Lade Inhalt...

Texte zur forensischen Psychiatrie III

Politisierte Psychiatrie und Medizin im heutigen Russland und deren Auswirkungen auf die Schweiz

von Catja Wyler van Laak (Autor:in)
114 Seiten

Zusammenfassung

Der dritte Band „Texte zur Forensischen Psychiatrie III“ hat zum Thema: „Politisierte Psychiatrie und Medizin im heutigen Russland und deren Auswirkungen auf die Schweiz.“ Nach dem Fall der Mauer und der Auflösung der damaligen Sowjetunion und des Warschauer Paktes standen 2.9 Millionen Agenten im In- und Ausland im Sold des KGB. Unüberschaubare Mengen von Geldern des ehemaligen KGBs wurden an den Börsen, nicht zuletzt auch an der Wall Street in Umlauf gebracht. Die zentrale Wirkungsstelle des damaligen Sowjetischen Geheimdienstes Lubjanka wird damals wie heute benutzt um die Zersetzung von Staaten und die Tötung von Menschen in- und ausserhalb Russlands vorzubereiten. Mit der Taktik des Individualterrors war es Stalin und sein Nachfolgern gelungen Zersetzung und Tod bis weit in die westlichen Demokratien hinein wirksam werden zu lassen, eine Methode, die sich seit Beginn dieses Jahrtausends unerkannt, ausgehend von Russland wieder ausbreitet. Die folgende Publikation beschreibt unter Berücksichtigung von Wissenschaft, Medizin und Psychiatrie abgestützt auf reichhaltiges Quellenmaterial die Strategien des heutigen Russlands, zeigt Parallelen zur ehemaligen Sowjetunion auf und präsentiert die Auswirkung auf Westeuropa und speziell auf die Schweiz. Dabei fokussiert die Autorin auf die psychologischen Mechanismen der Macht und beschreibt die Subtilität der Methoden, die sich im Westen einschliesslich der Schweiz zunächst in einer Veränderung der Alltagspsychologie ausgewirkt haben bzw. auswirken verbunden mit schleichenden Veränderungen im Rechtsverständnis und in der Rechtsanwendung.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Einleitung:

Am 23. November 2016 starb der britische Staatsbürger und ehemalige FSB Agent Alexander Litvinenko qualvoll an einer Poloniumvergiftung. In Grossbritannien wurde den rechtsstaatlichen Erfordernissen folgend eine ebenso mutige wie umfassende Detailarbeit geleistet um den Tod von Alexander Litvinenko zu untersuchen. Die britischen Behörden konnten nachweisen, dass der russische international tätige Geschäftsmann Dimitri Wadimowtich Kovtun und Andrei Lugovoy, ehemaliger Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes KGB und später des russischen FSB für den Tod von Alexander Litvinenko verantwortlich sind. Im Grossbritannien sind die beiden Männer wegen Mordes angeklagt. Die Auslieferung beim russischen Staat wurde beantragt. Die Auslieferung wurde seitens Russland verweigert mit dem Hinweis, dass Grossbritannien seinerseits nicht bereit gewesen war oder gewesen sei Alexander Litvinenko, den russischen, (inzwischen verstorbenen, Anm. der Ref.) Geschäftsmann Boris Berezowsky und andere in Russland Verfolgte, die in Grossbritannien Asyl erhalten hatten, an Russland auszuliefern. Andrei Lugovoy wurde im Jahr 2007 von Präsident Putin in die Staatsduma berufen.

Die Britischen Untersuchungsbehörden stellten Kontaminierungen mit radioaktivem Material an den von den Tätern benutzten Flugzeugen fest, sowie an verschiedenen Hotels und Geschäftsräumen; nicht zuletzt auch an Handtüchern in einem Hotel, Handtücher, die bis zur Entdeckung von zahlreichen Hotelgästen benutzt worden waren. Die Handtücher waren zum Teil hochkontaminiert, weil Polonium ausgelaufen war und von den Tätern versucht worden war dies mit einem Hotelhandtuch aufzuwischen. Die Briten versuchten alles um die betroffenen Hotelgäste ausfindig zu machen.

Radioaktives Polonium wurde auch an verschiedenen Plätzen in Deutschland gefunden wo die Täter einen Zwischenhalt eingelegt hatten. Die britischen Behörden hatten zudem Hinweise, (die sie nicht als Beweismaterial gewichteten; Anm. der Ref.), dass der Anschlag auf Alexander Litvinenko nicht der erste Anschlag aus Russland mit radioaktivem Material war und nicht der Letzte sein sollte.1

Von russischer Seite gab es bei den Ermittlungen um den Tod von Alexander Litvinenko erhebliche Obstruktionen. Dies betrifft vor allem die Untersuchung der kontaminierten Flugzeuge und den Versuch der britischen Behörden direkt in Russland vor Ort zu ermitteln.

Die Untersuchungsergebnisse, die Grossbritannien detailliert der ganzen Welt im Internet zur Verfügung gestellt hat, wurden bezeichnenderweise von den meisten Medien totgeschwiegen und auch auf Kongressen ist kaum etwas darüber zu hören. Während die Literatur über die von imperialistischen Interessen getragenen Kriege im Nahen und Mittleren Osten vielfältig ist und hier besonders und in vielfacher Hinsicht nachvollziehbar die USA und ihre Verbündeten im Fokus der Kritik stehen, breitet sich über die fortlaufende Bedrohung, die seit Beginn dieses Jahrtausends von Russland in Wiederaufnahme der Tradition des alten kommunistischen Regimes ausgeht, ein nicht nachvollziehbares Mäntelchen des Schweigens aus.

Nach dem Fall der Mauer und der Auflösung der damaligen Sowjetunion standen 2.9 Millionen Agenten im In- und Ausland im Sold des KGBs. Unüberschaubare Mengen von Geldern des ehemaligen KGBs wurden an den Börsen nicht zuletzt auch an der Wall Street in Umlauf gebracht, ein Unterfangen, an dem nachweislich auch der heutige Präsident Russlands beteiligt war. Die zentrale Wirkungsstätte des ehemaligen Sowjetischen Geheimdienstes Lubyanka wird damals wie heute benutzt um die Zersetzung von Staaten und die Tötung von Menschen in- und ausserhalb Russlands vorzubereiten.2 Mit der Taktik des Individualterrors war es Stalin und seinen Nachfolgern gelungen Zersetzung und Tod bis weit in die westlichen Demokratien hinein wirksam werden zu lassen, eine Methode, die sich seit Beginn dieses Jahrtausends unerkannt ausgehend von Russland wieder ausbreitet. Der russische Jurist und Autor, Arkadi Vaksberg macht für die Tatsache, dass sich der tschekistische Terror im letzten Jahrhundert in Europa und in der ganzen Welt ausbreiten konnte, auch die westliche Intelligenz und die diplomatischen Dienste verantwortlich.3 Die folgende Publikation wird unter Berücksichtigung von Wissenschaft, Medizin und Psychiatrie die Strategien des heutigen Russlands darstellen, Parallelen zur ehemaligen Sowjetunion aufzeichnen und die Auswirkungen auf Westeuropa und speziell auf die Schweiz präsentieren; Auswirkungen, die so gravierend sind, dass der russische Jurist Vaksberg davon ausgeht, dass von diesen heute selbst die Vereinigten Staaten in ungeahntem Ausmass betroffen sind. Zum Abschluss dieser Einleitung soll Alexander Litvinenko zu Wort kommen, der in den Jahren vor seinem Tod gemeinsam mit andern russischen Exilanten unermüdlich versucht hatte auf die weiterhin fortbestehende Gefahr, die Russland für die Welt darstellt, aufmerksam zu machen.

