafen!“, hielt er ihr entrüstet vor. „Musst du nicht arbeiten?“

„Heute ist mein freier Tag und bevor du jetzt wieder so tust, als wärst du Mum: Die Kinder waren pünktlich in der Schule und im Kindergarten und Tim auf der Arbeit und dort sind sie alle noch.“

„Vielen Dank für die Information, auch wenn es mich gar nichts angeht“, gab er konsterniert zurück.

Nora verdrehte die Augen. Manchmal klang ihr Bruder wie ein altes Klatschweib. Sie atmete tief ein und stand auf. Sie würde sich einen Kaffee machen und dann nach der Wäsche sehen.

„Wie kann ich dir helfen?“, fragte sie, während sie den Kühlschrank öffnete und die Milch herausholte.

„Es geht um Liz Jungesellinnenabschied. Ich dachte, ich komme nach London und wir ziehen durch die Clubs.“ Nigels Stimme hatte sofort einen anderen Klang angenommen. Sie sah ihn förmlich vor sich, wie er vor lauter Aufregung rote Wangen bekam.

„Meinst du nicht, ein Wellnessausflug würde ihr viel besser gefallen?“, warf sie ein und schaltete die Kaffeemaschine an. Sie sah sich um. Hatten sie irgendwo noch ein Stück Schokolade, das die Kinder noch nicht gefunden und vernichtet hatten?

„Nicht jeder von uns ist den ganzen Sommer mit einer Rockband auf Tour gewesen und hat sich ausgetobt“, schoss Nigel zurück.

„Es waren nur drei Wochen und ich…“

„Siehst du, sag ich doch, den ganzen Sommer!“, unterbrach er sie. „Wir leben in Mitteleuropa, hast du das vergessen?“

„Und ich habe mich nicht ausgetobt!“, sprach sie weiter. Es reichte schon, dass Tim sie mit seiner Eifersucht wahnsinnig machte, da musste Nigel nicht auch noch in die gleiche Kerbe schlagen. „Abgesehen davon, organisiert nicht normalerweise die Brautjungfer den Jungesellinnenabschied?“, fuhr sie fort und öffnete dabei sämtliche Küchenschränke.

„Hat die sich denn bei dir gemeldet? Was klapperst du denn da?“, beschwerte Nigel sich.

„Erstens, nein, Lena hat sich noch nicht bei mir gemeldet und zweitens suche ich Schokolade!“ Allmählich knurrte sie mit den Zähnen. Wie verfressen war ihre Familie denn?!

„Hast du schon in deiner Sockenschublade nachgesehen?“, versuchte Nigel den Prozess zu beschleunigen.

„Wie bitte?“ Ruckartig richtete Nora sich auf und erschrak. Beinahe hätte sie sich die Schranktür in den Schädel gerammt. Mit einem tiefen Atemzug schloss sie sämtliche Türen wieder.

„Als wir letztens bei euch waren, hast du die Pralinen, die dir Mum und Dad aus Paris mitgebracht haben, in deiner Sockenschublade versteckt“, erläuterte er hilfsbereit.

„Stimmt!“ Sie erinnerte sich und lief mit ihren langen Beinen zügig ins Schlafzimmer. Eigentlich sollte sie keine Schokolade essen, es machte die Müdigkeit nicht wirklich besser und außerdem hatte sie ein fabelhaftes Kleid im Schrank hängen, das sie gern zur Hochzeit von Max und Liz anziehen wollte. Vielleicht sollte sie doch wieder mehr Sport machen.

„Und? Hast du sie gefunden?“, erkundigte er sich.

„So schnell bin ich auch wieder nicht“, gab sie zurück, aber Nigel, der nach ihrer deutlich kleineren Mutter kam, schnaubte nur.

Yes! Danke, kleiner Bruder!“ Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf Noras Gesicht aus, als sie die exquisiten Pralinen in die Küche trug und sofort prüfte, ob die Kaffeemaschine heiß genug war.

„Können wir zum eigentlichen Thema zurückkommen?“ Nigel wurde ungeduldig. „Ich habe auch noch andere Sachen zu tun!“

„Nun sei nicht so ein Griesgram. Es kann ja keiner, was dafür, dass du auf Diät bist!“, erwiderte Nora und drückte auf das Symbol für einen extra starken Latte Macchiato. Augenblicklich wurde es laut. Sie lief ein paar Schritte in den Flur. „Also, ich glaube nicht, dass Liz einfach nur durch irgendwelche dreckigen Pubs und Schwulenclubs ziehen möchte.“

„Ich habe nichts von Schwulenclubs gesagt! Wir können auch gern in Läden für Heten gehen.“

Nora musste grinsen. Sie sah regelrecht vor sich, wie er die Hände in die Hüften stemmte und fuhr fort: „Findest du nicht, sie hat etwas Einmaliges verdient?“

„Sicher hat sie das! Und eine Nacht mit mir in den Londoner Clubs ist auf jeden Fall unvergesslich.“ Nigel grinste. „Wir können auch noch einen Stripper besorgen.“

Aber Nora hörte ihm gar nicht richtig zu. Während sie überlegte, fiel ihr Blick auf die Pralinenschachtel. Das war DIE Idee!

 

***

 

„Wann war noch mal die Veranstaltung von dem Typen?“, erkundigte sich Max, während er die Espressomaschine bediente.

„Meinst du Chris Roberts?“ Liz war im Türrahmen stehen geblieben und dehnte ihre Beinrückseiten.

„Ja, was macht der nochmal genau?“

„Persönliche Weiterentwicklung. Das ist das neue Trendthema. Glaub mir, in ein paar Monaten fahren auch in Europa alle darauf ab. Noch ist die Szene hier eher klein.“ Sie wechselte die Seiten und zog damit Max Aufmerksamkeit auf sich.

„Schatz, fall nicht die Treppe runter“, bat Max, als er sah, was sie tat.

„Werde ich nicht, aber wenn es dir damit besser geht…“ Sie hüpfte die drei Stufen in den Wohnbereich hinunter.

„Eine Braut mit Krücken ist…“, wollte er auf ihr Augenrollen antworten, aber sie unterbrach ihn.

„Ach, soll das heißen, mit Krücken bin ich dir nicht schön genug und dann heiratest du mich nicht?“ Liz strahlend blaue Augen funkelten.

„Nein. Ich denke nur, dass du ungern mit Krücken zum Altar humpeln möchtest“, antwortete er. Er startete die Maschine und lief auf sie zu. „Ich liebe dich unendlich, das weißt du. Ich würde dich auch noch blind, stumm und lahm heiraten.“

„Stumm nehme ich dir tatsächlich ab!“ Sie schmunzelte.

„Manchmal wünsche ich mir tatsächlich etwas mehr Stille“, gab er zu und nahm sie lächelnd in die Arme.

„Tja, schade nur, dass deine Tochter ebenfalls gern redet“, erinnerte sie ihn.

„Ja, mit euch zwei habe ich wirklich ein schweres Los gezogen!“ Sein Blick strafte seine Worte Lügen. Er senkte den Kopf und sie schloss erwartungsvoll die Augen. Bevor sich ihre Lippen trafen, klingelte sein Smartphone.

Enttäuscht ließ er den Kopf hängen. „Das ist die Arbeit. Sorry, da muss ich ran gehen.“

„Ich weiß.“ Liz lächelte und gab ihm einen schnellen Kuss, bevor sie zur Maschine hinüberging und sie stoppte. „Beeil dich, dann können wir hier weitermachen!“ Sie zwinkerte ihm zu und ein dickes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, während er ans Telefon ging.

„Ja!“

„Max, sorry, ich störe dich nur ungern. Aber ich habe Lillys Großeltern in der Leitung“, meldete sich seine Assistentin Laura.

„Lillys Großeltern?“, wunderte er sich, schließlich hatte seine Mutter seine Handynummer. Aber dann ging ihm ein Licht auf. „Dianas Eltern? Rufen sie etwa aus Hongkong an?“

„Es ist eine Londoner Nummer…“

„Gib sie mir, danke!“ Er warf Liz einen fragenden Blick zu, aber auch sie konnte nur mit den Achseln zucken. Schließlich hatte sie Lillys andere Großeltern noch nicht kennengelernt. Sie hatten schon immer in Hongkong gelebt und daran hatte auch Dianas Tod nichts geändert. Max hatte ihr erzählt, dass sie früher öfter in London zu Besuch gewesen waren. Gespannt beobachte sie, wie er den Anruf entgegen nahm.

„Hallo, hier ist Max.“

 

***

 

„Paris?“, wiederholte Nigel überrascht.

„Ja, klar! Das ist perfekt! Kunst, Kultur, tolles Essen. Wir können in Grannys Wohnung schlafen und für Liz Freundin ist es auch nicht so weit!“

„Kunst und Kultur?“ Nigel überlegte. Er hatte nichts dagegen, eigentlich mochte er all das sehr gern. „Aber… Das ist doch nichts für einen Jungesellinnenabschied!“, wandte er ein.

„Wer sagt, dass man sich dabei immer hemmungslos betrinken muss?!“, wollte Nora wissen.

„Aber wo bleibt denn dann der Spaß?“

Nora schnaubte nur. „Hast du vergessen, wie lange wir nach einer durchzechten Nacht mittlerweile leiden?“

„In deinem Alter vielleicht!“, konterte er, denn so leicht wollte er nicht aufgeben. Er hatte sich auf einen ausgelassenen Partyabend mit lauter Musik und heißen Typen gefreut!

„Das Schöne am Älterwerden ist ja, dass es uns früher oder später alle trifft“, gab sie elegant zurück und Nigel grummelte in seinen nicht vorhandenen Bart.

„Du liebst Paris!“, erinnerte Nora ihn.

„Das habe ich nicht bestritten.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich hatte mich nur schon so aufs Tanzen gefreut.“

„Die Franzosen sollen auch feiern können. Habe ich mir zumindest sagen lassen“, antwortete sie.

„Ein Pariser Club?“

„Warum nicht?“ Sie zuckte mit den Achseln. „Wir fahren Freitag hier los, wir könnten den Zug nehmen und sind dann schon direkt in der Innenstadt und müssen nicht erst ewig mit dem Shuttle fahren. Komm schon, gib dir einen Ruck! Wir essen bei Pierre und laufen dann durch die Gassen von Montmatre zur Kathedrale Sacre Coeur und sehen uns die Lichter vom Eiffelturm an“, lockte sie ihn und bekam dabei selbst unglaubliche Lust dort zu sein. „Samstag können wir erst shoppen und dann im „Grand Palais“ essen.“

„Macarons von Pierre Hermé und die Eclairs von Christophe Adam!“, stieg er auf die Schwärmereien seiner Schwester ein.

