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Fantastische Diebin

von Sabineee Berger (Autor:in)
280 Seiten

Zusammenfassung

Lisa ist eigentlich ein nettes, unkompliziertes Mädchen mit einer 'zauberhaften' Gabe fürs Schlösserknacken. Das alleine würde sie vielleicht noch nicht zur Diebin machen, doch ihr schlechtes Gespür für die richtigen Männer lässt sie eine Dummheit nach der anderen begehen. Als sie im Auftrag ihres Liebhabers eine reiche Familie bestiehlt, wird sie kurz darauf zum ersten Mal geschnappt. Allerdings nicht von der Polizei, sondern von zwei Schlägertypen der Familie Logis, die sie bestohlen hat und deren Familienmitglieder eine leichte Affinität zur Mafia haben. Fürs Erste ist das nicht so schlimm, denn Lisa wird weder getötet noch der Polizei übergeben. Sie muss nur einen heiklen, magischen Auftrag für die Familie erledigen. Doch genau damit riskiert sie Kopf und Kragen, aber vor allem ihr Herz.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Prolog



Sie hatten ihr die Augen verbunden und gingen nicht gerade zimperlich mit ihr um. In ihrem Mund schmeckte sie Blut und ihre rechte Wange pochte von einer heftigen Ohrfeige. Doch im Prinzip waren sie noch halbwegs milde zu ihr. Der Schmerz war sowieso Lisas geringstes Problem! Die beiden Männer hatten sie am späten Abend in ihrer Wohnung überfallen, nach einem kurzen Kampf überwältigt und in ihr Auto gezerrt.

Während der Fahrt wurde sie nicht angerührt, aber mit Worten gedemütigt, die sie nicht einmal in Gedanken wiederholen wollte. Die Männer waren selbstgefällig und herablassend und ihr Rasierwasser stank zum Himmel. Zumindest für Lisa, die nur ein paar wenige der künstlichen Düfte ertragen konnte.

Sie war eine Diebin und zudem eine Frau. Diese Kombination reichte offenbar, um respektlos behandelt zu werden. Okay, vielleicht lag es auch daran, dass sie vor ein paar Tagen ausgerechnet den Boss dieser beiden Kerle bestohlen hatte. Einen Mann mit dem klingenden Namen Alexandro Logis und dem etwas weniger prickelnden Zusatz von ‚der Schlächter Roms‘.

Tja, manchmal war das Leben eben grausam.


Die Fahrt dauerte mehr als eine Stunde und Lisa war bereits fix und fertig, als der Wagen endlich stoppte. Sie wusste, dass sie nur ein One-Way-Ticket bekommen hatte und ihr Leben ab nun keinen Cent mehr wert war. Doch sie nahm sich vor nicht in Selbstmitleid zu verfallen, sammelte ihre Kräfte und versuchte sich auf die bevorstehende Konfrontation einzustellen. Sie war eine Diebin, daran führte kein Weg vorbei und sie hatte eindeutig den falschen Mann und seine Familie bestohlen.

ABER!

Sie wollte nicht Lisa Lordani heißen, wenn sie wegen solch einem Rückschlag gleich aufgab! Und wer wusste schon, wie die Karten tatsächlich gemischt waren oder was am Ende noch alles möglich war? Vielleicht war Alexandro Logis ja gar nicht solch eine Bestie, wie sie gerade annahm. Wenn sie Glück hatte würde er sie also nicht gleich foltern oder töten, sondern einfach nur der Polizei übergeben. Einfach nur! Sie schnaubte leise, denn auch das wäre natürlich eine Katastrophe, wenn auch wenigstens keine lebensbedrohliche. Aber was machte sie sich vor! In Wahrheit trieb ihr schon der Gedanke an Folter kalten Schweiß auf die Stirn. Hilflos zu sein bereitete ihr Unbehagen und … sie hasste Schmerzen. Mehr als alles andere.

Jetzt, wo der Wagen angehalten hatte und sie offenbar am Ziel angekommen waren, wurde ihr all das bewusst und sie bekam Panik. Waschechte, furchtbar ernüchternde Panik mit Atemproblemen. Denn das hier war mit Sicherheit ihre ganz persönliche Endstation.

Die Autotür wurde aufgerissen und ihr Arm gepackt. Der Mann brummte etwas Unverständliches und zerrte sie brutal aus dem Wagen. Dann stellte er sie kurz ab, als würde er verstehen, dass sie verschnaufen und ihr Gleichgewicht finden müsste. Doch von Verständnis konnte keine Rede sein! Auch der zweite Mann war längst ausgestiegen und begann Lisa ohne Vorwarnung zu schubsen. Ein Stoß hier, ein Stoß da. Lisa stöhnte. Mal schubste er fest, dann wieder ganz leicht. Zuerst der eine, dann der andere. So flog Lisa ständig hin und her, bis sie stolperte, zu Boden ging und wimmernd liegen blieb. Mistkerle! Die Männer durften sie scheinbar nicht ernsthaft verletzen, aber dafür spielten sie doch tatsächlich gerade ein wenig Pingpong mit ihr. Gott, wie sie das hasste!

Hoch mit dir, aber schnell!“, blaffte einer der Kerle. „Jetzt geht’s gleich richtig zur Sache, du diebische Elster“, lachte genau der, der so fürchterlich nach Rindvieh stank. Selbst sein Aftershave konnte den herben Geruch dahinter nicht länger übertünchen. Lisa ekelte sich vor ihm mehr als vor dem anderen und hatte zudem höllische Angst vor den nächsten Minuten. Doch sie rappelte sich tapfer auf und kam in die Höhe. Lisa Lordani, ich bin Lisa Lordani ... sagte sie sich mantramäßig vor, als würde ihr der Name alleine schon Kraft schenken, oder sie vor dem Schlimmsten bewahren. Was – in Anbetracht ihrer Situation – ein schlechter Witz war. Vermutlich klammerte sie sich damit nur verzweifelt an ihre Existenz, an das Fünkchen Leben, das ihr bisher nicht viel geschenkt und dennoch genügend bedeutet hatte. Sie hatte in eben diesem Leben schon viel verbockt und noch weniger erreicht, aber sie liebte es wie ihr Herz schlug und wie die weiche Luft ihre Lungen füllte. So herrlich frisch und lieblich. Ihr Körper war schön, gesund und eine Bereicherung. Stets war sie voller Hoffnung gewesen, eines Tages das Richtige zu tun und die Weichen anders zu stellen, ehrlich und eventuell sogar häuslich zu werden … mit Ehemann, Kind und all dem Drumherum, was dazugehörte. So, wie es nun mal richtig war und wie es in ihren Augen irgendwann und irgendwie möglich sein würde. Und jeder wollte schließlich mal glücklich sein, sich sicher und geborgen fühlen und … geliebt werden.

Unbewusst schüttelte sie den Kopf, denn zum Träumen war nun wirklich die falsche Zeit. Vielmehr konzentrierte sie sich auf ihre Beine und darauf stabil zu stehen. Doch es war gar nicht so leicht nach all der Schubserei das Gleichgewicht zu halten. Dazu hatte sie immer noch ihre Augen verbunden und die Hände auf den Rücken gefesselt. Lisa war benommen und orientierungslos, aber das wusste der Stinkstiefel neben ihr ja längst, denn er packte sie hart am Oberarm und bot ihr nun seine ganz persönliche Orientierung. Und die war wie ein Fahrschein direkt ins Verderben. Vorwärts und immer weiter zog er sie, über Treppen hinauf, hin zu einem Haus, wo Alexandro Logis vermutlich schon auf sie wartete. Ihre Panik verdoppelte sich automatisch und ihr Herz schien nur noch in unregelmäßigem Staccato zu schlagen. Wenigstens war der andere Entführer ‚zurückgeblieben‘. Wie passend! Ha! Doch zum Lachen war das alles nicht, denn sie stand schließlich vor dem Haus des Schlächters, ihrem persönlichen Richter und Henker. Dem Geräusch nach wurde bereits die Haustür geöffnet und Lisa hatte Mühe nicht laut zu schreien. Eine fremde Stimme murmelte einen Gruß, aber sie ging davon aus, dass sie den nicht erwidern musste.

Sie wurde vorwärts geschubst ... direkt hinein in die Höhle des Löwen. Oder hieß es Hölle des Löwen? Sie stolperte zwar erneut, fiel aber nicht zu Boden. Ihre Sinne spielten noch verrückt, aber die Kühle des Bodens nahm sie trotzdem überdeutlich war. Kühl und glatt ... wie Marmor, dachte sie und spreizte ihre Zehen. Ihre Füße waren nackt, weil sie direkt aus ihrer Wohnung entführt worden war. Niemand trug Schuhe in seinem Zuhause, außer vielleicht ganz reiche Schnösel oder solche, die mit ihrem Nagelpilz nicht umgehen konnten. Und die beiden Entführer hatten sich wahrlich nicht die Mühe gemacht ihr vor ihrem Abtransport auch noch Schuhe überzustreifen. Die hatten sie nur einfach in ihren Wagen gezerrt, ohne darauf zu achten, was sie anhatte oder eben auch nicht. Wenigstens trug sie keinen Pyjama, sondern ein dunkles Tanktop und eine lässig auf den Hüften sitzende Jeans.