„I would like to thank many people. My doctors, nurses and hospital staff who are doing all they can for me; the British Police who are pursuing my case with rigour and professionalism and are watching over me and my family. I would like to thank the British Government for taking me under their care. I am honoured to be a British citizen.

I would like to thank the British public for their messages of support and for the interest they have shown in my plight.

I thank my wife, Marina, who has stood by me. My love for her and our son knows no bounds.

But as I lie here I can distinctly hear the beating of wings of the angel of death. I may be able to give him the slip but I have to say my legs do not run as fast as I would like. I think, therefore, that this may be the time to say one or two things to the person responsible for my present condition.

You may succeed in silencing me but that silence comes at a price. You have shown yourself to be as barbaric and ruthless as your most hostile critics have claimed.

You have shown yourself to have no respect for life, liberty or any civilised value.

You have shown yourself to be unworthy of your office, to be unworthy of the trust of civilized men and women.

You may succeed in silencing one man but the howl of protest from around the world will reverberate, Mr. Putin, in your ears for the rest of your life. May God forgive you for what you have done, not only to me but to beloved Russia and its people.”

„Ich möchte vielen Menschen danken. Meinen Ärzten, den Pflegefachfrauen und allen Spitalangestellten, die alles getan haben, was sie können für mich. Der britischen Polizei, die meinen Fall mit Kraft und Professionalität versucht hat vorwärts zu bringen und mich und meine Familie bewachen. Ich möchte der britischen Regierung danken, dass sie mich unter ihren Schutz genommen hat. Ich fühle mich geehrt ein britischer Bürger zu sein. Ich möchte gerne der britischen Öffentlichkeit für ihre Zeichen der Unterstützung danken und für das Interesse, das sie gezeigt haben an meinem Schicksal. Ich möchte meiner Frau Marina danken, die immer an meiner Seite gestanden ist. Meine Liebe zu ihr und unserem Sohn kennt keine Grenzen. Aber wie ich hier liege, kann ich unüberhörbar den Flügelschlag des Todesengels hören. Vielleicht kann ich ihm noch von der Schippe springen, aber ich muss sagen, meine Beine rennen nicht so schnell wie ich das gerne hätte. Ich denke deshalb, dass der Punkt gekommen ist ein oder zwei Dinge über die Person zu sagen, die verantwortlich ist für meinen gegenwärtigen Zustand:

Vielleicht warst Du erfolgreich mich zum Schweigen zu bringen. Aber dieses Schweigen hat seinen Preis. Du hast Dich selbst als barbarisch und grausam entlarvt. So wie Deine schlimmsten Feinde behauptet haben. Du hast Dich selbst entlarvt als jemand, der keinen Respekt vor dem Leben hat, keinen Respekt vor der Freiheit und keinen Respekt vor nur einem einzigen zivilisierten Wert. Du hast Dich Deines Amtes und den zivilisierten Männern und Frauen unwürdig gezeigt. Es wird Dir möglicherweise gelingen einen Mann zum Schweigen zu bringen. Aber das Heulen des Protestes rund um die Welt wird widerhallen in Deinen Ohren Hr. Putin, für den Rest Deines Lebens. Möge Gott Dir vergeben für das, was Du getan hast, nicht nur mir angetan hast, sondern meinem geliebten Russland und seinen Menschen.“4/5

Aspekte zur Strategie der Sowjetischen Politik und der sowjetischen Geheimdienste

Arkadi Vaksberg beschreibt die Taktik des sowjetischen Terrors in seiner Publikation „Toxic Politics“ folgendermassen. „In the history of terror, the bedrock of Soviet state policy, the most important pillar was individual terror, meaning it was not targeted against any group as a blanket deterrent but instead was targeted, selective and aimed at specific individuals. It targets a real or imagined enemy, someone whose continued existence is unwanted and whose removal through legal means is either undesirable or not possible.6 … “Much has been written about the Great Terror, or the quasi-judicial and extrajudicial punishment during the Soviet era of missions of Soviet citizens. What is less well known is this totally different and little-known area of state terror-the secret killings. More often then not they were masked as accidents or natural death. It was a practice that was widely adapted throughout the entire period of Soviet power and has remained in place during the post-Soviet period. In fact it is perhaps even more widespread now than under the Bolsheviks.7/8 Diese Informationen finden in der Tat in der westlichen Welt wenig Beachtung und anders als gegenüber den unerwünschten Praktiken, die der imperialistische Teil der USA ausübt, besteht kaum Interesse sie zur Kenntnis zu nehmen. Um die terroristischen Praktiken des heutigen Russland angewandt innerhalb und ausserhalb Russlands zu erkennen, zu verstehen und um ihnen zu begegnen, müssen wir uns mit den weniger bekannten Terrorpraktiken des Stalinismus und des Sowjetkommunismus befassen. Der russische Historiker und Autor Yuri Felshtinsky beschreibt, dass die Unkenntnis und das Desinteresse sowie die Naivität, mit der teilweise dem heutigen Russland begegnet wird, eine Vorgeschichte hat in der Naivität und Arglosigkeit, mit der in der westlichen Welt zeitweise das kommunistische Regime betrachtet wurde. In diesem Zusammenhang verweist er auf den Umgang mit dem Tod Trotzkis. Nachdem Trotzki 1929 aus der Sowjetunion ausgewiesen worden war, sei bemerkenswert gewesen, dass man den Äusserungen Trotzkis über den sowjetischen Terror wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe. Felshtinsky beschreibt, dass niemand Interesse hatte an den Darstellungen Trotzkis, nicht zuletzt an den Darstellungen über den Tod Lenins, der möglicherweise durch Stalin vergiftet worden war. Dies liege daran, dass die Linke mit der Sowjetunion sympathisierte und Stalin und die sozialistische Ordnung nicht kompromittieren wollte. Die antisowjetische Rechte misstraute Trotzki, weil sie der Meinung war, dass jeder Kommunist lüge und, was besonders wichtig sei, so Felshtinsky, niemand, absolut niemand habe das Ausmass der Kriminalität des stalinistischen Regimes verstanden.9 1939 hatte Trotzki, der von Stalin ins Exil geschickt worden war, einen Artikel versucht zu veröffentlichen, der das Ausmass von Stalin’s kriminellem Regime darstellte. Trotzki’s Artikel, den er zuerst am 13. Oktober 1939 an das Life Magazin übermittelte, wurde niemals publiziert. Am 10. August 1940, nachdem er 10 Monate verloren hatte, konnte Trotzki den Artikel schliesslich in gekürzter Form im Magazin Liberty veröffentlichen. 10 Tage später wurde er vom NKVD Agenten Ramon Mercader getötet.10

