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Die Kapelle im Moor

Historischer Roman

von Tom Finnek (Autor:in) Mani Beckmann (Autor:in)
350 Seiten
Reihe: Moor-Trilogie, Band 2

Zusammenfassung

Das Münsterland nach dem Dreißigjährigen Krieg: Im Sommer des Jahres 1668 kehrt der Schausteller und Taschendieb Daniel Wagenknecht anlässlich einer Kirchweih in das Moordorf Ahlbeck zurück, in dem er als Säugling von drei Bauern lebendig begraben wurde. Daniel will die Geheimnisse von damals lüften - und sich an den Schuldigen rächen. Begleitet wird er von seinem Ziehvater Roloff. An der Stelle im Moor, wo dieser ihn einst gefunden hat, steht nun eine geheimnisvolle Kapelle, in der ein geistig verwirrter Pater auf die Rückkehr des Satans wartet. Während alle sich auf die bevorstehende Kirmes vorbereiten, kommt Daniel dem Geheimnis des Dorfes und einem grauenvollen Verbrechen auf die Spur ...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ERSTER TEIL – DER UNBERÜHRBARE

Erstes Kapitel – Bringt die Ankunft eines Fremden

Wer in den Chroniken und Geschichtsbüchern nach bedeutenden Ereignissen des Jahres 1668 fahndet, wird kaum fündig werden. Wenig Bemerkenswertes ist in diesem Jahr geschehen. Deutschland dümpelte vor sich hin und erholte sich nur langsam von den Folgen des Dreißigjährigen Krieges. Leopold I.* war seit zehn Jahren ein Kaiser ohne Macht und ließ die Territorialherren, Fürsten und Bischöfe unbehelligt ihr eigenes Süppchen kochen. In Frankreich herrschte Ludwig XIV. als Sonnenkönig, legte sich mit Niederländern und Spaniern an und stolzierte wie ein Pfau über die Baustelle seines Versailler Schlosses. London genas derweil von Pest und Feuersbrunst. Und in Brandenburg mühte sich der Große Kurfürst redlich, seinem Namen gerecht zu werden, während die Linden, die er zwischen seinem Berliner Schloss und dem Tiergarten hatte pflanzen lassen, gemächlich gen Himmel wuchsen. Europa dämmerte mehr oder minder stumpfsinnig hinüber vom Zeitalter der Glaubensspaltung ins Zeitalter des Absolutismus.

Es war in diesem Jahr 1668, an einem späten Juliabend, als sich zwei Männer auf ihren Pferden von Westen her dem westfälischen Dorf Ahlbeck näherten. Obwohl es ein heißer Tag gewesen war und die Schwüle immer noch wie eine Glocke über dem Ort stand, trug einer der Männer einen schwarzen Umhang und einen ebenfalls schwarzen Hut mit breiter Krempe sowie lange Stulpenstiefel. Er ritt einen Rappen und lauschte andächtig seinem Begleiter, einem älteren und wohlbeleibten Mann, der auf einem Apfelschimmel saß und unter seinem grünen Rock lediglich Hemd und Hose aus grobem Leinen trug. Auf dem speckigen Glatzkopf des Mannes thronte ein hoher, abgegriffener und an den Ecken eingerissener Holländerhut. Am Ahlbach, jenem Flüsschen, das dem nahe gelegenen Dorf seinen Namen verliehen hatte, stiegen beide ab, befeuchteten ihre Gesichter und tränkten die Pferde.

»Was für eine öde Gegend«, sagte der Schwarzgekleidete und lachte bitter. »Nichts als Sumpf und feuchte Wiesen. Hier fühlen sich nur die Mücken und Bremsen wohl.« Er war ein junger Mann von kaum zwanzig Jahren, groß gewachsen und mit dichtem, leuchtend rotem Haar, das er im Nacken zu einem Zopf gebunden hatte. Sein Gesicht war blass, beinahe weiß und gesprenkelt mit großen Sommersprossen. Er setzte sich ins Gras, stopfte seine Pfeife und schaute sich um, als müsse er sich orientieren. Hinter ihnen im Westen lag das Moor, das sich bis zur niederländischen Grenze und weit darüber hinaus erstreckte. Sie hatten auf ihrem Weg durchs Venn eine alte Wassermühle zur Rechten und einen Galgenhügel zur Linken passiert und waren stets dem Lauf des Flusses gefolgt. Der unwegsame und morastige Bruchwald war allmählich in Weidelandschaft übergegangen, und in der näheren Umgebung waren nun einige Bauernkotten zu sehen. Hier und da brannte noch Licht, aber es war völlig ruhig und friedlich. Kein Hofhund bellte, das Vieh schlief auf der Weide, und weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Es war eine mondhelle Nacht, in der Ferne war das Dorf auszumachen, das ebenfalls nur aus wenigen Bauernhöfen zu bestehen schien und von einem Kirchturm mit Treppengiebel überragt wurde.

»Ich hätte es dir nicht sagen dürfen, Junge«, sagte der Glatzkopf in dem typischen Singsang, der den Rheinländer verriet. »Das war dumm von mir.« Er nahm seinen Hut ab und wischte sich mit einem Tuch über den Hinterkopf. »Deine Miene verrät nichts Gutes.«

»Du irrst dich, Roloff. Es macht mir nichts aus«, antwortete der junge Mann und winkte ab, doch seine Mimik widersprach seinen Worten. Obwohl er rauchend und mit übereinandergeschlagenen Beinen am Ufer lag, hatte seine Miene einen ernsten, ja finsteren Ausdruck angenommen. Seine bleiche Stirn lag in Furchen, die schmalen Lippen hatte er aufeinandergepresst, und seine wässrigblauen Augen funkelten unter den buschigen, hellroten Augenbrauen, als wolle er jemanden mit seinem Blick hypnotisieren. Als er seinen Hut abnahm und neben sich ins Gras legte, offenbarte sich eine fürchterliche Wunde an der rechten Seite seines Kopfes: Das Ohr war völlig verunstaltet, die obere Hälfte fehlte oder war mit dem Kopf verwachsen, und eine beinahe handbreite Narbe verlief vom Ohr bis zum Nacken, die nur halbwegs durch das Haar verdeckt wurde. Ein seltsames Lächeln legte sich plötzlich auf die Lippen des Mannes, und er murmelte: »Nein, es war richtig, dass du es mir gesagt hast! Dass ich nicht vom Himmel gefallen bin, war mir ja bewusst. Und die Geschichte mit den Schweden habe ich ohnehin nie geglaubt.« Wieder setzte er ein schiefes Lächeln auf, das alles andere als heiter wirkte, und setzte hinzu: »Wo genau ist die Stelle? Ich würde sie gern sehen. Kannst du mich hinführen?«

Der Mann namens Roloff schüttelte den Kopf. »Heute nicht«, sagte er und zuckte mit den Schultern, »ich bin nicht mal sicher, ob ich sie wiederfinde. Es war eine Lichtung im Wald. Bei diesem steinernen Kreuz, von dem ich dir erzählt habe. Vermutlich ist mittlerweile nichts mehr davon übrig. Ich habe dir doch gesagt, dass es damals schon ziemlich verwittert war.«

»Dann werden wir eben suchen«, antwortete der Rothaarige.

»Daniel, Daniel!«, rief Roloff und schüttelte missmutig den Kopf. »Du solltest es am besten gleich wieder vergessen. Du kannst es ohnehin nicht ungeschehen machen.« Er räusperte sich und wechselte abrupt das Thema: »Du weißt, was du im Dorf zu tun hast?«

»Was soll die Frage?« Der junge Mann bedachte ihn mit einem ironischen Blick und setzte hinzu: »Du weißt, dass ich meine Aufgabe kenne. Und glaub mir, diesmal wird es mir eine besondere Freude sein, den gadschos auf den Zahn zu fühlen.«

»Unterschätz die Bauern nicht!«

Daniel nickte und fragte: »Werden sie mich nicht erkennen?«

Roloff lachte und schüttelte den Kopf. »Du warst damals noch ein Hosenscheißer ohne Haare auf dem Kopf. Mach dir darüber keine Gedanken! Welche Rolle wirst du spielen?«

»Den Studiosus. Bei Katholiken ist es immer recht Erfolg versprechend, sich als Theologiestudent auszugeben.« Der junge Mann reichte dem Glatzköpfigen die Pfeife und setzte hinzu: »Kein Mensch misstraut einem Mann der Kirche. Und das Wohlwollen des Pfarrers wird mir ebenfalls sicher sein und damit vielleicht das eine oder andere Beichtgeheimnis. Unter Kollegen sozusagen.«

»Gut«, sagte Roloff, nahm ein tiefen Zug und gab dem anderen die Pfeife zurück. Dann beäugte er seinen jungen Kumpan mit skeptischem Blick und fügte warnend hinzu: »Aber sei vorsichtig und mach keine Dummheiten! Versprich mir das, mein Junge!«

»Du solltest mich eigentlich gut genug kennen.«

»Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte Roloff, schüttelte erneut den Kopf und setzte seinen Holländerhut auf. »Du weißt ja, wo du uns findest, falls etwas Unvorhergesehenes passiert. Ansonsten treffen wir uns wie geplant in zwei Tagen im Lager, aber komm erst nach Sonnenuntergang und pass auf, dass dich niemand sieht.«

»Für wie dumm hältst du mich eigentlich?«

»Du bist mir manchmal nicht dumm genug«, sagte der Mann im grünen Rock, stieg auf seinen Apfelschimmel, stieß dem Gaul den Fuß in die Flanke und ritt grußlos davon.

Daniel schaute ihm lächelnd hinterher und murmelte: »Kannst dich auf mich verlassen, du alter Gauner.« Doch das Lächeln verschwand augenblicklich aus seinem fahlen Gesicht, und abermals presste er die Lippen aufeinander, dass sie wie dünne Striche aussahen. Seine Augen gingen rastlos hin und her, in seinem Kopf herrschte ein unverkennbares Durcheinander, auch wenn er sich den Anschein der Gelassenheit geben wollte. Eine plötzliche Wut stieg in ihm hoch, aber sie war gegen niemand Speziellen gerichtet, sondern ganz unbestimmt und vage, und er ärgerte sich sogleich darüber.

»Der Teufel soll euch alle holen«, zischte er schließlich, schlug mit der Hand nach einer Mücke, die sich auf seinem Gesicht abgesetzt hatte, und spuckte in hohem Bogen in den Fluss.

Nach und nach wurden ringsum die Lichter auf den Bauernhöfen gelöscht, das Dorf legte sich schlafen, und als die Glocken der Kirchturmuhr zur vollen Stunde schlugen, war ganz Ahlbeck in Dunkelheit gehüllt. Erst jetzt sprang der junge Mann auf, klopfte die Pfeife aus, setzte sich den Hut schräg auf den Kopf, so dass seine Narbe verdeckt wurde, und klopfte seinem Pferd aufmunternd auf den Hals.

»Auf geht’s, Schwarzer!«, sagte er, stieg in den Sattel und gab dem Pferd die Sporen. »Wollen mal sehen, mit wem wir es zu tun haben.«

Er ritt eine weitere halbe Meile am Fluss entlang, bevor der Weg rechter Hand abbog und über eine Holzbrücke zu einer gepflasterten Straße führte. Diese war von kleineren Bauernhöfen flankiert und mündete schließlich in einen rechteckigen Dorfplatz. Außer der backsteinernen Kirche und dem sich westlich anschließenden Friedhof, der von einer mannshohen Mauer umgeben war, befand sich an diesem Platz noch das Pastorat, zu erkennen an dem großen, weißen Kreuz über der Eingangstür, sowie eine alte Schmiede und ein Wirtshaus mit dem Namen »Zur alten Linde«.

Als Daniel das Messingschild über der Tür zur Schenke sah, fuhr er zusammen, und ein nervöses Lächeln huschte ihm übers Gesicht.

»Die ›Linde‹«, murmelte er, stieg vom Pferd und schaute sich um, als suche er irgendetwas oder müsse sich zurechtfinden. Er betrachtete die kleine gotische Kirche, deren Turm bereits einige Jahrhunderte auf dem Buckel zu haben schien. Das rote Gemäuer des winzigen Hauptschiffes war an einigen Stellen rußgeschwärzt oder mit helleren Steinen ausgebessert worden, als sei es verbrannt und anschließend notdürftig wieder repariert worden. Vermutlich eine Folge des Krieges, der dreißig Jahre lang im ganzen Reich gewütet und überall seine hässlichen Narben hinterlassen hatte. Auch das Wirtshaus, auf das der junge Mann nun zuging, wirkte wie ein Flickwerk. Das Dach war neu gedeckt, aber die Mauern waren mit Rissen überzogen und zeigten die gleichen Spuren unbeholfener Ausbesserungsarbeiten. Neben der Schenke befand sich eine Art hölzener Unterstand oder Stall, an dem der Reiter seinen Rappen festband. Er schulterte seinen Rucksack, ging zur Vordertür des Wirtshauses und klopfte gegen das Holz. Da ihm niemand antwortete, nahm er einen Stock zur Hilfe und hämmerte erneut gegen die Tür.

»Wer ist dort?«, meldete sich eine Männerstimme im oberen Stockwerk. Ein Fenster wurde aufgerissen, und der Kopf eines bärtigen Mannes erschien. »Was soll der Lärm?«, fragte er. »Wer seid Ihr?«

»Ich habe einen langen Weg hinter mir und suche ein Zimmer für die Nacht«, antwortete Daniel. »Habt Ihr eine Kammer frei und eine Kleinigkeit zu essen? Mein Magen knurrt wie ein Hofhund.«

»Mitten in der Nacht?«, fauchte der Bärtige. »Das Wirtshaus ist geschlossen, kommt morgen früh wieder. Legt Euch ins Gras, es ist eine laue Nacht.«

»Ich werde Euch fürstlich belohnen, wenn Ihr mich einlasst«, erwiderte der junge Mann, zog einen Lederbeutel aus seiner Rocktasche und holte einen Rheinischen Goldgulden heraus, den er dem Wirt zuwarf.

»Nun sieh einer an«, sagte dieser, nachdem er die Münze in Augenschein genommen hatte, und kraulte seinen Bart. »Ihr habt tatsächlich fürstliche Argumente.« Er wandte sich ab und rief ins Innere des Hauses: »Henrike, steh auf, wir haben einen Gast! Hast du nicht gehört? Raus aus dem Bett! Einen Moment, werter Herr«, richtete er seine nächsten Worte an den Mann vor der Tür, »wir sind in Windeseile unten.« Damit schloss er das Fenster, und erneut konnte man ihn den Namen Henrike rufen hören.

Nur eine Minute später wurde im Erdgeschoss Licht gemacht, und der Wirt öffnete die Tür. »Kommt herein in unser bescheidenes Heim«, sagte er und machte einen Bückling. »Mein Name ist Franz Tenfelde, ganz zu Euren Diensten.« Er war ein kleiner, kugelrunder Kerl mit pockennarbigem Gesicht, das er hinter einem Rauschebart zu verstecken suchte. Unter der Schlafmütze, die er immer noch auf dem Kopf trug, lugte sein dunkelblondes Haupthaar hervor, das wie ausgedörrtes Gestrüpp vom Schädel abstand und an den Schläfen ergraut war. »Ich habe bereits veranlasst, dass Euch etwas Schmackhaftes zubereitet wird«, sagte er und grinste ergeben, »Setzt Euch nur und ruht Euch aus. Ihr hattet eine lange Reise, sagtet Ihr? Woher kommt Ihr denn zu so später Stunde, wenn man fragen darf?«

Daniel begutachtete die spartanisch eingerichtete, aber sauber wirkende Wirtsstube und setzte sich an einen Ecktisch. »Mein Pferd braucht Futter«, sagte er statt einer Antwort.

»Sicher, natürlich«, erwiderte der Wirt und nickte beflissen. »Ich kümmere mich gleich darum. Darf ich Euch zuvor etwas zu trinken bringen? Einen Seidel Bier vielleicht, Herr …?«

»Ihr könnt mich Magnus nennen, aber kümmert Euch zuerst um den Rappen. Wenn Ihr damit fertig seid, trinke ich gerne einen Becher.« Der junge Mann bedachte den Wirt mit einem unmissverständlichen Blick, so dass dieser erneut einen Bückling machte und sich zurückzog.

»Das Pferd«, sagte er, »natürlich, sofort. Ich verstehe.«

Als der Wirt den Schankraum verlassen hatte, versank Daniel wieder in seine Grübelei. Sein Blick verdüsterte sich, wanderte durch das Zimmer und begutachtete alles mit erhöhter Aufmerksamkeit, obwohl sich nichts darin befand, was dieses Interesse gerechtfertigt hätte. Die Stühle und Tische sowie die Theke waren aus schwerem Eichenholz gezimmert, der Boden bestand aus Lehm, und die Wände waren, sah man einmal von den roten Kattunvorhängen an den Fenstern und einigen Kritzeleien, die von den Gästen zu stammen schienen, gänzlich schmucklos. Der junge Mann nahm die Talgkerze vom Tisch und betrachtete die verblassten Kohlezeichnungen und die mit Messern eingeritzten Bildchen genauer. Eine dieser Kritzeleien zeigte einen Mann am Galgen sowie die Unterschrift »Inkubus«.

»Wo man auch hinkommt«, murmelte Daniel, »der Teufel ist schon da.«

»Ich habe Euch Kalbszunge und Schinken zubereitet.«

Der junge Mann fuhr erschrocken herum, griff automatisch mit der rechten Hand nach dem kleinen Dolch, den er an der Seite unter dem Umhang trug, und starrte mit aufgerissenen Augen auf die Frau, die ihm in diesem Moment sein Nachtmahl auf den Tisch stellte.

»Tut mir leid«, sagte sie und lächelte entschuldigend. »Ich wollte Euch nicht erschrecken.«

Daniel ließ den Dolch los, stellte die Kerze, die er immer noch in der linken Hand hielt, auf den Tisch, sagte jedoch kein Wort und betrachtete die Frau mit misstrauischem Blick. Sie war etwa in seinem Alter, vielleicht zwei, drei Jahre älter, ihre langen, dunklen Haare, die vom Schlaf noch ein wenig zerzaust waren und unter ihrer Nachthaube hervorragten, rahmten ein ovales und bleiches Gesicht. Die Nase war spitz und sommersprossig, ihre hellblauen Augen, die nicht zu ihrer Haarfarbe passen wollten, strahlten regelrecht, und auf ihren blassen Lippen lag ein Lächeln, das ein wenig schelmisch und doch nicht kokett wirkte. Es war vor allem dieser seltsam lächelnde Mund, der Daniel irritierte. Mit dem Anblick einer solch hübschen Frau an einem solchen Ort hatte er nicht gerechnet. Doch er ließ sich seine Gedanken nicht anmerken, verharrte regungslos und setzte eine undurchdringliche Maske auf. Er schaute die Frau nur an, nickte schließlich und blieb stumm.

»Wenn Ihr etwas Warmes wollt, müsst Ihr Euch gedulden«, fuhr die junge Frau fort, da der Fremde sie nach wie vor schweigend anstarrte. »Ich könnte Euch einen Brei bringen, aber der Herd ist kalt und ich müsste erst …«

»Nicht nötig, macht Euch keine Umstände«, unterbrach er sie und räusperte sich. »Bemüht Euch nicht. Es ist alles wunderbar so.« Ein ironisches Lächeln legte sich auf seine Lippen, als ihm bewusst wurde, dass er damit nicht nur das Essen gemeint hatte. »Euer Vater hätte Euch nicht wecken sollen«, setzte er hinzu und betrachtete das Essen auf dem Tisch. »Das war überhaupt nicht nötig.«

Die junge Frau betrachtete ihn mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen, der funkelnde Blick des Fremden schien ihr gar nicht zu gefallen, und das spöttische Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. »Franz ist nicht mein Vater«, antwortete sie schließlich und machte einen Schritt zurück, » das heißt, er war … also er ist …«

»Ich bin Henrikes Mann«, mischte sich in diesem Moment die Stimme des Wirtes aus dem Hintergrund ein. Er war aus dem Stall zurückgekehrt, lächelte stolz und ging hinter die Theke, um einen Krug mit Bier zu füllen. Er hatte mittlerweile die Nachtmütze vom Kopf genommen und sich eine blaue Joppe übergezogen, die über seinem Nachthemd reichlich deplaziert wirkte. »Wir haben vor einem halben Jahr geheiratet«, setzte er hinzu und reichte seiner Gattin den Krug, damit sie ihn dem Gast servieren konnte. »Henrike ist mein ganzer Stolz.«

»Dann gratuliere ich«, murmelte Daniel, betrachtete abwechselnd die junge Frau und ihren nicht mehr ganz so jungen Mann, und dann starrte er auf den Tisch. Ihm war heiß geworden, der Schweiß lief ihm in den Nacken, er legte den Umhang beiseite und nahm den Hut ab, den er die ganze Zeit auf dem Kopf getragen hatte.

Als die Frau des Wirtes den Krug auf den Tisch stellte, sah sie das verunstaltete Ohr, und ein Schreckenslaut entfuhr ihr. Sie wich zurück und bedachte den jungen Mann mit einem mitleidigen Blick.

Daniel sah den Blick und das Zurückweichen, und seine Miene verfinsterte sich im selben Augenblick. »Ich hoffe, mein Anblick verursacht Euch keine Alpträume«, sagte er und funkelte die Frau böse an. »Ich vergesse oft, wie abstoßend ich auf Leute wirke, die mich zum ersten Mal sehen.«

»Aber nein, überhaupt nicht!«, rief sie, aber es klang ein wenig gezwungen. »Ich war nur … Es tut mir leid.«

»Warum sollte es Euch wohl leid tun?« Daniel kramte seine Pfeife heraus und stopfte sie geflissentlich, um der Frau nicht in die Augen schauen zu müssen. »Die Narbe stammt gewissermaßen von einer Kriegsverletzung«, setzte er hinzu, und ein böses Lächeln legte sich auf seine Lippen.

»Welcher Krieg soll das gewesen sein?«, mischte sich der Wirt in die Unterhaltung ein. »Ihr seid doch noch ein junger Kerl, und im Jahre 1648 müsst Ihr noch ein Kind gewesen sein.«

»Als wäre das für die Schweden ein Hinderungsgrund gewesen.« Daniel zündete sich die Pfeife an der Kerze an. »Wrangels Leute haben meine Eltern gemeuchelt und mir dieses Andenken verpasst. Damals war ich kaum der Mutterbrust entwachsen.«

»Oh, wie schrecklich«, entfuhr es Henrike Tenfelde, und sie schlug die Hände vor den Mund. »Was für Barbaren!«

»Hier im Ort haben vor allem die Hessen getobt.« Der Wirt gesellte sich zu seiner Frau. »Die waren auch nicht viel besser als die Schweden.«

»Was soll man von diesem protestantischen Pack auch schon erwarten?«, erwiderte Daniel und füllte einen Becher mit Bier. Und mit beinahe pastoralem Ton setzte er hinzu: »Es ist eben eine harte Zeit für rechtschaffene Papisten.«

»Papisten?« Henrikes Blick verdüsterte sich. Sie schaute den jungen Mann skeptisch an und schüttelte leicht den Kopf. »Ist das nicht ein Schimpfwort?«

Daniel merkte, dass er sich verplappert hatte, und senkte abermals seinen Blick. Ihm wurde klar, dass er auf der Hut sein musste.

