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Mondsüchtig: Die Vollstreckerin

Düstererer Romantasy Liebesroman

von Kitty Harper (Autor:in)
200 Seiten
Reihe: Mondsüchtig, Band 5

Zusammenfassung

Auch die schnellste Jägerin kann zur Beute werden, wenn die Gejagten sich vereinen und erheben. Nova Johnson ist eine Huntsmen. Normalerweise jagt sie verbrecherische Dämonen. Doch dieses Mal erfüllt sie keinen Auftrag des Rates, dieses Mal sinnt sie auf Rache. Apollo Adams ist ihr erklärtes Ziel, denn er ist für den Tod ihres Vaters verantwortlich. Da gibt es nur ein Problem: Rai Mayo, Novas beste Freundin und Kitsune, ist seine Geliebte. Der innere Kampf bringt Nova an ihre Grenzen. Als dann New York auch noch von einer Ghul-Seuche heimgesucht wird, steht für Nova fest: Nur Apollo Adams kann dafür verantwortlich sein, denn er ist Luzifer! Mystische Wesen, übersinnliche Fähigkeiten und prickelnde Erotik in einem düsteren Romantasy-Abenteuer. Band 5 der MONDSÜCHTIG - Reihe! Die MONDSÜCHTIG-Reihe ist eine monatlich erscheinende Reihe in 12 Bänden. Jeder Band ist in sich abgeschlossen, allerdings gibt es einen überspannenden Handlungsbogen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 MONDSÜCHTIG

 

Von Kitty Harper

 

 

 Prolog

Ich kauerte mich ins feuchte Gras und sog den würzigen Geruch der Friedhofserde ein. Wirklich ein ansprechender Ort für ein erstes Date. Nun ja, nicht dass ich schon jemals ein Date gehabt hätte. Das bringt der Job einer Huntsmen nun mal nicht mit sich. In der Stellenbeschreibung wird übrigens strengstens davon abgeraten. Und schon gar nicht würde ich ihn oder sie – überrascht? – mit auf den Friedhof nehmen. Ich schüttelte mich angewidert und spähte über die Grasnarbe. Bei dem Anblick, der sich mir bot, verzog ich angewidert das Gesicht. Und schon gar nicht würde ich meinen potenziellen Partner zu einer solchen Veranstaltung schleppen.

Unweit von meiner Position befand sich ein mannshohes Lagerfeuer. Ein paar mit Kapuzen angetane Herren – im normalen Leben höchstwahrscheinlich Kinderarzt oder Anwalt – hatten sich um das Feuer gruppiert und beteten einen – bitte nicht lachen – Ninimini an. Niniminis sind gehörnte Dämonen, die ihre Huldiger mit Gold, Ruhm und Ehre – und dem ganzen dazugehörigen Quark – überhäuften. So lange sie ihnen huldigten. Aber wehe, einer wagte es, nicht genug Enthusiasmus in die ganze Anbeterei zu legen. Dann konnten Niniminis ziemlich unangenehm werden. Und was noch viel schlimmer war: Diese Typen brachten mit ihrem Geltungsbedürfnis die ganze Bevölkerung der Stadt in Gefahr. Einmal losgelassen, konnten diese Dämonen zu einer echten Bedrohung werden.

Ich schüttelte fassungslos den Kopf. Dass überhaupt jemand wagte, sie noch zu beschwören, grenzte entweder an grobe Fahrlässigkeit oder grenzenlose Dummheit. Ich tippte auf Letzteres. Männer mit unstillbarer Gier waren so. Ich hingegen … brauchte nicht viel, um meinen Auftrag zu erfüllen und diese Stadt zu schützen. Ich brauchte noch nicht einmal einen Grund. Allein die bloße Erwähnung eines Niniminis reichte aus und der Rat der Huntsmen gab Dämon und Menschen zum Abschuss frei.

Meine Knöchel knackten, als ich den Griff um das Heft des Dolches, der für mich geschaffen als Fortsetzung meiner Hand fungierte, verstärkte. Heute Nacht würde keine Menschenseele ihr Leben lassen, nur Dämonen und diejenigen, die es wagten, ihn zu beschwören.

Als ich mich aus dem Dickicht erhob, raschelte es leise, doch die Beschwörer ließen sich nicht ablenken. Na immerhin das wussten sie. Eine unaufmerksame Sekunde und der leicht reizbare Dämon würde rasend werden. Mein Glück – ihr Pech. Ich konnte nicht verhindern, dass meine Mundwinkel verräterisch zuckten, als ich mit voller Absicht auf einen Ast trat. Sorry, Jungs.

Die versammelte Mannschaft der Kapuzenträger stoppte in ihren Huldigungen, zog demonstrativ – wirklich, ich konnte sehen, wie ihre Hälse sich verkürzten – die Köpfe ein und drehten sich unisono nach dem Geräusch um. Inklusive Dämon, dessen glühende Feueraugen mich sofort ins Visier nahmen. Ich hob meine Klinge und zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Mein Fehler«, hauchte ich, »aber ich wollte euch wirklich nicht bei der Beschwörung stören.« Keine Ahnung, was ich hier tat. Plappern war meine schlechteste Eigenschaft und sie trat immer dann gehäuft auf, wenn ich nervös war und nicht wusste, wie ich aus der Situation, in die ich mich gerade hineinmanövriert hatte, wieder herauskam.

»Warum tust du es dann?«, knurrte eine Kapuze. Der Ninimini verlor sein Interesse an mir und nahm den Sprecher aufs Korn. Ich deutete mit der Klinge auf ihn.

»Deswegen.« Und dann ging ich in Deckung. Kein Huntsmen – auch kein weiblicher – legte es darauf an, sich mit einer Bande wütender Kapuzenträger zu messen, wir bevorzugten Dämonen. Aber wir hatten nichts dagegen, wenn der Dämon sich vorher ordentlich an den Idioten austobte, die so dumm waren, ihn zu beschwören. Ich verkroch mich hinter dem Busch und wartete geduldig, bis die Kampfgeräusche erloschen. Keine netten Geräusche. Ich verspürte nicht wirklich Lust, nach passenden Assoziationen zu diesen widerlichen Lauten zu suchen, nur damit ich sie auf ewig mit einem … Nein, stopp! Ich versuchte nur, mich auf den bevorstehenden Kampf zu konzentrieren.

Niniminis sind trotz ihres niedlich klingenden Namens große, schwerfällige, gehörnte Dämonen mit humanoider Form, klauenbewehrten Händen, ziegenbockähnlichem Unterbau, nicht sehr schnell und etwas einseitiger Intelligenz. Sie dachten in zwei Kategorien: Sie huldigten mir, gute Menschen. Sie huldigten mir nicht, Mittagessen. Oder Mitternachts-Imbiss. Solche Veranstaltungen fanden ja meistens nicht am Tag statt. Spielte eigentlich auch keine Rolle. Die Grabesstille nach dem letzten schmatzenden schreienden Reißen war dann wohl mein Zeichen. Ich atmete ein letztes Mal tief durch, sprang auf, wirbelte herum und stürzte mich schreiend in den Kampf.

 Kapitel 1

Man sagt, dass Erste, das man von einem geliebten Menschen vergaß, wenn er starb, war der Klang der Stimme. Doch ich hatte noch viel mehr vergessen. Ich hatte das Spiel seiner Gesichtsmuskeln vergessen, wenn er lächelte, die Art seiner Bewegungen, wie es sich anfühlte, wenn er mich umarmte. Es mochten nur Kleinigkeiten sein, aber sie waren wichtig, weil sie uns mit den Menschen, die wir liebten, verbanden.

Es gab viele Gründe, die mich nach New York geführt hatten, doch die Verzweiflung, nicht mehr zu wissen, wie sich die Stimme meines Vaters angehört hatte, machte mich rasend. Zunächst war da schlicht ein Auftrag vor zwei Jahren, der mir Grund genug gab, die Stadt aufzusuchen. Die Organisation verteilte nicht viele und auf genau die Gelegenheit hatte ich gewartet. Immerhin war er in der Stadt – der Mörder meines Vaters. Doch davon wusste die Organisation nichts. Für sie war er im Kampf gefallen. Doch wie sollten alte Männer mit langen Bärten auch wissen, was in der realen Welt vor sich ging, wenn sie den ganzen Tag in ihrem Elfenbeinturm hockten und Menschen wie Figuren auf dem Schachbrett hin und her schoben? Ein Dämon, der gegen den Vertrag verstoßen hatte, hielt sich in der Stadt auf. Ich lachte höhnisch auf und nippte an meiner Cola. Einer? Hunderte! Seit diesem schicksalhaften Auftrag, der mich endlich in die Nähe von Apollo Adams brachte, hatte ich die Stadt nicht mehr verlassen. New York war zu meinem Gebiet geworden und ich machte einen verdammt guten Job, die wirklich bösen Dämonen in Schach zu halten und den Huntsmen alle Ehre.