„Erinnerst du dich an diesen kleinen Chinesen im Marais?“, fragte sie und Nigel lachte.

„Okay, okay! Du kannst aufhören mir Bilder in den Kopf zu setzen. Buch die Zugtickets und ruf diese Lena an.“

Nora quietschte vor Freude laut auf und Nigel zuckte zusammen. Das war der größte Nachteil vom Telefonieren mit dem Headset. So schnell hatte man die Kopfhörer nicht aus den Ohren gezogen.

„Ich bin mir sicher, dass Liz ausflippen wird. Schließlich war sie seit Monaten nicht mehr unterwegs. Du weißt, wie sehr sie das Reisen liebt!“

„Ja, ich weiß“, bestätigte er und lächelte. Sie würden nach Paris fahren! Er würde sofort recherchieren, ob es seinen Lieblingsclub von damals noch gab. Da waren immer die tollsten Typen von ganz Paris zusammengekommen.

„Alles klar, dann lass uns auflegen. Ich will das alles gleich festmachen. Ich melde mich bei dir! Salut!“

Salut!“, verabschiedete er sich ebenfalls auf Französisch und schmatzte zwei Küsse ins Telefon, bevor er auflegte.

 

***

 

„Und? Was haben sie gewollt? Ich habe nicht alles verstanden!“, erkundigte sich Liz angespannt. Sie hatte beobachtet, wie Max sich während des kurzen Telefonats immer versteift hatte. Nun legte er matt das Handy auf den Küchentresen und lehnte sich schwer dagegen.

„Sie sind hier und wollen mich sehen“, antwortete er.

„Sie wollen dich sehen? Das verstehe ich nicht. Was ist denn mit Lilly?“ Sie zog die Stirn kraus.

„Keine Ahnung. Vielleicht wollen sie erst irgendwas Organisatorisches besprechen. Sie werden etwas länger hier sein, da ist bestimmt noch Zeit für ein Treffen mit ihr.“

„Etwas Organisatorisches?“, hakte Liz nach. „Wissen sie von unserer Hochzeit?“

„Ja, ich habe Ihnen geschrieben. Ich dachte, sie sollten es wissen“, gab er zurück.

Liz nickte mechanisch, wenn sie darüber nachgedacht hätte, hätte sie es vermutlich genauso getan. Aber dadurch, dass Lillys Großeltern in ihrem Leben kaum eine Rolle spielten, hatte sie sie überhaupt nicht auf dem Radar gehabt.

„Ich verstehe trotzdem nicht, warum sie ausgerechnet jetzt kommen. Sie waren weder zu Lillys Geburtstag, noch zu ihrer Einschulung hier“, wunderte sie sich laut. „Oder haben sie sowieso hier zu tun?“

„Ich weiß es nicht, Schatz!“ Max sah sie an und zuckte mit den Schultern. „Ich wundere mich auch.“

„Bleiben Sie bis zur Hochzeit?“, wollte sie noch wissen, aber wieder zuckte er mit den Schultern.

„Ich habe keine Ahnung!“

Liz beobachtete ihn, wie er so dastand und ihr Herz ging auf. Gott, sie liebte diesen Mann über alles. Langsam ging sie auf ihn zu, legte die Hände auf seine Brust und suchte seinen Blick.

„Es ist doch egal, warum sie ausgerechnet jetzt hier sind. Wenn sie mehr Anteil an Lillys Leben haben möchten, ist das doch großartig! Vielleicht haben sie einfach Zeit gebraucht… Ein Kind zu verlieren, selbst wenn es schon erwachsen ist, muss furchtbar sein.“ Sie trat noch einen Schritt näher, nahm sein Gesicht in ihre Hände und lächelte ihn aufmunternd an. „Es wird alles fantastisch werden, du wirst sehen. Und wenn sie bis zur Hochzeit bleiben, würde ich mich freuen, wenn sie mit uns feiern.“

Max ließ seine Wange in ihre Hand sinken und sah in ihre unglaublich blauen Augen. „Du bist zu gut für diese Welt.“ Er zog sie ganz nah zu sich heran und bettete sein Kinn auf ihrem Kopf. Kurz schloss er die Augen. Seine ersten Schwiegereltern waren alles andere als einfach und umgänglich und so hoffte er inständig Liz würde Recht behalten.

Ich mach mir die Welt, wiedewiedewie sie mir gefällt“, sang sie auf Deutsch, während sie sich an ihn schmiegte, aber er verstand sie auch so. Schließlich hatten sie mittlerweile nicht nur alle Astrid Lindgren Bücher im Haus, sondern auch alle Filme gesehen und Lilly liebte die Geschichten nun mindestens genauso wie Liz.

„Das tust du und ich bin so dankbar dafür!“ Er drückte sie noch einmal fest an sich und küsste sie auf die Scheitelkrone. „Wollen wir jetzt unseren Kaffee trinken?“

„Auf jeden Fall!“ Sie musste lachen.

Er löste sich von ihr und sah sie verwundert an. „Was ist so lustig?“

„Mir ist nur eben eingefallen, was Nigel sagen würde, wenn er jetzt hier wäre.“

„Und?“

„Er würde sagen, dass er auf DEN Schreck einen doppelten Karamell Macchiato in Venti mit extra Schlagsahne braucht!“ Kaum hatte sie ausgesprochen, lachte auch Max laut auf. Dann sah er sie ernst an, nur das Zucken seiner Mundwinkel verriet ihn.

„Ich nehme alles zurück! Du bist doch nicht nur lieb und gut!“

„Hey, was fällt dir ein?!“ Sie boxte ihn leicht gegen den Oberarm. „Ich bin ja wohl die netteste Person der Welt!“

„Ach ja?“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Nette Personen verprügeln ihre Verlobten aber nicht!“

„Wer wurde verprügelt?“ Sie sah sich suchend um und schob ihn beiseite. „Mach Platz, ich muss schnell zu dem Opfer und es verarzten.“

„Na warte!“ Er schlang seine Arme um ihre Mitte, zog sie zu sich heran, begann ihren Nacken zu küssen und sie gleichzeitig zu kitzeln. Liz wand sich quiekend hin und her und versuchte seinen Küssen zu entkommen.

„Max!“, keuchte sie.

„Was denn?“, fragte er ganz unschuldig und hielt kurz inne, damit sie wieder Luft holen konnte.

„Der Kaffee wird kalt“, erinnerte sie ihn. „Außerdem müssen wir wieder weiter arbeiten.“

„Spielverderberin“, murrte er und drückte ihr einen letzten Kuss auf, bevor er sie bedauernd losließ.

 

***

 

Zufrieden lehnte Nora sich zurück. Es war alles fertig geplant. Jetzt musste nur noch Lena antworten und dann konnte sie alle Tickets buchen, sowie die Reservierungen in den Restaurants festmachen und der Concierge von Grannys Wohnung Bescheid geben. Nora freute sich ungemein, dass der Trip innerhalb von ein paar Stunden organisiert war. Sogar für einen Clubbesuch war Zeit. Sie hatte sich bei ihren Bandmitgliedern, die wirklich überall auf der Welt Leute kannten, erkundigt und eine Liste der fünf momentan angesagtesten Diskotheken bekommen.

Zum wiederholten Mal schaute sie in ihr Emailpostfach. Endlich, da war die Antwort von Lena. Mit einem Doppelklick hatte sie sie geöffnet und begann zu grinsen. Perfekt! Lena hatte Zeit und freute sich sehr. Nora sprang auf und legte ein kleines Tänzchen aufs Parkett, dann fiel ihr Blick auf die Uhr. Mist! Sie wollte doch noch einkaufen und in einer Stunde musste sie Henry vom Kindergarten abholen und Claire kam dann auch von der Schule! Eilig schaltete sie den Rechner aus und hastete los. Ein flinker Blick in den Flurspiegel verriet ihr, dass es doch besser gewesen wäre heute früh die roten Locken zu waschen, aber dafür war es nun wirklich zu spät. Denn eigentlich hatte sie gemütlich bei Whole Foods einkaufen wollen, aber nun würde der Tesco um die Ecke reichen müssen.

Samstag - Kapitel 2

 

Das schlechte Gewissen nagte an Max, als er Lilly zu Nora brachte. Seine ehemaligen Schwiegereltern hatten ausdrücklich darum gebeten ihn allein zu sehen. Irgendwie fand er es Lilly gegenüber ungerecht, dass sie sie nicht sehen wollten. Er verstand es auch nicht. Wäre das nicht die Gelegenheit gewesen, die Kleine mal wieder zu sehen? Denn auch wenn immer Geschenke von ihnen zu Lillys Geburtstag angekommen waren, so hatten sie doch keine echte Beziehung miteinander. An das Wort Zuneigung wollte er erst gar nicht denken. Aber weil er nicht wusste, wohin das alles führen würde, hatten Liz und er beschlossen, Lilly vorerst nicht einmal zu sagen, dass ihre Großeltern in der Stadt weilten. Mit ihren sechs Jahren war sie auch noch zu jung, um das manchmal merkwürdige Verhalten von Erwachsenen zu verstehen.

Auch Lilly schien in Gedanken zu sein. Sie saß still neben ihm im Bus. Wofür er einerseits dankbar war und andererseits sein schlechtes Gewissen nur noch verstärkte.

„Was meinst du, Süße, soll ich Scones mitbringen, wenn ich mit meinem Termin fertig bin?“, fragte er sie und legte den Arm um seine Tochter.

Aber Lilly zuckte nur mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Wie lange bleibst du denn weg?“

„Ich weiß es nicht, Süße. Länger als zwei oder drei Stunden sollte ich nicht brauchen. Zu einem frühen Tee bin ich bestimmt wieder da!“ Er lächelte sie aufmunternd an und stand auf. Vor ihnen tauchte schon die richtige Haltestelle auf. „Komm, wir müssen aussteigen.“

Draußen, an der Straße, nahm er das Gespräch wieder auf. „Also, soll ich Scones mitbringen oder lieber was anderes?“

„Scones sind gut, aber ohne Rosinen. Ich mag keine Rosinen!“, antwortete sie.

„Weiß ich doch Schatz!“ Max griff ihre kleine Hand und drückte sie. Lilly drückte zurück und sah einfach geradeaus. Seit Liz bei ihnen lebte, war sie nur noch selten so ruhig und in Gedanken versunken. Er unterdrückte ein Seufzen und hoffte, dass seine Tochter nichts Ernsthaftes beschäftigte.

