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Herzensbegegnung auf Sylt

Jake, Sylter Inselhund

von Ben Bertram (Autor:in)
96 Seiten
Reihe: Jake, Sylter Inselhund, Band 6

Zusammenfassung

Ich seufzte. Irgendwas fehlte. Klar hatte ich inzwischen viele Freunde auf meiner Insel. Mein bester Hundefreund ist Milo, und auch meine Sommerliebe aus dem letzten Jahr ist inzwischen zu einer guten Freundin geworden. Dass Ben mein allerbester Freund ist, wisst ihr ja bestimmt. Mein Herrchen und ich haben eine ganz besondere Beziehung, und ich bin wahnsinnig glücklich darüber, ihn an meiner Seite zu haben. Trotzdem war ich manchmal irgendwie ein wenig traurig. Warum? Ganz einfach, ich wünschte mir eine Freundin. Ein Menschenkind, das mit mir am Strand spielt, und das ich beschützen kann. Eines Tages fanden wir einen pinkfarbenen Stoffelefanten herrenlos am Strand. Wem er gehörte, wusste ich nicht, dass ich helfen wollte, war mir aber sofort klar. Doch noch etwas weckte meine Neugier. Dieser unbeschreiblich schöne Duft, der an diesem Tier hing! Er roch so einzigartig, so gut, so nach … Hope. Steigt ein in mein neues Abenteuer und begleitet mich, wie ich die Welt rette. Okay … ich habe vielleicht etwas übertrieben. Aber ein Stofftier rette ich schon.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis



Helldunkel

Natürlich hatte mein Herrchen auch gestern Abend die Vorhänge nicht richtig zugezogen, und so konnte ich von meinem Körbchen aus die Welt checken. Okay, nicht die ganze Welt, aber zumindest den Himmel über uns. Meinen Westerländer Heimathimmel, den ich so sehr liebte. Allerdings war es heute anders. Klar war der Himmel dort, wo er sich auch sonst befand. Auch der Spalt des Vorhangs ähnelte dem der letzten Tage, und doch erkannte ich, dass sich mein heutiger Ausblick irgendwie von dem der letzten Tage und Wochen unterschied.

Woran liegt es nur? Was zum Kuckuck ist heute anders? Diese Fragen gingen mir bestimmt zum vierten Male durch den Kopf, und ich ärgerte mich maßlos darüber, dass ich keine Antworten fand.

Vielleicht komme ich ja drauf, wenn ich mich an die Balkontür stelle?! Schon während meiner Gedanken hüpfte ich aus meinem Schlafkörbchen und machte mich auf den Weg.

Leider änderte sich nichts. Noch immer konnte ich den Unterschied nicht beschreiben.

„Irgendwie ist das doch krümelige Katzenkacke. Ich erkenne einen Unterschied und weiß trotzdem nicht, was anders ist.“ Wütend über mich drehte ich mich um und sah zu meinem Herrchen hinüber. Vielleicht konnte er mir ja bei der Antwortfindung behilflich sein. Zumindest dann, wenn er seine Augen endlich öffnete.

Leider befand sich Ben noch immer im Schlafmodus. Regungslos lag er in seinem Bett und atmete ruhig vor sich hin.

Ob ich ihn einfach wecke? Nur kurz dachte ich darüber nach, dann drehte ich mich wieder zur Balkontür und sah hinaus. Erneut ging mein Blick hinauf in den Himmel, und ich erkannte Möwen, wie sie über der Sylter Welle kreisten. Dort über dem Schwimmbad sah ich sie häufig fliegen. Es schien fast so, als würden sie ihren Tag immer dort beginnen.

Wahrscheinlich haben sie auch ihre Rituale und … Abrupt stoppte ich meinen Gedanken, während sich ein beruhigendes Lächeln auf meine kleine Hundeschnauze legte.

„Manchmal stehe ich echt auf der Leitung. Die Lösung ist ja wohl obereinfach. Warum bin ich da denn nicht gleich draufgekommen? Es ist heute nur helldunkel, und ich glaube …“ Ein lautes Lachen stoppte meine Worte.

Da ich das Lachen kannte, drehte ich mich direkt zu Ben und sah ihn irritiert an.

„Warum lachst du so komisch? Und überhaupt, ich denke du pennst noch.“

„Es ist heute also helldunkel draußen Von diesem Helldunkel habe ich noch nie etwas gehört. Wo genau befindet sich das auf der Farbskala?“ Mein Herrchen sprach und lachte zugleich.

„Ja, ist es. Sieh doch selbst nach. Wenn du nicht noch immer in der Koje herumlungern würdest, könntest du es erkennen.“ Bens restliche Worte ignorierte ich einfach. Seine blöde Farbskala war mir piep egal.

Ob ich wütend auf mein Herrchen war?

Nun ja, wer wird schon gerne ausgelacht. Zudem auch noch von einem Typen, dessen Knackarsch sich noch immer auf der Matratze befand. Okay, Ben saß inzwischen auf der Bettkante, sein Hinterteil berührte das Bett allerdings trotzdem.

„Ach, mein kleiner Jake …“ Jetzt war ich mit Unterbrechen an der Reihe. Immer, wenn Ben einen Satz auf diese Art begann, folgte eine lange Geschichte. Doch nicht nur das. Seine Ausführungen waren in diesen Momenten häufig so, als würde er zu einem Blödhannes sprechen.

„Fasse dich kurz. Ich muss pinkeln und will raus.“ Unsere Blicke trafen sich, und wir begannen nahezu gleichzeitig zu grinsen.

„Okay, ich mache es kurz. Der Frühling ist da, und das Frühlingserwachen kommt mit großen Schritten auf uns zu.“ Stolz, wahrscheinlich aufgrund seiner kurzen Ausführung wurde ich angesehen.

„Ja, und?“ Ich hatte nicht begriffen, was dieses Frühlingserwachen mit meinem Helldunkel zu tun hatte.

„Ach, mein kleiner Jake …“ Ein leises Räuspern von mir genügte. Ben stoppte seinen Satz und begann nochmals.