Los rein da!“ Sie bekam schon wieder einen Stoß und stolperte vorwärts. Mit Augenbinde konnte sie zwar nichts sehen, aber sie ging davon aus, in ein Zimmer von Alexandro Logis befördert worden zu sein.

Mach schon! Und winsle nicht zu laut um dein Leben!“, lachte der Rohling und blieb ihr dicht auf den Fersen. Als die schwere Holztür hinter ihr dann ins Schloss fiel, wurde Lisa richtig schlecht. Die Atmosphäre in diesem Raum erschien ihr dichter und bedrohlicher als alles, was sie je erlebt hatte und das Zufallen der Tür klang in ihren Ohren wie ein Schafott, das nur knapp sein Ziel verfehlte. Zu dumm, dass sie den Spitznamen des Bestohlenen erst nach ihrem Diebstahl in Erfahrung gebracht hatte! Wer nannte sich auch der Schlächter einer ganzen Stadt?

Der Mann hinter ihr packte erneut ihren Oberarm, drückte zu und begann sie vorwärtszuschieben. Es war nur eine weitere unangenehme Berührung und der deutliche Zwang in eine ungewollte Richtung. Wie war sie überhaupt auf diese verrückte Idee gekommen ausgerechnet diesen Logis zu bestehlen?

Ach ja ... stöhnte sie innerlich und konzentrierte sich darauf nicht zu stolpern. Der Liebe wegen. Wie so oft! Fest biss sie auf ihre Unterlippe, um nicht laut loszuschreien. So viel Dummheit war ja auch kaum zu ertragen! Noch dazu, wenn es die eigene war. Dabei war doch eigentlich Giuseppe der Verbrecher. Der Mann hatte sie um den Finger gewickelt und beinhart getäuscht. Was hatte er ihr doch für eine rührselige Geschichte aufgetischt und von einer Ungerechtigkeit über Generationen erzählt? Alles nur, um sie dazu zu bringen, für ihn zu stehlen. Dabei war vermutlich nichts von seiner Geschichte wahr. Nichts! Seine emotionale Intelligenz und die verlockenden Zärtlichkeiten zwischendurch, hatten sie viel zu schnell weichgekocht und zur Tat getrieben. Für einen kurzen Moment hatte sie dabei an Ehre und Moral gedacht und sich gut gefühlt. Als wäre sie eine Superheldin, die für Giuseppes Familie Gerechtigkeit erlangen könnte, nur weil die Polizei korrupt und nicht dazu in der Lage war. Dabei war sie einfach auf einen hinterlistigen Betrüger hereingefallen! Giuseppe hatte alles erfunden, Liebe vorgetäuscht und guten Sex geliefert. Damit aber hatte er sie nicht nur zum Diebstahl überredet, sondern auch kühl lächelnd ihr eigenes Todesurteil unterschrieben. Wie gnadenlos rücksichtslos sein Verhalten war, wusste sie erst, seitdem er mit dem Diebesgut verschwunden war und sie als Bauernopfer zurückgelassen hatte. Einfach so! Als wäre sie NICHTS wert.

Den brennenden Schmerz in ihrem Herzen wollte sie ignorieren, doch die Wut in ihrem Bauch nicht. Wut auf sich, die Männer und speziell natürlich auf Giuseppe, der sie so dreist belogen, manipuliert und derart locker zum Abschuss freigegeben hatte. Gut, sie hatte nicht damit gerechnet diesen Sonnyboy je zu heiraten, Kinder zu bekommen und ein Leben mit ihm zu verbringen. Nein, so verrückt war sie nun auch wieder nicht, aber bei derart intensiver und erotischer Zuwendung kippte sie automatisch irgendwann hinein in die feinen Gespinste der Liebe. Ja, sie war definitiv verliebt gewesen, wohingegen er sie nur benutzt und ein wenig Spaß gehabt hatte. Vermutlich tickten Männer wirklich vollkommen anders als Frauen, oder sie war in diesen Angelegenheiten einfach extrem ungeschickt. Aber … diesen Betrug würde er ihr büßen! Irgendwann, irgendwie. Sie war eigentlich kein rachsüchtiger Mensch, aber falls sie hier doch noch lebend herauskommen sollte, würde sie ihn finden und ihm sein hochsensibles, enthaartes Ding weit in den Rachen schieben.

Giuseppe! Nur wegen seiner schönen Augen – und ja – auch wegen anderer körperlicher Vorzüge, war sie auf den fiesen Arsch hereingefallen. Wie immer, oder wie so oft! Denn Lisa hatte wahrlich kein glückliches Händchen mit Männern. Und das sollte schon etwas heißen bei einer Lebenserfahrung von mehr als 25 Jahren! Andere lernten vielleicht mit jeder Beziehung etwas dazu, aber SIE definitiv nicht. Sie konnte sich vornehmen was immer sie auch wollte, letztendlich zog sich ihr Unterleib nur bei schönen, kraftvollen Männern zusammen. Was schon verdammt ärgerlich war. Die Rechnung für ihre Einfältigkeit würde sie jedenfalls nun von Alexandro Logis persönlich präsentiert bekommen und das Recht dazu hatte er allemal. Schließlich hatte sie ihm etwas gestohlen, das man nur als unbezahlbar bezeichnen konnte.

Der Mann hinter ihr nahm seine Hand von ihrem Oberarm und stieß sie ein Stück vorwärts. Nicht weil es notwendig war, sondern weil es ihm offenbar Spaß machte. Nach kurzem Taumeln blieb Lisa endlich stehen und richtete sich auf. Nur keine Schwäche zeigen, sagte sie sich. Die schwelende Panik versuchte sie zu verbergen, ihren Atem zu beruhigen. Dabei stand sie hier mit nackten Zehen, hatte eine geschwollene Wange, verbundene Augen und gefesselte Hände. Der Schlächter musste wohl direkt vor ihr stehen oder auch sitzen, denn alles in ihrem Körper kribbelte wie verrückt. Sie konnte seine Aura förmlich spüren, sein italienisches Parfüm riechen. Nur ... gesprochen hatte der Mann bisher kein Wort.

Dann irgendwann seufzte er. Gelangweilt, wie sie meinte. Denn so, wie er es tat, fühlte sie sich wie lästiges Getier, das nicht der Rede wert war zertreten zu werden und ihn sowieso nur bei wichtigen Geschäften störte. Immerhin wusste sie durch sein Seufzen, dass er tatsächlich genau vor ihr war. Vermutlich taxierte er sie auch schon die ganze Zeit still von oben bis unten. Alleine diese Vorstellung erzeugte Gänsehaut und unterstrich das Gefühl hier völlig ‚ausgeliefert‘ zu sein. Selbst konnte sie wegen der Augenbinde ja nichts sehen und das machte sie zusätzlich nervös. Automatisch biss sie sich auf die Unterlippe.

Gut, Silvio. Du kannst jetzt gehen!“ Der Schlächter sagte es lässig herablassend und doch so, als hätte er gerade wirklich etwas Besseres zu tun gehabt. Lisa fühlte sich einmal mehr wie ein lästiges Insekt, das gerade störte und sowieso nur platt gemacht werden musste. Sie schluckte hörbar, denn die arrogante Art von Alexandro Logis schüchterte sie ein, obwohl sie mit einer gewissen Verwunderung feststellte, dass die Stimme nicht so tief und kraftvoll klang, wie sie es erwartet hätte. Es fehlte ihr irgendwie an Tiefe und Durchschlagskraft. Etwas, das man bei einer Bezeichnung wie ‚der Schlächter‘ wohl automatisch voraussetzte. Zumindest passte sie nicht in das Bild, das Lisa sich in den letzten Tagen von Alexandro Logis aus den Nachrichten und aus Pressemitteilungen gemacht hatte.

