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Keine Klischees mehr

von Shea Balik (Autor:in)
135 Seiten
Reihe: Miracle, Oregon, Band 4

Zusammenfassung

In einer Welt, in der alle gegen sie sind, brauchen sie ein Wunder. Niemand erwartet, die Rettung in einer verlassenen, einsturzgefährdeten Stadt zu finden. Und doch passiert genau das, als sie in die Stadt „Miracle“ in Oregon ziehen. Kellach Alder hatte in seinem Leben nie die Chance, der Mann zu sein, der er hätte sein können. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass er sich erheben und zu dem werden musste, der er sein wollte, um von anderen in einem neuen Licht gesehen zu werden. Trygg Snow hat den Auftrag, Kellach und seine Freunde zu töten. Aber tief in seinem Inneren weiß Trygg bereits, dass er dazu nicht fähig sein wird, sobald er seinem Gefährten von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht. Wenn der Pumawandler Kellach doch nur an dem Umstand vorbeisehen könnte, dass Trygg ein Wolfwandler ist. Allen Widrigkeiten und einer ganzen Armee auf dem Vernichtungsfeldzug zum Trotz müssen Trygg und Kellach ihre Differenzen überwinden, wenn sie überleben wollen. Und das bedeutet: keine Klischees mehr! Ein homoerotischer Liebesroman für Erwachsene mit explizitem Inhalt. Jeder Band dieser Reihe geht auf die romantische Beziehung eines anderen Paares ein. Länge: rund 33.000 Wörter

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1

„Das ist nicht fair“, beschwerte Kellach sich bei Harper und Jari. Er saß am Tresen in der Mausefalle, dem Diner, das seine Freunde kürzlich eröffnet hatten.

„Was ist los?“, fragte Harper, der gerade mehrere frischgebackene Kuchen in die gläserne Kühlvitrine hinter dem Tresen sortierte.

Kellachs Magen knurrte beim Anblick seines Lieblingskuchens – Schokoladencremetorte mit einer dicken Schicht Schlagsahne und Schokoraspeln obendrauf. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. „Ich nehme ein Stück von der Schokotorte.“

Harper grinste, zog den Kuchen wieder aus der Vitrine und schnitt ein Stück heraus. Sobald Harper den Kuchenteller vor Kellach abgestellt hatte, machte der sich darüber her. Er stöhnte, als die cremige Schokolade mit Sahne auf seine Zunge traf. „Fantastisch wie immer, Harper“, lobte Kellach, nachdem er den ersten Happen heruntergeschluckt hatte. Er musste dringend aufhören, so wie jetzt seinen Frust wegzuessen, sonst würde er nur dick werden.

„Also, erzählst du uns jetzt, was nicht fair ist, oder müssen wir raten?“, fragte Jari.

Eigentlich hatte Kellach gar nicht herumjammern wollen und mehr oder weniger darauf gebaut, dass seine Freunde nicht weiter darauf eingehen würden, aber wie üblich war das Glück nicht auf Kellachs Seite. Sein Vater hatte ihm stets eingebläut, dass „echte Männer“ nicht jammerten. Er war bis heute nicht sicher, was damit eigentlich gemeint war, aber er hatte den starken Verdacht, dass es ein Seitenhieb auf seine besondere, beinahe feminine Anmut gewesen war.

Wieso es seine Schuld war, dass er dichte, lange Wimpern hatte, hohe Wangenknochen und üppige Lippen, wusste Kellach nicht, aber der Ausdruck von Abscheu im Gesicht seines Vaters hatte immer ausgereicht, um ihm das Gefühl zu geben, dass es irgendwie sein Fehler war.

Da er an seinem Aussehen nicht viel ändern konnte, hatte Kellach sich alles andere, was sein Vater ihm über echte Männer gepredigt hatte, umso mehr zu Herzen genommen. Dazu gehörte, sich nicht zu beklagen, nicht einmal dann, wenn der eigene Vater ihn halb totschlug, weil Kellach einen anderen Mann geküsst hatte.

Kellach schüttelte den Kopf, um die morbiden Erinnerungen loszuwerden, und antwortete Jari: „Ach, nichts Bestimmtes. Ich glaube, ich weiß einfach nur nichts Rechtes mit mir anzufangen.“

„Ich dachte, du hilfst beim Bau des Lebensmittelladens nebenan?“, fragte Harper.

Kellach versuchte, ein genervtes Stöhnen zu unterdrücken, konnte sich aber nicht helfen. Er hasste es, auf dem Bau zu arbeiten. Es gab nur eine Arbeit, die er noch mehr verabscheute, und das war Kochen. Was wahrscheinlich daher rührte, dass er die meiste Zeit seines Lebens dazu gezwungen worden war, weil der Alpha seines alten Rudels der Meinung gewesen war, dass Kellach in die Küche gehörte. „Er sieht aus wie eine Frau, da soll er auch Frauenarbeit machen“, hatte er getönt.

Dabei verstand Kellach gar nicht, wieso sein Alpha Kochen für Frauenarbeit gehalten hatte – es war verdammt anstrengend, Mahlzeiten für ein ganzes Rudel von Gestaltwandlern zuzubereiten. Es beeindruckte ihn ungemein, wie Jari die riesigen, bis zum Rand gefüllten Kochtöpfe durch die Gegend wuchtete, die man brauchte, um so viele Männer mit nahezu bodenlosen Mägen satt zu bekommen.

Jari lachte. „Irgendwie habe ich das Gefühl, Holz zusammenzunageln, ist nicht so Kellachs Ding.“

„Nee. Aber ich hätte nichts dagegen, mal genagelt zu werden“, murmelte Kellach. Harper verschluckte sich an dem Wasser, das er gerade trank, und erst dadurch wurde Kellach bewusst, dass er das laut gesagt hatte.

Verdammt, was ist nur los mit mir, dass ich meine Gedanken heute nicht für mich behalten kann?

„Vielleicht liegt es daran, dass du die ganze Zeit immer alles in dich hineingefressen hast“, antwortete Jari.

„Scheiße!“ Schon wieder! Dieses Mal gab Kellach es auf, seine Gedanken für sich behalten zu wollen. Es hatte keinen Zweck; er schien heute einfach einen schweren Fall von verbaler Inkontinenz zu haben. „Ignoriert mich einfach“, sagte er. „Ich habe irgendwie einen schlechten Tag.“

Es war eine lahme Ausrede, aber ihm fiel nichts Besseres ein. Vielleicht hatte Jari recht. Kellach hatte sein ganzes Leben lang auf alles achten müssen, was er sagte oder tat, aus Angst vor der Strafe seines Vaters. Jetzt, da er in relativer Sicherheit lebte, weigerten sich die Worte, die er so lange unterdrückt hatte, länger im Verborgenen zu bleiben.

