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Dagolus Dagermart - der kleine Schamane

Ein Abenteuer im alten Rom

von Marc Debus (Autor:in)
116 Seiten

Zusammenfassung

Dagolus, der kleine Schamane reist durch die Zeit um seinen Freund Paladin im alten Rom zu besuchen, doch dieser ist verschwunden. Schnell entwickelt sich das Ganze zum Abenteuer, bei dem er neue Freunde findet, die Magie seines Schamanenstabes einsetzen muss und bei dem er schließlich bis in den Kaiserpalast gelangt.Was eine mysteriöse Schatulle mit dem Ganzen zu tun hat, erfahrt ihr im Buch.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Was man über Schamanen wissen sollte

Klein war er, sehr klein sogar. Dagolus maß gerade einmal 1,60 Meter. Er hatte strubbelige blonde Haare und eine kleine Nase in einem fröhlich grinsenden Gesicht. Etwas seltsam gekleidet war er. Auf dem Kopf trug er eine Fellmütze mit Hörnern, die an den Ohren Klappen hatte. Sie war aus Biberfellen gefertigt und seine blonden Haare luckten darunter hervor. Dazu trug er eine Art Gewand, das ebenfalls aus Tierfell bestand und lang und zottelig nach unten hing. Seine Füße steckten in braunen, bestickten, ledernen Mokassins. Das Bild wurde noch durch einen langen geschnitzten Stab unterstützt, an dem Federn und andere Verzierungen angebracht waren und an dessen Spitze ein kleiner Tierschädel prangte. Auch einige Holzstäbchen verschiedener Größe und einige Federn hingen an dem Stab, die fürchterlich zu klappern begannen, wenn man den Stab auf dem Boden aufstieß. Dieses Aussehen führte dazu, dass man ihn im Ort „Kleiner Bär“ nannte.

Ein sehr wunderliches Aussehen könnte man meinen - aber auch wieder nicht, wenn man den „Beruf“ von Dagolus genauer in Augenschein nahm. Dagolus war nämlich ein waschechter Schamane, ein Medizinmann oder Zaubermeister, wie einige sagten - aber das war seiner Meinung nach total übertrieben. Immerhin gab es unzählige Schamanen – tausende, die lediglich ein klein wenig anders waren als Menschen, sonst aber auch nichts. Sie sahen aus wie Menschen, sie aßen und tranken wie Menschen und mussten schlafen wie Menschen, nur alterten sie nicht wie diese, sondern viel, viel, viel langsamer. Ein Schamane wurde nämlich nur ein Schamanenjahr älter, wenn ein Mensch um 16 Jahre alterte. Das machte schon einiges aus. Somit war Dagolus für einen Schamanen nicht so sonderlich alt mit seinen 15 Jahren. Wenn man dies allerdings aus der menschlichen Perspektive betrachtete, war er mit seinen 240 Jahren ein echter Methusalem - oder vielleicht noch eher eine Unmöglichkeit. Für einen Schamanen war er allerdings sehr jung. Diese Tatsache führte auch dazu, dass Schamanen ab und zu ihren Arbeitsplatz wechselten, oder mit anderen Schamanen tauschten, bevor sich die Menschen zu sehr zu wundern begannen, warum der Schamane so gar nicht altern wollte.

Im Gegensatz zu einem Schamanen, dessen Organismus sich an die Gegebenheiten der menschlichen Welt anpasst, wäre dies für einen Menschen in der Schamanenwelt nicht möglich. Diese Schamanenwelt hieß, oh Wunder, Schamanien. Sie lag in einer anderen Zeitebene und irgendwie in einer anderen Dimension. Sie existierte halt parallel zur normalen Welt. Würde nun ein Mensch hierher reisen, so würde alles für ihn so erscheinen, als wäre Schamanien eingefroren. Er könnte sich zwar bewegen, aber er wäre unweigerlich verloren, weil er keine Gegenstände bewegen könnte, niemand ihn wahrnehmen würde und er außerdem weder etwas essen noch trinken könnte. Allerdings gab es natürlich einen Trick, den ein Schamane anwenden kann, wenn er einen Menschen für einige Stunden nach Schamanien mitnehmen wollte. Er musste ihm in der normalen Welt seinen Stab in die Hand geben und vorher den Zauberspruch „Schamania“ sagen, der etwa vier schamanische Stunden wirkte. So konnte ein Mensch diese Zeit mit dem Schamanen in seiner Welt verbringen, musste aber vor Ablauf des Zauberspruchs mit ihm zusammen wieder in die menschliche Welt zurückkehren. Allerdings waren dann auf der Erde bereits 64 Stunden vergangen - und diese Zeit war der Mensch auch in Schamanien gealtert - also kein wirklich guter Tausch.

