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Mondsüchtig: Die Schwestern des Todes

Düsterer Romantasy Liebesroman

von Kitty Harper (Autor:in)
200 Seiten
Reihe: Mondsüchtig, Band 6

Zusammenfassung

Ob Seite an Seite oder meilenweit voneinander entfernt, sind wir Schwestern, die durch unsichtbare Fäden miteinander verbunden sind. Eine Armee der Untoten bedroht das Hexenhaus. Um Aria endlich aus deren Fängen zu befreien, benötigt Tiara die Hilfe ihrer Schwestern. Während sie verzweifelt versucht, Aura und Sofia zu finden, tappen Tiara und Flinn Riker in eine Falle. Zu allem Überfluss macht ihnen auch noch Asmodais Erbe zu schaffen. Können sie trotz aller Widrigkeiten Aura und Sofia Nigra finden? Mystische Wesen, übersinnliche Fähigkeiten und prickelnde Erotik in einem düsteren Romantasy-Abenteuer. Band 6 der MONDSÜCHTIG - Reihe! Die MONDSÜCHTIG-Reihe ist eine monatlich erscheinende Reihe in 12 Bänden. Jeder Band ist in sich abgeschlossen, allerdings gibt es einen überspannenden Handlungsbogen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 Mondsüchtig

 

Von Kitty Harper

 

 

 Kapitel 1

Die Luft im Hotelzimmer roch muffig. Abgestandener Schweiß, kalter Rauch und feuchter Schimmelgeruch bildeten die Hauptbestandteile. Aber da war noch etwas anderes, viel Feineres. Ein Aroma, das sich mir die Nackenhaare aufstellten. So etwas passierte nicht häufig, dazu brauchte es etwas Großes, Gewaltiges. Todesangst, zum Beispiel. Als Rachedämon war mir die Fähigkeit zu eigen, Gefühle zu riechen. Menschen waren Säugetiere und sie transportierten ihre Empfindungen mittels Duftstoffen nach Außen. Besonders heftige Gefühle erzeugten eigene Gerüche. Und ich konnte sie riechen, selbst in meiner menschlichen Gestalt.

Mein Körper reagierte sofort. Ich schloss automatisch die Lider und öffnete das Racheauge. Doch was ich in dem Zimmer sah, ließ mich angsterfüllt zurückschrecken. Angst. Als Dämon kannte ich zwar lebensbedrohliche Situationen – wie etwa die Gefangenschaft, in die mich Eldridge von Stein gezwungen hatte – aber so richtige, tief empfundene Angst war mir neu. Und ich hatte sie noch nie so massiv gefühlt wie heute. Natürlich ängstigte es mich, wenn Flinn eine seiner waghalsigen Geschäfte tätigte, die meistens mit lebensbedrohlichen Klettereien verbunden waren, aber er war jedes Mal gesund zu mir zurückgekehrt. Allmählich gewöhnte ich mich an das Gefühl, an die Sorge. Doch das, was ich in diesem Raum verspürte, erschütterte meine Seele. Hier waren Taten begangen worden, die aus den dunkelsten Abgründen der menschlichen Seele entsprungen waren. Vergewaltigung, Gewalt und Mord führten die nicht enden wollende Liste an. Der Raum schillerte in den Farben des Regenbogens, und jede einzelne stand für eine Sünde. Rot stach eindeutig hervor. Mein Magen zog sich so eng zusammen, dass mir übel wurde und ich mich von Schrecken erfüllt, abwandte, nicht ohne ein heiseres Lachen auszustoßen.

Ein Rachedämon mit einer Seele, was für eine Perversion. Mit diesem lästigen Anhängsel, das mich jede Sünde körperlich fühlen ließ, war ich nur ein halber Dämon, geschweige denn dass ich meine Pflichten so erfüllen konnte, wie ich es musste. Früher hatte ich kaltblütig Urteile vollstreckt, Sünder bestraft, ihnen die Seele genommen und mit meinen Schreien in den Wahnsinn getrieben. Doch heute, wo ich selbst eine Seele besaß, empfand ich Mitleid für die Schuldigen. Es kostete mich viel zu viel Kraft, gegen mein Gewissen aufzubegehren, doch ich tat es gern. Alles nur seinetwegen.

Alles wegen der Liebe eines Menschen.

Apropos Mensch. Das leichte Schnarchen des Mannes neben mir zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen. Ich drehte mich zur Seite und ließ meine Hand über Flinns Rücken wandern, vergaß all die Sünden, die in diesem Hotelzimmer begangen worden waren. Er seufzte im Schlaf, wandte mir den Kopf zu und atmete tief aus, bevor er leise weiter schnarchte. Menschen brauchten so verdammt viel Schlaf. Ich wäre weitaus schneller vorangekommen, wenn ich Flinn in New York gelassen hätte, aber er hatte darauf bestanden, mich zu begleiten. Nicht, dass er dachte, ich wäre nicht in der Lage, auf mich selbst aufzupassen. Nein, Flinn wollte so viel Zeit mit mir verbringen, wie er nur konnte. Und außerdem fürchtete er, wenn er in New York blieb, würde ihn Rai zur Bewachung des Hexenhauses abstellen. Seit Flinn eine Begegnung mit einem Höllenfürsten gehabt hatte, war er kein normaler Mensch mehr. Natürlich war er längst nicht so stark wie Rai, Adams oder ich, aber Asmodai hatte einen Teil seiner Stärke und Widerstandsfähigkeit in ihm belassen. Ob freiwillig oder nicht sei mal dahingestellt. Flinn war viel leistungsfähiger als gewöhnliche Menschen. Mein Lächeln verbreiterte sich. Sehr zu meiner Zufriedenheit.

Trotzdem brauchte er Schlaf. Wir waren fast drei Tage ununterbrochen unterwegs gewesen. Flinn war am Ende seiner Kräfte, wobei ich nicht die kleinste Erschöpfung verspürte. Der ständige Sex, das Herumreisen und seine Rastlosigkeit trieben uns an, laugten ihn aber über die Maßen aus. Er hatte einen Teil des Wesens des Dämons geerbt, steckte aber in einem menschlichen Körper fest. Natürlich wollte auch ich meine Schwestern finden, aber ich hatte Schlaf nicht so dringend nötig wie er.

Um seinetwillen hatte ich gelogen und behauptete, auch ich müsste mich mal ausruhen. Flinn hätte bis zur totalen Verausgabung weitergemacht. Er würde es zwar nicht zugeben, aber er tat es für Aria. Ihre Befreiung hatte bei ihm oberste Priorität. Der Gedanke versetzte mir einen leichten Stich. Ich kannte diese Emotion, allerdings nur von meiner Position als Rachedämonin aus. Noch nie hatte ich sie selbst verspürt. So fühlte es sich also an. Eine heiße Nadel, die sich tief in mein Herz bohrte, es regelrecht entzweite. Rationales Denken half nicht. Ich wusste, dass Aria Flinns Freundin war, sie hatte ihn von Asmodai befreit und dafür einen hohen Preis gezahlt. Er stand zutiefst in ihrer Schuld. Und trotzdem, meiner Eifersucht wirkten rationale Gedanken nicht entgegen. Von mir aus könnte die Hexe in diesem Haus verrotten … Aber dann meldete sich eine weitere Emotion. Mal ganz abgesehen von dem Vertrag mit Adams, der mir die Seele eingebracht hatte, fühlte ich Mitleid. Sie hatte Flinn geholfen und nicht verdient, in diesem Haus zu sterben. Ob ich wollte oder nicht, ich würde ihr helfen. Und das hieß in erster Linie, Sofia und Aura wiederzufinden. Meine Schwestern. Die ich vor nicht allzu langer Zeit fortgeschickt hatte. In der Gewalt des Hexenmeisters wollte ich nicht riskieren, dass er auch ihrer habhaft wurde. Ich hatte sie gebeten, sich so gut zu verstecken, dass nur ihre Schwester – eine Rachedämonin wie sie – sie wiederfinden konnte.

Da gab es nur ein winziges Problem: Mit meiner neuen Seele war ich längst nicht mehr wie sie.

 

***

 

»Hey du.« Flinn regte sich neben mir und griff unter der Decke nach meinem Oberschenkel. »Kannst du nicht schlafen?«

Ich lächelte vorsichtig. Er ahnte nichts von meiner Schlaflosigkeit. Wenn er darüber Bescheid wüsste, würde er sich nur noch weiter voranpeitschen um mit mir mitzuhalten. So bot mir meine »Schwäche« immer die Möglichkeit einer kleinen Notlüge, wenn er Schlaf brauchte. »Ich habe bereits geschlafen«, log ich und schob mein Bein über seinen Unterarm, klemmte ihn zwischen meinen Schenkeln ein. »Du schnarchst seit geschlagenen zwölf Stunden.« Auch das stimmte nicht. Flinns Schlaf war unruhig und ich brauchte lange, um ihn in einen einigermaßen friedvollen Schlummer gleiten zu lassen. Asmodai hatte nicht nur seine Rastlosigkeit in Flinn hinterlassen, sondern auch seine zwanghafte Gier nach Geschlechtsverkehr und wenn er diesen nicht bekam, zerrte das ungestillte Verlangen an seiner mentalen Konstitution. Leider waren die Gewohnheiten des Dämons zu viel für Flinn. Bevor er schlafen konnte, brauchte er Sex, harten Sex. Mit etwas Glück glitt er sofort nach dem Höhepunkt hinweg, aber meistens brauchte es meine Fähigkeiten als Rachedämon, um ihn noch weiter zu betäuben. Ich tat das nicht gerne, aber es war nötig. Wenn ich daran dachte, wie er litt, zerriss es mich förmlich. Also nahm ich es hin. Seine Gier, sein Verlangen und die Lügen. Wenn Flinn wüsste, was ich tat, würde er es verbieten.