»Seid Ihr wegen der Kirmes in Ahlbeck?«, fragte Franz Tenfelde.

»Was denn für eine Kirmes?«, gab Daniel sich erstaunt.

»Am Sonntag findet in der Heide ein Schützenfest statt«, sagte Henrike, nun wieder mit ihrem Schelmengrinsen auf den Lippen. »Ein neuer Schützenkönig wird gekürt, und Schausteller und fahrendes Volk aus aller Herren Länder kommen nach Ahlbeck, um ihre Waren feilzuhalten und die Leute zu unterhalten. Da geht es immer hoch her. Es passiert ja sonst nicht viel im Dorf, da ist man froh über jede Abwechslung.«

Der Wirt strafte seine Frau mit einem vorwurfsvollen Blick und erklärte: »Seit dem Krieg gibt es in Ahlbeck eine Schützengilde, und alle vier Jahre zur Kirchweih wird in einem Wettschießen ein neuer König ermittelt.«

»Der Grund für meinen Aufenthalt im Dorf ist nicht ganz so profaner Natur«, erwiderte Daniel und hob missfällig die Augenbrauen. »Ich bin Scholar der theologischen Fakultät zu Paderborn und reise im Auftrag des Fürstbischofs durch das Münsterland, um die Sprengel und Kirchen zu inspizieren. Nach Volksbelustigungen und Jahrmärkten steht mir nicht unbedingt der Sinn.«

»Der Bischof von Galen?« Der Wirt wich einen Schritt zurück, machte einen Bückling und wisperte: »Hat er Euch geschickt?«

»Ihr kennt Bischof Bernhard?«

»Ihm gehört beinahe die Hälfte des Landes in Ahlbeck«, antwortete der Wirt, »und außerdem die Kolkmühle im Venn. Meine Familie ist ihm seit jeher sehr verbunden.« Er lächelte unsicher, räusperte sich und setzte hinzu: »Seid Ihr hergekommen, um bei uns nach dem Rechten zu schauen?«

»Mich interessieren weder die Mühlen noch die Ländereien«, antwortete Daniel, »sondern die Gotteshäuser.«

»Wie ist Euer Name?«, fragte Henrike und kam einen Schritt näher, um dem Fremden besser ins Gesicht schauen zu können.

»Daniel«, rutschte es ihm unbedacht heraus.

»Sagtet Ihr nicht, Euer Name sei Magnus?«, fragte der Wirt.

»Magnus ist mein Ordensname«, erwiderte Daniel, schaute dabei aber die Frau des Wirtes an, »Daniel ist mein Geburtsname. Da ich meine Priesterweihe noch nicht erhalten habe, darf ich weiterhin meinen weltlichen Namen führen.«

»Und nun begebt Ihr Euch in die Ahlbecker Löwengrube?« Henrike zog die Stirn kraus und hielt dem starren und bohrenden Blick ihres Gegenübers stand.

»Was meint Ihr damit?«, erwiderte Daniel.

»Wie Euer Namenspatron aus der Bibel«, sagte Henrike, »der Prophet Daniel. Er wurde vom König in die Löwengrube geworfen.«

Daniel starrte sie an und brachte kein Wort über seine Lippen. Das Blut schoss ihm in die Schläfen, und seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Zum Henker mit dir, dachte er. Er hatte von Daniel, dem Drachentöter, gehört und von dem Menetekel an der Wand, aber die Geschichte mit den Löwen war ihm bislang noch nicht zu Ohren gekommen.

»Was soll denn dieses neunmalkluge Gerede?«, fuhr der Wirt seine Frau an. »Siehst du nicht, dass der werte Herr völlig ermattet ist? Er ist ganz bleich im Gesicht. Ihr habt ja noch gar nichts von dem Essen angerührt, Herr Magnus«, wandte er sich an den jungen Mann. »Schmeckt es Euch nicht? Soll Henrike etwas anderes bringen? Einen Brei vielleicht? Ihr müsst meine Frau entschuldigen, sie ist manchmal ein wenig naseweis, wie ein junges Füllen, aber das werde ich ihr schon noch austreiben. Sie ist genau wie ihre Mutter. Man muss sie hart an die Kandare nehmen, ich habe meine Erfahrungen mit den Frauenzimmern. Henrike ist meine dritte Gattin, müsst Ihr wissen, ich kenne mich mit den Weibsbildern aus.«

Henrike zuckte verächtlich mit den Schultern und fuhr fort, den jungen Mann zu mustern. Auch wenn sie ihren Mund hielt, so schien sie durch die Worte ihres Mannes nicht unbedingt eingeschüchtert, vor allem da Franz Tenfelde sie bei seinen tadelnden Worten wie ein verliebter Jüngling angeschaut und nicht den Eindruck gemacht hatte, er könne wirklich auf sie böse sein.

»Wärt Ihr wohl so freundlich, mir das Zimmer zu zeigen?«, sagte Daniel, klopfte seine Pfeife aus und stand auf, ohne die Wirtsleute anzuschauen. »Ich bin möchte morgen zeitig aufstehen, um dem Pfarrer einen Besuch abzustatten. Wie war doch gleich sein Name?«

»Pastor Hellmann«, erwiderte der Wirt und führte den jungen Mann in den hinteren Teil des Hauses. »Aber an dem Mann werdet Ihr nicht viel Freude haben, er ist …« Er nahm die Hand zum Mund und machte eine Kippbewegung. »Ihr versteht, was ich meine.«

»Franz!«, empörte sich seine Frau.

»Ist doch wahr«, erwiderte der Wirt.

Daniel nickte und folgte Tenfelde ins Obergeschoss.

Zweites Kapitel – Handelt von einer wundersamen Auferstehung

Als Daniel dem dicken Roloff am Abend gesagt hatte, die Wahrheit über seine Herkunft mache ihm nichts aus und die Geschichte mit den Schweden habe er ohnehin nie geglaubt, so war dies eine schlichte Lüge gewesen. Wieso hätte er dem alten Gauner misstrauen sollen? Die Geschichte von Wrangels Mannen, die seine armen Eltern in der Nähe von Leipzig ermordet und den Säugling niedergeschlagen und achtlos liegengelassen hatten, hatte in Daniels Ohren nie unglaubwürdig geklungen. Roloff hatte ihm dieses Märchen erzählt, als der Junge etwa sechs Jahre alt gewesen war und er angefangen hatte, sich Gedanken über sein Aussehen zu machen, das sich so auffällig von dem seiner Geschwister unterschied.

Roloffs Frau Tabitha war eine Rom-Zigeunerin, die er vor vielen Jahren gegen den Willen ihrer Sippe geheiratet hatte. Weil sie keinen der Ihren zum Mann genommen und sich dem Befehl des Vaters widersetzt hatte, war sie aus dem Stamm ausgestoßen worden, sie war eine pali tschidu, wie dies bei den Zigeunern hieß. Sie hatte den Quacksalber und Hochstapler Roloff Wagenknecht auf einem Volksfest kennengelernt und war, als ihr Vater eine Verbindung mit ihm untersagt hatte, Hals über Kopf mit ihm geflohen. Seitdem zogen sie als fahrende Leute mit ihrem Wagen durchs Land und verdingten sich als Schausteller. Tabitha sagte den Jahrmarktsbesuchern die Zukunft voraus und deutete ihre Träume, während Roloff den wundergläubigen Leuten seine Pillen und Tinkturen andrehte oder sie auf andere Weise über den Tisch zog. Sie zeugten eine ganze Handvoll Kinder, die allesamt die dunkelbraunen Augen und pechschwarzen Haare der Mutter erbten. Und mitten unter diesen dunkelhäutigen Halbzigeunern lebte ein hässliches Entlein mit fuchsroten Haaren, hellblauen Augen und schneeweißer Haut, die so empfindlich war, dass sie stets vor der Sonne geschützt werden musste.

Roloff hatte dem Jungen vom Großen Krieg erzählt, vom Rauben und Morden der Soldaten und Banditen und dass es vielen Leuten so ergangen sei wie Daniels Eltern. Er habe ihn als Säugling gefunden, an Sohnes Statt angenommen und ihm den Namen Daniel gegeben, weil das ein anständiger biblischer Name sei. Aber dennoch sei der Junge einer von ihnen, hatte Roloff hinzugefügt, er sei ein atsinganoi, ein Unberührbarer, und das müsse ihm reichen oder er solle sich zum Teufel scheren. Obwohl Roloff selbst als gebürtiger Rheinländer ein Katholik reinsten Wassers war und seine kleine Familie sich als Ausgestoßene keiner Rom-Sippe anschließen durfte, schien der alte Gauner sich dennoch für einen Zigeuner zu halten und nach deren Sitten und Regeln zu leben.

Daniel gefiel der Gedanke, ein Unberührbarer zu sein, und er machte sich die Sichtweise seines Adoptivvaters zu eigen. Er war kein Zigeuner, sprach aber fließend ihre Sprache, die romany tschib, und war stolz auf das Leben, das er führte, auch wenn sie in einigen Landstrichen als vogelfrei galten und mehr als einmal mit Knüppeln und Steinen aus den Dörfern und Städten gejagt worden waren. So lange er denken konnte, zog er nun schon mit Roloffs Familie von Kirmes zu Kirmes und Jahrmarkt zu Jahrmarkt, um den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen und ihre Eitelkeit, ihren Aberglauben und vor allem ihre Dummheit auszunutzen. Dabei blieben sie immer für sich, schlossen sich keiner Sippe oder Bande an, sondern achteten darauf, unabhängig zu sein. Daniel lernte von Tabitha das Jonglieren und Musizieren auf der lawota, einer Art Fidel. Er wurde von Roloff in diversen Gaunerhandwerken wie dem Falschmünzen und dem Quacksalben unterrichtet, verstand die Zinken- und Gebärdensprache und lernte, eine flinke Klinge zu führen.

Die Begegnung mit einem trinkfesten Bettelmönch wurde für Daniel im Alter von zwölf Jahren zu einem Wendepunkt in seinem Leben. Im Tausch gegen einen Krug Wein erhielt der Junge von dem Kleriker eine Fibel und brachte sich in den folgenden Monaten selbst das Lesen und Schreiben bei. Fortan wurde er vom geschriebenen Wort wie von einem Magneten angezogen. Bücher waren selten und teuer, und so las er Flugblätter, Pamphlete, sogar religiöse Predigten und Steckbriefe. Was immer ihm an Gedrucktem in die Hände kam, er verschlang es gierig wie ein Hungernder einen Laib Brot.

Als er vierzehn war, entwendete er einem fahrenden Scholaren, der schlafend am Wegesrand lag, ein abgegriffenes und in Leder gebundenes Quartbüchlein mit dem Titel »Das Narrenschiff«. Es handelte von allerlei Lastern, Verbrechen und Torheiten, die in satirischen Versen angeprangert und durch anschauliche Holzschnitte bebildert waren, und wurde für den Heranwachsenden zu einer Art Bibel, in der er beinahe täglich blätterte. Was vom Autor als moralische Anklage gedacht sein mochte und zu christlicher Läuterung führen sollte, wurde für Daniel zu einem Lehrbuch im Gaunerhandwerk, dem er beinahe ebensoviel verdankte wie der praktischen Ausbildung durch seine Adoptiveltern.

»Der Junge ist eine wahre Goldgrube«, sagte Roloff oftmals. »Wir werden noch viel Freunde an ihm haben, wenn wir ihn richtig zu nehmen wissen und ihn an der langen Leine lassen. Weiß der Henker, was in seinem Kopf vorgeht, aber ich möchte diesen bleichen Knaben nicht zum Feind haben.«

Was der alte Gauner vor allem an seinem Ziehkind schätzte, war dessen Geschicklichkeit als poschotjari, als Taschendieb. Bereits als junger Bursche schaffte Daniel es, die Leute durch wilde Räuberpistolen derart in seinen Bann zu ziehen, dass es ihm ein leichtes war, ihnen nebenbei die Taschen zu leeren. Er trieb sich in Schenken herum, mischte sich in die Gespräche der Männer ein, erzählte abenteuerliche Geschichten, die er nicht selten aus seinem Buch entliehen hatte, und war im nächsten Moment mit ihrem Geld verschwunden. Vermutlich war es für ihn von Vorteil, nicht wie ein dahergelaufener Zigeuner auszusehen und sich wie ein gebildeter Mann ausdrücken zu können. Er achtete auf seine Kleidung, vertrieb die Läuse mit Schwefeläther und legte Wert auf Sauberkeit. Mit seiner Wunde am Kopf erregte er bei vielen Menschen entweder Mitleid oder Abscheu, was er beides postwendend in bare Münze umsetzte. Er schüchterte die Leute ein, das wusste er aus Erfahrung, er war ihnen unheimlich und machte ihnen Angst. Daniel konnte das nur recht sein.

Doch wenn er auch anders aussah als seine Geschwister und sich oft eigenbrötlerisch und verstockt verhielt, so war er doch einer von ihnen. Er war ein Außenseiter unter Ausgestoßenen, aber gerade diese Rolle schien ihm zu gefallen. Er war ein Teil der Familie und doch etwas Besonderes. Weder seine drei Brüder Kill, Gero und Juro noch die Schwestern Celestina und Angela sprachen ihn auf seine körperliche Entstellung an, denn was bedeutete aus Zigeunersicht schon ein verstümmeltes Ohr im Vergleich zu den roten Haaren und der weißen Haut? Und wenn seine Geschwister ihn wegen seines bleichen Aussehens hänselten, so machte ihn dies nur umso stolzer und eigensinniger. Er war ein Unberührbarer, das ließ er sich von niemandem nehmen.

Tabitha behandelte den Jungen nicht anders als ihre eigenen Kinder. Sie küsste ihn, wenn sie stolz auf ihn war und er mit gefüllten Taschen nach Hause kam, und sie schlug ihn mit der Rute, wenn er sich wieder einmal allzu störrisch ihren Befehlen widersetzt oder sich tagelang von der Gruppe abgesondert hatte. Das geschah immer wieder; ohne erkennbaren Anlass oder Ankündigung setzte er sich ab, strich allein durch die Wälder und kehrte schließlich zur Familie zurück. Wenn man ihn fragte, wo er gewesen sei, so antwortete er: »Nirgends.«

»Der Junge wird noch ein Sonderling«, beklagte sich Tabitha bei ihrem Mann. »Er ist irgendwie seltsam. Ich habe ihn noch nicht ein einziges Mal herzhaft lachen sehen. Das ist nicht normal.«

»Daniel tickt eben anders als wir«, antwortete Roloff, »aber deswegen tickt er nicht unbedingt falsch. Lass ihn nur machen!«

Roloff ließ dem Jungen alle erdenklichen Freiheiten, weil er glaubte, dass sich dies im Endeffekt besser bezahlt machte und es für sie alle von Vorteil wäre. Und er sollte recht behalten. Als Daniel schließlich vorschlug, man könne die Leute um ein Vielfaches leichter übers Ohr hauen, wenn er, Daniel, sich quasi als Vorhut unter das Volk mische und sich als Baldower betätige, da war Roloff sofort Feuer und Flamme.

»Wenn du meinst, mein Junge«, sagte er.

»Kannst dich drauf verlassen«, antwortete Daniel und lächelte finster. Es schien ihm ein regelrechtes Bedürfnis zu sein, in fremde Rollen zu schlüpfen und falsche Identitäten anzunehmen. Es reichte ihm nicht, die Leute einfach nur zu betrügen oder auszurauben, er wollte sie vor allem an der Nase herumführen, mit ihnen Katz und Maus spielen und sie der Lächerlichkeit preisgeben. Denn danach lechzten sie geradezu, sie wollten ihrer eigenen Dummheit überführt werden. »Die Welt will betrogen sein«, hieß es in seinem Lieblingsbuch, und dieses Motto machte er sich zu eigen.

Während Roloff, als rheinische Frohnatur, am liebsten mit den Leuten lachte, amüsierte sich Daniel vor allem über sie und ging ihnen ansonsten sorgsam aus dem Weg. Es war nicht etwa so, dass er an das Gute im Menschen nicht glaubte, er hatte jedoch bislang meist nur das Banale, das Grausame oder das Idiotische kennengelernt, und er verhielt sich entsprechend. Wenn es einen Gott im Himmel gab, was Daniel oft genug bezweifelte, dann hatte er am sechsten Tag der Schöpfung nicht eben sein Meisterstück vollbracht.

Außer seiner gleichaltrigen Schwester Celestina, mit der er gemeinsam gestillt worden war und die ihn wie einen Zwillingsbruder behandelte, war Roloff die einzige Person, der er vertraute. Der alte und der junge Gauner verstanden einander blind, und deshalb war es für den jungen Mann so verstörend, als er erfuhr, dass die Erzählung vom Grafen von Wrangel und den schwedischen Mördern eine gut gemeinte Lüge gewesen war. Ein blutiges Ammenmärchen, das Roloff dem Heranwachsenden aufgetischt hatte, um ihm die noch schmerzlichere Wahrheit zu ersparen. Zwar hatte Roloff das kleine, rothaarige und schwer verletzte Kind tatsächlich unterwegs aufgelesen, aber dies hatte sich nicht in Sachsen, sondern in Westfalen zugetragen, und zu diesem Zeitpunkt war der Krieg bereits beendet gewesen. Und die Unmenschen, die dem Kleinen den Schädel eingeschlagen hatten, waren keine schwedischen Söldner gewesen.

Daniel hatte dies erst am Abend seiner Ankunft in Ahlbeck und eher zufällig erfahren. Als die beiden Gauner den doppelten und mehr als mannshohen Grenzwall durch eine Pforte passiert hatten und an der Wassermühle vorbeigeritten waren, von der Daniel mittlerweile wusste, dass sie Kolkmühle hieß und zum fürstbischöflichen Besitz gehörte, da war dem dicken Roloff eine seltsame Bemerkung herausgerutscht.

»Ganz in der Nähe muss es gewesen sein«, hatte er gemurmelt und die Stirn kraus gezogen. »Ich erinnere mich noch an die Mühle und den Grenzwall.«

»Was war ganz in der Nähe?«, fragte Daniel.

»Hier haben wir dich gefunden«, erwiderte Roloff und merkte erst in diesem Moment, was ihm über die Lippen gekommen war.

»Was redest du denn da?«, wunderte sich Daniel. »Ich dachte …«

»Grundgütiger!«, unterbrach ihn sein Begleiter und deutete auf die andere Seite des Weges, wo auf einem Hügel ein Galgengerüst zu sehen war, an dem der Leichnam eines Hingerichteten baumelte. Eine Krähe saß auf seiner Schulter und hackte an seinem Kopf herum. »Der arme Kerl«, entfuhr es Roloff. »Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen.«

Doch Daniel kümmerte sich nicht um den Mann am Galgen, er starrte Roloff mit seinem durchdringenden Blick an und sagte: »Jetzt rück schon damit heraus und lenk nicht vom Thema ab! Was wolltest du vorhin sagen?«

»Ach, was soll’s?!«, zischte Roloff. »Warum sollst du es nicht wissen? Du bist schließlich alt genug, um die Wahrheit zu erfahren.«

»Wovon redest du?«

»Von deiner Auferstehung«, erwiderte der alte Gauner und erzählte, was sich vor nunmehr achtzehn Jahren zugetragen hatte.

Es war eine kalte und stürmische Nacht im Januar, das neue Jahr 1650 war erst wenige Tage alt, und Roloff und Tabitha waren mit ihren zwei kleinen Kindern auf dem Weg zum Dreikönigsfest im niederländischen Deventer. Sie hatten vor kurzem das Bauerndorf Ahlbeck passiert und schlugen ihr Lager etwa eine Meile westlich des Ortes in einem Bruchwald auf, wo sie vor dem eisigen Wind und dem Regen geschützt waren. In der Ferne konnte man das Klappern einer Wassermühle und das Gekläffe eines Hofhundes hören. Sie rückten in ihrem Wagen dicht zusammen, um sich zu wärmen, und schliefen bald ein.

Das Knacken eines Astes ließ Roloff plötzlich aus dem Schlaf auffahren. Er griff nach seinem Degen, schaute aus dem Wagen und horchte in die Nacht hinaus. Er glaubte, leise Stimmen zu hören, und befahl seiner Frau, sich nicht zu rühren und still zu bleiben. Dann zog er einen Rock über und schlich sich mit dem Degen in der Hand hinaus. Wieder horchte er, und erneut hörte er die Stimmen von Männern sowie ein kratzendes oder schabendes Geräusch, das er nicht einordnen konnte.

Der Mond schaute zwischen Wolken hervor, und so war es Roloff möglich, sich trotz der Dunkelheit im Wald zurechtzufinden. Vorsichtig und ohne dabei das leiseste Geräusch zu verursachen, kroch er durch das vor Nässe dampfende Unterholz und näherte sich dem Ort, von dem die Stimmen kamen. Auf einer kleinen Lichtung, die von einem verrosteten Eisenzaun umgeben war, stand eine Art Gedenkstein mit aufgesetztem Kreuz, und dahinter sah Roloff die Schattenrisse dreier Männer, die gebückt standen und sich unterhielten. Das kratzende Geräusch, das er gehört hatte, stammte von einem Spaten, mit dem einer der Männer ein Loch grub. Roloff kroch durch eine Lücke des Zauns und bis hinter das Kreuz, wo er sich duckte und lauschte.

»Das ist tief genug«, hörte er einen der Männer mit hoher Fistelstimme sagen. »Bei dem Gewimmel von Viechern wird ohnehin bald nichts mehr von ihm übrig sein.«

»Bist du sicher, dass das ein guter Ort ist?«, fragte ein zweiter, der etwas kleiner und dicker war als die anderen.

»Natürlich. Kein Mensch kommt je hierher, und der verdammte Bastard kann in Frieden ruhen.«

»Warum binden wir ihn nicht einfach an einen Stein und werfen ihn in den Kolk?«, fragte der Dicke.

»Damit er dann nach einiger Zeit wieder auftaucht und wir alle verflucht sind?«, gab der erste zur Antwort. »Kommt gar nicht in Frage. Rein mit ihm und dann nichts wie weg.«

»Ist es nicht gotteslästerlich, ihn ausgerechnet an dieser Stelle zu begraben?« fragte eine dritte, sehr tiefe Stimme. Sie war rau und dunkel wie die eines Bären. »Immerhin ist das hier so was Ähnliches wie ein Friedhof.«

»Darum geht es doch, du Schwachkopf«, erwiderte der Mann mit der Fistelstimme, der das Sagen zu haben schien. »So liegt das Wechselbalg wenigstens in gesegneter Erde. Glaubst du, ich habe Lust, dass der Satansbraten uns als Geist heimsucht?«

»Ich finde das nicht recht«, antwortete der mit der tiefen Stimme, und er klang trotzig wie ein kleines Kind. Eine kleine Pause entstand, und dann fragte er: »Was ist eigentlich ein Wechselbalg?«

»Das hat dich nicht zu kümmern, Blödmann!«, fuhr ihn der Anführer an. »Du sollst graben und nicht fragen!« Und zu dem Dicken gewandt, setzte er hinzu: »Ich habe dir doch gesagt, wir hätten ihn zu seinem Bruder in die ›Linde‹ schicken sollen.«

»Jetzt lass ihn endlich in Ruhe«, gab der andere zur Antwort. »Wer ist denn überhaupt auf diese blöde Idee gekommen?«

»Das musst du gerade sagen«, schnauzte der Anführer zurück.