Bist du sicher, Boss? Ich soll gehen? Die Kleine sieht nicht so aus, aber sie kann ganz schön Gas geben“, ätzte er und Lisa konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Vermutlich hätte er ihr nicht einmal eine Ohrfeige verpasst, wenn sie nicht gleich mit Wing Chun einen Gegenangriff gestartet hätte. Sie beherrschte diese Kampfkunst zwar noch nicht gut, aber sie lernte diesen Stil nun schon seit mehr als zwei Jahren. Hätte sie Geld und Platz für eine Wing-Chun-Holzpuppe zum Üben gehabt, wäre sie vermutlich längst besser in dieser Disziplin geworden. Dann hätten es die beiden Schlägertypen mit ihr nicht ganz so leicht gehabt. Immerhin war diese Kampfkunst von einer chinesischen Nonne speziell für Frauen konzipiert worden und daher sehr effizient. Das Gehen mit X-Beinen sah zwar recht bescheuert aus, aber so schützte man wenigstens seine Mitte und konnte gleichzeitig gezielt aus eben dieser Mitte heraus agieren. Die Kraft des Angreifers sollte umgeleitet und, wie bei vielen anderen Kampftechniken, gegen ihn verwendet werden. Bei den Übungen der ‚rollenden Hände‘ oder auch ‚Chi-Sao‘ hatte sie genau dieses Umleiten mit Trainingspartnern sehr schnell und gut beherrscht. In der Praxis allerdings war das dann nicht immer so leicht umzusetzen gewesen. Straßenschläger oder auch solche Typen, wie ihre Entführer, reagierten meist völlig unberechenbar und brutal. Außerdem war rohe Kraft noch nie zu unterschätzen gewesen! So oder so hatte sie mit ihrer Kampfausbildung einen Vorteil gehabt und den einen ganz schön im Gesicht gekratzt und den anderen wenigstens einmal mit einem Tritt am Schienbein erwischt. Die Ohrfeige und der Lauf einer Waffe direkt vor ihrer Nase hatten sie dann allerdings recht schnell gestoppt. Schließlich konnte niemand mit fliegenden Händen gegen Bleikugeln kämpfen.

Alexandro Logis lachte unangenehm und kam auf Lisa zu. Sie konnte ihn nicht sehen, aber seine Stimme wurde lauter und sein Körper strahlte Wärme ab. Inzwischen musste er unmittelbar vor ihr stehen, denn sein Atem verbreitete den Geruch von Chili und Knoblauch.

Du kannst beruhigt gehen, Silvio. Die Kleine wird wohl kaum Probleme machen. Immerhin hast du sie gefesselt.“ Der Mann hinter Lisa gab einen belustigten Laut von sich.

Die neuen Einweghandfesseln sind echt super“, meinte er begeistert und klang dabei wie der größte Vollidiot, der ein neues Spielzeug zu Weihnachten bekommen hatte, nur weil er Pola-Fesseln benutzen durfte. Lisa hatte auch längst festgestellt, dass diese Fesseln kein bisschen zu lockern waren. Die schmalen Plastikriemen hielten bombenfest und schnitten bereits schmerzhaft ins Fleisch. Rütteln oder Drehen der Handgelenke war völlig unmöglich und Lisas Finger waren vermutlich bereits aufs Doppelte angeschwollen. Ihre Qual wollte sie trotzdem nicht laut hinausschreien. Schon im Auto hatten die beiden Typen sie darauf vorbereitet, dass sie hier nicht mit Milde rechnen durfte. Jammern war also völlig sinnlos.

Silvio schnappte sich noch einmal ihre Handgelenke und kontrollierte die Stabilität der Bänder, dann drückte er kurz zu und lachte über ihre Schmerzen und den dumpfen Laut, den sie von sich gab. Er war ganz klar ein Sadist, aber wenigstens spielte er nur kurz mit ihr, brummte noch etwas Gemeines und ging endlich mit plumpen Schritten aus dem Zimmer. Die Genugtuung sie zum Schreien zu bringen, hatte sie ihm gründlich versaut.

Was für ein Arsch, dachte Lisa, nachdem sie sich den Schmerzensschrei gerade noch verkniffen hatte. Der Mann war das Letzte, aber als er die Tür hörbar hinter sich zufallen ließ, wurde ihr klar, dass sie nun mit DEM SCHLÄCHTER alleine war. Und das war natürlich alles andere als beruhigend! Sie schluckte hart und war nervös. Am liebsten wäre sie hippelig von einem Bein aufs andere getänzelt, aber das versuchte sie tunlichst zu vermeiden. Nur keine Schwäche zeigen, sagte sie sich immer wieder, wunderte sich aber allmählich, dass der Mann vor ihr noch immer nichts zu sagen hatte. Seinen leisen Schritten nach ging er genau vor ihr auf und ab, gaffte sie vermutlich die ganze Zeit intensiv an und überlegte, was er ihr antun oder wie er sie umbringen sollte. Dieser Gedanke und die andauernde Stille machten sie ziemlich fertig und schürten ihre Angst. Jeden Moment würde er sie schlagen, ihr die Augenbinde vom Kopf reißen und ihr seine ganze Verachtung ins Gesicht speien.

Gleich. Mit Sicherheit.

Doch das passierte nicht! Vielmehr schien die Zeit still zu stehen oder viel langsamer zu vergehen als in den letzten Minuten. Ihre Erwartung steigerte sich ins Unermessliche, aber die Augenbinde blieb, wo sie war. Statt eines Übergriffs bemerkte sie nur, wie er immer näherkam und viel lauter atmete als zuvor. Lisa bemerket sofort, dass hier etwas nicht stimmte.

Hab ich dich, du kleines Vögelchen“, flüsterte er plötzlich so nahe an ihrem Ohr, dass sie erschrocken zusammenfuhr. Sie hatte seine Nähe natürlich bemerkt und der Knoblauchgeruch war schließlich auch nicht ohne, aber dass er nun mit seinem Mund ihr Ohr streifte, hatte sie nicht erwartet. Am liebsten hätte sie laut geschrien ... oder einfach nur gekotzt. Wann war er nur so nahegekommen? Hatte er sich Millimeter für Millimeter ganz leise vorgearbeitet und sie bis jetzt wie durch seinen persönlichen Röntgenapparat betrachtet? Wie abartig war das denn? Lisa versuchte nicht überzureagieren und ihre wachsende Panik in den Griff zu bekommen.

Bitte ... ich kann das erklären“, keuchte sie, weil sie keinen Sinn mehr darin sah, den Mund zu halten. Die beiden Männer im Auto hatten ihr zwar eingetrichtert nur zu sprechen, wenn sie dazu aufgefordert wurde, aber hier ging es um ihr Leben! Und Alexandro Logis war der Mann, der darüber bestimmte.

Eben dieser Mann war immer noch ganz nahe, berührte mal ihr Ohr, dann ihre Wange, als ob er verschiedene Reaktionen testen wollte. Er schien sogar an ihr zu riechen, wie an einem guten Essen oder einer duftenden Pflanze. Lisa fand das höchst bedenklich und hatte das Gefühl kaum noch Sauerstoff in ihre Lungen zu bekommen. Einen Machtmenschen wie Logis interessierte nicht, warum eine Diebin ausgerechnet ihn bestohlen hatte oder unter welchem Zwang sie gestanden hatte und … in seinem Haus hatte er schließlich alle Rechte. Dabei war sie manipuliert und getäuscht worden ... durch Worte und guten Sex. Verdammt. Sie war so was von ‚am Arsch!‘ Und dennoch war sie bereit ihm ihre Beweggründe genau zu erklären. Irgendwie. Sie musste ihm nur Guiseppe als den eigentlichen Täter nennen und danach irgendwie lebend aus der Sache herauskommen. Eine wirkliche Taktik hatte sie freilich nicht, nur den Hintergedanken, dass sie gleich jeden Moment um ihr Leben betteln würde. Aber warum nahm er nicht endlich diese verdammte Augenbinde ab? Sie wusste doch längst wo sie war und wer vor ihr stand. Was sollte also dieses zusätzliche Psychospiel? Dann noch sein widerlicher Atem und dieser neue, unangenehme Geruch, der nun wahrzunehmen war! Wonach roch das nur?

Nach Erregung.

Ob als Duft oder Schwingung war nicht zu definieren. Aber mit einem Mal war Lisa klar, wonach ihm der Sinn stand. Das kann doch wohl nicht wahr sein ... würgte sie in Gedanken, denn Logis war – den Zeitungsberichten nach – weit über sechzig. Ein alter Opa und dazu noch mörderisch veranlagt. Und der Kerl war gerade scharf auf sie? Wie viel widerlicher konnte das hier eigentlich noch werden?

Er streifte absichtlich ihre Schulter und Lisa schrie leise auf.

Na? So empfindlich?“, lachte er und griff beherzt in ihr dichtes, kastanienbraunes Haar. Offenbar ließ er gerade ein paar ihrer üppigen Naturlocken durch seine Finger gleiten, zog sie in die Länge und ließ sie wieder zurückfedern. Haare waren unempfindlich, aber sie wusste dennoch, dass er das gerade mit ihren Locken anstellte.