„Die Tage bekommen wieder mehr Helligkeit. Der Winter ist längst vorbei, und wir steuern auf die Frühlingsmitte zu. Es wird morgens wieder früher hell und am Abend später dunkel.“ Ben bekräftigte seine Worte mit einem Nicken. Dann beugte er sich zu mir und strich mir über den Kopf.

„Aber warum ist es mir heute so doll aufgefallen?“ Irgendwie wunderte ich mich darüber.

„Das ist ganz einfach. Die letzten Tage war tristes und graues Wetter. Der Himmel war wolkenverhangen, und dadurch ist es automatisch dunkler.“

„Stimmt. Heute ist keine Wolke zu sehen.“ Da Ben inzwischen aufgestanden war und die Balkontür geöffnet hatte, hielt ich meine Schnüffelnase hinaus. Allerdings nur kurz, da mich die ersten Sonnenstrahlen des Tages förmlich aufforderten, ganz hinaus zu gehen.

„Jake? Jake, wo bist du?“ Wie häufig mich mein Herrchen bereits gerufen hatte, konnte ich nicht sagen. Zusammengerollt lag ich auf dem Balkon und genoss die Strahlen des gelben Planeten. Auch wenn die Sonne zu dieser Uhrzeit nur eine kleine Ecke erwärmte, hatte ich es mir dort gemütlich gemacht. Doch nicht nur das. Ich war sogar eingeschlafen und fand es ausgesprochen blöd, von Ben geweckt zu werden.

„Hier bist du also.“ Mein Lieblingsmensch hatte mich gefunden und sprach daher direkt weiter. „Sag mal, Kleiner, musst du gar nicht zu deinem Lieblingsbaum?“ Ben sah mich erstaunt an.

„Nein … oder warte … also, jetzt wo du es sagst, fällt es mir auch auf. Los, beeil dich, sonst schaffe ich es nicht bis zum Baum.“ Ich sprang auf und lief zur Haustür.

Einige Minuten später fühlte ich mich erleichtert.

„Wollen wir an den Strand?“ Bens Frage war überflüssig. Klar wollten wir. Voller Vorfreude lief ich den mir bekannten Weg entlang und war erstaunt darüber, dass es sich auch hier anders anfühlte.

Alles duftete so herrlich frisch, und die auf meiner Nasenspitze tanzenden Sonnenstrahlten sorgten für ein wärmendes und wohliges Gefühl. So durfte der Frühling bleiben.

Ich mag es, wenn der Tag helldunkel beginnt. Während meines Gedankens musste ich schmunzeln. Ich sah mein Herrchen und entdeckte ein Grinsen auf seinen Lippen.

Ihm schien der Frühling auch zu gefallen. Oder machte er sich etwa schon wieder über mein helldunkel lustig?

Ich beschloss, mir darüber keinen Kopf zu machen, sondern den ersten schönen Tag des Jahres zu genießen.

Rosa ist uncool

Erst, als ich den salzigen Geschmack der Nordsee auf meinen Lippen spürte, verließen mich die Gedanken an den Frühling.

Ich hob meine Nase hoch in die Luft und fing den Duft der weiten Welt ein. Diesen Geruch von Freiheit, der immer wieder dafür sorgte, dass ich Sehnsucht bekam. Es war Sehnsucht, die sich mit dem Drang nach Freiheit paarte und dafür sorgte, dass meine Schritte schneller wurden.

Am Übergang zum Brandenburger Strand hatte ich Ben bereits weit hinter mir gelassen und wäre am liebsten direkt hinunter an den Strand gelaufen. Dorthin, wo ich für mein Leben gern schnüffelte und tobte.

Natürlich tat ich es nicht. Ich war schließlich gut erzogen und wartete brav auf mein Herrchen. Okay, natürlich war auch mein Gehorsam für das Warten verantwortlich.

Doch es gab noch einen Grund für das Warten. Auch meine Angst war dafür verantwortlich. Ich mochte es einfach nicht, wenn ich Ben nicht in Sichtweite hatte. Selbst, wenn ich mich am Strand häufig weit von ihm entfernte, legte ich großen Wert auf die Möglichkeit, dass sich unsere Blicke treffen konnten.

Ganz bestimmt war es meiner Vergangenheit als Straßenhund geschuldet. Nie wieder wollte ich ohne meinen Lieblingsmenschen sein, was mir meine Verlustängste häufig genug verrieten.

Als Ben endlich bei mir angekommen war, lag ein Lächeln auf meinen Lippen. Nicht wegen seines langsamen Schlenderns, sondern wegen meiner Gedanken von eben.

„Sehnsucht nach Freiheit. Ich lach mich schlapp. Meine große weite Welt ist Sylt. Ist dieser Strand, von dem ich mir sicher bin, dass es auf unserer Erde keinen schöneren gibt. Hier bin ich zu Hause, und hier will ich auch nicht weg.“ Ich sprach leise zu mir selbst und war kurz erstaunt, dass mich mein Herrchen allem Anschein nach verstanden hatte.

„Ich will hier auch nie wieder weg. Trotzdem darfst du jetzt loslaufen. Attacke, mein Jaki, ich bin auch gleich da.“ Mit einem Nicken deutete Ben zum Strand.

Dann flitzte ich los.

Nach einigen Sprints und vielen scharfen Kurven, lief ich jetzt auf mein Herrchen zu. Mit ausgebreiteten Armen stand er unten an der Wasserkante und rief voller Freude meinen Namen.

Kurz bevor ich bei ihm ankam, schlug ich einen Haken und wechselte die Richtung.

„Hey, du Nase. Warte, ich fang dich.“ Auch mein Herrchen lief los und verfolgte mich.

„Wie willst du Schnecke mich denn kriegen?“

„Gleich habe ich dich.“ Freudige Worte drangen in meine Schlappohren. Ich war etwas langsamer gelaufen und hatte Ben näher an mich herankommen lassen.