Bittere Erfahrungen der Folgen der Unterschätzung des Stalinismus und des Kommunismus musste auch Polen machen. Dem polnischen Volk war es nachdem Hitler Polen überfallen hatte, unter dem nazionalsozialistischen Regime in einzigartiger Weise gelungen eine Widerstandsbewegung aufzubauen. Die gesamte polnische Bevölkerung versuchte sich im Widerstand, mit Ausnahme der deutschstämmigen Polen, die als fünfte Kolonie der Nazis bezeichnet wurden und beim Einmarschieren der Nazis den Polen in den Rücken fielen.11 Im Untergrund hatte Polen einen kompletten Untergrundstaat aufgebaut mit Krankenhäusern, Schulen, einer Regierung, die teilweise im Exil lebte (Grossbritannien und Frankreich). Mit Sachverstand, Menschlichkeit und Mut gelang es den Polen Nazispione innerhalb ihrer Reihen ausfindig zu machen und zu liquidieren. Alles war vorbereitet nach dem Sturz des Naziregimes ein freies Polen aufzubauen. Die Bürger waren da, die Infrastruktur war da, die politische Erfahrung, die Umsicht, die Kenntnis und die Einsatzbereitschaft.

2 ½ Wochen nachdem Hitler am 1. September 1939 Polen überfallen hatte, wurde Ostpolen am 17. September 1939 von der Roten Armee besetzt. Die Argumentationslinie, die der „Dienst der Roten Armee für Propaganda und Agitation“ genauestens vorbereitet hatte, wurde in einer Ansprache an die versammelten Soldaten als Erklärung, warum eine gepanzerte Kolonne der 6. Sowjetarmee von der ukrainischen Front nach Polen eingedrungen war, widergegeben. Der polnische Hauptmann Wielszorski las folgende Erklärung vor: „Die Sowjetunion hat die Grenze überschritten um mit uns zusammen gegen die Deutschen zu kämpfen, die Todfeinde der Slawen und der gesamten menschlichen Rasse. Wir können nicht auf Befehle des polnischen Oberkommandos warten. Es gibt kein polnisches Oberkommando mehr. Wir müssen uns mit den Sowjetkräften vereinen, denn Plaskow verlangt, dass wir uns sofort seiner Einheit anschliessen und zuvor unsere Waffen niederlegen. Die Waffen werden wir später zurückerhalten. Ich unterrichte alle Offiziere in Hörweite von diesen Tatsachen und befehle allen Unteroffizieren und Mannschaften, dem Ersuchen von Kommandant Plaskow zu folgen, Tod für Deutschland! Lang lebe Polen und die Sowjetunion.“12 Den Sowjets war es aus taktischen Gründen wichtig nicht als Aggressor dazustehen.13 Obwohl der Widerstand gegen die Sowjetunion uneinheitlicher war, versuchten die Polen auch in Ostpolen eine Widerstandsbewegung zu formieren. Zwei Kuriere, die Mitte Dezember 1939 eingetroffen waren, der eine aus Paris, der andere aus Warschau, die beide denselben Befehl für eine den Aufbau der Strukturen einer Widerstandsorganisation mitbrachten, waren der Auslöser zur Gründung zweier Widerstandsbewegungen gewesen. Was die widerstandsbewegten Polen nicht erkannten war, dass sich zahlreiche sowjetische Geheimdienstmitarbeiter in den Untergrund der Polen eingeschlichen hatten mit dem deklarierten Ziel den polnischen Untergrund zu zerstören, wenn die Nazionalsozialisten den Krieg verloren hatten. Es war Polen nicht möglich (und sie hatten auch nicht das ausreichende Risikobewusstsein) diese Gefahr zu erkennen und ihr zu begegnen.“ Dem NKWD (Anmerkung der Referentin: Sowjetischer Geheimdienst) gelang es in beide Organisationen gut getarnte Agenten einzuschleusen und sie mehrfach zu zerschlagen indem er Massenverhaftungen durchführte. Im „Prozess der vierzehn“ wurden die Angehörigen gebrochen und zum Sprechen gebracht und im Februar 1941 erschossen.“14 Am 1. März 1943 wurde in Moskau offiziell die Organisation ZPP gegründet, Bund Polnischer Patrioten, das Instrument der Sowjets um gegen die legale Regierung in London zu kämpfen und sie abzulösen.15 1943 wurden alle Bewohner aus den polnischen Gebieten, die am 1. November 1939 in die Sowjetische Föderation eingegliedert worden waren, endgültig zu Sowjetischen Staatsbürgern erklärt. Ende 1939 hatte Karski einen im sowjetischen besetzten Teil Polens in Lwow angesiedelten ehemaligen Studienprofessor getroffen um ihn für den Bund für den bewaffneten Kampf (ZWZ) zu gewinnen. Dieser hatte ihm folgendes gesagt: „Eines müssen Sie verstehen und den Männern in Warschau sagen“, begann er, „die Bedingungen hier sind sehr anders. Zum einen sind die Gestapo und die G.P.U. zwei vollkommen unterschiedliche Organisationen. Die Männer der russischen Geheimpolizei sind geschickter und besser ausgebildet. Ihre Methoden sind überlegen. Sie gehen weniger grob vor, sondern mehr wissenschaftlich und systematisch. Viele Tricks und Listen, die in Warschau gut funktionieren, werden in Lwów nicht verfangen. Oft können die verschiedenen Gruppen des Widerstands nicht das Risiko eingehen, Kontakt aufzunehmen, weil es zu schwierig ist, den Agenten der GPU zu entgehen, ja, sie überhaupt zu erkennen.“16 Gegen Ende des Krieges traf Jan Karski General Sikorski, der ihm sagte, dass er vor allen Dingen dazu beitragen wolle Einigkeit innerhalb der Vereinten Nationen zu wahren. Nur diese Einigkeit könne die Menschheit von Hitler’s Fluch befreien. „Niemand kann derzeit die künftige Entwicklung absehen. In meiner eigenen Politik halte ich die Zusammenarbeit zwischen allen Mitgliedern der Vereinten Nationen für unabdingbar. Als Premierminister und Pole werde ich alles in meiner Macht Stehende tun um die Zusammenarbeit zu fördern. Polen möchte und wird sowohl während des Krieges als auch danach mit der Sowjetunion zusammenarbeiten. Nicht deshalb, weil Russland mächtig ist, sondern weil eine solche Zusammenarbeit für ganz Europa von Vorteil ist. Das bezieht sich selbstverständlich auf ein freies, unabhängiges Polen, das von seinem eigenen Volk nach eigenen Gesetzen und auf Grundlage seiner Traditionen und Kultur regiert wird.“17 Nach Ende des Krieges vom 18. - 21. Juni 1945 wurden 16 legale Verantwortliche des ehemaligen polnischen Untergrundstaates durch den NKWD entführt, festgenommen und in Moskau in einem Schauprozess verurteilt.18 Eine der ersten Handlungen der Sowjetunion nach dem Krieg war es gewesen die Untergrundregierung vollständig zu zerschlagen, in deren Dynamik und personelle Ressourcen sie durch das Einschleusen ihrer Agenten bereits zu Kriegszeiten selbst in deutschen Besatzungsgebieten besten Einblick hatten. Damit hat die in ihrer Grausamkeit unterschätzte Sowjetunion Polen für lange Zeit jeglicher Hoffnung auf Freiheit beraubt.

