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Das Geheimnis von Gisors

von Marc Debus (Autor:in)
220 Seiten

Zusammenfassung

Gerhard Maibach verbringt seinen Urlaub in dem französischen Städtchen Gisors, wo er die junge Jasmin Pandle kennenlernt. Die früheren Erlebnisse ihres Großvaters, die mit der Burganlage der Stadt in Verbindung stehen, und seine restliche Lebensgeschichte vermischen sich mit aktuellen Ereignissen, welche die beiden auf die Spur eines lang gehüteten Geheimnisses bringen. Die Geschehnisse um Jasmin und Gerhard vermischen sich mit Begebenheiten aus längst vergangenen Tagen, die bis zu den Templern und Katharern zurückreichen. Die Geschichte von Marc Debus ist eine Reise durch die Zeit, die reale Ereignisse zu einem möglichen Ganzen verbindet

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Südfrankreich, Juni 1252 - Prolog

Eduardo de Escoba stand an einem großen Holztisch in seiner Werkstatt in Béziers. Er hatte verschiedene Gegenstände vor sich auf dem Tisch stehen, überall lagen Werkzeuge herum. Sein Wissen und seine Sachkenntnisse über Schlösser und Schließmechanismen hatten ihm in den letzten Jahren im Templerorden immer wieder Aufträge hoher Ordensführer eingebracht, die sich vornehmlich um die Schatzkammern und Transporttruhen des Ordens gedreht hatten. Dies hatte ihn in weit entlegene Gebiete Europas gebracht und er hatte seine eigentliche Heimat Spanien schon lange nicht mehr gesehen.

Dieses Mal war das Projekt, das man ihm angetragen hatte, etwas größer. Der Orden hatte verschiedene Räumlichkeiten und Lagerorte in ganz Frankreich bestimmt, die durch ein von ihm entwickeltes System geschützt werden sollten. Dabei sollte der Zugang überall ähnlich angelegt sein, um den eingeweihten Personen in jeder der Lagerstätten mit denselben Handgriffen den Zugang zu gewähren. Die Aufgabe war schwierig gewesen, aber er hatte sie gelöst.

Der Orden hatte einige Lagerräume von den Katharern übernommen, zu denen immer freundschaftliche Kontakte bestanden hatten. Eduardo probierte den Mechanismus, den er entworfen hatte, ein weiteres Mal an dem Modell aus, das er gebaut hatte. Der Mechanismus musste einfach, aber vor allem haltbar sein. Dass er nicht offensichtlich sein sollte, verstand sich von selbst. Er drückte das kleine Kreuz auf dem viereckigen Kasten nach hinten und ein leises Klicken ertönte. Eine Seite des Kastens sprang auf. Eduardo war zufrieden.

Seine nächste Aufgabe bestand darin diesen Mechanismus in den verschiedenen Lagerräumen einzubauen. Im Hof der Komturei lagerte ein Tross Handwerker, die ihm dabei behilflich sein sollten. Verschiedene Bauteile waren bereits angefertigt worden und lagen auf Karren, die im Hof standen. Einige Männer hatten angefangen Pferde vor die Wagen zu spannen, da Eduardo vor einer Stunde den Aufbruch befohlen hatte.

Er räumte sein Modell und einige Werkzeuge und Pläne in eine Truhe und ließ auch diese durch einen Knecht auf einem der Wagen verstauen. Er ging hinunter in den Hof, wo sich neben den Handwerkern einige Tempelritter neben ihren gesattelten Pferden aufhielten. Ein Stallknecht hatte Eduardos Pferd vorbereitet und er ging zu dem prachtvollen schwarzen Tier. Er tätschelte ihm die Flanke, redete ihm gut zu und stieg auf.

Er sah sich die bereitstehende Kolonne an und rief dann laut den Befehl zum Aufbruch durch den Hof. Er setzte sich an die Spitze der Gruppe und passierte als Erster das Tor der Komturei. Insgesamt folgten ihm über vierzig Männer auf die Straße hinaus. Beim Verlassen Béziers wendete sich der Trupp nach Süden. In zwei bis drei Tagen würden sie ihr erstes Ziel erreicht haben.

Gisors, Ende Januar 2012 - Begegnung

Ein schmaler Lichtstreifen war an der Decke des Hotelzimmers zu sehen, als Gerhard erwachte. Er blickte ihn eine ganze Zeit lang an, bevor ein weiterer Blick zur anderen Bettseite ihn in seine Realität zurückholte. Es war ein fremdes Zimmer, ein großes ebenso fremdes Doppelbett, aber er war alleine hier. Sein Kopf schmerzte leicht, was deutlich vom Rotwein des gestrigen Abends herrühren musste. Seit der Trennung von seiner langjährigen Lebensgefährtin nahm Gerhard das alleine wach werden immer noch als störend und unwirklich wahr, dafür waren diese Kopfschmerzen vom übermäßigen Alkoholkonsum umso vertrauter geworden.

Er ging ins Bad und betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Rasiert hatte er sich bereits seit einigen Tagen nicht mehr. Nirgendwo am Spiegelrahmen fand sich ein kleiner Zettel, wie sie sie ihm früher immer morgens hinterlassen hatte, um ihm einen schönen Tag zu wünschen oder ihm zu sagen, dass sie ihn liebte. Er musste mehrmals schlucken und sah sich wieder im Spiegel an. Für sein Alter wirkte er an für sich noch sehr jung. Er war gut durchtrainiert und hatte noch immer ausreichend dichtes, braunes Haar auf seinem Kopf. Der Dreitagebart unterstützte sein sportliches, individuelles Auftreten eher noch. Die dunklen Ringe unter seinen Augen waren der einzige Hinweis auf seinen momentan nicht ganz gesunden Lebenswandel. Er wusch sich das Gesicht, stutzte den Bart ein wenig und machte sich dann auf zum Frühstücksraum in die untere Etage.

Das „Bonjour“ der Hotelangestellten und der Geruch nach frischen Croissants erinnerte ihn wieder daran, in welchem Land er sich befand und das hob seine Laune gleich wieder ein wenig. Auch die Einrichtung des kleinen Speisesaals und die Bilder an den Wänden waren typisch französisch. Das kleine Hotel am Bahnhof von Gisors war generell sehr gemütlich eingerichtet und das internationale Frühstücksbuffet ausgesprochen gut und reichlich.

Während er die frischen Croissants, Rühreier mit Speck und schwarzen Kaffee genoss, machte sich Gerhard über seinen bereits gestern gefassten Tagesplan Gedanken. Er hatte sich für den heutigen Tag vorgenommen die Burg und die Kirche der Stadt zu besichtigen. Er las noch einmal in seinem Reiseführer nach, was er über die Sehenswürdigkeiten von Gisors finden konnte, während er noch einen Erdbeerjoghurt zum Abschluss seines Frühstücks löffelte.

Dies war seit langer Zeit der erste Urlaub, den er alleine verbrachte und er hatte deshalb beschlossen seinen historischen Interessen nachzugehen. Die letzten Jahre war er immer in Begleitung verreist und war es gewohnt mit jemandem gemeinsam die Urlaubstage zu planen und zu verbringen. Er hatte dabei seine Besichtigungsvorlieben auf ein verträgliches Maß reduziert. Schon wieder stahl sich ein Hauch Melancholie in seine besser gewordene Laune.

Während er sein Frühstück beendete betrachtete er auf dem Display seiner Spiegelreflexkamera, einer Canon 650D, die Bilder der letzten Tage, in denen er sich bereits Einiges im Norden Frankreichs angeschaut hatte. Die letzten Bilder zeigten die kleine Templerkappelle in Laen und die riesige, beeindruckende Kathedrale der Stadt, mit den berühmten Ochsenfiguren, die die Abschlusskapitäle ihrer beiden Türme trugen.

Gerhard hatte auch den ungewöhnlichen Zeitpunkt seines Trips bisher nicht bereut. Eigentlich war der Februar nicht die Jahreszeit, um sich in der Bretagne und der Normandie herumzutreiben, aber das Wetter war ausgesprochen mild und der positivste Effekt dieser Jahreszeit war, das fast keine Touristen anzutreffen waren. Bisher hatte er alle Orte seiner Besichtigungen in Ruhe genießen können und an den Abenden immer nette Kontakte zu Einheimischen in kleinen Bars gefunden, die er dann mit seinen eher ungenügenden Französischkenntnissen und auf Englisch bestritten hatte. Trotz der Verständigungsschwierigkeiten hatte es immer ausgereicht, um sich mit französischem oder belgischem Bier, Rotwein und einigen Gläsern Pastis in Gesellschaft so weit zu benebeln, dass er danach in seinem Zimmer ohne zu viele negative Gedanken hatte einschlafen können.

Abends war die Einsamkeit eines Hotelzimmers, die eigentlich immer mit einem Doppelbett ausgestattet waren, für ihn noch immer schwer zu ertragen. Leider waren die leichten Kopfschmerzen und Augenringe ein weniger schöner Nebeneffekt dieser feucht fröhlichen Abende.

Auf dem Weg zurück in sein Hotelzimmer machte er sich Gedanken darüber, ob er den heutigen Abend einmal anders ausklingen lassen sollte. Er sah sich im Zimmer genötigt, eine Aspirin Tablette zu sich zu nehmen, um damit die Nachwirkungen des Abends zu bekämpfen. Er wollte sich immerhin nicht den Spaß an seiner Besichtigungstour verderben lassen.

Danach packte er seine Canon-Kamera und ein paar andere Sachen zusammen, um sich den Sehenswürdigkeiten der Stadt zuzuwenden. Er überprüfte noch einmal, ob die Akkus geladen waren und packte zur Sicherheit auch eine weitere SD-Speicherkarte für die Kamera ein.

Als er am Ausgang des Hotels angekommen war, begrüßten ihn eine herrliche Februarsonne und ein wolkenloser, blauer Himmel. Allerdings machte ihn das Licht auch gleich darauf aufmerksam, dass seine Kopfschmerzen noch immer nicht erfolgreich durch das Aspirin bekämpft worden waren. Der Vorsatz den Abend anders zu gestalten nahm in seinem Kopf immer mehr Gestalt an. Leider wusste er auch, dass er solchen Vorsätzen viel zu häufig im Laufe des Tages wieder untreu wurde.

Da er bereits am frühen Abend des Vortages die Stadt Gisors erreicht hatte, hatte er die Innenstadt und die Lage, der um diese Uhrzeit bereits geschlossenen Burg bei einem Spaziergang schon erkundet. Er wusste, dass ein zwanzigminütiger Fußmarsch mit seinem Kameragepäck notwendig war, um die Stadtmitte zu erreichen.

Er dachte nach und seufzte, während sein Blick auf seinen alten strichachter Mercedes viel, der gegenüber dem Hotel in einer Parkbucht parkte. Er nestelte in seiner rechten Hosentasche und das vertraute Klimpern sagte ihm, dass er den Autoschlüssel in der Tasche stecken hatte. Die Kopfschmerzen erleichterte ihm die schnell gefällte Entscheidung mit dem Auto zur Burg zu fahren.

Er liebte seinen 240er Mercedes, das große alte Lenkrad und die alten Ledersitze. Alles war in einem guten, restaurierten Zustand und passte zu seinem Job als Antiquitätenhändler. Viele seiner Kunden hatten ihm den Wagen schon abkaufen wollen, aber sein Geschäft lief so gut, dass er darüber noch nie hatte nachdenken müssen. Er drehte den Schlüssel und startete den Motor.

Nach einer kurzen Fahrt durch die Innenstadt erreichte er den weitläufigen Parkplatz vor der Burganlage. Er parkte den Mercedes in einer der Parkbuchten und ging zum Tor der Burg, deren Anlagen direkt an den Parkplatz grenzten. Als er durch das Tor trat und den mächtigen Donjon in der Mitte der Burgmauern erblickte, ließ er revuepassieren, was er über die im Jahre 1113 fertiggestellte Burg und deren Geschichte gelesen hatte.

Die Festung hatte in früheren Zeiten wegen ihrer strategischen Lage in der Normandie eine große Bedeutung gehabt, da sie den Zugang zwischen England und Frankreich beherrschte. 1158 wurde die Anlage dann vom Templerorden übernommen, der sie später durch einen Verrat an den englischen König Heinrich II verlor.

Weitaus spannender waren allerdings die unzähligen, neuzeitlichen Varianten des Gerüchts das besagte, der Schatz der Templer sei irgendwo in der Burg von Gisors versteckt. Lange hatten sich die Vermutung gehalten, dass die Tempelritter im Jahr 1307 ihren Schatz, oder Teile davon, in der Motte, das war der Hügel auf welchem der Donjon der Burg thronte, versteckt hätten. In den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg hatte dieses Gerücht neuen Auftrieb erhalten. Der Gärtner der Burg Robert Lhomoy hatte nach eigenen, illegalen Grabungen, im Jahr 1946 behauptet, eine Kapelle mit Truhen in der Motte entdeckt zu haben.

Die Behörden gingen der Meldung Lhomoys allerdings nicht nach, sondern schütteten die von ihm angelegten, einsturzgefährdeten Gänge unter Zuhilfenahme deutscher Kriegsgefangener einfach wieder zu. Die Geschichte Lhomoys verarbeitete der französische Journalist Gérard de Sède im Jahr 1962 in seinem Buch „Die Templer sind unter uns“. Lhomoy erzählte ihm seine Geschichte, in der Zeit in der er als Stallknecht auf dem Landgut von de Sède gearbeitet hatte.

Danach kamen viele Abenteurer und Schatzsucher nach Gisors und gruben an und im Umfeld der Burg nach dem vermeintlichen Schatz. Lhomoy konnte nach beharrlichen Versuchen beim Staatspräsidenten Charles de Gaulle dann doch noch eine offizielle Grabung erwirken. Die Burganlage wurde deshalb im Jahr 1964 für die staatlich beauftragten Grabungen militärisch gesperrt. Bereits nach kurzer Zeit wurde dieses Projekt allerdings wiedereingestellt, weil der Turm der Burg durch die Grabungsmaßnahmen einzustürzen drohte. Die bis zu dieser Zeit angestellten Untersuchungen waren angeblich ergebnislos verlaufen. Später gab es allerdings Behauptungen, es habe doch Funde auf dem Gelände gegeben und diese seien in mehreren Kisten mit Lastkraftwagen abtransportiert worden. Aber auch das konnte nie bewiesen werden.