Es war nicht weit bis zu dem Haus, in dem Nora und Tim mit den Kindern wohnten. Sie mussten nur einmal die Hauptstraße hinter sich lassen und in eine der kleineren Nebenstraßen mit den wundervollen Reihenhäusern von Hampstead einbiegen.

„Machen wir ein Wettrennen?“, fragte Lilly auf einmal.

„Wenn du willst!“ Max hatte kaum geantwortet, da flitzte sie auch schon los. Wie ausgewechselt rannte sie, mit wehenden Zöpfen den Gehweg entlang. Sie war so süß! Max lächelte erleichtert und rief sich Liz Worte ins Gedächtnis. Alles würde großartig werden.

 

***

 

„Na alter Mann, schaffst du die drei Stufen schon nicht mehr, hm?!“, frotzelte Tim zur Begrüßung, als Max laut atmend und deutlich nach seiner Tochter am Stadthaus der Parkers ankam.

„Vielen Dank für die freundliche Begrüßung! Wir haben ein Wettrennen gemacht“, erwiderte Max. „Und nur zur Erinnerung, du bist älter als ich!“ Insgeheim musste er Tim allerdings Recht geben, er war schon einmal besser in Form gewesen. Eigentlich hatte er vor der Hochzeit mehr Sport machen wollen, um im Anzug – Liz hatte noch nicht entschieden, ob Cut oder nicht – eine gute Figur zu machen. Aber irgendwie war in der Firma in letzter Zeit so viel los. Die Gerüchte über weitere Datenschutzbestimmungen in der EU und der drohende Ausstieg aus Selbiger, irritierte die ganze Digitalbranche.

„Gerüchte!“, winkte Tim ab. „Nur Gerüchte. Ich bin eindeutig keinen Tag älter als neunundzwanzigeinhalb!“ Er warf einen zufriedenen Blick in den Flurspiegel. „Man sieht mir meine Schönheit doch schon von weitem an!“

Bevor Max antworten konnte, ertönte ein lautes Lachen aus der Wohnung. „Davon war er schon überzeugt, als ich ihn gerade kennengelernt habe!“ Nora steckte ihren Kopf in den Flur. „Hey Max, kommst du kurz rein?“

„Eine gesunde Selbstliebe ist sehr wichtig!“, fuhr Tim dazwischen. „Sagst du doch auch immer!“

„Ganz genau, eine gesunde Selbstliebe“, gab Nora grinsend zurück und lief auf die beiden Männer zu. Sie sah ihrem Mann an, dass ihm die schlagfertigen Argumente ausgegangen waren und bedeutete ihm ein I love you.

„Ich muss leider gleich weiter, ich will nicht zu spät kommen“, antwortete Max endlich. „Aber ich habe Lilly versprochen Scones mitzubringen, dann können wir zusammen Tee trinken.“

„Gute Idee!“, freute sich Tim. „Für mich bitte welche mit Ingwer!“

„Geht klar!“

„Oh ja, die Kinder essen am liebsten die mit Schokostückchen, wenn du sie bekommst. Ach, und ehe ich es vergesse. Wir werden nächsten Freitag Liz zu ihrem Junggesellinnenabschied abholen. Sie wird das ganze Wochenende nicht da sein.“

„Das ganze Wochenende?“, erkundigte sich Max verwundert. „Wohin geht es denn?“

„Nach Paris!“, antwortete sie schwärmerisch.

„Ihr wollt nach Paris fahren? Das ganze Wochenende?“, wiederholte Tim.

„Ja, es ist uns spontan eingefallen und Grannys Wohnung ist auch frei“, antwortete Nora.

„Und wann wolltest du mir das sagen? Was wenn wir an diesem Wochenende den JGA für Max feiern wollten!“

„Ich brauche keinen wilden Kneipenabend, ich hatte schon mal einen, falls du dich erinnerst“, wandte sich Max an Tim, aber der riss nur die Augen auf. „Wie bitte?“

„Ich muss jetzt los. Wir können nachher noch reden!“, beschwichtigte Max und rief dann etwas lauter in den Flur hinein. „Lilly, ich gehe jetzt!“

Bye Dad!“, schallte es zurück. Das Kind selbst blieb verschwunden. Max zuckte mit den Schultern, hob die Hand zum Abschied und eilte die Treppen wieder nach unten. Er wollte das Gespräch mit Dianas Eltern so schnell wie möglich hinter sich bringen, obwohl er nicht einmal genau sagen konnte, warum das so war.

 

***

 

Tim schloss betont ruhig die Tür, bevor er sich zu seiner Frau umdrehte. „Du hast mir auf meine Frage noch nicht geantwortet.“

Nora war schon in Richtung Küche gelaufen und blieb abrupt stehen. Tim war sauer, sehr sogar, dass hörte sie nach fünfzehn gemeinsamen Jahren sofort. Und sie spürte auch, wie Ärger in ihr aufstieg. Sie wollte jetzt nicht streiten, nicht nur weil Lilly zu Besuch war, sondern weil die letzten Wochen auch für sie anstrengend gewesen waren. Sie atmete tief ein, drehte sich zu ihm um und lief auf ihn zu.

„Entschuldige Schatz, ich dachte, ich hätte es dir direkt am Montag erzählt, als Nigel und Liz’ Freundin die Pläne gemacht haben.“ Lächelnd griff sie nach seiner Hand.

„Hast du aber nicht!“, erwiderte Tim widerwillig und sah sie verkniffen an. Er war selbst überrascht, wie wütend es ihn machte. „Seit dem Sommer machst du nur noch, was du willst! Und was mit uns ist, ob das gut läuft oder nicht, ist dir total egal“, hielt er ihr vor. Er zog seine Hand weg und verschränkte die Arme. Er wollte sie jetzt nicht berühren.

„Wie bitte?!“ Sie hatte sich wohl verhört! Nora blinzelte. „Du warst doch damit einverstanden, dass ich mit der Band auf Tour gehe! Und außerdem waren das gerade mal drei Wochen! Ich manage die Kinder und den Haushalt UND meinen Job seit ZEHN Jahren!“, zischte sie.

„Genau! Drei Wochen. Ursprünglich sollten es zehn Tage sein.“

„Machst du mir jetzt ernsthaft den Vorwurf, die Band und ich seien zu erfolgreich?!“ Sie bemühte sich weiterhin leise zu sprechen, in dem langen, hohen Altbauflur hallte es sowieso immer sehr. „Die Tourverlängerung habe ich mit dir abgesprochen.“

„Genau, das war aber auch das Letzte gewesen! Auch seitdem du zurück bist, sehen wir dich kaum noch. Entweder bist du auf irgendwelchen Proben oder du bist so müde, dass du noch vor den Kindern schläfst!““

„Ich…“ Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. „Was willst du denn von mir? Soll ich das Singen etwa wieder aufgeben, damit ich nicht mehr so müde bin?“ Irritiert sah sie ihn an. Er hatte sie immer bei allem unterstützt, genau wie sie ihn. Was war passiert, dass er ihr jetzt Vorhaltungen machte. „Ich verstehe dich nicht.“

„Wie denn auch, wenn du nie da bist!“, schoss er zurück und sie wich erschrocken einen Schritt nach hinten. So kannte sie ihn gar nicht. Es war maßlos ungerecht. Ja, sie war zweimal pro Woche zur Probe gegangen, statt nur einmal. Aber er hatte hier zuhause alles so gut im Griff gehabt, dass sie gar nicht auf die Idee gekommen war, dass es ein Problem für ihn sein könnte.

Tim sah in ihr erschrockenes Gesicht und schämte sich für seinen Ausbruch. Hätte er es nicht anders formulieren können?! Er war doch wirklich sehr stolz auf sie und auf das, was sie erreicht hatte. Aber es war ihm auch alles etwas viel geworden, vor allem seitdem die Schulferien vorbei waren. Er hatte seine Frau einfach vermisst und jetzt wollte sie schon wieder ein ganzes Wochenende weg.

In ihr arbeitete es. Sie wollte raus und sie war müde und eigentlich hatte sie jetzt ganz gemütlich einen Kaffee mit Tim trinken wollen, während die Kinder schön spielten. Plötzlich kam ihr eine Idee.

 

***

 

Als Max das Foyer des Ritz betrat, beschleunigte sich sein Herzschlag immer mehr. Er hatte Peter und Eleonore seit drei Jahren nicht gesehen und nun musste er feststellen, dass er nervös war. Er kam sich irgendwie albern vor. Was sollte schon passieren?! Bewusst richtete er sich ein wenig mehr auf und ging mit selbstbewussten Schritten durch die Lobby. Kaum hatte er die Stufen zum Wintergarten erklommen, sah er sie auch schon. Peter war deutlich ergraut, aber Eleonore sah genauso aus wie damals. Die schwarzen Haare gesund glänzend zu einem Chignon gesteckt, trug sie ihre Uniform aus einem edlen Kostüm in gedeckten Farben. Wenn der plötzliche Tod von Diana Spuren hinterlassen hatte, dann musste sie sie tief in ihrem Innern vergraben haben. Von außen konnte er nichts erkennen. Schon hatte Peter ihn entdeckt und erhob sich. Max ging auf sie zu und versuchte seine Nervosität unter Kontrolle zu bringen. Wenigstens ein einziges Mal sollte es seiner Schwiegermutter nicht gelingen, ihn aus der Bahn zu werfen.

 

„Max!“, rief Peter und gab ihm die Hand. „Wie schön, dass du es einrichten konntest!“

„Ich freue mich auch, euch zu sehen!“, antwortete er mit einem aufrichtigen Lächeln. Mit Peter war er immer gut zurechtgekommen. Zumindest deutlich besser als mit…

„Maxwell“, sagte sie und ihr Tonfall ließ keinen Zweifel darüber, was sie davon hielt, dass er zuerst Peter begrüßt hatte.

„Eleonore.“ Er nickte ihr zu und musste sich zusammenreißen nicht zu erschauern, so kühl fiel ihre Musterung aus. Auch jetzt, aus der Nähe, sah sie genauso aus, wie er sie in Erinnerung hatte. Als wäre alles noch wie früher und Diana wäre nur kurz rausgegangen, weil sie einen Anruf aus dem Krankhaus bekommen hätte. Jetzt bekam er doch eine Gänsehaut.