Was kann man sonst noch über Schamanen sagen? Eine Besonderheit ist der Stab, den sie alle mit sich führen, weil dieser unwiderruflich zur Ausstattung ihres Berufszweiges gehört…ohne ihn wäre er kein richtiger Schamane. Außerdem würde er nach - aus schamanischer Sicht - kurzer Zeit ein Mensch werden, normal altern und normal sterben. Deshalb passte jeder Schamane auf seinen Stab auf, wie auf seinen eigenen Augapfel. Alle Kräfte und alle Fähigkeiten, die Dagolus besaß und ihn von den Menschen unterschied, hatte er nur, wenn er seinen Stab bei sich trug. Er war mit diesem über eine unsichtbare Schnur verbunden und nur beide zusammen machten einen ganzen Schamanen aus. Der Stab konnte natürlich unterschiedlich aussehen. Der Schmuck an einem Stab machte keinen Unterschied. Er konnte ebensogut gänzlich glatt sein. Manchmal entfernten Schamanen den Schmuck von ihren Stäben, um nicht aufzufallen. So konnte aus dem Stab ein Gehstock werden, oder eine Lanze…je nach Bedarf. Wer jetzt aber denkt, dass der Besitz eines Schamanenstabes aus einem Menschen einen Schamanen machen könnte, hat sich allerdings grundlegend getäuscht. Mensch bleibt Mensch.

Aber zurück zu Dagolus. Er lebte zur Zeit in einem kleinen Dorf in der Tundra Sibiriens im Jahre 1889 - was man als typischen Wohnort eines Schamanen bezeichnen würde. Er hatte sich diesen Ort allerdings nicht ausgesucht, sondern er war nur hier, weil sein Lehrmeister Patasius Tunichtgut, den man hier allerdings „Schweigsamer Kranich“ nannte, ebenfalls an diesem Ort lebte. Dagolus hatte nichts dagegen, denn hier in der Tundra war es ruhig.

Bei seinem Lehrmeister zu wohnen war üblich, weil jeder „Frischling“, so nannte man einen „Schamanenazubi“, bis zu seinem achzehnten Schamanenlebensjahr in die Lehre zu gehen hatte. Das erscheint nicht lang, wenn man es aus menschlicher Sicht betrachtet, aber 288 Menschenjahre sind ehrlich gesagt auch kein Pappenstiel. Dagolus mochte Patasius, weil dieser die Ruhe in Sibirien ebenfalls schätzte - und genau aus diesem Grund auch ihn die meiste Zeit in Ruhe ließ.

Es gab ganz andere Arbeitsorte, an denen Schamanen wesentlich mehr Verantwortung übernehmen mussten, als sie es in ihrem kleinen Nomadendorf taten. Die Bewohner der Zeltsiedlung betrachteten die Beiden mit großem Respekt. Deshalb teilten sie mit ihnen ihre Jagdbeute, ihre Felle und bezogen sie bei ihren Besprechungen mit ein. Man suchte auch bei vielen Fragen des Alltags ihren Rat, z.B. wenn die Jagdbeute ausblieb, der Winter sehr kalt war oder ein Familienmitglied krank wurde. In den meisten Fällen konnten sie aufgrund ihrer großen Erfahrung helfen und die Menschen im Dorf zufrieden stellen. Deshalb schätze man sie natürlich sehr und alle waren freundlich zu ihnen.