Harper und Jari kicherten. „Okay, also auf dem Bau gefällt es dir nicht, und aus irgendeinem unverständlichen Grund sind die Männer hier entweder blind oder zu dämlich, um mit dir schlafen zu wollen.“

Es war nicht so, dass keiner der Männer Interesse signalisiert hätte, aber Kellach war ein gebranntes Kind. Wer konnte ihm das vorwerfen? Als Kellach das letzte Mal einen Mann auch nur geküsst hatte, war er von seinem Vater dafür fast zu Tode geprügelt worden.

Kellach und seine fünf besten Freunde waren alle schwul, was in der Welt der Gestaltwandler als absolutes Verbrechen galt. Warum, das konnte niemand erklären, denn manchmal waren durch das Schicksal füreinander bestimmte Gefährten vom selben Geschlecht. Aber das Wandlergesetz war eindeutig – sich als homosexuell zu outen, bedeutete den sicheren Tod.

„Aber ich habe gehört, wie Crash dich erst neulich gefragt hat, ob du mit ihm ausgehst“, sagte Harper.

Beide Männer schauten Kellach fragend an. Er hätte wirklich den Mund halten sollen. Wann würde er es jemals lernen?

„Was lernen?“, fragte Iniko, der in diesem Moment aus der Küche kam. Als Kellach verzweifelt den Kopf schüttelte und versuchte, einfach gar keine weiteren Gedanken mehr zu haben, damit ihm nicht noch etwas herausrutschte, wandte Iniko sich an Jari und Harper. „Okay. Also, ich habe für die Jungs, die morgen in die Stadt fahren, eine Liste gemacht mit allem, was ihr braucht. Fällt euch irgendetwas ein, was ich noch hinzufügen muss?“

Harper nickte. „Einer von den Männern erwähnte, dass er gern Kürbiskuchen hätte. Ich weiß, die Saison ist fast vorbei, aber ich hatte gehofft, wenigstens zwanzig Kürbisse zum Backen zu bekommen.“

Iniko schrieb Harpers Wunsch auf, und danach auch noch ein paar Dinge, die Jari hinzufügte. „Chadwicks Einschätzung zufolge sollte mein Laden in einer Woche oder so eröffnen können. Ich würde irgendwann gern mit euch beiden festlegen, welche Waren ich ständig vorrätig haben sollte.“

Kellach bemühte sich, nicht eifersüchtig darauf zu sein, dass ein weiterer seiner Freunde für sich herausgefunden hatte, worin er gut war. Iniko war ein Meister im Organisieren. Zur Zeit unterstützte er Jari und Harper dabei, das Diner immer gut bestückt zu halten, und demnächst würde er sein eigenes Lebensmittelgeschäft betreiben. Wie gut es sich auch anhörte, endlich einmal flachgelegt zu werden – Kellach hätte wirklich viel lieber herausgefunden, was er mit seinem Leben anfangen wollte.

„Äh“, sagte Iniko zu Kellach gewandt. „Wir haben hier eine ganze Stadt voller heißer, überwiegend verfügbarer Männer, und bei jemandem, der so sexy ist wie du, sollte es wirklich nicht schwierig sein, sich flachlegen zu lassen.“

Kellach seufzte und ließ den Kopf auf den Tresen fallen, als ihm klar wurde, dass er schon wieder seine Gedanken laut ausgesprochen hatte. Seine Stirn verfehlte nur knapp das halb gegessene Stück Kuchen.

Jari lachte. „Nun sei nicht so dramatisch. Zumindest unterhältst du uns köstlich mit dem, was aus deinem Mund kommt.“

„Na, toll!“, murmelte Kellach. „Genau, was ich wollte – unterhaltsam sein.“

Auf der anderen Seite hatte er wirklich keine Ahnung, was er tun wollte, warum also nicht als Entertainer arbeiten? Das Dumme war nur, er hasste es, im Mittelpunkt zu stehen. Fast sein ganzes Leben lang hatte er in der Angst gelebt, jemand im Rudel könnte herausfinden, dass er schwul war. Das permanente Risiko, dafür getötet zu werden, ließ einen dazu neigen, sich so bedeckt wie möglich zu halten.

Die kleine Glocke über der Tür bimmelte, aber Kellach machte sich nicht die Mühe nachzusehen, wer hereinkam. Es scherte ihn nicht mehr, vor wem er sich noch blamieren würde, weil er einfach nicht seinen Mund halten konnte.

Jari begrüßte den Neuankömmling, aber Kellach konnte nicht hören, was genau gesagt wurde, weil Harper anfing, Iniko den Rest von Kellachs Problemen zu erläutern. „Kellach hat Schwierigkeiten, sich darüber klar zu werden, was er mit seinem Leben anfangen will. Offenbar hasst er die Arbeit auf dem Bau genauso sehr wie Kochen, insofern scheidet beides aus.“

„Tja, das sollte doch nicht so kompliziert sein“, sagte Iniko, als wäre das ganz offensichtlich. „Was würdest du denn gerne tun?“

Kellach hob den Kopf und öffnete den Mund, um zu antworten, aber es kam kein Ton heraus. Sein Mund klappte wieder zu, und er dachte über Inikos Frage nach. Es war eine traurige Tatsache, dass Kellach nicht die geringste Ahnung hatte. Es war ihm nie erlaubt gewesen, einfach zu tun, worauf er Lust hatte oder was ihm Spaß machte. Wenn er nicht für das Rudel gekocht hatte, war ihm eigentlich keine Zeit für irgendetwas anderes geblieben als zu schlafen.

Nun, das stimmte nicht ganz. Der hauptsächliche Grund, dass er so gut wie keine Zeit übrig gehabt hatte, war, dass er jede freie Minute für das Kampftraining mit seinen Freunden geopfert hatte. Edrick, Lucca, Chadwick, Hudson und Kellach waren Freunde, seit sie noch in den Windeln gesteckt hatten.

Im Alter von fünf hatte Chadwick angefangen, davon zu reden, seinen männlichen Gefährten zu finden, und seine Mutter hatte sie alle gewarnt, niemals auch nur ein Wort darüber vor irgendwem fallen zu lassen. Damals hatten sie erstmals begriffen, was es bedeutet, in der harten Realität der Gestaltwandler zu leben. Schon bald danach wurde es offensichtlich, dass sie alle fünf schwul waren – auch wenn nicht jeder von ihnen es gleich zugab.

In dem Wissen, dass sie eines Tages höchstwahrscheinlich um ihr Leben kämpfen müssen würden, hatten Kellach und seine Freunde nicht nur angefangen, Selbstverteidigung zu trainieren, sondern auch einen Fluchtplan vorbereitet. Vor einigen Jahren hatte Edrick Miracle im Bundesstaat Oregon entdeckt, eine verlassene Stadt, die zum Verkauf stand.