Zumindest eine interessante Geschichte, wie Gerhard befand. Er betrat nun den Innenhof der Burg, in deren Mitte der Donjon auf der Motte das gesamte Gelände überragte. Sein eigentliches Interesse bestand darin, den Donjon zu besichtigen, was, wie er herausgefunden hatte, nur mit einem Führer gestattet war. Als er das kleine Büro auf der linken Seite des Eingangs erreichte, wurde er allerdings herb enttäuscht. Ein kleines Schild besagte, dass der Donjon in der Zeit von November bis März zur Besichtigung nicht geöffnet und ein Betreten desselben nicht gestattet sei.

Gerhard war enttäuscht. Er beschloss trotzdem, sich die Anlage genauer anzusehen und wendete sich nach rechts in den ausgedehnten Innenhof. Die frühen Morgenstunden und die frische Luft hatten den gleichen Effekt auf seinen Körper wie bereits an den Tagen zuvor. Er fühlte sich ein wenig elend und verfluchte ein weiteres Mal den Rotwein, den er am Vorabend getrunken hatte.

Bis auf einen alten Mann, der seinen Hund spazieren führte, war niemand im Park des Burghofes zu sehen. Gerhard hatte auf einem weiteren Schild gesehen, dass das kleine Büro ab 10 Uhr besetzt sein würde. Er fasste den Plan nachzufragen, ob er trotzdem einen Führer außerhalb der Öffnungszeiten engagieren könnte, um den Donjon zu besichtigen. Er wollte keine Chance ungenutzt lassen, wenn er schon einmal in Gisors war. Ein Blick auf die Uhr seines Mobiltelefons verriet ihm, dass es schon kurz nach neun Uhr war.

Gerhard schritt an der vorderen Seite der Motte entlang, langsam durch den Burghof. Er erreichte den Punkt, an dem ein Weg die Motte hinauf zum Donjon führte. Neben dem Eingang zu diesem Aufweg, der kreisförmig um den Hügel herum nach oben führte, war ein Abgang in ein Gewölbe zu sehen, das durch ein Stahlgitter versperrt war. Er passierte die Stelle und entdeckte auf dem weiteren Weg nach einigen Minuten auf der Rückseite des Hügels einen mit einer Tür verschlossenen Ausgang, Dahinter schien ein Gang zu liegen, der ins Innere der Motte führte. Durch ein kleines, vergittertes Fenster in der Tür konnte er ein Stück des Ganges erkennen und er nahm im hinteren Teil einen schwachen Lichtschein wahr. Auch Geräusche waren aus dem Gang zu vernehmen, die auf Arbeiten im Inneren des Hügels hindeuteten.

Gerhard setzte seinen Weg fort und kam nach zehn Minuten wieder am Tor an. Er hatte einige Bilder der Anlage mit seiner Canon geschossen und beschloss nun die Kirche der Stadt zu besichtigen, die unterhalb der Burg am Parvais de l´Eglise lag. Das würde die Zeit überbrücken, bis das kleine Büro in der Burg geöffnet würde.

Auf dem Weg die Straße hinunter suchte er eine Patisserie auf und kaufte sich einen Take-away Kaffee. Irgendetwas musste er nämlich gegen das flaue Gefühl in seinem Magen tun und ein Kaffee schien ihm dafür am besten geeignet zu sein.

Auf der Straße entfernte er zuerst den Deckel des Bechers, damit der Kaffee schneller abkühlen konnte. Er erreichte, kleine Schlucke Kaffee trinkend, den kleinen Platz, an dem die Kirche stand. Er betrat diese durch die linke der beiden, mächtigen Hauptportaltüren. Gerhard schaute sich im Inneren des Gotteshauses um und stellte fest, dass er auch hier wiederum alleine zu sein schien. Er stellte seinen Kaffeebecher auf einer Kirchenbank ab und zog seine Kamera aus der Tasche. Er hängte den Fotoapparat um seinen Hals und schaltete ihn ein. Ein kurzer Test zeigte ihm, dass er so fotografieren und gleichzeitig den Kaffee in der anderen Hand halten konnte. Er wendete sich ins Innere der Kirche und machte Bilder von Fenstern, Figuren, Wandgemälden und dem mächtigen Altar.

Er hörte wie eine der Fronttüren geöffnet wurde und geräuschvoll wieder ins Schloss viel. Jetzt war doch noch jemand in der Kirche aufgetaucht und Gerhard war nicht mehr alleine. Er bewegte sich vom Altar kommend wieder Richtung Eingang und machte einige weitere Bilder von verschiedenen Fenstern der Kirche. Er kam an einer dicken Säule an und richtete die Kamera auf ein Kapitel, das sich im oberen Bereich der Deckenbögen befand und reichlich verziert war.

Ein plötzlicher Stoß in seinen Rücken ließ ihn nach vorne straucheln. Er konnte zwar die Kamera festhalten, den Kaffeebecher entleerte er allerdings auf seine Jacke. „Scheiße“, entfuhr es ihm und er drehte sich verärgert um, um die Ursache des Stoßes zu ergründen. Er blickte in die Augen einer erschrocken wirkenden jungen Frau mit roten Haaren, die ein leises „Entschuldigung“, murmelte. Gerhard zögerte, bevor er antwortete. Ihr bemitleidenswerter Anblick hatte seinen Ärger direkt weggewischt. „Nicht gerade toll, aber sowas kann passieren.“ Er zog die Jacke aus und stellte fest, dass außer ihr nichts nass geworden war. Er hatte Glück gehabt, dass er sich den Kaffee nicht über die Kamera geschüttet hatte. Während er noch die Kaffeeflecken auf seiner Jacke betrachtete, drehten sich seine Gedanken bereits um die Lederjacke im Kofferraum des Mercedes. Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass die junge Frau, die immer noch neben ihm stand, Deutsch mit ihm geredet hatte. Er drehte sich zu ihr und fragte: “Sie sind Deutsche?“ - „Ja“, sagte die junge Frau, „ich komme aus Hamburg und bin im Urlaub hier.“ Sie wirkte noch immer verlegen und es war ihr deutlich anzusehen, dass der Vorfall ihr sehr unangenehm war.

„Kann ich sie zu einem neuen Kaffee einladen, um mein Missgeschick ein wenig auszubügeln?“, fragte sie. Gerhard dachte darüber nicht lange nach, zumal es immer noch mehr als eine halbe Stunde dauern würde, bis das Büro an der Burg öffnete. „Gerne“, antwortete er, „mein Name ist übrigens Gerhard Maibach.“ - „Jasmin Pandle“, sagte sie und hielt ihm ihre Hand hin. Er schüttelte ihre Hand mit einem Lächeln und sagte: „Dann lassen sie uns gehen.“

Die beiden verließen die Kirche und gingen die kleine Gasse an der Seite der Kirche hinunter, die zur Rue du Dauphine führte. Da es keine sehr große Auswahl an Geschäften in diesem Bereich gab, führte der Weg in eine kleine Brasserie, in der Gerhard sich bereits gestern einen Kaffee geholt hatte. Sie nahmen an einem kleinen Tisch mit alten Holzstühlen im inneren der Brasserie de l´Etoile Platz.

Sie bestellten zwei große, amerikanische Kaffee und Gerhard hängte seine nasse Jacke über die Lehne eines weiteren Stuhles. Jasmin blickte auf Gerhards Jacke. „Das mit ihrer Jacke tut mir wirklich leid. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass jemand hinter der Säule steht.“ - „Ist nicht wirklich tragisch“, antwortete Gerhard, „ich habe noch eine Jacke in meinem Auto, das in der Nähe der Burg steht.“ Er lachte auf: “Wenn ich heute Morgen gleich die Lederjacke angezogen hätte, wäre durch den Kaffee gar nichts passiert.“ Nun lachte Jasmin ebenfalls und ihre Gesichtszüge entspannten sich zum ersten Mal seit dem kleinen Unglücksfall.

Gerhard schätzte die junge Frau bei näherer Betrachtung auf Mitte zwanzig. Ihr rotes Haar war gelockt und schulterlang und auf der Nase in ihrem etwas bleichen, sommersprossigen Gesicht saß eine schmale, feinwirkende randlose Brille. Sie hatte eine sehr sportliche Figur und machte einen weltoffenen Eindruck. „Was treiben sie zu dieser Jahreszeit hier in Nordfrankreich. Es gibt bei weitem bessere Orte um seinen Urlaub zu verbringen, wenn man an das kalte verregnete Wetter in Deutschland dieses Jahr denkt.“ - „Da gebe ich Ihnen recht, aber ich wollte die Orte sehen, von denen mein Großvater mir immer erzählt hat, als ich ein kleines Mädchen war. Außerdem ist der Geldbeutel einer Studentin nicht so prall gefüllt, als dass man mal eben auf die Malediven fliegen kann.“ Gerhard lachte.

Es war erfrischend nach zwei Wochen wieder einmal Deutsch zu reden. Dabei einen Kaffee, anstatt Pastis zu trinken, kam zudem seinem morgendlichen Vorsatz sehr entgegen. „Was studieren Sie?“, fragte Gerhard. „Ich studiere Kunstgeschichte in Hamburg“, antwortete sie. „Dann bieten Ihnen die Sehenswürdigkeiten hier in Gisors sicherlich einiges, das sie interessieren dürfte.“ - „Da gebe ich Ihnen recht. Ein netter Nebeneffekt der Reise ist es auf alle Fälle.“

Gerhard trank einen großen Schluck seines warmen Kaffees. „Was hat ihr Großvater in Frankreich gemacht?“ - „Mein Opa war im Krieg hier in Frankreich stationiert und später auch in Kriegsgefangenschaft, aus der er aber bereits 1946 nach Hause gekommen ist. Bei uns in der Familie hat ihm selten jemand zugehört, weil er im Alter sehr oft vom Krieg und vor allem den Erlebnissen in Gisors geredet hat. Dabei hat er einige der Geschichten mehr als einmal erzählt. Mich hat es immer fasziniert, weil er sich so genau an alles erinnern konnte und sich die Geschichten nie veränderten. Daten, Personennamen und Ereignisse waren bei ihm so abgespeichert, dass man den Eindruck hatte er lese seine Erzählungen ab.“ - „Das hört sich sehr interessant an. Ich kann gut verstehen, dass man sich für historische Dinge interessiert, vor allem dann, wenn es die Familie betrifft. Ich selbst bin auch so - Ich schätze auch, dass mein Beruf dies mit sich bringt - Wollen sie noch einen Kaffee?“ - „Gerne!“, antwortete Jasmin.

Gerhard ging zum Tresen und bestellte zwei weitere Tassen Kaffee. Er genoss das unbeschwerte Gespräch nach all den Monaten der Grübelei, seit der Trennung von seiner Freundin. Das war auch der Grund, warum er beschlossen hatte, dieses erfrischende Gespräch, um einen weiteren Kaffee zu verlängern. Er kehrte mit den beiden Tassen an den Tisch zurück. Jasmin legte ihr Mobiltelefon zur Seite, mit dem sie beschäftigt war und rührte Zucker und Milch in ihren Kaffee. „Mein Freund hat nicht so viel Glück wie ich“, sagte sie, „er muss leider arbeiten. So ist das Leben. Sie erwähnten eben ihren Beruf. Was machen sie eigentlich?“ - „Ich war Geschichtslehrer an einem Gymnasium bis ich das Geschäft meines Vaters übernommen habe. Ich kam mit den meisten meiner hochnäsigen Kollegen sowieso nicht klar. Heute handele ich mit Antiquitäten, was meinen geschichtlichen Interessen natürlich sehr entgegenkommt. Sicher war der Beruf meines Vaters auch ein Grund für die Wahl meines Berufes. Ich habe es geliebt in seinem Geschäft mit all den alten Sachen zu sitzen und mir abenteuerliche Geschichten zu den Gegenständen auszudenken. So geht es mir oft heute noch, wenn ich alte Sachen auspacke und sie betrachte.“

Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile über das Geschäft von Gerhard und Jasmin hatte einige Fragen die mit ihrem Kunstgeschichtsstudium in Zusammenhang standen. Gerhard beantwortete gerne, was er beantworten konnte und die junge Frau begann ihm immer mehr Freude zu bereiten. Es war bereits kurz vor Elf, als er auf seine Armbanduhr schaute. Er wollte immer noch seinen Plan umsetzen, die Burg zu besichtigen, hatte aber auch große Lust sich noch weiter zu unterhalten.

„Ich werde mir jetzt noch ein wenig die Stadt anschauen. Sie haben ja sicher auch noch etwas vor. Falls sie aber heute Abend Lust hätten mit mir zu Essen und noch etwas zu plaudern, könnten wir uns gerne in dem kleinen Restaurant unten an der Flussbrücke treffen. Es heißt Royal Asie. Ich hätte nämlich sonst nichts vor außer mit alten Franzosen zu viel Pastis zu trinken“, er lachte. “Liebend gerne, zumal es mir mit der Abendgestaltung ähnlich geht. Ich versuche noch das eine oder andere von meinem Opa in Erfahrung zu bringen und könnte ab 19 Uhr zum Essen kommen.“- „Dann ist das abgemacht“, sagte er und stand auf.

Gerhard freute sich sehr und er hoffte gleichzeitig, dass ein netter Abend mit weniger französischen Getränken ihn vor den üblichen Kopfschmerzen bewahren würde. Sie einigten sich auf zwanzig Uhr und verließen die Brasserie. Jasmin gab Gerhard zum Abschied die Hand und sie gingen in unterschiedliche Richtungen davon.

Gerhard war froh. Jasmin brachte ihn auf andere Gedanken und das war gut so. Sie war jung und nett. Er war sich sicher, dass sein Handeln nicht sexuell motiviert war, obwohl er Jasmin ausgesprochen hübsch fand. Wichtig war, dass sie ihn lachen ließ und die Melancholie dadurch ein wenig vertrieben wurde.

Gerhard schlug den Weg zum Parkplatz ein, um seine Jacken auszutauschen. Am Mercedes angekommen, nahm er seine Lederjacke aus dem Kofferraum und wandte sich Richtung Burganlage. Er beobachtete dabei einen großen silbernen BMW, der auf den Parkplatz fuhr „Noch mehr Deutsche“, dachte er als er das Düsseldorfer Nummernschild erblickte. Er ließ das Fahrzeug passieren und ging mit großen Schritten auf das Burgtor zu. Er hoffte jetzt doch noch eine Besichtigung des Donjons möglich zu machen.