Neben dem Leben im Dorf kam noch ein weiterer Aspekt des Schamanentums hinzu, von dem die Menschen nichts wussten. Wir haben ja bereits erfahren, dass sie mit ihren Stäben in ihre eigentliche Heimat, nach Schamanien reisen konnten. Dieses Land lag, wie ebenfalls schon erwähnt, nicht auf diesem Planeten, sondern in einer Dimension, die irgendwo neben der Erde lag. Im Großen und Ganzen sah aber alles genauso aus, wie auf der Erde. Allerdings alterten hier alle gleichmäßig, weil sie ja alle Schamanen waren. Besonders beindruckend fand Dagolus die Hauptstadt, Shermann City, in der viele berühmte Schamanen ihre Häuser hatten. Diese Gebäude sahen sehr unterschiedlich aus. Es gab römische Villen, nordländische Pfahlbauten, Pyramiden, Tempel, Westernhäuser und kleine Burgen, denn die Häuser waren immer nach dem Gebiet gestaltet, in dem der Schamane in dieser Zeit auf der Erde lebte. Deshalb ist es verständlich, dass die Hauptstadt immer wieder ihr Aussehen wechselte, weil Schamanen bei einem Umzug auch ihr Haus umgestalteten. Das hört sich verrückt an, ist aber so üblich…und irgendwie haben die Schamanen auch Spaß daran. Noch zu erwähnen ist, dass die Schamanen auf der Erde auch nicht alle in derselben Zeit leben, sondern dass sie von Schamanien aus in jede vergangene Zeitebene der Erde reisen konnten.

Das Ganze ist wesentlich weniger kompliziert, als man im ersten Moment annehmen würde. Das Reisen ist sogar ungewöhnlich einfach. In jedem Schamanenhaus gab es einen sogenannten Reisepunkt, von dem aus man an den jeweiligen Arbeitsplatz des Besitzers reisen konnte. Man musste nur auf den Punkt treten, zweimal den Stab so auf den Boden stoßen, dass er laut auftippte, und dabei „Merbrumm“ sagen - und schon reiste man zu dem Ort und in die Zeit, wo der Schamane seine Arbeit verrichtete. Alternativ konnte man mit einem anderen Schamanen von jedem Ort aus zusammen an seinen Arbeitsplatz reisen, indem man seinen Stab mit ihm kreuzte. Das funktionierte so, dass der Schamane das „Merbrumm“ murmelte, an dessen Wirkungsort man reisen wollte. Somit ist klar, dass jeder Schamane mit seiner Zeit und seinem Arbeitsplatz ebenso eng verbunden ist, wie mit seinem Schamanenstab. Eigentlich doch ganz schön kompliziert - aber doch irgendwie auch wieder ganz schön einfach…man könnte auch sagen, man gewöhnt sich daran. Vereinfacht wurde das Ganze noch dadurch, dass der Stab es ermöglichte jede Sprache zu verstehen, die an einem fremden Ort gesprochen wurde, man musste dafür sogar nur in der Nähe des Stabes sein. Gleichzeitig wurde man dann auch von den Personen die dort lebten verstanden, wenn man selbst etwas sagte.

Dagolus hatte sich zumindest gut damit arrangiert. Sein alter Freund Paladin Pompidu zum Beispiel, arbeitete im alten Rom. Er hatte ihn dort einmal besucht und hatte dafür eine Toga anlegen müssen. Rom war spannend gewesen, mit den riesigen Tempeln, dem Kaiserpalast und dem Colosseum. Dagolus hatte nach seinem Besuch in der Stadt mit ihrem bunten Treiben allerdings festgestellt, dass er die Ruhe in dem kleinen Nomadendorf absolut vorzog. Paladin arbeitete in Rom unter dem Namen „Malinus Meganus“ in einem Tempel, der Jupiter geweiht war und musste dort auch die vielen festgelegten Rituale und Bräuche durchführen. Für Dagolus wäre dieser Job nichts gewesen. Seiner Ansicht nach hatte Paladin mit dem Ort für seine Lehre nicht so viel Glück gehabt wie er - aber vielleicht sah Paladin das ja völlig anders.

Eine weitere Fähigkeit unterschied die Schamanen noch gegenüber den Menschen. Sie konnten sich gegenseitig an einem diversen Leuchten in den Augen erkennen. Manchmal sah auch ein Mensch dieses Leuchten und es kam vor, dass sie dann von einem stechenden Blick, unheimlichen Augen oder ähnlichem berichteten. Diese Fähigkeit hatten aber nur wenige Menschen und meistens waren diese Menschen dann auch etwas Besonderes. Dagolus jedenfalls erkannte jeden Schamanen, der ihm begegnete, direkt und umgekehrt war dies ebenso.