Flinns Mundwinkel zuckten. »Dann hatte ich den Schlaf wohl nötig.«

»Du sagst es.« Ich verkniff mir die Bemerkung, dass er vor ein paar Stunden noch nicht bereit gewesen war, sich dies einzugestehen. »Wie fühlst du dich?«

Flinn stöhnte, zog seinen Arm aus meiner Umklammerung und wälzte sich auf den Rücken. Er streckte sich und gab dabei Laute von sich, dass jeder Pornodarsteller vor Neid erblasst wäre. Ich ließ meine Finger über seine Muskeln wandern, schob die Bettdecke zurück und legte seine Mitte frei. Hart und bereit drängte er gegen den Stoff der Unterhose. »Ernsthaft?«, spottete ich und fuhr mit den Fingerspitzen über die deutliche Wölbung. Flinn zog scharf die Luft ein.

»Es ist ja nicht so, dass wir nicht erst vor ein paar Stunden gevögelt hätten …«

Flinn bog sich durch und kam meinen Händen entgegen. »Das macht überhaupt nichts. Dank diesem beschissenen Dämon bin ich dauergeil.«

Ich verzog das Gesicht und ließ meine Hand unter den Bund seiner Unterhose gleiten. Flinn trug selten Boxershorts. Meistens schlief er sowieso nackt. Sparte das lästige Ausziehen. Doch heute trug er ausnahmsweise einen dieser engen Slips, in denen sein Hintern besonders gut zur Geltung kam. Und nicht nur der. Ich mochte es, seinen harten Schwanz darin zu sehen und noch viel mehr mochte ich es, hineinzugleiten und ihn zu umfassen. Flinn stieß einen saftigen Fluch aus, warf den Kopf in den Nacken und stöhnte leise. Während ich ihn massierte, begann seine Hüfte, sich rhythmisch vorzuschieben. Wenn ich ihm jetzt gab, was er brauchte, würde er ein paar Stunden durchhalten.

»Du bist fies«, knurrte er. »Du weißt genau, wie du mich anfassen musst, dass ich nicht anders kann. Ich hasse es.«

»Ach, gar nicht wahr«, murmelte ich, rutschte etwas tiefer und beugte mich über seinen Schritt. »Männer lieben Sex und du kannst dank Asmodai so oft vögeln, wie du willst.« Die Lüge kam mir so einfach über die Lippen. Dank Asmodai waren wir in einem ständigen Kreislauf gefangen, der uns beinahe lähmte.

»Klar, ich finde es super, ständig auf deinen Hintern zu starren und mir vorzustellen, wie ich dich in den … Arsch ficke.« Seine Stimme nahm einen dunkleren Ton an, klang so gar nicht mehr menschlich. Selbst ein Kerl, der scharf war bis zu den Zehenspitzen, würde nicht so klingen. Flinns Stimme war um mindestens zwei Oktaven tiefer geworden und gleich würden die Überreste der Instinkte des Dämons übernehmen. Das Grollen wurde tiefer, Flinn bäumte sich auf. Mit der einen Hand packte er mich im Nacken und mit der anderen zerriss er mit dämonischer Kraft seine Unterhose. Seine Finger schlossen sich um seinen Schaft, richteten ihn auf. Die Hand in meinem Nacken dirigierte mich über ihn. Ich riskierte einen Blick zu Flinns Gesicht und begegnete dämonischem Glühen. Flinns Augen leuchteten kurz gelb auf, seine Züge eine verzerrte Maske der Wollust. »Blas mir einen, Schlampe«, knurrte er und schob mir seinen Schwanz zwischen die Lippen. »Dann werd ich's dir ordentlich besorgen.«

Flinn – oder Asmodai? So genau konnte ich die beiden beim Sex nicht auseinanderhalten – übernahm vollständig die Kontrolle über mich. Seine Hüften zuckten vor, während sein Griff in meinem Nacken dafür sorgte, dass ich mich ihm nicht entziehen konnte. Sein Schwanz schob sich bis zur Wurzel in mich und ich musste würgen, doch dass interessierte ihn in diesem Zustand nicht. Immer wieder stieß er in mich, so lange, bis mir die Tränen kamen. Seine Behandlung war grob, aber es machte mir nicht wirklich etwas aus. Männer hatten mich schon immer benutzt und ich hatte sie dafür mit Wahnsinn und dem Verlust ihrer Seele bestraft. Das war meine Masche. Geil die Kerle auf, dann werden sie zu Butter in deinen Händen und du kannst deine Rache verüben. Bei Flinn war es anders und doch gleich. Ihm brachte ich so starke Gefühle entgegen, dass ich es mochte. Ich wusste ja, er machte es nicht absichtlich.

Außerdem hätte ich mich ihm jederzeit entziehen können. Ich brauchte mich bloß zu verwandeln und er wäre nicht in der Lage gewesen, mich mit seiner – zwar sehr starken, aber dennoch menschlichen – Kraft zu überwältigen. Aber Flinn gab mir genau das, was ich brauchte. Irgendwie. Und ich gab ihm, was er brauchte, um zu funktionieren. Die Reste des Dämons in ihm verlangten, dass er häufig Druck abbaute. Ohne den ständigen Sex war er blockiert, konnte nicht denken. Manchmal glaubte ich, dass ich nicht genug war. Keine Normalsterbliche würde ihn aushalten. Selbst ich mit meinem dämonischen Wesen zweifelte, dass ich ihm auf Dauer genügen würde. Das könnte über kurz oder lang zu einem ernsthaften Problem werden. Ach was, es war bereits ein Problem. Schlaf und Sex ließen uns kaum Zeit, um nach meinen Schwestern zu suchen.

»Flinn!«, presste ich zwischen zwei hektischen Stößen panisch hervor. Ich war kurz davor, dem Würgereiz zu erliegen, wenn er nicht etwas langsamer machte. Zum Glück hatte er noch so viel Kontrolle über sich, dass er mich hörte. Hastig entließ er mich. Um Atem ringend wich ich zurück, hockte mich auf die Matratze. Mehrere Augenblicke war ich damit beschäftigt, meine leeren Lungen mit köstlicher Atemluft zu füllen.

»Entschuldige«, raunte Flinn. Er fuhr sich immer wieder übers Gesicht und zerrte sich schließlich selbst so fest an den Haaren, dass ich vor meinem inneren Augen schon sah, wie er sich skalpierte.

»Nein«, widersprach ich und kletterte mit gespreizten Schenkeln auf ihn. Flinn blinzelte zwischen den Fingern hindurch. »Es gibt nichts zu entschuldigen.« Er nahm die Hände herunter, legte sie an seine Seiten und beobachtete mich mit großen Augen, wie ich den Steg meines Höschens beiseiteschob, seinen steil aufgerichteten Schwanz unter mir platzierte und mich langsam auf ihn herabsenkte.

Einen laut der Erleichterung ausstoßend, sank er in die Kissen. »Du bist unglaublich«, knurrte er mit der Dämonenstimme, als ich begann, ihn langsam zu reiten.

»Nein, du bist unglaublich. Du hast an mich geglaubt, als ich am Boden war.« Ich wölbte meine Hüfte nach vorne und rieb sie fest über seinen Ständer, sodass ich meine Klit stimulierte. Flinns Augen rollten nach hinten. Ich erhöhte das Tempo, holte mir, wie ich es brauchte. Flinn würde es aushalten. »Du warst bei mir, hast mir geholfen, mein Herz zurückzuholen. Und dafür werde ich dir auf ewig dankbar sein.« Ich fühlte, wie der Höhepunkt sich langsam in mir aufbaute, aber es war noch nicht genug. Ich wollte mehr. Hektisch schob ich eine Hand zwischen uns, zwirbelte meine Klit und beugte mich nach hinten, stützte mich mit einer Hand auf seinem Oberschenkel ab und begann, ihn so heftig zu reiten, dass jeder andere Mann sofort abgespritzt hätte. Aber nicht Flinn. Er hielt so Einiges aus. Seine Hände flogen flüchtig über meine Brüste, zwirbelten und verdrehten meine Brustwarzen so fest, dass ich vor Schmerz aufschrie. Flinn stieß ein zufriedenes Grollen aus und ließ von meinen Brüsten ab. Seine Nägel bohrten sich in meine Hüften und halfen mir, das Tempo noch zu steigern. Klatschend und schmatzend landete ich in einem gleichbleibenden Rhythmus auf seinem Schwanz, immer und immer wieder.

Sein Grollen und meine Schreie der Lust waren lange Zeit das einzige Geräusch, das durch das drittklassige Hotelzimmer brandete. Hah, vielleicht war dies sogar ein Stundenhotel? Wer weiß?