Und dann war da noch Rai Mayo. Ich hatte nicht vorsätzlich gehandelt, als ich die Nähe zu Rai Mayo suchte. Ja, ich wollte an Adams herankommen und seine kleine Studentenfreundin bot ein lohnendes Ziel. Doch ich hätte niemals mit einer derartig dramatischen Entwicklung der Ereignisse gerechnet. Hin und wieder erledigte ich einen Auftrag des Rates, die gaben mir schließlich Grund genug, in der Stadt zu bleiben. Nicht dass die alten Herren noch auf die Idee kamen und mich an einen anderen Ort schickten. Von meiner Blutfehde gegen Adams wussten sie nichts. Wenn der Rat davon erfahren würde, säße ich auf dem schnellsten Wege in einem Flugzeug nach Hongkong und durfte dort für Ordnung sorgen. Nein, ich musste in New York bleiben.

In den letzten Monaten war Rai mir zu einer Freundin geworden, genau wie ich es geplant hatte – doch ich hatte nicht bedacht, dass ich Gefallen an ihrer Freundschaft finden würde. Über sie wollte ich an Apollo Adams herankommen. Auch wenn es nicht die feine Art war, aber einen Mann wie den Pharma-Milliardär klingelte man nicht einfach heraus und konfrontierte ihn mit vagen Behauptungen. Aber ich war mir so sicher, Apollo Adams trug die Schuld am Tod meines Vaters. Ich wollte ihn damit konfrontieren, ihn zur Rede stellen … doch dann kam alles anders.

Ich glaubte mich schon am Ziel, als ich in sein Penthouse eindrang. Dem Pförtner reichte mein Name … und er ließ mich den Fahrstuhl betreten. Doch was ich dann sah, stellte mein bisheriges Weltbild auf den Kopf.

Rai Mayo, die süße kleine Rothaarige, die ich für naiv gehalten hatte, weil sie mit einem Mann verkehrte, der Dämonen für seine Zwecke einsetzte, war eine Kitsune. Und Apollo Adams … niemand Geringeres als Luzifer.

Ich verzog höhnisch das Gesicht. War ja klar, dass meine Blutfehde nicht einfach mit der Beseitigung eines Menschen endete. Nein, es musste gleich ein Gefallener Engel sein. Nicht, dass ich geglaubt hatte, dass es sie überhaupt gab. Aber warum eigentlich nicht? Ich jagte Dämonen im Auftrag einer Geheimgesellschaft. Warum sollte es da nicht auch Engel und … Fuchsgeister geben. Rai Mayo war eines dieser mystischen Wesen. Und sie war mir zu einer Freundin geworden.

Was die Situation wirklich verkomplizierte war Luzifer. Nicht umsonst gab es einen Vertrag, der einen brüchigen Frieden zwischen den Huntsmen und den Dämonen herstellte. Würde ich mich wie eine Furie auf Luzifer stürzen, könnte – nein, würde es – den Frieden zerstören. Mal ganz davon abgesehen, dass ich nicht davon ausging, ihn zu besiegen. Mein Tod war mir egal, aber nicht, was danach passierte. Tötete eine Huntsmen einen Gefallenen Engel, gäbe es Krieg.

Meine Anschuldigungen gegen Apollo Adams stützten sich auf die Aussagen eines Wachmannes, der gehört haben wollte, wie der Dämon Adams Namen erwähnte. Nein, wenn ich Luzifer beschuldigen wollte, brauchte ich Beweise, die ich dem Rat vorlegen konnte. Und dann gab es da noch die klitzekleine Hürde, dass ich Rai mochte. Sie liebte ihn und ich wollte ihr nicht wehtun. Ich hatte sie zusammen gesehen, wie sie sich anschauten. Und das bereitete mir verdammt noch mal Kopfschmerzen!

Seit drei Wochen nun hockte ich in dieser Bar und beobachtete Rai und ihren … Engel. Drei verdammte Wochen war es her, dass Luzifer seine Flügel verloren hatte und seit drei Wochen haderte ich mit mir. Sollte ich Beweise gegen Apollo Adams sammeln? Immerhin hatte ich die Aussage des Wachmannes, dass Adams an dem Vorfall – also auch am Mord meines Vaters – irgendwie beteiligt gewesen war. Damals noch war ich fassungslos gewesen. Wie konnte ein Mensch sich mit Dämonen einlassen? Doch als ich erfuhr, das Apollo Adams Luzifer war, war diese Zusammenarbeit nicht mehr ganz so abwegig.

Aber er war auch der Mann meiner Freundin, und … was die Sache noch viel unerträglicher machte … sie hatten mich in ihre Mitte aufgenommen, schenkten mir Vertrauen und Wissen und hatten mir sogar einen Blick auf den Höllenschlund gewährt. Das also war der eigentliche Grund, warum New York eine Ausgeburt an Sünden und Verbrechen war: Der Höllenschlund befand sich direkt unter der Stadt, genau genommen unter … mir. Im Keller dieser Bar.

Ich nippte an meiner Cola. Rossos – der Inhaber der Bar – war wie zu erwarten auch nicht menschlich. Manchmal fragte ich mich, ob in diesem Etablissement nicht Menschen die Exoten waren. Mein Handy surrte und ich warf einen Blick auf das kurz aufleuchtende Display. Ein Ort, eine Uhrzeit vor einer vierstelligen Nummer mit einem Code, der auf die Art des Dämons hinwies. So kommunizierten die Huntsmen mit ihren Jägern. Es gab eine zentrale Stelle, die die Vollstreckungen überwachte. Wir töteten nicht per se jeden Dämon, der uns über den Weg lief. Genau genommen hatte dieses Verhalten fast zur Auslöschung der Huntsmen geführt. Um die Organisation vor der vollständigen Vernichtung zu retten, waren wir einen Vertrag eingegangen, der uns erlaubte, die Drecksarbeit für die Dämonen zu erledigen. Huntsmen gingen nur gegen Verbrecher aus der Dämonenwelt vor. Wir sorgten dafür, dass die Dämonen unerkannt unter den Menschen leben konnten, indem wir ihren Abfall beseitigten. Und ich war eine dieser Müllmänner. Nova Johnson, durch so viel Leid kalt wie Stahl, tötete ich, was sie mir vor die Kimme schoben.

Indem ich in New York Müllmann spielte, sicherte ich mir das Recht, auf unbestimmte Zeit in New York zu bleiben. Und Adams im Auge zu behalten. Was sollte ich auch machen? Luzifer genoss praktisch so etwas wie diplomatische Immunität. Vielleicht war er sogar bei der Vertragsunterzeichnung dabei gewesen. Himmel und Hölle … Ich konnte es drehen, wie ich wollte. An Apollo Adams respektive Luzifer war kein Herankommen.

Hastig leerte ich mein Glas und wollte eine Fünfdollarnote auf den Tresen werfen, doch Rossos schüttelte lächelnd den Kopf. »Lass stecken, Nova. Wir sind dir so viel schuldig, dass du bei mir trinken kannst, so viel du willst, ohne zu bezahlen.«

Ich verzog das Gesicht. Greg Rossos war ein echt netter Kerl, wenn er nicht gerade ein Nephilim gewesen wäre. Halb Engel, halb Mensch. Gerade ihm wollte ich nichts schuldig sein.

»Lässt du Adams auch umsonst trinken?«

Rossos polierte stoisch weiter. »Den nicht, aber der hat auch nicht deinen …«, er grinste böse, »rechten Haken.«

Ich musste lachen. »Wolltest du etwas Anzügliches sagen?«

Er schüttelte lässig den Kopf. »Bin doch nicht lebensmüde. Lass dein Geld stecken, Kleine. Hauptsache du hältst ein Auge auf …« Rossos ließ den Satz ausklingen, sein Blick glitt Richtung der kleinen Nischen, die sich im hinteren Teil des Lokals befanden, dorthin, wo Rai und ihr Engel sich meistens zurückzogen, wenn sie hier waren. Ich wandte mich wieder um und nickte.