Überraschend hübsch“, meinte er heiser und schien sie weiterhin genau unter die Lupe zu nehmen. Vermutlich fragte er sich gerade wo an ihrem Körper er diese Pracht noch finden konnte.

Herr Logis, ich wurde getäuscht ...“, begann sie, versuchte das haarige Bild aus ihrem Kopf zu bekommen und nicht zu verzweifelt zu klingen.

Halt den Mund!“, befahl er schroff und legte ihr einen Finger fest über die Lippen. Zugleich spielte er weiter mit ihren Locken und ließ danach seinen Finger aufdringlich über ihren Mund wandern. Das alleine machte klar, wonach ihm der Sinn stand.

Dem alten Kerl.

Lisa biss die Zähne zusammen. Mit dieser Wendung hatte sie nicht gerechnet und sie hatte schon mit sehr viel gerechnet! Sex mit einem alten Mann hatte da nicht auf der Liste gestanden. Obwohl ... unterm Strich bedeutete das vielleicht auch etwas Gutes, nämlich Zeit für sie. Lebenszeit. Also sagte sie nichts und biss weiterhin die Zähne fest zusammen bis es knirschte. Sollte er doch ruhig mit ihren Locken spielen oder an ihrer Lippe herumrubbeln! Solange er kein Messer dafür verwendete, konnte sie ja noch dankbar sein!

Alexandro Logis ließ sich mit seinem Spiel Zeit, beobachtete ihre Reaktion und streifte immer wieder an verschiedensten Stellen ihre Haut. Lisa ließ es so gut als möglich reaktionslos über sich ergehen. Immerhin war er der Schlächter und sie konnte sich wahrlich glücklich schätzen überhaupt noch Haut zu besitzen, die er abfingern konnte. Das Gesicht dieses Mannes kannte sie ja mittlerweile von Pressefotos. Alexandro Logis sah nicht aus wie ein typischer Mörder oder Drogenboss, sondern eher wie der nette Opa von nebenan. Bis auf die stechenden Augen vielleicht. Aber so auf der Straße wäre ihr vermutlich nie aufgefallen, welche Bestie hinter der einfachen Fassade lauerte oder was für ein schrecklicher Name hinterherschlängelte. Halbglatze und Falten konnten eben täuschen. Vor allem über den intakten Status männlicher Sexualkraft. Denn – Opa oder nicht – er spielte hier ganz klar eine krank erotische Karte aus und schien die ganze Zeit nur zu überlegen, was genau er mit ihr anstellen sollte. Sein Atem fiel ihr dabei immer wieder heiß auf die Stirn und das legte den Schluss nahe, dass er doch um einiges größer war als sie. Von den Fotos her hätte sie das nicht gedacht.

Knie nieder!“, befahl er dann mit solcher Eindringlichkeit, dass sich Lisas Magen heftig zusammenzog.

Was?“, keuchte sie aufgebracht und Logis wurde ungeduldig.

Du sollst dich hinknien! Sofort!“ Seine Stimme war immer noch herablassend, aber mittlerweile auch eine Nuance tiefer. Sicher wegen der Erregung. Lisa fing an zu schwitzen und meinte die ekelhafte Begierde des Mannes mit Händen greifen zu können. Doch sie war klug genug, sich ihm nicht zu widersetzen. Schließlich wollte sie am Leben bleiben und wusste, dass sie keine Wahl hatte!

Mit einem Gefühl der Resignation fiel sie langsam vor ihm auf die Knie. Ihr Atem ging heftig, denn sie war schließlich die Diebin und damit die offizielle Verbrecherin hier. Auch wenn das völlig verdreht schien. Lisas Unterlippe begann zu beben. Zum Glück waren ihre Augen noch verhüllt, denn nun kamen auch noch Tränen dazu. Dabei hatte sie so lange dagegen angekämpft! Das schwarze Tuch um ihre Augen fing die Feuchtigkeit auf und das Zittern ihrer Unterlippe vertuschte sie, indem sie fest mit ihren Zähnen darauf biss und nicht mehr losließ. Eine Geste, die er offenbar gar nicht mochte.

Gib deine Unterlippe frei!“, forderte er schroff und Lisa hatte das Bedürfnis laut zu schreien. Verflucht! Nur mit größter Anstrengung konnte sie ihre Lippe loslassen, weil sie das Gefühl hatte damit den letzten Halt zu verlieren.

So ist es gut!“ Seine Stimme war richtig heiser geworden. Jeden Moment würde er nun das verräterische Zittern sehen, Lisas Schwäche erkennen und sie als Heulsuse verspotten. Aber das war wohl ihr geringstes Übel! Früher oder später würde er sie einfach nur abknallen, weil sie so dumm gewesen war sich zu verlieben und für ihren Sonnyboy einen Diebstahl begangen hatte. Doch statt dem verräterischen Klicken einer Waffe hörte sie nur wie der Mann seinen Reißverschluss öffnete.

Sie war ein wenig perplex, obwohl sie doch längst geahnt hatte, was er vorhatte.

Wenn du dich jetzt ordentlich anstrengst, lass ich dich vielleicht am Leben“, keuchte er und packte ihre Haare, um ihren Kopf in Position zu bringen. Lisa wollte noch etwas sagen, laut schreien oder auch nur schlicht Luft holen, aber schon im nächsten Moment stopfte er ihr sein riesiges, fleischiges Ding einfach in den Mund, als wollte er sie damit ersticken.

Keine Vorwarnung, kein Verhandeln. Nur ekelhafte Fülle und dieser widerliche Geruch nach ungewaschenem Mann.

01.Kapitel



Die Farbe schäumte, kleine Bläschen knackten und zerplatzen in herrlicher Gleichmäßigkeit. Raffaela liebte es die Konsistenz mit dem Pinsel zu verändern und die Farbelemente auf exakt den Farbton zu mischen, der ihr in den Sinn kam. Geräusche, Geruch, Zusammensetzung und Farbnuancen während dem Erschaffungsprozess waren für sie genauso wichtig, wie das Malen selbst. Seit ihrem siebzehnten Lebensjahr war Malen ihre größte Leidenschaft, auch wenn sie damals nur wegen einem intensiven Traum zum Pinsel gegriffen hatte. Einem Traum, der sich diffus und düster durch ihren Kopf gewoben hatte und die klare Aufforderung beinhaltet hatte, Bilder und Gefühle zu Papier zu bringen. Aufgrund der Intensität der Gefühle hatte sich dieses Vorhaben allerdings als gar nicht so leicht herausgestellt und es war ihr auch nur sehr dürftig gelungen. Dennoch war ihr Bedürfnis nicht schwächer geworden, sondern hatte sich mit der Zeit verstärkt. Als hätte sie der Ehrgeiz gepackt, es mit jedem Mal besser und noch besser zu machen. Manchmal waren es Träume, dann wieder Begebenheiten des Alltags, Bilder oder Gefühle, die sie regelrecht dazu aufforderten, es zu Papier oder auf Leinwand zu bringen. Kleine und große Botschaften steckten in diesen Bildern, direkt und erkennbar, oder auch verschlüsselt, damit die eigentliche Aussage nicht gleich zu erkennen war.

So wie der kleine dunkle Fleck auf ihrem letzten Bild. Ein Fleck, der kaum sichtbar war auf der ewig langen und ach so einladenden Blumenwiese. Es war eben ein fröhliches und durch und durch frühlingshaftes Bild, obwohl der kleine, dunkle Fleck nichts anderes war als der Eingang zur Hölle und bei genauerer Betrachtung einen finsteren Schlund darstellte. Grässlich tief und grässlich gefährlich. Allerdings sah man diesen Fleck nur, wenn man sich von der Schönheit und dem Sonnenschein des großen Gesamtbildes nicht täuschen ließ. Raffaela wusste nicht genau, warum sie es so gemalt hatte, aber das viele Grün hatte sich als die perfekte Tarnung herausgestellt, womöglich sogar als eine Art Verlockung. Es war die ideale Ablenkung von etwas Dunklem und Mächtigen geworden, obwohl die meisten Betrachter für die Gefahr kaum Antennen hatten. Zumindest konnten sie es nicht bewusst erfassen, obwohl sie alle ziemlich die gleiche Reaktion zeigten: Zuerst liebten sie das wunderbar natürliche Bild im strahlenden Grün, fühlten sich wohl und jugendlich frisch dabei, weil keiner der schnellen Betrachter den Fleck am unteren Rand und damit den Eingang ins Verderben sehen konnte. Und dennoch hatte keiner Lust lange vor dem Bild zu verharren oder das Bild gar zu kaufen. Alle wollten sie rasch weg und keiner hatte auch nur ansatzweise das Bedürfnis nach diesem Fleck Ausschau zu halten oder das Bild gar einmal umzudrehen. Und das war auch gut so, denn im Laufe der Jahre hatte Raffaela erkannt, dass ihre Bilder etwas Besonderes waren. Vielleicht galt das nur für sie und ihre Empfindungen, doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass ihre Darstellungen mehr als nur bildhaft real waren. Zumindest schienen sie manchmal ganz besondere Eigenschaften zu besitzen.