Brest, August 1944 - Das Kommando

Der junge Offizier lehnte an der Turmbrüstung des VIIC Bootes, das am Ausleger des mächtigen U-Boot-Bunkers von Brest lag. Er schaute hinauf zur Militärschule, die als Hauptquartier der 1.sten und 9.ten U-Boot-Flottille diente, zu der auch sein Boot gehörte. Die Spuren der Fliegerangriffe in den letzten Wochen waren überall zu sehen. Sogar das Dach des U-Boot-Bunkers hatte einen Bombentreffer abbekommen, der ein kleines Loch in der Decke hinterlassen hatte, das allerdings bedeutungslos war. Dieser Bunker war für die Ewigkeit konstruiert worden und würde wohl in hundert Jahren noch hier stehen.

Kaleun Erich Wahrenberg betrachtete nachdenklich sein Boot, das sich nach der letzten Feindfahrt ebenfalls in nicht gerade gutem Zustand befand. Wie die meisten anderen Boote, hatte auch dieses viele Schäden durch Wasserbombenangriffe und Flugzeugbeschuss hinnehmen müssen. Viele Reparaturen konnten nicht ausgeführt werden, da die Versorgung mit Ersatzteilen seit einiger Zeit nicht mehr die Beste war. Auch die Stimmung der Männer war an einem Tiefpunkt angekommen, was die riesigen Verluste unter den Bootsmannschaften wiederspiegelte. Jeder hatte in den letzten Wochen und Monaten Freunde verloren und die Wahrscheinlichkeit von einer Feindfahrt nicht zurückzukehren war so groß, dass die Männer vor jeder Feindfahrt ihren letzten Willen und die letzten Briefe in die Heimat überarbeiteten.

Gerade zu diesem Zeitpunkt hatte Erich den Marschbefehl nach Brest erhalten, um das Kommando über U-989 zu übernehmen. Der Kommandant Hardo Rodler von Roithberg war kurzfristig nach Deutschland abberufen worden und sollte das Boot in Flensburg nach der Fahrt wieder übernehmen. Überall in der Festung von Brest herrschte Aufbruchsstimmung, da sämtliche Boote aus dem Hafen abgezogen werden sollten. Das war auch mehr als verständlich, da die Invasion der amerikanischen Streitkräfte kurz bevorstand. Korvettenkapitän Lehmann-Willenbrock, der die Flottille leitete, wollte selbst das letzte Boot befehligen, das den Hafen von Brest verlassen sollte.

Erich fragte sich, warum er gerade jetzt dieses Kommando erhalten hatte. Gegen die Beförderung hatte er nichts gehabt, er hatte vorher auf einem Boot in La Rochelle als erster Wachoffizier gedient. Auch dort waren die Verluste hoch und die Stimmung schlecht. Aber er hatte die meisten verbliebenen Kameraden gekannt, was die Lage für ihn erträglicher gemacht hatte. In dieser Situation ein befristetes Kommando zu übernehmen erschien ihm nicht richtig zu sein.

Eine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken: „Die Kisten sind fast alle verladen Kaleun!“, meldete sein erster Offizier. „Wir werden kaum noch Platz haben Torpedos zu laden, halten sie das für ratsam?“ - „Ich bin kaum in der Lage die Befehle in Frage zu stellen Müller, oder wollen sie das gerne tun? Sie haben die Möglichkeit sich oben in der Leitstelle der Flottille zu beschweren, wenn sie das für eine gute Idee halten.“

Erich mochte den Mann nicht, was ihm sein neues Kommando sicher nicht erleichtern würde, aber Befehle in Frage zu stellen kam ihm im Moment ebenfalls nicht hilfreich vor. „Wie lange wird das Verladen noch dauern Müller?“ - „Ich denke, dass in einer halben Stunde alles an Bord sein wird“, war die eher unfreundlich klingende Antwort. „Wenn es so weit ist, sorgen sie dafür, dass wir zum Auslaufen bereit sind und machen sie oben Meldung, dass wir den Ritt beginnen können. Falls sie dann noch Fragen bezüglich der Torpedos haben, können sie sich diese gleich beantworten lassen.“ - „Jawohl Kaleun“, brummelte Müller in seinen Bart. Er sah den Mann an, der dringend eine Wäsche nötig gehabt hätte. Früher hätte Erich an dieser Stelle insistiert, aber auf Grund der Lage waren solche Feinheiten nebensächlich geworden. Auch Erichs Uniform hatte bereits bessere Tage gesehen.

Eine Stunde später wurde der Auslaufbefehl erteilt und nur Minuten später löste sich das Boot langsam rückwärts vom Anleger. Erich beobachtete den Vorgang genau und blickte dabei unruhig auf die Wasseroberfläche, da bei den letzten Fliegerangriffen auch Minen abgeworfen worden waren. Der Wachhabende der Festung, Alfred Nell, winkte ihm vom hinteren Teil des Anlegers zu. Mit ihm hatte Erich in den letzten Tagen einige Flaschen Rotwein geleert und eine ausgesprochen gute Zeit in der Bar verbracht. Der Mann war auf U-984 als Zentralemaat gefahren, das allerdings vor einigen Tagen, wegen seines Lazarettaufenthaltes, ohne ihn ausgelaufen war. Jetzt war er bei der Wache. „Vielleicht ein glücklicher Umstand, bei den Verlusten“, dachte Erich und winkte zurück.

Die plötzlich ertönenden Fliegersirenen sorgten auf dem gesamten Gelände, und auf U-989, augenblicklich für eine hastige Betriebsamkeit. Überall rannten Leute herum und Erich geriet wegen der Lage, in der sie sich mit dem Boot befanden, in Panik. Er bot mit seinem aufgetauchten, langsam auslaufenden Metalleimer eine gute Zielscheibe für die angreifenden Jagdbomber der Alliierten. Erstes Geschützfeuer war bereits von den Küstenstellungen bei Camaret-sur-Mer, am Eingang der langgezogenen Bucht, zu vernehmen.

Erich brüllte den Befehl zum Alarmtauchen in das Turmluk. Im Boot wurden sofort die hundertfach eingeübten Vorgänge abgespult. Jeder Einzelne wusste genau, was zu tun war. Die Brückenwache verließ Mann für Mann den Turm, während Erich die größer werdenden Punkte der Flugzeuge am Horizont im Auge behielt. Er dachte kurz darüber nach, dass sein erstes Kommando mit einer ausgesprochen kurzen Feindfahrt enden würde, bevor auch er ins Turmluk sprang und den Lukendeckel hinter sich zuzog. Er drehte mit schnellen Bewegungen das Rad zur Verriegelung des Luks zu. Man hörte, wie das Boot unter die Wasseroberfläche glitt. Zum Glück hatten sie schon genug Fahrt aufgenommen, um nicht gänzlich zur Zielscheibe zu werden.

Nur Sekunden später wurde das Boot von einer nahegelegenen Detonation durchgeschüttelt - weitere folgten unmittelbar. Die Flugzeuge warfen Wasserbomben auf das Boot, das sie sicher noch unter der Wasseroberfläche als langgezogenen Schatten wahrnehmen konnten. Die Mannschaft von U-989 arbeitete im gesamten Boot fieberhaft um Tiefe zu gewinnen. Erich brüllte Befehle durch das Boot, ein Wassereinbruch im Maschinenraum wurde notdürftig gestoppt, bevor es im Boot ruhiger wurde.

Sie hatten eine ausreichende Tauchtiefe erreicht und somit war das Boot wenigstens den Flugzeugen entkommen. Die Frage die sich Erich nun stellte war, wie man durch den breiten Gürtel von feindlichen Zerstörern schlüpfen sollte, die vor der Bucht im Atlantik lagen. Die Piloten hatten das auslaufende Boot mit Sicherheit bereits gemeldet.

Erichs Augen fielen auf den verschlossenen Umschlag, den ein Bote von der Kommandantur kurz vor dem Auslaufen gebracht hatte. In dem Chaos hätte er ihn fast völlig vergessen. Der Mann hatte nicht viel gesagt, als er den Umschlag übergeben hatte. Er hatte erklärt, dass der Befehl streng geheim sei und war wieder verschwunden. In dem Brief war das Ziel ihrer Reise vermerkt. Erich öffnete den Umschlag und begann zu lesen.

Gisors, Februar 2012 - Die Burg

Ein Blick auf die Uhr seines Handys sagte Gerhard, dass es zwanzig Minuten nach elf war. Es befanden sich noch immer nur wenige Besucher auf dem Gelände der Burg. Ein älteres Ehepaar schlenderte an der Burgmauer zum gegenüberliegenden Tor hin, das wegen Renovierungsarbeiten geschlossen war. Gerhard hielt auf das kleine Büro zu und musste feststellen, dass es noch immer geschlossen war. Laut des Schildes hätte es seit mehr als einer Stunde geöffnet sein müssen. Man konnte wohl davon ausgehen, dass hier heute niemand mehr erscheinen würde. Gerhard ärgerte sich.

Er stand unschlüssig herum und betrachtete dabei die Motte und den Donjon in der Mitte des Geländes. Das ältere Ehepaar hatte die Motte halb umrundet und Gerhard schlenderte abermals zu dem ringförmigen Weg hin, der den Hügel hinauf zum Donjon führte. Er betrachtete den Weg längere Zeit. Er war auf der gesamten Länge durch Büsche gesäumt, die trotz der Jahreszeit recht dicht bewachsen waren. Auch dem Eingang zu dem Gewölbekeller schenkte er ein weiteres Mal seine Aufmerksamkeit. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass das Ehepaar durch das Eingangstor den Burghof verlies. Nun war er alleine auf dem Gelände.

Eine spontane Eingebung sagte ihm, dass dies die einmalige Gelegenheit war, unbemerkt die Motte über den Weg hinaufzusteigen, um ein paar Bilder vom Donjon zu machen. Er kletterte über das mit einem Vorhängeschloss versehene kleine Tor und hastete leicht gebückt im Schutz der Büsche den Berg hinauf. Auf dem letzten Stück des Weges, das dem Haupttor zugewandt war, kam ein kurzes Stück Weg, dass nicht von Büschen gesäumt war. Er behielt den Eingang im Auge und bewegte sich schnell auf den Eingang der Ringmauer zu, die den Donjon umgab. Er hastete durch das Tor in den Innenhof und befand sich jetzt im Sichtschutz der Mauer. Hier konnte man ihn vom Burghof aus nicht mehr sehen.

Er atmete erst einmal durch, bevor er die Muse fand den Turm und die Mauern auf sich wirken zu lassen. Dann nahm er seine Kamera aus dem Rucksack und fing an Bilder von der Anlage zu machen. Tief im Inneren freute er sich diebisch über dieses kleine Abenteuer. Er befand für sich, dass der Tag bereits die zweite positive Wendung genommen hatte.

Er fotografierte den Aufgang des Turms und die Nischen der Ringmauer, als er einen abgesperrten Bereich im Innenhof bemerkte. Dicht an der Turmmauer befand sich ein mit Baustellenband abgegrenzter Bereich, in dem der Boden eindeutig abgesunken war.

Gerhard glaubte sich daran zu erinnern, dass dies der Bereich der Festung gewesen war, in der Lhomoy seine Grabungen ausgeführt hatte. Nun griff Gerhard zu seinem Mobiltelefon und freute sich gleich darüber einen guten Empfang zu haben. Dem mobilen Zugang zum Internet stand so nichts im Wege. Er recherchierte über Lhomoy bei Google und fand das Bild, an das er sich erinnert hatte. Auf dem Bild war der Gärtner zu sehen, wie er aus dem Schacht seiner Grabung stieg und der Hintergrund bestätigte Gerhard in seiner Vermutung.

Er schoss einige Bilder von der Stelle und bewegte sich danach wieder auf das Tor in der Ringmauer zu. Während er seine Kamera wegpackte, hörte er hinter sich ein leises Geräusch. Er legte sich direkt eine Entschuldigung zurecht, weil er glaubte, dass ein Wächter sich im Inneren des geschlossenen Donjons befinden würde. Er rechnete damit, dass dieser ihn nun sehr bestimmt darauf aufmerksam machen würde, dass er hier oben nichts verloren hatte. Gerhard drehte sich gelassen herum und war erstaunt, dass niemand zu sehen war.

Gerhard lachte über sich selbst. Da hatte ihm sein Gehirn einen Streich gespielt, weil er hier etwas Verbotenes machte. Dieser Umstand amüsierte ihn sehr. Er kannte das Gefühl noch aus der Schule, wenn sie beim Schwänzen erwischt worden waren. Er griff nach der kleinen Flasche Wasser im Seitenfach seines Rucksacks und trank einen Schluck, als er das Geräusch erneut hörte. Er ging einige Schritte vorwärts und lauschte. Das Geräusch war nicht permanent vorhanden, sondern in unregelmäßigen Abständen zu hören.

Gerhard näherte sich wieder dem abgesperrten Bereich. Als er am Rand der Grube stand, vernahm er das Geräusch wesentlich deutlicher. Gerhard blickte in die Grube und sah, dass an einer Stelle ganz langsam Erde tiefer in das Loch rutschte. Man konnte sehen, dass sich ein Teil des Bodens ganz langsam weiter absenkte. Er dachte einen Moment darüber nach und kam zu dem Schluss, dass dies mit den Arbeiten zusammenhängen könnte, die er am Morgen in dem Stollen am Fuß der Motte bemerkt hatte. Lediglich die Tatsache, dass die alte Grabung dann mit diesem Stollen in Verbindung stehen müsste, machte ihn nachdenklich, zumal Lhomoy dies erwähnt hätte, wenn es so gewesen wäre.

Da nur minimale Bewegungen innerhalb der Grube wahrzunehmen waren, schenkte Gerhard dem Phänomen keine weitere Beachtung. Er packte seine Sachen zusammen und huschte den Weg wieder leicht geduckt hinunter. Er kletterte über das Tor und ging nach rechts, weil just in dem Moment, als er den Weg verlassen hatte, einige Leute den Burghof betraten. Auf seinem Weg um die Motte herum, näherte er sich wieder dem Stollen mit der Tür. Er blieb verwundert stehen, als sich die Holztür öffnete und ein älterer Mann den Stollen verließ. Er war groß, schwarzhaarig mit grauen Strähnen und gut gekleidet. Der Mann verschloss die Tür und grüßte Gerhard mit einer freundlichen Handbewegung, als er ihn wahrnahm. Er ging vor Gerhard her über den Burghof und verschwand am Eingangstor in dem kleinen Büro der Burg. Gerhard überlegte, ob er ihn wegen der Führungen befragen sollte, aber der Mann trat schon wieder aus dem Gebäude heraus und verschloss die Tür. Er verließ vor Gerhard den Burghof und wandte sich dem Parkplatz zu.