Plötzlich unterbrach Flinn den Rhythmus, ließ meine Hüften los und richtete sich auf. Gierig griff er nach mir, zog mich an sich und schob seine Zunge in meinen Mund. Sein Verlangen überwältigte mich, sein Kuss zog mich in einen endlosen Taumel. Mein Denken hörte abrupt auf, während er sanft in mich stieß und mich besinnungslos küsste. »Du bist perfekt«, murmelte er gegen meine Lippen. »Aber ich muss …«

Zärtlich fuhr ich mit den Fingerspitzen über seine Lippen. »Ich weiß«, raunte ich und küsste seine feuchte Stirn. »Ich kann es aushalten.« Flinn schluckte und nickte, blickte mich mit seinen tiefblauen Augen an. »Entschuldige.«

»Es ist okay, ich komme dabei ja irgendwie auch auf meine Kosten.« Er lachte kurz auf, bevor er nach meiner Hüfte griff und mich so herumwirbelte, dass ich mich bäuchlings auf der Matratze wiederfand. Flinn war so schnell über mir, dass mir keine Zeit für einen erschrockenen Aufschrei blieb. Seine Knie drängten meine Schenkel auseinander, bevor er sich über mir platzierte und sich mit einem einzigen Stoß in mir versenkte. Ich schrie auf, als er begann, wie ein Presslufthammer in mich hineinzustoßen. Unwillkürlich, einem Reflex nachgebend, wollte ich mich aufbäumen, ihm entkommen, doch seine Hände an meinen Schultern drückte er mich in die Matratze. Die Instinkte des Dämons übernahmen und ich musste loslassen, musste aufhören mich dagegen zu wehren. Ich brauchte ein paar tiefe Stöße, Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkeln, liefen mir über die Wangen und ich schrie auf, biss ins Kissen und … gab auf.

Flinn trieb mich wie ein Wahnsinniger vor sich her, immer weiter hinauf, bis zum Gipfel der Lust. Der Druck in mir war so stark, dass ich glaubte, ich würde platzen. Dann, als ich es nicht mehr aushalten konnte, hatten wir den Gipfel der Lust erreicht. Für ein oder zwei Atemzüge schien die Welt stillzustehen und dann katapultierte mich Flinn mit einem weiteren Stoß noch ein Stück höher, bevor ich endlich fiel. Selig lächelnd flog ich dahin, das Grollen des Dämons im Nacken.

Halb besinnungslos nahm ich noch wahr, wie er seine Zähne in meine Schultern grub und erleichtert kam. Flinn zuckte und pumpte in mir, bevor er zusammenbrach und erschöpft auf mir zur Ruhe kam.

 Kapitel 2

»Warum genau müssen wir deine Schwestern noch mal finden?« Flinn knurrte ungehalten, als wir uns an der Bar des schäbigsten in Chicago zu findenden Lokals niederließen. Wohin man sah, nur Prostituierte, tätowierte Kerle, schmierige Lappen. Ich brauchte nicht mal mein Racheauge zu öffnen. Hier drinnen strahlte jede Seele wie das Feuer eines Leuchtturms. Deswegen hatte ich mich für Chicago entschieden. Die Stadt war nicht zu weit weg von New York, innerhalb eines Tages wären wir zurück. Außerdem galt die Stadt als Sündenpfuhl nach New York City. Wenn ich versuchte, wie eine Rachedämonin ohne Seele zu denken, landete ich unweigerlich in Chicago. Jetzt mussten wir nur noch jede Bar der Stadt abklappern. Wenn wir auch noch unsere Fragen stellten, liefen wir dennoch Gefahr, früher oder später Aufmerksamkeit zu erregen.

»Weil ich die Seelen der Ghule, die sich um das Hexenhaus gescharrt haben, nicht alleine aufnehmen kann«, erklärte ich. Flinn atmete tief ein und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Bar, um das Lokal in Augenschein zu nehmen. Überhaupt eine Antwort auf seine Frage zu geben, war vollkommen überflüssig. Flinn wusste genauso gut wie ich, weshalb wir unterwegs waren. Ihm gefiel nur nicht, wie wir es taten.

»Hättet ihr nicht wie jeder normale Mensch Handynummern austauschen können.« Wir führten das Gespräch nicht zum ersten Mal. Bei jeder Bar, jedem Lokal, das noch heruntergekommener war als das Vorige, musste er mich daran erinnern.

»Weil wir erstens keine normalen Menschen sind, und zweitens weil …«

Flinn winkte ab. »Ja, ja, ich weiß, weil von Stein deine Schwestern dann genauso versklavt hätte wie dich.« Flinn stieß einen angewiderten Laut aus. »Mir muss deine Vorgehensweise trotzdem nicht gefallen.« Seufzend drehte er sich um und lehnte sich über den Tresen, um nach der Schale mit Erdnüssen zu greifen. Doch der Barkeeper nahm sie ihm einfach weg.

»Hey!«, grollte Flinn und ließ dabei einen Hauch Dämon durchklingen.

»Erst bestellen, dann kannst du dir meinetwegen die ganze Schale reinziehen«, entgegnete der Barkeeper, so groß wie ein Baum, mit Armen so dick wie meine Oberschenkel.

Wenn ich nicht wüsste, dass Flinn als Dieb über unnatürlich geschickte Finger verfügen würde, täte ich den Umstand, dass er dem Barkeeper die Schale Erdnüsse so flink entwand, dass dieser noch nicht einmal seinen Satz zu Ende gesprochen hatte, Asmodais Überbleibsel zuschreiben. Aber Flinn war, nach eigenen Aussagen, schon immer sehr flink gewesen. »Zwei Bier und dreimal das Tagesgericht«, murrte er und schaufelte sich zwei Handvoll Nüsse in den Mund. »Ich sterbe vor Hunger.« Der Barkeeper warf ihm einen grimmigen Blick zu, trollte sich aber ohne ein weiteres Wort, um die Bestellung an die Küche weiterzuleiten.

Flinn hielt mir die zur Hälfte geleerte Schale unter die Nase. »Auch was?« Ich schüttelte angewidert den Kopf. Menschliche Nahrung war mir zuwider – es sei denn, sie boten mir ihre Seele an. Dazu sagte ich niemals nein.

»Ich esse nicht«, entgegnete ich knapp. »Seit wann kann man in so einer Spelunke überhaupt etwas zu Essen bestellen?«

Flinn drehte sich wieder um und ließ seinen Blick durch den Schankraum gleiten. Lose reihten sich Tische um Tische mit mehr oder weniger modernen Stühlen aneinander. Das Mobiliar war weder aus dem gleichen Guss noch aus dem gleichen Jahr. Die Abnutzungsspuren waren unterschiedlich stark ausgeprägt, mal franste der Bezug, mal splitterte das Holz und mal war nur etwas Farbe abgeblättert. Es schien fast so, als hätte der Inhaber immer nur dann ein Stück ersetzt, wenn eines zu Bruch gegangen war.

»Ich bin in solchen Etablissements aufgewachsen. Fast überall kriegt man etwas zu futtern. Hier mag es vielleicht nicht besonders einladend aussehen und das Niveau der Gäste lässt selbst für meinen Geschmack zu wünschen übrig.« Flinn rümpfte die Nase. »Aber ich konnte schon am Geruch erkennen, als wir hereinkamen, dass das Essen taugt. Und außerdem verbrenne ich viel mehr Kalorien, seit …« Er ließ einen anzüglichen Blick über meinen Ausschnitt bis hinunter zu meinen Oberschenkeln, die in knappen Hotpants steckten, wandern. »Na du weißt schon.«

Ich ließ zu, dass ein Lächeln an meinen Mundwinkeln zupfte. Flinn zu ermutigen, war nie meine Absicht, trotzdem, der Sex war grandios, wenn auch etwas zu häufig. »Ja, ich weiß.« Flinn beugte sich vor, um mich zu küssen, doch ich schüttelte den Kopf. Zärtlich legte ich eine Hand auf seine Brust, um ihn auf Abstand zu halten. »Nicht hier«, murmelte ich.

Gott sei Dank hatten wir erst vor kurzem Sex gehabt, sonst hätte ich ihn kaum zurückhalten können. Irgendwie drängte sich mehr der Gedanke auf, dass sein Hunger schlimmer wurde. Ich sollte mir sein Verhalten genauer ansehen und … ja, was denn? Etwas gegen den Dämonenrest in ihm unternehmen? Was dann? Rossos hatte mir erzählt, dass die Hexen drauf und dran waren, Flinn zu töten, als der Dämon in ihm gewohnt hatte. Nichts, was ich in Betracht zog. Aber das Vorgehen der Hexen verriet mir auch, dass es wohl nicht so einfach war, ihn zu kurieren. Wenn nicht gar unmöglich.

Hastig schob ich den Gedanken beiseite und konzentrierte mich wieder auf Flinn, der den kurzen Moment der Ablenkung genutzt hatte, um seine Hand zwischen meine Schenkel zu schieben und mein verräterischer Körper hatte willig nachgegeben. Wunderbar. »Flinn!«, zischte ich und schob seine Hand weg. Flinn bedachte mich mit einem leicht pikierten Blick. Vorhin hat es dir auch nichts ausgemacht. Im Prinzip machte es mir auch nichts aus, von ihm angefasst zu werden. Ich fand nur den Ort reichlich unpassend.

Sein Verhalten war auch von anderen nicht unbemerkt geblieben. Ein Typ, so breit und groß wie ein Schrank mit nackten Oberarmen, die denen des Barkeepers in nichts nachstanden, baute sich neben Flinn auf, stemmte die Hände in die Seiten und funkelte in mit zornig geschwellter Brust an. »Der Lady gefällt dein Verhalten nicht, Kumpel!« Ich machte große Augen, als Flinn sich vor dem Typen aufbaute. Leider war Flinn nicht gerade mit Körpergröße und Muskelkraft gesegnet, er war eher der schlanke Läufertyp mit sehnigen Muskeln. Trotzdem verschaffte ihm Asmodais Wesen eine gehörige Portion Größenwahn. Ich musste dazwischen gehen, wenn ich meinen Freund nicht vom Boden kratzen wollte.