Sie lächelte verschmitzt zu dem grünen Höllenbild hinüber, weil es sich so lieblich und unschuldig auf der hinteren Staffelei präsentierte. Selbst hatte sie keine Angst davor, denn das Bild war definitiv nicht für sie gemacht. Außerdem kannte sie das Geheimnis ja schon und hatte einen direkten Blick in den Schlund der Hölle getan. Was also sollte sie jetzt noch erschüttern? Dunkelheit war ihr nicht fremd, auch wenn sie diesen speziellen Teil des Bildes über mehrere Nächte mit ganz schweren Albträumen verarbeitet hatte. Sie war schließlich auch nur ein Mensch und ihre Bilder nun mal so etwas wie magisch aufgeladen. Letztendlich aber war sie viel stärker aus dieser Malsession hervorgegangen. Man wächst eben mit der Herausforderung, lächelte sie in Gedanken, weil sie ihre Angst vor der Hölle und damit vor dem erschütternd schönen Gehörnten bewältigt hatte. Ja, die wenigsten wussten, dass der Teufel zum Niederbrechen schön war. Sie grinste noch eine Spur breiter, weil sie an sein Gesicht dachte und richtig stolz darauf war, seiner Versuchung widerstanden zu haben.

Noch hatte sie keine Ahnung, warum sie das Höllenbild überhaupt gemalt hatte oder welchen Zweck es einmal erfüllen würde, aber sie hatte aufgehört zu hinterfragen. Sie wusste, alles war sinnvoll und würde irgendwann seine Bestimmung erfüllen, auch wenn sie derzeit kaum etwas verkaufen konnte. Die wenigen Ausstellungen hatten bisher kaum etwas gebracht, weil die Zeit einfach noch nicht reif war für eine magische Malerin wie Raffaela Baldin. Sie mochte etwas Besonderes sein, glaubte aber selbst, dass Künstler nun mal darben und in Armut leben mussten, um ihre Qualität halten und ausbauen zu können. Solche Glaubenssätze ließen sich nun mal nicht von heute auf morgen verändern. Wenigstens nahm sie sich vor daran zu arbeiten (oder zu malen?). Nur … aus irgendeinem Grund gelang ihr das im Moment noch nicht.

Zeit, murmelte sie und versuchte sich wegen dem Geld nicht ständig Stress zu machen. Künstler waren arm, verrückt und kaum lebensfähig. Sie war bisher auch noch nicht bereit gewesen ihre Bilder im großen Stil der Öffentlichkeit zu präsentieren. Sie wusste trotzdem, dass dieser Moment irgendwann kommen würde. So sicher, wie der Tag nun einmal auf die Nacht folgte. Sofern ich es nicht einmal anders male, grinste sie verwegen, weil sie ihre Kraft gerade wie einen Energieschub spürte, der alles möglich zu machen schien. Vielleicht male ich einfach einmal Nacht auf Nacht oder ein ständiges Grau oder nein … lieber ein Rosa! In ihrem Kopf war schließlich alles möglich und Zeit spielte keine wesentliche Rolle ... außer vielleicht für ihre Geldbörse. In letzter Konsequenz aber hatte sie vor einem Leben in Armut keine Angst. Ebenso wie vor ihren Bildern. Egal wie schaurig die Essenz dabei sein mochte oder welch gruselige Phasen sie dabei zu durchleben hatte. Sie war lediglich die Überbringerin, nicht mehr und nicht weniger. Und was dahintersteckte oder wie tief jedes einzelne Werk einen sensitiven Menschen in eine andere Welt ziehen konnte, wusste sie nur zu gut. Bilder hatten Macht, waren Ausdruck von lebendiger Magie und wirkten auf mehreren Ebenen. Und all die lieben Leute, die ihre Wiesenbild so fröhlich und nett fanden, hatten mit Sicherheit auch unbewusst den Hauch des Höllenduftes inhaliert.

Raffaela lächelte über das Wunder Mensch und seine Komplexität. Menschen waren so viel mehr als ihre Körper und Energien und doch oft so unbewusst über ihrer Gesamtheit. Auch der eine oder andere Lehrer, der ihre Werke abgelehnt hatte, war eher von ihrer intuitiven Leidenschaft überrollt und abgeschreckt worden, als dass er ihre Bilder ‚wirklich‘ gesehen hätte. Damals hatte sie sich noch gekränkt und ihren Frust danach in einem heftigen Anfall herausgemalt, aber mittlerweile hatte sie die hässlichen Bilder alle vernichtet. Die Gier darin und die böse Ablehnung hatten einfach zu viel Macht gehabt.

Hastig rührte sie die Farbe weiter und versuchte den Frust von damals nicht in den farbigen Matsch abzulassen. Rein physisch waren die Bilder zwar vernichtet worden, doch auf feinstofflicher Ebene existierten sie weiter, waren geknüpft an ihre Emotionen und daher auch real, bis sie diesen Ärger ein für alle Mal verarbeitet und losgelassen hatte. Und das wollte sie wirklich! Vor allem heute, denn das jetzige Werk sollte schließlich etwas ganz Besonderes werden und da durfte sie nur wirklich Gutes in die Zutaten mengen. Wieder knackte eine Blase und die Konsistenz der Farbe wurde leicht schmierig.

Genau so will ich dich haben“, murmelte sie und drückte den Pinsel ein letztes Mal in den orangefarbenen Matsch. „Leicht und doch fest. Schmierig und rein. Orange, aber mit einem Hauch von Rot und Rosa und einem noch dezenteren Hauch von Grünbraun.“ Gute Inhalte bedeuteten nämlich nicht zwangsweise ohne Schmutz auszukommen. Ausschließliche Reinheit war in ihren Augen langweilig. Und dieses Bild hier sollte alles andere als langweilig werden.

Sicher nicht!“, zischte sie und lachte wie eine kleine Teufelin. Vielleicht dachte sie auch ein wenig an den schönen gehörnten Mann von ihrem Höllenbild, obwohl dieses Abbild hier eher das Gegenteil darstellen sollte. Pfff. Gegenteil. Von wegen … ist doch eh alles aus der gleichen Quelle.

Der Farbton wird gerade einzigartig, einfach genial ... für dich ... mein Engel.“ Sie lachte und hatte schon genau vor Augen, wie dieser Engel seine Flügel entfalten würde. „Genial auch von der Bedeutung der Farben.“ Sie neigte dazu laut mit sich zu sprechen, fand das aber nicht weiter schlimm. Andere stellten der Kunst wegen schließlich viel Ärgeres an: Bewusstseinserweiternde Drogen, Sexexzesse oder andere Grenzüberschreitungen. Raffaela empfand sich im Vergleich dazu als durchaus normal. Sie quasselte halt laut und viel, wenn der Tag lang war und das Kunstwerk viel Zuwendung und Zeit brauchte. Es ging hier ja auch letztendlich nicht um irgendeinen Spleen, sondern nur um das perfekte Bild, die absolute Farbe. Sie liebte Orange, als Zeichen für Freude, Optimismus und Sinnlichkeit. Ja, sie stand definitiv auf Sinnlichkeit. Wie zum Beweis rührte sie gleich ein wenig kräftiger und begann zu lächeln. Rot war für sie der Inbegriff der Liebe, der Aktivität, des Feuers und der Leidenschaft. Rosa hingegen die reine, bedingungslose Liebe. Braun stand für Fruchtbarkeit, Reichtum, Fülle und Boden an sich. Was nützte einem auch der schönste Engel in hohen, hohen Weiten? Natürlich wollte sie Boden für ihn, aber halleluja und wie sehr sie das wollte! Grün stand für die Hoffnung, Gesundheit, Ausgeglichenheit und Ehrlichkeit. Ja, die Farben erzählten immer eine Menge und hatten stets eine sehr unterschiedliche Schwingung und Wirkung. Lediglich in der Mischung war es den meisten Menschen nicht mehr möglich all das wahrzunehmen.

Okay, vielen war es vermutlich auch so nicht möglich, aber unbewusst schnappten sie alle mehr auf, als sie wollten. Raffaela lächelte zufrieden und dachte an die nächsten Schritte. Weiß würde noch seinen Weg finden. Für Makellosigkeit und Reinheit. Gold würde selbstverständlich folgen ... für Reichtum, strahlende Sonne und als Farbe der Geburt.