Gerhard ging ebenfalls zum Parkplatz, erreichte seinen Mercedes und öffnete den Kofferraumdeckel. Er wollte gerade die Kameratasche im Kofferraum verstauen, als er hörte, wie ein Fahrzeug gestartet wurde. Ein kurzer Blick verriet ihm, dass es sich dabei um den silbernen BMW des Vormittags handelte. Gerhard sah den Fahrer am Steuer des Wagens und er überlegte kurz. Er zog seine Rückschlüsse aus der Tatsache den Mann von vorhin wiederzusehen: „Die deutschen Archäologen haben auch überall ihre Finger drin.“ Er schloss den Kofferraum, setzte sich in seinen Wagen und fuhr zurück ins Hotel.

In seinem Zimmer angekommen, legte er seine Sachen ab und duschte ausgiebig. Er hätte das warme Wasser stundenlang über sich rieseln lassen können. Er rasierte sich und danach gönnte er sich etwas von den Vorräten, die er sich im „Le Clerk“ organisiert hatte. Ein gutes Stück französische Wurst, Käse und ein leider nicht mehr ganz frisches Baguette. Ein gutes Glas französischer Weißwein gehörte natürlich auch dazu. Danach legte er sich auf das Bett, stellte seinen Wecker um sein Date nicht zu verschlafen, drehte sich um und schlief direkt ein.

Als Gerhard wieder zu sich kam, war es bereits vier Uhr. Da noch genug Zeit bis zu seinem Treffen mit Jasmin war, beschloss er in den Supermarkt zu fahren und einzukaufen. Das wollte er deshalb noch angehen, weil seine „Zwischendurch – Verpflegung“ sich dem Ende zuneigte. Er setzte sich ins Auto und fuhr in den Supermarkt. Er kaufte gerne in Frankreich ein und so verging die Zeit schnell. Als nach dem Einkauf wieder ins Hotel zurückkehrte, war es bereits kurz vor sieben Uhr.

Gerhard ging kurz ins Bad und wusch sich noch einmal das Gesicht. Er wollte vor dem Abendessen noch ein wenig spazieren gehen und sich dann im Restaurant einfinden. Gerhard verließ das Hotel und wandte sich zu Fuß in Richtung Stadtmitte. Er schlenderte die Straße hinunter und verweilte kurz auf der kleinen Brücke über dem Flüsschen L´Epte, das weiter oben von einer hölzernen Überdachung gesäumt war. Er ging dorthin und setzte sich auf die Brüstung der Holzüberdachung. Er griff in die Innentasche seiner Lederjacke, wo er, wie vermutet, seinen kleinen silbernen Flachmann fand. Diesen hatte er mit einem 21 Jahre alten Mortlach, seiner Meinung nach einem der besten Single-Malt-Scotch-Whiskys die es gab, befüllt. Gerhard nahm einen kräftigen Schluck und genoss den süßen, sherrylastigen Geschmack des Getränks.

Er warf einen Blick auf die Uhr seines Mobiltelefons und schlenderte weiter. Er betrachtete die Auslagen der kleinen Geschäfte, bog irgendwann links ab und passierte die Rückseite der Kirche. Einige hundert Meter weiter erreichte er das kleine Restaurant und trat ein. Er war zehn Minuten zu früh und ließ sich einen kleinen Ecktisch mit Aussicht auf die Straße zuweisen. Er studierte die Karte, bestellte eine Flasche Coté de Bergerac, zwei Gläser und wartete auf Jasmin.

Jasmin war von der pünktlichen Sorte und betrat in diesem Moment das kleine Lokal. Sie strahlte schon wieder über das ganze Gesicht, als sie ihn sah. Gerhard winkte und sie kam zu ihm an den Tisch. „Hallo“, sagte sie fröhlich, „wie ich sehe haben Sie für die Getränke schon gesorgt.“ - „Ja, aber das Essen müssen Sie selbst aussuchen“, frotzelte er. Sie plauderten eine Weile über belanglose Dinge und bestellten das Essen. Gerhard entschied sich für einen Flammkuchen Elsässer Art und Jasmin wählte einen Salat mit Putenbruststreifen. Während des Essens unterhielten sie sich wieder über Jasmins Studium und bestellten, nachdem sie aufgegessen hatten, noch einen Espresso.

Jetzt kamen sie auf den Tag zu sprechen und Gerhard berichtete von seinem kleinen Abenteuer in der Burg. Als er bei der Erzählung im Donjon angekommen war und von der nachrutschenden alten Grabung berichtete, unterbrach ihn Jasmin, als sie sagte: „Mein Großvater war einer der Männer, die 1946 die Erde in den Donjon schleppen mussten um das Loch von Lhomoy zu verfüllen“, sie musste grinsen bei dem Gesichtsausdruck den Gerhard jetzt machte. Er war verblüfft: „Dann war ihr Großvater als Kriegsgefangener direkt hier in Gisors?“ - „Genau so war´s!“, sagte sie, „und dieser Ort hat ihn, wie ich bereits gesagt habe, sehr gefesselt. Er hat auch Jahre nach der Gefangenschaft immer wieder Zeit in Gisors verbracht. Er hatte sogar einige Freunde hier. Einen von ihnen besuche ich gerade, um mehr über seine Zeit hier zu erfahren und darüber was mein Opa hier gemacht hat.“ - „Wie lange war er hier in Gefangenschaft?“, hakte Gerhard nach. „Es wird ja vermutlich eine längere Zeit gewesen sein, wenn er sich der Stadt so verbunden gefühlt hat.“

Jasmin wurde nachdenklich. „Eigentlich nicht. Mein Großvater war nur wenige Wochen hier in einem Lager in der Nähe. Er ist wegen einer Verletzung in ein größeres Lager in der Nähe von Rouen verlegt worden, wo es ein Lazarett gab. Ich habe ihn hier in den Listen des Lagers namentlich auch nicht gefunden, vermutlich weil er viel zu kurz hier gewesen ist.“

Gerhard begann sich immer mehr für die Geschichte von Jasmins Großvater zu interessieren. „Wie hieß ihr Großvater eigentlich?“, fragte er nach. „Heinrich Krämer“, antwortete sie.

„Erzählen sie mir mehr über ihren Opa“, sagte Gerhard. „Er war mein Großvater mütterlicherseits und hat nach dem Krieg, in einem kleinen norddeutschen Küstenort gelebt. Da haben wir ihn als Kinder - Ich habe noch einen Bruder müssen sie wissen - Mit unseren Eltern zusammen immer besucht. Später in den Neunzigern musste er in ein betreutes Wohnen wechseln, weil er wegen seiner Kreislauferkrankung häufig ärztliche Betreuung brauchte. Das war schwer für ihn, weil er an seinem Häuschen sehr hing. Deshalb haben wir es auch behalten und meine Eltern vermieten es in den Sommermonaten an Urlauber. - Manchmal trifft sich auch die Familie dort, um ein Wochenende zusammen auszuspannen.“ - „Wann ist ihr Großvater verstorben Jasmin?“ - „Das war vor zwei Jahren, ich hatte gerade mit dem Studium begonnen. Ich war sehr traurig, weil ich meinen Großvater sehr gemocht habe. In den folgenden zwei Jahren habe ich dann beschlossen mir die Zeit zu nehmen und mir die Orte anzuschauen, an denen er so viel Zeit verbracht hat. Ich wollte auch versuchen noch alte Freunde von ihm aufzusuchen, um mehr über ihn, und das was ihn beschäftigte, zu erfahren. Ich habe einige alte Briefe meines Großvaters in einer Kommode gefunden. So habe ich Herrn Deneuve ausfindig gemacht, mit dem mein Großvater befreundet war. Er lebt heute noch hier in Gisors und ist für sein Alter noch ausgesprochen rüstig. Ich werde mich morgen früh noch einmal mit ihm treffen.“ Gerhard dachte nach. Er hatte Feuer gefangen und fragte sich, ob es unverschämt wäre Jasmin zu fragen, ob er sie begleiten dürfe.

Die Tatsache, dass Heinrich Krämer dabei war als die Grabungen des Gärtners Lhomoy zugeschüttet wurden, interessiere ihn sehr. Irgendwie witterte er ein Geheimnis, so wie er sie als Kind in den Antiquitäten seines Vaters immer gewittert hatte. Er hatte zwar nie eines entdeckt und glaubte auch jetzt nicht wirklich daran eines aufzudecken, war aber hochgradig neugierig ob mehr über die Geschichte des alten Herrn zu erfahren war.

Jasmin riss ihn aus seinen Gedanken: „Herr Maibach?“, Gerhard blickte sie an. „Ich hatte sie gerade gefragt ob sie morgen früh Lust hätten mit mir zum Frühstück in das Café zu kommen, wo ich mich mit Herrn Deneuve treffen will?“ Gerhard war sichtlich verwirrt wegen dieser Frage, mit der er überhaupt nicht gerechnet hatte und die er vor allem nicht mitbekommen hatte. Man schien ihm seine Verwirrung anzusehen. Jasmin hakte nach: „Sind Sie morgen eventuell schon wieder auf dem Heimweg? Das wäre sehr schade.“ - „Nein…Nein!“, sagte Gerhard. “Ich bin noch hier und würde mich sehr freuen, wenn ich sie begleiten darf. Darauf sollten wir einen Schluck Wein trinken - und nennen sie mich Gerhard!!“ Er lachte. „Jasmin, wie sie wissen - oder Jessy.“ Gerhard hob sein Glas „Ich denke ich bevorzuge Jasmin…dann mal Prost!“

U-989, August 1944 - Feindfahrt

Das Boot fuhr aufgetaucht durch die Dunkelheit. Es war ungefähr Mitternacht und Erich sog die frische Seeluft in seine Lungen. Die letzten Tage der Fahrt waren die Hölle gewesen. Die feindlichen Zerstörer hatten das Boot wie einen Hasen gejagt. Unzählige Wasserbomben waren während der Tauchfahrten um das Boot herum detoniert und die Nerven der Männer hatten blank gelegen. Alle an Bord wussten, dass keine Torpedos an Bord waren, mit denen man sich hätte verteidigen können. Einmal hatten sie für Stunden unter Beschuss auf Grund gelegen und waren dabei durch die Detonationen so eingegraben worden, dass sie mehrere Male die Tauchtanks anblasen mussten, um vom Grund frei zu kommen.

Ein aktives Verteidigen war dem Boot ja nicht möglich und sich mit den Deckgeschützen auf einen Überwasserkampf einzulassen, wäre einem Selbstmord gleichgekommen. Mehrmals war das Boot so lange getaucht geblieben, dass ein Zwangsauftauchen kurz bevorgestanden hatte. Jedes Mal hatten sie das Glück, dass die Zerstörer-Verbände vorher abgelaufen waren. Es wäre sicherlich einfacher gewesen, wenn das Boot bereits einen Schnorchel besessen hätte, der sollte aber erst im Zielhafen Flensburg eingebaut werden.

Dies war ihre erste Überwasserfahrt, die im vorangegangenen Tauchgang keinen Wasserbombenbewurf gehabt hatte. Im Horchraum waren keine feindlichen Schiffe zu hören gewesen und die Männer wechselten sich nun bei der Turmwache ab, um eine Zigarette zu rauchen, oder einfach einmal wieder keine nach Öl stinkende Luft zu atmen.

Erich betrachtete nachdenklich die Turmverkleidung, die durch die Wasserbombenangriffe erheblichen Schaden genommen hatte. Auch einer der beiden Schiffsdiesel brachte nicht mehr die volle Leistung. Der Maschinen-Maat ging davon aus, dass die Schraubenwelle einen Schlag abbekommen hatte. Das Boot hatte wegen dieser Umstände auf seiner Fahrt viele Haken geschlagen, war aber dem Zielort an der Nordküste Frankreichs nähergekommen. Allerdings hatten sie Tage für die relativ kurze Strecke gebraucht.

Von zwei anderen Booten, die sich in ihrer Nähe aufgehalten hatten, hatten sie seit zwei Tagen nichts mehr gehört. Auch die erfolglosen Anfunkversuche des BDU, der Leitstelle für die Flotte, an die besagten Boote sprachen dafür, dass man von den Booten vermutlich nie wieder etwas hören würde. Erich fröstelte es bei diesem Gedanken.

Der Marschbefehl sagte, dass sich das Boot vor der Nordküste mit einem zivilen Boot treffen sollte, um die Ladung zu übergeben. Das gesamte Gebiet westlich vom Treffpunkt befand sich, durch die Invasion der Alliierten, in Kampfhandlungen und es würde nicht leicht sein die Koordinaten ungeortet zu erreichen. Erich hoffte am nächsten Abend vor Ort sein zu können, um diese Mission möglichst schnell zu beenden. Er wollte raus aus diesem Gebiet.

Nach dem Löschen der Ladung sollte das Boot weiter nach Bergen in Norwegen laufen, dem ursprünglichen Stützpunkt des Bootes. Weiter nördlich würde die Fahrt bedeutend ungefährlicher werden. Erich blickte sich um und hatte das Gefühl, das Boot war lange genug über Wasser gelaufen: „Müller! Geben sie Befehl zum Abtauchen, wir wollen nicht wieder Gefahr laufen, von irgendwelchen Zerstörern beharkt zu werden, der Kahn hat schon genug abbekommen.“

Müller brüllte nach unten: „Klar machen zum Tauchen!“, und die Brückenbesatzung verschwand im Turm. Erich folgte wie üblich als Letzter nach. Er ließ Kurs auf die Zielkoordinaten setzen und das Boot schüttelte sie beim Abtauchen ordentlich durch. Der Zentrale-Maat gab sein Bestes das Boot zu trimmen und pendelte es in einer Tiefe von vierzig Metern ein. Das Boot ächzte und quietschte fürchterlich dabei. Erich dachte darüber nach, dass man bei den Schäden jederzeit mit plötzlichen Wassereinbrüchen rechnen musste. Er beschloss einfach nicht weiter darüber nachzudenken.

Der Marschbefehl sagte, dass er vor Erreichen des Treffpunktes eine verschlüsselte Nachricht per Funk absetzen sollte, die die Verantwortlichen vor Ort über ihre Ankunft in Kenntnis setzt. Sie sollten dann den größten Teil der Ladung auf ein anderes Boot löschen. Er wünschte sich er wäre den Kram bereits los.