„Setz dich doch, Max!“ Peter wies auf einen Stuhl und nahm ebenfalls wieder Platz. „Erzähl, wie geht es dir? Was machen die Geschäfte?“

Er brauchte einen Moment um sich wieder zu fangen und rückte den Stuhl einmal mehr als nötig zurecht. Der Flashback, so kurz er gewesen war, hatte ihn eiskalt überrascht. „Gut, es läuft gut. Danke. Natürlich hängt der Brexit wie ein Damoklesschwert über uns, aber…“

„Ach ja, es ist ein Drama. Wie sieht denn die aktuelle Regelung…“, wollte Peter wissen, aber Eleonore fiel ihm ins Wort.

„Wir sind nicht hier, um über Politik zu sprechen. Ich bin mir sicher, dass Maxwell alles Nötige getan und Strategien entwickelt hat, um seine Firma gut durch diese Krise zu bekommen.“

Max zuckte kurz zusammen. Er fühlte sich wie ein gescholtener Schuljunge und nicht zum ersten Mal dachte er, dass seine Internatslehrer von Eleonore Kwan noch etwas lernen konnten. Dennoch war er auch erleichtert. Eleonores Bemerkung verschaffte ihm die Möglichkeit, sofort zum Grund für ihren Besuch zu kommen. Er zwang sich zu einem Lächeln. „Weswegen seid ihr denn hier?“

„Wir wollten dich sehen. Dürfen wir das nicht?“, fragte sie ebenfalls lächelnd zurück.

„Selbstverständlich. Ihr seid mir immer willkommen, dass wisst ihr und ich freue mich euch so wohlauf zu sehen“, erwiderte er.

„Wie geht es Lilly? Du hast geschrieben, sie geht jetzt in die Schule?“

„Lilly ist wohlauf und die Schule macht ihr großen Spaß.“ Irgendwie hätte er noch mehr erzählen können, aber ihm blieben die Worte im Halse stecken. Er wusste, egal, was er ihr erzählen würde, es würde sie nicht beeindrucken. Nicht, dass es ihm wichtig war, dass seine Tochter beeindruckende Leistungen erbrachte, aber Eleonore und Peter sahen das anders. Er hatte es oft genug bei Diana erlebt.

„Auf welchem Internat hast du sie angemeldet?“, wollte Eleonore wissen und beobachtete ihn genau.

„Wir haben noch nicht entschieden, es ist ja auch noch Zeit“, gab er zurück, obwohl Liz und er sich einig waren, sie nur aufs Internat zu geben, wenn sie es wirklich wollte. Es gab auch in London hervorragende Schulen. Er wünschte, der Kellner würde endlich auftauchen. Wie konnte das Gespräch schon nach so kurzer Zeit so unangenehm werden.

„Das dachte ich mir schon.“ Sie nickte sich selbst zu.

„Was soll das heißen?“, fragte er nach und registrierte am Rande, dass Peter unruhig auf seinem Stuhl umher rutschte.

„Nichts, nur dass ich sie auf die Warteliste von einigen sehr guten Internaten gesetzt habe“, erwiderte sie seelenruhig.

In Max schoss die Wut wie glühende Lava empor, nur mühsam hiel er sich zurück. Um Zeit zu gewinnen, fragte er: „Wie bitte?“

„Seit wann hörst du schlecht?“, fragte sie spitz, ließ sich aber trotzdem zu einer Wiederholung ihrer Worte hinreißen. „Ich wusste, dass dir die Bildung deiner Tochter egal ist, deswegen habe ich einige Anrufe getätigt und sie angemeldet.“

Max biss sich auf die Lippe und rief sich in Erinnerung, dass sie gar nichts über ihn und Lilly wusste. Nichts. „Dazu hattest du kein Recht!“, brachte er mit zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Selbstver…“

„Eleonore“, schaltete sich Peter ein. „Es ist doch verständlich, dass Max überrascht ist. Schließlich musste er bis jetzt alles, was Lillys Erziehung betraf allein entscheiden.“

Max sah ihn skeptisch an. Er war nicht wirklich allein gewesen, die Bedfords hatten ihn die ganze Zeit unterstützt und abgesehen davon fand er, dass er seine Sache bis jetzt sehr gut gemacht hatte. Bevor er etwas erwidern konnte, fuhr Peter allerdings fort.

„Max, wir sind hier, weil wir mit dir reden wollten. Wir machen uns Sorgen um dich und Lilly!“ Peter hatte sich vorgebeugt und seine Hand auf Max Arm gelegt. Max starrte auf sie hinunter und wünschte, er würde sie wieder wegnehmen, aber Peter war noch nicht fertig und redete einfach weiter.

„Als du uns geschrieben hast, dass du wieder heiraten willst, haben wir uns sofort in den Flieger gesetzt und sind hergekommen.“

„Du hättest uns wirklich früher Bescheid geben können“, warf Eleonore vorwurfsvoll ein, aber Peter fuhr unbeirrt fort: „Zu heiraten ist eine ernste Sache, diese Entscheidung trifft man nicht leichtfertig. Max, Junge, nicht jede Frau, die tolle Beine hat, eignet sich zur Ehe.“ Peter sah ihn an und hoffte auf seine Bestätigung. Max fühlte sich wie in einem falschen Film. Er sah von Peter zu Eleonore. Beide saßen so selbstgerecht vor ihm, als wüssten sie alles und er nichts. Wenn es nicht so furchtbar wäre, hätte er angefangen zu lachen. Sie hatten sich Sorgen um ihn gemacht? Jetzt? Das konnte doch nicht wahr sein?! Und was sollte mit den tollen Beinen heißen?! Hatten sie etwa Liz gegoogelt? Er war so überrascht, dass er nicht wusste, was er sagen sollte, außer: „Ich weiß, dass man eine Ehe nicht leichtfertig eingeht. Haltet ihr mich etwa für so unbedacht?“

„Ach Max, du hast eine schwere Zeit hinter dir, wir alle“, antwortete Peter. Seine Hand lag noch immer auf Max Arm. „Wir denken nur, dass du momentan nicht ganz du selbst bist“, formulierte er vorsichtig.

„Wie bitte? Ihr denkt, ich bin nicht ganz bei mir?“, hakte er nach und schüttelte endlich Peters Hand ab.

„Selbstverständlich bist du verwirrt!“, schoss Eleonore heraus. „Wieso kämest du sonst auf die Idee eine Bloggerin zu heiraten und Lilly als Stiefmutter zu präsentieren?! Sie ist ja selbst noch ein halbes Kind!“

Fassungslos starrte er sie an. Tausend Antworten schossen ihm durch den Kopf, die Wut brodelte unruhig in seinem Innern. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn der Stuhl unter ihm in Flammen aufgegangen wäre. Beinahe konnte er den Rauch schon riechen. Aber er hielt sie im Zaum. Er kannte seine Schwiegereltern gut genug, um zu wissen, dass ein unkontrollierter Gefühlsausbruch sie nur noch in ihrer Überzeugung bestärken und alles noch schlimmer machen würde.

„Worum geht es hier eigentlich?“, fragte er und sah ihr fest in die Augen. Im Innern klopfte er sich selbst auf die Schulter, dass er so ruhig und beherrscht war.

„Wir können nicht zulassen, dass du Lillys Zukunft für dein Vergnügen aufs Spiel setzt“, sagte sie ruhig.

Max biss die Zähne zusammen. Wie konnten sie es wagen, Liz als Betthäschen zu bezeichnen, denn nichts anderes hatten sie getan. Beide auf ihre Art. Er wusste immer noch nicht, was er dazu sagen sollte. Ihre Anschuldigungen waren einfach zu ungeheuerlich.

Peter griff wieder seinen Arm und wiederholte eindringlich: „Max, wir machen uns wirklich große Sorgen. Wir wollen doch nur, dass es dir und Lilly gut geht. Du bist für uns wie unser eigener Sohn und Lilly ist unser einziges Enkelkind.“

Das war ja wohl die Höhe! „Tatsächlich?!“, entgegnete er kalt. Er ließ sie nicht aus den Augen. „Ich würde niemals Lillys Zukunft gefährden. Und wenn ihr in den letzten Jahren euch die Mühe gemacht hättet, eine Beziehung zu ihr aufzubauen, dann wüsstet ihr das.“

„Ach Max, darum geht es doch gar nicht“, erwiderte sie herablassend und ihm lief ein Schauer über den Rücken. Seine arme Diana, waren ihre Eltern auch zu ihr so gewesen?

„Und worum geht es dann?“, hörte er sich fragen, obwohl er sich nicht sicher war, dass er die Antwort wirklich hören wollte.

„Es ist doch wirklich offensichtlich!“, antwortete sie und Peter fuhr fort: „Was Eleonore zu sagen versucht“, begann er und warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. „Wir sorgen uns um die Familientradition. Lilly ist die einzige Kwan, also wird sie die Firma übernehmen. So war es schon immer geplant.“

„Selbstverständlich nicht allein“, fuhr Eleonore dazwischen. „Sie wird einflussreich heiraten, so kann die Firma im Familienbesitz bleiben und sie wahrt ihre Rolle als Frau und Mitglied der Familie Kwan.“

Max hatte das Gefühl im falschen Film zu sein. „Was soll das heißen? Und wenn sie andere Pläne hat? Schließlich ist sie erst sechs! Nicht einmal ich habe eine Ahnung, was sie einmal interessieren wird.“

„Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir rechtzeitig anfangen sie in die richtige Richtung zu lenken“, entgegnete Eleonore und sah aus, als würde ihr seine Begriffsstutzigkeit auf die Nerven gehen.

Entschlossen stand er auf. „Das wird niemals geschehen. Ihr habt es bei Diana nicht geschafft, sie in eure Schablone zu pressen und bei unserer Tochter wird es euch auch nicht gelingen.“ Er sah beiden fest in die Augen. „Wenn das alles war, was ihr wolltet, rate ich euch, den nächsten Flieger zu nehmen. Hier gibt es für euch nichts zu tun.“ Nach einem letzten Blick, ging er gemessenen Schrittes aus dem Saal.

 

***

 

„Was hältst du von einem Spaziergang?“ „Wollen wir rausgehen?“ fragten sie gleichzeitig. Nora sah ihren Mann an und nickte. Dann drehte sie sich um und rief die Kinder.

„Claire, Henry, Lilly! Zieht euch an, wir gehen in den Park!“

„Jetzt?“, antwortete Claire.

„Ich mach uns einen Kaffee, ja?“, bemerkte Tim und lief in die Küche. Er wusste, dass sie sich auf Kaffee gefreut hatte.

Nora nickte ihm zu, bevor sie Claire antwortete.

„Ja, jetzt!“ Nora ging zu ihnen ins Kinderzimmer. Sie waren gerade dabei gewesen ein Spiel aufzubauen. „Ihr könnt alles so stehen lassen und nachher weiterspielen, wenn wir wieder kommen.“

„Dann ist wieder keine Zeit!“, gab Claire resigniert zurück und die anderen nickten.