Ja, dieser Engel wird genial", flötete sie, hob den Pinsel aus dem Matsch und zog ihn auf der Leinwand in einem schnellen Schwung durch. Die erste Kontur des Gesichtes wurde geformt, der nächste Schwung intuitiv gezogen. Perfekt wie immer, wenn auch noch einfach in der Ausführung. Doch schon jetzt ließ dieser Strich erkennen, welche Schönheit dem Motiv innewohnen sollte.

Dein Gold bekommst du mit den Flügeln und das Weiß mit dem Gewand, aber zuerst male ich dir dein wunderbares Gesicht.“


02.Kapitel



Fernando!“, brüllte jemand unerwartet laut hinter ihnen. Die Stimme des Fremden klang so wutentbrannt, dass nicht nur Lisa wie unter einem Hieb zusammenzuckte, sondern auch ihr Peiniger. Sein praller Penis schnalzte mit einem merkwürdigen Geräusch aus ihrem Mund und befreite sie von der Qual der ungewollten Fellatio. Selbst seine Hand auf ihrem Kopf verschwand augenblicklich.

Alex?“, keuchte das Schwein vor ihr und wirkte dabei völlig überrascht. „Ich ... dachte du bist noch auf ... äh ... Erholung und kommst erst morgen.“ Was? Lisa drehte sich blitzschnell weg, spuckte und würgte. Sie versuchte zu Atem zu kommen und den Geschmack aus ihrem Mund zu speien. Der andere ist DER Alex? Ihre Gedanken überschlugen sich, während sie weiter spuckte. Verdammt und wem gehört dann der Schwanz vor mir? Lisa hörte das surrende Geräusch seines Reißverschlusses und hätte beruhigt sein müssen, weil er sein Ding endlich weggepackt hatte, aber in Wahrheit konnte sie nur daran denken, dass dieser Dreckskerl noch nicht einmal Alexandro Logis sein konnte, sondern irgendein scheiß Fernando war. Darum also hatte er ihr die Augenbinde noch nicht abgenommen, damit sie nicht sehen konnte, was für ein falsches Spiel er mit ihr trieb.

Was zum Teufel treibst du hier?“, brüllte der Zweite passender Weise, während die Tür laut ins Schloss krachte. Seine Stimme grollte durch das Zimmer und hatte all die befehlsgewohnte Macht, die Lisa kurz zuvor noch bei ihrem Peiniger vermisst hatte. Eigentlich hätte sie sich gleich denken können, dass der Perversling mit der Piepsstimme nie und nimmer der Schlächter war. Nur … was hätte ihr dieses Wissen schon genutzt? Sie war entführt worden, immer noch gefesselt und trug eine verdammte Augenbinde. Klar war sie im Nachteil, doch alleine der Gedanke an den Schlächter hatte sie mit Sicherheit schneller auf die Knie gezwungen, als es bei diesem Fernando der Fall gewesen wäre. Von negativer Autosuggestion konnte dennoch nicht die Rede sein, sondern eher von gezielter subliminaler Manipulation. Was selbst in ihren Ohren zu hochtrabend klang. Vor lauter Frust und Ärger biss sie erneut die Zähne zusammen. Gewalt und Hinterlist waren ihr ein Gräuel, obwohl sie als Diebin mit beidem in gewissem Maße immer zu tun haben würde.

Allem Anschein nach war jetzt wenigstens der zweite Mann der richtige Alexandro Logis. Zumindest legte die Kurzbezeichnung Alex diesen Schluss nahe. Und das bedeutete, dass sie nun endlich doch vor ihrem Richter und Henker stand. Wie bitte? Endlich? Lisa schüttelte automatisch den Kopf über ihren gedanklichen Schwachsinn.

Ich wollte die Gefangene ... verhören“, antwortete indessen Fernando, dessen Stimme zwar stockte, aber klarmachte, dass er seine erste Überraschung, über das Eintreffen des Big Bosses, bereits überwunden hatte. Er lachte sogar. Schmierig, wie Lisa fand. „Zumindest wollte ich ... danach gleich damit beginnen.“

Und mein Boden? Schon vergessen, dass der nicht angesaut werden soll?“ Die Wut des Mannes hinter ihr war spürbar, seine Gewaltbereitschaft deutlich, aber ... Boden? Lisa konnte nicht fassen, dass der Typ nur an seinen Boden dachte, während sie hier gerade noch gekniet hatte und offensichtlich zu sexuellen Handlungen gezwungen worden war. Ungläubig schüttelte sie den Kopf über so viel Verdrehtheit. Da wurde vor seiner Nase gefoltert und dann ging es nur um Sauberkeit? Und was ist mit menschlicher Sauberkeit? Lisa war zwar keine Zimperliese, aber sexuelle Gewalt war nie schön.

Und DU ...“ Die Worte richteten sich nun eindeutig an sie. „... stehst gefälligst auf und kotzt mir hier nicht alles voll!“ Damit packte er sie am Oberarm und zog sie in die Höhe. Warum nur quetschten diese Idioten immer an der gleichen Stelle? Mit einem leisen „Aua“ auf den Lippen rappelte sich Lisa mühsam in die Höhe und stellte sich möglichst aufrecht hin. Dass der Opa solch einen festen Griff hatte, überraschte sie. Überhaupt schien er sogar noch größer zu sein als dieser Fernando-Arsch. Dabei sollten Italiener doch eigentlich eher von kleinerem Wuchs sein! Bei Giuseppe hatte das zumindest gestimmt, denn der hatte sie nicht wirklich überragt. Und sie war gerade einmal 1,68 Meter groß!

Noch.

Verdammt.

Bald würde sie einen Kopf kürzer sein.

Konzentration … mahnte sie sich weil ihr die ungewöhnliche Größe der beiden nicht aus dem Kopf ging. Vielleicht hatten sie in ihrer Kindheit ja etwas Verseuchtes gegessen oder Wachstumshormone mit einem Extraschuss Brutalität und Gemeinheit gespritzt bekommen. Mitten ins debile Gehirn oder womöglich auch in andere, noch kritischere Weichteile.

Lisa knirschte erneut mit den Zähnen und versuchte ihre verrückten Gedanken zu bremsen. Sie probierte sogar sich vorsichtig aus dem Griff des zweiten Mannes zu winden, doch der hielt sie daraufhin nur fester.

Au-u!“, raunzte sie eindringlicher, aber das änderte nichts an der Härte seines Griffs. Als hätte er kein Gehör oder zumindest kein Gespür. Dafür bemerkte sie plötzlich ganz deutlich das Schnappen eines Messers und … das erschien ihr dann doch wie eine klare Antwort. Allerdings wie keine sehr angenehme. Der Schlächter hat sein Messer gezückt! Augenblicklich hielt sie die Luft an. Rein vom Gefühl her wirkte dieser Alex viel gefährlicher und gewaltbereiter als Fernando, obgleich er sie gerade aus einer mehr als unangenehmen Fellatio-Situation befreit hatte. Der Gedanke an das Messer ließ sie dennoch weiter die Luft anhalten und kerzengerade stehen. Wo der andere noch seine schmierigen Finger verwendet hatte, würde dieser Mann nicht zögern die Klinge einzusetzen.

Eine kleine Ewigkeit schien nichts zu passieren und sie musste wieder Luft holen, doch erst als sie einen kurzen Schmerz und ein Schnalzen an ihren Handgelenken wahrnahm, begriff sie, dass nicht ihr letztes Stündlein geschlagen hatte, sondern ihre Plastik-Fesseln durchgeschnitten worden waren.

Mit einem tiefen Seufzen atmete sie erneut ein, während ihre Hände schwer wie Blei auseinanderfielen. Schließlich waren sie lange und viel zu fest gefesselt gewesen. Ihre Hände hingen dann auf der jeweiligen Körperseite einerseits wie tot, andererseits mit deutlich wachsenden Schmerzen und lösten ein weiteres Keuchen aus ihrer Kehle, weil sich ihre Finger allmählich mit Blut füllten und der Schmerz sich steigerte. Dennoch wusste sie, dass der Schlächter ihre Hände gerade gerettet hatte, denn die zwei Entführer hatten es echt übertrieben und ihre Gesundheit damit gefährdet. Und diesem Fernando-Arsch war alles egal gewesen, nur eben nicht ihr Mund.