Der ungarische Kardinal Jozsef Mindszenty, verhaftet von den Nazis und später von den ungarischen Kommunisten, gibt in seinem Buch „Erinnerungen“19 eine Detaildarstellung über Taktik und Vorgehen der Sowjetkommunisten in Ungarn nach dem Krieg ab. Mindszenty beschreibt wie ein raffiniertes System von Zersetzung mit den Mitteln von Lügen und Täuschung die ungarische Kultur und den Zusammenhalt der Ungarn nach dem zweiten Weltkrieg untergruben und mit welch offensichtlicher Naivität viele Menschen den Beteuerungen der Sowjets und ihrem Bekenntnis zu Freiheit und Menschenrechten Glauben schenkten, Mindszentys „Erinnerungen“ können als Lehrbuch verstanden werden wie es gelingen könnte die damals von den Sowjets eingesetzten Techniken zu erkennen und ihnen Widerstand zu leisten, sofern man sich seinen Scharfsinn und Kenntnisreichtum und sein uneingeschränktes Bekenntnis zur Wahrheit zum Vorbild nehmen möchte. Auch angesichts der Entwicklung im heutigen Russland ist Mindszentys Publikation „Erinnerungen“ heute aktueller denn je, und könnte helfen Opportunismus, sorgloser Naivität und unangemessenen Verbrüderungstendenzen unter dem Mäntelchen von Frieden, Freiheit und Verantwortung vorsichtiger zu begegnen. Kardinal Mindszenty war offensichtlich Opfer von „Individualterror“. Er charakterisiert in seinen Erinnerungen den „Sinn“ eines solchen Vorgehens folgendermassen: „Ich will den Hirten schlagen, dann wird sich die Herde zerstreuen. (Mt.26,31)“.20

Radioaktive- und andere Vergiftungen-Russland gestern und heute

Der 1922 in Nishni Novgorod geborene, im KGB arbeitende Hauptmann Nikolai Khokholov war 1952 vom KGB beauftragt worden die NTS (National Alliance of Russian Solidarists) Führer Gegory Okolovich und Vladimir Poremsky zu töten. Er sollte Anschläge auf die beiden in Frankfurt organisieren. Khokhlov führte diesen Auftrag nicht aus. Er erschien stattdessen in Okolovichs Appartment und erzählte ihm, dass man ihn geschickt habe den Anschlag auf die NTS Führer in Frankfurt zu organisieren. Eine lange Diskussion folgte. Schliesslich entschieden sie, dass Kholokov desertieren würde und dass Okolovich ihn mit der CIA in Verbindung bringen würde. Für dieses Vorgehen wurde Khokhlov in Moskau in Abwesenheit für Verrat zum Tode verurteilt. Am 15. September 1957 kurz nachdem er seine Memoiren publiziert hatte, wurde Nikolai Khokhlov im Palmengarten in Frankfurt ohnmächtig, während er auf eine jährliche politische Konferenz wartete, die durch den NTS Emigranten Posev wöchentlich veranstaltet wurde. Einer der belgischen NTS Aktivisten, der an der Konferenz anwesend war, Yevgeny Drevinsky erinnerte sich später, dass Khokhlov nur ein Schlückchen von einer Kaffeetasse genommen hatte, die ihm auf Wunsch eines Begleiters gebracht worden war, aber dann gehört hatte, dass eine interessante Rede gerade angefangen hatte und hinausrannte um diese zu hören, ohne den Kaffee fertigzutrinken. Im Universitätsspital, wo man Khokhlov hinbrachte, vermutete man eine Vergiftung. Khokhlov erbrach sich. Sein Kopf war wirr. Er hatte hohe Temperatur und Schmerzen. Man brachte ihn auf die gastroenterologische Station und diagnostizierte eine Lebensmittelvergiftung. Fünf Tage später tauchten rote und braune Streifen, dunkle Flecken und schwarze und blaue Markierungen auf Khokhlov‘s Gesicht und Körper auf. Eine klebrige Flüssigkeit sickerte aus seinen Augen. Grosse Haarbüschel fielen auf die leichteste Berührung hin ab. Blut erschien in seinen Poren und seine Haut wurde trocken und gespannt, riss, wenn man sie spannte. An Stellen, wo die Haut besonders dünn war, wie hinter den Ohren und unter den Augen, musste man Khokhlov das Blut andauernd abwischen. er konnte nicht bandagiert werden, weil die Binden die Krusten abrissen und die Wunden neu öffneten. Sein Blut unterlief einem Prozess der Zersetzung, den die Ärzte nicht verstehen konnten. Tests, die am 22. September durchgeführt wurden, zeigten, dass die weissen Blutkörperchen schnell und irreversibel zerstört wurden. Sie waren von einem normalen Level von 7000 auf 700 gefallen. Khokhlov’s Speicheldrüsen atrophierten. Man nahm eine Knochenmarksprobe und es stellte sich heraus, dass die blutbildenden Zellen überwiegend abgestorben waren. Es setzte eine Nekrose der Schleimhäute des Mundes, der Kehle und des Ösophagus ein. Es war schwierig für ihn zu essen, zu trinken und zu sprechen. Nachdem Khokhlov von einem deutschen in ein amerikanisches Militärspital nach Frankfurt verlegt worden war, wurden ihm hohe Dosen von Cortison, Vitaminen, Steroiden und andern Medikamenten gegeben, während man ihn mit i.v. Ernährung und andauernden Bluttransfusionen am Leben erhielt. Ein Anästhesiologe war immer zur Hand um sein Leiden zu mildern. Lösungen wurden für seinen Mund vorgeschlagen, der absolut keinen Speichel mehr hatte. Nach 3 Wochen begann sich Khokhlov’s Zustand zu bessern. Bald verliess er das Spital, obwohl er während vielen Monaten kahl blieb und sein Körper mit Narben bedeckt war. Die Diagnose war zunächst „Thalliumvergiftung.“ Etwas später fanden Amerikanische Toxikologen in New York heraus, dass Khokhlov mit radioaktivem Thallium vergiftet worden war. Es ist möglich, dass Khokhlov nur überlebte, weil er keine ausreichende Dosis des Gifts konsumiert hatte. Dies ist die erste Erwähnung von radioaktivem Gift, das durch den sowjetischen Geheimdienst benutzt wurde.21 In den 90er Jahren nach der Wende kamen neue Trends in die Geheimdienstorgane des Russischen Staates. Der FSB, die Nachfolgeorganisation des KGB, benutzte Gift, eine mörderische Waffe, nicht nur um gegen ideologische Feinde vorzugehen wie in den Sowjetzeiten, sondern gegen Kritiker des KGB/FSB im In- und Ausland. Diese Kategorie von Opfern schlossen Yuri Shchekochikhin, Staatsdumaabgeordneter und stellvertretender Chefredakteur der Zeitung Novaya Gazeta, die mutige Reporterin Anna Politkovskaya und Alexander Litvinenko, den früheren FSB Leutnant ein.22