Eine Weile konnte Roloff keine Stimmen mehr hören, statt dessen wurde geschaufelt und das Erdreich festgeklopft, und schließlich sagte der Mann mit der tiefen Stimme: »Fertig!«

»Dann lass uns schleunigst verschwinden!«, erwiderte der Dicke.

»Einen Moment«, antwortete der andere und murmelte ein lateinisches Gebet, das von dem Mann mit der Fistelstimme mit höhnischem Gelächter quittiert wurde.

»Amen«, beendete der Mann mit der Bärenstimme sein Gebet.

»Amen«, echote der Dicke.

»Pah!«, fauchte der Anführer.

Roloff hörte, wie die drei ihre Sachen zusammenpackten und gen Westen, Richtung Ahlbeck, verschwanden. Er wartete noch einige Minuten, um sicherzugehen, dass sie nicht zurückkehrten, und trat dann auf die Lichtung. Bei dem Stein, hinter dem er sich versteckt hatte, handelte es sich um ein Grabmal, das bereits verwittert und vom Gestrüpp überwuchert war. Die Inschrift war nur teilweise noch zu entziffern:

»Anno Dom. 1605 … die flechtende Pestilenz …

unseren Sohn Daniel … requiescat in pace.«

Rings um das steinerne Grabmal ragten weitere hölzerne und schmucklose Kreuze aus dem Boden, die aber völlig morsch und von Dornengestrüpp überwuchert waren.

Roloff bekreuzigte sich, ging zu der Stelle, an der die drei Männer gestanden hatten, und schaufelte mit den Händen die aufgeworfene Erde beiseite. In etwa zwei Ellen Tiefe stieß er auf einen weichen Gegenstand aus Stoff. Er grub weiter und legte einen groben Leinensack frei, in dem er die leblose Gestalt eines kleinen, nur wenige Monate alten Säuglings fand. Es war ein Junge, und die rechte Seite seines Kopfes war eingeschlagen, das Ohr und der Hinterkopf waren eine einzige blutige Masse. Roloff schüttelte angewidert den Kopf. Als er das Gespräch der Männer belauscht hatte, war ihm bereits klar gewesen, dass es sich bei dem Gegenstand, den sie vergruben, nicht um einen Schatz, sondern um ein Lebewesen handeln musste, doch als er jetzt das winzige, noch kahlköpfige Kind erblickte, dieses bleiche Gesicht, das im Mondlicht regelrecht weiß erschien, da überkam ihn eine ohnmächtige Wut. Wer schlug in drei Teufels Namen ein kleines Kind tot und verscharrte es irgendwo im Wald? Und aus welchem Grund? Was hatte der Säugling verbrochen, dass man ihn einen verdammten Bastard und Satansbraten nannte und ihn wie einen räudigen Köter beiseite schaffte?

Roloff starrte den Jungen lange an, dann riss er sich zusammen und zuckte mit den Schultern. Was kümmerten ihn die Leichen anderer Leute? Und was sollte er schon unternehmen? Eher würde er tot umfallen, als sich mit Amtmännern und Polizeibütteln herumzuschlagen. Den kleinen Jungen würde es ohnehin nicht wieder lebendig machen. Er fasste ihn an den Füßen und bugsierte ihn zurück in den Sack, um ihn wieder ins Loch zu legen. Doch in dem Moment, da er die erste Handvoll Erde auf den Leichnam warf, hörte er ein leises Stöhnen. Es war ein kaum zu vernehmendes Geräusch, das auch vom Wind in den Bäumen hätte herrühren können, doch Roloff fuhr zusammen und holte den Jungen ein zweites Mal aus seinem Grab. Er horchte an der Brust des Kindes und tatsächlich, das Herz schlug flach, aber vernehmbar, und als er seinen Degen unter die Nase des Jungen hielt, sah er, dass der vermeintlich Tote noch atmete. Nun bekam Roloff es mit der Angst zu tun, und einen Moment lang war er völlig verwirrt. Er wollte Reißaus nehmen und konnte sich doch nicht von der Stelle rühren. Und wie immer, wenn er nicht weiterwusste, beschloss er, seine Frau um Rat zu fragen.

»Tabitha wird entscheiden, was zu machen ist«, murmelte er, wickelte das halbtote Kind in seinen Rock und füllte das Loch mit Erde, so dass niemand Verdacht schöpfen konnte. Er nahm den Kleinen auf den Arm und wollte zu seinem Wagen zurückkehren, als sein Blick auf das Grabmal des an der Pest gestorbenen Jungen fiel.

»Solltest du diese Nacht überleben«, flüsterte er dem Kind ins verstümmelte Ohr, »dann will ich dich Daniel nennen, denn der heilige Daniel scheint dir ein guter Schutzpatron gewesen zu sein.« Wieder bekreuzigte er sich und schlich zurück zu seiner Familie.

»Du hast diese Nacht überlebt, auch wenn ich bis heute nicht weiß, welcher Schutzengel dir beigestanden hat«, sagte Roloff, als sie das Moor hinter sich gelassen hatten und in der Ferne den Treppengiebel der Ahlbecker Kirche sahen. »Tabithas Kräuter und Zaubersprüche scheinen dich gerettet zu haben. Manchmal fange ich selbst an, ihren Hokuspokus für bare Münze zu nehmen.« Er lachte und setzte hinzu: »Sei froh, dass sie mich nicht mit meinen Tinkturen an dich rangelassen hat, dann wärst du jetzt längst wieder unter der Erde.«

»Warum habt ihr mich behalten?«, fragte der junge Mann, der den Bericht seines väterlichen Freundes mit stoischer Miene verfolgt hatte und nicht auf dessen scherzhaften Ton einging.

»Um ehrlich zu sein«, antwortete Roloff und räusperte sich verlegen, »ich wollte dich in irgendeinem Kloster oder Armenhaus abgeben, weil ich dachte, dass du uns nur Scherereien bringst. Aber Tabitha hat getobt und mich einen Unmenschen genannt. Celestina war damals gerade geboren. Tabitha meinte, es sei genug Milch für euch beide da, schließlich habe sie nicht umsonst zwei Brüste. Wir seien jetzt für dich verantwortlich, hat sie geschimpft, der große Gott habe es so gewollt und damit basta! Immer wieder ist sie mir mit ihrem baro dewel gekommen und dass wir uns versündigen würden. Und da habe ich schließlich klein beigegeben.«

»Warum habt ihr mir nicht gleich die Wahrheit gesagt?«, wunderte sich Daniel. »Warum hast du mir diesen Bären aufgebunden?«

»Wir brauchten eine Version, die wir allen Leuten auf die Nase binden konnten«, antwortete der alte Gauner. »Schließlich hat jeder auf Anhieb gesehen, dass du nicht unser Kind warst. Die Wahrheit klang viel zu abstrus und abenteuerlich, und damit sie uns nicht wegen Kindesraub an den Galgen bringen, haben wir uns die Geschichte mit dem Grafen Wrangel ausgedacht. Die klang glaubwürdig, und auf diese Weise kamen wir nicht mit den verschiedenen Versionen durcheinander. Ich habe am Ende beinahe selbst geglaubt, dass wir dich den Schweden abgeluchst haben. Seit jener Nacht im Winter war ich nicht mehr in diesem Landstrich, und eben erst, als wir an der Mühle vorbeikamen, ist mir alles wieder eingefallen.«

»Wenigstens mir hättet ihr die Wahrheit sagen können.«

»Was hätte es dir gebracht?«, erwiderte Roloff und schüttelte den Kopf. »Es hätte dich nur verwirrt und dir irgendwelche Flausen in den Kopf gesetzt. Mit deinen toten Eltern hast du sehr gut leben können, besser jedenfalls als …«

»Besser als mit der Wahrheit?«

»Nun ja«, druckste der Alte herum. Er hob die Augenbrauen und bedachte seinen jungen Begleiter mit einem herausfordernden und zugleich mitleidigen Blick. »Das dachten wir zumindest.«

»Hast du die Gesichter der Männer gesehen?«

Roloff schüttelte den Kopf.

»Wie alt waren sie?«

»Junge Leute«, antwortete Roloff, »kaum älter als du jetzt.«

»Was glaubst du, was dahinter steckt?«, fragte Daniel. »Waren es Räuber, die meine Familie überfallen und mich entführt haben?«

»Warum sollten sich Räuber die Mühe machen, ein Kind im Wald zu vergraben?«, entgegnete Roloff kopfschüttelnd. »Sie würden es einfach am Wegesrand liegen lassen. Nein, die Männer haben von dir gesprochen, als hätten sie dich gekannt. Außerdem klangen sie nicht wie Banditen, sondern wie gadschos aus der Umgebung.«

»Bauern«, wiederholte Daniel und nickte nachdenklich. Ein Dummkopf mit Bärenstimme, ein kleiner Dicker und ein Anführer mit Fistelstimme. Ein verächtliches Grinsen legte sich auf Daniels Lippen, doch plötzlich verfinsterte sich seine Miene, denn ein neuer Gedanke schoss durch seinen Kopf. War es nicht denkbar, ja sogar wahrscheinlich, dass einer dieser drei Männer sein Vater war? Gadschos aus der Umgebung.

»Der Teufel soll euch holen!«, zischte er trotzig.

Drittes Kapitel – Stellt zwei eifrige Geistliche vor

Das Pastorat, das sich auf der gegenüberliegenden Seite des Kirchplatzes, gleich neben dem Friedhof befand, war ein zweistöckiges Gebäude aus rotem Backstein, in dessen Gemäuer über der Tür und in den Giebeln weiße Kreuze eingelassen waren. Aus seinem Dachfirst ragte ein kleines Türmchen mit schießschartenähnlichen Öffnungen heraus, auf dem ebenfalls ein eisernes Kreuz angebracht war. Das Haus stand auf einer kleinen Anhöhe und war, wie der Friedhof nebenan, von einer mannshohen Mauer eingefasst. Nur zwei Durchgänge gab es in dieser Mauer, der eine führte auf den Dorfplatz, der andere zum Friedhof und damit zur Kirche. Es war noch recht früh am Morgen, aber die Hitze war bereits unerträglich. Im Ort war es völlig ruhig, nur aus der Schmiede klang ein metallisches Hämmern zu Daniel herüber, der die Stufen zum Haus des Pfarrers hinaufstieg. Von Henrike Tenfelde hatte er erfahren, dass die Morgenmesse bereits gelesen sei und er den Pfarrer sicherlich zu Hause antreffen würde. Pastor Hellmann sei ein etwas eigenwilliger Mann und verlasse das Pastorat nur äußerst selten. Dabei hatte sie ein wenig die Augen verdreht und einen roten Kopf bekommen.

»Wer verkehrt sonst noch dort?«, erkundigte sich Daniel.

»Nur der junge Kaplan Wissing«, antwortete die Wirtsfrau, »und Frau Ibing, die Frau des Schmieds. Sie ist so was wie die gute Seele der Gemeinde und kümmert sich um den Haushalt der Geistlichen.«

Daniel stand nun vor der Tür und hielt bereits seinen Stock in der Hand, um damit ans Holz zu klopfen, als er plötzlich seltsame Geräusche vernahm, die aus dem Garten neben dem Haus zu kommen schienen. Es klang wie ein Keuchen oder schweres Atmen, und er hörte unterdrücktes Lachen. Daniel schaute sich um, doch weit und breit war niemand zu sehen. Er ließ die Hand sinken und ging ums Haus, um herauszufinden, woher dieses Geräusch kommen und was es bedeuten mochte. Er lugte um die Ecke, aber auch hier war niemand zu sehen, ein gepflasterter Weg führte zur Kirche, aber sowohl der Gemüsegarten als auch der Friedhof waren verwaist. Allerdings stand auf dieser Seite des Hauses ein Fenster offen, und Daniel erkannte, dass die Geräusche aus dem Inneren des Pastorats kamen.

»Du bist ein Ferkel, Röttger«, hörte er eine Frau sagen, und im nächsten Moment lachte sie schrill auf. »Nicht doch, das kitzelt!«, rief sie und kreischte vor Vergnügen. »Dein Bart piekst.«

Daniel schlich sich zum Fenster, schaute vorsichtig hinein und erblickte eine Art Arbeitszimmer. Bücherregale standen an den Wänden, und ein großer Schreibtisch mit einem Kruzifix darauf beherrschte den vorderen Teil des Zimmers. Hinter dem Tisch stand ein gepolsterter Ohrensessel, auf dem eine junge, wohlbeleibte Frau mit dichtem blonden Haar saß. Sie trug nur ihr Unterkleid, aus dem die üppigen Brüste herausragten, und hatte ihre pummeligen Beine in die Luft gestreckt. Vor dem Sessel und damit unter dem Schreibtisch kauerte ein dunkelhaariger Mann auf dem Boden und hatte seinen Kopf zwischen den Schenkeln der Frau vergraben.

»O Gott!«, rief diese und strampelte mit den Beinen.

»Der hat damit nichts zu tun«, sagte der Mann kichernd und kroch unter dem Tisch hervor. Er trug eine schwarze Soutane, an deren Vorderseite er nun herumnestelte, und setzte sich schließlich mit dem Rücken zum Fenster auf den Schreibtisch.

»Hallelujah! Was sehe ich denn da?« Die Blonde grinste schelmisch und vergrub nun ihrerseits den Kopf in seiner Lendengegend.

Der junge Mann winselte vor Erregung, während er sich mit der einen Hand genießerisch über den Schnurrbart strich und mit der anderen das Kruzifix ergriff.

»Gibt es in meinem Arbeitszimmer irgendetwas Interessantes zu sehen?«, hörte Daniel plötzlich eine Stimme hinter sich. »Oder betrachtet Ihr nur die Stiefmütterchen vor dem Fenster?«

Daniel sprang auf, drehte sich um und sah einen etwa fünfzig Jahre alten Mann vor sich stehen. Er trug ebenfalls einen schwarzen Priesterrock mit hohem weißen Kragen und einen altmodischen spanischen Hut mit schmaler Krempe, wie man ihn zu Zeiten des Krieges getragen hatte. Sein Gesicht war von einer ungesunden, gelblichen Farbe, und die Zähne in seinem Mund, die er bei einem abfälligen Grinsen präsentierte, waren faulig und braun. In den Händen hielt der Mann eine Bibel sowie eine mit Bastgeflecht umwickelte Weinflasche. Dem Kreuz auf dem Etikett nach zu urteilen, handelte es sich um Messwein.

»Ich bin auf der Suche nach dem Pastor«, sagte Daniel und lüpfte seinen Schlapphut. »Mein Name ist Magnus, Student der theologischen Fakultät. Ich komme im Auftrag des Bischofs und würde gern einen Blick in die Kirchenbücher werfen.«

Der Priester starrte auf die Wunde an Daniels Kopf und fragte: »Und warum schleicht Ihr dann wie ein Dieb ums Haus herum?«

»Ich habe an der Tür geklopft, aber mir wurde nicht geöffnet«, erwiderte Daniel und senkte den Kopf. »Euer Kaplan scheint zu beschäftigt zu sein, um morgendliche Besucher einzulassen.«

»Das mag wohl sein«, sagte der Pastor und gegen seinen Willen huschte ihm ein Lächeln über die Lippen. Dann wurde er wieder ernst, und mit lauter Stimme, so dass man ihn auch im Inneren des Hauses hören konnte, setzte er hinzu: »Kaplan Wissing ist ein eifriger Mann und stets bemüht, das Wort Gottes unter das Volk zu bringen. Und das Volk scheint ihn dafür zu lieben.«

Die beiden Männer schauten sich eine Weile lauernd an und sprachen kein Wort, dann lachte der Pastor und klopfte Daniel auf die Schulter. »Ich bin Pastor Hellmann, willkommen in Ahlbeck. Lasst uns hineingehen, dort spricht es sich besser.« Er hakte sich bei dem jungen Mann unter und setzte hinzu: »Ich hoffe, Ihr lasst Euch von mir auf ein Glas Wein einladen.« Er deutete auf die Flasche in seiner Hand. »Ihr trinkt doch ein Tröpfchen? Es ist guter Pfälzer Wein.«

»Eigentlich ist es noch ein wenig früh …«

»Unsinn! Dafür ist es nie zu früh«, unterbrach ihn der Priester. »Wusstet Ihr, dass es noch vor gar nicht so langer Zeit nur dem Klerus erlaubt war, Wein zu trinken? Immerhin handelt es sich um das Blut Christi. Wir sollten also acht geben, dass nicht zuviel davon in den Rachen des Pöbels gelangt.«

Als Pastor Hellmann sich dem jungen Mann zuwandte und ihm ein Lachen entgegenschmetterte, konnte Daniel riechen, dass der Priester schon eine geraume Menge vom Blut des Herrn zu sich genommen hatte. Aus seinem Mund schlug ihm ein widerlicher Gestank nach Fäulnis und Alkohol entgegen.

»Ein Glas wird mir sicherlich nicht schaden«, sagte Daniel und wandte den Kopf ab.

»So ist es recht«, entgegnete Hellmann und klopfte dem anderen erfreut auf die Schulter. »Es tut so gut, endlich mal einen gelehrten Herrn im Ort zu haben, mit dem man sich auf gesittete Weise unterhalten kann. Ihr seid also Student? Was lehrt man denn heutzutage an den Universitäten?«

In dem Moment, als die beiden Männer an der Vordertür anlangten, wurde diese von innen aufgerissen, und die blonde Frau stand im Türrahmen. Ihre Haare hatte sie notdürftig unter einer Haube verstaut, ihr Gesicht wirkte erhitzt, und über dem Unterkleid trug sie nun eine einfache Tracht aus Leinen, dessen Brusttuch verrutscht war. Ihr üppiger Busen kam auf diese Weise erst recht zur Geltung.

»Guten Morgen, Gisela«, sagte Hellmann, »wie ich höre, hast du mein Arbeitszimmer in Ordnung gebracht und ein wenig gelüftet. Braves Mädchen.«

»Wie?«, sagte sie und lächelte dümmlich. »Ach so, ja.« Damit zwängte sie sich an den beiden vorbei und stieß Daniel beinahe um.

»Ich habe Gisela Eure Büchersammlung gezeigt«, ließ sich in diesem Augenblick eine männliche Stimme aus dem Hintergrund vernehmen. »Sie war so wissbegierig, und da habe ich ihr den Gefallen getan.« Der junge Mann in der Soutane erschien im Flur, verbeugte sich vor dem Gast und nickte dem Pfarrer zu. Er war ein auffallend hübscher Kerl mit rosigem Gesicht und fast weiblichen Zügen. Er knöpfte sich gerade die letzten Knöpfe seines Rockes zu und setzte hinzu: »Ich hoffe, das war Euch recht, Herr Pastor.«

»Es wäre mir sehr viel lieber, wenn du deine Lesestunden bei geschlossenem Fenster abhalten würdest. Es nicht nötig, dass das ganze Dorf erfährt, welche Fortschritte Gisela in der Bibelkunde macht.« Hellmann schüttelte ärgerlich den Kopf und fragte dann: »Röttger, wärst du wohl so freundlich, die Kirchenregister aus der Sakristei zu holen? Der Herr Scholar besucht uns im Auftrag des Bischofs.«

Der Kaplan nickte und verschwand eiligst.

»Die Jugend«, sagte der Pfarrer, lächelte nachsichtig und wies seinem Besucher den Weg in sein Arbeitszimmer. »Setzt Euch in den Sessel«, sagte er, als er die Tür hinter sich geschlossen und hinter dem Schreibtisch Platz genommen hatte. »Er ist frisch gepolstert.«

»Danke vielmals«, antwortete Daniel, beäugte missfällig den Ohrensessel und lächelte verlegen. »Aber ich bevorzuge es, härter zu sitzen.« Er nahm einen Holzstuhl, der in der Ecke des Raumes stand, und stellte ihn vor den Tisch. Sein Blick glitt durch das Arbeitszimmer, dessen Wände mit Regalen zugestellt waren. Hunderte von Büchern, Folianten und Manuskripten stapelten sich darin. Daniel betrachtete diese Schätze mit offensichtlicher Verwunderung und ebensolcher Anerkennung.

»Was Ihr hier seht«, sagte der Pfarrer, lächelte stolz und öffnete die Weinflasche, »ist das Resultat jahrzehntelangen Sammelns.«

Daniel war an eines der Regale herangetreten und beäugte andächtig den Inhalt. Er zog eines der Bücher heraus, las den Titel und fragte verwundert: »Ihr lest Renatus Cartesius?«

»Kennt Ihr ihn?«, antwortete Hellmann, dessen Miene sich schlagartig erhellte.

»Cogito ergo sum«, antwortete Daniel und nickte. »Ich habe allerdings bisher nur Auszüge seiner Werke zu Gesicht bekommen.«

Das entsprach natürlich nicht ganz der Wahrheit, sein gesamtes Wissen über den französischen Philosophen bestand in dem einen lateinischen Satz. Auf seinen Reisen hatte Daniel einige sehr gebildete, aber ebenso heruntergekommene Vaganten kennengelernt, mit denen er sich über Religion, Philosophie und die anderen Wissenschaften unterhalten hatte. Er hatte sich zu jedem Denker einen Kernsatz oder einen Buchtitel gemerkt, konnte auch die Bibel zitieren und war so in der Lage, ein Wissen vorzutäuschen, für das er ein Leben lang hätte studieren müssen.

»An der theologischen Fakultät gehört Cartesius nicht gerade zur Pflichtlektüre«, fuhr Daniel fort und blätterte in den Seiten.

»Zu unrecht«, ereiferte sich der Pastor. »Nur weil sich jemand für das logische Denken ausspricht, muss er noch lange kein Ketzer sein. Gott hat uns schließlich die Vernunft gegeben, um seine Herrlichkeit schätzen zu lernen.«

»Das sieht der Bischof bestimmt ganz anders«, gab Daniel zur Antwort, stellte das Buch zurück und setzte sich auf den Stuhl.

»Auch das ist ein wahres Wort«, sagte Hellmann, holte zwei Kristallgläser aus einem Fach seines Schreibtisches hervor, füllte sie mit Wein und reichte Daniel eines davon. »Auf Kanonen-Bernd!«, sagte er, hob sein Glas und leerte es in zwei Zügen.

»Kanonen-Bernd?«, wunderte sich Daniel.

»So nennen ihn die Leute im Münsterland.« Der Pastor füllte sein Glas ein zweites Mal, musterte seinen Gast skeptisch, weil dessen Glas noch beinahe voll war, und erklärte: »Seit Bischof Bernhard die Stadt Münster erobert hat und gegen die Türken und Holländer gezogen ist, glauben die Leute, dass er besser einen Waffenrock statt einer Soutane tragen sollte. Und statt des Kreuzes ein Gewehr.«

»›Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert‹, sagt der Herr«, erwiderte Daniel und bekreuzigte sich. »Gerade im Moment hält der Bischof die Burg Bentheim im Würgegriff.« Daniel hatte diese Neuigkeit aus der benachbarten Grafschaft von einem Juden erfahren, der vor den anstürmenden Truppen des Fürstbischofs nach Holland geflüchtet war. »Bischof von Galen ist ein gleichermaßen gläubiger wie wehrhafter Mann«, setzte er hinzu. »Man sollte sich ihm nicht in den Weg stellen.«

»Nieder mit den Protestanten!«, rief Hellmann und prostete seinem Gegenüber zu. Ein spöttisches Grinsen lag auf seinen Lippen.