Mithilfe von Scheinfirmen hatte das Computergenie Edrick, der sich von Berufs wegen selbst in die sichersten Regierungsdatenbanken der Welt hackte, die Stadt gekauft. Sie alle wussten, sie würden sich nicht ewig verstecken können – nicht in einer Welt, in der Computer alles beherrschten – aber es würde ihnen Zeit verschaffen, sich eine eigene Stadt aufzubauen, die jedem offenstand, ganz gleich welcher sexuellen Orientierung.

„Ich weiß es nicht!“, rief Kellach schließlich aus und ließ seine Stirn erneut auf den Tresen krachen. Er war ein hoffnungsloser Fall.

„Nein, das bist du nicht“, beharrte Harper.

Na, toll. Er konnte immer noch nicht den Mund halten.

„Okay, lasst uns das Ganze mal anders angehen“, schlug Iniko vor. „Bis jetzt hat Miracle ein Diner, und demnächst kommt ein Lebensmittelladen dazu. Was braucht eine Stadt sonst noch?“

„Ein Kino“, antwortete Jari, bevor er in der Küche verschwand.

„Einen Tanzclub“, schlug Harper vor und fing an, zu einem imaginären Beat die Hüften zu schwingen.

Iniko seufzte und verdrehte die Augen. „Ernsthaft jetzt? Wie sollen wir denn hier ein Kino eröffnen? Es leben, wenn’s hoch kommt, vielleicht fünfzig Männer hier. Mit einem Tanzclub wäre es dasselbe“, entgegnete er, worauf Harper schmollend die Unterlippe vorschob.

„Wie wäre es mit einer Bowlingbahn?“, rief Jari aus der Küchendurchreiche. „Wir brauchen doch auch irgendetwas in dieser Stadt, was Spaß macht.“

„Und du findest, dass Bowling Spaß macht?“, fragte Iniko sarkastisch. „Selbst, wenn es so wäre – und ich kann dir versichern, dass es nicht so ist – vergiss nicht, dass die meisten Gestaltwandler hier unheimlich stark sind. Sie würden wahrscheinlich in Nullkommanichts die Kegel zerstören, sie in tausend Stücke brechen.“

Jari nickte. „Du hast recht. Es sind wilde Tiere! Trotzdem brauchen wir in der Stadt irgendetwas außer Essen und Bauen, was man unternehmen kann.“

„Oh“, rief Harper aufgeregt. „Was ist mit einer Rollschuhbahn?“

Kellach konnte sich nicht helfen; er musste laut lachen. „Ich kann es mir lebhaft vorstellen … Kirill auf Rollschuhen, wie er mit den Armen rudert“, sagte er. Kirill war Harpers Gefährte, ein Eisbärwandler.

Iniko lachte ebenfalls und schlug mit der Hand auf den Tresen. „Jedes Mal, wenn er hinfällt, wackelt die ganze Rollschuhbahn!“ Kirill war über zwei Meter zehn groß und wog mehr als dreihundert Pfund. Der Mann war gigantisch und bestand nur aus Muskeln. Er sah aus, als könnte er ganz allein einen Wal verspeisen.

„Das ist nicht witzig“, sagte Harper und verschränkte die Arme vor der Brust.

Sofort tat es Kellach leid, sich über Harpers Gefährten lustig gemacht zu haben. Nicht wegen Kirill – der hätte wahrscheinlich selbst herzlich gelacht – aber Harper hatte es nicht leicht gehabt. Sein eigener Bruder, der ehemalige Alpha seiner Mauskolonie, hatte ihn durch seine Wachen vergewaltigen lassen, nur weil Harper schwul war. Dass der Alpha selbst homosexuell gewesen war, hatte keinen Unterschied gemacht.

„Was haltet ihr von einer Kneipe mit einem Pooltisch“, mischte sich eine rauchige Stimme ein paar Tische weiter ein.

Kellach erschauerte, als der sexy Klang sich wie eine warme Decke um seinen Körper legte und in seinen Eiern kribbelte. Allerdings weigerte Kellach sich bis heute, einen Mann an sich heranzulassen, nachdem sein eigener Vater ihn nur wegen eines Kusses beinahe umgebracht hatte. Es war ihm gleich, wie sexy die Stimme dieses Kerls war – er würde sich nie wieder in einen Mann verlieben.

„Ich bin froh, dass du meine Stimme sexy findest“, sagte der sündig klingende Mann mit einem leisen Lachen.

Kellach schloss bestürzt die Augen. Ohne sich darum zu bemühen, seine Gedanken für sich zu behalten, sagte er: „Oh Mann, kann mich bitte jemand erschießen?“

Kapitel 2

„Oh Mann, kann mich bitte jemand erschießen?“, sagte Kellach, worüber Trygg Snow nur noch mehr lachen musste.

Er war mit einer ganz bestimmten Mission nach Miracle gekommen. Eine Mission, die höchstwahrscheinlich zu seinem Tod führen würde, aber ein paar Minuten mit diesem sexy Mann wären das wert. Es war, als hätte Trygg sein ganzes Leben lang nach Kellach gesucht, und jetzt, da er ihn gefunden hatte, spielte alles andere keine Rolle mehr. Nicht der Umstand, dass er für den Rat der Gestaltwandler arbeitete. Nicht der Umstand, dass er viele Dinge getan hatte, auf die er alles andere als stolz war. Nicht einmal der Umstand, dass er hergeschickt worden war, um den einen zu töten, dem er niemals etwas antun könnte.

Seinen Gefährten.

Wahrscheinlich klang er ein wenig zu eingebildet, nachdem er seinen Gefährten sagen gehört hatte, seine Stimme wäre sexy, als Trygg scherzte: „Keine Sorge, mein schönes Kätzchen, wir werden niemandem verraten, wie sehr dir meine Stimme gefällt.“

Er sah, wie sich Kellachs ganzer Körper verspannte. Dann drehte Kellach sich auf seinem Stuhl um und schaute Trygg an, und es war, als würde der Himmel aufreißen. Die ganze Welt war plötzlich heller, als Trygg seinen ersten richtigen Blick auf den wunderschönen Mann warf. Obwohl er Kellach bereits auf einem Bild gesehen hatte, ließ sich nichts damit vergleichen, ihn in Fleisch und Blut vor sich zu haben.

Sein dunkles Haar war an den Seiten geschoren, aber oben auf dem Kopf war es lang und fiel zu einer Seite, als wäre Kellach so oft mit den Fingern hindurchgefahren, dass das Haarspray es nicht länger aufrecht halten konnte. Perfekt geformte Augenbrauen wölbten sich über lavendelfarbenen Augen, von denen Trygg auf der Stelle wie hypnotisiert war.