„Träumer!“ Lachend gab ich wieder Vollspeed und hatte Sekundenbruchteile später erneut einen großen Abstand zwischen uns gebracht.

Was war das denn? Ich stoppte so abrupt, dass der Sand aufspritzte. Irgendetwas rosafarbenes lag im Sand und hatte meine Neugier geweckt. Ich lief drei Schritte zurück und näherte mich mit meiner Schnüffelnase vorsichtig dem Ding.

Essbar scheint es nicht zu sein, dachte ich und sah mir das Dingsbumsteil genauer an.

Aber es duftet nach … Ich hatte keine Ahnung, wie ich den Geruch beschreiben sollte.

„Hab ich dich doch erwischt. Siehst du mein kleiner Räuberhauptmann, ich bin doch schneller als du.“ Ben hockte neben mir im Sand und hatte seine Arme um meinen Körper gelegt.

„Witzig. Als wenn du mich bekommen hättest.“ Während ich sprach, hatte ich meine Augen weiterhin auf das Dingsbumsding gerichtet.

„Oh … Schau mal, Jake. Da liegt ja was im Sand.“

„Dein Ernst? Was glaubst du wohl, warum ich hier stehe? Bestimmt nicht, um Sandkörner zu zählen.“ Ich schüttelte meinen Kopf und klatschte dabei versehentlich meine braunen Schlappohren in Bens Gesicht.

„Hey, was soll das denn?“ Natürlich hatte mein Herrchen es nur aus Spaß gesagt. Er wusste ganz genau, dass ich es nicht mit Absicht getan hatte.

Vielleicht sollte ich es zukünftig immer so machen, wenn er blöde Fragen stellte. Irgendwie gefiel mir meine Idee, und ich musste lächeln.

„Lachst du den Elefanten aus?“ Ben sah mich an und amüsierte sich.

„Ich lache nicht. Ich lächele und zwar deinetwegen.“ Erst nach meiner Antwort fiel mir auf, dass mein Herrchen eben irgendeinen komischen Namen genannt hatte. Was blieb mir also anderes übrig, außer eine Frage zu stellen? Nichts!

Und genau deshalb sprach ich weiter. „Was ist das? Wie hast du dieses schreckliche rosa Dingsbumsteil genannt? Ententanz? Was hat das Ding denn bitteschön mit tanzenden Enten zu tun?“ Fragend und neugierig sah ich zu meinem Lieblingsmenschen.

„Ein Elefant in rosa. Schau mal, Jake, den hat bestimmt ein kleines Kind verloren. Vielleicht sogar das da vorne?“ Ben sprang auf und wollte sich in die Richtung des Kindes machen.

„Nicht dein Ernst. Oder? Dieser komische Elfotrant ist rosa. Ganz bestimmt gehört er niemals dem Jungen dort. Das ist doch voll peinlich. Ich habe schließlich auch nur coole Männerbälle. Falls du dich erinnerst, die Farbe der Bälle ist übrigens blau.“ Ich atmete tief durch, da ich erstaunt darüber war, auf welch dusselige Ideen mein Herrchen manchmal kam.

„Vielleicht können wir uns den Weg aber auch sparen. Ich glaube, dass der Elefant wahrscheinlich eher einem Mädchen gehört. Immerhin ist er rosa.“ Bens stolzer Blick brachte mich zum Lachen.

„Ach, wirklich, dass du da jetzt von ganz alleine draufgekommen bist, finde ich toll.“ Ich drehte mich zur Seite. Mein Mensch musste ja nicht unbedingt mitbekommen, dass ich ihn gerade auslachte. Immerhin hatte ich auch schon häufiger mal auf der Leitung gestanden und erst nach Hilfe von Ben den Wald gefunden, obwohl ich vorher bereits unendlich viele Bäume entdeckt hatte.

„Wollen wir versuchen, den Elefanten zu seinem Besitzer zu bringen? Die beiden sozusagen wieder zusammenzuführen?“ Auch wenn es eine Frage war, wusste ich, dass Ben kein Nein akzeptierte. Allerdings hätte ich seine Frage auch niemals mit einem Nein beantwortet.

„Klar wollen wir.“

Zusammen mit dem Elfotranten, oder wie das Dingsbumsteil auch immer hieß, verließen wir den Strand und machten uns auf den Weg in unsere Wohnung.

Foto

„Was machst du da eigentlich?“ Bestimmt seit zehn Minuten stellte Ben das rosafarbene Teil auf unterschiedlichen Plätzen ab und hielt sein Handy relativ dicht davor.

Okay, dass er fotografierte, hatte ich inzwischen geblickt. Aber wofür die Bilder gedacht waren? Ich hatte echt keine Idee. In unserer Wohnung hingen tolle Landschaftsfotos, natürlich von Sylt, und wenn einer der Rahmen ein anderes Motiv enthielt, war ich es, der frech von der Wand grinste.

Dieser Elfotrant passte hier so gar nicht rein, und selbst wenn er es täte, würde ich kein Bild von ihm haben wollen.

„Gleich bin ich fertig. Dann suche ich das beste Foto aus.“ Ben sprach zu mir, ohne mich anzusehen.

„Danke für die Info. Meine Frage war aber, was du da machst. Um es genauer auszudrücken, warum knipst du das Dingsteil? Solltest du es aufhängen, vielleicht sogar in einem verschnörkelten rosa Bilderrahmen, kannst du es gerne auf dem Klo machen. In diesen Raum kommt es schon mal auf keinen Fall.“

Während ich redete, stöpselte Ben das Handy an den PC und drückte irgendwelche Tasten. Dann drehte er sich ruckartig um und sah mich an.

„Komm mal her, wir müssen ein Bild aussuchen. Welches wollen wir nehmen?“ Noch bevor ich reagieren konnte, hatte er sich wieder zum PC gedreht und mir den Rücken zugewandt.

„Auch ein schöner Rücken kann entzücken.“

„Was hast du gesagt?“

„Nix.“

Als ich wenig später neben meinem Herrchen stand, erkannte ich auf dem Bildschirm viele bunte Bilder. Zugegebenermaßen waren die Fotos schick. Trotzdem verstand ich die Notwendigkeit noch immer nicht.