Das Blut pulsierte jetzt jedenfalls heftig in die unterversorgten Bereiche und erzeugte ein furchtbares Brennen und Kribbeln. Ein richtiges Bewegen der Finger war noch nicht möglich, doch immerhin konnte sie nun die Arme vor ihren Körper ziehen und ihre Handgelenke langsam aneinander reiben. Am liebsten hätte sie laut gestöhnt vor Schmerz, oder auch weil ihre Hände endlich frei waren. Doch diese Blöße wollte sie sich nicht geben und wer wusste schon, was diese Männer alles falsch verstehen konnten, wenn sie unter Strom standen. Obwohl ... sie spürte ganz deutlich, dass der Schlächter an ihr kein sexuelles Interesse hatte. Zumindest dünstete er nicht solch einen ekelhaften Geruch aus wie Fernando. Nein, nein. Das tat er nicht. Seine Ausstrahlung entsprach mehr einer Haltung, die nach Folter und Mord schrie. Und das soll jetzt besser sein? Lisa schluckte hörbar, denn sie meinte die Intensität seines Charakters wahrnehmen zu können. Dazu spürte sie die Wärme seines greisenhaften Körpers an ihrer Seite und ahnte die grausame Kraft seiner Seele. Falls ein Teufel, wie Alexandro Logis, überhaupt eine hatte.

Der Teufel. Lisa fühlte sich plötzlich noch viel schlechter als zuvor. Sehen konnte sie zwar noch immer nichts, doch die neue Bezeichnung für den Schlächter und die Erinnerung an die sexuelle Gewalt durch Fernando trieb ihr nun zusätzlich Tränen in die Augen. Sicherheitshalber biss sie gleich wieder fest auf ihre Unterlippe, um ihre Schwäche zu verbergen. Doch dem Mann neben ihr schien ihre Gefühlsregung nicht zu entgehen. Zumindest gab er ein komisches Geräusch von sich. Nicht so herablassend wie Fernando zuvor, sondern in einer Art, die an ein Resignieren erinnerte. Lisa fragte sich gerade warum er das machte, als ihr auch schon die Augenbinde vom Kopf gerissen wurde. Nicht gerade sanft und ohne Vorbereitung, aber offenbar in der Absicht ihr zu helfen.

Grelles Licht explodierte vor ihren Augen und sie musste wie verrückt blinzeln, um die plötzliche Helligkeit zu ertragen. Tränen, Aufregung und das Zuviel an Licht machten es ihr im ersten Moment unmöglich etwas zu erkennen und natürlich fragte sie sich, ob sie das überhaupt wollte. Fernando war ein hinterlistiger Sadist und Alexandro Logis, der Schlächter Roms. Also worauf sollte sie sich hier schon freuen? Außerdem hätte sie am liebsten ihre verwischte Mascara abgerubbelt, weil sie nach der Heulerei damit vermutlich wie ein Zombieverschnitt aussah. Allerdings schaffte sie es nach der Fesselaktion noch nicht ihre Arme in die Höhe zu heben. Ihre Finger füllten sich immer noch mit prickelndem Leben, aber ihre Arme waren weiterhin schwer wie Blei. Zudem konnte ihr Aussehen ja wohl nicht von Bedeutung sein. Hier ging es schließlich um ihr Leben und nicht um einen Schönheitswettbewerb für geistig Umnachtete.

Wer ist das überhaupt?“, fragte Alex Logis, der neben ihr stand, sie aber keines Blickes würdigte. Seine Körpersprache machte deutlich, dass sie ihm egal war. Doch wirklich erkennen konnte sie seine Züge noch nicht. Er wirkte nur nicht ganz so, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Außerdem hatte er gerade eine Frage gestellt.

Ich heiße Lisa Lordani“, antwortete sie daher und reckte dabei das Kinn in die Höhe, während sie immer noch wild blinzelte, um endlich etwas sehen zu können. Der Mann hatte zwar Fernando gefragt, doch sie wollte sich hier nicht so einfach übergehen lassen, als wäre sie schon tot.

Stille.

Die Männer hatten offenbar nicht damit gerechnet, dass sie auch sprechen konnte. Dann klärte sich endlich ihr Blick und sie konnte die beiden Männer erkennen.

Leider.

Fernando war gerade einmal ein wenig älter als sie, steckte in einem teuren Maßanzug und grinste ihr schmierig zu. Er hatte geöltes, schwarzes Haar, dunkle Augen und ein ovales Lackaffengesicht. Der Arsch! Bei seinem Anblick hätte Lisa am liebsten noch einmal ausgespuckt. Vermutlich zupfte er sich auch noch die Augenbrauen und epilierte sich wie blöd am ganzen Körper. Außer am Pimmel. Das Schwein. Schnell lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf den Mann neben sich. Doch auch der war nicht, was sie erwartet hatte und schon gar nicht der Schlächter von Rom. Zumindest hatte er keine Ähnlichkeit mit dem Alexandro Logis, den sie von Zeitungsausschnitten kannte.

Was zum Teufel ist hier los? Allmählich zweifelte sie überhaupt daran von der Familie Logis entführt worden zu sein! Der Mann neben ihr war auch keine sechzig Jahre alt, vielleicht gerade mal um die dreißig und so groß wie ein Bär. Also sicher nicht der Schlächter von Rom, wenn auch wenigstens das ganze Gegenteil von dem Lackaffen vor ihr. Dieser Alex hatte langes, strubbliges Haar und einen Bart, der alles andere als gepflegt aussah. Mit seinen zerschlissenen Jeans und dem schmutzigen T-Shirt sah er wie ein Bettler aus. Obwohl das T-Shirt auf seinem breiten Oberkörper so eng anlag, als wäre es irgendwann zu heiß gewaschen worden. Irgendwann – wohlgemerkt, denn der Schmutz darauf zeigte, dass es schon lange nicht mehr gereinigt worden war. Dennoch ließ es keinen Raum für Vermutungen über … der Mann war gut trainiert.

Lisa schluckte hörbar.

Die Diebin?“, knurrte der Bart so beeindruckend böse, dass Lisa ihr Starren einstellte und einen Schritt auf Abstand ging. Es war eine ziemlich ungewollte Reaktion, mehr ein Reflex oder so, doch die brachiale Gewalt des Mannes war einfach niederschmetternd. Dazu schimmerten seine Augen so eigentümlich, dass sie schon wieder schwankte. Allmählich ging ihr diese Instabilität auf die Nerven, aber der Bär war unheimlich und hatte offenbar eine ziemlich verrückte Ader. Ihre Reaktion entging ihm nicht, denn er taxierte Lisa mit einem abschätzenden Blick von oben bis unten.

Kein Wunder, dass du dich gleich an ihr abreagieren wolltest, Bruder.“

Wie bitte? Bruder? Die beiden sahen sich ja überhaupt nicht ähnlich! Der mit dem Strubbelbart hatte ja sogar eine andere Augenfarbe! Grünlich oder so. Nicht schwarz wie beim anderen. Und was sollte das mit dem Verständnis für sexuelle Gewalt? Der ungepflegte Urzeitmensch mochte ihr ja bisher geholfen haben, aber von Mitgefühl konnte hier keine Rede sein! Und wer war der Typ überhaupt?

Sie sind ja gar nicht Alexandro Logis“, stellte Lisa auch prompt fest und versuchte das Zittern in ihrer Stimme zu verbergen, um es wie einen Vorwurf klingen zu lassen. Was in etwa genauso bescheuert war, wie das Zittern an sich zu verbergen. Trotzdem war sie der Meinung, Opfer würden noch schlechter behandelt werden, wenn sie ihre Angst zu deutlich zeigten. Was auch schon egal war, denn so wie die beiden Männer aussahen, machten sie sowieso jeden Moment Schaschlik aus ihr. Mit Spieß und allem Drum und Dran.

Sie ist anscheinend auch dämlich“, blaffte Fernando ungehalten und schenkte sich ein Glas mit goldbraunem Whiskey ein. Offenbar sauteuer. Lisa verspürte augenblicklich Wut. Der Dreckskerl hatte sie zu etwas genötigt, das sie zwar jetzt nicht ansprechen würde, wofür sie sich aber durchaus irgendwann revanchieren wollte. Vorausgesetzt sie würde das hier überleben.

Ich bin nicht dämlich“, stellte sie augenblicklich fest. „Sie sind nur frustriert wegen Ihres Interrupts.“ O-o. Sie war zwar wütend, aber das hätte sie wohl besser nicht so schnell hinausposaunt. Außerdem hatte sie sich vorgenommen, die sexuelle Nötigung nicht anzusprechen, um ihre Lage nicht noch zu verschlechtern. Fernando lief jedenfalls rot an, knallte sein Whiskeyglas auf den Tisch und fixiert sie so eindringlich, dass sich die Härchen auf ihren Unterarmen aufrichteten. Doch ein machtgewohnter Arsch, dachte sie kleinlaut, als er auch schon zornig auf sie zukam. Seine Körperhaltung glich der eines Raubtiers, selbst als er nur wenige Zentimeter vor ihr stehen blieb. Lisa hatte nicht mal mehr Raum für einen Gedanken.