Nora sah nacheinander allen ins Gesicht. „Ich verspreche es, dass ihr heute genug Zeit haben werdet. Wollte dein Dad nicht Scones mitbringen?“, wandte sie sich an Lilly.

„Ja“, antwortete sie nur und Claire wollte wissen: „Auch welche mit Schokostückchen?“

„Das werden wir sehen.“ Nora richtete sich auf und klatschte in die Hände. „Na dann, auf zum Golders Hill!“

„Gehen wir auch zu den Tieren?“, fragte Henry mit leuchtenden Augen.

„Bestimmt!“

„Au ja!“, rief er, sprang er mit einem Satz auf und rannte in den Flur, um sich anzuziehen. Er liebte die Wildtiere in dem kleinen Park.

„Los, Mädels!“ Nora machte eine auffordernde Geste, bevor sie ihrem Sohn hinterherlief.

Lilly und Claire warfen sich einen Blick zu, zuckten die Schultern und folgten, allerdings deutlich langsamer.

 

***

 

Sobald er sicher war, dass er außer Sichtweite war, ließ er seine Selbstbeherrschung fahren und beschleunigte seine Schritte. Wäre er jetzt auf Gracewood Hall würde er Holz hacken, aber diese Möglichkeit gab es mitten in der Stadt natürlich nicht. Also lief er entschlossen Richtung Green Park. Er konnte sich jetzt unmöglich in die U-Bahn setzen und gemütlich nach Hampstead zurückfahren. Erst musste er sich beruhigen. Wie gut, dass er Lilly nicht erzählt hatte, mit wem er sich treffen wollte. Jetzt musste er wenigstens nicht erklären, warum sie ihre Großeltern nicht sehen konnte. Zumindest vorläufig nicht. Bei dem Gedanken an die Konsequenzen, die dieses Gespräch womöglich nach sich ziehen würde, schnaufte er frustriert auf. Es war ihm immer wichtig gewesen, dass Lilly sich an ihre Mutter und deren Familie erinnerte. Dass sie einen Bezugspunkt zu ihrer Geschichte hatte und nun entpuppten sich ihre Großeltern als reaktionäre… Ihm fiel nicht einmal ein vernünftiges Wort dafür ein. Gut, sie waren schon immer konservativ gewesen, aber ihre Worte toppten alles, was er sich jemals hätte vorstellen können. Wie konnten sie sagen, sie wollten keine Beziehung zu seiner Tochter?! Lilly war so wunderbar! Klug, warmherzig, empathisch. Er freute sich jeden Tag mit ihr zu sprechen, ihr zuzuhören, einfach bei ihr zu sein. Und es verletzte ihn so sehr, dass ihre eigenen Großeltern so gefühlskalt waren. Niemals hätte er es für möglich halten können, dass er sie einmal vor ihrer eigenen Familie würde beschützen müssen!

 

***

 

„Willst du wirklich, dass ich mit dem Singen aufhöre?“, wollte Nora wissen und ärgerte sich, dass ihre Stimme so zitterte. Sie standen am Rand des Spielplatzes und sahen den Kindern von Weitem zu.

„Nein, natürlich nicht!“ Tim sah sie erschrocken an. „Das habe ich nie gesagt, ich…“

„Soll ich nicht mehr in der Band singen? Nur noch im Chor, so wie vor dem Sommer?“, unterbrach sie ihn.

„Nein, ich weiß doch wie glücklich es dich macht.“ Dieses Mal klang er nicht ganz so überzeugt.

„Was denn dann?“ Sie merkte selbst, dass sie wieder ärgerlich wurde. „Meinen Job zu kündigen, ist ja wohl keine Option. Schließlich bringt das Singen nicht annähernd so viel ein!“

„Nein, das geht nicht. Wir brauchen dein Einkommen“, bestätigte Tim.

„Außerdem bin ich ja nur für Sophie eingesprungen. Früher oder später wird sie aus ihrer Babypause wieder zurückkommen“, fügte Nora hinzu.

„Das weiß ich, Schatz.“

„Aber was willst du denn dann von mir?“, begehrte sie auf und wurde lauter. „Ich tue, was ich kann, um allem gerecht zu werden. Den Kindern, dem Haushalt, dir, meinem Job, der Band. Ich bin nicht Wonder Woman!“

„Schatz, die Leute“, versuchte Tim sie zu beruhigen, aber sie fuhr ihm über den Mund.

„Die sind mir… egal! Die sollen sich um ihre eigenen Probleme kümmern!“ Sie warf ein paar böse Blicke um sich, dabei guckte tatsächlich niemand in ihre Richtung.

„Ich weiß, was du alles tust, es ist nur…“, druckste er auf einmal rum. Gerade wurde ihm klar, dass er es vermisste mit ihr Zeit zu zweit zu verbringen. Betreten schaute auf den Boden. Es war irgendwie albern, aber er fühlte sich von ihr zurückgewiesen, beinahe abgeschoben.

„Was?“, fragte sie ungeduldig.

„Naja, ich habe das Gefühl, ich bin dir nicht mehr wichtig“, flüsterte er.

Nora sah ihn verblüfft an. „Wieso denkst du so was? Nur weil ich nicht mehr jeden Abend Zuhause bin?“

„Es ist ja nicht nur das. Selbst wenn du nicht unterwegs bist, bist du müde. Wir machen kaum noch etwas als Familie zusammen und noch viel weniger als Paar.“ Er sah sie offen und ehrlich an und in ihr schmolz der Widerstand, der sich automatisch in ihr aufgebaut hatte. „Ich vermisse dich und auch wenn es sich jetzt chauvinistisch anhört, ich vermisse es auch, dass du für uns kochst. Ich esse indisch, chinesisch und Pizza sehr gern, aber ich mag auch deine Gerichte.“

„Tatsächlich?“, zog sie ihn auf. Ihr fiel ein Gespräch ein, dass sie letztes Weihnachten auf Gracewood geführt hatten. „Ich dachte, du würdest lieber von Mrs. Cuthbert bekocht werden?!“

Tim stutzte kurz, dann musste er lachen und nahm sie in den Arm. „Ich habe Mrs. Cuthbert wirklich gern, aber sie ist nicht meine Frau.“ Er sah sie verliebt an. „Ich vermisse dich wirklich.“

„Ich vermisse dich auch und die Ruhe.“ Sie ließ sich in seine Umarmung fallen. Es tat so gut und war in letzter Zeit viel zu kurz gekommen, wie sie nun merkte. „Aber ich hatte das Gefühl zu verschwinden, hinter all den Haushalts- und Familiendingen. Ich habe nur noch Sachen erledigt, die nie weniger wurden. Und als ich auf der Bühne stand und wieder gesungen habe, konnte ich endlich wieder freier atmen. Als hätte ich die ganze Zeit die Luft angehalten.“

„War das wirklich so schlimm?“, fragte er und Nora hörte die Betroffenheit in seiner Stimme. Sie trat einen kleinen Schritt zurück, um ihn ansehen zu können. Sie nickte langsam. „Ja, war es.“ Bevor er etwas erwidern konnte, fuhr sie fort. „Ich liebe dich und die Kinder über die Maßen, das kannst du dir nicht vorstellen. Ich liebe es Mutter zu sein, mich um euch zu kümmern und euch zu verwöhnen, aber ich kann nicht nur Mutter sein.“

„Und dein Job reicht dir nicht als Ausgleich? Ich dachte, er macht dir Spaß.“ Es war vielleicht komisch, dass er das jetzt fragte. Aber wenn sie schon die Gelegenheit zu einem ehrlichen Gespräch hatten, dann wollte er auch alles wissen.

„Früher einmal, aber mittlerweile ist es immer dasselbe. Ich habe das Gefühl, ich könnte die Aufgaben auch nur mit dem Rückenmark erledigen. Mein Gehirn brauche ich gar nicht.“ Sie schenkte ihm ein schiefes Lächeln.

„Und auf der Bühne bist du mehr gefordert?“

Sie lachte. „Klar, ich schreibe da keine Doktorarbeit, aber ich bin nicht nur die Ersatzsängerin. Sie hören mir auch zu, wenn ich Ideen habe. Wenn ich nicht da bin, fehle ich auch richtig.“

„Uns fehlst du auch, wenn du nicht da bist“, entgegnete er.

„Ja, schon. Aber hier mache ich nichts, was nicht auch jeder andere tun könnte. Selbst Henry kann schon die Spülmaschine ausräumen, zum Teil jedenfalls.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist nichts Besonderes, nichts Spannendes.“

„Und das auf der Bühne Stehen und Singen ist das einzig Spannende, das du suchst?“ Unsicher sah er sie an. „Du brauchst also nicht noch mehr Neuerungen?“

„Noch mehr Neuerungen?“, wiederholte sie verwirrt.

„Naja, einen neuen Mann, zum Beispiel?“

„Schatz, ich liebe dich. Nur dich! Ich brauche und will keinen anderen Mann“, versicherte sie ihm und legte ihre Hand an seine Wange.

„DAD!“ Henry kam angelaufen. „Daddy, geht’s du mit mir zu den Rehen?“

Tim warf Nora einen Blick zu. Schließlich waren sie noch nicht fertig. Sie hatten noch nicht geklärt, wie es jetzt weiter gehen soll. Sie zuckte lächelnd mit den Schultern und gab ihm einen Kuss.

„Wir reden später weiter“, hauchte sie in sein Ohr.

Tim schenkte ihr ein Lächeln, bevor er sich an seinen Sohn wandte, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war. „Komm schon Sportsfreund, wer zuerst da ist!“ Kaum hatte er ausgesprochen, flitzte der Vierjährige los.

 

Nora sah den beiden hinterher und ihr Herz ging auf. So wie es jetzt war, hatte sie zwar mehr zu tun als jemals zuvor, aber genauso wollte sie es. Sie wollte alles, Familie, Ehe, Job und als Kirsche obendrauf noch die Zeit mit der Band. Und sie würde es genießen, solange sie es hatte. Nora wanderte ein wenig umher und hielt Ausschau nach den Mädels. Ah, da waren sie ja. Sie spielten so schön miteinander, dass sie ihr Smartphone zückte und ein paar Bilder schoss und auch sofort Max schickte mit der Info, dass sie noch eine Weile hier auf dem Spielplatz waren. Auch wenn sie nicht glaubte, dass er so bald wieder zurück sein würde.