„Und … Welches magst du?“ Aus den Augenwinkeln heraus wurde ich angesehen.

Keins. Ich finde diesen Elfotranten nicht wirklich toll. Geh doch lieber an den Strand und mach das fünftausendste Bild einer Welle. Meinetwegen darfst du auch eine Buhne knipsen, obwohl wir mit deinen Buhnenbildern ganz Deutschland versorgen könnten. Nach meinen Gedanken schluckte ich und sah meinen Lieblingsmenschen an. Ich erkannte den Stolz in seinen Augen und wollte ihn nicht enttäuschen.

„Nimm das Bild.“ Ich stupste mit meiner kleinen Hundenase gegen den Bildschirm und hinterließ einen nassen Abdruck. „Ups … Sorry.“ Ich wusste, dass Ben immer ausgesprochen sorgfältig mit seinen Arbeitsgeräten umging und bekam ein schlechtes Gewissen.

„Das mag ich auch am liebsten. Dann mache ich jetzt weiter. Nein, zuerst bekommst du für die Bildauswahl ein Leckerli.“ Ben stand auf und ging zum Schrank.

„Wie cool. Kann ich häufiger mal Bilder aussuchen?“ Ich grinste frech, während ich meinem Lieblingsmenschen hinterhersah.

Als ich das Leckerli verhaftet hatte, war auch Ben fertig. Mit stolz geschwellter Brust stand er von seinem Bürostuhl auf und machte sich auf den Weg zum Drucker. Meistens druckte er immer nur eine Seite aus. Jetzt jedoch hörte das Ding nicht auf zu rattern. Eine Seite nach der anderen kam aus dem vorderen Schlitz der Kiste heraus.

Neugierig musterte ich mein Herrchen, der mit verschränkten Armen vor der Lärmmaschine stand und regungslos zum Papierschacht sah. Einzig sein Zählen war zu hören. Als er zwanzig sagte, hörte die Kiste auf zu drucken. Es schien fast, als ob sie auf Ben gehört hatte und diese Zahl das Gleiche bedeutete, wie der Befehl aufzuhören.

Mit einem Papierstapel in der Hand kam mein Herrchen zu mir und setzte sich neben mich auf den Boden.

„Schau mal, Jake, so könnte es funktionieren.“

„So könnte was funktionieren? Du willst doch nicht etwa unsere Wände mit den Fotos zukleistern? Das will ich nicht. Da möchte ich Mitspracherecht haben, immerhin sind diese vier Wände auch mein Zuhause.“ Ich atmete tief ein und machte mich groß, um meine Meinung zu bekräftigen.

„Hör mal zu, dieser Text steht unter dem Bild.“ Warum Ben mich ansah und nicht gleich den Text las, wusste ich nicht. Gerade, als ich ihn danach fragen wollte, begann er vorzulesen. „Ich habe diesen Elefanten am Strand gefunden, und er lebt derzeit ganz traurig bei meinem Hund und mir. Wir werden gut auf ihn aufpassen, wünschen uns aber sehr, dass er wieder zu seinem Besitzer kann. Wer ihn vermisst, darf sich gerne bei uns melden.“ Ben stoppte und sah mich an.

Gefunden habe ja eigentlich ich den Elfotranten. Äh, den Elefanten. Ich hoffte, dass ich mir nun endlich den richtigen Namen merken konnte. Irgendwie war es ja blöd, einen Tiernamen falsch auszusprechen. Immerhin wollte ich ja auch nicht als Hünt bezeichnet werden. Ich war ein Hund und stolz darauf.

„Hallo, Jake, deine Meinung bitte.“ Ben drängelte, und ich wusste nicht, warum.

„Wie soll sich denn bitteschön jemand melden? Die wissen ja gar nicht, wo wir wohnen.“ Ich zuckte mit meinen Schultern.

„Ich Vollhonk. Warte kurz, ich schreibe noch mit einem dicken Stift meine Handynummer drunter.“

Keine fünf Minuten später war mein Herrchen wieder neben mir und präsentierte mir die Zettel erneut.

„So müsste es klappen. Oder fehlt noch was?“

„Was muss so klappen? Sorry, Ben, ich habe noch immer nicht wirklich einen Schimmer, wie dein Plan aussieht.“

„Wir hängen die Schilder an der Promenade auf. Vielleicht auch an den hölzernen Treppen, die zum Strand hinunterführen. Wenn wir Glück haben, erkennt das Kind sein Stofftier, und wir können die beiden wieder zusammenführen.“

„Schilder? Stofftier? Zusammenführen? Kannst du auch mit normalen Worten zu mir sprechen? Ich denke, das Teil ist ein Elfotrant … Äh, ein Elefant.“ Irgendwie schien Ben nicht in Lage zu sein, mir seinen Plan richtig zu erklären. Was auch immer er vorhatte, ich checkte es nicht und war mir sicher, dass es nicht an mir lag.

„Deine Idee ist wirklich toll.“ Natürlich sagte ich diese Worte nur, damit ich Ruhe hatte und wir das Thema abhaken konnten.

Trotzdem machte sich die Hoffnung in mir breit, dass ich Bens Vorhaben während der Umsetzung kapieren würde.

Ich stand auf, machte einige Schritte und hüpfte auf das Sofa. Nach wenigen Sekunden hatte ich eine schöne Schlafposition gefunden und rollte mich gemütlich zusammen. Meine Augen wurden schwer, und ich konnte spüren, wie ich langsam im Traumland verschwand.

„Jake, wo bleibst du? Wir müssen los.“ Bens Worte klangen wie eine Drohung.

„Echt jetzt? Warum denn?“ Missmutig gab ich meine gemütliche Stellung auf und trottet dorthin, von wo die Worte kamen. Zur Haustür, an der mein Herrchen fertig angezogen auf mich wartete.