»Hey, kein Problem. Der Typ gehört zu mir«, versuchte ich zu beschwichtigen und glitt vom Hocker. Der Riese bedachte mich mit einem Blick, den er üblicherweise wohl für Scheißhausfliegen übrig hatte. Aha, und warum warf er sich dann für mich in die Bresche?

»Siehst du, Arnie, die Lady hat gesagt, ihr macht es nichts aus, dass ich sie so anfasse. Sie ist übrigens meine Freundin und du suchst wohl einen Grund, Ärger zu machen?!« Der Typ runzelte die Stirn.

»Im Ärger machen bist du viel geübter als ich, Riker!«, donnerte der fleischgewordene Fels drauflos. Seine Pranken landeten mit einem gedämpften UFF auf Flinns Schultern. Flinn sackte einen halben Meter in die Knie, stemmte sich aber beharrlich wieder in die Höhe. Es kostete ihn einiges an Kraft, nicht unter dem Gewicht der Pranken zusammenzubrechen. Flinn verzog kurz das Gesicht, doch dann strahlte er den Riesen an.

»Hey, Bilboa, altes Haus!«, begrüßte Flinn den Riesen und ließ sich von ihm in den Schwitzkasten nehmen. Der Riese gluckste freudig und ließ Flinn erst wieder los, nachdem er ihm ordentlich die Frisur neu sortiert hatte. Flinn stieß ein halb wütendes, halb belustigtes Knurren aus und glättete seine zerwühlten Haare, indem er versuchte, sich selbst in dem der Bar gegenüber angebrachten Spiegel zu erkennen.

»Könntest du die Leute einmal wie ein intelligentes Wesen begrüßen?«, murrte Flinn und drehte sich mit geglätteter Haarpracht wieder zu mir. Fragend hob er eine Augenbraue und erkundigte sich so bei mir nach dem Zustand seiner Frisur. Ich schüttelte den Kopf. Nein, er hatte es noch nicht geschafft, den Zustand vor Bilbos Begrüßung wiederherzustellen.

Der Riese überlegte kurz, schüttelte dann jedoch den Kopf. »Nein, mir macht es Spaß, dich wie einen Football unter den Arm zu klemmen.« Er stieß ein freudiges Glucksen aus. »Und wer ist die Kleine?«

Flinn schob sich zwischen mich und den Riesen. »Die Kleine geht dich nichts an«, murrte er und verschränkte abweisend die Arme vor der Brust. »Lass sie bloß in Ruhe.« Keine Ahnung, woher seine plötzliche Feindseligkeit kam. Eben noch hatte er sich von Bilboa wie einen alten Freund begrüßen lassen und jetzt spielte er den Platzhirsch. Der große Kerl war vielleicht etwas grobschlächtig, aber mir war, als hätte er das Herz am rechten Fleck. Kurz wagte ich einen Blick durch mein Racheauge und sah nur ein paar Nuancen des Regenbogens, keine Farbe stach grell hervor, sodass sie den Grundton seiner Aura bildete. Vor allem kein Rot – für Mörder.

Beruhigend legte ich meine Hand auf Flinns Schulter, beugte mich vor und streifte mit den Lippen seinen Hals. Er zuckte zusammen, als hätte ich ihn mit glühenden Eisen gebrandmarkt. »Keine Sorge, Flinn, ich kann auf mich selbst aufpassen.«

Flinn erschauerte. »Um dich habe ich keine Angst. Eher um die Kerle, wenn sie beschließen, dich zu ärgern.« Ich lächelte hintergründig, glitt von meinem Hocker und umrundete Flinn mit wiegenden Hüften.

»Hi, ich bin Tiara.« Ich streckte dem Riesen die Hand entgegen. Verwundert starrte er erst mich an, dann Flinns Hände, die sich besitzergreifend um meine Taille gelegt hatten.

Bilboa grinste breit. »Bilboa, freut mich, dich kennenzulernen.« Er zeigte mir eine Reihe gelber Zähne, ein Schneidezahn war abgebrochen, weshalb er leicht lispelte. »Bist nen ganz schön freches Ding, was, wenn du unseren Flinn so in die Schranken weißt?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ihr kennt euch?«

»Flüchtig«, raunte Flinn und ließ meine Hüften los, als gerade seine Bestellung vom Barkeeper gebracht wurde. »Zwei Bier und drei Portionen Baked Beans mit Brot für die Bohnenstange!« Ich lachte leise. Flinn ignorierte Bilboa und mich fortan und schaufelte das Essen in sich hinein, als hätte er zwei Wochen gehungert.

»Na der haut ja rein«, kommentierte Bilboa. »Wird endlich was aus dir, was, Riker?« Flinn reagierte nicht, sondern schaufelte stoisch weiter. Zwischendurch spülte er immer wieder mit Bier nach.

»Hat dir der Pisser nichts bestellt?«, fragte Bilboa, nachdem Flinn zu dem zweiten Bier griff.

»Ich brauche nichts. Aber du könntest etwas für mich tun, mein Großer.« Ich legte vielsagend meine Hand auf seinen Unterarm. Bilbaos Augenbraue zuckte mit einem nervösen Blick zu Flinn. Ich lachte hell. »Nicht so etwas.«

»Was dann? Für eine Lady tue ich fast alles.«

Ich legte den Kopf schräg. »Du könntest damit anfangen, meine Frage zu beantworten. Kennst du dich hier aus?«

Bilboa seufzte. »Ein wenig. Leider.« Ich tat so, als ob ich seinen Kommentar überhört hatte, und ging gleich zu der Frage über, die ich praktisch in jedem Etablissement stellte. »Sind dir vielleicht zwei Frauen aufgefallen?«

»Wieso willst du das wissen? Biste mit Riker nicht ausgelastet? Wenn er es dir nicht besorgen kann, kann ich auch …«

Ich schnitt ihm mit einer Bewegung das Wort ab. Eine von der Sorte, die vielleicht einen Hauch Rachedämon beinhaltete und jeden Mann sofort zum Schweigen brachte. Als ob sie instinktiv spürten, dass es nicht gut für sie wäre, mich weiter zu reizen. Bilboa sprühte zwar nicht vor Intelligenz, aber die Geste sprach auch eine andere Ebene an. Instinktiv wusste er, wie er sich zu verhalten hatte. »Sie sind meine Schwestern. Flinn und ich suchen sie.« Aura und Sofia konnten genau wie ich ihre Gestalt wandeln. Wir passten sie aber nur im Notfall an. Zu aufwendig. Wenn man immer wieder ein anderes Gesicht trug, musste man sich ständig neue Papiere anfertigen lassen und das wurde mit der Zeit lästig. Und da weder Sofia noch Aura in unmittelbarer Gefahr schwebten, nahm ich an, dass sie noch das gleiche Gesicht trugen. »Eine etwas ältere Frau, Mitte dreißig, mit dunkelblonden Haaren, und eine junge Blondine, lockiges Haar, hübsche Nase, blaue Augen.« Sofia gab gern die kindliche Verführerin und zog ihre Opfer mit jugendlicher Schönheit in den Bann. Ihre Spezialität waren Morde der übelsten Sorte. Dazu wählte sie eine Gestalt, die gerade Sexualstraftäter reihenweise anzog. Aura hingegen war von unruhiger Natur, ständig unterwegs, niemals rastend.

»Nicht das ich wüsste. Mädchen, die allein unterwegs sind, fallen in dieser Gegend auf. Aber ich wüsste jemanden, der Bescheid weiß.«

Flinn ließ mit einem Klappern den Löffel fallen. Spätestens jetzt wurde mir klar, dass er immer mit einem halben Ohr dem Gespräch gefolgt war. »Ich kann nicht zu Di Nicola, das weißt du. Ich schulde ihm was.«

Noch bevor Bilboa antworten konnte, ging ich dazwischen. »Gibt es eigentlich irgendwen in dieser Stadt, dem du nichts schuldest?« Flinn hob kurz eine Augenbraue, bevor er wieder nach seinem Löffel griff und ihn in die Bohnen tauchte. Ungerührt aß er weiter. »Fein!«, fauchte ich. »Dann geh ich eben selbst zu Di Nicola!« Ich legte meine Hand auf Bilbaos Unterarm und blickte ihn mit großen Augen an. »Und du wirst mich hinbringen!«

Was dann geschah, konnte ich gar nicht so schnell erfassen, wie es passierte. Flinn ließ seinen Löffel fallen, sprang vom Hocker und griff nach mir.

»Du gehst nirgendwo alleine hin!«, brüllte er zornig. Ah ja, der Zorn eines Höllenfürsten war ihm also auch geblieben. Bilboa reagierte schneller, als ich es bei seiner Körpermasse für möglich gehalten hätte. Er schob mich so geschwind hinter sich, dass Flinns Hand an seiner Brust abprallte.

»So redest du nicht mit der kleinen Lady!«, grollte Bilboa, während Flinn einen Schmerzenslaut ausstieß und zurückzuckte. Ich spähte hinter dem massigen Körper hervor. Erschrocken wich ich zurück, als ich das rote Glühen des Dämons in Flinns Augen kurz aufleuchten sah.