»Nieder!«, echote Daniel und grinste ebenfalls.

Im gleichen Moment erschien der Kaplan mit den Kirchenbüchern, und Daniel nutzte die Gelegenheit, um den Inhalt seines Weinglases in einen auf dem Boden stehenden Blumentopf zu leeren.

»So ganz habe ich den Zweck Eures Besuches noch nicht verstanden«, sagte der Pastor, nachdem der Kaplan sich zurückgezogen und Hellmann die Folianten auf seinem Schreibtisch aufgeschlagen hatte. »Der Bischof war erst vor zwei Jahren zur Visitation im Dorf, und eigentlich ist es unüblich, dass er einen Studenten schickt.«

»Bei meinem Besuch handelt es sich nicht im eigentlichen Sinne um eine bischöfliche Visitation«, erklärte Daniel und hielt dem Pastor sein Weinglas hin, damit dieser es erneut füllen konnte. »Ich arbeite an einem Traktat über die religiöse Entwicklung im Münsterland nach dem Großen Krieg. Es ist für mein Baccalaureus.«

Der Pastor nickte wissend.

»Mir geht es weniger um nackte Zahlen und Daten von Geburten, Taufen und Eheschließungen«, fuhr Daniel fort, »sondern um die Menschen und ihren Glauben.«

Hellmann schüttelte spöttisch den Kopf. »Und da verschlägt es Euch ausgerechnet nach Ahlbeck?« Er füllte die Gläser und hob seines prostend in die Luft. »Einen gottloseren Ort hättet Ihr Euch nicht aussuchen können. Die Leute vegetieren dumpf vor sich hin, und wenn sie am Sonntag ins Hochamt rennen, dann nicht aus Liebe zu Gott, sondern aus Angst vor der Hölle oder um anschließend in der ›Linde‹ ein Bier zur Brust zu nehmen.«

Daniel überraschte der Ekel, der in den Worten des Priesters mitschwang. Ein Ekel, den Hellmann mit Alkohol zu betäuben suchte und der ihn mit den Jahren zu einem verbitterten Mann gemacht hatte. Der Pastor versuchte gar nicht zu verbergen, dass ihm die Menschen, denen er ein geistiger Hirte sein sollte, zuwider waren.

Ein sarkastisches Lächeln lag auf Daniels Lippen, als er sagte: »›Selig, die arm sind in ihrem Geist, denn ihrer ist das Himmelreich.‹«

»Sancta simplicitas«, antwortete der Priester kopfschüttelnd. »Hätte der Menschensohn gewusst, welchen Schaden er mit diesem Ausspruch anrichtet, so hätte er ihn sicherlich niemals über die Lippen gebracht.« Er zeigte seine fauligen Zahnstümpfe und setzte hinzu: »Ich hoffe, meine Worte schockieren Euch nicht.«

Daniel machte eine verkniffene Miene und bekreuzigte sich.

»Manchmal glaube ich, die neue Zeit hat um Ahlbeck einen großen Bogen gemacht«, fuhr Hellmann fort. »In Holland soll es einen Uhrmacher geben, der an einer Turmuhr mit zwei Zeigern arbeitet, aber in Ahlbeck leben die Leute immer noch nach dem Mond.«

»Zwei Zeiger?«, wunderte sich Daniel. »Wozu denn das?«

»Der eine für die Stunden, der andere für die Minuten«, sagte der Priester. »Wenn ich solch eine Uhr an unserer Kirche anbringen ließe, würde man sie als Teufelswerkzeug wieder herunterreißen. Die Leute leben noch in finsterer Vorzeit. Es ist, als hätte der Krieg sie verdorben, und daran hat sich in den letzten Jahren nichts geändert. Die Sitten verkommen zusehends.« Er lachte gallig und setzte hinzu: »Seid Ihr am Galgenbülten vorbeigekommen?«

Daniel schluckte und nickte.

»Dann habt Ihr den Kerl am Strick gesehen? Ein holländischer Schmuggler, den man an der Grenze erwischt hat. Bei seiner Festnahme hat er einen Zöllner angegriffen, und der hat ihn erschossen.«

»Und warum hängt er dann am Galgen?«

»Zur Abschreckung.« Der Pastor hob die Achseln und fügte hinzu: »Solche Dinge passieren hier ständig. Das Schmuggeln und Wildern ist wie eine Seuche, lauter Diebes- und Räubergesindel, und sie denken sich nicht einmal etwas dabei. Wie die Tiere! Als Diener Gottes finde ich nur Gehör, wenn ich die Leute gehörig in Angst und Schrecken versetze.« Er nahm einen großen Schluck und fuhr sich mit dem Ärmel seiner Soutane über den Mund. »Es ist schon ein Jammer. In meinen Büchern lese ich von der Macht der Vernunft und rationalen Gottesbeweisen, aber beim gemeinen Volk hätten wir Priester ohne den Beelzebub und die Qualen des Fegefeuers einen schweren Stand. Purgatorium et infernum. Komm den Leuten mit Logik, und sie lachen dich aus. Wenn du ihnen aber die Pest als Strafe Gottes androhst, dann sind sie wenigstens still und bekreuzigen sich.«

»Seit wann seid Ihr das Oberhaupt dieser Gemeinde?«, fragte Daniel und holte die Pfeife aus seinem Rock. »Darf ich rauchen?«

»Ich bin seit acht Jahren in Ahlbeck«, antwortete Hellmann nickend, »aber das Oberhaupt bin ich bestimmt nicht. Hier haben andere das Sagen.«

»Nämlich?«

»Es gibt zwei Sippen, die seit Generationen um die Herrschaft im Dorf kämpfen. Da ist zum einen die Familie Olthues, der alte Olthues ist der Schulze und der größte Bauer am Ort. Er besitzt das meiste Vieh, das meiste Land und die meisten Kötter. Aber er ist zu seinem Leidwesen nicht der Alleinherrscher, es gibt da noch die Familie Tenfelde.«

»Tenfelde?«, fragte Daniel. »Gehört der Wirt auch dazu?«

»Franz ist einer von ihnen«, sagte der Pastor und nickte. »Sein Vater ist der größte Pächter und Vogt des Bischofs. Dem jüngsten Sohn gehört das Wirtshaus, der mittlere besitzt die Mühle, und der Vater verwaltet gemeinsam mit dem ältesten Sohn die Ländereien des Grundherrn.«

Daniel erinnerte sich, dass der Wirt gesagt hatte, seine Familie sei dem Bischof seit jeher sehr verbunden, und nun wusste er, was Tenfelde damit gemeint hatte.

»Die beiden Familien können sich nicht riechen«, fuhr der Pastor derweil fort. »Ein bischöflicher Vogt und ein bäuerlicher Schulze in so einem kleinen Dorf, das kann nicht gutgehen. Es ist also kein Wunder, dass die sich ständig in die Quere kommen. Vor allem wenn es um Abgaben und Zölle geht. Bis zum Krieg hatte der Kaiser die Zollhoheit, heute hat sie der Bischof. Und der Vogt gibt Acht, dass seinem Herrn kein Taler entgeht.«

»Verstehe«, sagte Daniel, zündete seine Pfeife an und goss erneut den Inhalt seines Glases in den Blumentopf, als der Priester sich über die Kirchenbücher bückte.

»Ihr findet die Namen der Bauern und der dazugehörigen Kötter im Register«, sagte Hellmann und schob einen der Folianten zu Daniel hinüber. Er sah, dass der Scholar sein Glas geleert hatte, nickte anerkennend und sagte: »Ihr habt einen kräftigen Zug am Leib, mein lieber Magnus. Da will ich natürlich nicht zurückstehen.« Er leerte sein Glas, füllte nach und lächelte trunken.

»Wie weit reichen die Kirchenbücher zurück?«, fragte Daniel.

»Leider nur acht Jahre«, antwortete der Pastor, »mein Vorgänger scheint sein Amt nicht besonders ordentlich geführt zu haben. Außerdem gab es während des Krieges einen Brand in der Sakristei, und die meisten Register und Aufzeichnungen sind verbrannt. Wenn Ihr erfahren wollt, was vor meiner Zeit in dieser Gemeinde geschehen ist, dann solltet Ihr Euch an die alten Leute halten.« Er schnaufte abfällig und setzte hinzu: »Oder Ihr sprecht mit dem verrückten Pater Hilarius, wenn der denn mit Euch reden will.«

Daniel verschluckte sich an dem Rauch und schaute den Pastor fragend an.

»Es gibt einen alten Eremiten, einen Kapuzinermönch, der sich in einer Kapelle im Ahlbecker Bruch verschanzt hält und sich von Beeren und Rinde ernährt«, erklärte Hellmann. »Angeblich hat er die Kapelle vor Jahrzehnten mit eigenen Händen erbaut und betet seitdem Tag und Nacht zur Mutter Gottes und zu allen Schutzheiligen. Er behauptet, er warte auf die Rückkehr des Leibhaftigen, aber warum er sich dafür im Moor verkriecht, das will er nicht sagen.«

»Eine Moorkapelle?«, murmelte Daniel nachdenklich.

»Die Leute halten ihn für einen Heiligen.« Hellmann nickte. »Und sie fürchten sich zugleich vor ihm, aber meiner Meinung nach ist sein Geist bloß verwirrt. Früher einmal war er als Ordensgeistlicher in der Gemeinde und hat meinem greisen Vorgänger zur Seite gestanden, doch von einem Tag auf den anderen ist er ins Moor gegangen, um den Rest seines Lebens als Eremit zu leben.« Plötzlich lachte der Pastor und fragte: »Wisst Ihr, was der Name Hilarius bedeutet?«

Daniel schüttelte den Kopf.

»Der Heitere«, sagte Hellmann und lachte erneut.

»Wo finde ich diese Kapelle?«

»An der holländischen Grenze, mitten im Bruchwald«, erwiderte der Pastor. »Das Land gehört eigentlich dem Schulzen, aber der scheint den seltsamen Heiligen zu dulden und sogar mit Almosen zu unterstützen. Auch das ist typisch für die hiesigen Bauern, wenn man ihnen mit der Bibel kommt, hören sie nicht zu und schlafen während der Predigt ein, wenn aber einer wirres Zeug erzählt und auf die Apokalypse wartet, dann sind sie ganz Ohr und glauben jeden Unsinn.« Der Pastor betrachtete seinen Gast, dessen Blick sich auffällig verdüstert hatte, mit tadelndem Blick und setzte hinzu: »Ihr trinkt ja gar nicht. Ist Euch eine Laus über die Leber gelaufen?«

Daniel schüttelte irritiert den Kopf und nippte an seinem Glas.

»Ich lasse Euch jetzt mit den Büchern allein «, sagte der Pastor und stand auf, »dann könnt Ihr in aller Ruhe lesen und Euch Notizen machen. Wenn Ihr Fragen habt, dann findet Ihr mich im Garten.«

»Eine Frage habe ich schon«, sagte Daniel und starrte auf das Kirchenbuch. »Ich sehe hier, dass die letzte Hochzeit die des Wirtes war. Mir scheinen die Tenfeldes ein seltsames Paar zu sein. Wie kam es zu der Verbindung?«

Der Pastor grinste schelmisch und betrachtete sein Gegenüber mit unverhohlener Neugier. »Henrike ist eine hübsche Person, nicht wahr?«, sagte er und hob die Augenbrauen. »Ihr fragt Euch, warum ein so schönes Mädchen einen so hässlichen Vogel heiratet?«

»Männer werden nicht wegen ihres Aussehens geheiratet«, erwiderte Daniel und setzte eine gleichgültige Miene auf. »Aber ein wenig verwunderlich finde ich diese Verbindung schon.«

»Franz Tenfelde ist nicht nur ihr Gatte«, sagte der Pastor und wiegte den Kopf, als suche er nach den richtigen Worten. »Er ist, wenn man so will, ebenfalls ihr Stiefvater.«

Wieder verschluckte sich Daniel an dem Rauch der Pfeife.

»Ja, das ist eine interessante Geschichte«, sagte Hellmann und setzte sich wieder. »Ich will sie Euch gern erzählen, auch wenn ich sie nur vom Hörensagen kenne.« Das Grinsen in seinem Gesicht wurde breiter, er bleckte seine verfaulten Zähne und fragte: »Noch Wein?«

Daniel nickte eifrig und hörte gespannt zu.

»Das Wirtshaus gehörte nicht immer zum Besitz des Vogtes«, begann der Priester und schenkte sich ein Glas ein. »Es war auch nie Teil des Grundbesitzes des Bischofs, sondern wurde den Tenfeldes vor etlichen Jahren von einem anderen Ahlbecker Bauern überlassen. Und nun ratet mal von wem?«

»Vom Schulzen?«, vermutete Daniel.

»Bravo!«, rief Hellmann und hob anerkennend sein Glas. »Die Leute reden zwar nicht darüber, und fragt man sie, dann zucken sie mit den Schultern und tun so, als wüssten sie nicht, wovon man spricht. Aber wie es scheint, hat es sich bei der Übergabe der Schenke um eine Wiedergutmachung gehandelt.«

»Was meint Ihr damit?«

»Der frühere Wirt war ein Olthues«, sagte der Priester, »der älteste Sohn des Schulzen, aber wenn Ihr in den Büchern nachseht, werdet Ihr kaum etwas über ihn finden. Es ist nur vermerkt, dass er Joes hieß und ein Jahr nach Ende des Krieges gestorben ist. Aber er ist nicht auf dem Ahlbecker Friedhof beerdigt. Nie hört man den Vater über den Sohn reden, und auch den Geschwistern kommt der Name des Bruders niemals über die Lippen. Und das mit gutem Grund.«

»Wenn er nicht wie ein Christ beerdigt wurde, dann hat er wohl nicht wie ein Christenmensch gelebt«, vermutete Daniel.

Hellmann zog anerkennend die Augenbrauen hoch und sagte: »Ihr seid ein kluger Bursche, und Ihr habt völlig Recht. Joes Olthues ist im Jahre ’49 am Ahlbecker Galgen gerichtet worden. Sein eigener Vater hat ihn in seiner Eigenschaft als Dorfschulze zum Tode verurteilt.« Hellmann nickte bedeutsam und schnalzte mit der Zunge. Er war mittlerweile ziemlich betrunken, seine Augen schimmerten feucht, und eines seiner Lider hing herab, als habe er es nicht mehr unter Kontrolle. »Etwa zu dieser Zeit ging die Schenke in den Besitz der Tenfeldes über, und wenn Ihr so schlau seid, wie es scheint, dann könnt Ihr Euch denken, wieso.«

»Joes Olthues hat jemanden aus der Sippe des Vogts getötet«, mutmaßte Daniel und erntete einen anerkennenden Blick.

»Wie gesagt, ich kann nur mutmaßen, weil niemand im Ort darüber ein Wort verliert, gerade so, als sei es ihnen peinlich, dass so etwas in ihrem Dorf geschehen konnte. Und es gibt keine Papiere oder Unterlagen über den Vorfall.« Der Pastor machte eine bedeutsame Miene und senkte dann den Blick. »Aber wie es scheint, hat der Schulzensohn eine Tochter des alten Tenfelde geschändet und getötet, und deshalb haben sie kurzen Prozess mit Joes Olthues gemacht und ihn anschließend am Galgenbülten verscharrt.«

Daniel war der Erzählung des Priesters mit sichtlichem Interesse gefolgt, nicht nur weil all diese Details über die Ahlbecker Verhältnisse den dicken Roloff und seine wahrsagende Frau beglücken würden, sondern auch, weil er glaubte, einen Ansatzpunkt für seine eigenen, ganz privaten Untersuchungen gefunden zu haben.

»Und die Schenke ging als Wiedergutmachung an den Vogt«, sagte Daniel, nickte mit dem Kopf und nahm einen großen Schluck Wein. Plötzlich jedoch stutzte er und schaute den Pastor verständnislos an. »Was hat das alles mit Henrike Tenfelde zu tun? Und wieso ist ihr Gatte gleichzeitig ihr Stiefvater?«

»Henrike ist die Tochter von Joes Olthues«, antwortete Hellmann und schüttete den letzten Rest aus der Weinflasche in sein Glas. »Als der Wirt hingerichtet wurde, war sie vielleicht zwei Jahre alt. Nach Joes’ Tod wurde die Schenke an Franz Tenfelde überschrieben, und Joes’ Witwe, also Henrikes Mutter, ging als Inventar gleich mit an den Sohn des Vogts. Franz wurde der neue Wirt, heiratete die Witwe und wurde Henrikes Stiefvater.«

Daniel hatte Schwierigkeiten, den Ausführungen des Priesters zu folgen. Obwohl er nur die Hälfte des ihm angebotenen Alkohols tatsächlich getrunken hatte, stieg ihm der Wein zunehmend zu Kopf. Dennoch hörte er weiter andächtig zu.

»Leider starb Henrikes Mutter kurze Zeit darauf«, fuhr der Pastor fort, »und nun war das kleine Mädchen dem Wirt lästig. Da sie eine geborene Olthues war, gab er sie an den Schulzen zurück und heiratete wenig später ein zweites Mal. Doch Olthues wollte das Mädchen nicht in seinem Haus haben, er gab die kleine Henrike bei einer seiner Häuslerfamilien ab, wo sie dann als Kuckuckskind aufwuchs. Die Leute hießen Ottenpeter und lebten in einem Kotten in der Nähe des Schulzenhofes. Die Gevatterin Ottenpeter war damals die Hebamme im Dorf und scheint sich des elternlosen Mädchens erbarmt zu haben. Von ihrem Großvater wurde Henrike wie irgendeine niedere Magd behandelt, er zahlte der Ottenpeterin ein paar Gulden für die Verköstigung und kümmerte sich nicht weiter um seine Enkelin. Sie hatte wie die anderen Kötterkinder auf dem Schulzenhof zu dienen und mit dem Gesinde zu essen, und entsprechend ärmlich war sie gekleidet. Etwa um diese Zeit kam ich in die Gemeinde und lernte Henrike kennen, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass sie eine Olthues war. Das habe ich Jahre später von ihr selbst erfahren.«

»Sie war die Tochter des Mörders«, sagte Daniel, und es klang, als spreche er zu sich selbst. »Und weil sie den Schulzen an seinen Sohn Joes erinnerte, hat er sie bei den Köttern versteckt.«

Hellmann zuckte mit den Schultern und nickte dann.

»Und wie ist sie die Frau des jetzigen Wirtes geworden?«

»Nun ja«, fuhr der Pastor fort, »auch die zweite Frau Tenfelde ist dem guten Franz weggestorben, ohne ihm einen Erben geschenkt zu haben, und so hat er sich im Dorf nach einer Nachfolgerin umgeschaut. Henrike war mittlerweile zu einem hübschen Mädchen herangewachsen und befand sich im heiratsfähigen Alter. Tenfelde hat sich unsterblich in sie verliebt und zudem ein Anrecht auf sie geltend gemacht, schließlich war er einmal mit ihrer Mutter verheiratet gewesen. Dem alten Olthues schien es nur recht zu sein, die unliebsame Enkelin endgültig loszuwerden, und auch Henrike war vermutlich froh, von dem jämmerlichen Kotten und der harten Arbeit auf dem Schulzenhof fortzukommen. Der Wirt ist zwar nicht gerade eine Zierde seines Geschlechts, und es gibt nicht wenige im Dorf, die ihm die hübsche und junge Gattin neiden, aber wie es scheint, hatte Henrike lediglich die Wahl zwischen Pest und Cholera.«

Daniel versank in Schweigen. Schließlich leerte er das Glas, stellte es auf den Tisch und beugte sich über die Folianten.

»Ich werde Euch jetzt Eurer Arbeit überlassen.« Der Pastor säuberte die Gläser mit einem Tuch und verstaute sie in seinem Schreibtisch. »Ich hoffe, die Taufregister werden Euch weiterhelfen.«

»Bestimmt«, antwortete Daniel, nahm ein Notizbuch aus seinem Umhang, bat den Priester um Feder und Tinte und begann, einige der Namen und Zahlen in das Büchlein zu übertragen.

Hellmann, der aufgestanden und zur Tür gegangen war, wandte sich noch einmal um, schaute den Scholaren mit alkoholgetrübtem Blick an und sagte: »Es tut so gut, sich zur Abwechslung mal mit einem gebildeten Menschen zu unterhalten. Wir sollten unser Gespräch unbedingt ein anderes Mal fortsetzen, wenn Ihr mit Eurer Arbeit fertig seid.«

»Das sollten wir allerdings«, antwortete Daniel und zwang sich zu einem Lächeln. »Ihr wart mir eine große Hilfe.« Er schaute auf die Kirchenbücher und setzte hinzu: »Eine sehr große sogar.«

Der Pastor verbeugte sich, setzte sein Ungetüm von Hut auf und verließ schwankend den Raum.

Viertes Kapitel – Lässt Fernes nah erscheinen

Als Daniel zwei Stunden später das Arbeitszimmer des Pastors verließ, machte er einen nachdenklichen und grüblerischen Eindruck. Er war die ganze Zeit in die Kirchenbücher vertieft gewesen, hatte sämtliche ihm wichtig erscheinenden Daten und Namen in sein Notizbuch übertragen und die Eintragungen mit Fußnoten versehen, um auf diese Weise die verschiedenen Verwandtschaftsgrade und Querverbindungen der Ahlbecker Familien zu verdeutlichen. Besonders hilfreich bei der Aufstellung der Liste war ihm ein so genanntes Status Animarum gewesen, eine Art Einwohnerverzeichnis, das der Pastor im Jahre 1664, also vor vier Jahren, im Auftrag des bischöflichen Generalvikars angefertigt hatte. In diesem Register fand Daniel die Namen sämtlicher damals lebender Gemeindemitglieder samt Alter, Beruf und Familienstand, und er stieß auf einige Details, die ihn derart beschäftigten, dass er nun im Flur des Hauses beinahe mit dem Kaplan zusammenstieß.

»Seid Ihr fertig mit Eurer Arbeit?«, fragte Kaplan Wissing und lächelte verlegen. »Oder habt Ihr noch Fragen?«

»Die habe ich tatsächlich«, antwortete Daniel.

»Ich würde Euch gern helfen«, erwiderte der Kaplan, wiegte unsicher seinen Kopf und fuhr sich mit den Finger über den gezwirbelten Schnauzbart. »Aber ich wurde zu einer Beichte gerufen und möchte nicht zu spät kommen.«

»Eine letzte Ölung?«

»Nicht direkt«, sagte Wissing zögerlich, und Daniel schien es, als bekomme er einen roten Kopf. »Man hat mich zur Mühle gerufen, um einer Magd die Beichte abzunehmen.«

»Ist die Magd bettlägerig oder warum kommt sie nicht in die Kirche zur Beichte?« Daniel schmunzelte, als er den Kaplan verlegen die Achseln heben und nach einer Antwort suchen sah. Daniel nickte und verstand. Es musste hartes Los sein, ein so hübscher und junger Mann in einem so abgelegenen Dorf zu sein, dachte er und schaute den anderen mitleidig an. Er fragte: »Wo finde ich den Pastor? Ist er noch im Haus?«

»Im Prinzip schon.« Wieder wiegte der Kaplan seinen Kopf und machte eine verkniffene Miene. Er schien mit sich zu ringen, holte schließlich tief Luft und sagte: »Ach, was soll’s? Er möchte eigentlich nicht gestört werden, wenn er …« Er räusperte sich, ließ den Satz unbeendet und deutete zu einer steinernen Treppe, die in den ersten Stock hinaufführte. »Hier entlang, bitte.«

Sie stiegen die Stufen hinauf ins Obergeschoss, gingen einen schmalen Flur entlang und kamen schließlich zu einer schmalen und sehr steilen Holztreppe, die auf den Dachboden führte.