Die Suche nach dem Suchenden

Auf der Westerländer Promenade angekommen, schnallte ich endlich, wie sich Ben die Suche nach dem Suchenden vorstellte. Mit Klebeband befestigte er die die ausgedruckten Bilder an vielen verschiedenen Orten und lächelte dabei nach jedem einzelnen Foto zufrieden in sich hinein.

Ich lief ihm brav hinterher, hielt dabei aber Ausschau nach einem traurig aussehenden Kind.

Wir sind auf der Suche nach dem Suchenden. Immer wieder ging mir dieser Gedanke durch den Kopf, und ich amüsierte mich prächtig über das Wortspiel. Irgendwie hörte es sich komisch an, auch wenn es natürlich richtig war.

Leider entdeckte ich niemanden, der für den rosafarbenen Elefanten infrage kam. Entweder waren die Mädchen zu alt, oder es waren Jungs, die mit einem Muckschgesicht durch die Gegend stapften.

Im Gegensatz zu mir war mein Herrchen erfolgreich. Er hatte inzwischen alle Zettel aufgehangen und saß zufrieden auf einer der Tetrapoden.

Als ich mich vor ihn in den Sand legte, sprang er auf.

„Hey, magst du mich nicht mehr? Was ist los? Warum haust du ab, wenn ich mich zu dir lege?“ Irritiert sah ich zu Ben, der sich immer weiter von mir entfernte. Nachdem er bereits einige Schritte gemacht hatte, blieb er stehen und drehte sich zu mir um.

„Warte mal kurz, ich bin gleich zurück. Okay?“

„Klar, okay.“ Ich sah hinter meinem Herrchen her, während er eine der Holztreppen zur Promenade hinauflief.

Da ich meinem Lieblingsmenschen vertraute, drehte ich mich auf die Seite und richtete meinen Blick auf die Wellen der Nordsee. Ohne es zu wollen, schlief ich ein.

„Auch mal wieder wach?“ Nachdem ich meine Augen geöffnet hatte, erkannte ich mein Herrchen, das mich liebevoll anlächelte.

„Habe ich lange geschlafen? Bist du schon lange zurück? Was hast du eben gemacht und warum …“ Ich stoppe meine Fragestunde, da ich an einer der Tetrapoden etwas entdeckte.

Habe ich Wahnvorstellungen, oder verfolgen mich diese rosa Elfotranten tatsächlich? Ich strich mir mit einer Vorderpfote über die Augen und sah erneut zu dem Punkt, an dem ich eben das rosafarbene Teil gesehen hatte.

„Nein, es ist noch immer da. Ben, was soll das?“

„Ich dachte mir, dass es nicht schaden könnte, auch zwei Fotos an den Tetrapoden aufzuhängen. Hier spielen doch ganz häufig Kinder.“ Sein Blick war stolz.

„Ja, leider spielen die hier. Ich hätte lieber meine Ruhe.“ Kaum hatte ich meine Worte ausgesprochen, sah ich zwei Jungs auf den großen Steinen klettern.

Sagte ich nicht eben, dass ich meine Ruhe will?! Mit verdrehten Augen, legte den Kopf in den Sand und beobachtete die Knirpse aus den Augenwinkeln.

Hey, lass das. Den Zettel hat mein Herrchen extra dort aufgehängt. Wir sind auf der Suche nach dem Suchenden. Kaum war ich fertig mit meinen Gedanken, näherte sich einer der Knirpse noch weiter unserem Elefantenbild.

Mein Blick war auf Ben gerichtet, der jedoch sitzenderweise auf den Tetrapoden eingeschlafen war.

„Ben, mach was. Die Blödärsche wollen …“ Ich unterbrach meinen Satz, da ich keine Zeit mehr für Worte hatte. Taten waren angesagt, und so sprang ich auf, stellte meine Vorderbeine gegen eine der Tetrapoden und machte mich so groß es nur ging.

Leider bekamen es die Jungs nicht mit. Vielleicht ignorierten sie mich auch einfach, oder sie waren zu vertieft in ihren selten dämlichen Plan. Einer der Knirps streckte seine Hand aus und wollte den Zettel, der für das suchende und traurige Kind gedacht war, abreißen.

Okay, dann halt so! Ich fletschte meine Zähne und knurrte so heftig, dass ich Angst vor mir selbst bekam. Ich wusste gar nicht, dass ich solch laute Knurrtöne von mir geben konnte und sah gespannt zu dem Kerlchen, dass stocksteif vor dem Zettel verharrte.

„Ich wollte nur gucken.“ Ohne sich zu mir umzudrehen, sprach der Knirps seinen Satz. Während mein Blick noch immer auf ihn gerichtet war, hörte ich Bens Stimme.

„Was wolltest du gucken? Kennst du das Stofftier? Oder weißt du, wem es gehört?“

Natürlich nicht. Der Idiot wollte ihn abreißen. Dachte ich und knurrte erneut.

„Jake, lass das. Die Kinder wollten bestimmt nur gucken.“

„Ja … Äh … Nur gucken. Genau, ich wollte ihn mir nur mal ansehen.“ Aus einem blassen Gesicht wurde eine knallrot leuchtende Birne. Am rotesten waren die Ohren, und ich war gespannt, wie doll sie noch in der Lage waren zu leuchten. Vielleicht platzen sie gleich sogar?! Dachte ich und sah zu meinem Herrchen.

„Angesehen hast du dir das Bild ja inzwischen lange genug. Wenn ihr den Elefanten nicht kennt, könnt ihr gerne verschwinden und den Zettel dort hängenlassen, wo er sich befindet.“ Ben sprach schroff, und ich schnallte, dass er bereits die ganze Zeit wusste, welchen Plan die Jungs verfolgt hatten.

„Ja. Entschuldigen Sie. Einen schönen Tag noch für Sie.“ Schnell waren die Kids verschwunden, und ich erkannte ein breites Grinsen auf Bens Gesicht.

„Gut gemacht, Jake. Es gibt einfach zu viele Menschen, die Freude daran haben, andere Sachen kaputt zu machen. Komm her, du bekommst eine Belohnung.