Der Spieleabend

Am heutigen Tag hatte Dagolus vor gegen Abend nach Schamanien zu reisen. Er wollte sich dort mit seinem Freund Paladin auf einen Kamillentee treffen - eventuell auch etwas „Mulsum“, den leckeren Gewürzwein aus Rom - und dann mit zwei weiteren Freunden Karten spielen. Dieser hatte ihn schon vor Wochen dazu eingeladen, als sie sich das letzte Mal in Schamanien getroffen hatten. Er freute sich darauf schon seit er aufgestanden war und stromerte entsprechend fröhlich durch das kleine Dorf in der Tundra. Die Bewohner grüßten ihn freundlich und bei seiner Lieblingsköchin „Dicke Hummel“ bekam er ein leckeres Büffelgulasch zum Mittagessen. Am Nachmittag besuchte er eine weitere Familie im Dorf und kümmerte sich um die Großmutter, die ein dickes Bein hatte. Er trug eine Salbe auf und plauderte mit der alten Frau, die er sehr mochte. Anschließend kehrte er in das Schamanenzelt zurück und aß mit Patasius zu Abend, der wie immer schweigend seinen Schinken und das frische Fladenbrot kaute. Danach verabschiedete er sich kurz von ihm und nahm seinen Stab. Er ging zu dem Punkt in der Ecke seines Schamanenzeltes und stieß dort seinen Stab auf den Boden und sagte „Merbrumm“. Sekunden später war er in seinem kleinen bunten Haus in Shermann City, das mit zahlreichen sibirischen Skulpturen, Stickereien und Fellen geschmückt war. Dagolus hatte sogar im Vorgarten einen mächtigen, böse blickenden Totempfahl aufgestellt…dieser hatte es ihm besonders angetan. Er legte seine Fellmütze auf einer Anrichte ab und packte das Kartenspiel sowie eine kleine Tüte Kamillentee in seinen Beutel, richtete noch schnell seine Frisur und machte sich dann fröhlich summend auf den Weg zum Haus von Paladin.

Man konnte das Haus von Paladin schon von weitem erkennen. Er hatte es aufgrund seines Arbeitsortes natürlich wie eine typische römische Villa gestaltet, mit viel Marmor und mächtigen Säulen am Eingang. Dagolus liebte dieses Haus mit seinem großzügigen Atrium, dem typischen Innenhof der römischen Häuser. Außerdem stand hier ein kleiner, sprudelnder Brunnen, aus dem immer frisches Wasser plätscherte. Das Wasser spendete an solchen warmen Abenden, wie dem heutigen, immer eine angenehme Kühle im Innenhof. Dagolus betrat das Haus und ging durch den Vorraum direkt in den Innehof hinein. Die beiden Freunde Edo Erdmann und Urs Usurpator waren schon da und winkten ihm fröhlich zu, als er den Hof betrat. Er setzte sich zu ihnen und fragte: „Wo ist Paladin? Ist er noch nicht da?“ Urs antwortete ihm: „Scheinbar nicht. Die Tür war offen, wie immer, und so haben wir es uns schon einmal gemütlich gemacht“. Dagolus griff nach seinem Beutel, legte die Karten auf den kleinen Tisch und griff dann nach der Tüte mit dem Kamillentee. „Ich werde uns schon mal einen leckeren Tee zubereiten“, sagte er und verschwand durch eine Nebentür in der Küche des Hauses. Er entzündete ein Feuer unter dem Herd und stellte dann einen Topf mit Wasser über das Feuer.

Es dauerte eine ganze Zeit bis das Wasser kochte. Er gab den Tee in eine große Kanne und schöpfte dann heißes Wasser aus dem großen Topf hinein und goss so den Tee auf. Es fing herrlich an zu duften und Dagolus schnappte sich die Kanne und kehrte in den Innenhof zurück. Als er dort ankam, war er doch ein wenig erstaunt, dass Paladin noch immer nicht aufgetaucht war. Auch Edo und Urs waren darüber sichtlich verwundert. Dagolus schenkte den Tee aus und dann starteten sie die erste Runde des Kartenspiels, Paladin würde sicherlich gleich kommen.