 

***

 

Er lief und lief und dennoch wollte die Empörung nicht kleiner werden. Liz fehlte ihm. Sie wüsste genau, was zu tun wäre. Sie war immer so glasklar in ihren Entscheidungen. Aber andererseits hatte er Bammel davor, ihr von dem Gespräch zu erzählen. Wenn er diese blöde Email nicht geschrieben hätte, dann säßen Peter und Eleonore noch in Hongkong und nichts von all dem wäre geschehen! Er hatte doch nur versucht, das Richtige zu tun und das hatte er nun davon.

Beim Gedanken daran, auf Nora zu treffen, wenn er Lilly abholte wurde ihm ganz anders. Nora ließ sich bestimmt nicht so leicht abwimmeln. Auch wenn sie nicht seine große Schwester war, benahm sie sich doch oft so. Das hatte man davon, wenn man seine halbe Kindheit im Haus seines besten Freundes verbrachte. Man bekam noch eine Familie geschenkt. Normalerweise war er froh und dankbar, für alles was die Bedfords schon für ihn getan hatten. Aber er war ja nun wirklich kein Zehnjähriger mehr, der nicht wusste wohin er in den Ferien sollte. Und auch kein trauernder Witwer mehr. Wie oft wollte er noch Zuflucht bei ihnen suchen?!

Kapitel 3

 

„Es war einfach fantastisch! Diese Energie in der Halle! Ich wünschte, du wärst dabei gewesen!“ Liz war kaum zur Tür rein, da begann sie schon zu schwärmen. „Ich hatte mir ja schon gedacht, dass es toll sein würde, aber davon hatte ich nun wirklich keine Vorstellung.“ Endlich waren Schuhe und Jacke an ihrem Platz und sie hüpfte die paar Stufen zum Wohnbereich hinunter. Max saß mit dem Laptop auf dem Sofa und sah ihr lächelnd entgegen. „Also war es schön, ja?“ Spontan beschloss er ihr erst einmal nichts von dem Gespräch mit seinen Schwiegereltern zu erzählen. Auch Nora hatte er vertrösten können, auch wenn er wusste, dass sie ihm nicht geglaubt hatte, dass alles okay war.

„Es war unglaublich!“ Sie lief zur Spüle, um sich dort die Hände zu waschen. Sie wollte ihm so schnell wie möglich nahe sein und ihm von ihrem tollen Tag berichten. „Ich habe…“, setzte sie an und wurde von lautem Magenknurren unterbrochen.

„Hunger!“, rief Max und lachte.

„Sieht so aus“, bestätigte Liz und lief mit einem Lächeln auf ihn zu. „Was hattet ihr denn? Gibt es Reste?“ Sie ließ sich neben ihn aufs Sofa plumpsen und küsste ihn. Eigentlich sollte es ein kurzes Begrüßungsküsschen werden, schließlich hatte sie noch so viel zu erzählen, aber Max griff in ihr Haar und zog sie zu sich heran. Den Laptop hatte er bereits heruntergefahren und beiseite gestellt. Für heute war er fleißig genug gewesen. Jetzt wollte er seiner Sehnsucht nachgeben. War es albern, dass sie ihm gefehlt hatte, auch wenn sie nur Stunden voneinander getrennt gewesen waren. Er vertiefte den Kuss und Liz seufzte. Sie wurde ganz weich in seinen Armen. Alle Anspannung fiel von ihr ab und Max konnte nur noch daran denken, sie ins Schlafzimmer zu tragen. Spät genug war es dafür. Er überlegte gerade, dass sie es sich auch hier auf der Couch gemütlich machen konnten, da grummelte ihr Magen erneut. Mit leisem Bedauern löste er sich von ihr. Liz würde ohne zu zögern auf Essen verzichten, sie tat es oft genug, weil sie vor lauter Begeisterung die profanen Dinge des Lebens vergaß, aber ihm war es wichtig, dass es ihr gut ging.

„Hi“, murmelte sie an seinen Lippen und schenkte ihm ein träges Lächeln.

„Hey!“, antwortete er und gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze. „Was willst du essen?“

„Gibt es keine Reste?“, fragte sie verwundert. Sie hatte gehofft, etwas Leckeres würde Zuhause auf sie warten.

„Leider nicht, wir haben bei Nora und Tim zu Abend gegessen. Aber ich mach dir was. Also, was möchtest du?“ Er stand auf und lief hinüber zur Küchenzeile.

„Ich weiß nicht…“ Sie überlegte. „Ich könnte einen ganzen Bären verschlingen!“ Sie grinste ihn an und er verstand. Es war seit dem Frühjahr ein Insider, als sie mit Lilly einmal beim Italiener gewesen waren.

„Also Spaghetti Carbonara.“ Er wandte sich um und holte die Zutaten aus den Schränken.

„Wie war es in Hampstead?“, erkundigte sie sich.

„Nett. So wie immer.“ Max schenkte ihr ein Lächeln und setzte dann das Wasser auf. „Beim Essen hat Lilly die ganze Zeit von ihrem Kleid erzählt und Claire war ganz gespannt. Jetzt will sie auch etwas ganz Besonderes haben.“

„Ich freue mich auch schon darauf etwas mit ihr auszusuchen!“

„Und ich bin schon gespannt, ob ihr auch genau das Kleid findet, das ihr vorschwebt. Ihre Vorstellungen werden von Tag zu Tag konkreter…“, gab Max zu Bedenken, aber Liz wischte alles beiseite.

„Ach was, wir werden das perfekte Kleid für unser wundervolles Blumenmädchen finden! Du wirst schon sehen!“ Sie strahlte ihn an. „Jedenfalls…“ Sie holte tief Luft, um endlich weiter von dem Vortrag von Chris erzählen zu können, da klingelte ihr Smartphone. Verdutzt hob sie es hoch.

„Es ist…“

„Nigel“, beendete Max den Satz. Sein bester Freund aus Schulzeiten hatte ein Talent dafür, genau dann anzurufen, wenn es einem am wenigsten passte. Aber seit er ihre Hochzeit plante, rief er zu jeder möglichen Tages- und Nachtzeit an. „Man könnte glauben, er würde heiraten, so aufgeregt wie er ist!“, fügte er brummend hinzu.

„Lass ihn! Er ist so süß.“ Liz lachte auf. „Hey Nigel!“, rief sie kurz darauf munter ins Telefon und schaltete direkt den Lautsprecher ein.

„Liz, wie schön, du bist noch wach!“

„Pfft!“ Max schnaubte im Hintergrund.

„Wie bitte?“, fragte Nigel.

„Nichts, alles gut!“, antwortete Liz und sah Max auffordernd an. „Max hört auch mit. Schatz, sag hallo!“, sagte sie und ignorierte Max’ abwehrende Gesten.

Er hatte jetzt wirklich keine Lust auf ein langes Telefonat, lieber würde er die Zeit allein mit Liz genießen, aber er gab sich geschlagen. „Guten Abend Nigel!“, betonte er jede Silbe und funkelte Liz an, die nur die Augen verdrehte.

„Hallo Maxwell!“, tat es ihm Nigel gleich. Er hatte den genervten Unterton seines besten Freundes sehr wohl vernommen. „Leider habe ich Liz heute den ganzen Tag nicht erreicht, deswegen rufe ich so spät noch an“, fügte er hinzu.

„Entschuldigung?! Ich habe gearbeitet! Ich wollte dich morgen zurückrufen oder spätestens Montag.“

„Jaja, ich hab gesehen, was du ‚gearbeitet‘ hast…“, versetzte Nigel, aber Liz unterbrach ihn und ignorierte die deutlich hörbaren Anführungszeichen.

„Es war so toll! Ich wünschte, du wärst dabei gewesen!“, rief sie und ergänzte schnell: „Ihr Beide!“ Sie seufzte auf. Sie konnte gar nicht fassen, wie großartig der heutige Tag gewesen war und morgen ging es genauso weiter! „Chris ist so inspirierend. Ich habe so viele Ideen für den Blog und…“

„Apropos Idee“, unterbrach Nigel sie. „Deine Idee mit dem Lagerfeuer werden wir wohl nicht umsetzen können.“

„Meine Idee?“, wunderte sich Liz, aber Nigel machte einfach weiter.

„Und ich soll dir von Rosemary Davis ausrichten, dass sie deinen Brautstrauß so nicht wird binden können. Überhaupt bekommt sie jetzt kaum noch blaue Hortensien, die Blüten ändern bald ihre Farbe und es geht eher ins lila…“

„NEIN, bloß nicht. Ich hasse lila!“, entfuhr es Liz und Max drehte sich erschrocken um. Liz lehnte eigentlich nie etwas so kategorisch ab. Selbst Nigel machte einen überraschten Laut am Telefon.

„Okay, kein Problem!“ Im Hintergrund hörte man seinen Stift übers Papier fahren. „Welche Blumen hättest denn dann gern?“

„Gibt es wirklich keine blauen?“

„Wenn es regional und saisonal sein soll, dann nicht.“

„Schade, es hätte so gut zum Verlobungsring gepasst.“ Liz überlegte.

„Ich weiß und zu deinen tollen Augen, aber leider ist da nichts zu machen. Es sei denn du verschiebst…“

„Nein!“, unterbrach Max vom anderen Ende des Raumes. „Der Termin muss bleiben. Ich… wir…“

Liz sah ihn an, wie er dort stand, Essen für sie kochte und nach den richtigen Worten suchte. Sie spürte, wie ihr Herz aufging und zu ihm hinüberflog. Sie liebte ihn so sehr. Er war so toll! Er passte einfach perfekt zu ihr und sie zu ihm. Auch wenn ihr das bei ihrer ersten Begegnung auf Gracewood Hall überhaupt nicht klar war. „Nein Nigel, der Termin bleibt. Er ist perfekt.“ Strahlend lächelte sie Max an. „Wenn wir schon Anfang Oktober heiraten, dann nehmen wir Dahlien. Rot, orange, gelb, pink. Was die Natur hergibt. Sie kann sich richtig austoben!“

Wieder einmal konnte Max es kaum fassen, dass diese wunderbare Frau ihr Leben mit ihm teilen wollte. Er warf den blöden Holzlöffel achtlos auf die Arbeitsplatte und lief mit großen Schritten zu ihr hinüber, zog sie auf die Beine und hob sie hoch, damit sie sich auf gleicher Augenhöhe befanden. „Ich liebe dich unendlich und kann es kaum erwarten, dass du meine Frau bist!“, flüsterte er und küsste sie innig. Er beschloss, ihr nicht zu erzählen, was die Kwans von ihr dachten. Es würde sie nur unnötig verletzen und die Kwans würden sowieso bald wieder abreisen.