Auf unserem Rückweg blieb mein Herrchen plötzlich stehen.

„Jake, erinnere mich in ein paar Tagen dran, dass wir die Zettel wieder abnehmen. Okay!“ Es war keine Bitte, sondern viel mehr eine Art Befehl.

„Klar. Aber warum?“ Ich verstand den Grund nicht, war mir aber sicher, dass ich ihn gleich erfuhr.

„Wenn wir die Bilder nicht abnehmen, wird es der Regen, vielleicht sogar der Wind, übernehmen. Dann fliegen sie durch die Gegend und verschmutzen unsere schöne Insel. Da es leider schon genug andere Umweltverschmutzer gibt, wollen wir da nicht auch noch mitmachen.“

„Das verstehe ich. Klar erinnere ich dich daran.“ Ich war stolz auf meinen Lieblingsmenschen, da er sich nicht nur um mich, sondern auch um unsere tolle Insel kümmerte.

Unsere Trampelelfe

„Juhu, unsere kleine Trampelelfe ist wieder unterwegs.“ Sehen konnte ich mein Herrchen nicht, seine Worte jedoch ganz genau verstehen. Ich wusste auch sofort, was er meinte, da ich die kleinen, trampelnden Füße ebenfalls längst wahrgenommen hatte. Vor einigen Tagen war sie über uns eingezogen und beglückte uns seitdem zwei bis drei Mal am Tag mit einer kurzen, aber doch heftigen Trampeleinlage.

Ben vermutete, dass es ein kleines, tobendes Kind war, das mit seinen Eltern Urlaub machte. Wirklich schlimm war es natürlich nicht. Allerdings war es sonst immer total ruhig in unserem Wohnhaus, so dass die kurzen Lärmeinheiten ziemlich auffielen.

„Heute weint sie aber dabei.“ Ein Gedanke huschte durch meinen Kopf. Ob mein Herrchen das Weinen auch vernahm, wusste ich nicht genau. Immerhin waren meine Lauschlappen um einiges empfindlicher, und somit konnte ich häufig Dinge hören, die mein Mensch nicht mitbekam.

„Sag mal, Jake, weint die Kleine?“ Ich wurde fragend angesehen.

„Verarschst du mich jetzt? Das habe ich doch eben gesagt.“ Ich schüttelte meinen kleinen Kopf und sah zu Ben.

„Klar weint sie. Ach, die arme Maus. Sie tut mir echt leid.“ Aus seinem fragenden wurde ein mitleidiger Blick.

„Du weißt doch gar nicht, warum sie heult. Vielleicht ist sie einfach ein Trotzkopf.“ Schon häufig hatte ich am Strand heulende Kinder erlebt, die es nur machten, weil ich mich nicht von ihnen streicheln lasse wollte.

„Ach, Manno.“ Bens Blick ging zur Zimmerdecke hinauf. Ich hingegen zog es vor, auf das Sofa zu hüpfen. Es war schon spät, und ich brauchte meinen Schönheitsschlaf.

Am nächsten Morgen war es nicht ich, der mein Herrchen viel zu früh aus den Federn warf. Schuld daran, dass wir bereits um 6:30 Uhr eine Runde am Strand drehten, war erneut die Elfe, die nicht schweben konnte. Ja, bereits um kurz nach 6:00 Uhr hatte sie die Idee, trampelnd und weinend durch die Wohnung über uns zu rennen.

Nachdem Ben die ersten Minuten noch volles Mitleid hatte und vermutete, dass die kleine Elfe Schmerzen hatte, ging es ihm dann auch irgendwann so sehr auf Keks, dass wir uns nach draußen verabschiedeten.

„Herrlich, diese Stille.“ Schon an der kleinen Straße, die wir überqueren mussten, war es im Vergleich zur Wohnung angenehm ruhig. Mit jedem Schritt, den wir dem Strand näherkamen, vergaßen wir den Lärm, der uns eben noch genervt hatte.

Zunächst sahen wir nach, ob noch alle unsere gestern verteilten Bilder an ihrem vorgesehenen Platz waren. Lediglich an dreien musste Ben mit neuem Klebestreifen nachhelfen, dann waren wir auch schon fertig mit unserem Kontrollgang und konnten uns ganz dem frischen Tag widmen.

„Auf der Suche nach dem Suchenden.“ Ich glaubte, nicht richtig zu hören, als mein Herrchen genau die Worte aussprach, die seit gestern als Dauerschleife in meinen Kopf schwirrten.

Als wir die Schräge vor dem Restaurant Sunset betraten und den Strand verlassen wollten, meldete sich Bens Handy.

Natürlich hatte ich das Klingeln zuerst gehört und sah mein Herrchen gespannt an.

„Was ist, kleiner Jake? Möchtest du ein Leckerli?“

„Nein, du Depp. Dein Handy klingelt, und ich möchte wissen, ob jemand den rosa Elfotranten vermisst. Äh, den Elotröten natürlich. Quatsch, den Elefanten.“ Endlich hatte ich diesen schwierigen Tiernamen über meine Lippen gebracht.

„Warte kurz, Jake. Behalte deine Worte im Kopf. Mein Handy klingelt, und ich bin gespannt, ob jemand wegen des Stofftieres anruft.“

„Hallo, Mac Flay, ist jemand Zuhause? Genau das habe ich doch auch gesagt.“

„Hallo. Guten Tag, hier ist Ben.“ Mein Herrchen sprach ins Telefon und weckte damit meine Neugier noch mehr.

„Wer ist es? Ein Kind? Ein kleines Mädchen? Oder sind es die Eltern? Oder vielleicht sogar die Großeltern?“ Ich plapperte wie ein Wasserfall und bekam als Antwort lediglich ein Zeichen als Antwort.

Ben legte seinen Zeigefinger auf die Lippen und deutete mir auf diese Weise an, dass ich meine kleine Hundeklappe zu halten hatte.

„Ach, du.“ Fast enttäuscht sagte mein Herrchen diese zwei Worte.