»Flinn!«, stieß ich aus, drängte mich an dem Hünen vorbei und eilte zu ihm. Sobald ich ihn erreicht hatte, verrauchte der Zorn. »Was ist nur los mit dir?«, murmelte ich und strich ihm eine feuchte Strähne aus der Stirn.

»Es wird schlimmer«, seufzte er und ließ zu, dass ich ihn auf einem Hocker platzierte. Sein Blick glitt zwischen meine Brüste. Gierig leckte er sich die rote Soße von den Lippen. »Wir müssen ins Hotel. Sofort.« Ich stieß ein leidiges Seufzen aus. So würden wir nie vorankommen.

»Wie wäre es, wenn du ins Hotel gehst und ich mit Bilboa diesem Di Nicola einen Besuch abstatte?« Der Hüne hatte sich mit verschränkten Armen hinter mir platziert und beobachtete uns lauernd. Nicht, dass ich glaubte, er würde Flinn wirklich etwas antun, aber ich hegte keinen Zweifel, dass er Flinn ordentlich zurechtstutzen würde, sollte er wieder ausflippen.

»Nein, du kennst diesen Di Nicola nicht. Der handelt mit Mädchen und … Wenn du alleine dorthin gehst, landest du schneller im Bordell, als du denkst.«

»Du glaubst ernsthaft, ich lasse mich von einem Menschen zur Prostitution zwingen?« Flinn zog seine Augenbraue nach oben. Ich wusste, was er mir damit sagen wollte. Prostituierte ich mich nicht gerade für ihn? Stand ihm immer zur Verfügung, wenn der Druck zu groß wurde? »Das ist etwas anderes!«, warf ich herrisch ein. »Du bist mein Freund.«

Flinn stieß ein heiseres Lachen aus. »Okay, geh zu Di Nicola, aber ich begleite dich. Und meinetwegen der Fleischberg hinter dir auch.«

 Kapitel 3

Man spaziert nicht einfach so in das Büro von Tarso Di Nicola und fragte ungeniert, ob er wüsste, wo sich die restlichen Schwestern zur Zeit aufhielten. Nein, das tat man wirklich nicht. Ich hatte ja keine Ahnung, wer dieser Di Nicola eigentlich war. Wenn ich gewusst hätte, was mich in diesem … Etablissement erwartet, wäre ich schreiend hineingestürmt. Jawohl, in Gestalt der Rachedämonin und nicht als kleines, unscheinbares Mädchen verkleidet. Eigentlich hätte mir Flinns Verhalten Warnung genug sein sollen, aber zu dem Zeitpunkt griff ich noch nach jedem Strohhalm, der mich mit den meinen vereinte. Ich war so darauf versessen, wieder mit meinen Schwestern vereint zu werden, dass rationales Denken nicht gerade zu meinen Stärken gehörte. Zudem hatte ich so lange in menschlichen Verhaltensmustern gedacht, dass ich überhaupt nicht weitergedacht hatte. Niemand hätte ahnen können, dass Di Nicola Bescheid wusste. Über die Zwischenwelten. Über Dämonen. Über uns. Nein, ich wollte nur wieder mit meinen Schwestern ein Team bilden. Zusammen waren wir unschlagbar, das Trio Infernale. Sünder und Verbrecher erzitterten vor dem vereinten Schrei der Rachedämoninnen. Wir waren die Erinnyen und … im Augenblick ziemlich außer Gefecht gesetzt.

Erst als Bilboa uns von einer Spelunke zur nächsten führte, hätte mir klar werden müssen, in welchen Kreisen Di Nicola verkehrte. Wer er war. Aber wie gesagt, als Dämon kennt man sich nicht so wirklich in der Menschenwelt aus. Und als Mensch fehlte mir die schwarzmalerische Weltsicht des Dämons in mir. Wie auch immer ich es drehte, ein entscheidender Teil bei meinen Schlussfolgerungen fehlte. Mein Denken war streng genommen strukturiert in Schwarz und Weiß, hell und dunkel, gut und böse. Menschen waren für mich entweder Sünder, die es zu bestrafen galt, oder der Mühe nicht wert. Flinn bildete da eine Ausnahme, er war anders. Für Di Nicola allerdings hätte ich zu der strengen Einteilung eine weitere Gruppe hinzufügen sollen: Absolut widerliche Perverslinge müsste sie passenderweise heißen.

Als wir die Bar betraten und ich mir der Blicke der anwesenden Herrschaften gewiss war, senkte ich kurz den Kopf. Für Außenstehende mochte es den Anschein haben, die Kleine mit den Mandelaugen würde demütig zu Boden sehen, aber in Wirklichkeit öffnete ich das Racheauge. Ich wollte SEHEN, wem ich gegenüberstand. Geblendet blinzelte ich gegen das geballte Farbspektrum aus Rot und Gelb, hier und da flammte Grün auf, doch Mord und Neid überwogen. Fantastisch. Flinn und ich waren geradewegs in eine Schlangengrube voller Vipern geklettert und auf dem Weg zur Obergriftspritze.

Ich warf, während uns Bilboa in das berüchtigte Hinterzimmer führte, einen kurzen Blick zu Flinn. Er rieb sich nervös den Nacken und nutzte die Bewegung, um mal nach links, mal nach rechts zu schielen. Ich kannte ihn mittlerweile gut genug, um zu wissen, was er tat. Er sondierte die Lage, prüfte, wie viele Waffen sich im Raum befanden, wo die Fluchtwege lagen, eben durch und durch Dieb. Er fertigte stets in seinem Kopf eine Karte der örtlichen Gegebenheiten an, immer. Reine Vorsichtsmaßnahme. Man wusste ja nie, wann man überhastet verschwinden musste. Auf jeden Fall war es besser, die Fluchtwege zu kennen.

Wie gern hätte ich mich jetzt in ein Geistwesen verwandelt, um lautlos mit ihm kommunizieren zu können, aber dann würde meine Tarnung auffliegen und jeder würde wissen, dass Dämonen existierten. Keine gute Idee. Also musste ich … Irritiert legte ich den Kopf schief und starrte auf Flinns Hand. Er hielt sie auf Hüfthöhe und streckte Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger aus, während er die restlichen Finger versteckte. Drei? Ich runzelte die Stirn und sah ihn fragend an.

Flinn rollte mit den Augen und nickte in Richtung der Tür, wo drei Typen Stellung bezogen hatten. Mit einer knappen Bewegung deutete er auf Hüfthöhe und ahmte mit der Hand eine Pistole sowie Schussbewegung nach. Sollte das etwa bedeuten, drei der Typen waren bewaffnet? Oh, ja, klar! Das war genial. Also nicht, dass die Typen bewaffnet waren, eher Flinns Mienenspiel. Ich nickte zum Zeichen, dass ich verstanden hatte, doch offensichtlich war er noch nicht zufrieden oder ich hatte nur die Hälfte dessen kapiert, was er mir sagen wollte.

Bilboa hatte mittlerweile die Tür erreicht und beugte sich zu dem Typen, der direkt neben dem Eingang stand, herunter. Er sprach so leise mit ihm, dass ich ihn nicht verstehen konnte, obwohl mein Gehör schon besser als das eines Menschen war. Flinns Bewegungen wurden hektischer und er deutete mit der Handkante auf seinen Hals, machte eine ruckartige Seitwärtsbewegung. Also diese Geste sagte mir absolut nichts. Irritiert schüttelte ich den Kopf und folgte Bilboa ins Büro, nachdem der Typ ihn nickend durchgewunken hatte.

»Immer hereinspaziert!«, flötete der Hüne und vollführte einen Diener, um uns vor einen mächtigen, den Raum dominierenden Schreibtisch zu leiten. Flinn warf die Hände in einer Geste der Verzweiflung in die Höhe, folgte mir aber trotzdem und positionierte sich neben mir, vor dem Schreibtisch. Hinter dem Ungetüm stand ein Chefsessel, dessen Rückenlehne uns zugewandt war, sodass wir die Person nicht sehen konnten. Derjenige, der in dem Stuhl saß, konnte durch eine verglaste Öffnung in der Wand blicken. Lichter spiegelten sich auf dem Glas, so hektisch, dass es aussah, als würden sie tanzen. Ich vermutete, dass das Fenster ins Innere des Klubs zeigte, sodass der Besitzer – also derjenige, der hier saß – das muntere Treiben in seiner Bar beobachten konnte. Links und rechts neben dem Schreibtisch zweigten Türen ab, doch die nahm ich erst wahr, als zwei der bewaffneten Typen, die ich draußen schon gesehen hatte, neben ihnen Stellung bezogen.

So richtig nervös wurde ich allerdings erst, als Bilboa den Schreibtisch umrundete, sich zu jemandem hinab beugte und mit ihm flüsterte. Misstrauisch blinzelte ich. Bilboa war mir als ein hilfsbereiter Informant erschienen, als jemand, der uns mit jemandem bekannt machte, der Wissen über den Verbleib meiner Schwestern hatte. Allmählich beschlich mich der Verdacht, dass ich dem falschen Fragen gestellt hatte.