»Ja, natürlich passe ich auf.« Seit drei Wochen verhielt sich Adams seltsam. Rai machte sich Sorgen und wollte, dass zumindest immer jemand in seiner Nähe war. Sie schob es auf den Verlust seiner Flügel, aber ich glaubte nicht daran. Adams war Luzifer und das bedeutete, dass er nichts Gutes im Schilde führen konnte. Wenn überhaupt passte ich auf Rai auf, dass er ihr nichts antat … oder anderen Menschen. Wenngleich ich auch eine Vollstreckerin war, so gab mir das noch lange nicht das recht, einen Engel seines Ranges zu töten. Bei jedem anderen Dämon hätte der Rat wohl ein Auge zugedrückt. Aber bei Adams … Scheiße, wenn ich Luzifer tötete, könnte das einen Krieg nach sich ziehen. Nein, ich hatte keine Gewissensbisse, nur kümmerte ich mich lieber vorher um die Konsequenzen meines Handelns, als im Nachhinein die Scherben zusammenzukehren. Ich presste die Lippen aufeinander und schluckte die Lüge. Was sollte ich denn auch machen? Sollte ich hingehen und Rai erzählen, dass Apollo Adams am Tod meines Vaters schuld hat? Nein. Sollte ich hingehen und diesem verdammten Engel den Kopf abschneiden? Ja! Konnte ich es? Nein! Es war zum Haare raufen. Also tat ich, was ich am besten konnte. In dieser Sache nichts unternehmen, beobachten und weiterhin Dämonen killen. Die Untätigkeit machte mich noch rasend!

»Ich muss los, Greg!« Ich stellte mein Glas auf das Geld und sprang vom Barhocker. »Man sieht sich!«

»Sei ein braves Mädchen!«, rief er mir noch hinterher. Ich verzog das Gesicht. Natürlich, ich werde ganz brav sein und meinen Unmut an einem verbrecherischen Dämon abreagieren. Der kann zwar nichts für meine Tatenlosigkeit, aber er hat die Strafe mit ziemlicher Sicherheit verdient.

»Hey, Buffy, wo hin so schnell?«, begrüßte mich Rai und stellte sich mir in den Weg. Meine Miene verfinsterte sich automatisch.

»Sag das noch einmal, und …«, drohte ich, doch ich konnte meinen Satz nicht einmal beenden. Rai hob sofort entschuldigend die Hände.

»Sorry, ich wolle dich nicht ärgern, aber ich habe deinen Rat befolgt und nach Jägern gesucht und Buffy ist die Einzige, die mir untergekommen ist.«

Ich rollte mit den Augen. Unter Jägern war Sarah-Michelle Gellar das gleiche, wie Helene Fischer unter Metal-Heads. Sie erzeugte spontanen Brechreiz. »Du kennst meine Meinung zu Buffy.«

»Nicht wirklich, weil du mir nämlich praktisch nichts über die Jäger erzählst.« Hörte ich da so etwas wie einen Vorwurf in Rais Stimme? Unmöglich, da Rai das integerste Wesen auf diesem Planeten war. Sie hatte Adams Zorn auf den Hexenmeister, nachdem dieser ihm die Flügel genommen hatte, abgemildert und damit wahrscheinlich unser aller Leben gerettet. Einen wütenden Engel – wenn auch flügellahm – wollte sich niemand gegenüber sehen.

»Und die Jägerseite ruft.« Ich hob demonstrativ mein Handy. »Hab einen Auftrag bekommen und bin etwas in Eile.«

»Ein … Auftrag?«

»Rai, ich kann dir nicht viel sagen, weil ich einem strengen Kodex folge. Nur so viel: Nach heute Nacht wird ein böser Dämon weniger in dieser Stadt wandeln, okay?«

Rai wirkte nicht überzeugt.

»Ich gehöre zu den Guten, ja?«

Die Mundwinkel der Kitsune hoben sich. »Okay. Soll … kann … ich … dir helfen?«, bot sie zögerlich an. Kopfschüttelnd verneinte ich.

»Danke, aber ich kämpfe seit meinem zwölften Lebensjahr gegen Dämonen. Du bist zwar eine hervorragende Kämpferin, doch ich würde dich lieber an der Quelle allen Übels sehen.« Ich verzog das Gesicht, als hätte ich auf eine Zitrone gebissen. Verdammt, das hätte ich nicht sagen dürfen. Mein Unmut gegenüber Adams durfte niemals die Oberhand gewinnen. »Bei Apollo«, fügte ich entschuldigend hinzu. »Damit er keine Dummheiten macht, weil der Verlust seiner Flügel ihn kopflos werden lässt.« Innerlich rollte ich mit den Augen. Besser ich hielt jetzt den Mund, bevor ich es noch schlimmer machte. Aber Rai lachte und umarmte mich dann.

»Hab schon verstanden, Nova. Ich kümmere mich um Apollo und du schaltest die fiesen Dämonen aus.«

Meine Mundwinkel kräuselten sich, obwohl mir überhaupt nicht nach Lachen zumute war. Doch Rai hatte diese Art, dass sie alle mit ihrer Fröhlichkeit ansteckte. Ist so nen Kitsune-Ding. Fuchswesen sind geradezu ein wandelnder Duftbaum, was stimmungsaufhellende Pheromone anging.

Ich erwiderte ihre Umarmung und verabschiedete mich. »Jetzt muss ich aber wirklich los.« Den Nachsatz, der mir eigentlich auf der Zunge lag, verkniff ich mir. Heute hatte ich einen ganz besonders fiesen Zeitgenossen auf der Agenda. Noch im Hinausgehen öffnete ich die Nachricht und überflog die kryptischen Hinweise. Neben der Adresse enthielt die Mitteilung auch ein paar zusätzliche Informationen. Es handelte sich um einen Ghul, der sich auf einem Friedhof eingenistet hatte. Ein paar Friedhofsgärtner hatten seltsame Vorkommnisse zwischen den Gräbern bemerkt, darunter auch die Schändung von Kindergräbern. Ich atmete tief durch. Prinzipiell war ein Ghul keine Gefahr für die Lebenden, aber dieser hier hatte sich zu weit hervorgewagt und Spuren hinterlassen. Und damit brachte er uns alle in Gefahr.

So lange die nichtmenschliche – meine – Welt im Verborgenen existierte, war alles in Ordnung. Aber sobald Menschen – in diesem Fall die Gärtner – von einem Ghul Wind bekamen, sie oder ihn beispielsweise sogar beim Abendessen erwischten, bestand die Möglichkeit, dass die Sichtungen nicht mehr als Spinnerei abgetan wurden. Ja und dann würde es interessant werden. Wenn die magischen Wesen rein physisch den Menschen auch überlegen waren, so würden sie uns bei einer offenen Konfrontation einfach überrennen. Unsere Aufgabe – die der Huntsmen und aller magischen Wesen – bestand darin, die Existenz dieser Subkulturen um jeden Preis geheim zu halten. Der Ghul gefährdete mit seiner Unvorsichtigkeit unsere verborgene Existenz.

Ja und auch darin bestand meine Aufgabe. Potentielle Gefährdungen zu eliminieren. Ich bückte mich und prüfte die Halterungen der Messer unter meinen Hosenbeinen, im Rücken und an den Handgelenken. An jeder nur erdenklichen Stelle war ich bewaffnet. Ich wollte nicht gerade an einem Mangel an Waffen leiden, wenn ich einem Ghul gegenübertrat.

 Kapitel 2

Ghule waren Familienwesen. Was im Klartext bedeutete, sie kamen niemals alleine, sondern brachten ihre gesamte Sippschaft mit. Meistens handelte es sich um einen Vater, Mutter und zwei bis drei Nachkommen. Eigentlich hatte ich vorgehabt, den Ghulen eine Warnung zukommen zu lassen, damit sie verschwanden. Wie gesagt, sie hatten nicht getötet, nur übermäßig viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Als ich Rai gegenüber erwähnt hatte, dass nach heute Nacht ein Dämon weniger die Stadt unsicher machen würde, meinte ich das nicht wörtlich. Ich musste nicht töten und hatte es auch nicht direkt vor. Aber als ich hinter einem Grabstein kauerte und sie beobachtete, wurde mir klar, dass das so nicht funktionieren würde.

Ich hatte mit maximal fünf Ghulen gerechnet, drei Halbwüchsigen, aber nicht mit zwanzig dämonischen Wesen, die mit Schaufeln und Flutlicht Gräber aushuben. Ehrlich gesagt wunderte ich mich, warum nicht längst die Polizei hier auftauchte. Ich konnte es auf keinen Fall mit ihnen aufnehmen, die würden mich auslachen und töten. Aber ich konnte sie auskundschaften, dem Rat Meldung machen und um Verstärkung bitten.

In geduckter Haltung schlich ich über den Friedhof, kroch über frisch aufgebrochene Gräber und verharrte schließlich hinter einem Baum. Die Ghule hatten sich über den ganzen Friedhof gewühlt und jeden Toten rausgeholt, um ihn in ihre Speisekammer zu hängen. Das war doch absurd. Normalerweise holten sie sich ein, zwei Leichen und verschwanden. Gerade so viel, dass sie überleben konnten, aber nicht auffielen. Ghule mussten nur essen, wenn sie stofflich werden wollten. Ansonsten waren sie geisterhafte Wesen, die keinen nennenswerten Schaden anrichteten.