„Bist du sicher?“, fragte Nigel aus dem Gerät, das Liz immer noch in der Hand hielt, ihm aber keine Aufmerksamkeit mehr schenkte.

Stattdessen gab sie sich ganz dem Kuss hin und schlang, wie so oft, ihre Beine um Max.

„Hallo? Liz? Bist du noch dran?“, erkundigte er sich nach ein paar Sekunden. „Oh Mann, die unanständigen Sachen könnt ihr machen, wenn ich nicht dabei bin!“, stöhnte er schließlich ins Telefon.

Liz prustete leise und rief: „Wir machen gar nichts.“

„Ja, ist klar!“, antwortete Nigel sarkastisch.

„Noch nicht jedenfalls!“, flüsterte Max und biss ihr sanft in die Unterlippe.

„Ist das ein Versprechen?“, hakte Liz nach und fuhr mit ihrem Zeigefinger an seinem Hals hinunter und öffnete einen weiteren Knopf seines Hemdes.

„Ich mache alles, was du willst!“, antwortete Max heiser und er sah ihre Augen erwartungsvoll aufblitzen. In seinem Schoß pochte es, seitdem sie nach Hause gekommen war. Langsam wurde es immer unerträglicher. Seiner Meinung nach dauerte dieses Telefonat entschieden zu lange.

Bevor sie antworten konnte, rief sich Nigel erneut in Erinnerung. „Hallo? Ich warte! Können wir jetzt weitermachen?“

„Das frage ich mich auch!“, gab Max leise zurück und ließ Liz langsam zu Boden gleiten.

„Sicher!“, antwortete Liz, dabei zwinkerte sie Max zu. Plötzlich fiel ihr etwas ein. „Was machen meine Spaghetti?“

Max setzte sich augenblicklich in Bewegung. Mist! Er hatte sie doch abgießen wollen!

„Du isst jetzt Spaghetti???“, fragte Nigel entsetzt. Wenn er das täte, würde er sich nur noch rollend durch die Gegend bewegen müssen.

„Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen!“, antwortete Liz.

„Du hast den GANZEN TAG noch nichts gegessen?!“, wiederholte Nigel. Es war für ihn unbegreiflich, wie man einen ganzen Tag nichts essen konnte. Wie konnte das denn passieren?

„Das ist doch jetzt nicht wichtig!“, unterbrach Liz ihn. „Richte also Mrs. Davis aus, dass Dahlien in rot, gelb, orange und pink im Mittelpunkt stehen sollen. Gibt es sonst noch etwas?“

„Ähm…“, Nigel raschelte mit irgendwelchen Zetteln. „Hast du die Gästeliste schon fertig? Ich will endlich mit dem Sitzplan anfangen.“

„Es stehen noch ein paar Zusagen aus…“

„Schick sie mir trotzdem rüber und bei den ‚Vielleichts‘ machst du ein Sternchen.“

„Okay, mach ich Montag.“

„Wie bitte?“ Er glaubte sich verhört zu haben.

„Früher schaffe ich es nicht. Morgen ist der zweite Seminartag und Sonntag ist Familientag“, erklärte sie.

„Gut, also Montag.“ Nigel seufzte. „Das war es auch, für heute zumindest.“

„Prima!“, rief Max. „Das Essen ist auch fertig!“

„Oh, es riecht auch schon so toll!“ Liz reckte den Hals, um etwas sehen zu können. „Ich brauche keinen Teller, ich esse direkt aus dem Topf“, verkündete sie.

Am Telefon stöhnte Nigel vor Neid auf. Er war seit dem Sommerfest auf Diät. Er hatte sich seit dem Frühjahr ein nicht ganz so kleines Frustbäuchlein angefuttert und schuld daran war nur diese Mindy Miller, die furchtbarste Braut aller Zeiten gewesen. Die sich im Nachhinein, und das war das Schlimmste daran, als gar nicht so furchtbar herausgestellt hatte. Die vielen Trostleckereien hätte er sich sparen können, wenn sie nur von Anfang an so gewesen wäre, wie zum Schluss. Nun saß er da mit dem Bauch und den Schenkeln und musste Sport machen, während andere abends um 23 Uhr Spaghetti aßen. Direkt aus dem Topf! Uahh! Das Leben war manchmal so was von ungerecht! „Ich lege jetzt auf!“, verkündete er mit Grabesstimme, aber Liz lachte nur und rief: „Gute Nacht! Schlaf schön!“ Auch Max rief noch ein „Bye!“ und schon war die Verbindung unterbrochen.

 

„Das ist so lecker!“, sagte sie bestimmt schon zum zehnten Mal. Sie saß am Küchentresen und aß tatsächlich aus dem Topf. Begeistert drehte sie immer wieder Spaghetti auf ihre Gabel. „Ich bin wirklich froh, dass du so emanzipiert bist!“, verkündete sie und grinste.

Max stand ihr gegenüber und zog irritiert eine Augenbraue hoch. Er überlegte immer noch, wie er ihr einen Teller unterjubeln konnte. „Wie bitte?“

„Naja, wenn du kochen als unmännlich empfinden würdest, könnte ich dich unmöglich heiraten!“, erklärte sie zwischen zwei Bissen.

„Ich weiß schon, wie du dich nachher erkenntlich zeigen kannst“, gab er süffisant zurück.

„Ach so!“ Sie begann zu grinsen. „Bei dir kann ich mich natürlich auch bedanken.“

„Bei wem denn noch?“, wunderte er sich und ihr Grinsen wurde immer breiter.

„Dem Schicksal natürlich!“

„Das ist ja gut zu wissen! Bei dem Schicksal willst du dich bedanken, aber bei mir nicht!“ Er stemmte gespielt vorwurfsvoll die Hände in die Hüften.

Liz musste ihre ganze Selbstbeherrschung aufwenden, um lässig abzuwinken und nicht laut loszulachen. „Habe ich schon längst!“

Max stutzte, irrte er sich oder schwang da ein ernster Unterton mit? „Was hast du gemacht?“, fragte er leise. Alle Albernheiten waren verflogen.

Liz sah ihn an und griff nach seiner Hand. „Es ist schon eine Weile her. Aber ich habe immer nach einer passenden Gelegenheit gesucht, dir davon zu erzählen.“

„Du kannst mir immer alles erzählen“, antwortete er.

„Das weiß ich doch!“ Sie drückte seine Hand und schob den Topf beiseite, als brauche sie Raum. „Ich bin mir bewusst, dass es unglaublich und ein bisschen irre klingt, aber…“ Sie suchte nach Worten. Sie sah ihn an, sein Blick lag abwartend auf ihr. Sie sah Liebe, Unbehagen und ein wenig Angst. Es gab kein zurück. Sie hatten sich immer alles erzählt und das sollte für den Rest ihres Lebens auch so bleiben. Also holte sie tief Luft und begann: „Erinnerst du dich, dass ich ein paar Wochen nach unserer Verlobung unbedingt wieder anfangen wollte zu meditieren? Da war in mir so ein innerer Drang, dass ich es kaum ausgehalten habe.“

Max nickte. Er erinnerte sich, auch an ihre Unruhe und dass er gehofft hatte, dass sie ihr Jawort nicht bereute.

„Eines Morgens bin ich ziemlich früh aufgewacht und war auch richtig wach. Also bin ich aufgestanden und habe mich hingesetzt und meditiert. Naja, eigentlich habe ich erst ewig nach meinen Kopfhörern gesucht, dann war auch noch das Akku von meinem Handy leer und… egal. Jedenfalls saß ich also da und habe, zum ersten Mal, ohne Anleitung meditiert. Ich habe mich auf meinen Atem konzentriert und überhaupt alles gemacht, wie sonst mit der App und dann…“ Sie hielt inne. Wie sollte sie ihm von ihrem Erlebnis erzählen, ohne dass es blöd klang. Oder er sie womöglich für verrückt hielt? Sie schloss kurz die Augen und sammelte sich, bevor sie fortfuhr. Diesmal würde sie sich nicht unterbrechen. „Auf einmal fing mein ganzer Körper an zu kribbeln, aber nicht so dass ich mich hätte kratzen müssen oder so und dann spürte ich auf einmal, dass ich nicht mehr allein war. Ich war total irritiert und dachte Lilly sei aufgewacht oder du. Ich wollte schon die Augen öffnen und nachsehen, da hörte ich eine Stimme. In mir. Also ich hörte sie in meinem Kopf und trotzdem war mir, als säße jemand neben mir. Und die Stimme sagte, dass alles gut sei. Also sie sagte wortwörtlich: ‚Liz, es ist alles gut. Alles ist so, wie es sein soll.‘ Und ich weiß noch, dass ich mich fragte, was sie denn meinte und da verstärkte sich auf einmal das Kribbeln und dann war da wie ein warmes, helles, weißgoldenes Licht neben mir und das Licht breitete sich aus und hüllte auch mich ein und ich wusste, dass…“ Jetzt brach sie doch ab, aber sie wollte, nein, sie musste weiter erzählen. Er hatte ein Recht darauf, es zu erfahren.

Max drückte instinktiv ihre Hand. Er wagte kaum zu atmen. Denn er hoffte und fürchtete gleichzeitig, dass sich seine Ahnung bestätigen würde.

Seine Berührung gab ihr den Mut fortzufahren. Sie schluckte mühsam, denn sie spürte wie Tränen in ihr aufsteigen wollten. „Ich wusste, dass es Diana war. Sie war zu mir gekommen, weil sie mir… uns ihren Segen geben wollte. Sie sagte gar nichts weiter, aber sie war da und hüllte mich mit ihrem Licht ein und zeigte mir ihre Liebe. Für dich und für Lilly… und auch für mich.“ Jetzt liefen die Tränen doch. „Ich weiß nicht, wie lange das gedauert hat. Aber es war so besonders. Und dann habe ich mich bei ihr bedankt und ihr versprochen, gut auf euch aufzupassen und euch zu lieben und sie sagte nur: ‚Natürlich wirst du das. Alles ist so, wie es sein soll!‘ Max, ich…“ Erst jetzt konnte sie den Blick heben und ihn ansehen. Auch er hatte Tränen in den Augen. Ohne ihre Hand loszulassen lief er um den Tresen herum, beugte sich zu ihr hinab und küsste sie.