»Er ist in seinem Laboratorium«, erklärte der Kaplan und deutete auf die Falltür in der Decke. »Klopft einfach an der Luke, dann werdet Ihr ja sehen, ob er Euch einlässt.« Der Kaplan setzte seinen Hut auf und verließ eilig das Haus.

»Ein Laboratorium«, murmelte Daniel, betrachtete die Falltür, grinste vorfreudig, stieg die Treppe hinauf und klopfte ans Holz.

»Was ist denn, Röttger?«, meldete sich die Stimme des Pastors. »Du weißt doch, dass du mich nicht stören sollst.«

»Ich bin es«, rief Daniel. »Ich habe noch einige Fragen hinsichtlich der Bücher. Euer Vikar hat mir den Weg zu Euch gewiesen.«

»Oh«, antwortete Hellmann, »einen Moment!« Im nächsten Augenblick war ein leises Scharren und Kratzen zu hören, als würde etwas auf dem Boden verschoben oder weggeräumt. Daniel vernahm das leise Klirren von Glas oder leichtem Metall, und dann herrschte Ruhe. Nach einigen Sekunden quietschte ein Riegel im Schloss, die Luke wurde geöffnet, und der Kopf des Pastors erschien.

»Ihr müsst entschuldigen«, sagte Hellmann und bat den jungen Mann hinaufzukommen. »Bei meinen Studien bin ich lieber ungestört, und manch einer würde wohl nicht verstehen, was ich hier auf dem Dachboden treibe.«

Daniel kletterte die steile Treppe hinauf, betrachtete die niedrige Dachkammer und verstand sofort. Auf einem langen Tisch unter einer der Schrägen stapelten sich Papiere und Folianten, auf deren Seiten sich seltsame Zeichnungen und kryptische Symbole befanden. Daniel näherte sich den Schriften und erkannte das Symbol einer sich in den Schwanz beißenden Schlange und darunter die griechischen Worte: »εν  το  παν«. Mit Tinte hatte jemand in gotischer Schrift darunter geschrieben: »Eines ist Alles.«

Auf einem weiteren Tisch an der Giebelseite der Kammer sah Daniel eine Ansammlung von Bottichen, Gläsern, Destillierkolben, Lederschläuchen und Messingapparaturen, die durch Glasrohre verbunden waren und in denen sich Flüssigkeiten der verschiedensten Farben befanden. Einer dieser Glaskolben war über einem Spiritusbrenner befestigt, und in seinem Inneren köchelte eine gelbe Flüssigkeit, der einige metallische Gegenstände hinzugefügt waren.

Alchemie!, dachte Daniel und fragte: »Ihr seid auf der Suche nach dem Stein der Weisen?«

»Aber nein! Ich interessiere mich lediglich für die chemischen Elemente«, erklärte der Pastor, räusperte sich und klappte die offen liegenden Bücher zu. »Und ich experimentiere mit der Materie und ihren mannigfachen Eigenschaften. Mit Aberglauben hat das nichts zu tun, meine Untersuchungen sind rein wissenschaftlicher Natur.«

Daniel beließ es bei einem stummen Nicken und lächelte wissend. Ein Verslein aus dem »Narrenschiff« ging ihm durch den Kopf:

»Man spürt wohl in der Alchemey

und in des Weines Arzeney

was falsch und B’schiss auf Erden sey.«

Daniel hatte schon etliche Männer getroffen, die vorgaben oder davon träumten, Gold und Silber in ihren Küchen und Werkstätten herstellen zu können. Sie hatten entweder ihr gesamtes Vermögen oder ihren Verstand verloren, aber den Stein der Weisen, die Urmaterie, mit der sich jede Substanz in eine andere verwandeln ließ, hatten sie nicht entdeckt. Daniel zog die handwerkliche Herstellung von Gold, die ihm Roloff beigebracht hatte, der alchemistischen Vorgehensweise vor. Er wusste, wie man mit Hilfe von ein wenig Lotwasser aus billigem Messing Silber machte und wie sich eine Kupfer-Zink-Legierung mittels Weinstein vergolden ließ. Der Rheinische Goldgulden, den er in der vergangenen Nacht dem Wirt zugeworfen hatte, war das Resultat einer solchen Prozedur gewesen. Die Münze war etwas zu leicht für ihren Wert, und in wenigen Wochen würde sich die hübsche goldene Farbe in Luft auflösen.

»Ratio fide illustrata«, rechtfertigte sich der Pastor. »Gott hat uns die Vernunft gegeben, um seine Herrlichkeit zu schauen.«

Daniel winkte ungeduldig ab. Er hatte keine Lust auf einen weiteren Vortrag des Geistlichen, außerdem hatte er etwas entdeckt, das seine Neugier geweckt hatte. »Was ist das?«, fragte er und deutete zum Dachfirst. Dort befand sich das kleine Türmchen mit den Schießschartenöffnungen, das er bereits vom Dorfplatz aus gesehen hatte. Eine kleine Leiter führte zu einer Empore darunter, und auf der Empore stand ein langes Metallrohr auf einem Gestell.

»Ist das etwa …?«, begann Daniel eine Frage, unterbrach sich und schaute in das freudig strahlende Gesicht des Priesters.

»Ein Fernrohr, jawohl«, antwortete Hellmann und nickte stolz. »Es ist ganz neu und kommt direkt aus Holland. Ich habe es mir von der Messe in Deventer mitbringen lassen.«

Daniel hatte von dieser Erfindung bereits gehört, aber noch nie ein solches Gerät zu Gesicht bekommen. »Darf ich?«, fragte er und stieg, da der Pastor nickte und zur Leiter deutete, auf die Empore.

»Ich betrachte die Sterne und fertige eine Karte von ihnen an«, sagte Hellmann und folgte dem Scholaren hinauf.

Daniel wusste aus seiner Erfahrung mit den alchemistischen Hochstaplern, dass sie daran glaubten, nur bei bestimmten Konstellationen der Gestirne auf den Stein der Weisen stoßen zu können. Alchemie und Astrologie gingen immer Hand in Hand.

Schon seltsam, dachte Daniel und betrachtete den Priester aus den Augenwinkeln, in seinem Arbeitszimmer liest er ketzerische Philosophen und faselt von Vernunft, und hier oben betreibt er solchen Schabernack. »Wie funktioniert solch ein Rohr?«, fragte er.

»Ihr müsst durch diese Öffnung schauen«, erklärte der Pastor, »das Fernrohr auf den betreffenden Gegenstand richten, und dann an diesem Rädchen die Schärfe einstellen. Es ist wirklich kinderleicht.«

Das Türmchen im Dachfirst entpuppte sich als idealer Standort für ein solches Instrument, durch die vier Öffnungen hatte man einen Ausblick in sämtliche Himmelsrichtungen, nur im Westen nahm die Kirche mit ihrem Turm die Sicht in die Ferne.

»Bei Tage sieht man natürlich keine Sterne«, sagte Hellmann, und seine Stimme vibrierte vor Aufregung, »und Ihr dürft nicht in die Sonne schauen, sonst verbrennt Ihr Euch die Augen.«

Daniel richtete das Fernrohr gen Norden und schaute hindurch. Für Sonne oder Sterne interessierte er sich nicht, aber dieses Instrument bot ihm die Möglichkeit, sich einen Überblick über den Ort zu verschaffen und jene Höfe in Augenschein zu nehmen, von denen er soeben in den Kirchenbüchern gelesen hatte. Er fragte: »Kann man den Hof des Schulzen von hieraus betrachten?«

»Ihr müsst das Rohr nach Nordwesten ausrichten«, antwortete Hellmann und half dem Scholaren, die Schärfe einzustellen. »Wenn Ihr direkt am Kirchturm vorbeischaut, dann könnt ihr den Olthues-Hof erkennen. Er liegt fast direkt an der holländischen Grenze.«

Tatsächlich war der Schulzenhof leicht zu entdecken, obwohl er mitten im Bruchwald lag. Er stand auf einer Anhöhe oder Warft und ragte aus dem Moor wie eine Burg heraus. Das eigentliche Bauernhaus mit dem reetgedeckten Dach, das beinahe bis auf den Boden reichte, war von diversen kleineren Häusern und Scheunen umgeben. Die Warft war von einem schmalen, steinernen Wall umgeben, was das Burgartige der Anlage noch betonte. Es gab nur eine Zufahrt zu dem Hof, und diese war mit einem hölzernen Tor versperrt.

»Der Schulze hat sich ja regelrecht auf seinem Hof verbarrikadiert«, sagte Daniel und folgte mit seinem Blick dem Weg, der von der Warft durch den Wald und schließlich zur Landstraße führte. Ungefähr an der Stelle, wo sich die Wegeskreuzung befand, sah Daniel das Ungetüm des Galgens stehen. Immer noch baumelte der gehängte Schmuggler am Seil.

»Joseph Olthues ist ein vorsichtiger Mann«, sagte der Pastor und schnaufte nachdenklich, »und während des Krieges hat er seinen Hof zur Festung ausgebaut. Er hat eine Wehr aufgeworfen und Gräben ausgehoben, sogar Fluchtspeicher und Tunnel soll er gebaut haben. Genützt hat es ihm allerdings nichts, sein Hof ist wie alle anderen von den Hessen und Holländern geplündert worden.«

»Warum stehen eigentlich einige der Namen in Klammern?«, fragte Daniel, ohne das Auge vom Glas zu nehmen.

»Wie bitte?«, erwiderte der Priester.

»Im Status Animarum habe ich die Vornamen der Schulzenfamilie entdeckt«, erklärte Daniel. »Der zweitälteste Sohn heißt Lambert, aber der Name steht in Klammern.«

»Ich kenne diesen Lambert überhaupt nicht«, antwortete Hellmann und zog die Stirn kraus. »Als ich in die Gemeinde kam, war der Sohn des Schulzen bereits bei den Soldaten. Er ist noch als Mitglied des Sprengels geführt, aber da er nicht mehr hier lebt, steht sein Name in Klammern.«

»Bei den Soldaten?«, hakte Daniel nach und schaute dem Pastor ins Gesicht. »Wo und seit wann?«

»Das kann ich nicht sagen«, erwiderte Hellmann. »Als ich nach Ahlbeck kam, war er schon ein geraume Zeit fort.«

»Der Schulze hatte also drei Söhne?«, überlegte Daniel laut.

»Und zwei Töchter. Josepha und Jettchen.«

Daniel nickte abwesend. Die Töchter kümmerten ihn im Moment nicht, nur den Männern des Dorfes galt sein Interesse. Er fuhr fort, laut zu resümieren: »Joes war der Wirt, der vor zwanzig Jahren hingerichtet wurde, Lambert ist der nächstälteste, der zu den Soldaten ging, und …« Er schaute in sein Notizbuch und stieß auf die entsprechende Eintragung. »… und Werner ist der jüngste Sohn, der immer noch auf dem Hof lebt.«

»Das ist richtig«, bestätigte der Pastor.

»Hm«, machte Daniel und nickte schließlich. Er notierte etwas in seinem Büchlein und fragte: »Wo liegt der Hof des Vogts?«

»Im Osten, in Richtung Bentheim.« Hellmann stellte das Fernrohr vor das Ostfenster, schaute hindurch, suchte eine kurze Zeit und stellte dann den Fokus ein. »Wenn Ihr schauen möchtet«, sagte er.

Daniel sah durchs Fernrohr und erkannte einen Bauernhof, der wie der Hof des Schulzen aus einem Haupthaus und vielen Nebengebäuden bestand. Allerdings lag das Anwesen nicht auf einer Warft, sondern zu ebener Erde, und es war nicht von Bruchwald, sondern von niedrig bewachsenem Venn und Feuchtwiesen umgeben.

»Auch Tenfelde hat drei Söhne, nicht wahr?«, sagte Daniel und schaute abermals in sein Büchlein. »Franz ist der Wirt, Hinnerk ist der Müller am Kolk, und Gregor lebt beim Vater auf dem Hof.«

Da dem nichts hinzuzufügen war, nickte der Pastor stumm.

»In den Büchern habe ich einen dritten Großbauern gefunden«, fuhr Daniel fort, ohne wirklich den Pastor anzusprechen. »Sein Name ist Gerrit Ibing. Ist er mit dem Schmied verwandt?«

»Jakob ist sein Sohn«, antwortete Hellmann nickend und richtete diesmal das Fernrohr gen Süden. »Wollt Ihr den Hof sehen? Er liegt in der Heide südlich von Ahlbeck. Der alte Ibing züchtet dort Schafe und brennt seinen Wacholderschnaps. Das Heidegebiet ist nun mal nicht besonders fruchtbar, nichts als weißer Sand und Heidekraut.«

Von Roloff wusste Daniel, dass auf der Scholle dieses Heidebauern das Schützenfest abgehalten wurde und dass sich hier in den nächsten Tagen die Schausteller mit ihren Wagen und Zelten niederlassen würden. In den Kirchenbüchern hatte Daniel gelesen, dass zu dem Hof des Bauern zahlreiche Kötter und kleine Pächter gehörten und dass der Landbesitz beträchtlich sein musste, dennoch hatte der Priester den Heidebauer nicht erwähnt, als er von den Leuten erzählt hatte, die in Ahlbeck das Sagen hatten.

Daniel fragte ihn danach.

»Ibing ist ein Holländer und ein etwas wunderlicher Kerl«, erklärte Hellmann und ließ Daniel durch das Rohr schauen. »Außerdem züchtet er Schafe, was allein schon reichen würde, um ihn in den Augen der alteingesessenen Ahlbecker zu einem minderwertigen Geschöpf zu machen. Egal, wie reich er ist. Im Dorf nimmt man ihn wie ein notwendiges Übel hin, schließlich trinken sie mit Vorliebe seinen Genever, aber leiden kann den Kauz eigentlich niemand.«

Drei Großbauern, dachte Daniel, als er den Heidehof, der im Gegensatz zu den anderen Anwesen aus vielen kleinen, fast versteckt liegenden Gebäuden bestand, in der flirrenden Heidelandschaft entdeckte. Drei Höfe, die jeweils außerhalb der eigentlichen Ortschaft lagen und beinahe ein gleichschenkliges Dreieck bildeten. Der Dorfschulze im Norden, der bischöfliche Vogt im Osten und der Heidebauer im Süden.

»Und was gibt es im Westen zu sehen?«, fragte Daniel und richtete das Fernrohr in die entsprechende Himmelsrichtung aus.

»Dort steht die alte Wassermühle«, antwortete der Priester, »aber der Kirchturm nimmt leider jede Sicht in die Ferne. Dafür hat man einen ungetrübten Blick auf den Kirchplatz, was manchmal auch recht interessant sein kann.«

Daniel ließ seinen Blick über die Häuser und Höfe streichen, er betrachtete den Friedhof zur Rechten und die Schmiede zur Linken und landete schließlich beim Wirtshaus, vor dessen Eingangstür sich einige Männer lachend unterhielten. Auf der Rückseite der Schenke, gleich neben dem Pferdestall, befanden sich die Stallungen, in denen der Wirt einige Schweine und Hühner hielt. Gerade in dem Augenblick, da Daniel das Fernrohr auf den Hinterhof richtete, trat die Wirtsfrau mit einem Topf aus dem Haus, ging zum Schweinestall und leerte den Inhalt des Topfes in einen Trog. Als sie sich vornüber beugte, konnte Daniel einen Blick in ihren tuchlosen Ausschnitt erhaschen, und er hätte vermutlich beschämt die Augen vom Okular genommen, wenn nicht im gleichen Augenblick eine Männerhand auf der Brust der jungen Frau zu liegen gekommen wäre. Daniel fuhr beinahe erschrocken zusammen, und gleiches tat Henrike Tenfelde.

»Was ist denn?«, fragte der Pastor. »Warum schüttelt Ihr Euch?«

»Mich fröstelt ein wenig«, antwortete Daniel.

»Bei dieser Hitze?«, wunderte sich Hellmann und schüttelte belustigt den Kopf. »Was gibt es dort unten zu sehen, dass Ihr beinahe ins Rohr hineinkriecht?«

»Nichts von Interesse«, antwortete Daniel, schaute aber weiterhin wie gebannt durch die Linse. Ein spöttisches Grinsen lag auf seinen Lippen, aber die Mundwinkel zuckten vor Aufregung. Was er sah, schien ihn gleichermaßen zu amüsieren und zu verwirren. Die Hand, die der Wirtin so ungeniert an die Brust gefasst hatte, gehörte nicht ihrem Gatten, sondern einem etwa dreißig Jahre alten, blondgelockten Mann mit gezwirbeltem Schnauz- und Kinnbart. Er trug die einfache Kleidung eines Kötters oder Knechts, hatte Holzpantinen an den Füßen und hielt einen Strohhut in der Hand. Henrike, die bei der überraschenden Berührung zunächst erschrocken zusammengefahren war, zeigte sich im Folgenden alles andere als unangenehm berührt. Sie schlug dem Mann zwar auf die Finger und schaute sich nach allen Seiten um, um sicherzugehen, dass sie nicht beobachtet wurden, doch im nächsten Moment drückte sie dem Mann einen Kuss auf den Mund und hielt ihn fest mit beiden Armen umklammert. Einige Sekunden standen sie so, bis der Mann sie plötzlich von sich stieß und ihr den Rücken zukehrte. Der Grund dafür war das Erscheinen des Wirts, der nach seiner Frau Ausschau hielt. Franz Tenfelde trat auf die beiden zu, reichte dem Bauern die Hand und legte seinen linken Arm gleichzeitig um die Schulter seiner Gattin. Henrike schaute verlegen zu Boden, der junge Mann sagte etwas scheinbar Komisches, und der Wirt lachte und klopfte seiner Frau belustigt auf die Schulter. Schließlich ging er mit ihr wieder ins Haus, und der Bauer gesellte sich zu den Männern, die sich auf dem Dorfplatz versammelt hatten und nun die Schenke betraten.

Daniel hatte vorerst genug gesehen. Er wandte sich dem Pastor zu, legte dem Geistlichen die Hand auf die Schulter und sagte: »Ein herrliches Instrument!«

»Nicht wahr?!«, entfuhr es Hellmann, und er strahlte glückselig.

Sie stiegen von der Empore, und Daniel reichte dem Priester zum Abschied die Hand. »Ich werde jetzt ins Gasthaus gehen«, sagte er, »und eine Kleinigkeit zu Mittag essen.«

»Ihr könnt auch bei uns zu Tisch sitzen«, sagte Hellmann, »wenn Euch ein bescheidenes Mahl zusagt. Frau Ibing ist eine gute Köchin, und vielleicht finde ich noch ein gutes Tröpfchen für uns im Keller.«

»Danke für das Angebot«, erwiderte Daniel, »aber gerade heute möchte ich lieber in der ›Linde‹ speisen. Ich glaube, dort wird mir das Essen besonders munden.« Er nickte dem Pastor zu, setzte seinen Schlapphut auf und wollte gerade die Leiter hinuntersteigen, als er in einer Ecke des Raumes einen kleinen Eisenschrank sah. Der Schrank war mit einem zusätzlichen Riegel und einem großen Vorhängeschloss versehen und erinnerte an einen Tresor. Daniel hob die Brauen und stieg durch die Luke. »Ihr braucht mir nicht den Weg zu zeigen«, sagte er im Gehen, »ich finde schon hinaus.«

Pastor Hellmann schaute dem jungen Mann irritiert hinterher, schüttelte missfällig den Kopf und schloss die Luke.

Fünftes Kapitel – Präsentiert einen alten und einen kommenden König

Das Wirtshaus »Zur alten Linde« war gut gefüllt, alle Tische waren mit Kötterbauern und Knechten besetzt, die sich angeregt unterhielten und mehrmals ein Prosit auf den Dorfschulzen ausriefen.

Daniel saß an einem Ecktisch, sein Notizbuch vor sich, und hörte den Männern aufmerksam zu. Ihren Gesprächen konnte er entnehmen, dass sie seit den frühen Morgenstunden zur Ernte auf den Roggenfeldern des Schulzen gewesen waren und der Bauer Olthues ihnen aufgrund ihrer Tüchtigkeit und wegen der Mittagshitze einen Humpen Bier in der Schenke spendiert hatte. So tranken sie also, plauderten und stießen auf den Grundherrn an, den sie »den alten Fuchs« nannten, ohne jedoch zu erkennen zu geben, worauf sich dieser Spitzname bezog. Mitten unter ihnen saß der blond gelockte Mann mit dem Strohhut, er lachte mit ihnen, warf dann und wann eine Bemerkung in die Runde und strich sich anschließend würdevoll über sein Kinnbärtchen. Er schien eine Art Vorarbeiter oder ein Vertrauter des Schulzen zu sein, denn immer wieder schauten die Bauern zu ihm herüber, wenn sie auf den Dorfvorsteher anstießen. Mehrmals wurde dem Blonden auf die Schulter geklopft, wenn er einen seiner geistreichen Sprüche zum Besten gab, für die er bekannt zu sein schien. Doch obwohl die Bauern freundschaftlich oder doch kameradschaftlich mit dem Blonden verkehrten, zollten sie ihm offensichtlich Respekt und legten Wert auf seine Meinung. Er kleidete sich wie sie in einfachem Sackleinen, trug keine ledernen Schuhe an den Füßen und war jünger als die meisten der Kötter, aber sein Wort hatte Gewicht, das war unschwer zu erkennen.

Die Wirtin allerdings, die geschäftig mit einem Seidel Bier durch die Stube lief und sich um die Gäste kümmerte, bedachte er keines Blickes. Während die anderen Männer ihr zulächelten oder sie lüstern anschauten, wenn sie sich über den Tisch beugte und ihnen nachschenkte, so behandelte der Blondgelockte die junge Frau wie Luft. Henrike hingegen wandte sich immer wieder nach dem Mann um, während sie den anderen die Becher füllte, und wenn der Blonde etwas sagte, so hielt sie inne und lächelte nachdenklich. Den übrigen Männern und auch dem Wirt fielen diese Blicke und kleinen Gesten nicht auf, das Verhalten der Wirtin schien lediglich von gebotenem Respekt für den Blonden zu zeugen, für Daniel jedoch, der die beiden Liebenden im Hinterhof gesehen hatte, sprachen Henrikes Augen ganze Bände. Sie schien diesen Mann wie einen Abgott anzuhimmeln, auch wenn er sie scheinbar kaum zur Kenntnis nahm. Zugleich aber verriet der Blick der Wirtin eine Ängstlichkeit und Unentschlossenheit, die ihrem forschen und unbekümmerten Auftreten auf seltsame Weise widersprach.