Gisors, März 1964 - Die Lieferung

Jaques biss in sein frisches Croissant und trank einen Schluck Kaffee aus seiner Thermoskanne. Er saß hinter dem Lenkrad seines Lieferwagens und wartete in der Rue-de-Penthièvre, die zum Burggelände von Gisors führte. Er hatte gestern Morgen einen Anruf erhalten, in dem man ihm diese Fuhre angeboten hatte. Dazu sollte er sich hier nachmittags um 17.30 Uhr einstellen.

Nun war er hier. Schnell hatte er gemerkt, dass er nicht der Einzige war, dem man hier eine Fuhre versprochen hatte. Weitere 12 Last- und Lieferwagen standen in der Straße und warteten. Einige der Männer hatte er schon einmal gesehen. Der Eingang zur Burg wurde von mehreren bewaffneten Soldaten bewacht. Es hatte sich herumgesprochen, dass die Burg wegen Grabungen der Regierung militärisch gesperrt worden war, aber mit einem solchen Militäraufmarsch hatte er hier nicht gerechnet.

Auf den Mauern und auch auf dem großen Platz vor der Burg waren überall Soldaten zu sehen. Gleichzeitig war der Vorplatz von zahlreichen Militärfahrzeugen abgesperrt. Jaques hatte am Tor gefragt, wohin er fahren sollte und hatte die Anweisung erhalten mit den anderen Fahrzeugen in der kleinen Straße zu warten, bis sie gerufen werden würden.

Das war vor einer Stunde gewesen. Zum Glück hatte er die Thermoskanne eingepackt und ausreichend Zigaretten hatte er auch dabei. Er dachte darüber nach, dass er vor vielen Jahren schon einmal eine Fuhre der ganz anderen Art hier abgeholt hatte und musste dabei ein wenig grinsen, weil er einige gute Erinnerungen damit verband.

Eine Bewegung erweckte seine Aufmerksamkeit. Jetzt schien etwas zu passieren, denn ein Mann kam aus dem hinteren Bereich des Burghofes auf das Tor zu. Nach einem kurzen Gespräch mit einem der Soldaten wurde das Tor von den Wachen geöffnet. „Na endlich kommt Bewegung in die Sache“, murmelte Jaques. Die Laster wurden in das Innere der Burgmauer gewunken und von den Wachen in ihre Parkpositionen eingewiesen.

Alle Fahrzeuge standen nun nebeneinander in dem alten Burghof. Jaques stieg aus, blickte kurz über die Stadt und öffnete die Laderampentüren seines alten Peugeot D3B. Er war stolz auf das alte Mädchen, das ihm noch nie den Dienst versagt hatte und ihm half seinen Lebensunterhalt zu verdienen. 40 PS hatte das gute Stück unter der Haube und der Motor schnurrte noch immer wie ein Kätzchen.

Einige Männer kamen um den Hügel in der Mitte des Burghofes herum. Sie transportierten dabei viele große und kleine Kisten. Die Männer kamen aus einem Stollen, der in das Innere des Hügels führte. Jacques dachte darüber nach wie viele Utensilien für solch eine Grabung, wie sie in den Zeitungen beschrieben worden war, wohl notwendig waren. Als sie an den Fahrzeugen angekommen waren, übernahmen die Männer auch das Beladen der Ladebereiche. Jaques freute sich sehr darüber und zündete sich eine Zigarette an, denn so war das Geld noch leichter verdient.

Während Jaques seine selbstgedrehte Gauloisses rauchte und seinen letzten Kaffee ausschlürfte, wurde der Lieferwagen in der Abenddämmerung bis oben hin vollgeladen. Auch die anderen Fahrzeuge waren innerhalb einer Stunde fertig beladen. Ein gut gekleideter Mann gab jedem Fahrer eine kurze Anweisung, dass während des Transports im Konvoi gefahren werden sollte.

Als erstes und letztes Fahrzeug wurde jeweils ein Militärjeep an die Kolonne gesetzt. Jacques war etwas verwundert darüber, dass die Armee keine eigenen Lastkraftwagen eingesetzt hatte. Eigentlich war es ihm aber so nur recht, zumal eine gute Bezahlung versprochen worden war. Auf eine längere Fahrt sollten sie sich einstellen und es würden gemeinsame Tankstopps eingelegt werden, hatte man gesagt. Zur Zufriedenheit von Jacques, sollte sogar der Sprit bezahlt werden. Zumindest war er sich sicher, dass es sich um einen guten Tag handeln musste, als die Kolonne aus dem Burgtor hinaus in die Nacht fuhr.

Gisors, Februar 2012 - Das erste Treffen

Gerhard war früh erwacht und starrte schon wieder gegen die Decke seines Zimmers. Das erste was ihm auffiel war die Abwesenheit der üblichen Kopfschmerzen. Er dachte über den gestrigen Abend nach und musste lächeln. Die Gegenwart von Jasmin bereitete ihm Freude und die Geschichte mit ihrem Großvater brachte mehr Spannung in seinen Urlaub als geplant gewesen war.

Er blickte auf die Uhr und stellte fest, dass er erst in drei Stunden zum Frühstück verabredet war. Eigentlich war sechs Uhr gar nicht mehr seine Zeit, seit er den Lehrerjob an den Nagel gehängt hatte. Was ein Abend ohne kleinen Rausch doch alles bewirken konnte. Die Morgentoilette folgte und heute summte er fröhlich dabei.

Gerhard entschied sich dafür am Bahnhof eine deutsche Zeitung zu kaufen, um sich wieder einmal über das Weltgeschehen zu informieren, dass er seit einer Woche ausblendete. Er überquerte den Platz vor dem Hotel und kaufte die Zeitung an einem Kiosk. Er ging zurück und setzte sich in die Eingangshalle, holte sich vorher aber noch einen Kaffee vom Frühstücksbuffet, das er ja bezahlt hatte. Er las die neuesten politischen Meldungen und nahm den Gast wahr, der das Hotel gerade verlassen wollte, weil er mit seiner Tasche länger an der Rezeption auf den Portiere warten musste. Gerhard erkannte den Mann aus dem BMW wieder. Er überlegte, dass ein so fein gekleideter Mann, der vermutlich ein bedeutender Archäologe war, hier in diesem einfachen Hotel irgendwie fehl am Platze wirkte. Endlich kam jemand und der Mann legte seinen Schlüssel auf dem Tresen ab. Der Portier grüßte ihn mit: „Bonjour Monsieur Herbertz-Müller.“

Gerhard verfolgte seinen Weg nach draußen und sah auf der anderen Seite in einer Parkbucht den dazugehörigen BMW stehen. „Selbst das Auto passt hier nicht her“, dachte er, bevor er sich wieder in den Tagesnachrichten verlor.

Nach zwei weiteren Tassen Kaffee und der Lektüre eines Automagazines schaute Gerhard auf die Uhr. Mittlerweile war es halb Neun und er entschied sich dafür, zu dem Café in der Stadtmitte zu laufen. Es war wieder ein sehr lauer Tag für einen Februar und die Sonne schien, obwohl es ein klein wenig nebelig war. Gerhard erreichte das Café um kurz nach Neun und erkannte beim Eintreten, dass er dieses Mal der Letzte war.

Jasmin saß mit einem alten Franzosen auf einer Eckbank und winkte ihm von dort aus zu. Gerhard näherte sich den Beiden und begrüßte sie. Er war erstaunt, als der alte Herr: „Guteeen Morgeeen“, zu ihm sagte. Als sie sich alle gesetzt hatten, stellte Jasmin den alten Herrn der Form halber noch einmal als Monsieur Deneuve vor. Gerhard stellte sich ihm ebenfalls vor. Jasmin sagte ihm beiläufig, dass sie bereits das Frühstück für Drei bestellt habe. Deneuve versicherte in einem Nachsatz, dass man hier das beste Frühstück im Ort bekommen würde.

Gerhard nutze die Wartezeit, um danach zu fragen, woher Deneuve so gut Deutsch sprechen konnte. Die Antwort gab er mit einem sarkastischen Unterton: „Wir waren einiiige Jahreee besetzt wie sie wohl wisseeen, da lernt man Vieleees.“ Gerhard hätte sich ohrfeigen können, aber der alte Mann nahm ihm seine Frage offensichtlich nicht übel. „Machheeen sie niisscht so ein Gesischt, sie wareeen da noch nischt in Planung…odeeer?“, er lachte.

Der alte Mann erzählte in der nächsten halben Stunde viele Geschichten, die er mit Jasmins Großvater erlebt hatte. Sie waren ziemlich gut befreundet gewesen und hatten zusammen einiges erlebt. Gerhard fragte Deneuve nach einiger Zeit, wo er Heinrich Krämer kennengelernt hatte. Deneuve erzählte ihm daraufhin die Geschichte, als er Heinrich das erste Mal begegnete.

Gisors, 1946 - Gefangenschaft

„Bewegt eure Hintern gefälligst etwas schneller!“, blaffte der französische Offizier die Kriegsgefangenen an, die Erde in Säcken über den Weg zum Donjon die Motte hinauftrugen. „Warum der Kerl das ganze Zeug runtergeschafft hat, Heinrich, ist mir unbegreiflich - wir schleppen jetzt alles wieder rauf - und wir haben erst angefangen.“ Der Gefragte lachte: „Weil runter einfacher als rauf ist“, was auch den Fragenden, Paul Mittermaier, zum Lachen brachte, „außerdem glaube ich, du hast heute nichts anderes mehr vor.“

Man merkte deutlich, dass sich der Sarkasmus unter den Kriegsgefangenen breit gemacht hatte. Die Kriegserlebnisse und die Abwesenheit von Zuhause nagten an den Männern. Sie erreichten den Innenhof des Donjons und überblickten diesen das erste Mal. Sie sahen direkt den mit Holz verkleideten Schacht, der sich links vor dem Turm befand.

Die Männer gingen auf das Loch zu. Sie hatten die Säcke mit der Erde auf Tragegestellen auf ihren Rücken. Ein Mann stand neben dem Schacht und blickte hinunter. Er bemerkte die beiden Männer und befahl ihnen die Säcke abzustellen. Weitere Männer, alles Kriegsgefangene, betraten den Hof. Insgesamt waren sie zu zehnt.

Ein französischer Offizier betrat als Letzter den Innenhof. Die Männer kannten diesen Mann aus dem Lager. Es war der Verbindungsoffizier ihres Lagers namens Marlot, der ein sehr gutes Deutsch sprach. Auch er trat an das Loch heran und blickte hinab. Skeptisch betrachtete er die labil wirkende Sicherungsseilwinde, die neben dem Loch aufgestellt war. Das Ganze wirkte nicht sehr stabil.

Er redete mit dem anderen Mann auf Französisch und wandte sich dann den Männern zu: „Wie ihr seht haben wir hier ein ganzes Stück Arbeit vor uns. Der Stadtangestellte hier hat versucht mir die Lage zu erklären. Es wird nicht einfach sein das Loch optimal zu verfüllen. Der Bauingenieur, der sich die Konstruktion angesehen hat, meinte der Schacht würde den gesamten Donjon destabilisieren und sich auf die Grundmauern des Turms auswirken. Bis ich den Rest unserer Arbeit hier geklärt habe, könnt ihr noch eine Fuhre Erde heraufholen.“

Das versprach ein anstrengender Tag zu werden. Die Männer gingen den Fußweg wieder hinunter. „Siehst du. Runter ist deutlich leichter“, sagte Heinrich zu Paul. Die beiden Männer blickten sich an und lachten wieder. „Hast du gesehen wie tief das runtergeht?“, fragte Paul. „Ja, aber man konnte den Grund überhaupt nicht sehen. Da ging ein langes Elektrokabel in den Schacht, ich denke man kann mit einem Generator Licht machen - und das spricht dafür, dass es da ganz schön runtergeht.“

Im Burghof angekommen befüllten die Männer weitere Säcke mit Erde und stellten sie auf ihre Tragegestelle. Die Männer blickten sich an und seufzten, als sie die Tragegestelle aufsetzten, um sich erneut den Hügel hoch zu quälen.

Als die kleine Gruppe den Hof betrat, hörten sie aus einem Raum im unteren Teil des Turms, der durch eine kleine Tür nahe dem Schacht zugänglich war, einen Generator laufen. Der Offizier und der französische Mann standen an dem Loch aus dem nun ein Lichtschein viel. Sie diskutierten über etwas, während sie hinabblickten. Heinrich stieß Paul an und grinste, weil er mit seiner Vermutung richtig gelegen hatte. Die Männer stellten die Säcke neben den anderen Säcken ab und warteten auf weitere Anweisungen.

Der Offizier drehte sich um und bewegte sich auf die Gruppe zu. Er blickte die Männer an und deutete dann auf den Kleinsten der Gruppe: „Krämer. Sie brauche ich hier oben, die anderen werden weiter Erde zum Befüllen heraufbringen.“ Heinrichs Nachbar blickte ihn an: „Zumindest betrifft dich das - Leichter runter als rauf -, das du erwähnst hast, jetzt nicht mehr.“ - „Aber ob das ein guter Tausch ist, wird noch zu hinterfragen sein“, antwortete Heinrich.

Die Männer verließen den Hof. Heinrich schritt mit dem Offizier auf das Loch zu und konnte jetzt das erste Mal bis ganz nach unten blicken. Er schätzte es ging mindesten 20, wenn nicht sogar 25 Meter nach unten. Dort endete der Schacht. Man sah das dicke Kabel nach links verschwinden, was den Rückschluss zuließ, dass ein Quergang existierte.

Der Offizier sprach Heinrich an: „Sie werden die Sicherungsleine anlegen und mit Hilfe des Herrn hier die Säcke nach unten bringen. Wir müssen das leider so machen, weil wir zuerst den Querstollen verfüllen müssen. Man hat mir gesagt, dass er circa zehn Meter lang ist und an einer Bretterwand endet, wo der Stollen bereits eingestürzt ist. Sie waren der Kleinste in der Gruppe, deshalb habe ich sie ausgesucht.“ Heinrich dachte darüber nach, dass dies auch im Krieg zu seinem tollen Einsatz geführt hatte. „Na das wird ein Spaß“, murmelte er.