Diese hier verhielten sich seltsam. Zwanzig Ghule brauchten viel Nahrung, aber nicht so viel. Sie legten einen sehr großen Vorrat an, was bedeutete, dass noch mehr Ghule auf dem Weg hierher waren – die alle stofflich werden wollten. Mir stockte der Atem. Mehr Ghule … und dann sah ich ein verräterisches rot und blau flackerndes Licht. Ich schluckte und schlich in die Richtung. Ein Polizeiauto stand hinter einer kleinen Erhebung, die Fahrer- und Beifahrertür stand offen – zwei Beamte –, die Scheinwerfer warfen ihre Strahlen über die Anhöhe und die Rundumleuchten blinkten hektisch. Doch von den Beamten keine Spur.

Hastig sah ich mich um. Vielleicht waren der oder die Beamten irgendwo auf dem Gelände, doch wenn dem so wäre, hätte ich sie sehen müssen. Polizisten machten meist so viel Lärm, dass man sie unmöglich nicht bemerken konnte. Es sei denn … Ein schrecklicher Verdacht manifestierte sich in meiner Magengegend und ich verfestigte den Griff um das Heft meines Dolches. Langsam ging ich den Hügel hinunter, auf den Dienstwagen der Beamten zu. Die Sohle eines schwarzen Stiefels trat als Erstes in mein Blickfeld. Als ob ich spontan mit dem Straßenbelag verwachsen wäre, blieb ich stehen und schloss die Augen. Mehr wollte ich gar nicht sehen. Die Millisekunde hatte ausgereicht, um sowohl die Sohle als auch die glänzende Nässe zu registrieren. Ich hatte nichts von den Beamten gehört, weil sie bereits tot waren. Hier lag nur einer. Wo war der andere?

Das änderte alles. Die Ghule hatten getötet. Sie hatten sich schuldig gemacht. Nun konnte der Spaß beginnen.

 

***

 

»Nicht so schnell, Johnson!«

Ich kauerte mich hastig hin, suchte im Schatten des Hügels Deckung, doch die Stimme kam mir seltsam vertraut vor. Eine Gestalt trat hinter dem Polizeiauto hervor. Unglaublich breite Schultern, ein langes leicht gebogenes Schwert in der einen und eine kleine Handarmbrust über der Schulter. Es gab nur einen bei den Huntsmen, der diese Waffenkombination bevorzugte. Ich grinste und ich erhob mich.

»Was suchst du hier, Riley?« Ich umrundete den Wagen, um einen Blick auf den Beamten zu werfen. Natürlich konnten nur die Ghule für den Mord verantwortlich sein, aber ich musste mich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass dem auch wirklich so wahr. Außerdem hatte ich nur einen Stiefel gesehen.

»Dich unterstützen. Der Rat hat ungewöhnlich viele Aktivitäten in der Stadt verzeichnet. Sie fanden …«

Ich rollte mit den Augen. »… dass ein kleines Mädchen damit nicht klarkäme? Ich bitte dich. Und da schicken sie gerade dich?« Riley war kaum sieben Jahre älter als ich und in die Huntsmen hineingeboren. Er hatte das Töten von Dämonen praktisch mit der Muttermilch aufgesogen. Außerdem war er ein Draufgänger, Weiberheld und mein Ex.

Riley quittierte meine Bemerkung mit einem Augenrollen. »Ich dachte, du freust dich, mich zu sehen.« Er kam auf mich zu und grinste mich frech an. Natürlich freute ich mich, ihn zu sehen. Quentin und ich waren zwar nicht immer einer Meinung, wie Konflikte zu lösen seien, aber dennoch mochten wir einander sehr.

»Klar freue ich mich. Trotzdem … da steckt doch mehr dahinter, wenn der Rat gerade dich schickt.«

Riley holte tief Luft und betrachtete den Toten eingehender. »Jetzt nicht, wir haben zu tun.« Er hockte sich neben die Leiche und drehte seinen Kopf mit dem Knauf der Handarmbrust zur Seite. »Sieh dir die Bisswunden an. Sie haben angefangen, ihn bei lebendigem Leibe aufzufressen. Entweder sie hatten sehr viel Hunger oder … irgendetwas stimmt mit diesen Biestern nicht.« Er schüttelte sich. »Ich hasse Ghule. Ich frage mich nur, warum sie ihn nicht mitgenommen haben …«

Ich seufzte und deutete hinter mich, den Hügel hinauf. »Weil sie da oben bereits die Speisekammer plündern.«

»Du bist echt widerlich, Nova«, brummte er und erhob sich. »Also was machen so viele Ghule in New York?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ist mir eigentlich egal. Sie haben getötet, also töten wir sie. Haben wir einen Vollstreckungsbefehl?«

Riley seufzte und stieß die Leiche des Beamten mit der Stiefelspitze an. »Er hier ist unser Vollstreckungsbefehl.«

»Für alle?«

Riley nickte.

»Das kann nicht dein Ernst sein, Quentin. Sie haben nicht alle getötet. Das hier war nur einer. Der Vertrag sieht vor, dass wir ausschließlich den Schuldigen richten.«

Er schüttelte sacht den Kopf. »Möchtest du dich wirklich dort oben zwanzig Ghulen entgegenstellen und sie nach demjenigen fragen, der den Beamten getötet hat?«

»Zwei Beamte.« Ich deutete auf die geöffnete Beifahrertür. Es müssen zwei gewesen sein.«

»Tja, sie haben wohl doch einen Imbiss für unterwegs mitgenommen. Trotzdem, du kannst sie nicht befragen. Die fressen dich an, ehe du den Vertrag zitiert hast. Du könntest es schon nur mit Mühe mit einem aufnehmen, aber zwanzig? Die überrennen uns.« Das stimmte. Je mehr Nahrung ein Ghul zu sich nahm, desto stärker war er … oder sie. »Außerdem«, Riley holte tief Luft, »verstößt eine so große Ansammlung von Ghulen gegen den Paragrafen. Es sind zu viele, um sie zu befragen oder ziehen zu lassen. Du weißt das, und ich weiß das auch. Und hör auf, mich Quentin zu nennen.«

»Nicht alle sind schuldig.«

»Sie sind alle hier. Nova, du kennst unser Vorgehen.« Ich nickte und wusste nun auch, warum Quentin Riley hier war. Weil er die Angewohnheit hatte, seine Taten zu hinterfragen, längst abgelegt hatte. Er konnte gehorchen, während ich noch zu viel nachdachte. Und das war vermutlich auch der Grund, warum wir nicht mehr zusammen waren.

»Also, Johnson, kommst du damit klar?«

Ich zog eine dreißig Zentimeter lange Klinge aus einem Heft an meinem Oberschenkel. Für diese Aufgabe brauchte ich ein größeres Messer. »Natürlich. Gehen wir die Welt retten.«

Riley schmunzelte. »Das ist mein Mädchen. Und danach einen trinken?«

Ich verzog das Gesicht, als hätte ich auf eine Zitrone gebissen. »Ich bin nicht mehr dein Mädchen, aber einen Scotch darfst du mir gerne ausgeben.«

Gemeinsam stiegen wir den Hügel hinauf. »Nachdem wir den Job erledigt und hier aufgeräumt haben.« Was im Klartext bedeutete, alle Leichen wieder einzubuddeln und die Polizisten »umzubetten«. Ich hasse diesen Job. Manchmal.

 

***

 

Vier Stunden und zwanzig tote Ghule plus zwei ermordete Polizisten und zehn wieder zugeschüttete Gräber später hatten alle Bars zu. Die Sperrstunde war längst vorüber. Wenn überhaupt hätten wir bereits einen Kaffee bekommen, aber in unserem Zustand hätte man uns vermutlich in kein Café gelassen. Wir sahen aus, als hätten wir zehn Gräber geplündert. Und genauso rochen wir auch. Also nahm ich Riley kurzerhand mit zu mir. An einer Tankstelle erstanden wir eine Flasche billigen Fusel, mit dem wir uns die Kante bei einem Film geben wollten. Egal was, wir brauchten Ablenkung. Das Töten war kein leichtes Geschäft, auch wenn es sich um Dämonen handelte, denen wir das Lebenslicht ausbliesen. Zugegeben, Ghule sind eigentlich keine echten Dämonen, sondern Geistwesen – wie Rai. Und das machte es für mich doppelt so schwer.

»Ich geh erst mal duschen«, murmelte ich und schälte mich bereits im Flur meiner kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung aus den verdreckten Klamotten. Dass Riley mich dabei beobachtete, machte mir nichts aus. »Machs dir bequem. Im Kühlschrank ist Bier.« Ich ließ die Jacke von meinen Schultern gleiten und nestelte auf dem Weg zum Bad an meinem Hosenknopf herum. Meine Finger waren kalt und klamm, kaum in der Lage, den Knopf richtig zu greifen. Immer wieder entglitt er mir. Ich stöhnte frustriert auf.