»Darf ich Euch auch auf ein Bier einladen, Herr Scholar?«, wandte sich der Blondgelockte in diesem Moment an Daniel, der erschrocken aus seinen Gedanken hochfuhr. »Der gute Franz hat uns erzählt, dass Ihr eine religiöse Schrift über unser Dorf verfasst und darauf würden wir gerne mit Euch anstoßen. Wenn Euch die Gesellschaft von einfachen Bauern nicht zu profan erscheint.« Er lachte und setzte, indem er Daumen und Zeigefinger aneinander rieb, hinzu: »Keine Bange, die Rechnung geht auf meinen Vater.«

»Euer Vater?«, wunderte sich Daniel und neigte den Kopf.

»Er ist der Schulze dieses jämmerlichen Dorfes«, erklärte der Blonde stolz. »Vielleicht habt Ihr ja bereits von ihm gehört.«

»Euer Vater ist Joseph Olthues?« Daniel starrte ihn an und schüttelte irritiert den Kopf. »Aber dann seid Ihr ja …«

»Werner Olthues«, ergänzte der andere und neigte nun seinerseits den Kopf zum Gruß. »Ich bin der Schulzensohn, ganz recht. Und sollte Euch jemand etwas Nachteiliges über mich erzählt haben, so dürft Ihr davon jedes Wort glauben.«

Olthues lachte, die Bauern stimmten mit ein und prosteten einander zu, nur Daniels Blick verdüsterte sich, und er schüttelte erneut den Kopf. Dieser Mann war Werner Olthues, der jüngste Sohn des Schulzen. Und vor allem: Er war Henrikes Onkel!

»Wie ich sehe, kann Euch unser Angebot nicht locken«, sagte Olthues und zuckte achtlos mit den Schultern. »Sollten wir Eure Nase beleidigen, so müsst Ihr entschuldigen, wir haben den ganzen Morgen in der Gluthitze auf den Feldern gearbeitet und schwitzen wie die Schweine.« Er bedachte den Scholaren mit einem böse funkelnden Blick und wollte sich wieder seinen Köttern zuwenden, doch Daniel stand auf, verneigte sich tief und sagte:

»Ich nehme Euer Angebot mit Freuden an! Leider habe ich noch nichts über Euch erfahren, schon gar nichts Nachteiliges.« Er lächelte, verbeugte sich abermals und setzte hinzu: »Aber für Verleumdungen und üble Nachrede habe ich immer ein offenes Ohr, und solltet Ihr zu stark riechen, so kann ich mir ja die Nase zuhalten.«

»So ist’s recht!«, freute sich Olthues und klopfte sich auf den Schenkel. »Ein Kirchenmann mit Humor, das gefällt mir.« Er bedeutete dem neben ihm sitzenden Bauern, zur Seite zu rücken, und befahl der Wirtin, ohne sie dabei anzuschauen: »Henrike, einen Stuhl für den Herrn Scholar!«

Als Daniel sich dem Tisch näherte und die Männer die Wunde an seinem Kopf bemerkten, ging ein Raunen durch die Menge, das allerdings auf der Stelle von dem Schulzensohn unterbunden wurde.

»Was ist denn das für ein Benehmen?«, herrschte er die Bauern an. »Der Mann hat eine Narbe am Kopf. Na und? Was gibt’s denn da zu starren, als hätte der Mann die Pest? Was soll denn der Herr Scholar von uns denken?!« Zu Daniel gewandt, setzte er hinzu: »Ihr müsst uns entschuldigen, wir sind halt nur einfache Bauern. Wir leben hier alle etwas hinter dem Mond und staunen wie die Kinder, wenn wir etwas sehen, was uns merkwürdig erscheint. Das dürft Ihr uns nicht nachsehen.«

Daniel wusste nicht, was ihm unangenehmer war, die dümmlich offen stehenden Münder der Kötter oder das weltkundige Getue des Schulzensohnes. Daniel fand die Art und Weise, wie der Grundherr sich bei den Bauern anbiederte und sich allzu demonstrativ auf eine Stufe mit ihnen stellte, beinahe unanständig. Es wirkte verlogen und selbstgefällig, denn gerade dadurch, dass er sich als reicher Landeigner wie ein Knecht kleidete und sich mit den Bauern verbrüderte, gab er zu erkennen, wie sehr er sich von den einfachen Leuten unterschied. Seht her, schien sein Gebaren zu sagen, ich kann so sein wie ihr, aber so wie ich werdet ihr nie sein. Er gefiel sich als einfacher Landmann, aber es wirkte wie eine Maskerade zum Karneval.

»Ich habe mich längst daran gewöhnt, dass die Leute zusammenfahren, wenn sie mich sehen«, sagte Daniel und setzte sich auf den Stuhl, den die Wirtin ihm gebracht hatte. »Mein Aussehen ist das Kreuz, das der Herr mir aufgebürdet hat und das ich in Demut trage. Die Wunde ist ein Andenken an den Großen Krieg«, fügte er hinzu und erzählte die Geschichte vom Grafen Wrangel und den blutrünstigen Schweden, die er diesmal besonders ausschmückte und mit dramatischen Details versah. Nach dem gewaltsamen Tod seiner Eltern sei er in einem sächsischen Kloster aufgewachsen, berichtete er, dann habe es ihn nach Bayern auf ein Jesuitenkolleg und schließlich nach Paderborn an die Universität verschlagen, wo er dem Bischof von Münster begegnet und von ihm beauftragt worden sei, die münsterländischen Kirchspiele zu inspizieren. »Eigentlich müsste ich den gottlosen Schweden dankbar sein«, setzte er hinzu und machte ein Kreuzzeichen, »denn wenn sie mir auch die Eltern gemordet haben, so habe ich nur durch diesen Schicksalsschlag die Ausbildung genießen können, die mir zuteil geworden ist.«

Binnen kurzer Zeit hatte sich die abwehrende Haltung der Bauern in Sympathie und Mitleid verwandelt, die kritischen Mienen erhellten sich, Neugier kam auf, und sie bestürmten den weit gereisten Scholaren mit allerlei Fragen. Was es an Neuigkeiten aus dem Bistum oder dem Reich gebe, wollten sie wissen. Ob Graf Ernst Wilhelm sich dem Bischof schon ergeben habe und zum rechten Glauben übergetreten sei. Und ob Kanonen-Bernd wieder gegen die Niederlande ziehen werde.

Je mehr sich die Unterhaltung verlagerte und zu einem angeregten Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Daniel und den Bauern wurde, desto grimmiger schaute Werner Olthues drein. Er stand plötzlich nicht mehr im Mittelpunkt, fungierte nicht länger als bäuerlicher Wortführer, und das war ihm offensichtlich ebenso fremd wie zuwider. Er wollte nicht so neugierig und sensationslüstern wie die Kötter erscheinen, aber dass die Unterhaltung nun gänzlich an ihm vorbeilief, war ihm ebenfalls nicht recht. Selbst Henrike hörte andächtig den Ausführungen des Studenten zu und schien ihren Geliebten für einen Moment vergessen zu haben.

Daniel, der gerade von der Belagerung Bentheims sprach und von den Heerscharen, die der Bischof aufbot, um die Unchristen ausbluten zu lassen, schielte aus den Augenwinkeln immer wieder zum Schulzensohn hinüber, und je finsterer Olthues auf den Tisch starrte, desto mehr gingen Daniels Mundwinkel in die Höhe. Und wie er es erwartet hatte, explodierte Olthues plötzlich und unterbrach das Gespräch.

»Was bestürmt ihr denn den armen Mann so?«, rief er und brachte damit sämtliche Bauern zum Schweigen. »Ihr seid wie die Waschweiber! Immer nur Klatsch und Tratsch. Und du Henrike, hol gefälligst Bier, damit ich mit dem Herrn Scholar anstoßen kann.«

Die Wirtin fuhr zusammen und wich einige Schritte zurück.

»Franz!«, rief der Schulzensohn dem Wirt hinter dem Tresen zu. »Du solltest besser auf dein Weib aufpassen!«

»Wem sagst du das?«, antwortete Tenfelde achselzuckend. »Aber sie lässt sich ja ohnehin nichts sagen. Wie ein junges Füllen.«

»Dann solltest du ihr die Peitsche zu spüren geben«, erwiderte Olthues und lächelte zufrieden. Er hatte sein Ziel erreicht, alle Augen waren auf ihn gerichtet.

»Euer Bruder ist ebenfalls beim Militär, wie mir gesagt wurde«, wandte sich Daniel an den Schulzensohn. »Gehört er zu den bischöflichen Truppen?«

»Mein Bruder?«, erwiderte Olthues. Seine Miene bekam plötzlich einen lauernden Ausdruck. »Weiß der Himmel, wo der sich herumtreibt.« Er holte eine Schnupftabaksdose aus der Hosentasche und nahm eine Prise. »Wer hat Euch von meinem Bruder erzählt?«

»Pastor Hellmann«, antwortete Daniel und schüttelte den Kopf, als Olthues ihm den Schnupftabak hinhielt.

»Der alte Saufkopf«, meldete sich die Stimme eines Kötters aus dem Hintergrund. Es war ein alter Mann mit abstehenden Ohren und riesiger Hakennase, die wie ein Bugsegel aus seinem ausgemergelten Gesicht herausragte. Er lachte abfällig, wobei er einen zahnlosen Oberkiefer zeigte, und setzte hinzu: »Was weiß denn der? Der soll sich um seinen eigenen Kram kümmern und seine Nase nicht in fremder Leute Angelegenheiten stecken. Verdammter Ketzer!«

»Aber Onkel!«, entfuhr es Henrike.

»Er ist unser Priester«, fuhr Olthues den Alten an, »also rede gefälligst nicht so respektlos über ihn, Ottenpeter! Oder soll ich meinem Vater von deinem ungebührlichen Benehmen erzählen?«

Der alte Mann zuckte zusammen und schüttelte den Kopf.

»Ihr seid Gevatter Ottenpeter?«, fragte Daniel mit einem Seitenblick zur Wirtin und setzte hinzu: »Der Mann der Hebamme?«

»Johanna ist meine Schwester«, erwiderte der Alte nickend, »aber Hebamme ist sie schon seit langer Zeit nicht mehr. Sie ist ja mehr tot als lebendig.«

»Ihr müsst den alten Wirrkopf entschuldigen«, wandte sich der Schulzensohn nun an Daniel, »er ist nur ein einfacher Kötter und redet manchmal etwas ungehobelt.«

Daniel winkte ab, bevor der Schulzensohn erneut seinen Wir-leben-hinter-dem-Mond-Sermon vom Stapel lassen konnte und fragte: »Seit wann ist Lambert bei den Soldaten?«

»Seit über achtzehn Jahren«, mischte sich Henrike in das Gespräch ein und erntete einen bösen Blick ihres Onkels. Doch die Wirtin schien die harschen Worte des Schulzensohnes noch nicht vergessen zu haben und fuhr unbeirrt fort: »Aber wir haben schon lange nichts mehr von ihm gehört. Der letzte Brief kam aus Amerika, er kämpft dort gegen die Wilden.«

»Achtzehn Jahre.« Daniel nickte und setzte hinzu: »Dann kennt Ihr Euren Onkel ja kaum.« Und an den Schulzensohn gewandt, setzte er hinzu: »Habt Ihr noch weitere Brüder, Herr Olthues?«

Ein eisiges Schweigen war die Antwort. Der Wirt rief seine Frau mit einer Kopfbewegung zu sich, die Kötter richteten ihre Blicke gespannt auf Olthues, doch dieser genehmigte sich erneut in aller Seelenruhe eine Prise Schnupftabak und lehnte sich zurück.

»Warum stellt Ihr Fragen, auf die Ihr die Antworten bereits kennt?«, fragte er schließlich und rieb die Innenflächen seiner Hände aneinander. »Wenn Ihr wisst, dass Henrike Lamberts Nichte ist, dann wisst Ihr ebenfalls, dass es einen weiteren Bruder gegeben hat. Was soll also die Frage?«

»Ihr habt Recht«, sagte Daniel entschuldigend. »Bei all den familiären Verbindungen in diesem Dorf kann man schon einmal den Überblick verlieren. Ich wollte nicht neugierig erscheinen.«

Einen kurzen Moment lang betrachtete Olthues sein Gegenüber mit verkniffener Miene, doch ganz plötzlich lachte er wieder fröhlich, klopfte dem Scholaren auf die Schulter und sagte: »Aber deswegen seid Ihr doch hier. Immerhin schreibt Ihr eine religiöse Abhandlung über unser frommes Dorf. Fragt nur, was Ihr wollt, wir haben nichts zu verbergen.«

Elender Lügner, dachte Daniel und lächelte.

»Werdet Ihr bis zur Kirchweih im Dorf bleiben?«, wollte Gevatter Ottenpeter von Daniel wissen. »Werner ist nämlich unser König.«

Die Bauern brachten einen Trinkspruch auf den Schulzensohn aus, und Olthues winkte gerührt ab.

»Ihr seid also der König von Ahlbeck?«, fragte Daniel.

»Ach was«, antwortete Olthues, dem die Ironie der Frage nicht entgangen war, und er deutete auf den Wirt: »Dort hinten steht der Mann, der dieses Jahr den Vogel abschießen wird. Nicht wahr, Franz? Es sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn du in diesem Jahr nicht Schützenkönig wirst.«

»Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben«, antwortete der Wirt, »aber ich werde mein Bestes geben, darauf kannst du wetten, Werner. Und deshalb gebe ich jetzt eine Runde aus.«

»Bravo!«, rief der Schulzensohn, und erneut erklangen die Hochrufe der Bauern: »Auf König Franz!«

Während die Männer einander zuprosteten, schaute Daniel zur Wirtin hinüber, die etwas abseits stand und den verbalen Schlagabtausch mit finsterer Miene verfolgt hatte. Als Daniel den Schulzensohn Lambert ihren Onkel genannt hatte, war sie beinahe zusammengezuckt und hatte sich regelrecht an die Seite ihres Mannes geflüchtet, doch als dieser nun von seiner zukünftigen Königswürde zu prahlen begann, änderte sich der Gesichtsausdruck seiner Frau schlagartig. Daniel glaubte, eine Mischung aus Mitleid und Ekel in ihrem Gesicht erkennen zu können. Sie wich einige Schritte zurück und schüttelte unmerklich den Kopf, als der König in spe seinen künftigen Untertanen eine Runde auf den Titel spendierte, den er noch gar nicht errungen hatte. Und wieder schaute sie verstört und beinahe Hilfe suchend zu Werner Olthues.

»Franz wird ein guter König sein«, rief der Schulzensohn und wich dem Blick der Wirtin aus. »Ein würdiger Nachfolger!«

Just in diesem Moment änderte sich die Miene der Wirtin ein weiteres Mal. Sie riss die Augen auf, und ein Schrecken überzog ihr Gesicht, als schaue sie dem Leibhaftigen in die Augen. Sofort näherte sie sich wieder ihrem Gatten, versteckte sich regelrecht hinter ihm und ergriff seinen Arm.

Daniel wandte sich um und sah den Grund für ihr seltsames Verhalten: Ein groß gewachsener und breitschultriger Mann, der einen Stock in der Hand hielt, betrat mit lautem Gepolter das Wirtshaus. Er stieß die Tür auf und stand breitbeinig als Schattenriss im Rahmen, und sofort war es mucksmäuschenstill im Schankraum.

»Was ist denn das für eine Sauerei?!«, rief der Mann und stampfte mit dem rechten Fuß auf den Boden, dass der Staub aufwirbelte. »Ihr solltet ein Bier auf mein Wohl trinken, aber von einem Gelage war nicht die Rede! Was denkt ihr euch?! Raus aufs Feld, verdammte Bande, oder soll ich euch Beine machen?!«

»Entschuldige, Vater«, sagte der Schulzensohn, stand auf und senkte den Kopf. »Franz hat uns ein Bier ausgegeben, und da haben wir auf sein Wohl angestoßen.«

»Schäm dich, Tenfelde«, sagte der Schulze und wedelte mit seinem Stock vor der Nase des Wirts herum. »Was fällt dir ein, meine Männer betrunken zu machen? Bei der Hitze steigt ihnen der Alkohol zu Kopf, und dann sind sie zu nichts mehr zu gebrauchen.«

»Ich habe nur …«, stammelte der Wirt eine Entschuldigung, doch der Schulzenbauer fuhr ihm unwirsch über den Mund.

»Papperlapapp! Spar dir deine Worte! Wenn ein Tenfelde den Mund aufmacht, kommt entweder eine Lüge oder eine Ausrede heraus.« Ohne den Wirt weiter zu beachten, wandte er sich an seine Kötter und fuhr sie, den Stock wie ein Zepter schwingend, an: »Was steht ihr hier noch herum und glotzt wie die Ölgötzen? Raus mit euch! Oder muss ich euch erst mit dem Stock kommen?«

Die Bauern trotteten mit gesenkten Köpfen und hängenden Schultern an ihm vorbei und zur Tür hinaus. Während der Schulze seine Kötter und Knechte wie eine Viehherde aus dem Wirtshaus trieb, nutzte Daniel, der immer noch am Tisch saß und sich nun eine Pfeife stopfte, die Gelegenheit, den alten Mann genauer in Augenschein zu nehmen. Der Schulze trug einen langen Rock aus braunem Tuch und darunter ein abgewetztes Wams, das schon bessere Zeiten gesehen hatte. Seine Füße steckten in klobigen und kotbedeckten Stiefeln, und auf seinem mächtigen Schädel thronte ein hoher Holländerhut mit breiter Krempe, den er beim Betreten der Schenke nicht abgenommen hatte. Unter dem Hut schauten die weißgrauen Haare hervor, die ihm bis auf die Schultern fielen. Das Auffälligste an dem Mann aber war, abgesehen von seiner enormen Körpergröße, sein Rauschebart, der ihm bis auf die Brust reichte. Der Bart bedeckte die Hälfte seines Gesichtes und ließ den alten Mann verwegen aussehen. Anders als sein Haupthaar war der Bart noch nicht ergraut und erstrahlte in einem leuchtenden Rot.

Das war also der Grund, warum ihn die Kötter »den alten Fuchs« genannt hatten, dachte Daniel, der beim Anblick des Bartes in tiefes Grübeln verfallen war und nachdenklich an der Pfeife saugte.

Mittlerweile hatte sich das Wirtshaus geleert, außer Daniel und den Wirtsleuten waren nur noch Werner Olthues und der Schulze anwesend. Der Schulzensohn wollte gerade an seinem Vater vorbeigehen, als dieser plötzlich mit dem Stock ausholte und seinen Sohn mit einem gezielten Schlag in den Nacken zu Boden streckte. Vor den ungläubigen Augen der Umstehenden und begleitet von einem erschrockenen Schrei der Wirtin trat der Schulze dem am Boden Liegenden mit dem Fuß ins Hinterteil und fauchte: »Hab ich dir nicht gesagt, du sollst ein Auge auf das Pack haben? Anstatt dich mit ihnen zu betrinken, solltest du ihnen ein Vorbild sein. Läufst herum wie ein Knecht und benimmst dich auch so. Du bist ein Olthues, verdammt noch mal, man muss sich ja schämen für dich! Hab ich denn nur Missgeburten zur Welt gebracht?«

Werner Olthues rappelte sich wieder auf und schlich an seinem Vater vorbei zur Tür, wo er sich aufrichtete, den Staub von der Kleidung klopfte und die Schenke verließ, ohne sich noch einmal umzuschauen. Die im Raum Verbliebenen standen oder saßen wie angewurzelt und starrten einander an. Daniel betrachtete die Wirtin, die beinahe mit Tränen in den Augen zur Tür starrte. Der Wirt beäugte den Schulzen und hatte eine geduckte Haltung angenommen, als habe er Angst, der alte Mann könne auch ihn mit dem Stock niederstrecken. Und der alte Fuchs beäugte den Fremden mit den roten Haaren und der Narbe, der dort am Tisch saß, genüsslich paffte und ein beinahe zufrieden wirkendes Grinsen in seinem Gesicht zeigte.

»Was bin ich dir schuldig?«, wandte sich der Schulze an den Wirt.

»Nichts«, antwortete Franz Tenfelde und verbeugte sich. »Ich sagte doch, es geht auf meine Rechnung.«

»Papperlapapp!«, zischte Olthues und warf dem Wirt einige Münzen auf den Tresen. »Ich zahle immer meine Schulden!«

»Das tun wir alle«, murmelte Daniel mit der Pfeife im Mund und schaute den Schulzen herausfordernd an. »Früher oder später.«

Joseph Olthues betrachtete Daniel mit zusammengekniffenen Augen und fragte: »Darf ich fragen, wer Ihr seid?«

»Mein Name ist Magnus.« Daniel stand auf, verbeugte sich und setzte: »Ich bin nur ein bescheidener Diener Gottes.«

»Dann belasst es gefälligst dabei und behaltet Eure Kommentare für Euch!« Der Schulze wandte sich ab und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Die Tür knallte, und die Zurückgebliebenen kamen sich vor, als sei ein Gewitter über sie hereingebrochen.

Sechstes Kapitel – Handelt von einem heimlichen Treffen in der Heide

Wenn man heutzutage von Ahlbeck aus in südlicher Richtung zur Nachbargemeinde Oldendorf wandert, so muss man achtgeben, dass man das Naturschutzgebiet »Holländer Wacholderheide« nicht versehentlich übersieht. Von einer einst viel größeren Heidelandschaft sind nur noch wenige Relikte übrig geblieben, die eine Größe von kaum zehn Hektar haben und zudem von Straßen und Wirtschaftswegen zerschnitten sind. Durch Düngung und landwirtschaftliche Nutzbarmachung hat der ehemals aus Dünensand bestehende Untergrund seinen nährstoffarmen Charakter verloren, der weiße Sand ist fruchtbarem Ackerboden gewichen. Auch der einstige »Seerosenteich«, ein mit klarem Wasser gefüllter Heideweiher am Fuße einer lang gestreckten Düne, ist heute nur noch ein morastiger und mit Weiden-Dickicht bestandener Tümpel.

Im Juli 1668 jedoch befand sich an dieser Stelle statt Asphalt, Äckern und Wiesen eine ausgedehnte Dünenlandschaft mit bis zu drei Metern hohen Hügeln. Der lockere Bleichsand war überzogen mit trockenen Zwergstrauch- und Besenheiden, mit Ginsterbüschen, Wacholdersträuchern und Kiefern, durch die sich nur wenige, leidlich ausgetretene Trampelpfade oder holprige Rollbahnen schlängelten. Inmitten dieser Heide, auf einer geräumigen Lichtung und unweit des mit Seerosen bedeckten Weihers, befand sich der Festplatz, auf dem in wenigen Tagen das Ahlbecker Schützenfest stattfinden sollte. Es war Donnerstag, der sechsundzwanzigste Juli, und noch waren nur wenige Schausteller und Gaukler zugegen, die ihre Zelte und Buden im Schatten der Bäume und Sträucher errichtet hatten. Die Stände und die dazugehörigen Wagen waren im Kreis um ein Sandloch herumgruppiert, das von Heidekraut und Gestrüpp befreit und in dessen Mitte eine riesige Holzstange aufgestellt worden war.