Aber er kam nicht. Nach einer Stunde waren die Freunde sich einig, dass Paladin vermutlich etwas Wichtiges dazwischen gekommen war - so etwas kam vor. Sie spielten noch einige Runden weiter, bevor sie sich voneinander trennten. Edo und Urs verließen die Villa, während Dagolus die Teetassen und die Kanne in der Küche spülte und das Feuer im Herd löschte. Gleichzeitig löschte er die Lampen, die sie mittlerweile angezündet hatten. Bei seinem Gang durch das Haus passierte er den Raum, in dem sich der Reisepunkt von Paladin befand und er sah zu diesem hinüber. Dagolus blieb stehen und dachte kurz nach. Was sprach dagegen ins alte Rom zu reisen und nach Paladin zu schauen, zumal er die Stadt und ihre Gepflogenheiten schon kannte und den Trubel einer Stadt doch manchmal mochte. Seine Entscheidung fiel schnell. Dagolus trat auf den Reisepunkt und stieß mit seinem Stab auf den Boden „Merbrumm“ – und schon lag die Villa wieder einsam und verlassen da.

Im alten Rom

Mit einem leisen Ploppen erschien Dagolus im Wohnhaus von Paladin, der ja hier in Rom Malinus Meganus genannt wurde. Er sah sich in dem Zimmer um und entdeckte an einem Kleiderständer eine hellblaue Tunika, ein typisches römisches Kleidungsstück, die Paladin zu gehören schien. Er sah sich das Kleidungsstück an und stellte fest, dass es auch ihm passen würde. Es war zwar ein klein wenig zu groß für ihn, aber bei einer Tunika fiel dies kaum ins Gewicht. Eine Tunika trug so gut wie jeder Mann in Rom und nur höhergestellte Persönlichkeiten und frei geborene Männer hatten das Recht darüber eine Toga zu tragen, die große Ähnlichkeit mit einer über die Schulter geworfenen Decke hatte. Dagolus war froh, dass er so etwas bei der Hitze in Rom nicht tragen musste. Die Tunika war ein etwas zu lang geratenes Hemd, das über den Kopf geworfen wurde und an den Seiten offen war. Man hielt das Ganze dann mit einem Gürtel um die Hüfte zusammen und war mit diesem Kleidungsstück für das warme Klima bestens ausgestattet,

Dann betrachtete er seinen Stab. Er entschied sich die Holzstäbchen und Federn, wie bei seinem letzten Aufenthalt, zu lösen und hier liegen zu lassen. Nachdem er sie entfernt hatte, war nur noch der hölzerne Stab übrig, der gut als zu groß geratener Gehstock durchgehen konnte. Jedenfalls würde er so mit dem Stab in den Straßen nicht für Aufsehen sorgen. Nun trat er auf die Straße hinaus und blickte zu dem nahegelegenen Tempel, der dem Gott Jupiter geweiht war und in dem Paladin mit seinem Lehrmeister arbeitete. Dagolus wendete sich in Richtung des großen, mit mächtigen Säulen versehenen, Gebäudes und strebte mit großen Schritten auf dieses zu. Während er unterwegs war, stellte er sich vor, was Paladin für Augen machen würde, wenn er gleich in den Tempel hereinschneien würde. Er freute sich den Entschluss gefasst zu haben hierher zu kommen.

Dagolus erreichte den mächtigen Tempel. Er schritt die Marmortreppen hinauf und bewunderte die gewaltigen Säulen und verzierten Kapitele, die sich über die gesamte Vorderseite erstreckten und den großen marmornen Giebel trugen, auf dem Reliefs mit Wagen und Figuren zu sehen waren. Er Schritt durch das Eingangstor und sah, wie im Inneren des Tempels einige Priester ein Ritual zelebrierten. Er erkannte bei den Priestern Bertram Bartgummi, hier als Marcus Minimax bekannt, den Lehrschamanen von Paladin. Dieser hatte scheinbar eine tragende Rolle bei dem Geschehen am Altar und wirkte überaus beschäftigt. Eigentlich hatte er erwartet seinen Freund im Tempel anzutreffen, aber Paladin war nirgendwo zu sehen. Dagolus ging weiter nach vorne und sah der Zeremonie einen Augenblick zu. Marcus Minimax war gänzlich in seine Arbeit vertieft und die Priester ließen sich durch die Anwesenheit von mehreren Menschen im Tempel nicht stören. Dagolus überlegte, ob er direkt nach Paladin fragen sollte, entschied sich aber, das Ritual nicht zu stören. Weil er seinen Freund nicht entdecken konnte, verließ er den Tempel wieder durch das große Eingangstor. Draußen angekommen blickte er nach links und nach rechts und fragte sich wo er anfangen sollte Paladin zu suchen. Er entschloss sich erst einmal zu seinem Wohnhaus zurückzukehren und sich dort umzusehen.