»Nova«, sagte Riley und hielt mich an den Oberarmen fest. Niedergeschlagen ließ ich die Schultern hängen und schniefte auf.

»Es ist nicht fair«, maulte ich. »Nicht alle waren schuldig. Sie hatten überhaupt keine Chance. Wir sind durch sie hindurch gefegt, wie zwei Berserker. Sie haben sich Nichtmal richtig gewehrt. Das tun Ghule normalerweise doch. Irgendwas ist doch da faul und …«

Riley verzog das Gesicht. »Lass es. Wir sind gut darin. Im Töten.«

»Ja, aber alle? Sie waren mit Sicherheit unschuldig. Hast du ihre Gesichter gesehen. Quentin, sie hatten Angst. Vor uns.«

»Sie haben sich schuldig gemacht, indem sie hier waren. Der Mord war nur das I-Tüpfelchen. Der Verstoß gegen den Vertrag lag bereits vor. Und der Rat wollte nicht, dass einer …« Ich blickte auf und sah ihm in die Augen.

»Entkommt und petzt?«

Riley zuckte mit den Schultern. »Nur ein Job, ohne Zeugen zu hinterlassen, ist ein guter Job.« Ich nickte trocken. So war das nun mal. Ich war seit Jahren dabei, keine Ahnung, warum mir die paar Ghule so nahe gingen.

»Ich geh duschen«, murmelte ich und wollte mich von ihm abwenden, doch Riley hielt mich fest.

»Du bist völlig durch den Wind, Nova. Lass mich dich ablenken.« Er legte den Kopf schräg und biss sich auf die volle Unterlippe. Meine Mundwinkel zuckten. Ich war zwar nicht mehr fest mit ihm zusammen, aber das hatte andere Gründe. Der Job machte eine Beziehung praktisch unmöglich und Rileys Prinzipientreue ging mir, sobald wir länger zusammen waren, gehörig auf die Nerven. Für uns war es besser, wenn wir getrennte Wege gingen. Meistens. Dem Sex war ich allerdings nie abgeneigt gewesen.

Riley wartete meine Zustimmung gar nicht erst ab. Er legte Daumen und Zeigefinger um mein Kinn, hob meinen Kopf leicht an und beugte sich über mich, ließ seine Lippen nur wenige Millimeter über den meinen schweben, sodass ich seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren konnte. Ich schloss die Augen und genoss die Hitze seines Körpers, ließ die Kälte des Friedhofs und des Mordens von seiner Nähe ausbrennen. Riley hatte recht, er war genau das, was ich jetzt brauchte. Seine Hitze, seine Leidenschaft und seine Härte, die mich vergessen ließ, was wir die letzten Stunden getrieben hatten.

Ich seufzte ungeduldig, weil ich wusste, dass er das mochte. Er wollte sehen, dass ich ihn wollte. Erst dann würde er mich küssen. Als seine Zunge zwischen meine Lippen stieß, stöhnte ich genussvoll auf und ließ Riley die Erinnerung an diese schreckliche Nacht auslöschen.

Seine Küsse raubten mir den Verstand und machten mich nachgiebig wie Wachs. Seine Hände wanderten über meinen Körper, gruben sich in meinen Hintern. Er drückte mich gegen die Badezimmertür und hielt schließlich schwer keuchend inne. »Dusche?«, schnappte er und ließ seinen Blick über meinen Hals gleiten. »Ich würd dich zwar auch sofort hier ficken, aber du stinkst.«

Ich lachte auf und bohrte ihm einen Finger in die mächtige Brust. Das ist das Beste an Jägern. Weil ihr Leben von ihrer körperlichen Konstitution abhängt, sind sie immer in Topform. Riley achtete zudem auf eine ausgewogene Ernährung. Nur der Alkohol war sein Laster. Manchmal. »Du auch, Quentin!«

Seine Mundwinkel kräuselten sich. »Zieh dich aus, Johnson, sonst erledige ich das für dich.« Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf meinen Hals. »Ich würde dich ja da küssen, aber … zu viel Dreck.«

Ich griff nach dem Saum meines Shirts und zog es mir über den Kopf, streckte ihm meine Brüste entgegen. Riley pfiff scharf. »Und da? Auch zu viel Dreck?« Er griff nach den Körbchen meines BHs und zog sie runter, sodass meine Brüste heraussprangen. »Definitiv«, knurrte er. »Die muss ich ganz besonders waschen.« Er wog meine Titten in seinen Händen und knetete sie sanft. Ich legte den Kopf in den Nacken und genoss das herrliche Gefühl. Nur einen Augenblick, dann griff ich nach dem Verschluss meines BHs und löste ihn.

»Los jetzt, Quentin«, stöhnte ich. »Dusche, du kannst dort weitermachen.«.

Riley löste sich von meinen Nippeln und starrte mich lustverhangen an. »Ehrlich? Ficken in der Dusche?«

Meine Mundwinkel zuckten. Hastig trat er einen Schritt zurück. Ich schwörte, ich habe noch nie einen Mann so schnell nackt gesehen. Es dauerte keine dreißig Sekunden und Quentin stand mit strammer Länge vor mir. Ich lachte verzweifelt. Meine Finger waren noch immer zu klamm für meinen Hosenknopf. Hilflos blickte ich an mir herunter. »Ich glaube, du musst mir doch helfen.«

Riley hob eine Augenbraue, bückte sich nach dem Stapel Dreckwäsche und fischte einen Dolch aus den stinkenden Kleidungsstücken. Mit erhobener Klinge kam er auf mich zu. »Und jetzt nicht bewegen«, raunte er mit ernster Miene. Das Kichern begann in meinem Magen. Wie sollte ich auch ernst bleiben, wenn ein nackter Mann mit wippendem Penis auf mich zukam und mich mit einem Messer bedrohte. Riley verzog allerdings keine Miene und nahm den Hosenknopf aufs Korn. Nun wagte ich tatsächlich nicht, mich zu bewegen. Stattdessen schob ich meinen Bauch nach vorne und ließ ihn den Knopf einfach abschneiden.

Riley ging vor mir in die Knie und streifte mir die Hose von den Hüften. »Sorry wegen der Hose, aber der Gegner war wirklich fies. Ich denke, wir verbuchen sie als Kollateralschaden.« Die Jeans fiel zu Boden.

»Kein Problem«, keuchte ich, als er seine Finger in meine Hüfte bohrte und mich festhielt. »Was hast du vor?« Sein Anblick war unglaublich. Riley überragte mich meistens um mehr als einen Kopf, hatte Oberarme so dick wie Baumstämme und trug einen leichten Dreitagebart. Seine blauen Augen blitzen vergnügt, als er sich leicht vorbeugte und die Nasenspitze zwischen meinen Schenkeln eintauchte. Ein Schauer durchfuhr mich.

»Dich schmecken«, raunte er. »Nichts ist sinnlicher, als eine zierliche Frau, die vor einer Stunde noch Ghule abgeschlachtet hat.« Riley griff nach meiner Kniekehle und schob sich mein Bein über die Schulter. »Vertraust du mir, Nova?«

Ich schluckte hart, als eine angenehme Kühle meine pochende Muschi liebkoste. Rileys Finger glitt durch meine Schamlippen und verteilte die Feuchte. »Ja«, keuchte ich und drückte mich gegen die Badezimmer Tür. Riley zog seinen Finger zurück, leckte ihn ab und schmunzelte. Dann griff er nach meiner anderen Kniekehle und schob sie sich auf die linke Schulter.

»Dann wollen wir mal sehen, was du noch so drauf hast.

 

Schlussendlich waren wir doch in der Dusche gelandet. Rileys Gymnastikübungen sind zwar ziemlich erregend, aber wirklich Sex kann man so nicht haben. Außerdem stanken wir wirklich. Ghul im Haar kommt nicht gut, wenn man sich die Seele aus dem Leib ficken will. Das Einzige, was wir beide wollten, war vergessen. Zwanzig Leben einfach ausgelöscht und die Überreste der Ghule klebten auf unseren Körpern. Ich ersparte mir jetzt zu erläutern, was ein Ghul tut, wenn er stirbt. Nur so viel: Es ist ekelhaft. Und wir waren wirklich gründlich, als wir den Friedhof von den Geistwesen befreiten.