„Wer ist es?“ Ich war neugierig und erfuhr, dass Karsten am anderen Ende der Leitung war. Er war einer von Bens besten Freunden und lebte ebenfalls auf Sylt. Mein bester Hundefreund Milo lebte bei ihm, und gemeinsam hatten wir schon so manchen Tag gerockt.

Trotzdem wäre es mir jetzt lieber gewesen, wenn Karsten nicht angerufen hätte. Zu gerne hätte ich für eine Zusammenführung gesorgt und einem Kind sein rosa Stofftier überreicht.

Wir waren fast wieder in unseren vier Wänden angekommen. Lediglich das Treppenhaus trennte mich noch von meinem Futter, und so legte ich auf den Stufen einen schnelleren Gang ein. Als mein Magen knurrte, lachten Ben und ich gemeinsam. Gleichzeitig mussten wir an die gestrige Szene denken. An den Augenblick, als ich einen Jungen angeknurrt hatte und mich selbst über die Lautstärke erschreckt hatte.

Dann lief ich weiter und blieb erst vor unserer Haustür stehen. Als ich mich umdrehte, um nachzusehen, wo mein Herrchen blieb, kroch mir etwas in die Nase.

Ich kannte diesen Geruch, auch wenn er mir nicht vertraut vorkam. Nachdem ich mich um meine eigene Achse gedreht hatte, war mir klar, woher er kam.

Von oben. Warum riecht es im Stockwerk über uns so, wie es auch … Ich unterbrach meine Gedanken, da ich nicht auf die Lösung kam, woher ich den Geruch kannte. Langsam, aber doch stetig, ging ich die Treppenstufen nach oben. Mit jeder Stufe, mit der ich mich der nächsten Etage näherte, wurde der Duft stärker. Doch nicht nur das. Er wurde mir auch vertrauter, obwohl ich noch immer keine Ahnung hatte, weshalb es so war.

„Jake? Hey, kleiner Mann, wo bist du? Hast du etwa keinen Hunger?“ Bens Stimme riss mich aus meiner Mission.

„Klar habe ich Hunger.“ Schnell lief ich die Stufen hinab und flitzte in unsere Wohnung.

Geruch

Als ich nach dem Essen auf meiner Lieblingssofaecke lag und mich längst gemütlich eingekuschelt hatte, kam der Gedanke an den Treppenhausgeruch zurück. Woher kannte ich ihn nur?

Warum erinnert er mich an was? Ach Manno, ich will endlich wissen, woher ich ihn kenne. Fast etwas trotzig sprang ich vom Sofa und lief zur Wohnungstür.

Vielleicht kann ich ihn ja durch den Türspalt erschnuppern? Ich muss es einfach herausfinden. Meine Neugier ließ mich nicht los, und so hielt ich meine schwarze Lakritznase ganz nah an den schmalen Spalt.

„Ach, Kacke.“ So sehr ich mich auch bemühte, es drang nichts in unsere Wohnung hinein. Vom Prinzip war das ja auch gut so. Wer will schon ständig Treppenhausgeruch in seinen vier Wänden. Heute wäre eine Ausnahme jedoch perfekt gewesen.

„Was ist los, kleiner Mann? Musst du mal pieschern?“ Ben stand neben mir und sah mich an. Seine Vermutung war logisch. Wenn ich tatsächlich mal ein Geschäft erledigen musste, stellte ich mich immer hierhin und zeigte ihm so mein Bedürfnis an.

„Äh … Ja.“ Klar war es gelogen. Allerdings wusste ich nicht, wie ich mein Tun sonst hätte erklären sollen. Außerdem hatte ich so die Chance, nochmals den Treppenhausgeruch tief in meine Schnüffelnase einzusaugen. Vielleicht kam ich bei einem erneuten Schnuppern auf die Lösung.

„Dann los.“ Mein Herrchen schnappte sich seine Jacke und öffnete die Tür.

„Wo bist du denn? Jake, hast du dich versteckt?“ Bens Stimme kam von unten. Wahrscheinlich stand er bereits an der Haustür, während ich mich eine Etage über unserer Wohnung befand. Als mein Herrchen dabei war, seine Schuhe anzuziehen, hatte ich mich auf den Weg dorthin gemacht und sofort mit der Erkundung des Stockwerks begonnen. Tatsächlich war der Geruch noch immer da. Sogar stärker als vorhin. Warum es so war? Ich wusste es nicht, wollte aber Licht ins Dunkel bringen. Immerhin hatten wir Hunde ja fantastische Schnüffelnasen vom Hundegott geschenkt bekommen.

„Wenn nicht ich, wer dann?“ Leise sagte ich meine Worte und trug mein Schnüffelorgan dicht über dem Fußboden entlang.

„Kommst du endlich? Ich denke, du musst so nötig.“ Eine schroffe Stimme drang in meine Ohren, und ich hielt es für eine gute Idee, schnell zu meinem Lieblingsmenschen zu laufen. Immerhin hatte ich ihm ja was von dringender Notdurft vorgegaukelt und wollte keinen Ärger bekommen.

Im schnellen Tempo lief ich die Treppen herab und legte kurz vor Ben eine coole Vollbremsung ein. Zumindest für mein Herrchen war sie cool - da ich auf den glatten Fliesen nicht wirklich zum Stehen kam. Ich rutschte zwei Meter an meinem Lieblingsmenschen vorbei und kam erst an der Flurwand zum Stoppen.

„Hast du dir wehgetan?“ Seine Frage hätte er sich getrost schenken können. Sie war nur schwierig zu verstehen, da er sich während seiner Worte vor Lachen ausschüttete.

„Witzig. Mach dir lieber Sorgen, anstatt mich auszulachen.“ Mit einem beleidigten Gesichtsausdruck sah ich zu meinem Herrchen.

„Tut dir was weh?“ Noch immer hallte lautes Gelächter durch das Treppenhaus.

