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Wellen schlagen gegen meine Seele

Ungereimtes

von Bettina Ittermann (Autor:in)
78 Seiten

Zusammenfassung

Die Gedichte in diesem Band kommen bisweilen »ungereimt« daher. Doch ihre Eindringlichkeit setzt sich fest und verwurzelt tief. Es geht um Liebe, Gemeinsamkeiten und Mut, aber auch um Abschied, Trauer und innere Zerrissenheit. Sie finden hier Worte der Ermutigung, Worte für Sprachlosigkeit und Worte der Zuversicht. Alltagssituationen, Dinge oder Figuren werden mit Wortspielen oder Gedankensprüngen nachdenklich, humorvoll und manchmal auch etwas skurril betrachtet. - Erstauflage in 2018 -

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Wellen schlagen gegen meine Seele

 

Ungereimtes

 

Bettina Ittermann

Wellen schlagen gegen meine Seele

Wellen schlagen gegen meine Seele
und der Wind stürmt um mein Herz.
Gefühle lassen mich nach Atem ringen,
manchmal für Sekunden, manchmal für Jahre,
doch die Zeit bleibt nie wirklich stehen.


Meine Tränen werden immer wieder trocknen,
meine Wunden werden heilen,
denn du singst für mich ein tröstendes Lied.

Mondfahrt[Fußnote 1]

Ohne Warnung
fiel ein kleiner Mond
in unsere Hände.
Wir sahen uns.

 

Ohne zu ahnen
zögerten wir nicht
einen anderen Weg zu gehen.

 

Ohne zu denken
schmiedeten wir Pläne
den Mond zu besuchen
die Wunder zu finden
von denen man uns erzählt hatte.

 

Ohne zu erkennen
erreichten wir den Mond
erstaunt über die Kälte
mit der wir nicht gerechnet hatten.

 

Ohne zu trauern
verabschiedeten wir uns voneinander
du wolltest auf dem Mond bleiben.
Ich wollte weiter.

Auf Krücken über die Emscher

Ich reise
mit dem Treppenlift zur Haustür.
Er wird 2027 installiert.
Ich sammle Erinnerungen
und Träume, an denen
ich vorbeifliegen werde.

 

Die Füße wollen nicht mehr,
der Rücken auch nicht.

 

Stufen werden von Rampen verborgen,
im Briefkasten
der Kostenvoranschlag vom Sanitätshaus.
Reihenhausidylle:
Rollatorhäuschen statt Geräteschuppen.

 

Der Nachbar fährt Rollstuhl mit Anhänger:
Kühlschrank, Grill, Waffeleisen, Minidixi,
Picknick an der Emscher,
doch die wird noch renaturiert.

 

Ich stehe auf der Warteliste des
Seniorenstiftes »Marina Pantringshof«
und dann stehe ich da
mit meinem Rollator,
die Krücken werden vom ASB transportiert,
ich übernehme sie später und dann
auf Krücken über die Emscher,
aber nur dieses Jahr,
denn 2028 ist Weltrollatortreffen
in unserer Siedlung.

Beeile dich

Nielmals kommt es vor, dass einer Zeit hat
beeile dich.

 

Noch nicht angekommen sind wir schon wieder weg
nun komm schon.

 

Noch nicht geboren ist das Leben bereits verplant
trödele nicht.

 

Auf vielen Reisen wird niemals Halt gemacht
- lass uns jetzt weiter.

 

Gespart wird immer für später, dann werden wir es besser haben
jetzt nicht.

 

Doch manchmal wird einer wütend,
wenn zur Vorspeise gleich der Hauptgang gereicht wird.

Worte

Worte legen sich auf meine Haut,
fallen herunter
und zerbrechen,
bevor sie gesprochen werden können.
Worte fallen von meiner Haut.

Das Gedicht

Das Gedicht ist schön,
will aber nicht verstanden werden.

 

Das Gedicht ist jung
und will nicht erwachsen werden.

 

Das Gedicht hat ein Gesicht
und sieht dich ständig an.

 

Erst ist das Gedicht traurig
und will mit dir weinen.

 

Dann wird es sonnig und
ist jeden Buchstaben wert.

 

Morgen ist das Gedicht neu
und hat ein anderes Gesicht als heute.

 

Das Gedicht ist warm und wird heißer,
bis es vor deinen Augen verglüht.

 

Das Gedicht ist großkariert
und hält dir alle Wege offen.

 

Das Gedicht gehört nur sich selbst,
du kannst es nicht besitzen.

 

Das Gedicht erhebt sich
und fliegt mit dir fort.

 

Das Gedicht schlängelt sich so durch,
um ans Ziel zu kommen.

 

Das Gedicht trauert
und hat Tränen in jeder Strophe.

 

Das Gedicht trocknet aus
bis zur Unverständlichkeit.