Schon zehn Minuten später hatte er sich im Haus einen ersten Überblick verschafft und befand sich gerade im Schlafzimmer von Paladin, als sein Blick in die Ecke fiel. Sein hölzerner Schamanenstab lehnte an der Wand. Das war ungewöhnlich, denn ein Schamane war normalerweise immer in der Nähe seines Stabes anzutreffen, eigentlich hatte er ihn immer dabei, weil er sonst keine Zauberkraft hatte.

Das war also sehr ungewöhnlich. Dagolus sah sich jetzt genauer im Zimmer um. Das Bett von Paladin war noch zerwühlt und nicht gemacht worden. Er kannte seinen Freund so gut, dass er wusste, dass dieser morgens sein Bett zu machen pflegte. Auch dies war heute Morgen scheinbar nicht geschehen. Außerdem lagen neben dem Bett einige Dinge auf dem Boden. Er ging hinüber und sah sich an, was dort lag. Ein Stift, ein Schreibbrett und eine Kette, die Paladin um den Hals zu tragen pflegte. Dagolus fragte sich warum diese Gegenstände auf dem Boden lagen. Das war alles gar nicht seine Art. Jetzt musste Dagolus wieder daran denken, dass die Haustür offen gestanden hatte, als er angekommen war. Das war zwar in Schamanien nichts Ungewöhnliches, hier im alten Rom aber eher schon. War seinem Freund etwas zugestoßen? Wieso hatte er sich nicht zu ihrer Verabredung eingefunden? Eines war zumindest klar, er würde ihn suchen müssen, zumal er ohne seinen Stab anfangen würde so schnell zu altern wie ein Mensch.

Dagolus dachte einen Moment nach. Er musste in den Tempel zurückkehren und Marcus Minimax doch danach fragen, wann er Paladin das letzte Mal gesehen hatte. Er hatte ansonsten keine Idee, wo er anfangen sollte seinen Freund zu suchen. Also verließ er das Wohnhaus wieder und kehrte zum Tempel zurück. Als er die riesige Halle abermals betrat, war das Ritual beendet. Die Priester reinigen gerade den Altarbereich und Marcus Minimax kehrte mit einem Besen den Boden. Als er aufsah und Dagolus erkannte, winkte der ihm fröhlich zu. „Hallo Dagolus“, sagte er, „wie geht es dir?“ Dagolus antwortete: „Mir geht es gut. Ich suche nach Paladin.“ Der Gesichtsausdruck von Markus Minimax verfinsterte sich für einen Moment, bevor er sagte: „Wenn du ihn findest, schickst du ihn bitte direkt zu mir. Er hätte uns heute Morgen bei den Vorbereitungen für das Ritual zu den Iden des März helfen sollen. Er ist aber nicht gekommen. So etwas hat er bisher noch nie gemacht. Ich hoffe er hatte einen guten Grund dafür.“ Also wusste Marcus Minimax auch nicht wo sich Paladin aufhielt. „Wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?“ fragt Dagolus nach. Der Priester antwortete: „Gestern Abend haben wir zusammen den Altarraum vorbereitet. Danach ist er dann nach Hause gegangen. Er wollte noch kurz Freunde besuchen gehen und dann nach Schamanien gehen.“ Daraus schloss Dagolus, dass Paladin erst in der Nacht oder am heutigen Morgen verschwunden sein konnte. „Weißt du, wer die Freunde sind, die er besuchen wollte und wo sie wohnen?“, fragte er nach. „Ipsus und Nexus heißen die beiden“, sagte der Priester und erklärte ihm dann wo sie wohnten. Das war zwar nicht viel, aber schon mal ein Anfang.