Kellachs Wangenknochen, seine vollen Lippen und die unfassbar langen, dunklen Wimpern verliehen ihm eine fast feminine Ausstrahlung. Aber alles andere an ihm war ganz Mann. Sicher, er war nicht sehr groß – in der Akte, die Trygg über ihn besaß, hieß es, er wäre nur eins-siebzig groß und etwa hundertzwanzig Pfund schwer – was die Akte jedoch nicht erwähnte, war, dass jeder Quadratzentimeter seines herrlichen Körpers aus schlanken, definierten Muskeln bestand und er die Ausstrahlung eines Mannes hatte, der sich in einem Kampf zu behaupten wusste.

„Schmeichele dir nicht selbst, Hund“, erwiderte Kellach grimmig, auch wenn die lavendelfarbenen Augen ein wenig größer wurden, als er Trygg erstmals erblickte.

Trygg grinste über die Art und Weise, wie sein Gefährte sich gegen ihn sträubte. Sicher, am liebsten wäre es ihm gewesen, Kellach wäre zu ihm gekommen und hätte sich ihm auf einem Silbertablett dargeboten, aber auf der anderen Seite wäre das auch langweilig gewesen. Sexuell befriedigend, aber langweilig. Er zog einen Gefährten vor, der sich nichts gefallen ließ, nicht einmal von ihm.

„Keine Sorge, mein schönes, kleines Kätzchen. Auch wenn du mein Ego streichelst, ich werde mich bemühen, es mir nicht zu Kopfe steigen zu lassen“, neckte er.

Sein Gefährte versuchte zu verbergen, wie sehr er sich von Trygg angezogen fühlte. Ja, er ging sogar so weit, seine untere Körperhälfte von ihm wegzudrehen, damit die Ausbeulung in seiner Hose nicht sichtbar war. Aber Trygg hatte sie längst bemerkt. „Als würde ich mich so weit herablassen, einem räudigen Hund Komplimente zu machen“, gab Kellach zurück. „Bist du gerade erst aus dem Bett gefallen und hast herausgefunden, wie man sich die Haare kämmt oder rasiert?“

Dass Kellach versuchte, ihn zu beleidigen, machte Trygg nicht das Geringste aus. Er war nicht eitel, aber er wusste, dass er auf eine gewisse, raue Weise gut aussah. Er trug sein Haar kurz in einem unkomplizierten Schnitt, der etwas zu unordentlich war, um militärisch zu wirken. Er hatte keine Lust, sich ständig die Haare schneiden zu lassen, deshalb ließ er sich stets einen ultrakurzen Raspelschnitt verpassen, den er bis zum nächsten Friseurbesuch zwei, drei Monate lang herauswachsen ließ.

Sein Kiefer war ziemlich stoppelig, denn er hasste es, sich zu rasieren. Einmal alle zwei Wochen mit dem Elektrorasierer darüberzufahren, war das höchste der Gefühle. Das letzte Mal lag etwa eine Woche zurück, sodass er fast schon einen richtigen Bart hatte.

Was seinen Körper anging, so hielt Trygg sich fit. Wenn er nicht auf einer Mission war, trainierte er bis zur Erschöpfung. Das war der einzige Weg, die Alpträume, die ihn wegen seiner zahlreichen Sünden plagten, lange genug in Schach zu halten, damit er nachts ein paar Stunden Schlaf bekam.

„Bist du daran interessiert zu sehen, wie ich aussehe, wenn ich gerade aus dem Bett falle, schönes Kätzchen?“ Trygg ließ seine Stimme eine Oktave tiefer klingen. „Ich muss nämlich sagen, ich würde sehr gern sehen, wie du aussiehst, wenn du morgens nackt ausgestreckt in meinem Bett liegst.“

Tryggs Grinsen wurde breiter, als er den Schauer bemerkte, der Kellachs Körper durchfuhr. Kellach mochte zwar so tun, als hätte die Begegnung mit seinem wahren Gefährten keine Wirkung auf ihn, aber damit würde Trygg ihn nicht durchkommen lassen.

In den lavendelfarbenen Augen erwachte Lust zum Leben, aber anstatt es zuzugeben, wandte Kellach sich wieder vollständig zum Tresen um. „Vielleicht solltest du so ein Schild draußen am Diner anbringen, Jari. ,Hunde müssen leider draußen bleiben!‘ oder sowas. Die bringen sonst nur Flöhe rein“, sagte er zu dem Mann in der Küche, der gerade den Burger mit Pommes einpackte, den Trygg bestellt hatte.

Ein anderer Mann, der auf dem Barhocker neben Kellach saß, schnaubte verächtlich. „Immer noch besser als manche Katzen, und dich lassen wir auch rein.“

Jari kam mit einer Tüte in der Hand aus der Küche und lachte. „Hey, mein Gefährte ist Katzenwandler. Pass lieber auf, was du sagst, falls du nicht vorhast, Lucca im Ring gegenüberzutreten, weil du ihn beleidigt hast.“

Iniko zuckte die Achseln. „Da mache ich mir keine Sorgen. Du hast ihn um deinen kleinen Finger gewickelt, und du würdest niemals zulassen, dass er einen deiner Freunde verletzt.“

Jari reichte Trygg sein Essen zum Mitnehmen. „Das mag ja stimmen, aber wenn du meinen Gefährten beleidigst, bin ich durchaus gewillt, ihn dich ein bisschen herumschubsen zu lassen.“

„Oh, bitte“, sagte Kellach. „Ein kleiner Schlag von Lucca, und Iniko wäre ausgeknockt. Ich sollte das wissen.“ Kellach zeigte auf einen frisch aussehenden Bluterguss an seinem Oberarm. „Ich habe ihm erst heute Morgen im Ring gegenübergestanden.“

Trygg knurrte leise und drohend. Seine Hände packten die Tüte fester, als er sich vorstellte, sie wäre Luccas Hals. Er kannte den Kerl zwar nicht – er wusste nur, was über diese Männer in der Akte gestanden hatte – aber Trygg war mehr als bereit, dem Mann zu zeigen, was er davon hielt, wenn jemand sich an Kleineren und Schwächeren vergriff.

Alle Augen wandten sich ihm erstaunt zu, nur Kellachs nicht. Kellachs Augen funkelten warnend. „Halt die Klappe, Hund. Keiner hier interessiert sich für deine Meinung.“

Das Problem war nur, Trygg konnte es gar nicht leiden, wenn man ihn warnte. Er neigte dazu, so etwas als Herausforderung zu betrachten. Offenbar wollte Kellach die anderen auf keinen Fall wissen lassen, dass er und Trygg Gefährten waren. Also gab Trygg seine eigene Warnung ab, indem er seinen Gefährten angrinste und ihm zuzwinkerte. „Nicht in diesem Leben, Gefährte.“ Er legte besondere Betonung auf das letzte Wort, um sicherzugehen, dass die anderen ihn deutlich hörten.