»Was hat das zu bedeuten?«, raunte ich Flinn zu, der unruhig von einem Fuß auf den anderen trat. Machte ihm Asmodais Erbe zu schaffen oder … war Flinn tatsächlich nervös? Im Angesicht eines harmlosen Klubbesitzers? Der drei bewaffnete Typen vor seiner Bürotür platzierte? Nur ein total harmloser Klubbesitzer mit einem übersteigerten Sicherheitsbedürfnis? Sicher. Flinn hatte allen Grund, nervös zu sein. Er wandte mir kurz den Kopf zu und bewegte ihn langsam hin und her, sodass ich die Bewegung fast nicht gesehen hatte. Ich interpretierte Flinns Geste so, dass ich besser leise sein sollte. Okay … was immer das zu bedeuten hatte, Flinn schien sich hier absolut nicht wohlzufühlen. Wenn ich sein Verhalten noch mit den undeutbaren Zeichen vor wenigen Minuten kombinierte, dämmerte mir langsam, was er mir hatte sagen wollen. Er vermutete eine Falle und ich war blind hineingetappt.

»Das, meine Liebe, bedeutet, dass Sie in Schwierigkeiten stecken.« Flinn hatte schon die Lippen gespitzt, um die Antwort auf meine Frage zu geben, doch die Stimme schnitt ihm herrisch das Wort ab. Ertappt sah ich auf, als der Chefsessel herumgedreht wurde und mich ein kleiner, rundlicher Mann im weißen Sakko und mit Zigarre musterte. Seine Augen hatten die Intensität eines Jägers, doch ich war nicht seine Beute. Er war die meine. Er wusste es nur noch nicht. Das junge Ding, das er in mir sah, könnte ihn auf der Stelle vernichten und die Jungs mit ihren Bleispritzpistolen könnten nichts dagegen tun. Ich war mir so sicher, dass mir absolut niemand gefährlich werden konnte und gestattete mir deshalb eine abfällige Bemerkung. Denn seien wir mal ehrlich: Wir waren in Chicago und ein Zigarre rauchender Kerl im weißen Sakko in einem Nachtclub kanzelt mich mit einer filmreifen Bemerkung ab? Ehrlich, die ganze Szene hätte viel besser in »Der Pate« gepasst, als in die Realität. Dementsprechend flapsig viel meine Erwiderung aus.

»Wirklich? Sie geben hier den Paten inklusive bewaffneter Security? Klischeehafter geht's nicht mehr.« Ich stieß ein leises Kichern aus, doch Flinn boxte mir warnend in die Seite, was mich auf der Stelle verstummen ließ.

»Wir, meine Liebe, sind nicht in Der Pate. Und wenn, dann bin ich der Pate und Sie haben die falschen Leute gefragt.« Ein eiskalter Schauer lief mir übers Rückgrat. Den Mafiosi hatte er wirklich gut drauf. Bestimmt übte er mehrmals pro Woche vor dem Spiegel, nachdem er sich mit ein paar Videos auf Youtube auf Mafia eingestimmt hatte.

»Ich suche nur meine Schwestern«, gab ich kleinlaut zu. Flinns Blick bereitete mir Sorgen. Eigentlich war die große Klappe doch sein Part. Doch statt das Maul aufzureißen, verlegte er sich auf Starren, ohne zu blinzeln. War das jetzt wieder ein Code? Himmel, ich nahm mir vor, ihn das nächste Mal nach seiner Zeichensprache auszuhorchen, bevor wir in die Höhle des Löwen marschierten. Der Vergleich hätte nicht treffender sein können. Der Typ, Di Nicola, starrte mich an, als wäre ich sein Abendessen.

»Ihre Schwestern, lassen Sie mich nachdenken. Eine blonde junge Frau, die unschuldiger nicht sein könnte. Aber wehe, man macht sie wütend. Und eine Brünette, nicht mein Typ, viel zu alt, dafür aber mit dem Mut einer Löwenmutter gesegnet? Sind das vielleicht Ihre Schwestern?«

Schlagartig versagte mir die Stimme. Di Nicola beschrieb meine Schwestern so perfekt, als würden sie neben mir stehen. Ich sagte nichts, ich war viel zu geschockt, um antworten zu können. Macht nichts, Di Nicola übernahm das Antworten für mich. »Sie sind es, nicht wahr? Und Sie, meine Liebe, sind die Dritte im Bunde?«

Angsterfüllt wich ich zurück, doch ich konnte mich nicht bewegen. Jeder Versuch, einen Schritt zu machen, ließ mich gegen eine Barriere laufen. Hastig drehte ich mich um und presste die Hände gegen eine unsichtbare Wand, tastete mich daran entlang, nach oben, nach unten, links oder rechts, der Weg blieb versperrt. Hektisch sah ich zu Boden und dann sah ich es. Ich war mitten in einen Bannkreis gelaufen, stand auf einem auf den Boden gemalten Pentagramm aus Salz. Ich stieß einen wütenden, ganz und gar nicht menschlichen Schrei aus, doch es nützte nichts, ich war gefangen.

In meiner Panik blickte ich zu Flinn, wollte ihn erreichen und drückte die Hände gegen die Barriere, doch er starrte mich an, als würde ich Scherze mit ihm treiben.

»Ti, mach keinen Unsinn. So langsam ist das nicht mehr witzig!« Ich schüttelte hektisch den Kopf und deutete auf den Boden.

»Ich mach keinen Unsinn, ich bin gefangen!« Verzweiflung bemächtigte sich meiner Stimme. Flinn legte seine Hand auf die meine, doch ich konnte ihn nicht erreichen. Und als er versuchte, die Barriere zu durchdringen, würde er zurückgeschleudert. Perplex nach Luft schnappend und auf seine verbrannten Handflächen starrend blieb Flinn hocken.

»Flinn!«, schrie ich, doch ich hatte das Gefühl, dass ich nicht gehört wurde. Ich hörte zwar, was außerhalb des Kreises geschah, doch meine Stimme drang nicht nach außen.

Di Nicola klatschte in die Hände. Das Geräusch wirkte so deplatziert in dieser Situation, das wir beide – Flinn und ich – den Kopf wandten und ihn erstaunt ansehen. »Das ist interessant. Ich wusste, dass Sie«, er deutete auf mich, »ein Dämon sind. Sobald Sie die Barriere am Eingang passiert haben, wusste ich, was Sie sind. Und als mir dann mein Freund Bilboa von Ihren Fragen berichtete, war mir auch klar, wer Sie sind. Der kleine Bannkreis, in dem Sie gefangen sind, wurde genau für diesen Zweck errichtet. Ihre Schwestern waren unermüdlich, mir mit Ihrer Rache zu drohen, dass ich Vorkehrungen getroffen habe. Ich bin ein vorsichtiger Mann. Aber was Sie sind«, Di Nicola wandte sich Flinn zu, »will sich mir nicht erklären. Sie sind kein Dämon und trotzdem können Sie den Bannkreis nicht durchdringen.« Weder Flinn noch ich hatten großes Interesse daran, Di Nicolas unausgesprochene Frage nach Flinns Naturell zu beantworten. Stattdessen beschränkten wir uns auf fassungsloses Starren. Er wusste, was ich war. Doch das war noch nicht einmal das Wichtigste. Er sprach von meinen Schwestern, als würden sie sich in seiner Gewalt befinden. Niemand hielt meine Schwestern gefangen! Rot glühender Zorn formte sich in meinem Magen, brachte mein Blut in Wallung und schaltete das rationale Denken aus. Ich war eine Rachedämonin, jemanden rächen – meine Schwestern – war mein Job. Nun, er würde schon noch lernen, was es bedeutete, sich die Wut einer Erinnye zuzuziehen.

Mein Zorn wuchs ins Unermessliche. Ich war praktisch nicht mehr in der Lage, meine Emotionen zu kontrollieren. Die Wut machte mich rasend und ließ mich zu dem werden, was ich war, ungeachtet der Tatsache, dass sie alle – Di Nicola und seine Leibwächter – mich sehen konnten. Meine menschliche Gestalt glitt von meinem Körper wie ein Kleid, das man geöffnet hatte, und ich entstieg ihm, gehüllt in nichts als Fetzen, Schatten und durchsichtigem Gewebe. Ich war ein Rachedämon und als solcher besaß ich weder Knochen noch Fleisch. Ich war ein Geist und dazu noch ein sehr wütender.

Rasend vor Zorn schrie ich auf und stemmte meine Klauen in die Barriere. Doch ich kam nicht hindurch. Ein Bannkreis ist so gut wie undurchdringbar. Ich schrie auf, aber die Schallwellen meines Gesangs durchbrachen die Barriere ebenso wenig wie meine menschliche Stimme es getan hatte. Je länger ich tobte, desto gelangweilter wurde Di Nicola. Flinn, der bis vor Kurzem noch neben mir gehockt hatte, fand sich urplötzlich im Schwitzkasten des Typen, der uns flankiert hatte, wieder. Er zappelte und kämpfte gegen ihn an, doch zwei Metern geballte Muskelkraft hatte Flinn nichts entgegenzusetzen. Vielleicht, wenn Asmodai noch in ihm wohnen würde, aber der war längst fort.

Di Nicola machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand, woraufhin der Typ begann, Flinn zu würgen. Sein Gesicht lief rot an, in Panik schnappte er nach Luft, während ich verzweifelt versuchte, den Bannkreis zu durchdringen und zu ihm zu gelangen. Erfolglos. Nicht umsonst galten sie als ultimatives Gefängnis für Dämonen. Und seit Supernatural wusste jeder Sterbliche, wie er einen Dämon aufhielt.