Das Gros der Musikanten, Spielleute, Possenreißer, Quacksalber und Marktschreier würde erst am Freitag oder Samstag in Ahlbeck eintreffen und den noch friedlich daliegenden Platz in einen lärmenden Ort des Trubels und der trunkenen Heiterkeit verwandeln. Dem fahrenden Volk würden die Bettler folgen, die jegliche Festlichkeit für ihre Zwecke zu nutzen wussten und den braven Leuten die Gelegenheit gaben, ihr Seelenkonto im Himmel aufzufüllen. Auch aus den umliegenden Dörfern würden die Leute herbeiströmen, teils um ihre Waren zu verkaufen, teils um sich mit den Ahlbeckern zu vergnügen oder aber Händel mit ihnen zu suchen. Noch aber war von all dem nichts zu sehen, Ruhe lag über der Lichtung, nur ein kleines Kind jammerte im Schlaf und ein Mann trat aus einem der Zelte, um an einem Baum seine Blase zu entleeren.

Es war kurz nach Sonnenuntergang. Daniel hockte auf einer großen Düne, den Hut tief ins Gesicht gezogen, und schaute sich im Dämmerlicht nach allen Seiten um. Vor ihm lag die Sandkuhle, hinter ihm der Seerosenteich, linker Hand konnte er den Ahlbecker Kirchturm schemenhaft erkennen, und zu seiner Rechten lag der Hof des Heidebauern. Nur von Roloff war noch nichts zu sehen.

In den vergangenen beiden Tagen war Daniel nicht untätig gewesen, er war durch die Gegend geritten, hatte die Höfe ausspioniert und war mit den Knechten und Mägden ins Gespräch gekommen. Wenn man etwas über die Herrschaft eines Hofes erfahren wollte, so war es erfahrungsgemäß am ergiebigsten, das Gesinde des Nachbarhofes auszuhorchen, das nicht selten vor Mitteilungsbedürfnis platzte. Nachbarn waren immer gut informiert und scheuten sich nicht, auch völlig Fremden ihre Ansichten zu unterbreiten. Daniels Notizbuch war mittlerweile bis auf die letzte Seite gefüllt, mit Banalem und Brisantem, mit Unbedeutendem und Ungeheuerlichem. Für Tabitha waren eher die kleinen und unscheinbaren Details von Belang, beim Wahrsagen kam es nicht auf das Prophezeien von großen Dingen an, viel wichtiger war es, beim Deuten einer Schrift oder Betrachten einer Hand auf Anhieb sagen zu können, dass die betreffende Person seit zwei Wochen Zahnschmerzen oder gerade eine fiebrige Grippe hinter sich hatte. All diese Winzigkeiten hatte er zusammen mit den wichtigen Angelegenheiten in seinem Büchlein notiert. Für Roloff hatte er zudem eine Karte angefertigt, auf der die Lage der Kotten und Gehöfte samt den vermuteten Wertgegenständen verzeichnet war. Er hatte auch ein weiteres Mal mit dem Pastor gesprochen und dafür die Laudes, das morgendliche Stundengebet in der Kirche, über sich ergehen lassen, doch der Pastor hatte beim anschließenden Frühstück lediglich mit ihm anstoßen oder über philosophische Fragen debattieren wollen. Auch Daniels Versuch, den Wirtsleuten auf den Zahn zu fühlen, hatte sich als nicht sonderlich ergiebig erwiesen. Der Wirt und seine Frau hatten sich stets vage oder ausweichend ausgedrückt, sobald es um Personen oder Ereignisse ging, die den falschen Scholaren persönlich interessierten. Vor allem Henrike war kein Wort über ihre Familie zu entlocken gewesen.

»Mein Vater ist tot, meine Mutter ebenfalls«, hatte sie gesagt, »mehr gibt es dazu nicht zu sagen.« Auch den Namen ihres Großvaters, des Schulzen, hatte sie nicht in den Mund genommen, gerade so als habe sie Angst, sich an ihm den Gaumen zu verbrennen.

»Und Eure Ziehmutter?«, hatte Daniel nachgehakt.

Für einen kurzen Moment war ihr Blick weich geworden, und sie hatte geantwortet: »Tante Johanna ist der einzige Mensch im Dorf, der jemals gut zu mir war. Sie ist eine Heilige, auch wenn die Leute behaupten, sie sei eine Hexe.« Dann hatte sie den Blick gesenkt und das Thema gewechselt.

Am heutigen Nachmittag hatte Daniel schließlich den Vogt und dessen Sohn Gregor kennengelernt. Heinrich Tenfelde war ein dürrer, alter Mann, der gebückt und auf einen Stock gestützt ging und Mühe beim Sprechen hatte. Seine Augen, die tief in seinem ausgemergelten Gesicht lagen, funkelten noch wie die eines Jünglings und zeugten von einem wachen Geist, aber körperlich war er ein Wrack. Seine Hände zitterten wie bei einem Alkoholiker vor dem ersten morgendlichen Schluck, und seine vorsichtigen und steifen Bewegungen verrieten, dass ihm jeder Knochen in seinem Leib wehtat. Sein Sohn Gregor war ein kleiner, unscheinbarer Mann mit einem Allerweltsgesicht, dessen Züge nicht gerade dazu einluden, auf die Leinwand gebannt oder in Gips modelliert zu werden. Er blieb stets an der Seite seines Vaters, redete nur, wenn dieser ihn dazu aufforderte, und vermied es ansonsten, die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu lenken. Gregor Tenfelde war die rechte Hand des Vogts, der getreue Sohn des gebrechlichen Patriarchs und weiter nichts. Der gelblichen Haut und den glasigen Augen nach zu urteilen, stand es auch mit seiner Gesundheit nicht zum Besten.

Der alte Tenfelde hatte von seinem Sohn Franz erfahren, dass sich ein vom Bischof gesandter Student im Dorf aufhielt, und war in die Schenke gekommen, um von Daniel zu erfahren, ob der Bischof seinem Vogt irgendetwas hatte ausrichten lassen.

Der junge Mann verneinte und betonte, er sei von Bernhard von Galen nicht in dessen Funktion als Grundherr, sondern in seiner Eigenschaft als Kirchenmann geschickt worden.

»Na dann«, antwortete Heinrich Tenfelde, nickte langsam und lächelte zufrieden. Er reichte dem Scholaren die Hand und verabschiedete sich, nicht ohne dem Bischof seine herzlichsten Grüße und seine untertänigste Ehrerbietung auszurichten.

Als Gregor ihm bereits die Tür der Schenke geöffnet hatte und der Vogt mit wackligen Beinen darauf zuwankte, drehte er sich noch einmal um und fragte: »Warum seid Ihr ausgerechnet nach Ahlbeck gekommen? Gibt es dafür einen Grund? Habt Ihr Verwandte hier?«

»Wie kommt Ihr darauf?«

»Ich habe nur laut gedacht«, antwortete der Alte mit finsterer Miene, stützte sich auf seinen Sohn und verließ das Wirtshaus.

»Von wegen«, murmelte Daniel, als er nun auf der Düne hockte und nach Roloff Ausschau hielt.

»Hallo, mein Junge!«, hörte er es plötzlich neben sich flüstern.

Der junge Mann fuhr herum und starrte in das spöttisch grinsende Gesicht seines Adoptivvaters, der direkt neben ihm im Dünensand saß.

»Anstatt zu träumen, solltest du lieber auf der Hut sein«, sagte Roloff und nahm seinen Ziehsohn in die Arme.

»Wie machst du das nur?«, erwiderte Daniel lächelnd und hielt Roloff an den Schultern. »Wie sehr ich auch aufpasse, stets tauchst du wie aus dem Nichts auf. Manchmal glaube ich, du bist ein Geist.«

»Mag schon sein.« Roloff zuckte mit den Schultern und fragte: »Wie ist es dir unter den Bauern ergangen? Hattest du eine ertragreiche Ernte?«

»Das kann man wohl sagen«, erwiderte Daniel und deutete auf das Notizbuch und die Karte in seinen Händen. »Gegen dieses Ahlbeck waren Sodom und Gomorrha die reinsten Stätten der Tugend. Es gibt wohl keine der sieben Todsünden, die in diesem lasterhaften Kaff nicht zu Hause ist. Ein einziges Sündenpfuhl, wenn du mich fragst. Trinker, Ehebrecher, Stutzer, Schmuggler, Familientyrannen und sogar Mörder. Ich habe alles genau notiert und euch einen Lageplan gezeichnet.« Er reichte Roloff das Notizbuch und setzte hinzu: »Ich vermute, du wirst Spaß bei der Lektüre haben, und für Tabithas Weissagungen ist auch einiges dabei.«

»Gute Arbeit«, antwortete Roloff und klopfte dem jungen Mann anerkennend auf die Schulter. »Fleißig wie eh und je.« Die Miene des Alten nahm einen ernsten und besorgten Ausdruck an, als er hinzusetzte: »Und deine eigene Angelegenheit? Hast du etwas herausgefunden? Ich hoffe, du hast meinen Ratschlag befolgt und warst vorsichtig.«

»Keine Bange«, antwortete Daniel. »Niemand ahnt, wer ich bin. Aber um ehrlich zu sein, ich bin in dieser Hinsicht auch nicht viel klüger als zuvor.« Er berichtete von den drei einflussreichen Ahlbecker Familien, von den jeweils drei Söhnen des Schulzen und des Vogts, von dem Mörder Joes, der vor etwa zwanzig Jahren am Galgen endete, von dem Schulzensohn Lambert, der kurz nach Ende des Krieges zu den Soldaten gegangen war, und von dem Wirt Franz, der zur gleichen Zeit den Gasthof »Zur alten Linde« als Wiedergutmachung für den Tod seiner Schwester erhalten hatte.

Bei der Erwähnung des Namens der Schenke horchte Roloff auf, verfiel aber kurz darauf wieder in nachdenkliches Schweigen. Schließlich schüttelte er den Kopf, sah Daniel verständnislos an und fragte: »Und was hat das alles mit der Geschichte im Bruchwald zu tun?«

»Genau das gilt es herauszufinden«, antwortete der andere. »Und deshalb sollten wir die Stelle suchen, wo du mich damals gefunden hast. Der Pastor hat eine Moorkapelle erwähnt, die von einem verrückten Eremiten in der Nähe der Kolkmühle erbaut wurde.«

»Glaubst du, dass dieser seltsame Heilige etwas mit der Sache zu tun hat?«

Daniel zuckte mit den Schultern. Eine Zeit lang saßen die beiden Männer schweigend nebeneinander, dann richtete sich Roloff auf und fragte: »Bist du sicher, dass du die Stelle sehen willst?«

Der junge Mann nickte.

»Gut«, sagte Roloff, »dann gehen wir morgen früh ins Moor.«

»Warum nicht sofort?«, erwiderte Daniel. »Lass uns aufbrechen. Der Mond scheint hell, und wir könnten in wenigen Stunden zurück sein.«

Roloff sah seinen Adoptivsohn lange an, schnaufte nachdenklich und machte eine abwehrende Handbewegung. »Der Mond geht bald unter«, sagte er. »Lass uns nach Sonnenaufgang reiten, ich habe keine Lust, mich nachts im Bruch herumzutreiben. Dort ist es schon tagsüber nicht geheuer.« Er klopfte dem anderen auf die Schulter und setzte hinzu: »Und jetzt genug davon! Du solltest deiner Mutter ›Guten Tag‹ sagen. Ich habe ihr erzählt, dass du die Wahrheit weißt, und sie ist mit dem Reisigbesen auf mich losgegangen. Tabitha macht sich Sorgen um dich.«

Daniels Miene verdüsterte sich, und er winkte ungeduldig ab.

Roloff packte den jungen Mann am Arm, stand auf und stieg mit ihm gemeinsam von der Düne hinab. Sie vergewisserten sich, dass der Festplatz verschlafen und menschenleer dalag, und schlichen sich im Schutz der Heidesträucher zu einem Zelt am gegenüberliegenden Ende des Platzes, das von außen mit den zwölf Tierkreiszeichen und anderen mystischen Symbolen bemalt war. Auf einer Holztafel über dem Eingang war zu lesen: »Madame Fortuna schaut in die Zukunft«. Neben dem Zelt standen Roloffs Apfelschimmel und der Planwagen, aus dessen Innerem das leise Atmen und Schnarchen der Familienmitglieder zu hören war.

»Sie schlafen bereits.« Daniel verlangsamte seinen Schritt.

»Ach was«, erwiderte Roloff und zog seinen Adoptivsohn mit sich, »Tabitha wartet im Zelt, und Kill ist auch noch wach.«

Daniel seufzte und nickte. In den letzten Tagen hatte sich ein seltsamer Wandel in ihm vollzogen, seit seiner Ankunft in Ahlbeck war er merklich unruhiger geworden, er fühlte sich verloren und orientierungslos. Er hatte erfahren, dass er aus dieser trostlosen Gegend stammte und seine leiblichen Eltern womöglich noch lebten, und obwohl er für die Bauern, die er in Ahlbeck kennengelernt hatte, kaum mehr als Verachtung und bestenfalls Mitleid empfand und um nichts in der Welt mit ihnen hätte tauschen wollen, kam er sich plötzlich wie der Heimatlose vor, der er im Prinzip immer schon gewesen war. Jedes Gesicht, das ihm begegnete, untersuchte er auf familiäre Ähnlichkeiten. Hatte dieser Knecht nicht eine ebenso weiße Haut wie er? Waren die Lippen jener Bäuerin nicht genauso schmal und farblos wie seine eigenen? Etliche Ahlbecker hatten rote Haare, viele hatten Sommersprossen, die meisten hatten blaue Augen. Vielleicht war er seiner Mutter schon begegnet, womöglich hatte er seinem Vater die Hand geschüttelt, ohne es zu ahnen. Wer vermochte das zu sagen? Und diese Unwissenheit irritierte und verunsicherte ihn.

Solange er geglaubt hatte, seine wirkliche Familie sei tot, war Roloffs und Tabithas Sippe sein Zuhause, seine witsa gewesen. Auch wenn es ihn immer wieder hinaus- und von den Seinen fortgetrieben hatte, so hatte er doch einen Platz gehabt, an den es ihn wie einen Magneten zurückgezogen hatte. Nun jedoch war er mit einemmal aus dem Gleichgewicht geraten. Nichts hatte sich an seiner Zuneigung zu Roloff, Tabitha und den anderen geändert, und doch war er nicht mehr derselbe. Er gehörte plötzlich nirgendwo mehr hin, er war ein Berührbarer geworden, und insgeheim wünschte er sich, Roloff hätte ihm niemals die Wahrheit gesagt. Gleichzeitig jedoch hatte sich eine ungeheure und zugleich ohnmächtige Wut in ihm angestaut, irgendjemand musste dafür büßen, dass er sich nun so entwurzelt und ratlos vorkam. Er hatte das dringende Bedürfnis, jemandem seine Faust ins Gesicht zu schlagen. Aber wem? Die drei Bauern im Moor waren sein einziger Anhaltspunkt. Er würde sie ausfindig machen. Sie würden seine Rache zu spüren bekommen, das hatte er sich geschworen. Er würde Gleiches mit Gleichem vergelten.

»Da ist ja der alte Halunke!«

In dem Moment, da sie vor dem Eingang des Zeltes ankamen, traten zwei Männer heraus, der eine war klein und schmächtig, der andere groß und stämmig. Bei dem Großen handelte es sich um Kill, Roloffs ältesten Sohn, er war ein regelrechter Hüne, dessen riesige Statur in direktem Verhältnis zu seiner Einfalt stand. Im Faustkampf und Ringen nahm es keiner mit ihm auf, und auf Jahrmärkten schlug er Nägel mit der bloßen Hand ins Holz, aber wenn man ihm nicht genau sagte, was er zu tun hatte, dann war er so hilflos wie ein kleines Kind. Auch jetzt stand er etwas verloren im Eingang, drehte seine Mütze in der Hand und blickte erschrocken zu dem zweiten Mann, der aus dem Zelt gestürmt und Roloff um den Hals gefallen war.

»Alter Halunke!«, wiederholte der Mann und verschluckte dabei nach Franzosenart das H. Er klopfte dem anderen auf die Brust und strich sich über den gezwirbelten Schnauzbart. »Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Sechs Jahre? Mon dieu! Dein Kill ist ja schon ein richtiger Mann. Und was für einer! Ich hätte ihn vorhin beinahe nicht erkannt. Ich habe in meinem Leben noch keinen so großen Zigeuner gesehen! Und deine Celestina erst, was für ein schönes Mädchen, quelle beauté. Sag, mein Freund, comment tu vas?«

»Pierre?«, rief Roloff freudestrahlend. »Du verdammter Froschfresser?! Mon ami!« Abermals fielen sich die Männer um den Hals.

Daniel betrachtete den Franzosen und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Der kleine Mann sah neben dem riesigen Kill und dem dicken Roloff recht unscheinbar und zwergenhaft aus. Die fehlende Größe und Fülle machte er jedoch durch seine Kleidung und Kopfbedeckung wett. Er trug eine bunte Landsknechtuniform mit geschlitzten Pumphosen und rotem Samtumhang, dazu ein farbenfrohes Wams und altmodische Kuhmäuler an den Füßen. Auf dem Kopf saß ihm ein breitkrempiges Barett, das unter dem üppigen Schmuck aus Straußenfedern kaum auszumachen war. Ebenso auffällig wie seine Kleidung war der Degen, den er an der Seite trug. Der ziselierte Griff war goldbesetzt und mit Parierbügel, Spangen und Stichblättern verziert. Ein herrliches Stück Schmiedearbeit.

»Und du bist der kleine Daniel, n’est-ce pas?«, wandte sich der Franzose an den jungen Mann, der etwas abseits stand und gezwungen lächelte. »Ich habe dich gleich erkannt. War auch nicht sonderlich schwer.« Er lachte schallend, streckte seine Hand aus und setzte hinzu: »Erinnerst dich wohl nicht an mich?«

»Ihr seid Pierre Thibault, der Kunstschütze und Meisterfechter«, antwortete Daniel und gab dem anderen die Hand. »Natürlich erinnere ich mich an Euch, werter Meister. Ihr habt mir damals den Arretstoß beigebracht.«

»O la la, warum so förmlich? Nenn mich Pierre, oder willst du mich beleidigen?« Er griff nach seinem Degen, grinste spöttisch und sagte: »Parbleu! Dann wirst du meine Klinge zu spüren bekommen.«

»Guten Abend, Pierre«, erwiderte Daniel lächelnd. »Schön, dich zu sehen! Wo hast du in den letzten Jahren gesteckt?«

»Mal hier, mal da.« Der Franzose tippte auf seinen Degen und sagte: »Ich habe mich wie üblich durchgeschlagen.«

Pierre Thibault oder der Chevalier von Bastia, wie er sich mittlerweile nannte, war tatsächlich ein Meister seines Faches. Trotz seines Künstlernamens stammte er weder aus einer Ritterfamilie noch von der Insel Korsika, sondern war ein Fischersohn aus Marseille, aber mit der Flintbüchse war er so zielsicher wie ein Wilhelm Tell, und die Klinge wusste er zu führen wie kein zweiter. Als Daniel ein kleiner Junge gewesen war, hatte er den Chevalier einige Male auf Jahrmärkten auftreten sehen, wo er dem staunenden Publikum zeigte, was unter einer flinken Klinge zu verstehen war. Junge Burschen hatten das zweifelhafte Vergnügen, sich gegen Bezahlung mit ihm zu messen, und stets wurden die Bauern und Handwerkslümmel zur Belustigung der kreischenden Menge vorgeführt. Nicht selten verließen die Heißsporne ohne Hemd und Hose die Bühne, da der Chevalier ihnen Gürtel und Kleider in kleine Schnipsel zerlegt hatte. Vor seiner Zeit als Jahrmarktsfechter und Kunstschütze hatte sich Meister Thibault jahrelang als Mietkontrahent durchgeschlagen. Unter den edlen Herren jener Zeit war es ein häufiger Zeitvertreib, sich untereinander zu duellieren, und ebenso gängige Praxis war es, zu diesen Duellen nicht selbst zu erscheinen, sondern gemietete Stellvertreter zu schicken. Ein nicht ungefährlicher, aber durchaus ertragreicher Beruf, der Pierre einige Schmisse im Gesicht einbrachte und ihn sein linkes Ohrläppchen kostete. Seine unglaublichen Fertigkeiten, seine Schnelligkeit, aber auch sein hitziges Gemüt, das ihn mehr als einmal über das Ziel hinausschießen ließ, verschafften dem Meister Thibault einen Ruf weit über die Grenzen seines Landes hinaus. Nachdem er jedoch bei einer Kontrahage nicht nur seinen ebenfalls gemieteten Gegner, sondern auch beide Auftraggeber aufgeschlitzt hatte (sie hatten eine abfällige Bemerkung über seine Körpergröße gemacht) und man deshalb Geld auf seinen Kopf aussetzte, wechselte er auf die andere Rheinseite und schloss sich den herumziehenden Schaustellern und Gauklern an. Aus Meister Thibault wurde der Chevalier von Bastia, und als solcher begegnete er dem Quacksalber Roloff Wagenknecht, mit dem ihn seit einer durchzechten Nacht im Keller einer badischen Schenke eine innige Freundschaft verband.

»Au diable! Tut das gut, euch zu sehen!«, sagte Pierre und nahm nun auch Tabitha, die mit ihrer Tochter Celestina aus dem Zelt herausgetreten war, in die Arme. »Meine Freunde, ich habe euch vermisst. Parbleu!«

»Was treibt dich ausgerechnet in diese gottverlassene Gegend?«, fragte Roloff, zog dem anderen den Degen aus der Scheide und fuhr mit dem Finger über die Klinge. »Hier wirst du kaum Burschen finden, die mit dieser Waffe umzugehen wissen.«

»Das ist wohl wahr«, antwortete der Franzose, »aber diese Tölpel sind viel zu stur und einfältig, um es sich einzugestehen. Ich war vor vier Jahren schon einmal hier, und ob du’s glaubst oder nicht, einige dieser Bauernlümmel sind dreimal gegen mich angetreten und mussten schließlich mit Gewalt davon abgehalten werden, ein weiteres Mal gedemütigt zu werden.« Pierre lächelte und tätschelte der hübschen Celestina, die etwa einen Kopf größer war als er, das Kinn. »Aber der eigentliche Grund, warum es mich wieder nach Ahlbeck zieht, ist eine Frau. O la la, was für ein Weib! Ihr Name ist Gisèle.«

»Gisela?«, rief Daniel. »Die Frau des Schmieds?«

»Du kennst sie?«, wunderte sich Pierre.