„Spar dir das geheuchelte Interesse und amüsiere dich weiter über einen kleinen Hund, der gegen eine Wand gerutscht ist. Wie fies du bist.“ Nach meinen Sätzen ging es nicht anders. Ich lachte ebenfalls und freute mich darüber, dass ich mir bei meiner dusseligen Aktion nicht wehgetan hatte.

Kurze Zeit später waren wir draußen, und ich hob an meinem Lieblingsbaum das Bein. Viel kam nicht raus, aber ich war mir sicher, dass Ben es nicht bemerkte.

„Und jetzt? Gleich wieder rein ist doch doof. Wollen wir mal nachsehen, was in der City los ist?“ Ich wurde fragend angesehen, und obwohl ich nicht wirklich viel Bock auf den Trubel in der Fußgängerzone hatte, willigte ich ein.

Wir wollten gerade in die Strandstraße einbiegen, als eine Familie auf uns zukam. Alle waren schwer bepackt, und es schien so, als würden sie einen Ausflug in das Schwimmbad in Angriff nehmen wollen. Für das Meer war es schließlich noch viel zu kalt, und in der Sylter Welle konnte man viele tolle Stunden verbringen.

Nein, natürlich war ich noch nie dort gewesen. Schließlich bin ich ein Hund und habe dort Hausverbot. Allerdings hatte ich Karsten dabei zugehört, wie er über einen Tag im Schwimmbad geschwärmt hatte.

Der Vater schleppte natürlich am meisten. Zumindest die schwersten Taschen, während die Mutter einen kleinen Jungen auf dem Arm trug. In der Mitte lief ein kleines Mädchen, das ich auf ungefähr zehn Jahre schätzte. Auch sie musste helfen und trug stolz ein aufblasbares Einhorn in den Händen. Das Teil war viel zu groß für sie, und doch schien es so, als würde sie es gut hinbekommen. Ansonsten war sie in rosa und hellblau angezogen, und es war deutlich zu erkennen, dass dies ihre Lieblingsfarben sein mussten.

Als die Familie auf unserer Höhe war, lächelte mich das Mädchen an, und ich schenkte ihr ebenfalls ein Lachen. So mochte ich es gerne. Unaufdringlich Kinder waren toll. Mich anfassen lassen würde ich sowieso von keiner fremden Person. Leider kapierten es viele Kinder nicht. Wie sollte ich es aber auch von ihnen erwarten können, wenn sogar die meisten Erwachsenen nicht in der Lage waren, eine Distanz einzuhalten.

Was ist das? Da ist er wieder. Ruckartig blieb ich stehen und drehte mich um. Ich tat es so abrupt, dass Ben durch die Spannung der Leine etwas in Stolpern kam.

Dieser Geruch. Nein … Falsch! Es ist vielmehr ein Duft. Ich hielt meine Nase hoch in die Luft und war mir endgültig sicher, mich nicht getäuscht zu haben.

Es war der gleiche Duft, den ich auch im Treppenhaus wahrgenommen hatte.

„Hey, bist du die kleine Trampelelfe, die über uns wohnt?“ Ich rief dem Mädchen hinterher, und tatsächlich drehte sie sich um.

Das kann nicht sein, du kannst mich nicht verstanden haben. Du bist ein Mensch. Sogar noch ein Kind. Ich amüsierte mich darüber, dass ich kurz dachte, ein kleines Mädchen würde mich verstehen können.

Dann hob sie die Hand und winkte mir zu. Fast gleichzeitig wurde sie von ihrer Mutter und ich von Ben weggezogen. Unsere Blicke trennten sich, und als ich mich erneut umdrehte, war sie aus meinem Sichtfeld verschwunden.

Kaffeepause

Schade eigentlich. Irgendwie war sie echt süß. Ich wunderte mich über meine Gedanken, da ich normalerweise nicht so auf fremde Menschen stand. Doch irgendwie fand ich die Lütte niedlich.

Dann hob ich meinen Kopf etwas an und richtete meinen Blick auf Ben, der es sich in einem der Strandkörbe gemütlich gemacht hatte. Wir befanden uns heute Nachmittag im Restaurant Badezeit, und während sich mein Mensch einen Milchkaffee gönnte, lag ich in der Sonne und ließ mich wärmen. Die ersten warmen Sonnenstrahlen waren die schönsten. Dieses Gefühl von Wärme und Genuss zu spüren, war einfach der Hammer. Im Freien zu liegen, in Gedanken zu versinken und dabei gewärmt zu werden, liebte ich total.

Allerdings schien es nicht nur mir so zu gehen. Auch Ben hatte die Augen geschlossen und daher nicht mitbekommen, dass eine Bedienung an unserem Tisch stand und auf seine Antwort wartete.

Ihre Frage war ganz einfach gewesen. Sie wollte lediglich wissen, ob mein Herrchen noch etwas haben möchte und doch herrschte Stille um uns herum. Da ich ihr behilflich sein und auch meinen Lieblingsmenschen nicht blamieren wollte, stupste ich mit meiner kleinen Hundeschnauze gegen sein Bein.

„Was ist los?“ Natürlich galten seine Worte mir. Im Gegensatz zu der jungen Bedienung war es mir klar, und so musste ich grinsen, als sie Ben irritiert antwortete.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752141177
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
Nordfriesland Hund Meer Freundschaft Nordsee Sylt Syltliebe Liebe Strand Insel Humor Liebesroman

Autor

  • Ben Bertram (Autor:in)

Ben Bertram lebte bis 2017 in seiner Lieblingsstadt Hamburg und zog dann nach Schleswig-Holstein, wo ihm das „flache Land“ gefällt und er gern mit seinem Hund durch die Felder läuft. Die Ruhe in seinem Dorf genießt er sehr und der Blick aus seinem Bürofenster, lässt die Schreibideen sprießen. Ben verbringt viel Zeit auf der Insel Sylt, auf die er sich gerne zum Schreiben zurückzieht. Dort wird er, wenn sein Blick auf das Meer gerichtet ist, von vielen neuen Ideen und Eingebungen „überfallen“.
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Titel: Herzensbegegnung auf Sylt