Wut flammte in Kellachs Augen auf, aber Trygg ignorierte das. Er trat direkt an seinen Gefährten heran und beugte sich zu ihm, sodass er Kellachs Atem auf seinem Gesicht spürte. „So gern ich auch diese kleine Auseinandersetzung fortsetzen würde, ich habe leider etwas anderes vor. Aber keine Sorge, mein schönes Kätzchen, ich finde dich nachher noch, und dann können wir über unsere Verpaarung reden.“

Trygg hatte vorgehabt, sich an diesem Punkt umzudrehen und zu gehen. Aber die Versuchung von Kellachs vollen Lippen war zu groß, um sie zu ignorieren. Trygg schloss die winzige Lücke zwischen ihnen und nahm Kellachs Mund in einem leidenschaftlichen Kuss. Sofort bereute er seinen ursprünglichen Plan, seinem Gefährten die Zeit zu lassen, die der so offensichtlich noch brauchte – am liebsten hätte er ihn gleich an Ort und Stelle in Besitz genommen.

Es war eine knappe Angelegenheit, aber irgendwie gelang es Trygg, sich von den weichsten, süßesten Lippen zu lösen, die er je gekostet hatte. Das leise, unglückliche Wimmern Kellachs, als Trygg sich aufrichtete, gab ihm Zuversicht, dass er das Richtige tat. Nun musste Trygg nur noch die Barrikaden einreißen, die Kellach in seinem Kopf gegen Gefährten oder Hunde oder was auch immer errichtet hatte, um Trygg nicht als Partner akzeptieren zu können.

„Wir sehen uns, mein schönes Kätzchen“, flüsterte er. Mit größerer Mühe, als er je erwartet hätte, wandte er sich von seinem Gefährten ab, verließ das Diner und ging zu seiner geliebten Ducati Globetrotter.

Falls er aufhören wollte, als Auftragskiller für den Rat zu arbeiten – und das wollte er mit absoluter Sicherheit, nachdem er nun seinen Gefährten gefunden hatte, der sich zufällig als Ziel seines nächsten Auftrags entpuppt hatte – dann musste er Pläne schmieden. Falls er dem Rat keinen Bericht erstattete, würde man dort annehmen, dass er entweder tot oder geflohen war, daran hatte Trygg nicht den geringsten Zweifel. In jedem Fall würden sie einen neuen Jäger schicken, der sich an seiner Stelle um die fünf Männer kümmern würde, die zu töten Trygg beauftragt worden war.

Fünf Männer. Trygg hatte nicht die Absicht, irgendwen nahe genug an sie herankommen zu lassen, um sie umzubringen. Denn einer von ihnen war sein Gefährte. Es würde nicht einfach werden, ein Attentat zu verhindern, aber Trygg war mehr als bereit für die Herausforderung, Kellach vor jeglichem Schaden zu bewahren. Er hatte nicht sein ganzes Leben unter dem verderblichen Einfluss des Rats trainiert, ohne dabei dessen sämtliche Tricks zu lernen.

Trygg schwang sich auf sein Motorrad und startete den Motor. Er liebte das Gefühl der dröhnenden Maschine zwischen seinen Beinen. Nach einem letzten Blick zum Diner, wo sein Gefährte war, drehte er das Bike in Richtung der Häuser, von denen er wusste, dass dort der Alpha lebte, Edrick Rapp. Wenn er sich Hoffnungen machen wollte, Kellach am Leben zu halten, dann würde er ein offenes Wort mit Edrick reden müssen. Vorausgesetzt, der Alpha versuchte nicht gleich, ihn wegen seiner Rolle im heimtückischen Plan des Rats umzubringen.

Kapitel 3

„Hat er dich gerade Gefährte genannt?“, fragte Jari.

Gott sei Dank piepte Harpers Telefon, sodass Kellach nicht sofort antworten musste. Er wollte wirklich nicht darüber reden. Um ehrlich zu sein, hätte er seinen Gefährten dafür killen können, dass er etwas gesagt hatte.

„Verdammt“, fluchte Harper. „Ich muss mich mit Nole und Hudson treffen. Es geht um unseren Geist.“ Harper drehte sich zu der Kühlvitrine um, die er mit den Kuchen des Tages gefüllt hatte, und vergewisserte sich, dass alles in Ordnung war. Dann wandte er sich wieder an Kellach: „Ich fasse es nicht, dass du deinen Gefährten gefunden hast, und ich kann nicht einmal bleiben, um alles darüber zu erfahren!“ Harper zeigte streng mit dem Finger auf Kellach. „Versprich mir, dass du mir nachher alles erzählst.“

Kellach hatte nicht vor, etwas Derartiges zu versprechen. „Da es nichts zu erzählen gibt, wirst du auch nichts verpassen“, sagte er stattdessen.

„Moment mal!“ Iniko hob eine Hand, als könnte er so die Welt anhalten. „Willst du damit sagen, du gehst jetzt tatsächlich auf Geisterjagd, anstatt hierzubleiben und darüber zu reden, dass Kellach seinen Gefährten gefunden hat?“

Harper wirkte unentschlossen. „Ich habe versprochen, dabei zu sein, und Hudson verlässt sich darauf, dass ich ihm helfe, den Geist wieder aufzuspüren.“

Iniko schüttelte den Kopf. „Und ich dachte, du würdest Hudson mit seiner verrückten Jagd nur bei Laune halten wollen.“

Harper schaute seinen Freund finster an. „Hudson ist nicht verrückt.“

„So etwas wie Geister gibt es nicht, aber offensichtlich hält euch das nicht davon ab, welche zu suchen“, sagte Kellach. „Und du weißt, dass du Hudson nicht ermutigen solltest, etwas zu jagen, das gar nicht existiert.“

„Aber wir haben einen Geist gefunden“, beharrte Harper.

Kellach hatte bereits alles darüber gehört – Harper und Nole hatten an jenem Abend, als sie angeblich den Geist durch ihre Infrarotkamera gesehen hatten, alles lang und breit beim Abendessen diskutiert. „Habt ihr tatsächlich den Geist gesehen oder nur ein paar bunte Farbkleckse, und Hudson hat euch eingeredet, das hätte irgendetwas zu bedeuten?“

Einen Moment lang schien Harper widersprechen zu wollen, aber dann wurde seine Miene verzagt. „Aber … ich habe wirklich etwas gesehen … glaube ich … und es war …“ Er brachte den Satz nicht zu Ende. Sein Blick wanderte von Kellach zu Iniko, und dann zu Jari, der sich schließlich seiner erbarmte.