Ich stemmte die Hände dagegen, trat, schrie, fluchte, doch nichts half. Meine Raserei erschöpfte mich zusehends und die Hilflosigkeit lähmte mich, ließ mich in dem Maße ruhiger werden, wie Flinn die Luft zum Atmen ausging. Verzweifelt trommelte ich gegen die Barriere und musste tatenlos dabei zusehen, wie der Mann, dem ich so viel verdankte, für den ich sogar sterben würde, vor mir sein Leben aushauchte.

Kraftlos schwebte ich zu Boden und wandte mich Di Nicola zu. Er konnte ihn retten, er war der Einzige, dem der Bodyguard gehorchte. Di Nicola stand vor meinem Gefängnis und musterte mich mit unverhohlener Verachtung, während er genüsslich an seiner Zigarre zog. Ich wusste, er konnte mich nicht hören, denn sonst hätte er sich bereits auf dem Boden gewunden. Meine einzige Möglichkeit, mit ihm zu kommunizieren, waren Gesten. Also streckte ich meine Hände nach oben und bot ihm das Einzige an, was ich hatte: Meine Dienste. Die Situation kam mir seltsam vertraut vor. Schon einmal hatte ich vor einem Menschen gekniet und mir geschworen, eher zu sterben, als dass ich mich erneut in die Knechtschaft pressen ließ. Doch Eldridge von Stein war nicht daran interessiert, mich zu töten. Er wollte meine Dienste, meine Fähigkeiten als Seelensammlerin. Was Di Nicola wirklich von mir wollte, konnte ich nur herausfinden, indem ich mich freiwillig unterwarf. Zähneknirschend senkte ich das geisterhafte Haupt und hob meine Klauen noch ein klein wenig höher. Nur für den Fall, dass meine Unterwerfung noch nicht deutlich genug rüberkam.

Di Nicola lachte auf und beendete mit einer Handbewegung Flinns Leiden. Dankbar blickte ich zu ihm auf, bevor ich mich Flinn zuwandte. Er kauerte am Boden, die Wangen gerötet, der Blick entrückt, aber atmend. Er lebte. Das war das Einzige, was zählte. Mein Schicksal spielte im Moment keine Rolle. Nur Flinn war wichtig. Und meine Schwestern. Alles Weitere würde sich ergeben. Damals war ich in der gleichen hoffnungslosen Situation, und dann kam Flinn und änderte alles. Rettete mein Herz und damit mich.

Der Mann, dem ich Flinns Leben verdankte, trat in mein Sichtfeld, zog damit meine Aufmerksamkeit auf sich. Als er sich sicher war, dass ich ihn beobachtete, zertrat er eine Rune auf dem Boden – und ich hatte wieder eine Stimme. Ich wollte gerade anfangen zu schreien, als er warnend den Zeigefinger hob und auf Flinn deutete. Der Typ hinter Flinn legte ihm seine Hände auf die Schultern und presste ihn zu Boden – und ich verschloss meine Lippen. Wütend starrte ich zu Di Nicola auf. Die Warnung war angekommen.

»Du bist schnell von Begriff, das ist gut.«

»Wer bist du?«, fauchte ich, gab mir keinerlei Mühe, meine Stimme menschlich klingen zu lassen.

Di Nicola hob einen Zeigefinger. »Na, na, lass deine Banshee-Stimme schön im Kasten, dann wird niemandem etwas passieren.«

Ich zog die Lefzen zurück und entblößte meine Greifzähne. Vampire hatten vier Reißzähne, ich hatte ein ganzes Gebiss voll. Doch es nützte mir hinter der Barriere überhaupt nichts, außer vielleicht, um Di Nicola einen Eindruck dessen zu vermitteln, was ihn erwartete, sobald ich frei war. Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, wies er Flinns »Bodyguard« an, meinen Freund erneut zu bedrohen. »Nur damit keine Missverständnisse aufkommen. Wenn du dich benimmst, lebt er. Packst du die Banshee aus, kannst du dich schon mal von deinem Freund verabschieden. Haben wir uns verstanden?«

Ich knurrte böse, doch bestätigte mit einem knappen Nicken. Mit einem kurzen Seitenblick vergewisserte ich mich, dass es Flinn gut ging. Allmählich erholte er sich, gewann zusehends an Farbe. Er rieb sich zwar immer noch den Hals, hatte offenbar Schmerzen, aber er atmete und sein zorniger Blick zeigte, dass er eine gehörige Portion Wut im Bauch hatte.

»Was willst du von mir, Di Nicola?«, raspelte ich. Sobald ich mich in meiner wahren Gestalt befand, musste ich mit einer mehr gehauchten, als volltönenden Stimme sprechen. Meine Stimmbänder waren nicht länger die eines Menschen, also klang ich auch nicht mehr wie eine junge Frau.

Meine Frage schien Di Nicolas Stichwort gewesen zu sein. Auf seinem feisten Gesicht zeichnete sich ein breites Lächeln ab, während er die Zigarre sorgfältig ausdrückte und die Arme vor der Brust verschränkte. In aller Ruhe lehnte er sich gegen seinen Schreibtisch und musterte mich mit einem Lächeln, dass mir die nicht vorhandenen Haare zu Berge standen. »Du bist genau die Attraktion, die mir noch gefehlt hat.« Er leckte sich gierig die Lippen, sodass ich unwillkürlich zurückwich. »Wie du vielleicht mitbekommen hast, betreibe ich einen Nachtklub.«

»Kunststück«, zischte ich. Di Nicola überging meinen Einwurf.

»Aber keinen normalen Nachtklub. Ich biete Attraktionen. Wie dich.«

»Ich verstehe nicht ganz.«

»Nun, Menschen suchen den ultimativen Kick. Drogen bringen sie längst nicht mehr an den Rand des Wahnsinns, aber der Schrei eines Rachedämons kommt dem schon ziemlich nahe. Drogen, Alkohol und Sex reichen nicht mehr aus. Es gibt da unten ein paar Idioten, die wollen sich wahrhaft fürchten. Sie wollen so viel Angst empfinden, dass das Adrenalin ungehindert durch ihre Venen schießt.«

»Okay …«, machte ich, ohne überhaupt zu verstehen, wovon er sprach. Wenn diese Idioten den Kick suchten, sollten sie doch vor einen Zug springen und den Kopf in den Gleisbereich einer einfahrenden U-Bahn halten.

»Du hast keine Ahnung, wovon ich rede, oder?« Di Nicola schien das allerdings nicht zu stören, immerhin war er gerade dabei, uns seinen Plan für die Erlangung der Weltherrschaft darzulegen. Bösewichte störten sich selten daran, wenn die dumme, gerade in seine Falle getappte, Protagonistin keinen Schimmer hatte, was vor sich ging.

»Ich spreche von dir, mein wunderschöner Dämon. Du und deine Schwestern verschafft meinen zahlenden Kunden den ultimativen Kick, indem ich euch auf sie loslasse.«

»Bitte was? Ich greife keine Menschen an, ich räche Sünden und raube Seelen.«

»Deine Schwestern haben mir bereits ausführlich dargelegt, was euer Daseinszweck ist. Ihr sorgt für Gerechtigkeit.« Di Nicola machte eine Handbewegung, als würde er eine lästige Fliege verscheuchen. »Aber daran bin ich nicht interessiert. Ich will, dass du für mich arbeitest. Sonst …« Ich brauchte keine Demonstration, was er zu tun gedachte. Der Typ hatte Flinn erneut in den Schwitzkasten genommen und begann, ihn zu würgen.

»Schon gut, schon gut. Ich mache mit. Lass ihn los.«

Di Nicola nickte und Flinn war wieder frei. »Guter Dämon, so hab ich euch am liebsten. Und nicht, dass du denkst, sobald ich dich aus dem Bannkreis entlasse, kannst du anfangen, hier munter meine Leute zu töten …« Der Typ legte Flinn ein metallenes Halsband um und ließ es zuschnappen. Ein grünes Licht an der Vorderseite der Manschette leuchtete auf. Ein ungutes Gefühl kroch mir in den Magen und sagte mir, dass das Gerät aktiv war und ich eigentlich nicht wissen wollte, wozu Di Nicola meinte, Flinn eine Halskrause anlegen zu müssen.

Di Nicola hob eine Fernbedienung und zeigte mir das Display. »Solltest du Dummheiten machen, brauche ich nur einen Knopf betätigen und dein Freund wird enthauptet.« Shit. »Also sei ein guter Dämon und gehorche deinem neuen Meister. Dann bringe ich dich auch zu deinen Schwestern.«

Ich stieß einen saftigen Fluch aus. Ich hatte es gewusst. Aura und Sofia waren gefangen, denn sonst hätte ich sie längst gefunden. Aber ein Gutes hatte diese ganze Angelegenheit trotzdem: Unsere fruchtlose Suche hatte endlich ein Ende.

 Kapitel 4

»Sofia! Aura!«

Obwohl unsere Lage nicht aussichtsloser hätte sein können, taumelte ich in dem Glücksgefühl, endlich wieder mit meinen Schwestern vereint zu sein. Stolpernd durchquerte ich den Raum, der bei näherem Hinsehen eher einer Gefängniszelle glich. Eine altersschwach flackernde Neonleuchte tauchte den Raum in kaltes Licht. Von den Wänden bröckelte bereits der Putz und die vergitterten Fenster ließen kaum Licht hinein. Schmale Schlitze, die eher aus Notwendigkeit ins Mauerwerk gehauen worden waren, um etwas Frischluft einzulassen, aber ganz sicher nicht, damit sich die Bewohner – wohl eher Insassen – wohler fühlten. Das Geräusch, als die schwere Stahltür ins Schloss gezogen wurde, nahm ich kaum wahr. Ich hatte nur Augen für Sofia und Aura.