 

Das Gedicht schaukelt
dich sanft in den Tag hinein.

 

Das Gedicht ist bald Zuhause.

 

Das Gedicht ist eines von den
melancholischen Gedichten.

Von Ufer zu Ufer

von Ufer zu Ufer
und wieder zurück
sanftes Wasser singt ein Wiegenlied
von Ufer zu Ufer
und wieder zurück
die Mutter sagte, du musst schwimmen
von Ufer zu Ufer
und wieder zurück
Fragen schwimmen mit
von Ufer zu Ufer
und wieder zurück
Strömungen reißen dich fort
von Ufer zu Ufer
und wieder zurück
ohne jemals eines zu betreten
von Ufer zu Ufer
und niemals an Land.

Eine Hoffnung

Hätte ich tausend Füße,
könnte ich nach Madagaskar gehen,
aber ich habe nur tausend Euro
und der Flieger landet
bevor ich gestartet bin.

 

Sähe ich tausend Pfade,
könnte ich meinen Weg suchen,
aber ich sehe nur tausend Straßen,
auf denen rechts und links überholt wird.

 

Hätte ich tausend Chancen,
könnte ich eine ergreifen,
aber ich sehe nur tausend Möglichkeiten
und kann mich nicht entscheiden.

 

Hätte ich tausend Lachen,
würde ich sie mit euch teilen,
aber ich habe nur tausend Tränen,
die ich alleine weinen muss.

 

Hätte ich tausend Erfahrungen,
würde man mich weise nennen,
aber ich blicke auf tausend Enttäuschungen
und hoffe doch,
es ist noch Zeit für uns zu lernen.

Und am nächsten Tag[Fußnote 2]

morgens früh
gibt es einen großen Zahnhof
ich begebe mich trotz unverändert
anhaltender Bahnschmerzen
in die noch leere Zahnhofshalle

 

die anderen Zahnfahrer trudeln
so nach und nach ein
mit und ohne Bahnersatzkarte

 

ein unruhiges Gefühl: meine Frisur sitzt
aber mein Bahnstein bringt mich um

 

auf der Rolltreppe zum Zahnsteig
bekomme ich Hunger und
träume von Bahnpasta Bolognese

 

oben sagt die Bahnfee zu mir:
die nächsten drei Züge hast du frei –
eine Zahnreise kann beginnen

 

doch an mir vorbei drängeln sich andere
Zahnreisende und fragen den Zahnbegleiter:
hält der Zahn auch in Wanne-Eickel oder
können wir noch eine Runde oder
geht der Zahn auch schneller und höher?

 

ich will das alles nicht und gehe
in den Wartesaal und
warte dort auf die Weisheitsbahn

Im Pub

Whiskey oder Guinness,
ein Mann grinst durch die Brille.
M. bestellt Muckefuck,
der Zeitpunkt verschwindet.
Die Zeiten werden nicht mehr schöner.
Was willst du?
Der Kellner eilt.
Zwei Gläser in der Hand sind
so schwer wie die Welt.
Hiervon eine Durchschrift an M.
Gehörte Wörter nicht verstanden.
Warum denn so schnell?
Feunde und Fremde,
die salzigen Augen,
müde Männer und lachende Frauen.
Nicht alles passt nicht immer.
Wir wollen zusammenkommen und
auf Kissen aus Locken gebettet werden.
Doch auch geschriebene Worte
werden manchmal vergessen.
Leg die Worte in den Mund,
irgendwas passt immer mal nicht.
Wer hat das Lächeln gesehen?
Ich nehme Wörter und mache Sätze daraus.
Ich bin immer wieder überrascht,
erinnern kann ich mich nicht mehr.
Wir hätten am liebsten von jedem alles,
und denken dürfen wir sowieso,
was wir wollen:
Redehemmungen im Ruheraum,
laute Wörter von Rumpelstilzchen.
Schlafende Körper – ohne Worte – sprachlos.
Mr. Invisible in der Biersauna,
der Computer grüßt nicht mehr,
Birnen in der Biosauna.
Gefühle dehnen sich aus,
mit Goethe im Ruheraum.
Gespenster in meinem Gehirn,
wo sind alle meine If-Horses?

Autor

  • Bettina Ittermann (Autor:in)

Bettina Ittermann ist 1962 im Ruhrgebiet geboren worden und lebt und arbeitet auch heute noch dort. Eher zufällig, aber nicht versehentlich, landete sie 1999 beim kreativen Schreiben. Dort verweilte sie – ganz bewusst – zu lange, so dass sie süchtig wurde. Süchtig nach der Freude, sich künstlerisch auszudrücken, zwischen den Zeilen zu schreiben und Menschen mit Absurditäten zum Lachen und Nachdenken zu bringen. Sie hat eine Autorenschule besucht und mittlerweile zwei Bücher veröffentlicht.
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Titel: Wellen schlagen gegen meine Seele