„Nur weil Kellach und Iniko zu zynisch sind, um an Geister zu glauben, muss das nicht heißen, dass Hudson unrecht hat und ihr nichts gesehen habt.“ Jari funkelte Kellach tadelnd an. „Geh nur und triff dich mit Hudson und Nole. Ich erzähle dir nachher alles über Kellachs Gefährten.“

Harper warf Jari einen dankbaren Blick zu, dann rannte er aus dem Diner und über die einzige geteerte Straße, die es in der Stadt gab, zu Hudson und Nole. Die zwei machten bei den beiden Gebäuden, die entweder demnächst zusammenbrechen oder von Chadwicks Crew abgerissen werden würden, ihre technische Ausrüstung startklar.

Als Kellach zu Anfang mit seinen Freunden Edrick, Lucca, Chadwick und Hudson in Miracle angekommen war, hatten sie Angst gehabt, der leiseste Atemhauch könnte die Häuser zum Einsturz bringen. Seitdem hatte sich bereits viel verbessert. Die meisten der Gebäude hatten abgerissen werden müssen, um neue bauen zu können.

Da sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite begonnen hatten, war beschlossen worden, mit dem Abriss der beiden Häuser auf der anderen Seite zu warten, bis das Diner und der Lebensmittelladen fertig waren.

„War es wirklich nötig, das zu Harper zu sagen?“, fragte Jari tadelnd sowohl Kellach als auch Iniko. „Er hat doch wirklich genug in seinem Leben durchgemacht. Könnt ihr ihm da nicht seine Träume lassen, einen Geist zu sehen?“

„Aber Geister sind nicht real“, entgegnete Iniko, offenbar verblüfft von Jaris Bemerkung. „Wieso sollte es ihm helfen, an etwas zu glauben, das er sich nur einbildet?“

Jari seufzte und schüttelte traurig den Kopf. „Weil es ihn glücklich macht, du Trottel!“

Kellach war sich nicht sicher, warum das einen Unterschied machen sollte. Nichts von dem, was ihn selbst glücklich machen würde, war jemals erlaubt. Zur Hölle, er konnte sich nicht einmal erinnern, wann er zum letzten Mal irgendetwas getan hatte, das ihn zum Lächeln gebracht, geschweige denn glücklich gemacht hätte. Aber eines hatte er in der kurzen Zeit, die Jari bei ihnen war, dennoch gelernt: Der Mauswandler mochte sich zwar vor allem Möglichen erschrecken, nachdem er von seinem früheren Alpha gefoltert worden war, aber Jari ließ sich nicht unterkriegen, vor allem dann nicht, wenn er das Gefühl hatte, sich für jemanden einsetzen zu müssen.

„Wie auch immer“, sagte Kellach. „Können wir jetzt auf mein Problem zurückkommen?“

„Du meinst, dass du deinen Gefährten gefunden und ihn praktisch sofort in die Wüste geschickt hast?“, fragte Jari und grinste verschlagen. „Zumindest hast du das gemacht, bevor er dir diesen umwerfenden Kuss gegeben hat. Danach hast du dich ihm ja praktisch an den Hals geworfen.“

„Umwerfend? Echt jetzt?“ Kellach würde auf keinen Fall zugeben, dass der Kuss ihn so umgeworfen hatte, dass er beinahe vom Stuhl gefallen wäre. „Und nein. Ich meinte das Problem, eine sinnvolle Beschäftigung zu finden, die nichts mit Bauarbeiten zu tun hat.“

„Ja, genaaaaau“, antwortete Iniko gedehnt. „Reden wir darüber, anstatt über den sündhaft scharfen Wolfwandler, der dich praktisch direkt hier am Tresen in Besitz genommen hat, vor unser aller Augen.“

Kellach stand auf, aber Iniko legte ihm eine Hand auf den Arm, um ihn aufzuhalten. „Warte, ich habe nur Spaß gemacht“, sagte er lachend. „Ich werde mich jetzt benehmen, versprochen.“ Als Iniko sich bei seinen Worten bekreuzigte, wusste Kellach, dass er ihm nicht trauen konnte. Andererseits wollte er wirklich um keinen Preis länger auf dem Bau arbeiten.

„Na gut“, sagte Kellach und setzte sich wieder. „Aber kein Wort mehr über den Hund.“

Iniko tat so, als würde er seine Lippen abschließen und den Schlüssel wegwerfen. Zu schade, dass Jari nicht dasselbe tat. „Sein Name ist Trygg“, sagte Jari.

Kellach hielt inne. Trygg. Verdammt, wieso spielte das eine Rolle? Und warum zerschmolz er innerlich, als er den Namen im Kopf wiederholte?

Sowohl Iniko als auch Jari brachen in Gelächter aus. „Wenn du willst, dass ich mein Versprechen halte, dann musst du aber aufhören, solche Sachen zu sagen“, warnte Iniko Kellach, der entsetzt feststellen musste, dass er seine Gedanken offenbar immer noch nicht für sich behalten konnte. „Aber ernsthaft. Was hältst du von dem Vorschlag, den Trygg gemacht hat? Eine Kneipe mit ein paar Spielen, damit wir ein bisschen Freizeitunterhaltung haben?“

Eigentlich war das eine recht gute Idee. Kellach hatte sich oft in menschliche Bars gewagt, weil es die einzige Möglichkeit war, Männer zu treffen. Seine einzigen Auswahlkriterien dabei waren gewesen, dass es eine schwulenfreundliche Bar sein musste, und so weit weg von Zuhause wie möglich. Wenn er sich doch nur auch beim letzten Mal daran gehalten hätte, als er losgefahren war, um sich flachlegen zu lassen.

Allerdings hatte er auch nicht wirklich vorgehabt, sich von einem gutaussehenden Fremden aufreißen zu lassen, als er zum Tanken angehalten hatte. Er war auf dem Weg zu einer zwei Stunden entfernt gelegenen Bar gewesen. Hätte Kellach zwischen seinen One-Night-Stands nicht so lange gewartet, dann hätte er dem sexy Menschen, der ihn an der Tankstelle angebaggert hatte, wahrscheinlich nicht nachgegeben.

Er war immer noch nicht sicher, wer ihn gesehen und an seinen Vater verpfiffen hatte, aber das spielte eigentlich auch keine Rolle. Kellach war dumm genug gewesen, sich erwischen zu lassen, und wenn Edrick und Lucca nicht im richtigen Augenblick aufgetaucht wären, hätte Kellach für seinen Fehler mit dem Leben bezahlt. Sein Vater hatte jedenfalls alles getan, um jeden Schlag so schmerzhaft und verheerend wie möglich zu machen – er hatte einen mit Stacheln versehenen Schlagring aus Metall getragen.