»Ich habe sie vor einigen Tagen gesehen«, antwortete Daniel und räusperte sich. Er suchte lange nach den Worten, bevor er hinzusetzte: »Sie nahm gerade eine Bibelstunde bei einem Kaplan.«

»Eine Bibelstunde?« Der Franzose riss die Augen auf und zwirbelte nachdenklich seinen Schnauzbart. »Das hört sich nicht nach meiner Gisèle an.« Und lachend setzte er hinzu: »Jedenfalls schien ihr zu meiner Zeit das zehnte Gebot noch fremd zu sein.«

Tabitha, die das Gespräch mit Missfallen verfolgt und immer wieder besorgt zu ihrer Tochter hinübergeschaut hatte, mischte sich nun ein und wechselte unvermittelt das Thema: »Pierre hat erzählt, dass der Heidebauer alle Schausteller zu einem Glas Genever eingeladen hat. Pierre ist gekommen, um dich zum Hof mitzunehmen.«

Tabitha war eine kleine, hagere Frau von kaum schätzbarem Alter, deren dunkle Augen rastlos hin und her gingen. Es war unverkennbar, von wem Celestina ihre Schönheit geerbt hatte, sie hatte das gleiche spitze Kinn, die gleichen hohen Wangenknochen und den gleichen stolzen Ausdruck im Gesicht. Auf den ersten Blick hätte man die beiden für Schwestern halten können. An Tabithas Ohren prangten riesige Kreolen aus Gold, ihre pechschwarzen, lockigen Haare hatte sie hochgesteckt und unter einer orientalisch anmutenden Haube verstaut. Sie nahm Celestina, die immer noch von Pierre beäugt und betätschelt wurde, beiseite und riet den Männern: »Wenn ihr euren Schnaps noch bekommen wollt, dann solltet ihr euch beeilen. Die anderen Männer sind bereits beim gadscho.«

»Er lädt uns in sein Haus?«, wunderte sich Roloff und gab dem Franzosen den Degen zurück. »Warum tut er das? Normalerweise werden wir vertrieben, sobald wir auch nur in die Nähe eines Hofes kommen, und nun schenkt uns dieser Bauer seinen Genever aus?«

»Ibing ist ein komischer Kauz«, sagte Pierre und kniff die Augen zusammen. »Aber er ist nicht auf den Kopf gefallen. Er weiß genau, was er von uns zu erwarten hat. Doch wenn er erst einmal mit uns angestoßen hat, dann wird es für uns schwierig sein, ihn übers Ohr zu hauen. Es fällt bekanntlich schwer, einen Mann zu betuppen, der einen zum Schnaps eingeladen hat. Bei der letzten Kirchweih hat er es genauso gehalten, und ich glaube, dieser Umtrunk war das Klügste, was er tun konnte. O nein, Ibing ist kein Dummkopf. Er lädt uns ein, um zu erfahren, mit wem er es zu tun hat.«

»Warum sollten wir dann hingehen?«, fragte Daniel.

»Warum? Mon dieu! Weil es Genever gibt!« Pierre schaute den jungen Mann an, als zweifle er an dessen Verstand.

»Dann lass uns gehen«, sagte Roloff und schlang seinen Arm um den kleinen Mann. »Meine Kehle ist schon ganz ausgetrocknet.«

»Kill und Daniel kommen natürlich mit«, erwiderte der Franzose.

Während Kill freudig strahlte und sich bei Pierre einhakte (was wegen des Größenunterschieds nicht ganz einfach war), blieb Daniel mit finsterer Miene zurück und machte keine Anstalten, sich den Männern anzuschließen.

»Au diable! Was soll denn das?!«, fuhr der Franzose herum und bedachte Daniel mit einem funkelnden Blick. »Willst du etwa die Einladung ausschlagen? Komm, trink mit uns!«

»Für mich wäre es nicht von Vorteil, wenn ich mich mit euch beim Bauern sehen lasse«, erwiderte Daniel und machte eine bedauernde Miene, die sofort einem erschrockenen Blick wich, als Pierre zu seinem Degen griff und mit einem Satz vor Daniel stand.

»Was soll das heißen?!«, rief der Chevalier und hielt ihm die Klinge unter die Nase. »Sind wir dir nicht gut genug? Quel affront! Willst du mich etwa beleidigen? Das ist noch niemandem gut bekommen!«

»Nein, nein«, beteuerte Daniel, wich einen Schritt zurück und hielt abwehrend die Hände in die Höhe. »Es ist nur so, dass ich mich schon seit einigen Tagen im Dorf herumtreibe, und wenn ich mich nun zusammen mit euch blicken lasse, dann ist meine Tarnung hin.«

»Unsinn!«, entgegnete Pierre und schüttelte den Kopf. »Niemand wird dich zwingen, den Mund aufzutun. Setz dich meinetwegen in eine Ecke und zieh deine Kapuze tief ins Gesicht, aber wenn du meine Einladung ausschlägst, dann werde ich dir das nie verzeihen.«

»Deine Einladung?«, wunderte sich Daniel. »Ich dachte, der Bauer hätte uns eingeladen.«

»Nun hört euch diesen Klugscheißer an!«, rief Pierre und wandte sich Hilfe suchend zu Roloff um. »Was sagt man dazu?!«

Roloff stand nur da, machte eine bedauernde Miene und zuckte mit den Schultern. Dann wandte er sich an Daniel: »Wir haben, was wir brauchen«, sagte er und deutete auf das Notizbuch in seiner Hand, »außerdem werden wir unter uns sein.«

Celestina hatte sich mittlerweile zu Daniel gesellt. Sie grinste listig, legte ihre Hand auf seine Schulter, als wolle sie ihm moralische Unterstützung geben, und flüsterte ihm ins Ohr: »Geh lieber mit, Bruderherz, sonst bekommt der Chevalier noch einen Blutandrang. Er hat schon ganz rote Ohren.«

»Er wird’s überleben«, murmelte Daniel mürrisch.

»Er ist Franzose«, antwortete sie, »vielleicht wirst du es nicht überleben. Und das wär’ doch schade, findest du nicht?«

Daniel musste gegen seinen Willen lächeln, und um seinen Widerstand war es geschehen. Gegen Celestina war einfach kein Kraut gewachsen. Egal wie störrisch und dickköpfig er sich auch verhielt, in ihren Händen wurde er stets zu Wachs. Sie behexte ihn mit ihren schwarzen Augen, wickelte ihn mit ihrer säuselnden Stimme um den Finger, und schon tat er Dinge, gegen die er sich zuvor standhaft gesträubt hatte.

»Meinetwegen«, flüsterte er, näherte sich ihr und holte tief Luft. Verwundert stellte er fest, dass Celestina nach Ambra und Vanille roch. Sie hatte ein Duftöl aufgetragen, und er fragte sich, wieso. Duftstoffe kosteten ein Vermögen, und Daniel kannte seine Schwester nicht als verschwenderische Person.

»Ist was?«, fragte sie. »Du guckst so komisch.«

Er schüttelte den Kopf, fuhr abrupt herum, räusperte sich, verbeugte sich vor dem Chevalier und sagte: »Also gut, Meister Thibault. Aber nur ein Glas!«

»Recht so!« Pierre steckte seinen Degen ein, klopfte dem jungen Mann auf die Schulter, schaute Celestina nach, die in diesem Moment zum Zelt ging, und fragte: »Was hat sie dir ins Ohr geflüstert?«

»Dass sie dich für einen bewundernswerten Mann hält«, antwortete Daniel mit finsterer Miene. »Und dass ich mich nicht wie ein Flegel benehmen soll.«

»Tatsächlich?« Pierre blieb stehen, wandte sich erneut nach dem Zelt um und setzte murmelnd hinzu: »Quelle femme!«

Siebentes Kapitel – In welchem von Hexerei die Rede ist

Wie Daniel bereits durch das Fernrohr des Pastors gesehen hatte, unterschied sich der Hof des Heidebauern auffallend von den anderen Höfen des Dorfes und überhaupt des gesamten Umlandes. Während diese von einem riesigen Hallenhaus dominiert wurden, in dem sich Stall, Tenne und bewohnter Flett unter einem zumeist reetgedeckten Dach befanden, und zudem von einer Wehr oder einem Wall umfasst waren, handelte es sich bei dem Hof des Bauern Ibing um einen so genannten Haufenhof. Viele kleinere Gebäude, Stallungen und Wohnhäuser waren ohne erkennbare Struktur auf dem Gelände verteilt. Sie wuchsen geradezu wie Pilze aus dem Boden und schienen mit der umliegenden hügeligen Heide zu verschmelzen. Es gab weder einen gegen den Wind schützenden Hain noch einen zentralen Platz. Die einzelnen, zumeist niedrigen und lang gezogenen Hütten waren aus Holz gezimmert und mit Schindeln gedeckt. Da der Heidebauer von Schafzucht und Schnapsbrennerei lebte, brauchte er keine fuderhohen Gebäude, weder war eine Tenne zum Dreschen noch ein Schober zum Lagern des Getreides und Strohs vorhanden. Im Gegensatz zu den Höfen des Schulzen und des Vogts wirkte der Heidehof ein wenig ärmlich, zumindest schien der Bauer wenig Wert auf äußeres Erscheinen zu legen. Die Gebäude sollten nicht schön oder repräsentativ, sondern lediglich zweckdienlich sein. In dem Maße wie die Zahl seiner Schafe angestiegen war, hatte sich auch die Anzahl der Hütten und Stallungen vermehrt. Es wurde gebaut, wo gerade Platz war, und so hatte sich diese zufällige Ansammlung von Gebäuden ergeben.

Trotz der Dunkelheit und der Vielzahl der Hütten hatten die vier Männer, die sich nun vom Festplatz her näherten, keine Schwierigkeit, den Ort des Umtrunks ausfindig zu machen. Vor einem lang gezogenen Holzhaus, das sich im Windschatten einer Düne befand und dessen hinteres Ende bereits mit Sand bedeckt war, so dass es aussah, als wachse die Hütte aus der Düne heraus, hing eine Laterne, und als sich Daniel mit den anderen näherte, hörte er bereits die Stimmen und das Lachen der Trinkenden.

»Sie sind im Herrenhaus«, sagte Pierre und deutete auf das Haus, das sich von den anderen lediglich dadurch unterschied, dass das Holz, aus dem es erbaut war, dunkler und damit älter war.

»Das ist das Herrenhaus?«, wunderte sich Roloff, schüttelte den Kopf und wandte sich an Daniel: »Hast du nicht gesagt, dieser Heidebauer sei einer der reichsten Männer des Dorfes.«

»Das ist er auch«, bestätigte der Franzose, »aber er ist nicht dumm genug, es allen zu zeigen. Il n’est pas un idiot! Während des Krieges, aber auch in den Jahren danach ist das Dorf einige Male von Räuberbanden und marodierenden Soldatentrupps überfallen worden, die Gauner haben geplündert, was ihnen unter die Finger gekommen ist, aber Ibing ist stets ungeschoren davongekommen. Sie haben ihm einige Fässer Schnaps weggesoffen und ein paar Stück Vieh geschlachtet, aber die Schätze, die er irgendwo versteckt haben muss, haben sie nicht entdeckt. Weil der Hof so erbärmlich aussah, haben sie überhaupt keinen Schatz vermutet.«

»Woher weißt du das alles?«, fragte Kill. Es war der erste Satz, der ihm an diesem Abend über die Lippen gekommen war. Das Reden war seine Sache nicht, er hörte lieber zu und wartete, bis man ihm Befehle erteilte.

»Bei der letzten Kirchweih haben wir zusammen gezecht«, antwortete Pierre und streckte sich mächtig, um Kill auf die Schulter zu klopfen. »Und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich diesen verrückten Hollandais ins Herz geschlossen habe. Wir haben sogar Brüderschaft getrunken.«

»Und er hat dir von dem Schatz erzählt?«, wunderte sich Roloff.

»Das nicht«, erwiderte Pierre, »aber es wurde einiges gemunkelt.«

Die Gruppe hatte mittlerweile das Haus erreicht. Pierre schritt voraus, öffnete die niedrige Eingangstür und führte die anderen durch einen dunklen Flur in einen mit Kerzen und Fackeln beleuchteten Raum, in dessen Mitte ein riesiger Tisch aufgestellt war. Der Raum wirkte sehr ärmlich und dreckig, es roch nach ranzigem Fett und Schafsdung, der Boden war mit weißem Dünensand bedeckt, und außer dem Tisch und einer wurmstichigen Vitrine gab es kein Mobiliar. Mehrere Männer und einige Frauen hatten sich um den Tisch gesellt, am Kopfende saß ein alter Mann von vielleicht sechzig Jahren, dessen Schädel beinahe kahlköpfig war. Nur über den Ohren waren einige Büschel grauer Haare übrig geblieben, die ihm wie kleine Flügel rechtwinklig vom Kopf abstanden.

Der Alte erhob seinen Becher, schaute belustigt in die Tafelrunde und rief: »Zum Wohl, meine Freunde!« Dann gewahrte er die Männer an der Tür und hielt im gleichen Moment inne.

Von den Schaustellern und Gauklern, denen der Alte zugeprostet hatte und die sich nun ebenfalls den Eintretenden zuwandten, waren Daniel die meisten bekannt. Direkt neben dem Bauern saß der Zwerg Gustav, ein winziger Kerl mit großem Kopf und viel zu kurzen Extremitäten, der als Possenreißer auftrat und den albernen Dummkopf mimte, der er keineswegs war. Zu seiner Rechten saß Malte Stürzenbecher, ein Bänkelsänger, der gemeinsam mit seiner Frau Gunhild, die neben ihm saß, von Ort zu Ort zog und seine blutrünstigen Bänkelsänge zum Besten gab. Stürzenbecher, angeblich ein direkter Nachfahre des Piraten gleichen Namens, wusste stets die neuesten Nachrichten aus dem ganzen Reich zu verkünden. Seine Spezialitäten waren Morde, Hinrichtungen und Spukgeschichten. Auf der anderen Seite des Tisches saß eine dunkelhaarige Frau, der Daniel bislang noch nicht begegnet war, sie war unglaublich groß und dürr, und in ihrem Gesicht spross ein schwarzer Vollbart, der ihr bis auf die Brust reichte. Ihr zur Linken hockte ein männliches Muskelpaket, dessen Arme und Beine wie Fässer aussahen und um dessen Bauch ein breiter Gürtel gespannt war, der dem Mann die Luft zu nehmen schien. Daniel vermutete, dass es sich um den Gewichtheber Frante Balázs handelte, von dem Kill ihm erzählt hatte. Frante war Ungar und nicht größer als der Chevalier von Bastia, aber in puncto Kraft und Stärke war er der einzige, der es mit Kill aufnehmen konnte. Am vorderen Ende der Tafel schließlich saß der Magier Wladimir, ein junger Mann mit weiß geschminktem Gesicht, der von sich behauptete, aus Russland zu stammen, und gerne russische Wörter in seine Reden einflocht, obwohl sein näselnder Tonfall ihn als Sachsen entlarvte.

Während Pierre, Roloff und Kill in die Stube traten und ihre Mützen abnahmen, blieb Daniel an der Tür stehen, ließ seinen Schlapphut auf dem Kopf und betrachtete misstrauisch den Bauern, der sich im gleichen Moment erhob und die Arme ausbreitete.

»Meister Thibault!«, rief er, und ein freudiges Strahlen legte sich auf sein Gesicht. »Wie schön, dass du gekommen bist. Ich habe dich schon vermisst, du alter Gauner. Komm her, Bruder!«

»Gerrit, mon frère«, antwortete der Franzose und schüttelte dem anderen die Hand. »Du weißt doch: Wo der Schnaps ist, da ist der Chevalier von Bastia nicht weit!«

»Setzt euch«, antwortete Ibing und deutete auf den Platz neben Malte und seiner Frau, »es ist genug Genever für alle da. Nehmt Platz und trinkt mit uns. Wer sind denn deine Freunde?«

»Das sind Roloff und sein Sohn Kill«, sagte Pierre und setzte dann mit Blick auf Daniel hinzu: »Und ein guter Freund.«

»Ein namenloser Freund?« Das Grinsen im Gesicht des Bauern verschwand für einen Moment, als er den Mann mit dem schwarzen Umhang und dem Schlapphut aus den Augenwinkeln beobachtete, doch im nächsten Augenblick strahlte er wieder, reichte Roloff und Kill die Hand und sagte: »Willkommen in Ahlbeck! Ich habe bereits von euch gehört.« Er puffte Kill freundschaftlich am Ärmel und setzte hinzu: »Du sollst ja ein richtiger Bär von Mann sein.«

Kill lächelte geschmeichelt und blieb stumm.

Daniel hatte sich inzwischen neben Wladimir ans untere Ende der Tafel gesetzt und ließ den Heidebauern nicht aus den Augen. Abgesehen von der Glatze, die im Kerzenschein regelrecht glänzte, und dem holländischen Akzent, den Ibing nicht abgelegt hatte, obwohl er doch schon seit Jahrzehnten in Deutschland leben musste, waren bei diesem Mann vor allem die Augen bemerkenswert. Während seine Mundwinkel stets nach oben zeigten und ihn als harmlosen Kerl erscheinen ließen, gingen seine Augen rastlos hin und her. Auch wenn er herzhaft und beinahe kindlich lachte, waren sie auf der Lauer, wie bei einem Tier, das sich von Raubtieren umgeben glaubt und nach allen Seiten Ausschau hält. Das Auffälligste aber war die Farbe der Augen. Während das linke in hellstem Blau erstrahlte, war das rechte von einem galligen Grün. Außerdem fiel Daniel auf, dass Ibing sein Gegenüber nie ansah, wenn er mit ihm sprach. Statt dessen starrte er, wie im Moment bei Kill, auf einen Punkt irgendwo auf der Brust des Angesprochenen. Vermutlich hatte er Angst, seine Augen könnten seine Gedanken verraten.

»Und Ihr, namenloser Freund, was treibt Euch nach Ahlbeck?«, wurde Daniel aus seinen Gedanken aufgeschreckt. »Ihr scheint mir nicht zu den Schaustellern zu gehören.« Der Bauer hatte ihn zwar angesprochen, gleichzeitig aber die Holzbecher gefüllt und dabei auf den Tisch gestarrt. »Habt Ihr übrigens ein Augenleiden?«, setzte er hinzu und prostete der Runde zu. »Oder warum habt Ihr den Hut so tief ins Gesicht gezogen?«

Daniel, dem klar war, dass er sein Versteckspiel nicht weiter fortführen konnte, nahm den Hut ab und schaute dem anderen direkt ins Gesicht, ohne jedoch dessen Blick zu erhaschen. »Ich bin ein fahrender Student«, sagte er, prostete dem Bauern zu und leerte den Becher, den dieser ihm gefüllt hatte.

»Dann seid Ihr Magnus, der Theologiestudent?« Ibing grinste schelmisch, während er sich gleichzeitig die Pfeife stopfte. »Man hat mir von Euch berichtet. Ihr scheint ein neugieriger Bursche zu sein.«

»Ich schreibe im Auftrag des Bischofs an einem Traktat über …«

»Dummes Zeug! Verschont mich mit Euren Märchen!« Der Bauer lachte und winkte mit der Hand ab. »Wenn Ihr ein Theologiestudent seid, dann bin ich Papst Klemens persönlich. Für wie dämlich haltet Ihr mich eigentlich?!«

Einen Moment lang herrschte eisiges Schweigen, alle starrten den Bauern an und wussten nicht, wie sie reagieren sollten. Roloff schaute zu Daniel, doch der lächelte nur finster, als hätte er nichts anderes erwartet. Plötzlich jedoch sprang Pierre auf, zog den Degen aus der Scheide und hielt dem Holländer die Klinge an den Adamsapfel.

»Parbleu! Was soll das heißen?!«, rief er wutentbrannt. »Das geht nun wirklich zu weit, Gerrit. Wenn du meine Freunde beleidigst, dann beleidigst du mich. Nimm deine Bemerkung zurück, sonst muss ich …«

»Godverdoemme«, zischte der Bauer, ohne jedoch seine Tätigkeit zu unterbrechen oder sein Gegenüber anzuschauen. »Steck den Degen ein, Pierre, und lass dieses Possenspiel! Wir sind schließlich erwachsene Menschen und sollten uns nicht benehmen wie die Rotzlöffel.« Er deutete mit der Pfeife ans untere Ende der Tafel und setzte hinzu: »Dieser Mann dort heißt Daniel Wagenknecht, und er gehört zu diesem ehrenwerten Quacksalber.« Jetzt richtete er seine Pfeife auf Roloff und verbeugte sich gleichzeitig. »Ihr seht, auch ich habe meine Spione. Ich weiß nicht, warum er sich als frommer Mann ausgibt, aber das ist mir auch ganz egal. Von mir aus kann er herumbaldowern und aufs Kreuz legen, was und wen er will, solange er mich in Ruhe lässt. Und nun lasst uns trinken.«

»Wen nennst du hier einen Baldower?«, ereiferte sich Pierre und fuchtelte mit dem Degen vor der Nase des anderen herum. »Nimm das zurück!«

»Schon gut, Pierre«, mischte sich nun Daniel ein. »Der Bauer hat Recht. Du kannst den Degen wieder einstecken. Ich danke dir, dass du meine Ehre retten wolltest, aber ich glaube, heute Abend sollte kein Blut vergossen werden.«

»Ein treffliches Wort«, erwiderte Ibing nickend.

Meister Thibault hielt erstaunt inne, ließ den Degen in die Scheide fahren, verbeugte sich formvollendet in alle Richtungen, verschränkte die Arme vor der Brust und setzte sich schmollend auf seinen Platz.

»Wenn Ihr glaubt, dass wir unehrenhafte Motive haben«, wandte sich Daniel an den Bauern, »warum ladet Ihr uns dann zu Euch ein?«

»Wie ich bereits sagte«, antwortete Ibing, wobei er seinen Blick im Kreis herumgehen ließ, »was ihr Gauner mit den Ahlbeckern anstellt, interessiert mich nicht. Plündert sie, übervorteilt sie, spielt ihnen Streiche und setzt ihnen Hörner auf.« Bei seinen letzten Worten richtete er seinen Blick in Pierres Richtung, der einen roten Kopf bekam und zu Boden starrte. »Was kümmert’s mich? Haltet euch meinetwegen an den Dummköpfen schadlos. Nehmt sie aus wie eine Gans zu Weihnachten. Meinen Segen habt ihr. Solltet ihr allerdings versuchen, mir ans Leder zu gehen, so werdet ihr das bitter bereuen. Jedem, der mich hinters Licht führen will, werde ich ohne vorherige Warnung eine Kugel in den Kopf jagen. Begrijpt u dat?« Er spuckte zu Boden, zündete sich die Pfeife an und setzte paffend hinzu: »Und übrigens … hört endlich mit diesem albernen ›Ihr‹ und ›Euch‹ auf, da wird mir ja ganz schwindlig. Ich bin Holländer und mag dieses Getue nicht. Ich heiße Gerrit, und wer nicht ›du‹ zu mir sagt, bekommt keinen Schnaps mehr.«

Die Becher wurden gefüllt und ein Prosit ausgebracht.

»Warum lässt Euch … äh, warum lässt dich das Schicksal der Ahlbecker so kalt?«, wunderte sich Malte, der Bänkelsänger, nachdem er seinen Becher geleert und ihn gleich eigenhändig wieder aufgefüllt hatte. »Solltest du nicht etwas Mitgefühl für deine Nachbarn und Freunde haben?«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739350332
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (September)
Schlagworte
Rache Münsterland Moor Abenteuer Westfalen

Autoren

  • Tom Finnek (Autor:in)

  • Mani Beckmann (Autor:in)

Tom Finnek (Pseudonym des Autors Mani Beckmann) wurde 1965 in Westfalen geboren und lebt als Filmjournalist, Drehbuchlektor und Schriftsteller in Berlin. Unter dem Namen Mani Beckmann erschienen neben einigen Berlin-Krimis seine historischen Moor-Romane, die im Münsterland angesiedelt sind. Unter dem Pseudonym Tom Finnek schreibt er seit 2009 historische London-Romane. Tom Finnek/Mani Beckmann ist verheiratet und Vater von zwei Söhnen.
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Titel: Die Kapelle im Moor