Heinrich legte den Schultergurt an und hakte sich am Sicherungsseil ein. Eine nicht sehr stabil wirkende Leiter aus Holz war an der Schachtwand angebracht. Er warf dem unfreundlich wirkenden französischen Mann einen Blick zu. Dieser schaute böse und begann sofort wild mit den Händen zu gestikulieren, während er: „Allez, allez“, rief. Das verstand sogar Heinrich.

Er kletterte über den Rand des Schachtes und begann über die Leiter nach unten zu steigen. Die Schachtwände waren feucht und glitschig, genauso wie die Stufen der Leiter. Heinrich kletterte vorsichtig Stufe für Stufe nach unten, bis er den Grund erreicht hatte. Er blickte nach oben und sah den Sack, der sich an einem zweiten Seil langsam nach unten senkte.

Der Querschacht war leider so niedrig, dass er würde kriechen müssen. Heinrich war nicht begeistert. Er nahm den Sack von dem zweiten Seil ab und kroch damit in den Schacht. Er schob den Sack Stück für Stück vor sich her. Nach zehn Metern kam er an die vorher beschriebene Bretterwand. Das Stromkabel war an dieser Stelle durchtrennt und verschwand hinter dem Verschlag. Die letzte Lampe lag ungefähr drei Meter hinter ihm. Er leerte den Sack aus. Nachdem er ihn ausgeleert hatte, legte er sich auf den Bauch. Es war ihm klar, dass er rückwärts zurückkriechen musste. „Scheiße!“, dachte er. Während er noch dort lag, vernahm er ein tropfendes Geräusch vor sich. Er blickte auf die Bretterwand. Das Geräusch drang eindeutig durch die Wand, es hörte sich so an, als ob dort doch noch ein großer Hohlraum oder ein Raum sein würde. Man hatte ihm doch gesagt der Stollen sei eingestürzt. Er nahm sich vor später danach zu fragen.

Heinrich kroch zurück. Er nahm den nächsten Sack von der Leine und hängte den leeren Sack an die Winde. Er bemerkte, dass es zu regnen angefangen hatte. Die Regentropfen drangen bis auf den Grund des Schachtes vor. Zum Glück schien es nicht stark zu regnen, denn sonst wäre das sehr bald eine schlammige Angelegenheit geworden. Heinrich kroch abermals in den Gang.

Als er das Ende des Stollens erreicht hatte, hörte er gleich, dass die Tropfgeräusche hinter der Bretterwand stärker geworden waren. Es war ihm klar, dass dies sicher an dem einsetzenden Regen lag. Er leerte den Sack. Das Geräusch machte ihn allerdings neugierig. Sein Blick fiel auf das unterbrochene Stromkabel. Die Enden des unter Strom stehenden Stücks waren isoliert, das andere Ende ragte ausgefranst aus der Bretterwand. Er nahm den Sack und kroch zurück. Während er auf Händen und Füßen nach hinten kroch, reifte ein Plan in ihm. Er wollte versuchen die beiden Kabelenden zu verbinden, um seine Neugier so eventuell befriedigen zu können. Vielleicht waren ja auch noch funktionstüchtige Lampen hinter der Bretterwand

Heinrich tauschte den Sack abermals aus und kroch zurück in den Schacht. Er leerte den Sack aus und griff dann nach dem Kabelende, das aus der Bretterwand ragte und zog es ein gutes Stück zu sich heran. Es reichte aus, um damit den ab isolierten Teil des Kabels zu erreichen. Er griff in die Hosentasche und zog sein Taschentuch heraus. Er griff nach der Isolierung des einen Kabelendes, entfernte diese und verwirbelte, mit dem Taschentuch in der Hand, die beiden Enden des ersten Kabels. Dann kroch er zurück.

Abermals am Bretterverschlag angelangt, wiederholte er die Prozedur mit dem zweiten Ende des Kabels. Er bekam einen schwachen elektrischen Schlag, nahm aber auch wahr, dass seine Aktion erfolgreich gewesen war. Zwischen den Brettern konnte man einen Lichtschein sehen. Heinrichs Neugierde war nicht mehr zu bremsen. Trotzdem würde er erst den nächsten Sack Erde holen, damit es keine Schwierigkeiten mit dem Bewacher gab.

Er tauschte den Sack abermals aus und robbte schnell wieder in den Querschacht hinein. Als er am Ende angelangt war, drückte er sich an die Bretterwand und suchte nach einem Spalt, durch den er spähen konnte. Er entdeckte schnell eine Stelle und sah mit einem Auge hindurch. Eigentlich hatte er mit einem teileingestürzten Stollen gerechnet und war deshalb völlig überrascht, ein altes circa fünfzehn Meter langes Gewölbe zu erblicken. Es standen einige Steintruhen oder Särge dort und es waren Öffnungen im Boden zu erkennen. An der hinteren Wand war ein kleiner Abgang zu sehen und er sah einen großen Altar mit einem Steinkreuz am Ende des Raumes. Was ihn aber am meisten erstaunte, war der Kistenstapel in der Mitte des Raumes, der mit Signaturen der Wehrmacht versehen war: „Manche Dinge verfolgen einen ein Leben lang“, dachte er.

Heinrich kroch zurück. Er rief von unten den Schacht hinauf, dass er hochkommen wolle. Der Offizier schien nicht da zu sein, aber er konnte sich auch dem Franzosen verständlich machen. Er stieg die Leiter hinauf und stieg aus dem Schacht.

Er fragte den Franzosen nach dem Verbindungsoffizier, aber dieser verstand ihn scheinbar nicht. Heinrich war aufgeregt und dachte nach. Der Franzose löste das Seil von Heinrichs Sicherungsgurt und Heinrich erinnerte sich an zwei französische Worte, die ihm helfen würden „Petite Eglise“, sagte er zu dem Franzosen und machte ausladende Handbewegungen dabei. Der Franzose blickte ihn ärgerlich an, bevor er ihm unerwartet einen heftigen Stoß versetzte der Heinrich straucheln ließ. Er ruderte noch mit den Armen, bevor er rückwärts in den Schacht stürzte.

Heinrich fiel. Er bekam einige Sprossen zu fassen die er im Fallen allerdings abriss. Er schlug hart mit der Schulter gegen die Wand und nahm das Geräusch wahr, dass sein brechendes Schlüsselbein verursachte. Er schlug mit dem Kopf irgendwo an, dann mit den Beinen. Einige weitere Sprossen bremsten seinen Fall, bevor er auf dem Grund aufschlug.

Er war einen Moment lang besinnungslos gewesen, bevor er die Augen wieder öffnete. Sein Blick war nach oben gerichtet, weil er auf dem Rücken lag. Er konnte den Offizier erkennen, der wild gestikulierte. Er realisierte, dass er den Sturz überlebt hatte, aber alles an seinem Körper schmerzte. Sein Bein war verdreht und der eine Arm war ebenfalls gebrochen. Wie durch einen Schleier sah er seine Kameraden neben dem Offizier auftauchen. Einer von ihnen kletterte bereits die Leiter hinunter, bei der jetzt an vielen Stellen Sprossen fehlten. „Hoffentlich überlebe ich das“, dachte er. Das seine Angehörigen nichts von seinem Tod erfahren würden, dessen war er sich sicher, aber das war eine andere Geschichte und sein letzter Gedanke, bevor es ihm wieder schwarz vor Augen wurde.

Die Männer hatten aus den Säcken und einigen Brettern eine Konstruktion gefertigt, die es ermöglichen sollte, Heinrich mit Hilfe der Winde aus dem Schacht zu ziehen. Paul war mittlerweile bei Heinrich und versuchte als ehemaliger Hilfssanitäter alles zu tun, um sein Leben zu retten. Er nahm die gebrochenen Knochen und die unzähligen Abschürfungen wahr. Hinzu kam eine große Platzwunde am Kopf. Sicherlich waren auch einige Rippen gebrochen, aber ansonsten schien es so, als ob Heinrich den Sturz überleben könnte. Ob er innere Verletzungen hatte, konnte Paul nicht sagen.

Die Männer senkten die selbstangefertigte Konstruktion nach unten und ein weiterer Mann kletterte den Schacht hinunter: Der Offizier versuchte von oben die Aktion zu koordinieren. Er hatte dem Franzosen bereits mehrfach Vorwürfe gemacht, warum er Heinrich vom Sicherungsseil gelöst hatte, obwohl dieser noch so dicht am Schacht gestanden hatte. Der Franzose beteuerte, dass Heinrich ausgerutscht sei und ihn keine Schuld treffe.

Die beiden Männer am Grund des Schachtes legten Heinrich, so vorsichtig wie möglich, in die Konstruktion hinein. Trotzdem schrie Heinrich mehrmals auf, obwohl er schon wieder ohnmächtig war. Der Offizier rief von oben herunter, dass ein Lazarettfahrzeug soeben in den Burghof gefahren sei.

Die Männer an der Winde zogen die behelfsmäßige Trage langsam an und sie bewegte sich durch den Schacht nach oben. Die beiden Männer im Schacht stabilisierten die Trage und versuchten zu verhindern, dass sie zu oft an die Schachtwände stieß. Immer wenn dies geschah stöhnte Heinrich auf. Die Trage erreichte den oberen Rand und wurde behutsam auf den Innenhof des Donjons gezogen.

Zwei Militärsanitäter waren mittlerweile mit einer Sanitätstrage auf dem Hof angekommen. Die beiden französischen Sanitäter versorgten Heinrich so gut sie konnten. Ein Tropf wurde angelegt und einer der anderen Gefangenen wurde angewiesen zu helfen, die Trage nach unten in den Burghof zu transportieren. Das war nötig, damit einer der Sanitäter sich weiter um Heinrich kümmern konnte. Die kleine Gruppe bewegte sich nun mit ihrer Last die Motte hinunter.

Es war mittlerweile bereits mehr als eine Stunde vergangen, seit Heinrich in den Schacht gestürzt war. Als sie am Sanitätswagen des französischen Militärs angekommen waren, wurde Heinrich in den hinteren Teil des Fahrzeuges verladen. Die Sanitäter hatten die Knochenbrüche schnell erstversorgt und entschieden sich, weil Heinrichs Zustand ansonsten stabil war, ihn direkt nach Rouen in das größte Lazarett der Gegend zu bringen. Hier gab es die besten Möglichkeiten seine Verletzungen zu behandeln. Neben den Brüchen und zahlreichen Schürfwunden waren bisher keine weiteren Verletzungen aufgefallen. Der Wagen verließ den Hof. Paul und seine anderen Kameraden sahen Heinrich in diesem Augenblick das letzte Mal.

Heinrich kam zu sich. Er bemerkte, dass er in einem Fahrzeug liegen musste, weil es manchmal fürchterlich schwankte und der Motor in seinem Kopf dröhnte. Die Schlaglöcher in der Straße ließen ihn jedes Mal aufstöhnen. Die Schulter und seine linke Seite bereiteten ihm dabei die meisten Schmerzen. Heinrich öffnete die Augen und blickte in die Augen eines jungen Mannes in einer französischer Sanitätsuniform. „Wie schlimm ist es?“, fragte er und erwartete nicht wirklich eine Antwort. „Gebrocheneee Rippeeen, Schulteeer, Bein und Arm. Aufschürfungeeen, Platzwundeee am Kopf, sonst scheineeen sie gut davongekommeeen zu sein.“ - „Danke“, sagte Heinrich und vernahm als letztes das der Sanitäter sagte: „Ich heiße Deneuve“, bevor er erneut ohnmächtig wurde.

Gisors, Februar 2012 - Spurensuche

Gerhard und Jasmin hatten Deneuve gespannt zugehört. Sie waren von seiner Erzählung gefesselt gewesen, wie er mit einem Sanitätskameraden Jasmins Großvater hier in Gisors an der Burg aufgelesen hatte. Er hatte ihnen Heinrichs Verletzungen beschrieben und das der Zustand von Heinrich damals zwar nicht lebensbedrohlich, aber doch sehr schlecht gewesen war.

Nach den Informationen, die Monsieur Deneuve damals bekommen hatte, war Heinrich ausgerutscht und in den Schacht gestürzt, der von Lhomoy angelegt worden war. „Davon hat er mir nie etwas erzählt. Ich wusste, dass er im Lazarett war, aber nicht wieso“, sagte Jasmin, während sie nachdenklich auf die Reste ihres Frühstücks schaute. „Das versteeehe ich nischt“, erwiderte Deneuve, „ihr Großvateeer hat noch viele Jahreee nach dem Franzoseeen gesucht, der mit ihm am Schacht geweseeen war. Errr war seeehr bemüht ihn zu findeeen!“ - „Vielleicht wollte er sich bei ihm bedanken, weil dieser Hilfe geholt hatte. Erinnern sie sich an den Mann? Sie waren immerhin dort“, überlegte Gerhard. „No…isch kann mich nicht erinneeern. Eineeen französischeeen Offizier habeee isch gesehen. Der war abeeer später auch noch einmaaal im Lazarett!“

„Wann haben sie meinen Großvater wiedergesehen. Er ist ja schon Ende 1946 aus der Gefangenschaft in die Heimat zurückgekehrt.“ Deneuve berichtete den Beiden von einem langanhaltenden Briefkontakt nach dem Krieg, der aber erst in den sechziger Jahren begonnen hatte. Heinrich war aus der Gefangenschaft geflohen, und Deneuve hatte lange nichts von ihm gehört und eigentlich überhaupt nicht damit gerechnet, dass er sich noch einmal melden würde. Jasmin blickte ihn erneut erstaunt an, auch das schien sie nicht gewusst zu haben. Es hatte gedauert, bis Jasmins Großvater sich dann bei ihm gemeldet hatte und den Wunsch äußerte Deneuve in Gisors zu besuchen. Deneuve sagte der erste Besuch müsste 1965 oder 1966 stattgefunden haben, also fast 20 Jahre nach Heinrichs Sturz.

Sie beendeten ihr Frühstück und verließen das Café. Sie hatten interessante Neuigkeiten von Heinrich Krämer erfahren, die sie vorher noch nicht gewusst hatten. Sie bedankten sich noch einmal bei Deneuve und verabschiedeten sich dann von ihm. Jetzt standen Jasmin und Gerhard unschlüssig auf der Straße vor dem Café herum.

Der alte Mann hatte Jasmin freundlicherweise angeboten, dass sie sich jederzeit bei ihm melden könne, falls sie noch weitere Fragen haben sollte. „Was hast du jetzt vor?“, fragte Gerhard. Jasmin trat von einem Fuß auf den anderen und überlegte. „Ich bin ein wenig verwirrt. Großvater hat nie etwas von diesem Sturz erzählt, obwohl er ansonsten immer so genau gewesen ist, bei seinen Erzählungen - und das er aus der Gefangenschaft geflohen ist, wusste ich auch nicht.“ Dass Jasmins Opa davon nie berichtet hatte, konnte Gerhard allerdings auch nicht verstehen.