„Und welche Art von Freizeitunterhaltung?“, fragte Jari. „Ich meine, ein Pooltisch macht Sinn, aber sonst kann man in einer Bar ja nicht viel machen, oder?“

Kellach verdrängte entschlossen die Erinnerung an seinen Vater und antwortete: „Das kommt auf die Art der Bar an. Man könnte Fernseher aufstellen und Sportsendungen laufen lassen.“

„Oder Serien-Marathons, mit The Walking Dead!“, sagte Jari aufgeregt. „Die Serie habe ich schon seit …“ Jari verstummte. Wahrscheinlich kam ihm gerade wieder alles hoch, was er unter seinem früheren Alpha durchgemacht hatte.

„Das hört sich gut an“, sagte Iniko. „Ich liebe die Serie. Außerdem kann man auch Darts werfen oder Karten spielen.“

Je länger sie darüber sprachen, umso aufgeregter wurde Kellach bei dem Gedanken, eine Kneipe aufzumachen. „Es gibt dabei nur ein Problem, Leute.“ Kellach schaute erst Iniko an, dann Jari. „Alkohol hat auf Gestaltwandler so gut wie keine Wirkung. Was soll ich denn in einer Bar servieren?“

Iniko winkte ab und gab ein „Pfffft“ von sich. „Oh, bitte! Ich habe viele Abende mit Kirills Männern verbracht, und glaub mir, die trinken. Sie werden zwar nicht wirklich betrunken, aber das hält sie anscheinend nicht davon ab, es zu versuchen.“ Inikos Augen leuchteten auf. „Um ehrlich zu sein, so viel, wie die trinken, würdest du einen Haufen Geld verdienen.“

Kellach war sich zwar nicht sicher, ob der Betrieb einer Bar nun wirklich sein Traum war, aber er musste zugeben, dass die Vorstellung, einen Ort zum Entspannen und Spaß haben für alle zur Verfügung zu stellen, interessant klang.

Er glaubte auch nicht, dass einer seiner besten Freunde, den er von Kindesbeinen an kannte, etwas dagegen haben würde, aber Edrick war der Alpha und musste als solcher dem Plan zustimmen. „Wünscht mir Glück, Jungs“, sagte Kellach, dann rutschte er von seinem Stuhl herunter und machte sich auf den Heimweg. Kellach hatte schon beinahe das Haus erreicht, in dem die fünf Freunde und ihre Gefährten lebten, als ihm auffiel, dass er lächelte.

Ein echtes, aufrichtiges, glückliches Lächeln.

Kapitel 4

„Edrick“, rief Kellach, sobald er durch die Vordertür das Haus betrat. „Ich brauche einen Gefallen, und du kannst nicht nein sagen.“ Na ja, er konnte schon, aber Kellach würde nichts anderes als ein Ja gelten lassen, selbst wenn er betteln und weinen müsste, um es zu bekommen.

Damit waren seine Freunde noch nie gut zurechtgekommen. Jemanden weinen zu sehen war so etwas wie ihre Version von Kryptonit. Natürlich nutzte Kellach das nicht aus – nicht oft. Aber er hatte festgestellt, dass es sich von Zeit zu Zeit als sehr nützlich erwies. Er hatte nur immer darauf achten müssen, dass sein Vater ihn nicht dabei erwischte, etwas so erbärmlich Schwaches zu tun – seines Vaters Worte, nicht Kellachs.

Er marschierte durch den Flur zu Edricks Büro und blieb in der Tür wie angewurzelt stehen, als er Trygg gegenüber von Edrick an dessen Schreibtisch sitzen sah. Die Lippen, die Kellach seit diesem Kuss nicht mehr aus dem Kopf gegangen waren, schmunzelten. Irgendwie schaffte Kellach es, seinen Blick von ihnen loszureißen und Trygg in die goldbraunen Augen zu schauen, die ihn wissend ansahen.

Der Mann sollte verdammt sein!

„Hallo, schönes Kätzchen.“ Tryggs tiefe Stimme jagte Kellach wohlige Schauer über den Rücken.

Genervt darüber, dass er sich in Gegenwart seines Gefährten offenbar nicht anders verhalten konnte als wie ein liebeskranker Trottel, warf Kellach dem Mann einen wütenden Blick zu. „Hör auf, mich so zu nennen!“ Er weigerte sich zuzugeben, wie sehr es ihm gefiel, wenn Trygg diesen Kosenamen benutzte.

Tryggs Mundwinkel hoben sich nur noch mehr, und Edrick starrte Kellach an, als würde er ernsthaft an dessen Verstand zweifeln. „Dann solltest du vielleicht nicht solche Sachen sagen, besonders nicht vor ihm.“

Kellach schloss die Augen und betete, er möge aus diesem Alptraum erwachen. Auf keinen Fall konnte er sich selbst laut als liebeskranken Trottel bezeichnet haben, oder? Dieser Tag konnte wirklich nicht noch schlimmer werden.

Als Trygg gluckste und Edrick sich praktisch verschluckte, um nicht loszulachen, wurde Kellach klar, dass er es schon wieder getan hatte. Ohne einen der Männer noch einmal anzusehen, drehte er sich auf dem Absatz um und marschierte zur Tür hinaus.

Starke Arme umfingen ihn von hinten, und Kellach dachte nicht, er reagierte einfach. Er schwang seine Hüften herum und stieß denjenigen, der es gewagt hatte, ihn von hinten anzugreifen, zu Boden – wer immer es auch war. Als er einen Blick nach unten warf, wurde Kellachs Tag auf der Stelle besser. Vor seinen Füßen lag Trygg und sah fassungslos zu ihm auf.

„Wie ich bereits versucht habe, dir zu erklären“, kam es von Edrick, der mit verschränkten Armen am Türrahmen lehnte, „kann Kellach sehr gut auf sich selbst aufpassen.“

Kellach funkelte Trygg aus verengten Augen an. „Du hast mit Edrick über mich geredet?“ Er musste Tryggs Antwort nicht abwarten; das Schuldbewusstsein war deutlich in den goldbraunen Augen zu lesen. „Dazu hattest du kein Recht.“

In einer blitzschnellen Bewegung, die sämtlichen Gesetzen der Physik widersprach, kam Trygg wieder auf die Füße und blickte auf Kellach herab. „Ich hatte jedes Recht dazu. Ob du es nun zugeben willst oder nicht, ich bin dein Gefährte.“ In seiner Stimme schwang unterdrückter Zorn mit. Der Mann war eindeutig nicht glücklich darüber, von Kellach zurückgewiesen zu werden.

Kellach konnte ihm daraus nicht wirklich einen Vorwurf machen. Der Bund zwischen Gefährten war heilig – etwas, das Gestaltwandler nicht einfach ablehnen konnten. Deshalb hatte Kellach auch nie verstanden, wieso der Rat darauf bestand, dass Gefährten nicht zusammen sein durften, wenn sie gleichen Geschlechts waren. Aber es war so oder so ein Todesurteil. Ein Gestaltwandler, der seinen Gefährten nicht annahm, wurde unweigerlich mehr zum wilden Tier als zum Menschen, und der Rat hatte selten eine andere Wahl, als seinen Tod anzuordnen, bevor es Verletzte geben würde.