Alexander Litvinenko wurde am 4. Dezember 1962 in Voronezh geboren. Er war Officer im Committee for State Security KGB und dem späteren Federal Security Service FSB. Litvinenko verliess Russland nachdem er und seine Kameraden Verbindungen zwischen FSB und der organisierten Kriminalität (Drogenkriminalität, organisierte Pädokriminalität) erkennen mussten, diese veröffentlichten und deshalb verfolgt wurden.

Im Jahr 1991 wurde Alexander Litvinenko’s Arbeit beim KGB im Bereich Wirtschaftssicherheit, und organisierte Kriminalität zugewiesen. Wirtschaftssicherheit bedeutete auch den Schutz von Unternehmen. In diesem Zusammenhang begann er erstmals gegen die Aktivitäten der Tambov Kriminellengruppe zu ermitteln, eine Gruppe organisierter Kriminalität, die ihre Basis in St. Petersburg hatte. Sie wurde von Vladimir Kumarin, als Barsukow bekannt, und von Alexander Malyshev geführt. Litvinenko fand Beweismittel, dass die Tambov Gruppe engagiert war im Heroinschmuggel von Afghanistan, via Uzbekistan und St. Petersburg nach Westeuropa und was noch wichtiger war, er fand Belege, dass es einen breiten Zusammenschluss zwischen der Tambov Gruppe und den KGB Offizieren einschliesslich Wladimir Putin und Nikolai Patrushev gab.23 Über diese Erkenntnisse hat er später im United Kingdom in seinem Buch „The Gang from the Lubyanka“ und in der kürzeren Fassung, „The Uzbek File“ publiziert.24 Im Jahre 1994 lernte Litvinenko den Geschäftsmann und Oligarchen Boris Berezowsky kennen, der bei der Liberalisierung Russlands sehr aktiv war und in den 90er Jahren erheblichen politischen Einfluss gewonnen hatte. Im Jahr 1994 traf Berezowsky Alexander Litvinenko in dessen Funktion als FSB (Anm. der Ref.: FSB: „Nachfolgeorganisation“ des KGB) Offizier. Dieser hatte den Befehl die Arbeiten zu kontrollieren und eine Untersuchung über seine Geschäfte zu machen. Die Untersuchung war gedacht um Berezowsky zu schützen, der 1994 in Moskau Subjekt einer Terrorattacke geworden war. Eine Autobombe war explodiert, als er sein Büro verlassen hatte, der Fahrer wurde getötet, der Bodyguard verletzt, ebenso wie Berezowsky selber, der in der Folge 2 Wochen in einem Schweizer Spital verbrachte. Litvinenko und Berezowsky hatten verschiedene Treffen und Litvinenko konnte 1995 Boris Berezowsky unter dem Schutz eines diplomatischen Passes in die Schweiz begleiten, welcher ihm vom FSB ausgestellt worden war, sodass es den Anschein hatte, dass die Reise unter dem Segen der Regierung stattfinde. Zwischen Boris Berezowsky und Litvinenko entwickelte sich eine Freundschaft. 1995 wurde in Moskau ein Mann namens Vlad Listyev ermordet. Listyev war Chef einer unabhängigen Fernsehstation, die von Berezowsky kontrolliert wurde. In der Folge kam die Polizei bei Berezowsky vorbei um ihn als Mörder von Listyev zu verhaften. Berezowsky schickte eine Message an Litvinenko, der die Polizei daran hindern konnte dies zu tun. Sowohl Berezowsky wie auch Litvinenko hatten die Furcht, dass Boris Berezowsky im polizeilichen Gewahrsam, in den er genommen werden sollte, ermordet werden sollte. Man ging davon aus, dass die Intervention Litvinenkos im Hinblick auf Boris Berezowsky mindestens von seinem damaligen Vorgesetzten des FSB autorisiert gewesen sein muss. Im Sommer 1997 wechselte Alexander Litvinenko innerhalb des FSB zum „Department of Investigation and Prevention of Organised Crime“, bekannt als URPO. Die entsprechenden Mitglieder waren mit speziellen Aufgaben beauftragt, die als an der Grenze der Legalität bezeichnet werden könnten.25

Ende 1997 wurde Alexander Litvinenko mit der Durchführung einer Anzahl von URPO Operationen beauftragt, die er als unrecht wahrnahm. Die erste betraf einen ehemaligen FSB Offizier, Mikhail Trepashkin. Litvinenko und seine URPO Sektion wurden beauftragt diesen zu überfallen, ihm seine Koffer wegzunehmen und seine FSB Identitätskarte.26 Die zweite dieser Operationen betraf den in Moskau lebenden tschetschenischen Geschäftsmann, Umar Dzhabrailov. In seiner Publikation „The Gang from the Lubyanka“ beschreibt Litvinenko, dass seine Sektion beauftragt wurde den prominenten Geschäftsmann zu kidnappen und Geld zu erhalten um Lösegeld zu zahlen für Offiziere, die in tschetschenischer Gefangenschaft waren. Im Buch steht auch, dass die Sektion beauftragt worden war die Polizei niederzuschiessen, die den Auftrag hatte Dzhabrailov zu schützen.27 Die dritte Operation bezog sich auf Boris Berezowsky. Alexander Litvinenko wurde beauftragt Boris Berezowsky körperlich zu vernichten. „Ich widersetzte mich dem Befehl, ich gehorchte nur deshalb nicht, weil es ein illegaler Befehl war.“28 („I disobeyed the order only because it was an illegal order“) Litvinenko’s Handlung nach einigen Wochen war, Berezowsky zu treffen und ihn über den Befehl, den er erhalten hatte, zu informieren. Auf Berezowsky’s Rat hin wandte sich Litvinenko an Evgeny Savostianov, der in dieser Zeit Präsident Jelzin’s Stellvertreter, Deputy Chief of Staff war. Er brachte den Fall an den Military Prosecution Service und riet, sie sollten eine Akte im Sinne einer offiziellen Beschwerde anlegen, was Litvinenko machte.29 Im Mai und Juni 1998 übergab Alexander Litvinenko dem Military Prosecution Service die entsprechenden Beweismittel.30 Im Juni 1998 entliess Präsident Jelzin den Chef des FSB und ersetzte ihn durch Wladimir Putin. Berezowsky arrangierte es, dass Litvinenko und Putin sich treffen konnten und Litvinenko erzählte Putin über die FSB Korruption und die ungesetzlichen Operationen. Das Treffen zwischen den beiden Männern fand im Juli 1998 statt.31 Litvinenko sei skeptisch gewesen. Er erlebte Putin als unerfahren und wusste, dass dieser selber involviert war in kriminelle Aktivitäten aus seinen Tagen in St. Petersburg.32