„Danke, dass du es mir erzählt hast“, flüsterte er und ließ seine Stirn gegen ihre sinken. Auch er hatte natürlich in den letzten Wochen immer wieder an seine verstorbene Frau denken müssen und an ihre gemeinsame Zeit und wie anders alles verlaufen wäre, wenn sie damals nicht diesen Unfall gehabt hätte. Er war wirklich froh, dass Liz ihm von ihrem Erlebnis erzählt hatte. Früher hatte er nicht an solche Dinge geglaubt, aber seit er Liz kannte, hatte er immer wieder erlebt, dass sie mehr wusste als eigentlich möglich war.

„Jederzeit!“, antwortete sie ihm ebenso leise. „Keine Geheimnisse mehr, das weißt du doch!“

Wie könnte er das je vergessen. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht und er küsste sie noch einmal. „Lass uns ins Bett gehen, Elizabeth!“, sagte er leise und nahm sie an die Hand.

Sonntag - Kapitel 4

 

„Die Idee mit dem Picknick im Park war hervorragend!“, sagte Max und streckte sich lang auf der Decke aus. Es war ein wunderschöner Tag, die Sonne gab noch einmal alles. Einige unerschrockene Parkbesucher trugen sogar T-Shirt und kurze Hosen. Wenn sich nicht schon die ersten Blätter verfärben würden, könnte man sich einbilden, der Herbst wäre noch fern.

„Ja, und das Beste daran ist, dass ich nichts vorbereiten musste!“ Liz tat es ihm nach und kuschelte sich an ihn. „In Deutschland gibt es nicht annähernd so viele Lokale in denen man gesunde Gerichte kaufen kann, so wie hier. Ich liebe London!“

„Und ich liebe dich!“ Er zog sie nah an sich heran und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe.

Liz schmiegte sich noch näher an ihn und seufzte. Sie sollten solche Ausflüge wirklich viel häufiger machen. Dadurch, dass sie beide ihre Arbeit so liebten, merkten sie manchmal nicht, dass es zu viel wurde. Wenn Lilly nicht wäre, würden sie wahrscheinlich noch mehr arbeiten.

„Müssen wir ein schlechtes Gewissen haben, weil wir Lilly den Donovans mitgegeben haben?“, fragte sie.

Max schüttelte den Kopf. „Nein, mein Schatz! Im Gegenteil, dass wir zufällig Rosie und ihre Eltern getroffen haben, ist ein großes Glück! Du wirst sehen, Lilly wird einen großartigen Tag mit ihrer besten Freundin verbringen und die Donovans haben dadurch auch Zeit für sich, weil die Mädels schön miteinander spielen.“ Er grinste. „Außerdem hast du ihnen den Kuchen mitgegeben.“

„O Gott, sag nicht, sie denken jetzt, ich hätte sie bestochen!“ Erschrocken hob Liz den Kopf und sah ihn an.

„Du bist so süß!“ Max lachte und zog sie zu sich, bis sie halb auf ihm lag. „Quatsch! Ellen und Daniel sind in Ordnung. Mach dir keine Sorgen!“ Er gab ihr einen Kuss. „Wenn du willst, können wir sie heute Abend auf eine Pizza einladen.“

„Eine Pizza von Antonio klingt sehr verlockend.“ Liz lächelte und stützte ihren Kopf auf ihre Hand. „Wenn du mir jetzt noch ein Schaumbad versprichst, könnte das der perfekteste Sonntag aller Zeiten werden.“

„Ach ja?“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Fehlt da nicht eine Kleinigkeit?“

„Tatsächlich?“, fragte sie schmunzelnd. „Was denn?“

Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, da hatte er sich schon aufgerichtet und sie lag unter ihm. Sie schenkte ihm ein träges Lächeln. „Ich liebe deinen sportlichen Körper“, hauchte sie und strich mit ihrer Rechten an seiner Seite hinab zu seinem Bauch.

„Ah, endlich bist du auf der richtigen Fährte!“ Er grinste sie spitzbübisch an und senkte langsam, ohne sie aus den Augen zu lassen, seine Lippen auf ihre. Sie zu küssen war jedes Mal wie der erste Blick aufs Meer nach langer Zeit. Vertraut und doch immer anders, einfach atemberaubend. Und zum wiederholten Mal war er dankbar, dass sie in sein Leben getreten war. Sie seufzte leise unter ihm, während ihre Hände durch sein Haar fuhren und er spürte wie seine Erregung wuchs. Wenn sie diese kleinen Laute von sich gab, war er ihr machtlos ausgeliefert. Eben noch war der Park der perfekte Ort gewesen, nun wünschte er sich nichts sehnlicher, als mit ihr in ihrem Bett zu liegen. Bevor seine Erregung noch weiter zunahm, denn der Gedanke wie sie nackt vor ihm lag, war nicht besonders hilfreich gewesen, brachte er ein paar Zentimeter Abstand zwischen ihnen. „Ach Schatz?!“

„Hm“, gab sie murmelnd zurück und zog ihn wieder an sich. Sie wollte jetzt ganz sicher nicht aufhören, ihn zu küssen, aber Max entzog sich ihr wieder ein kleines Stück.

„Du hattest mich doch gebeten, dir zu sagen, wenn mir etwas auffällt.“

Liz erinnerte sich dunkel daran, dass sie ihn irgendwann gebeten hatte, ihr Englisch zu verbessern, wenn sie einen Fehler gemacht hatte. Aber im Moment interessierten sie Grammatikregeln nicht im Geringsten. Sie begann an seinem Hals zu knabbern und strich mit ihren Händen über seinen tollen Rücken. Am liebsten hätte sie noch ihre Beine um seine Hüften geschlungen, um ihm ganz nah zu sein. Sie hatte wohl gemerkt, welche Wirkung ihre Küsse hatten.

Sie machte ihn wahnsinnig! Manchmal beneidete er Tiere, die durften sich einfach ihren Trieben hingeben. Unter einer enormen Willensanstrengung fuhr er fort: „Du weißt schon, dass es keine Steigerungsform von dem Wort ‚perfekt‘ gibt, oder?!“

Liz brauchte einen Moment bis sie aufgenommen und verarbeitet hatte, was er gesagt hatte. Grinsend schüttelte sie den Kopf und verpasste ihm einen kleinen Klaps. „Du verstehst es wirklich eine Frau wieder auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen!“ Sie rückte ein wenig von ihm ab, um die Arme zu verschränken und zog eine beleidigte Schnute.

Er gab ihr einen kleinen Kuss und ließ sich neben sie fallen.

„Da wir gerade dabei sind unglaublich ehrlich zu sein, wie war denn dein Treffen mit Dianas Eltern?“, fragte sie und stützte sich auf ihren Arm auf.

Bestürzt sah er sie an. Aus irgendeinem kindlichen Impuls heraus, hatte er gehofft, sie hätte es vergessen.

„Wenn du mich jetzt so anguckst und ich dann noch dazu rechne, dass du mir noch nichts davon erzählst hat, muss es eine Katastrophe gewesen sein“, fuhr sie fort.

Max gab sich einen Ruck und entgegnete munterer, als ihm zumute war. „Ach was, es war überhaupt nicht schlimm. Sie wollten nur hallo sagen und sich nach Lilly erkundigen. Nichts weiter. Ich habe nur vergessen, dir davon zu erzählen.“

„Kein Problem!“ Liz winkte ab. Sie hatten beide immer viel im Kopf, da passierte es durchaus manchmal, dass einer von ihnen etwas vergaß. „Wollten sie Lilly denn nicht selbst sehen oder sind sie schon wieder abgereist?“

Max zuckte mit den Achseln. Was sollte er sagen, er wusste es ja nicht. Er fühlte sich sowieso schon schlecht, weil er Liz nicht alles von dem Gespräch erzählte. Aber er wollte sie nicht beunruhigen. „Sie sind nicht wie andere Großeltern. Diana und sie hatten auch kein herzliches Verhältnis“, versuchte er zu erklären. „Liegt vielleicht an der asiatischen Zurückhaltung…“

„Möglich.“ Liz kuschelte sich wieder an ihn. „Wie gut, dass wenigstens Vivian und Richard ganz anders sind.“

„Ja“, stimmte er ihr zu und beugte sich über sie, froh das Thema endlich fallen lassen zu können. Den Impuls an seine eigenen Eltern zu denken, die sich auch nicht gerade durch glänzende großelterliche Fähigkeiten auszeichneten, unterdrückte er. Schließlich waren sie schon immer sehr auf sich konzentriert gewesen. „Wo waren wir eigentlich stehen geblieben?“, fragte er und zog sie näher an sich.

Liz schenkte ihm ein träges Lächeln. „Sag du es mir, schließlich warst du derjenige, der uns unterbrochen hat.“

„Ich? Das würde ich nie tun!“, erwiderte er mit einem frechen Grinsen.

„Nein, natürlich nicht“, antwortete sie noch, bevor er seine Lippen auf ihre senkte.

 

***

 

„Was glaubst du haben Dianas Eltern wirklich von Max gewollt?“ Nora hielt ihr Gesicht in die leuchtende Herbstsonne. Um den schönen Tag zu genießen, waren sie nach Spitalfield in den Streichelzoo gefahren.

„Das fragst du mich jetzt schon zum dritten Mal und ich weiß es immer noch nicht“, entgegnete Tim. Es war ihm reichlich egal, was die wollten.

„Aber du musst doch eine Idee haben!“, wandte sie ein. Max bedrückte Miene ließ sie einfach nicht los. Als die älteste der drei Geschwister fühlte sie sich immer noch verantwortlich. Meistens störte es sie nicht, im Gegenteil, es machte ihr oft eine Heidenfreude die Zügel in der Hand zu haben. Schließlich war sie diejenige gewesen, die Max und Liz damals auf die Sprünge geholfen hatte und sie war sehr stolz auf sich. Aber auch ihrem kleinen Bruder Nick und seiner schönen Schwedin Milla hatte sie den nötigen Schubs gegeben. Aber wenn eines ihrer Geschwister, und sie rechnete Max dazu, vor Herausforderungen stand, dann ging ihr das immer sehr nahe.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752139839
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
Großbritannien Herrenhaus Entspannen Hochzeit Schwiegereltern England Happy End Schloss Sehnsucht Liebe Saga historisch Familie

Autor

  • Sandra Rehle (Autor:in)

Sandra Rehle schreibt zeitgemäße Liebesromane, für moderne und selbständige Frauen, die ihre Träume und Visionen leben (wollen). Sie schafft es eine Welt voller Entspannung, Humor und Wertschätzung zu kreieren, so dass Sie sich gut unterhalten UND inspiriert fühlen. Tauchen Sie ein in die Welt von GRACEWOOD HALL und laden Sie Ihre Akkus auf.
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Titel: Herbstversprechen auf Gracewood Hall