Aber obwohl er das wusste, wies Kellach seinen Gefährten ab. „Du kannst denken, was du willst, das interessiert mich nicht. Ich werde mich nicht mit dir verpaaren! Also kannst du dich auch gleich aus Miracle verpissen, bevor ich mich gezwungen sehe, dir noch einmal in den Arsch zu treten.“

Trygg beugte sich nur ein winziges Stück weiter zu Kellach, so als wollte er ihn in die Ecke drängen. „Du hast mich vielleicht einmal überraschen können, mein schönes Kätzchen, aber ein zweites Mal besiegst du mich nicht.“ Wie um das zu beweisen, schoss Trygg nach vorn und drückte Kellach mit dem Rücken an die Wand. Er stützte seine Hände rechts und links von Kellachs Kopf an die Wand und presste seinen Körper an Kellachs.

Tryggs fester, muskulöser Körper strahlte so viel Hitze aus, dass Kellach sich von innen auf die Wange beißen musste, um nicht aufzustöhnen. Aber Trygg war noch nicht fertig. Er beugte sich vor, bis ihre Lippen sich beinahe berührten. „Ich werde dir die Zeit lassen, die du offensichtlich benötigst, um mit unserer Paarung ins Reine zu kommen, aber denk an meine Worte, schönes Kätzchen. Wir sind Gefährten, und eines nicht allzu fernen Tages werde ich meinen Schwanz in deinem kleinen Knackarsch versenken.“

Tryggs Lippen fuhren sanft über Kellachs, dann an dessen Wange entlang und hinunter zu seinem Hals, bis sie in Kellachs Halsbeuge ruhten. „Und dann werde ich hier meine Zähne in dein Fleisch schlagen.“ Besagte Zähne knabberten an der Stelle, von der Trygg sprach. „Ich werde dein Blut trinken und meinen Samen in deinen Körper ergießen und dich als den Meinen beanspruchen.“

Die Berührung von Tryggs Lippen jagte Schauer der Erregung durch Kellachs Körper, bis hinunter zu seinen Eiern, die sich spontan zusammenzogen. Kellach wusste nicht, ob er sich enger an ihn schmiegen oder ihn wegstoßen sollte. Er wünschte nur, er könnte sich einfach nehmen, was er begehrte, anstatt es sich zu versagen.

Schließlich griff Kellach nach unten, packte Trygg bei den Eiern und zog daran, bis dem Mann vor Schmerz beinahe die Augen aus dem Kopf traten. „Ich sagte dir bereits, ich werde mich nicht mit einem Hund verpaaren. Und wenn du nicht willst, dass ich dir deine Eier abreiße, dann schlage ich vor, du trittst ein paar Schritte zurück.“

Als Trygg keine Anstalten machte, sich zu bewegen, zog Kellach noch fester an den Hoden des Mannes. Im Bruchteil einer Sekunde waren die Hände rechts und links von Kellachs Kopf verschwunden. Trygg hielt sie in die Höhe, als wollte er um Gnade bitten, aber Kellach kannte gerade keine Gnade.

Als sie zusammen aufwuchsen, hatten Edrick und Lucca darauf bestanden, dass Kellach, Chadwick und Hudson regelmäßig trainierten, um für den Tag vorbereitet zu sein, an dem sie fliehen und um ihr Leben kämpfen müssen würden. Zugegeben, Kellach war viel kleiner als seine Freunde und besaß auch nicht deren Killerinstinkt, aber dennoch konnte er seinen Körper in eine tödliche Waffe verwandeln.

Die wichtigste Lektion, die Edrick ihn gelehrt hatte, war, niemals nachzugeben. Deshalb ließ er Tryggs Eier auch erst los, nachdem der Mann zurückgewichen war und Kellach genug Platz hatte, um sich ihm zu entziehen.

Trygg knickte ein wenig ein, wie um sich zu schützen, und Kellach wandte sich an einen sehr stolz wirkenden Edrick. Kellach wusste durchaus zu schätzen, was sein Freund ihm beigebracht hatte, aber er nahm es ihm auch übel. Kellach hatte seine Freunde jahrelang angefleht, das Rudel zu verlassen, aber Edrick hatte sich geweigert, und die anderen hatten sich seinem Entschluss gebeugt.

Nur wegen Edrick hatte Kellach überhaupt so hart und gewissenhaft trainieren müssen. Und noch entscheidender: wegen Edrick war Kellach beinahe von seinem Vater umgebracht worden. Sicher, Kellach hätte sich wehren und zurückschlagen können, aber das hatte er nicht, weil es sein Vater gewesen war. Kellach hatte an jenem Tag wirklich nicht sterben wollen, aber dennoch hätte er nicht Hand an seinen eigenen Vater legen können. Das wäre falsch gewesen. Wenn Edrick einfach auf Kellach gehört hätte, wäre nichts von all dem passiert.

Mit diesem Gedanken im Kopf funkelte er seinen besten Freund an. „Ich werde neben dem Diner eine Bar eröffnen.“ Es war keine Frage, sondern eine Mitteilung. Ob es Edrick nun passte oder nicht, Kellach würde eine Bar eröffnen!

Edrick hob eine Augenbraue, aber er widersprach nicht. „Besprich alles Notwendige mit Chadwick.“

Kellachs Blick wanderte von Edrick zu Trygg, der immer noch leicht vorgebeugt dastand und Kellach anstarrte, als würde er einfach nicht schlau aus ihm. Kellach fühlte sich wie ein Insekt unter einem Mikroskop, und es war ein sehr unangenehmes Gefühl. „Wenn du mir noch einmal zu nahe kommst, werde ich dir die Eier abreißen. Also tu dir selbst einen Gefallen und verschwinde aus Miracle.“

Dann drehte er sich um und verließ das Haus, um Chadwick zu suchen. Es war an der Zeit, endlich einmal zu tun, was er selbst wollte.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752140125
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
gestaltwandler wandler gay romance gay fantasy Roman Abenteuer Fantasy Romance Liebesroman Liebe

Autor

  • Shea Balik (Autor:in)

Shea Balik hatte schon immer eine lebhafte Fantasie und Geschichten in ihrem Kopf. Oft entwickelt sie ihre Geschichten aus der Beobachtung von anderen Menschen und verleiht ihnen ihre eigene Note. Reisen ist einer ihrer bevorzugten Wege, ihrer Leidenschaft für das Leute-Beobachten zu frönen, und wer weiß, wer die zündende Idee für ihr nächstes Buch liefern wird.
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Titel: Keine Klischees mehr