Im Oktober 1998 wurde die URP Untersuchung vom militärischen Prosecution Service abgeschlossen. Die Schlussfolgerung der Ermittlungen war, dass keine Verbrechen stattgefunden hätten. Die Anklage von Litvinenko und seinen Kollegen wurde zurückgewiesen.33 Am 13. November 98 publizierte Berezowsky einen offenen Brief an Putin. Dort sprach er an, dass die Welle von kriminellem Terror steige, dass die Mafia die Macht übernehme. Er bat Putin seine Macht zu nutzen um die verfassungsmässige Ordnung zu sichern. Am 17. November 1998 ging Alexander Litvinenko mit seiner Kritik am FSB in einer Pressekonferenz in Moskau an die Medienöffentlichkeit. Vier von Alexander Litvinenko’s Begleitoffizieren vom URPO erschienen ebenfalls.34 „Niemals in der Geschichte des russischen Security Service hat der FSB sich so öffentlich exponiert. Mr. Litvinenko und die andern berichteten über Korruption und Kriminalität im FSB und der Tatsache, dass das System, welches eingerichtet wurde um die Menschen zu schützen sich umwandelte in ein System, vor dem die Menschen geschützt werden müssen. Er machte auch Details der aussergesetzlichen Aktionen öffentlich, die das FSB vorhatte gegenüber Trepashkin, Dzhabrailov und Berezowsky.“35 (Deutsche Übersetzung Referentin) Zu diesem Zeitpunkt hoffte Berezowsky, der Putin’s Aufstieg gefördert hatte, dass Putin innerhalb des FSB Änderungen vornehmen würde. Im Dezember 1998 jedoch wurden alle Offiziere, die in die Pressekonferenz involviert waren, vom FSB entlassen. Sie erhielten bei Berezowsky einen Job als Berater36. Am 25. März 1999 wurde Alexander Litvinenko verhaftet und im FSB Gefängnis Lefortovo in Moskau inhaftiert. Die Anklage gegen Litvinenko war, dass er seine Befugnisse überschritten habe. Alexander Litvinenko verbrachte 8 Monate in Gefangenschaft im Lefortovo FSB Gefängnis. Berezowsky versuchte bei Putin vorstellig zu werden um für Litvinenko einzustehen ohne Erfolg.37 Frühere Kollegen von Litvinenko wurden unter Druck gesetzt, falsche Aussagen gegen ihn zu machen, aber sie weigerten sich. Als das Gerichtverfahren stattfand vor dem Moskauer Regionalmilitärgericht am 29. November 1999, wurde Litvinenko in allen Punkten freigesprochen. In dem Moment seien sofort Menschen in den Gerichtsraum gekommen und gesagt, sie seien vom FSB und sie hätten einen weiteren Befehl … und sie müssten ihn arrestieren.38 In der Folge wurde Alexander Litvinenko angeklagt, er habe Menschen misshandelt und Waren auf einem Moskauer Markt gestohlen. Litvinenko wurde erneut inhaftiert aber in ein anderes Gefängnis gebracht. Im Dezember 99 wurde er gegen Kaution entlassen. Die Beweismittel brachen in sich zusammen, weil Alexander Litvinenko beweisen konnte, dass er an dem fraglichen Tag nicht auf diesem Markt war.39 Nun wurde ein drittes Set von Anklagen gegen Alexander Litvinenko vorgebracht. Der Vorwurf war, dass er einem Verdächtigen Beweismittel unterschoben habe. Er wurde nicht arrestiert aber sein Passport wurde konfisziert und er durfte Moskau ohne Erlaubnis nicht verlassen.40 Erneut wurden Weggenossen unter Druck gesetzt um falsch gegen ihn auszusagen. Unter anderem berichtete der Vater von Alexander Litvinenko Walter, dass er von den russischen Behörden in dieser Zeit schikaniert worden sei. Alexander Litvinenko war zunehmend besorgt um seine Sicherheit und die seiner Familie in Russland während des Jahres 2000. In dieser Zeit versuchte Felshtinsky, der später den britischen Behörden dazu Beweismittel gab, den früheren Chef der URPO zu treffen um herauszufinden, ob man Litvinenko erlauben würde Russland zu verlassen. Er musste erkennen, dass man Litvinenko als eine Person ansah, die einen Verrat begangen hatte. In der Folge sei Litvinenko von einem FSB Colonel angehalten worden mit folgenden Worten. „Wir werden nicht weiter mit dir diskutieren. Wir werden dich töten, um es deutlich zu sagen, wir werden deinen 6 Jahre alten Sohn töten. Du wirst angeklagt werden für irgendein Verbrechen, was du begangen haben sollst. Jeder weiss, dass du die Verbrechen nicht begangen hast. Du wirst angeklagt und verurteilt werden dafür das System betrogen zu haben und offen gegen das System agiert zu haben.“41 (Übersetzung durch Referentin) In der Folge entschloss sich Alexander Litvinenko zur Flucht. Erst flohen seine Frau und der Sohn, später er selbst. Am 1. November 2000 kam Alexander Litvinenko mit Frau und Sohn in Grossbritannien an. 2001 wurde ihm Asyl gewährt und im Oktober 2006 wurde er britischer Staatsbürger.