Riley schob seinen Arm unter den Kopf und griff nach der Fernbedienung, um sich durch das Frühstücksfernsehen zu zappen. Ich kuschelte mich neben ihn und malte kleine Kreise auf seine Brustmuskeln. Bei ihm stimmte wirklich alles. Ein Körper wie ein Gott, leider ausgestattet mit viel zu vielen Narben und ich kannte die Geschichte jeder einzelnen. Den Brustmuskel hatte eine Bruxa aufgerissen, hatte nicht viel gefehlt und sie hätte ihm eine Rippe zerhackt. Die Lunge hatte sie nur knapp verfehlt. Die Narbe war gut verheilt und machte ihm keine Probleme, trotzdem war ein Wulst geblieben, den ich langsam und nachdenklich mit der Fingerkuppe entlangfuhr. »Was meinst du, was die Ghule hier wirklich wollten?«

Riley grunzte. »Schlaf, Nova. Du brauchst Ruhe. Gönn deinem Kopf mal ne Pause.«

Ich seufzte. »Du weißt, dass ich nach so einer Nacht nicht schlafen kann. Zwanzig sind wirklich viele. Sie kannten den Vertrag. Was wollten sie hier?«

»Vermutlich ihre Nahrungsvorräte für den Winter aufstocken«, lautete Rileys halbherzige Antwort.

Ich boxte ihn gegen den Oberarm … Scheiße, war der hart. Riley blinzelte mich träge an und ich setzte alles daran, keine Miene zu verziehen. Fehlte noch, dass er sich was auf seine Oberarme einbildete. »Mach das noch mal und ich leg dich übers Knie.« Seine Augen funkelten herausfordernd. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte ich mich auf seine Herausforderung eingelassen, aber die Ghule gingen mir nicht aus dem Kopf. »Normalerweise verstofflichen sie sich nur einmal im Jahr, zur Fortpflanzung und so. Aber sie haben so viele Nahrungsvorräte angesammelt, als ob sie ein ganzes Jahr feststofflich sein wollen.«

»Ne Orgie?«, schlug Riley wenig hilfreich vor. Himmel, es stimmte. Was er nicht im Kopf hatte, steckte in seinen Oberarmen. Egal, ich konnte für uns beide denken.

»Nicht hilfreich«, erwiderte ich. »Du könntest wenigstens versuchen, mir bei der Lösung des Problems zu helfen.«

»Wenn du nicht gleich still bist, Kleine, rolle ich mich auf dich und ficke dich so lange, bis du nicht mehr denken kannst.«

»Ja, klar, Quentin. Du kannst nicht mal mehr Piep sagen.«

»Piep, siehst du, geht noch.«

Ich musste lachen. »Das vielleicht, aber an Sex kannst sogar du nicht mehr denken, weil satt, müde und ausgelaugt.«

»Ach halt die Klappe, Nova und schlaf endlich.«

»Nein, mir will das einfach nicht aus dem Kopf.« Ich ignorierte sein Gegrunze, rollte mich auf die Seite und griff nach meinem Tablett. In Anbetracht meiner letzten Erfahrung mit dem Höllenschlund war der Friedhof vielleicht auch ein besonderer Ort.

»Was hast du denn jetzt vor?«, maulte der Muskelberg neben mir.

»Googeln. Schlaf du nur, ich krieg eh keine Ruhe, bis ich nicht weiß, was da faul ist.« Während ich die Suchmaschine startete und die Adresse des Friedhofs eingab, rollte sich Riley neben mir zusammen, schob seine Hand zwischen meine Beine und grunzte zufrieden. Ich lächelte selig. Auch wenn wir uns fünfzig Prozent der gemeinsam verbrachten Zeit stritten, war Quentin Riley für mich doch irgendwie wie nach Hause kommen.

Allmählich beruhigte sich seine Atmung und ich konnte mich auf den Friedhof konzentrieren. Eigentlich war an dem Gelände nichts Ungewöhnliches. Ein ganz normaler Friedhof eben. Ich sah mir ein paar Bilder an. Zum Glück gab es eine Menge Leute, die ständig dem Internet mitteilen mussten, was sie taten und Fotos posteten. So musste ich nicht einmal hinfahren. Doch … Moment. Ich kniffe die Lider zusammen. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich speicherte das Bild, das eine Reihe Pappeln am Rand des Friedhofs hinter dem Hügel zeigte, ab, lud es in ein Bildbearbeitungsprogramm und ließ einen Filter darüber laufen. Ich kniff die Augen zusammen und blinzelte mehrmals. Leider verfügten die Huntsmen nicht über Bildbearbeitungssoftware auf NSA-Niveau, ich musste mich mit einem simplen Freeware-Tool zufriedengeben. Aber selbst das schaffte es nicht, den halben Flügel, der auf einem Firmenlogo, das an einer Halle direkt neben dem Friedhof angebracht war, nicht erkennbar zu machen. Ich kannte dieses Logo nur zu gut. Die Halle direkt neben dem Friedhof gehörte Apollo Adams. Wirklich ironisch, dass er einen Flügel als Logo verwendete. Natürlich interpretierten die Menschen den Flügel aus Schutzsymbol, den sein Pharmazeutikkonzern anbot. Aber in Wirklichkeit … Ich verzog das Gesicht. Sah wohl ganz so aus, als ob wir uns noch einmal auf dem Friedhof umsehen würden müssen. Mein Blick fiel auf die tief schlafende Gestalt von Riley. Heute Nacht.

 Kapitel 3

»Ich fass es nicht, dass ich mich von dir habe überzeugen lassen.« Riley schob die Hände in seine Jackentaschen und zog den Kopf ein. Als er ausatmete, bildeten sich kleine weiße Wölkchen vor seinem Mund. »Erstens ist es scheißkalt«, maulte er, »und zweitens haben wir den Auftrag bereits erledigt. Ich weiß überhaupt nicht, was du noch mal hier willst.« Er blickte sich suchend um, während ich den Ausdruck mit der Umgebung abglich. Seit etwa einer Stunde liefen wir über den Friedhof und versuchten herauszufinden, wo genau sich die abgebildete Baumreihe befand. Riley wurde langsam ungeduldig, weil … hungrig.

Es war später Nachmittag, noch nicht ganz dunkel, weil ich für mein Vorhaben zumindest etwas Tageslicht brauchte. Ich hielt das Foto hoch und warf einen Blick auf die Reihe hoher schlanker Bäume. Das Bild zeigte die Baumgruppe bei strahlendem Sonnenschein und mit anderem Bewuchs, vermutlich war es im Frühling aufgenommen worden und mit Sicherheit schon ein paar Jahre alt. Aber die Anzahl und die Art der Bäume stimmte mit der Abbildung überein.

Riley schniefte und beugte sich über meine Schulter. »Sieht so aus, als wäre das deine Baumgruppe. Zufrieden? Können wir jetzt gehen. Ich hab Hunger.«

»Später«, murmelte ich und steckte das Foto weg. »Wir müssen uns die Halle da drüben ansehen.«

»Welche Halle? Ich sehe hier auf dem Friedhof keine Halle.« Riley schnaubte und folgte meinem Blick. »Ehrlich, Nova, wir haben keinen Auftrag. Und das da drüben sieht mir nicht wie öffentliches Friedhofsgelände aus. Das ist Privatbesitz. Da haben wir nichts verloren.«

»Mir egal, ich muss wissen, was da drinnen vorgeht. Du stellst dich doch sonst nicht so an, wenn es darum geht, Dämonen zu jagen. Aber bitte, wenn du Angst hast, bleib ruhig hier. Ich komm ganz gut alleine klar.« Zielsicher stapfte ich durch die Baumgruppe. Keine Ahnung, ob mir Riley folgte. Das war das Problem mit seiner Prinzipientreue. Hatte er keinen Auftrag, machte er keinen Finger darüber hinaus krumm. Nicht mal, um ein hilfloses Kätzchen vom Baum zu retten. Letztlich war es mir egal. Entweder er folgte mir, oder er ließ es bleiben. Ein Zaun stoppte abrupt meinen wütenden Vormarsch. Vielleicht war ich auf Riley sauer, aber ehrlich gesagt störte mich viel mehr, dass ich nicht gestern Nacht schon auf die Idee gekommen war, das Gelände nochmals abzusuchen. Ich bin immer gründlich. Das Töten Unschuldiger hatte mich aus der Bahn geworfen. Nur so konnte ich meine Nachlässigkeit erklären.

»Und nun, Prinzesschen?« Riley tauchte neben mir auf und musterte den Zaun, als wäre er gerade eben spontan aus dem Boden geschossen.

»Klettere ich drüber, was denn sonst?« Ich sprang hoch und wollte nach dem Gitter greifen, verfehlte es aber um Haaresbreite. Verdammt. Riley lachte prustend. Ich warf ihm einen giftigen Blick zu und sprang erneut, diesmal mit etwas mehr Anlauf … und klatschte wie ein nasser Sack gegen das Gitter. Der Boden war leicht abschüssig und übersät mit nassem Laub. Das würde schwierig werden. Riley prustete und beobachtete ungeniert meine erfolglosen Versuche, über den Zaun zu klettern.