Dagolus verließ den Tempel wieder und machte sich nach den Beschreibungen von Marcus Minimax auf dem Weg zum Haus von Ipsus. Der Priester hatte den Weg gut beschrieben und so fiel es Dagolus nicht schwer das Haus zu finden, zumal es im gleichen Stadtviertel lag, wie das Haus von Malinus und der Tempel.

Er ging durch ein kleines Tor und trat an die Haustür heran. Er klopfte mit dem übergroßen Türklopfer, der aussah wie ein Löwe mit einem großen Ring im Maul, kräftig an. Einige Sekunden später ertönte von innen eine Stimme: „Wer ist da? – Was gibt es?“ Dagolus antwortete: „Ich heiße Dagolus und ich bin auf der Suche nach meinem alten Freund Malinus Meganus.“ „Malinus ist nicht hier und ich weiß auch nicht wo er ist“, lautete die unfreundlich klingende, direkte Antwort von der anderen Seite der Tür, „und außerdem bin ich krank und gehe jetzt wieder ins Bett.“ Dann hörte man wie sich Schritte von der Haustür entfernten. Das war kein sehr ertragreiches Gespräch gewesen, vor allem nicht so durch eine geschlossene Tür hindurch. Dagolus wunderte sich ein wenig, weil Malinus normalerweise nur mit freundlichen und lustigen Leuten Kontakt pflegte.

Jetzt würde er wohl Nexus aufsuchen, wo er sich mehr Informationen über den Verbleib seines Freundes und einen freundlicheren Empfang erhoffte. Nexus wohnte ebenfalls nicht weit entfernt von Ipsus und so hatte er das Haus in wenigen Minuten erreicht. Auch hier klopfte er an und kurz darauf wurde die Tür von einem fröhlich blickenden Jungen geöffnet. Er sah Dagolus an und sagte: „Guten Tag. Was gibt es?“ Der kleine Schamane erklärte ihm wer er war und wen er suchte. Nexus war kein Schamane sondern ein Mensch. Er bat ihn herein und ging mit ihm in den Wohnraum des Hauses. Hier saß ein weiterer, rothaariger Junge, der in ähnlichem Alter zu sein schien wie Nexus. Dagolus reichte ihm die Hand und stellte sich vor. Sein Gegenüber erwiderte den Gruß und sagte anschließend: „Ich heiße im übrigen Ipsus Catanius.“ Dagolus sah ihn verwundert an. „Ich war eben ein paar Straßenzüge weiter bei einem Haus, in dem ein andrer Freund von Malinus lebt, der ebenfalls Ipsus heißt. Ist das hier in Rom ein häufiger Name?“ Ipsus lachte und sagte: „Nein, du warst vermutlich bei meinem Haus, aber ich bin ja hier.“ Dagolus überlegte einen Moment und fragte dann bei Ipsus nach, der gerade Milch aus einem Becher trank: „An deinem Haus ist ein großer Türklopfer mit einem Löwen…oder? Mit wem habe ich dann eigentlich geredet, als ich bei dir angeklopft habe? Derjenige sagte er sei krank und hat die Tür nicht aufgemacht. Da er mir auch keinen Namen gesagt hat, bin ich davon ausgegangen, dass du das gewesen bist oder hast du einen Diener?“

Ein prustendes Geräusch ertönte und Ipsus blies den letzten Schluck Milch in einem Sprühregen über den Tisch und sprang auf „Waaaas? – da ist jemand in meinem Haus?“ schrie er und stürzte los. Er rannte an Nexus vorbei, der in der Küche etwas zu trinken für Dagolus geholt hatte und schrie im Vorbeilaufen: „Bei mir wird gerade eingebrochen – schnell wir müssen sehen, dass wir retten, was zu retten geht.“ Und mit diesem Satz war er schon durch die Haustür verschwunden. Nexus sah Dagolus an, winkte ihm und die beiden rannten hinter Ipsus her.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783946922452
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (September)
Schlagworte
Rom Zeitreisen Abenteuer Kinder Historischer Hintergrund Cäsar Fantasie Kinderbuch Dagolus Dagermart Italien Erzählungen Kurzgeschichten

Autor

  • Marc Debus (Autor:in)

Marc Debus ist gelernter Sonderpädagoge, Verleger, Journalist (Fotojournalist) und Kampfkunsttrainer.
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Titel: Dagolus Dagermart - der kleine Schamane