Congratulate me. I just became a British citizen. Now they won’t dare to touch me. No one would try to kill a British citizen.42/43 Dies waren die Worte, mit denen Alexander Litvinenko Yuri Felshtinsky in London am 13. Oktober 2006 begrüsste an einem Gedenkgottesdienst für Anna Politkovskaya, die mutige, wahrheitsliebende Russische Journalistin, die nach einem Vergiftungsversuch am 1. September 2004 am 7. Oktober 2006 unmittelbar vor ihrer Wohnung erschossen worden war.44

Der Russische Dissident Vladimir Bukovsky berichtete, dass Litvinenko etwa im Jahre 2002 ein Telefon eines früheren Kollegen von Lubyanka erhalten hatte, welches Mr. Litvinenko sehr in Aufregung gebracht hatte. Alexander Litvinenko gab Bukovsky folgende Auskunft über den Inhalt des Gespräches. „Do you feel save, secure in Britain; come on, remember Trotsky.45

In den Jahren 2000 bis 2006 hatte sich Alexander Litvinenko weiterhin mit dem Federal Security Services FSB und dessen Verbindung mit organisierter Kriminalität befasst. In Grossbritannien benutzte er seine Kontakte und die Fähigkeiten, die er als FSB Geheimdienstoffizier in Russland erworben hatte. Wenige Monate vor seinem Tod bereitete er eine Aussage vor für die spanische Justiz. Er war dokumentiert über Verbindungen des russischen Staats zur organisierten Kriminalität in Spanien und konnte diesbezüglich beweiskräftige Dokumente vorlegen.

Ausser wegen eines banalen Rückenproblems benötigte Litvinenko in Grossbritannien keine ärztliche Behandlung. Am Abend des 16. Oktober 2006 fühlte er sich krank, erholte sich aber nach ein paar Tagen wieder und am 31. Oktober 2006 fühlte er sich gesundheitlich wieder vollkommen hergestellt. In der Nacht des 1. November fühlte sich Alexander Litvinenko krank. In den frühen Morgenstunden des 2. November begann er zu erbrechen. Das Erbrechen war unstillbar.46 Während des ganzen 2. November 2006 konnte er weder essen noch Getränk zu sich nehmen. Minerallösung und Salz von einem Doktor der russischen Community empfohlen erbrach er ebenso. Am frühen Morgen des 3. November entschloss sich seine Frau die Ambulanz zu holen. Während des 3. Novembers klagte er über Schmerzen und blutigen Durchfall. Am Nachmittag des 3. November wurde Mr. Litvinenko ins Burnett Hospital gebracht.47 In der Folge litt Alexander Litvinenko unter profuser Diarrhoe, starken Bauchschmerzen. Die erste Diagnose war Gastroenteritis mit milder Dehydratation. Der Grund für die Symptome konnte nicht gefunden werden. Die Blutuntersuchungen zeigten, dass Alexander Litvinenko extrem hohe Level Kreatinin hatte, ein hohes Bilirubin und hohe weisse Blutkörperchen, was als Folge der Diarrhoe und des Erbrechens interpretiert wurde. Versuche mit antibiotischer Behandlung schlugen fehl. Die „Blutzellen“ begannen kontinuierlich abzusinken.48 Die Ehefrau machte die behandelnden Ärzte darauf aufmerksam, dass ihr Mann normalerweise extrem fit und gesund sei und dass er gefährliche Personen kenne und erwähnte ebenfalls, dass Freunde von ihm vergiftet und getötet worden seien. Die Ärzte antworteten ihr, dass die Symptome im Bereich des Üblichen lägen und dass es nicht wahrscheinlich sei, dass jemand ihren Mann hätte vergiften wollen oder ihm absichtlich eine Infektion hätten zufügen wollen.49 Einer der Ärzte bemerkte jedoch, dass die Symptome denjenigen eines Patienten mit akuter Leukämie ähnelten, welcher mit intensiver Chemotherapie und radioaktiver Strahlung vor einer Knochenmarkstransplantation behandelt worden sei. Am 16. November wurde der Verdacht einer Thalliumvergiftung gestellt. Alexander Litvinenko wurde am 17. November ins University Collage Spital überwiesen. Er begann am 18. November Blut zu erbrechen. Die Temperatur stieg in die Höhe. Er hatte Herzrhythmusstörungen und er erbrach weiter. Die Knochenmarksfunktion brach zusammen. Die Diagnose einer Thalliumvergiftung musste wegen normaler Thalliumwerte im Blut verworfen werden. Bluttransfusionen waren ebenso wirkungslos wie weitere medizinische Massnahmen. Am 21. November hatte Alexander Litvinenko einen Herzstillstand, wurde reanimiert. Inzwischen hatten wissenschaftliche Untersuchungen in Speziallabors (AWE; Atomic Weapon Establishment in Aldermaston, das einzige Labor in Grossbritannien, das eine radioaktive Vergiftung entdecken konnte, von einer Substanz, die Alpha Strahlung aussendet.)50 Polonium im Blut von Alexander Litvinenko gefunden. Alexander Litvinenko erlitt einen zweiten und schliesslich am 23. November um 8.51 Uhr einen dritten Herzstillstand, von dem er sich nicht mehr erholte. Um 9.21 Uhr wurden die Wiederbelebungsbemühungen eingestellt. Die Todesursache war multiples Organversagen, progressives Herzversagen.51