Auch wenn Heinrich Krämer vieles vom Unfallhergang hätte vergessen können, so war er doch mit dem Auskurieren der Verletzungen länger beschäftigt gewesen und seine Flucht war sicher ebenfalls aufregend gewesen. Eine recht lange Zeitspanne also, über die er nichts erzählt hatte. Hierfür hatte er sicher einen guten Grund gehabt, vermutete Gerhard. Jasmin stand noch immer nachdenklich auf dem Bürgersteig.

“Meinst du die Aufzeichnungen des Lagers mit dem dazugehörigen Lazarett könnten mich bei der Klärung weiterbringen?“ - „Das kann ich dir nicht sagen“, antwortete Gerhard. „Einen Versuch ist es sicherlich wert, wenn du schon einmal hier bist.“ Jasmin wandte sich auf dem Bürgersteig um und deutete auf eine kleine Bar. „Ich hätte gerne ein Glas Rotwein zum überlegen.“ Gerhard grinste. Sie gingen die Straße hinunter und nahmen in der Bar direkt am Tresen Platz. Sie bestellten zwei Gläser Rotwein und Jasmin war noch längere Zeit still mit ihren Gedanken beschäftigt. „Ich werde nach Rouen fahren“, sagte sie schließlich, „und ich würde mich freuen, wenn du mich begleiten könntest.“ - „Ich habe noch immer nichts Besseres vor“, sagte Gerhard, außerdem war er genauso neugierig wie Jasmin, ob sich dort etwas herausfinden ließ.

Sie tauschten noch ihre Mobilfunknummern aus, bevor sie sich trennten und Gerhard ging in Gedanken versunken zum Hotel zurück. Als er die abenteuerlichen Geschichten um die Grabungen von Roger Lhomoy gelesen hatte, wäre er niemals auf die Idee gekommen jemanden kennenzulernen, der so eng mit der Story in Verbindung stand. Es machte ihm jedenfalls viel Spaß und seine Gedanken waren seit langem das erste Mal nicht mehr ständig schwermütig. Allein dafür lohnte es sich jedenfalls und ein Abenteuer nach seinem Geschmack war es auch.

Im Zimmer angekommen, überlegte er kurz, ob er noch einen Whisky oder einen Wein trinken sollte, entschied sich aber schnell dagegen. Wie sich Dinge im Leben änderten, wenn dieses wieder anfing Spaß zu machen, nahm er jedenfalls überdeutlich wahr.

Atlantikküste nahe Boulogne-sur-Mer, August 1944 - Die Ladung

Das Boot war kurz aufgetaucht, um die vereinbarte Meldung abzusetzen, dass sie den Zielort nahe waren. Erich stand auf dem Turm des Bootes und betrachtete die Küstenlinie. Nicht weit von hier war die Invasion der Alliierten in vollem Gange und man konnte sich im Moment wohl kein gefährlicheres Terrain für eine Überwasseroperation eines deutschen U-Bootes vorstellen.

Sie waren vor knapp zwei Minuten aufgetaucht, als die Meldung über die direkte Antwort aus dem Funkraum des Bootes kam. Da hatte jemand auf Abruf gesessen, dachte Erich - es schien wichtig zu sein, was sie hier taten. Er befahl direkt wieder abzutauchen und die Männer verschwanden im Turm. Das Boot wandte sich den genannten Treffpunktkoordinaten zu. Die Übergabe sollte in einer kleinen Bucht, nahe Boulogne-sur-Mer stattfinden.

„Fast an der engsten Stelle des Kanals“, dachte Erich, „wo es hier von Alliierten nur so wimmelte.“ Andererseits konnte er sich auch vorstellen, dass niemand hier mit einem deutschen U-Boot rechnen würde. Das VIIC Boot nahm seine Tauchfahrt auf und die Besatzung war in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden. Nach der Übergabe würde es erst nach Farsund gehen, um dann über Kristiansand nach Flensburg zu laufen. Erst mal raus aus dem gröbsten Schlammassel. Erich freute sich darauf.

Das Boot war bei den genannten Koordinaten aufgetaucht. Erich stand mit Müller auf dem Turm und sie betrachteten die Umgebung. Die Seerohrrundschau hatte keine Schiffe gezeigt und die Nacht war Erich eigentlich viel zu hell. Sie lagen mit dem Boot ungefähr 100 Meter vor dem Sandstrand, für seine Begriffe, wie ein Wal in der Sonne. Es war leicht bewölkt, aber häufig schien der Mond durch die Wolkenlücken. „Müller, lassen sie sofort die Bordgeschütze in beiden Wintergärten besetzen und auch zwei Mann an die Bordkanone gehen. Die Männer sollen die Geschütze laden und entsichert lassen. Lassen sie ebenfalls drei Mann hier als Turmwache mit Ferngläsern in Stellung gehen.“ Erich ließ das vereinbarte kurze Lichtsignal Richtung Küste geben und sie erhielten direkt Antwort. Kurz darauf hielt ein kleines Fischerboot vom Strand auf das Boot zu.

Das Boot ging längsseits. Zwei deutsche SS-Offiziere kamen über eine angelegte Planke an Bord. „Heil Hitler Herr Kaleun. Wir sollen hier ihre Ladung übernehmen.“ Erich blickte vom Turm aufs Vordeck hinunter, dass die Beiden über den Laufsteg betreten hatten, erwiderte den Gruß aber nicht. Der erste Wachoffizier Müller erwiderte den Gruß allerdings vorschriftmäßig. „Wir sollten die Ladung schnellstmöglich auf ihren Kahn löschen, um unser Boot aus dieser Lage zu befreien. Wir liegen leider leicht außerhalb der Küstenlinie und bei diesen Lichtverhältnissen voll auf dem Präsentierteller. Außerdem naht die Dämmerung, was das Ganze noch gefährlicher macht. Hier werden wir für die geübten Augen der Sunderland Piloten leicht auszumachen sein - und dann Gnade uns Gott!“ - „Ein bisschen mehr Haltung Herr Kaleun“, sagte der Eine der beiden Offiziere und grinste dabei hämisch. “Haltung ist hierbei wohl kaum wichtig. - Die Ladung schnellstmöglich zu löschen und das Boot in Sicherheit zu bringen schon“, antwortete Erich und rief den Befehl zum Löschen der Ladung in die Luke hinunter.

Sofort begann eine emsige Betriebsamkeit an Bord und die Männer arbeiteten schnell unter Deck und auf dem Vorderdeck. Jeder von ihnen wusste, wie gefährlich die momentane Lage für das Boot war.

Erich hatte die Brücke an seinen ersten Wachoffizier übergeben und stand an den Torpedoladeluken, durch die die Kisten ausgeladen wurden. Müller erfüllte, trotz der Tatsache, dass er nie Erichs Freund sein würde, alle gestellten Aufgaben pflichtbewusst und gut. Oft hätte er sich mehr so verlässliche Männer gewünscht. Der zweite Wachoffizier des Bootes hatte Erich erzählt, dass alle Männer angenommen hatten, Müller würde das Übergangskommando für den „Alten“ bekommen. Dann hatte man Erich geschickt. Die Mannschaft hatte Erich und seine Entscheidungen mittlerweile akzeptiert, sonst hätte er dies wohl nicht erfahren. Irgendwie tat Müller ihm auch Leid, aber eigentlich war dies auch kein Kommando, das man sich wünschte. Erich war zumindest nicht froh darüber, als Kaleun eines U-Bootes in einem offensichtlich bereits verlorenen Krieg zu operieren. Schon gar nicht in dem Gebiet, in dem der Feind gerade eine Invasion durchführte. Sicherlich erwartete sie hier niemand, aber es war auch verständlich, dass die Alliierten solche wahnsinnigen Aktionen nicht für möglich hielten, zumal diese hier noch nicht einmal eine kriegsbeeinflussende Operation zu sein schien.

Einer der SS-Offiziere winkte ihm zu, er solle hinüber an Bord des Fischerbootes kommen. Erich verließ den Turm und ging über den Laufsteg. Er sah beim Zurückschauen, dass die letzten Kisten an Deck von U-989 angekommen waren. „Da werde ich mich mal beeilen, damit wir hier wegkommen“, dachte er. Der Offizier nahm ihn in Empfang und ging mit ihm in den Führerstand des Bootes. Hier übergab er ihm einige Dokumente, die er mit nach Farsund nehmen sollte.

Ein Alarmruf und plötzlich ging alles sehr schnell. Die Männer auf dem U-Boot liefen auf dem Deck in Richtung der Luken, obwohl noch immer drei Kisten auf Deck standen. Der Motor des Fischerbootes heulte ebenfalls auf. Befehle wurden über die Decks gerufen. Erich stürzte über das Vorschiff des Fischerbootes auf den Laufsteg zu, während er versuchte das Flugzeug auszumachen, dessen Motor man jetzt schon hören konnte. Der Steg stand schon etwas schief zwischen den Booten, weil auch das U-Boot bereits mehr Fahrt aufgenommen hatte. Er hörte die 2 cm Zwillingsflak losrattern und nahm wahr, dass nur noch die Männer im Wintergarten hinter dem Turm und Müller an Deck waren. Er erreichte das Vorderdeck und hastete in Richtung Turm. Nun sah er die englische Sundance von der Meerseite aus anfliegen. Das Flugzeug eröffnete jetzt ebenfalls das Feuer und Erich sah im Meer Wasserfontänen aufspritzen, wo die Geschosse einschlugen. Das Vorderdeck des U- Bootes begann bereits unter die Wasseroberfläche zu tauchen und die Männer stürzten von den Wintergärten mit den Geschützen auf den Turm zu. Er konnte Müller sehen, der ihn anschaute und ein „Zu spät“ in den Augen hatte. Dann war auch er verschwunden.

Das Boot lag noch immer unter Beschuss. Das Fischerboot hielt bereits auf den Strand zu. Erich faste den Plan noch etwas zur Rettung des Bootes beizutragen und kletterte die kleinen Eisensprossen zum ersten Wintergarten hinauf. Mit einem Schwung war er auf dem Sitz der Zwillingsflak und eröffnete direkt wieder das Feuer auf die anfliegende Sundance. Das Flugzeug war mittlerweile nähergekommen und drehte einen kurzen Moment nachdem Erich das Feuer eröffnet hatte von seiner Angriffslinie ab. Vermutlich hatte er irgendetwas getroffen, was allerdings keinen wirklichen Schaden angerichtet haben konnte, weil das Flugzeug in einem langen Bogen wieder an Höhe gewann.

Jetzt hieß es für Erich möglichst schnell über Bord zu springen. Der Turm war bereits ein gutes Stück ins Meer eingetaucht. Sogar in der nur mondhellen Dunkelheit konnte Erich den weißen Schaumstreifen hinter dem Boot sehen. Er atmete ein und sprang. Das Letzte was er dachte bevor er eintauchte war „Hoffentlich erwischen mich nicht die Schrauben.“

Der Sog des Bootes zog ihn mit und er wurde im Wasser herumgewirbelt. Einmal berührte er noch mit dem Arm den Stahlkörper und dann wurde das Wasser ruhiger. Seit seinem Sprung ins Wasser waren mindestens 30 Sekunden vergangen, wenn nicht mehr. Erich hatte fast keine Luft mehr. Er versuchte verzweifelt die Wasseroberfläche auszumachen. Dann erkannte er einen Lichtschein und mit kräftigen Zügen versuchte er aufzutauchen.

Als er Sekunden später die Wasseroberfläche durchstieß, atmete er mit einem Schrei Luft in seine brennenden Lungen. Er musste mehrmals durchatmen, bevor er es schaffte sich umzusehen. Er trieb circa100 Meter von der Küste entfernt im Meer. Das Wasser war ruhig und es sah aus, als ob hier nichts passiert wäre. Kein Fischerboot, kein Flugzeug und auch von seinem Boot war nichts mehr wahrzunehmen. Erich wusste, dass das Boot nicht zurückkehren würde. „Nun hat Müller sein Kommando doch noch bekommen“, dachte er, bevor er anfing Richtung Küste zu schwimmen.

Frankreich, März 1964 - Ein Transport

Der Lastwagenkonvoi hatte sich bereits stundenlang Richtung Süden bewegt und hatte nun an einem Rastplatz angehalten, um die Fahrzeuge zu tanken und den Fahrern die dringend nötige Pause zu gewähren. Jacques hatte seine Thermoskanne mit frischem Kaffee befüllen lassen und sich ein belegtes Baguette geholt. Er war mit seinem Essen auf den Hof gegangen, weil er es liebte an der frischen Luft zu essen.

Ein weiterer Grund zu seinem Peugeot zurückzukehren war der Umstand, dass dort auch die Zigaretten für danach und der Rotwein vorhanden waren, den nicht unbedingt jeder sehen sollte. Neben seinem Wagen hatte der französische Militärjeep geparkt, der die Kolonne angeführt hatte. Während Jacques aß, betrachtete er das Fahrzeug, das bereits ziemlich heruntergekommen aussah. Es hatte einige Beulen und auch die Bereifung war nicht mehr die beste. Er war selbst lange genug beim Militär gewesen, um sich über diesen Zustand zu wundern. Derjenige der in der Kaserne für diesen Fuhrpark zuständig war, musste aufpassen, dass er nicht in einer Arrestzelle landete

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Jacques ging um das Fahrzeug herum, während er aus seinem Becher Rotwein nippte und schüttelte den Kopf. Der rechte Frontscheinwerfer hatte einen Sprung und auch die Frontscheibe zeigte einen feinen Riss. Er betrachtete die Militärkennung, die an der Seite des Fahrzeugs angebracht war und stutzte noch einmal. Er kam mit seinem Lieferwagen viel in der Gegend um Gisors herum und kannte sich auch mit den ortsnahen Militärkennzeichnungen ganz gut aus. Die Kennung des Fahrzeuges wies auf eine Kaserne hin, von der Jacques wusste, dass sie seit drei Jahren geschlossen war. „Dann haben die ihren Schrott weitergegeben und der wird nur bei Sondereinsätzen rausgeholt, um den aktiven Fuhrpark nicht zu belasten“, dachte er. Grinsen musste er trotzdem, weil er daraus schloss, dass ihrem Transport wohl nur geringe Bedeutung beizumessen war. Da kannte er eindeutig besser ausgerüstete Militäreinheiten.