Sie hockten gemeinsam auf einem der drei Betten – ahja. Drei Betten waren eigentlich unnötig, da er nur zwei Gefangene hatte. Da ich jetzt allerdings hier war, wurde mir schlagartig klar, was Di Nicola vorgehabt hatte. Von Anfang hatte er damit gerechnet, mich ebenfalls gefangen zu nehmen und ich war artig in seine Falle getappt. Doch daran dachte ich nur für den Bruchteil einer Sekunde. Die Freude überwog und fegte die düsteren Gedanken wie ein Tornado positiver Gefühle hinweg. Ja, ich dachte nicht einmal mehr daran, was Di Nicola geplant haben könnte, weil meine Gedanken überschwemmt wurden. Wir waren zusammen, wir drei waren endlich wieder vereint und gemeinsam konnten wir alles schaffen.

Endlose Sekunden stand ich unschlüssig im Raum, ratlos, wie ich mich verhalten sollte, doch dann öffnete Aura ihre Arme und ich wollte schon loslaufen. »Na los, lauf schon zu ihnen. Ich sehe mich mal um. Wär doch gelacht, wenn der Einbrecher nicht auch ausbrechen könnte.« Flinns Worte schienen alle Ketten, die mich zuvor noch zurückgehalten hatten, zu lösen. Dämme brachen, meine Selbstbeherrschung bröckelte und ich stürzte los, in die Arme meiner Schwestern.

Schluchzend umarmten wir einander, wie ein Dreigestirn, die Arme und Körper so miteinander verschlungen, dass man die eine nicht von den anderen trennen konnte, ohne uns gewaltsam auseinanderzureißen. Heiße Tränen der Freude bildeten feuchte Rinnsale auf meinen Wangen, wuchen Wut und Zorn auf Di Nicola für den Moment fort. Glücklich küsste ich Aura und hielt Sofia im Arm. Meine Schwester schmiegte sich an mich und ich schlang die Arme um sie, während Aura uns beide umfing. Wir waren wieder vereint. Endlich.

»Was ist passiert? Wie hat euch Di Nicola gefangen? Und woher zur Hölle weiß er, wie man Dämonen bannt?« Die Fragen sprudelten nur so aus mir hervor. Ich wollte so dringend wissen, was ihnen zugestoßen war, dass mir die bedeutendste Frage erst gar nicht in den Sinn kam. Flinn hatte sich unsere Wiedervereinigung bei seinem Rundgang durch den Raum angesehen, doch nun gesellte er sich zu uns, hockte sich neben mich und sah uns eine nach der anderen an.

»Du solltest sie nicht mit so vielen Fragen auf einmal überfordern, Ti. Sieh sie dir an, sie sind verstört, haben Angst und freuen sich in erster Linie, dich zu sehen. Frag sie, wie es ihnen geht.« Aufmunternd nickte er mir zu.

Verdammt. Flinn hatte recht. Taktlos hatte ich sie mit Fragen bestürmt, statt zuallererst nach ihrem Befinden zu fragen. Da brauchte es einen Fremden, jemand, der die einzigartige Beziehung zwischen uns eigentlich nicht verstehen konnte, um mir zu zeigen, wie ich mit meinen Schwestern umgehen sollte. Zerknirscht sah ich zu Boden.

»Entschuldigt«, murmelte ich. »Flinn hat natürlich recht. Wie geht es euch? Hat er euch gut behandelt?« Ich sah wieder auf und suchte erst Sofias, dann Auras Blick. Ihre Augen glänzten feucht, sie waren noch immer überwältigt, dass wir wieder zusammen waren.

»Gut.« Aura hatte sich als erstes im Griff. Sie atmete tief durch und sah zu Sofia, die sich an sie schmiegte und sich an meine Hand klammerte. Sofia war die Empfindsamste von uns dreien, aber auch die, die am leidenschaftlichsten für eine Sache eintrat. War ihr Zorn einmal entfesselt, hielt sie niemand auf. Sie war es, die die schlimmsten Sünder bestrafte, sie war die Mordrächerin. Aber ihre Leidenschaft machte sie auch überaus sensibel. Sie hatte immer uns beide gebraucht und war nur glücklich, wenn wir alle zusammen waren. Mir hatte es damals überhaupt nicht gepasst, gerade sie fortzuschicken. Aura kam zurecht, sie war stark und hatte sich immer um ihre – uns – jüngeren Schwestern gekümmert. Mit ihr konnte Sofia durchhalten, trotzdem konnte Aura mein Fehlen nicht ausgleichen und obwohl ich gewusst hatte, wie Sofia würde leiden müssen, musste ich sie fortschicken. Wir hatten nicht riskieren können, dass Eldridge uns alle drei in seiner Gewalt hat. Ich verzog das Gesicht, als hätte ich auf eine Zitrone gebissen. Wie passend, dass genau das eingetreten war, was wir hatten verhindern wollen. Die drei Rachedämonen in der Gewalt eines Irren. Ich wusste nicht, ob es von Vorteil war, dass Di Nicola kein Hexenmeister war, sondern nur ein Geschäftsmann. Zwar fehlten ihm die magischen Fähigkeiten, dennoch wäre mir Eldridge von Stein fast lieber gewesen. Ihn konnte ich einschätzen. Von Mafiosi und Gangstern hatte ich absolut keine Ahnung.

»Den Umständen entsprechend«, fuhr Aura fort. »Er hat uns weder auf Raubzüge geschickt, noch sexuelle Gefälligkeiten verlangt.« Sie sah mich mit einem wissenden Blick an. Natürlich hatten wir alle drei gewusst, was Eldridge von mir wollte und wie er mich zwingen würde, es zu bekommen. Seelen waren nun mal am einfachsten zu fangen, wenn man das Opfer in Entspannung versetzte – das gedankenlose Dahintreiben auf einer nachorgastischen Welle war nahezu perfekt, um sie dem Körper zu entreißen. Natürlich hätte ich die Seele auch gewaltsam nehmen oder ganz darauf verzichten und das Opfer mit einem Schrei in den Wahnsinn treiben können, aber Eldridge hatte Seelen gewollt und davon eine ganze Menge. Schlussendlich hatte er gar nichts bekommen. Dank Flinn.

»Gut«, murmelte ich. Aura lächelte. Bewusst stellte ich nicht die Frage, die mir schier unter den Nägeln brannte. Was hatte er sonst von euch gewollt? Gäste erschrecken?

»Wie ich sehe, hast du dein Herz wieder und …«, sie legte den Kopf zur Seite und musterte mich mit ihrem Racheauge, »noch viel mehr. Schwester … eine Seele. Bist du wahnsinnig?«

Ich erwiderte ihren Blick. »Ein wenig.« Ich griff nach Flinns Hand und drückte sie zärtlich. Auras Blick flog zu unseren verschränkten Händen. Ihre Augen weiteten sich. Sie verstand.

»Das Dämonendasein war nie für dich geschaffen«, erklärte Aura und legte ihre Hand über unsere. »Ich habe es bereits in deinen Augen gesehen, als du sie das erste Mal geöffnet hast. Darin war so viel Liebe und du hattest keine Möglichkeit, Gefühle zu empfinden. Als würde dein Herz eine Sprache sprechen, die du nicht verstehst. Die Rache war nie dein Weg und es hat mir immer große Sorgen bereitet, zusehen zu müssen, wie du unter unserer Arbeit leidest. Als Eldridge dich gefangen genommen hatte, wusste ich, dass es dir sehr viel schwerer fallen würde, als Sofia oder mir. Aber du hast es geschafft, denn das, was ich damals als deine größte Schwäche sah, war in Wirklichkeit deine größte Stärke.« Ihr Blick glitt zu Flinn, der sie verständnislos ansah. Er konnte unmöglich begreifen, was Aura meinte. Nicht, weil er zu dumm war, oh nein, Flinn war nicht dumm. Es war eher so, dass Aura von Dingen sprach, die jemand, der von Geburt an eine Seele hatte, nicht verstehen konnte. Versuch mal, einem Pygmäen, der sein Leben lang in den Dschungeln Afrikas gelebt hatte, das Konzept von einem Haus oder einem Dach über dem Kopf zu erklären. Elektroherd, Kühlschrank oder eine Waschmaschine? Er wird es genauso wenig verstehen, wie Flinn, als Aura von Gefühlen sprach, die man nicht empfinden kann, weil uns Dämonen der entscheidende Teil fehlte: Die Seele. Was ich allerdings mit Flinn hatte, würden Aura und Sofia ihrerseits nie begreifen können, und trotzdem sagte sie so etwas Verständnisvolles. Ergriffen füllten sich meine Augen mit Tränen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752140934
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
gestaltwandler dämonen teufel mondsüchtig engel dark urban fantasy dark fantasy luzifer hexen Urban Fantasy Fantasy düster Liebesroman Liebe

Autor

  • Kitty Harper (Autor:in)

Kitty Harper ist das Pseudonym einer jungen Mutter, die gerne in sinnliche Erotik abtaucht, ohne dabei vulgär zu weden. Manchmal ein wenig SM, manchmal aber auch starke Frauen, die den Herren der Schöpfung zeigen, wo es langgeht. Kitty hofft, dass ihr genauso viel Spaß an ihren Geschichten habt, wie sie selbst.
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Titel: Mondsüchtig: Die Schwestern des Todes