Die medizinische Untersuchung des Körpers von Alexander Litvinenko ergab, dass dieser an einem akuten Strahlensyndrom gestorben war, begründet durch die Einnahme von nahezu 4.4 GBq Polonium 210.52 Die Untersuchungen ergaben ferner, dass er zweimal Polonium 210 eingenommen hatte. Dies konnte anhand der Haaranalysen festgestellt werden.53 Die Wissenschaftler und Ärzte stellten fest, dass die erste Einnahme zwischen dem 14. und 23. Oktober stattgefunden haben musste. Wegen der Beeinflussung des Haarwachstums unter Radioaktivität, war es für die Wissenschaftler schwierig das exakte Datum festzustellen. In der Nacht auf den 16. Oktober hatte Alexander Litvinenko eine plötzliche Krankheitsepisode gehabt, welche 24 Stunden dauerte. Er hatte starkes Erbrechen in dieser Zeit gehabt. Die Untersucher kommen zum Schluss, dass dies die Auswirkung der ersten Ingestion von Polonium 210 gewesen sei. Kompatibel mit diesem Datum sind auch die Befunde von Radioaktivität im Hotel, in dem die Täter übernachtet hatten, in den Geschäftsräumen, in denen sie sich zu dieser Zeit aufgehalten hatten, und in den Flugzeugen, in denen sie geflogen wurden. Die Untersuchungen ergaben, dass die Ingestion während eines Treffens in London stattgefunden haben musste am Nachmittag des 16. Oktober 2006 zwischen 3 Uhr und 3.40 Uhr.54 Die zweite tödliche Dosis nahm Alexander Litvinenko am 1. November 2006 zwischen 4 und 4.30 Uhr p.m. in der Pine Bar des Millennium Hotels in London ein, wo er sich mit dem Geschäftsmann Kovtun und dem ehemaligen sowjetischen Geheimdienstmitarbeiter Andrei Lugovoy getroffen hatte. Wochen nach der Vergiftung konnten die Behörden eine Teekanne sicherstellen, die hochkontaminiert war und es konnte rekonstruiert werden, dass aus dieser Teekanne Litvinenko Tee von den Tätern angeboten und eingegossen worden war.55 Andre Lugovoy hatte sowohl Boris Berezowskys wie auch Alexander Litvinenkos Vertrauen genossen, weil er im Kontext der Auseinandersetzungen wegen Korruption im FSB inhaftiert und im Jahr 2001 verurteilt worden sein soll. Er war beschuldigt worden einem Begleiter von Boris Berezowsky zur Flucht verholfen zu haben. Nach 15 Monaten Gefangenschaft sei er entlassen worden. Die Untersuchungen kamen jedoch nach dem Tod von Alexander Litvinenko zum Schluss, dass Lugovoy ein FSB Agent war, der die Aufgabe hatte gegen Boris Berezowsky und seine Begleiter vorzugehen und dass die „Verurteilung und Gefangenschaft“ ein Fake war, der konstruiert worden sei um die Glaubwürdigkeit der beiden gegenüber Berezowsky und der russischen Community zu erhöhen und so Zugang zu den russischen Dissidenten zu erhalten.56 Am gleichen Tag, an dem Alexander Litvinenko vergiftet wurde, am 1. November 2006 hatte ein Mitstreiter und Mitarbeiter, Mario Scaramella Mr. Litvinenko mitgeteilt, dass er Informationen erhalten habe, dass es eine Hitliste über russische Individuen gäbe, die zunehmender Bedrohung ausgesetzt seien. Die Ziele würden einschliessen: Anna Politovskaya, (inzwischen ermordet, Anmerkung der Ref.), Mr. Scaramella selbst. Mr. Guzzanti, (Paolo Guzzanti, italienischer Journalist, Chairman der Parlamentarischen Mitrokhin Commission; Anmerk. der Ref.), Mr. Berezowski (inzwischen eines unklaren Todes gestorben, siehe unten; Anmerk. der Ref.), Mr. Zakajev und Mr. Litvinenko (verstorben) sowie weitere.57 Der Leser sollte in diesem Zusammenhang zur Kenntnis nehmen, dass es sich bei der aufgezählten Liste nicht nur um Russische Dissidenten handelt sondern auch um Personen, die sich ausserhalb Russlands mit Korruption beschäftigen und in diesem Zusammenhang Nachforschungen anstellen und veröffentlichen. Mr. Scaramella, der die Nachricht übermittelte, Berater der Mitrokhin Commission, trug ein Schriftstück mit mehreren Kontaktnummern auf sich in dem stand: „Bitte kontaktieren Sie auch die Polizei und die Sicherheitsbehörden, weil ich in Gefahr bin wegen meiner Arbeit für das italienische Parlament (Senator Paolo Guzzanti). Es besteht das Risiko, dass ich vergiftet worden bin.“58 Die Referentin hat sich entschlossen diesen Aspekt an dieser Stelle unterzubringen, weil sie damit die wichtige Information in diese Publikation eingeführt hat, dass sich die Auswirkungen der mafiösen Strukturen der russischen Geheimdienste in enger Verwobenheit mit der Regierung in Russland in Europa verbreitet haben. Die Litvinenko Injury erwähnt hier namentlich Verbindungen, insbesondere in Italien und Spanien. Auf der Grundlage von entsprechenden Gesetzesänderungen von 2006, auf die die Referentin später zu sprechen kommen wird, legitimieren sich der russische Staat und die Geheimdienste „Kritiker“ des russischen Staates auf der ganzen Welt zu eliminieren.59

Im Jahre 2006 publizierte „The Times“ einen offenen Brief der Dissidenten Vladimir Bukovsky und Oleg Gordievsky, in dem beide auf die von Russland ausgehende drohende Gefahr für die Welt aufmerksam machten.60

Robert Service, Professor für Russische Geschichte an der Oxford University und als Gutachter und Experte in der Litvinenko Untersuchung mitwirkend, äusserte, dass die Gesetzeszusätze von 2006 „contained no permission for the assassination of extremists who were no terrorists.“ …61 Die einzige „legale“ Begründung für die Ermordung von „Oppositionellen“ sei, dass sie unter das Terrorismusgesetz fallen.62 In seiner Analyse kommt Professor Service zum Schluss, dass die neuen Gesetze Russlands aus dem Jahre 2006 praktisch zur Folge haben „a new feeling for the FSB to feel free, to act without constraint.“63 Sie seien eine „legal encouragement for acting physical action abroad.”64

Auf Druck der Witwe von Alexander Litvinenko widmeten sich die britischen Behörden auch der Fragestellung inwieweit der russische Staat für die Tötung von Alexander Litvinenko verantwortlich ist. Unter anderem auf dem Hintergrund der Analysen über die Herkunft des Polonium 210 und Analysen zur Fragestellung wer in der Lage sein könnte Polonium in dieser Menge zu entnehmen und zu transportieren kamen die Behörden zum Schluss, dass es wahrscheinlich ist, dass dem FSB die Operation Mr. Litvinenko zu töten vom Chef des FSB im Jahre 2006 Nikolay Patrushev und von Präsident Wladimir Putin gewährt worden sei.

Die britischen Behörden stellten einen Auslieferungsantrag der beiden Mörder an den Russischen Staat. Dieser wurde von Russland verweigert. Darüber hinaus wurde in Russland ein Schutzwall um Lugovoy und Kovtun aufgebaut. Während Kovtun eher zurückhaltend war bezüglich der öffentlichen Aufmerksamkeit, habe sich Lugovoy bei jeder Gelegenheit öffentlich inszeniert. Er wurde willkommen geheissen in der liberalen demokratischen Partei und wurde ein erfolgreicher Kandidat bei den Dumawahlen im Jahre 2007. Er war Ratgeber in zahlreichen Shows und Fernsehsendungen. Diese Karrieren von Lugovoy und Kovtun seien undenkbar ohne politische Einflussnahme, schliessen die britischen Untersucher. Lugovoy sei eine prominente, offiziell respektierte, öffentliche Figur. Im März 2015, noch während der Strafuntersuchung der Briten erhielt Lugovoy von Präsident Putin die Ehre für die Dienste am Vaterland.65

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752140811
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
Schweiz Macht Russland forensische Psychiatrie politische Psychiatrie und Medizin Geheimdienst Recht Jura

Autor

  • Catja Wyler van Laak (Autor:in)

Dr. med. Catja Wyler van Laak, FMH Psychiatrie und Psychotherapie/Forensische Psychiatrie und Psychotherapie führt heute eine Praxis für Coaching und Beratung. Publikationen: 2010 "Was hat L. mit uns zu tun? Therapie eines Sexualstraftäters und was das mit uns zu tun hat", 2013 "Texte zur forensischen Psychiatrie I", 2015 "Rechtlose Zustände?", 2017 u. 2018 "Texte zur forensischen Psychiatrie II und III", 2020 "Die Arzt-Patient-Beziehung in Zeiten gesellschaftlicher Herausforderungen-Was Zählt?"
Zurück

Titel: Texte zur forensischen Psychiatrie III