»Also entweder du läufst um den Zaun herum und suchst dir eine Tür oder …«

»Das Gelände wird sicher bewacht. Die Stelle ist genauso gut wie jede andere …«, knurrte ich und änderte meine Taktik, doch die Löcher im Gitter waren zu klein, um die Finger durchzustecken und mich daran festzuhalten, um hinaufzuklettern.

»Oder«, fuhr Riley fort, als hätte ich nichts gesagt, »… du bittest mich um Hilfe.«

»Dich? Du brichst ohne direkten Befehl des Rates doch nicht ein.«

»Ist das so? Würden wir hier einbrechen?«

Ich seufzte. »Wir würden unsere besonderen Fähigkeiten dazu benutzen, einen Tatort weiträumig abzusuchen und einer Fährte nachzugehen.«

»Du hast eine Fährte?«

»Ja«, erwiderte ich bockig.

Riley beugte sich vor und legte seine kräftigen Finger um meinen Hals. »Was springt für mich dabei raus?«

Ich wusste genau, was er wollte. Aber das würde ich ihm nicht geben. Niemals. »Lass mich los, Quentin. Lieber grabe ich mich durch oder laufe doch noch um das Gelände herum, als mich von dir übers Knie legen zu lassen.«

Riley lachte schallend auf. »Ach komm, dich reizt es doch auch, zu wissen, wie du darauf reagierst. Ich verzichte auch darauf, dich zu fesseln.«

Ich schnaubte entrüstet. »Kein Mann wird mich je wieder auf diese Weise benutzen.«

»Es wäre kein benutzen. Du würdest dich freiwillig in meine Hände begeben. Du vertraust mir doch?«

Ich schluckte hart. Es gab niemanden unter den Jägern, dem ich mehr vertraute. »Natürlich vertraue ich dir.«

»Dann lass es zu. Ich verspreche, ich werde nichts tun, was dir nicht gefällt. Du wirst mich noch anbetteln, dich zu fesseln.«

»Träum weiter, Arschloch.«

Riley lachte laut auf. »Und was«, murmelte er und beugte sich vor, »wenn ich dich im Zweikampf besiege? Wenn mein Preis deine freiwillige Unterordnung wäre? Würdest du dich darauf einlassen?«

»Du hast mich noch nie besiegt«, stellte ich fest und verschränkte die Arme vor der Brust. Sah wohl so aus, als würde mir Riley erst helfen, wenn wir diese Unterhaltung beendet hatten.

Seine Mundwinkel kräuselten sich. »Dann hast du ja nichts zu befürchten.«

Ich seufzte. »In Ordnung. Ein Zweikampf und wenn du mich besiegst, darfst du mir den Hintern versohlen. Hilfst du mir jetzt bitte über den Zaun?«

Riley streckte mir seine Hand entgegen. »Deal.« Ich schlug ein und Riley ging in die Knie, machte eine Räuberleiter und hob mich praktisch über den Zaun. Auf der Kante blieb ich hocken, bückte mich zu ihm hinunter, ergriff seine Hand und zog ihn hinauf.

»Dachte, du willst nicht mit«, meinte ich, als wir sicher auf der anderen Seite landeten.

Riley griff nach seinem Schwert und sah sich um. »Tja, ich kann doch nicht riskieren, dass du hier drüben mehr Spaß hast, als ich auf dem Friedhof, was?«

Meine Mundwinkel kräuselten sich und mein Herz zog sich etwas zusammen, nur ein ganz kleines Bisschen. Ist verdammt lang her, dass ich mich für Quentin erwärmen konnte. Mit diesen kleinen Bemerkungen hat er mich schon früher sprachlos gemacht. »Du hast doch nur Angst, dass ich tatsächlich etwas finden könnte. Wozu das Schwert?« Das Licht der Laternen, die das Gelände beleuchteten, spiegelte sich im blanken Stahl seiner Klinge.

»Tja, wenn ich etwas in den letzten Jahren gelernt hab, dann das ich deinem Instinkt vertrauen sollte.« Er grinste und knufft mich mit den Knauf des Schwertes in die Seite. »Bild dir aber nicht zu viel darauf ein.« Ich grinste trotzdem.

Mit einem Zeichen gab ich Riley zu verstehen, dass wir leise sein sollten. In geduckter Haltung huschten wir über das Gelände, bis wir einen Seiteneingang der Halle erreicht hatten. Ich legte meine Hand auf den Türgriff. Verschlossen.

»Was nun? Willst du einbrechen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Fehlt uns noch, aus Versehen Alarm auszulösen. Nein, lass uns einen anderen Eingang suchen.«

Riley maulte, doch ich beachtete ihn nicht. Ich wusste, dass es hier einen Eingang geben musste. Irgendetwas sagte mir, dass es kein Zufall war, dass die Ghule sich gerade diesen Friedhof ausgesucht hatten. Wir liefen in geduckter Haltung am Gebäude entlang, bis wir auf eine Spur Erde stießen.

»Das sehe ich jetzt nicht wirklich«, murmelte er und starrte auf die Friedhofserde zu unseren Füßen. Ich schob einen Haufen Dreck beiseite.

»Anscheinend doch.« Wir folgten der Spur bis zum Zaun, in dem sich ein mannshohes Loch befand. »Toll, und warum habe ich deinem Deal jetzt zugestimmt?«

Riley lachte. »Weil du so verdammt ungeduldig bist.« Ich rollte mit den Augen. »Los, lass uns nachsehen, wohin die Spur führt.« Rileys Gelächter im Ohr huschten wir zurück zur Halle. Die Spur endete vor einer Treppe, die nach unten führte.

»Wirklich? Eine Treppe in den Keller? Das ist fast schon zu vorhersehbar. Ich fress nen Besen, wenn …« Während Riley noch spekulierte, lief ich einfach hinunter und öffnete die Tür. Riley stand am oberen Treppenabsatz und klappte die Kinnlade herunter. Ich grinste und deutete eine leichte Verbeugung an.

»Alter vor Schönheit.«

 

***

 

»Sieben Jahre, Süße, ich bin sieben Jahre älter als du und noch nicht mal vierzig. Also zieht der Spruch Alter vor Schönheit absolut nicht.« Riley hatte Schwert gegen Armbrust getauscht und bewegte sich geschmeidig vorwärts, während er die Ecken des Kellers mit der an der High-Tech-Armbrust angebrachten Taschenlampe ausleuchtete. Seine Erfindung. Er wollte an seiner Lieblingswaffe die gleiche Technik haben, wie Seals an ihren Maschinengewehren.

»Konzentrier dich, Riley«, ermahnte ich ihn und löste die Sicherung an meinem Gurt mit den Shurikan, kleine, sternförmige Wurfmesser, die ich in Japan zu schätzen gelernt hatte. Ihre Durchschlagskraft war enorm und sie waren viel leichter zu transportieren, als klassische Wurfmesser. Außerdem waren sie einfacher zu händeln. Fünf Klingen haben eine fünfmal so hohe Chance, die Gegner zu treffen.

Nach meiner Bemerkung sagte Riley nichts mehr. Alles, was ich hörte, während wir vorwärts schlichen, war sein Atem. Er vermischte sich mit meinem Eigenen. Neben unseren Schritten, die auf dem feuchten Boden widerhallten, war dies lange Zeit das einzige Geräusch.

»Wohin?«, raunte Riley, als wir das Ende der Halle erreicht hatten. Die Erdspur war schon längst nicht mehr vorhanden. Als hätte sie sich in Luft aufgelöst.

»Keine Ahnung. Zurück, wir müssen irgendwo falsch abgebogen sein.«

»Da war nichts«, flüsterte Riley, doch er drehte sich um und schlich in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Ein schabendes Geräusch ließ uns abrupt innehalten. Hastig gab mir Riley mit einem Zeichen zu verstehen, dass ich in Deckung gehen sollte und dann löschte er das Licht. Da es in der Halle absolut dunkel war und wir auch keine Kisten sahen, hinter denen wir uns verstecken konnten, hockten wir uns einfach hin und lauschten in die Dunkelheit. Riley und ich hatten bereits viele Einsätze zusammen gemeistert. Wir verstanden einander blind. Keiner stellte unnötige Fragen. Ich wusste, dass es jetzt darauf ankam, so leise wie möglich zu verharren, um herauszufinden, woher das Geräusch kam. Und Riley wusste das auch. Also schloss ich die Augen und konzentrierte mich. Ich hatte von uns beiden das bessere Gehör. War schon immer so gewesen. Riley hatte als Kind eine schwere Mittelohrentzündung gehabt, die ihm einen Hörverlust eingebracht hatte.