Nach einer Stunde war der Konvoi wieder zum Aufbruch bereit. Man hatte den Fahrern gesagt, dass die Fahrt bis nach Carcassonne in Südfrankreich gehen würde. Dort würde eine längere Pause zum Schlafen eingelegt. Jacques überschlug, dass das eine Strecke von über 800 Kilometern sein müsste und schloss wegen des historischen Ortes, dass man das Gerät dort ebenfalls für Ausgrabungen gebrauchen würde. Ihm war es recht. Er wurde nach Stunden bezahlt und die Bezahlung war stattlich. Für den Lohn, den er hier in einer Stunde bekam, musste er sonst knapp zweieinhalb Stunden arbeiten. Jedenfalls versprach das mal eine lohnenswerte Fuhre zu sein.

Zehn Minuten später bog der Konvoi wieder auf die Straße ein und Jacques summte fröhlich vor sich hin, während er den letzten Schluck Rotwein aus dem Becher trank.

Frankreich, Februar 2012 - Teambildung

Gerhard hatte sein Mobiltelefon gerade weggelegt und packte jetzt noch einige Kleidungsstücke und die Kamera in seinen kleinen Rucksack. Er hatte mit Jasmin telefoniert und ihr den Plan, einen Mietwagen zu holen, schnell ausgeredet. Sein Auto war als Transportmittel, wie er befand, wesentlich besser geeignet. Außerdem machte es ihm immer Spaß sein altes Mädchen zu bewegen und die Sache mit Jasmins Großvater interessiert ihn mittlerweile so sehr, dass er sich das nicht entgehen lassen wollte.

Er hatte sich von Jasmin die Adresse ihres Ferienappartements geben lassen und gab nun die Adresse in das Navigationssystem seines Mobiltelefons ein. Er ging zum Wagen und verstaute seine Sachen im Kofferraum. Dann startete er den Motor und folgte den Anweisungen seines Navigationssystems zu der eingegebenen Adresse. Er erreichte das Appartement bereits nach fünf Minuten. Jasmin stand bereits wartend auf dem Bürgersteig vor dem Haus. „Bonjour Madmoiselle“, sagte er als sie die Wagentür öffnete, indem er Deneuve nachmachte, „wohiiin darf isch siiie fahreeen?“ Jasmin musste lachen: „Nach Rouen, wenn es beliebt.“ Mit diesen Worten begaben sich die Beiden in dem alten schwarzen Mercedes auf den Weg.

Atlantikküste nahe Boulogne-sur-Mer, August 1944 - Gestrandet

Erich schwamm in der leichten Dünung des Atlantiks in Richtung Ufer. Er musste sich sehr anstrengen, denn die mit Wasser vollgesogene Uniform machte ihm das Schwimmen ausgesprochen schwer. Das Wasser war zudem nicht gerade warm, obwohl es noch August war. Er brauchte circa zehn Minuten, um das rettende Ufer zu erreichen. Viele Strömungen und der Rückwärtssog der Wellen warfen ihn mehrmals zurück, bevor er den Strand endlich erreichte. Erich warf sich rücklings in den Sand und ruhte sich erst einmal von den Strapazen aus. Unzählige Gedanken gingen durch seinen Kopf, während er in den Himmel starrte.

Kurze Zeit später hörte er wieder ein Motorengeräusch und er sah ein Flugzeug dicht an der Küstenlinie entlang fliegen. Die Meldungen der Sundance, dass sich ein deutsches U-Boot in diesem Küstenabschnitt aufgehalten hatte, hatte die Aufmerksamkeit der Alliierten in dem Gebiet wohl drastisch erhöht. Man hörte hier und da Geschützfeuer von den zahlreichen Küstenbatterien, aber das Flugzeug das Erich sah, war deutlich außerhalb der Reichweite dieser Geschütze. Die Maschine flog an dem Strandabschnitt vorbei, auf dem Erich lag.

Als das Flugzeug die Stelle passiert hatte, sprang er auf und wendete sich dem Landesinneren zu. Er wusste, dass er sich sehr vorsichtig bewegen musste, um nicht eventuell von den eigenen Einheiten erschossen zu werden. Deshalb lief er langsam und vorsichtig auf das Gelände hinter dem Strand zu.

Erich hatte die ersten Dünen überquert und einen schmalen Grünstreifen hinter sich gelassen, als er rechts hinter sich ein scharfes: „Stehen bleiben“, vernahm. Eine deutsche Patrouille näherte sich ihm. Einige der Männer hielten ihre 98K Sturmgewehre im Anschlag und hatten auf ihn angelegt. Ein Fähnrich näherte sich ihm langsam, während auch er mit der Dienstpistole auf ihn zielte. „Hände hinter den Kopf“, befahl er. Erich folgte den Anweisungen mit langsamen Bewegungen und antwortete „Ich bin deutscher Offizier und unbewaffnet.“ Der Patrouillenführer näherte sich ihm und blickte ihn von oben bis unten an. “Sie sind ja völlig durchnässt. Wo kommen sie her und warum schleichen sie hier herum.“ Erich betete seine Geschichte herunter, dass er bei einem küstennahen Manöver eines U-Bootes über Bord gegangen sei. Er war dabei nicht sehr erfreut, dass die Fragestunde hier im Freien stattfinden musste. Seine Uniform war nass und er begann zu frieren. „Haben sie Papiere“, blaffte ihn der Fähnrich an. „Nein, leider sind die in meinem Spint und wo der sich jetzt gerade befindet, weiß ich nicht so genau! - Ich denke irgendwo im Atlantik.“ Ericgrinste. Der Fähnrich wich von seiner dienstbeflissenen Haltung nicht ab. Er war sicher noch nicht lange im Dienst. „Wir werden sie mitnehmen müssen, um ihre Geschichte zu überprüfen“, sagte er steif. „Ich bitte darum“, antwortete Erich.

Als sie in dem kleinen französischen Landhaus angekommen waren, das als Kommandantur des Strandabschnittes zu dienen schien, wurde durch den Funker der Gruppe eine Nachricht abgesetzt, die Erichs Geschichte nachprüfen sollte. Erich fragte bei den Soldaten nach, ob der Angriff der Sundance auf sein Boot beziehungsweise die Patrouillen der Flugzeuge an der Küste noch nicht gemeldet worden waren. Man sagte ihm daraufhin, ihnen sei bisher lediglich das anhaltende Geschützfeuer an der Küste gemeldet worden.

Erich schloss daraus, dass die Übergabe der Kisten keine Operation darstellte, die offiziell an allen Küstenstellungen gemeldet worden war. Wahrscheinlich war sie nur den höheren Führungsebenen bekannt, was seine Vermutung einer geheimen Operation weiter stützte. Es blieb ihm deshalb nicht anderes übrig als zu warten ob die Funkmeldungen, die man als Antwort erwartete, ihm helfen würden. Man hatte ihm eine trockene alte Panzerkombination gegeben und seine Uniform wurde von einem der Männer kurz durchgewaschen und zum Trocknen aufgehängt. Der Fähnrich hatte ihm ein Glas Cognac gebracht, das ihm beim Aufwärmen helfen sollte. Der Ton gegenüber ihm hatte sich deutlich entspannt. Erich nahm an, dass der Mann ihm seine Geschichte mittlerweile glaubte, oder einfach nur nichts falsch machen wollte, solange er sich nicht absolut sicher sein konnte, was zu tun war.

Ungefähr eine Stunde später teilte der Fähnrich ihm mit, dass die Abschnittskommandantur sich gemeldet hatte. Sie hatte ihn darüber informiert, dass ein Fahrzeug geschickt würde, dass Erich in Kürze abholen sollte. Der Mann hatte die Cognacflasche in der einen Hand und ein weiteres Glas in der anderen. Er schenkte Erich einen kräftigen Schluck des Getränkes nach und setzte sich auf einem alten Holzstuhl neben ihn. Er selbst füllte sich das zweite Glas zwei Finger hoch mit Cognac. Er prostete Erich mit einem Augenzwinkern zu und fragte ihn nach einem kräftigen Schluck. „Was hat eins unserer Frontboote hier so nahe an der Küste verloren, und wie konnten sie dabei über Bord gehen?“ Erich dachte nach, was er am besten antworten sollte. Bisher hatte er nichts weiter verraten, als dass er von U-989 über Bord gegangen war. Die näheren Umstände hatte er nicht erläutert. Er entschied sich dafür das Löschen der Ladung auch weiterhin nicht zu erwähnen, da er sich mittlerweile hundertprozentig sicher war, dass die Küstenstellungen von der Operation keine Kenntnis erhalten hatten. „Wir mussten auftauchen, weil wir Probleme mit einer unserer Maschinen und einer der Schraubenwellen hatten. Ich war am Heck und versuchte mir gerade ein Bild über die Beschädigungen am Boot zu machen, die wir zuvor bei einem Wasserbombenangriff abbekommen hatten. Plötzlich griff uns ein Flugzeug an und ich konnte beim Alarmtauchen nicht schnell genug zum Turm des Bootes zurückkehren. Mein erster Wachoffizier hat genau das Richtige getan, als er befahl abzutauchen und die Luken zu schließen.“

Erich hoffte, dass die Erklärung genügen würde. Der Mann trank einen weiteren Schluck und sah ihm länger in die Augen. „Sehr unsportlich sehen sie nicht aus Herr Kaleun!“, sagte er, „wieso haben sie es dann nicht bis zum Turm geschafft bevor das Boot abtauchte?“ Erich zuckte mit den Schultern und antwortete nichts. „Nun ja“, sagte der Fähnrich nach einem Augenblick des Wartens, „diesen Umstand werden sicher die Offiziere der SS noch einmal genauer mit Ihnen erläutern, wenn sie abgeholt wurden. Ich würde das an deren Stelle zumindest tun.“ Er nahm die beiden leeren Gläser vom Tisch und ließ Erich alleine sitzen. Die Geschichte schien nicht seinem Geschmack entsprochen zu haben. Er verließ den Raum und sprach einen der anderen Männer mit auf ihn gerichtetem Blick an. Erich wusste, dass er ihn anwies ein Auge auf ihn zu haben.

Es dauerte eine halbe Stunde bevor der Kübelwagen, der Erich abholen sollte, an der Stellung angekommen war. Der SS-Offizier, der gekommen war, ihn abzuholen, war einer der beiden, die beim Löschen der Ladung von U-989 dabei gewesen waren. „Heil Hitler Leutnant Weber“, grüßte der Fähnrich ihn. Weber erwiderte den Gruß mit einer knappen, angedeuteten Handbewegung und wendete sich gleich Erich zu: „Nun, Herr Kaleun. Hat ihr Boot sie, oder sie ihr Boot verloren“, und lachte dabei über seine sarkastische Bemerkung. „Es scheint, zumindest den uns vorliegenden Meldungen nach, unbeschadet von dem von Ihnen besungenen Präsentierteller weggekommen zu sein….das hat zumindest der kommandierende Offizier Müller gemeldet.“ Der Umstand, dass Erich hier stand, während das Boot unter neuem Kommando irgendwo im Atlantik war, amüsierte Weber ungemein. Das Grinsen war so höhnisch, dass Erich ihm dieses Lachen am liebsten durch einen kurzen Faustschlag vertrieben hätte. „Das kann man sehen wie man will - vielleicht hätte auch die Küstenaufklärung dieses Abschnitts etwas besser aufpassen können, dann wäre das Ganze eventuell gar nicht erst passiert - insofern sie Bescheid gewusst hat.“ Jetzt war es an Erich zu grinsen. Das war zwar nicht ganz so wie er sich das vorgestellt hatte, aber das Grinsen aus Webers Gesicht war zumindest verschwunden.

Weber machte deutlich, dass er direkt aufbrechen wollte. Er ließ Erichs Uniform von einem Soldaten einpacken und Erich verschwand noch einmal auf dem stillen Ort hinter dem kleinen Landhaus. Als er wieder in den Flur des Hauses eintrat, sah er im Lebensmittelregal die restliche Flasche Cognac stehen. Er dachte darüber nach, dass der Fähnrich den Verlust der Flasche sicher verschmerzen könnte, wenn er sogar den Verlust eines tonnenschweren U-Bootes wegstecken musste. Er griff nach der Flasche und steckte sie vorne in die Panzerkombination. Er schaute sich noch einmal um und versicherte sich, dass ihn niemand gesehen hatte und kehrte dann in den Wachraum zurück.

Danach ging er mit Weber und dessen Fahrer zu dem Kübelwagen, der unmittelbar vor dem kleinen Landhaus wartete. „Steigen sie vorne ein“, sagte Weber zu ihm. Eigentlich hätte sich Erich gegen diese Respektlosigkeit verwehren müssen, da er Weber des Ranges nach eigentlich vorgesetzt war. In Anbetracht seiner Situation war er allerdings auf weitere Reibereien mit dem SS-Mann nicht scharf. Sie nahmen in dem Wagen Platz und kurz darauf rumpelte er über den schmalen Weg, der zum Haus führte, auf eine kleine befestigte Straße hinaus. Der Wagen bog nach rechts ab und nahm langsam Fahrt auf.

Bereits nach einigen Kilometern ließ Weber den Wagen über einen Feldweg in Richtung Meer abbiegen. Am Ende des Weges hielt das Fahrzeug an und Weber gab Erich zu verstehen, dass er ihm etwas zeigen wolle. Sie stiegen aus und ließen den Fahrer beim Kübelwagen zurück. Sie gingen einen schmalen Fußweg zu einer Düne hinauf und der Atlantik war wieder im Mondlicht vor ihnen zu sehen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783946922001
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Dezember)
Schlagworte
Historische Abenteuergeschichte Frankreich Katharer Carcassonne Tempelritter Abenteuer Historischer Roman Gisors Templerorden Gerhard Maibach

Autor

  • Marc Debus (Autor:in)

Marc Debus ist gelernter Sonderpädagoge und veröffentlichte bereits mehrere Bücher zu der Kampfkunst Wing Chun Kung Fu, das er selbst bei Lo Man Kam, dem Neffen des berühmten Yip Man erlernt hat. Des Weiteren schrieb er mit seinem Großvater Alfred Nell "Das letzte Geleit" eine Autobiographie zum U-Boot Krieg. Debus ist ebenfalls als Fotojournalist und Autor für Musikzeitschriften tätig.
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Titel: Das Geheimnis von Gisors