»Was hörst du?«, fragte er mich schließlich. Ich griff seine Hand und drückte zu, gab ihm damit zu verstehen, dass er still sein sollte. Und dann hörte ich es. Ein Schnaufen und leise trippelnde Schritte, als würden mehrere Personen in Socken über den Boden laufen, kleine, dumpfe Trippelgeräusche, aber immerhin so voll in ihrem Klang, dass ich mit Sicherheit sagen konnte, dass es sich um schwere Körper handeln musste. Wie die von Ghulen. Das mag seltsam klingen, aber Ghule wiegen in ihrer stofflichen Form deutlich mehr als Menschen. Sie sind ein Drittel schwerer. Und das Geräusch kam aus der Richtung, aus der wir gekommen waren. Scheiße, die Ghule waren hinter uns und bewegten sich auf die Tür zu. Wenn wir nicht ganz schnell verschwanden, würden sie direkt in uns hineinlaufen. Aber es gab noch einen anderen Grund. Sie würden uns riechen und sehen. Ghule sind nachtaktiv, was bedeutet, dass ihre Sinnesorgane für die visuelle und akustische Wahrnehmung deutlich besser waren als die eines Menschen.

Ich gab Riley mit einem Zeichen zu verstehen, dass wir hier wegmussten. Er gehorchte, ohne Fragen zu stellen. Gerade noch rechtzeitig sprangen wir zur Seite. Von den Ghulen bekamen wir nur einen kühlen Luftzug mit. Ich dankte allen lebenden und toten Göttern, dass wir in Ermangelung einer Waschmaschine die Kleidung von gestern trugen. Wir stanken für die Ghule lediglich nach Friedhof. Das hatte uns vermutlich das Leben gerettet. In der dunklen Halle wären sie uns mit ihren empfindlichen Augen deutlich überlegen gewesen. Aber eine Frage blieb dennoch offen.

»Warum greifen wir nicht an?«, zischte Riley.

»Weil wir blind sind«, antwortete ich auf die gleiche Weise. »Und weil ich wissen will, woher der Trupp kam.« Ich lauschte noch einmal in die Dunkelheit und als ich ein Quietschen hörte, was sich verdächtig nach der Eingangstür anhörte, gab ich Riley ein Zeichen. Und wir huschten in die Richtung, aus der die Ghule gekommen war. Ein Spalt Licht wies uns den Weg.

 

Ich drückte mich mit dem Rücken gegen die Tür und spähte durch den winzigen Spalt, den sie offengelassen hatten, nachdem die Ghule die Tür passiert hatten. Kein Knauf. Sie hatten sie einfach hinter sich zugeworfen und waren davon ausgegangen, dass sie sich von alleine schließen würde. Hat sie zu unserem Glück aber nicht.

Vorsichtig schob ich einen Fuß in die Tür und verbreiterte den Spalt, sodass ich mehr erkennen konnte. Ein Quietschen ließ mich innehalten. Mist. Irgendjemand hatte seine Hausmeisterpflichten sträflich vernachlässigt. Wenn ich jetzt versuchen würde, die Tür zu öffnen, verriet das Geräusch wem auch immer, dass er Besuch erwarten konnte. Ich hielt die Luft an und spähte durch die Lücke zwischen Türblatt und Zarge. Dahinter war es dunkel, aber längst nicht so düster, wie in der Halle. Die Tür mündete in einen langen Gang. Das war alles, was ich erkennen konnte. Wollte ich mehr sehen, musste ich mich wohl oder übel durch den Spalt quetschen.

Mein Blick fiel auf Riley, der mich um gut einen Kopf überragte. Seine Schultern waren fast so breit wie die Türöffnung. Er würde sich auf keinen Fall lautlos durch den Spalt quetschen können. Mr. Riley brauchte Platz.

»Sorry, Quentin, ich glaub, das ist ein Job für kleine Frauen.«

Riley zischte mir irgendetwas zu, aber ich ignorierte ihn und schob meinen Fuß und schließlich meinen Unterschenkel so weit in den Spalt, dass ich hindurchschlüpfen konnte. »Bleib hier, du bist zu groß für den Spalt. Ich seh mich um.«

»Nova, verdammt. Du kannst doch nicht einfach …«, protestierte er. Ich drehte mich hastig um und machte eine warnende Geste, die ihn glücklicherweise sofort verstummen ließ. Manchmal war Quentin echt ein Arschloch, aber nicht im Einsatz. Er wusste, wann er die Klappe zu halten hatte.

»Nein, ich krieg das hin. Sichere den Rückzug. Ich bin in fünf Minuten wieder hier. Wenn nicht, kannst du einen auf Chuck Norris machen und mich retten.« Ich verzog die Lippen zu einem selbstgefälligen Grinsen. »Das wolltest du doch schon immer mal machen, oder? Meinen Hintern retten.«

Riley grunzte. »Du verwechselst da was, ich will dir den Hintern versohlen. Für diese Nummer, Ms. Johnson, hast du definitiv ne Tracht Prügel verdient.«

Ich kicherte leise. »Kannst du haben.«

Rileys Miene änderte sich abrupt. Sorgenfalten zeichneten sich auf seiner Stirn ab. »Sei vorsichtig, Nova.«

Ich schluckte. »Bin ich. Schalt deinen Funk ein.« Zur Standartausrüstung jedes Jägers gehörte ein winziges Funkgerät, dass wir im Ohr trugen, vor allem, wenn wir Einsätze zu zweit bestritten. Klar, wir operierten meistens in kleinen Gruppen, lebten von der Hand in den Mund und arbeiteten für einen Hungerlohn. Dennoch sorgte die Organisation dafür, dass wir nicht ausschließlich mit Schwertern und Äxten ihre Urteile vollstreckten. Funkgerät und Kevlar gehörten bei uns genauso zur Ausrüstung wie ein Dolch aus Silber. Für Werwesen.

Riley schaltete seinen Funk ein und ich hörte seine nächsten Worte über meinen Ohrstecker. »Gute Idee. Meld dich, wenn es Probleme gibt.« Ich nickte ihm zur Antwort kurz zu und wandte mich dann dem Gang zu. Sobald ich einen Schritt vorwärts gemacht hatte, reagierte der Bewegungsmelder und schaltete die Deckenbeleuchtung ein. Shit. Daher also das Licht, dass uns den Weg zum Spalt gezeigt hatte. »Mist«, zischte ich und ging in Deckung.

»Halt dich an der Wand, dann dürfte er dich nicht erfassen.« Rileys Stimme entfernte sich und ich hörte ihn ab sofort nur noch über meinen Lautsprecher.

»Klugscheißer«, murrte ich und schlich in geduckter Haltung an der Wand entlang. »Ich weiß, wie man einem Bewegungsmelder ausweicht.«

Ein Prusten war seine Antwort. »Offensichtlich nicht.«

Ich rollte mit den Augen. »Funkstille, Quentin«, wies ich ihn an, denn ich hatte keine Lust, mir noch länger seine Ratschläge anzuhören. Er war doch nur beleidigt, weil ich ihm nicht erlaubt hatte, die Tür zu öffnen. Nun ja, eigentlich wäre das Geräusch, das die Tür beim Öffnen machen würde, spätestens ab dem Zeitpunkt egal, wo der Bewegungsmelder meine Anwesenheit registriert hatte. Aber das sagte ich Riley nicht. Sollte er nur schön dort draußen Schmiere stehen. Ich kriegte das ganz gut alleine hin. Neben der Tür an der dem Eingang gegenüberliegenden Seite des Ganges ging ich in die Hocke und lauschte. Nichts. Okay, weiter gehts. Ich streckte mich und angelte nach dem Türgriff. Bei dieser war uns das Glück nicht treu geblieben. Sie war komplett verschlossen. Ich brauchte ein paar Anläufe, biss ich sie lautlos öffnen konnte. Ah, sie quietschte nicht. Langsam schob ich die Tür auf und spähte in den dahinterliegenden Raum. Zum Glück war das Licht im Gang wieder ausgegangen, sodass niemand mich bemerken würde. Hoffentlich.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752140927
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
gestaltwandler ghule vampire mondsüchtig dark fantasy luzifer liebesroman düster Fantasy dark Urban Fantasy Liebesroman Liebe

Autor

  • Kitty Harper (Autor:in)

Kitty Harper ist das Pseudonym einer jungen Mutter, die gerne in sinnliche Erotik abtaucht, ohne dabei vulgär zu weden. Manchmal ein wenig SM, manchmal aber auch starke Frauen, die den Herren der Schöpfung zeigen, wo es langgeht. Kitty hofft, dass ihr genauso viel Spaß an ihren Geschichten habt, wie sie selbst.
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Titel: Mondsüchtig: Die Vollstreckerin