Was-hast-du-gerade-gesagt?“, knirschte Fernando und schien sich nur mit Mühe beherrschen zu können. Lisa wich automatisch zurück und sah – verrückter Weise – zu diesem Alex, der zwar ungepflegt und deutlich strenger rüberkam, ihr aber zumindest schon geholfen hatte. Doch ein Blick auf ihn zeigte, dass hier nicht mit Schützenhilfe zu rechnen war. Sein Mund war zu einem spöttischen Grinsen verzerrt und seine Augen zeigten eine Gemeinheit, die Lisa den Atem raubte. Der Zweite war womöglich noch viel ärger als dieser Fernando. Doch der stand nun bedrohlich vor ihr und bemerkte natürlich ihren hilfesuchenden Blick.

Mein Bruder legt nur Wert auf einen sauberen Boden“, knurrte er und forderte Lisas Aufmerksamkeit zurück. „Es stört ihn kein bisschen, wenn wir gleich nebenan in sein Bad gehen und dort weitermachen, wo wir aufgehört haben. Dann könnte ich dir auch ganz lange und ausführlich beibringen, was ich unter Deepthroating verstehe, Schätzchen.“

Danke. Sie würgte ja jetzt schon! Ekel stand ihr ins Gesicht geschrieben und das wiederum bemerkte vor allem dieser Alex, der doch glatt zu lachen anfing. Nicht laut und nicht lange, aber herzhaft. Was für ein Arsch, dachte Lisa, weil die Situation alles andere als lächerlich war. Und offenbar sah das Fernando ebenso, denn der wurde nur noch zorniger und packte Lisa so fest an den Schultern, als wollte er wirklich ernst machen.

Zuerst wird der Boden gereinigt!“, forderte der Zweite jedoch so trocken und unpassend, dass der Übergriff auf Lisa wieder unterbrochen wurde. Fernando wirkte aufs Erste verblüfft, nahm aber doch die Finger von Lisa, um gelangweilt mit seinen Schultern zu zucken. Der Boden seines Bruders war ihm offenbar egal.

Was ist?“, setzte der jedoch nach. „Sie hat immerhin ein paar Mal draufgespuckt.“ Als müsste er seinen nervigen Tick noch irgendwem erklären! Lisa war fassungslos über derart verschobene Prioritäten. Diese Männer hatten nicht nur einfach einen Knall, sondern gleich den absoluten Urknall … mit Expansion ins unermesslich Blöde. Ein Menschenleben oder die Würde eines Menschen waren demnach nichts gegen die Wichtigkeit eines sauberen Marmorbodens. Von Fernando hatte sie ja bereits genug Widerliches erlebt, aber von diesem behaarten Affen war sie irgendwie enttäuscht. Immerhin hatte der kurz den Anschein erweckt halbwegs entgegenkommend zu sein. Wie dumm man doch reagieren konnte, nur weil er ihr die Fesseln und die Augenbinde entfernt hatte! Sprachlos sah sie ihm in die grünen Augen und entdeckte dort überraschender Weise … ein schelmisches Glitzern.

Spaß? Er macht Spaß? Lisa blinzelte verwirrt, weil sie diesen Mann so gar nicht einschätzen konnte. Was dachte er sich nur dabei? Irgendwie war das alles hier völlig verkehrt. Fernando hingegen hatte alle seine Gehirnzellen schlagartig ausgeknipst: Er explodierte förmlich.

Das ist jetzt nicht dein Ernst!“, blaffte er genervt. „Die verdammte Putze macht das sowieso gleich wieder weg und das bisschen Spucke wird dich in den nächsten zehn Minuten schon nicht umbringen! Herrgott, Bruder! Wie bescheuert ist das eigentlich? Hier geht es um unseren Vater und der wurde von dieser Schlampe bestohlen. Es ist höchste Zeit mit dem VERHÖR zu beginnen.“ Sein perverses Vorhaben so banal zu umschreiben war der blanke Hohn und Schlampe natürlich eine Frechheit, aber im Grunde staunte Lisa vor allem darüber, dass der Lackaffe so respektlos mit seinem Bruder sprach. Den hatte sie seit seinem Erscheinen nämlich automatisch als den Ranghöheren eingestuft. Putzfimmel hin oder her.

Erst mit etwas Zeitverzögerung verstand sie daher, was Fernando eben gerade gesagt hatte.

Vater?“, krächzte sie, weil jetzt endlich klar war mit wem sie es hier eigentlich zu tun hatte. Demnach handelte es sich also doch um die Familie Logis und die beiden waren keine Geringeren, als die Söhne des Schlächters. Mit Sicherheit hatte also der echte Alexandro Logis ihnen den Auftrag erteilt, sich höchstpersönlich um die Diebin zu kümmern.

Mit ihrer Frage zog sie erneut die Aufmerksamkeit beider Männer auf sich und weil die nur komisch glotzten und nichts erwiderten, fing sie automatisch an sich zu rechtfertigen.

Das mit dem Diebstahl kann ich erklären. Ich wusste ehrlich nicht ...“

Halt gefälligst das Maul!“, unterbrach sie Fernando barsch. „Zuerst kommst du ins Bad, danach kannst du selbst mit vollem Mund noch deine Unschuld beteuern!“ Damit packte er sie erneut dort, wo sie sowieso schon blaue Flecken bekommen würde. Sie zuckte zurück, konnte sich aber nicht aus seinem Griff befreien. Dieser Fernando war immer noch heiß auf sie und hatte vor Ernst zu machen, doch dieses Mal waren ihre Hände nicht mehr gefesselt und sie wusste jetzt, dass sie es nicht direkt mit dem Schlächter zu tun hatte. Beide Fakten gaben ihr ein Quäntchen mehr Power und stachelten ihre Wut an. Ihre Hände formten sich zu Fäusten und ihre Lippen zu schmalen Strichen. Aber bevor sie etwas wirklich Idiotisches anstellen konnte, mischte sich Alex Logis noch einmal ein.

Nein! Sie soll reden!“, meinte er mit einer Lautstärke und Ernsthaftigkeit, die selbst Fernando innehalten ließ. Und nicht nur das! Er nahm auch jetzt wieder ganz automatisch seine Hände von Lisa. Ah, der andere ist also doch der große Bruder, der das Sagen hat, dachte sie sofort und atmete erleichtert aus, weil sie offenbar wieder etwas Zeit gewonnen hatte. Fernando war hier zwar eindeutig das Ekelpaket, aber die eigentliche Gefahr stand direkt neben ihr und hieß Alex. Für mächtige Menschen hatte sie eben einen guten Instinkt, nur eben nicht für die Liebe oder passende Liebhaber, denn die waren unterm Strich immer eine Katastrophe. Was hatte Giuseppe noch schnell zwischen seinen leidenschaftlichen Küssen behauptet?

Ein kleiner Job. Nichts Aufregendes. Das schaffst du mit links.“ Der Arsch.

Ja“, hatte sie völlig verblödet im Staccato geschrien und einen gigantischen Höhepunkt nach dem anderen erlebt. Aber nun wusste sie ja, warum er sich bei ihr so derart ins Zeug gelegt hatte: Er war nie wirklich an ihr interessiert gewesen, sondern nur daran Alexandro Logis zu bestehlen und in der Hitze der Leidenschaft hatte er schlicht unterlassen ein paar wesentliche Details über diese Familie auszuplaudern.

Ich habe einen dummen Fehler gemacht“, begann Lisa und sah abwechselnd zu Alex und dann zu Fernando. Zweiterer fixierte ihre Lippen immer noch, als wären sie das Tor zum Paradies. Schöne, volle Lippen. In einem natürlichen Rot, das an reife Kirschen erinnerte. Ja, er war definitiv am meisten an ihrem Mund interessiert, Alex hingegen mehr an ihren blauen Augen, denn dort versuchte er offenbar die Wahrheit zu entdecken oder so etwas wie Reue.

Nur einen?“, fragte eben dieser Alex dann so grimmig, dass Lisa kurz zusammenzuckte. Gut, womöglich hatte sie mehr als nur ein Fehler begangen, aber so wie der Mann diese Frage stellte, war es eine Bedrohung. Lisa musste all ihren Mut zusammennehmen, überhaupt weiterzureden. Dieser Alex hatte einfach etwas sehr Eindringliches an sich, obwohl er sich die ganze Zeit zurückhielt und deutlich besser benahm als sein Bruder. Nein, eigentlich tat er viel mehr als das, denn er hatte ihr mehrmals schon geholfen.

Ich ... habe mich verliebt“, begann sie stockend und senkte ihre Stimme. Fürs Erste mochte diese Aussage hier und jetzt dumm und naiv erscheinen, doch es entsprach einfach dem Grundübel, dem sie diese Misere zu verdanken hatte. Und Guiseppe hatte sie ja wirklich geblendet. Automatisch fühlte sie wieder den Schmerz, den sie am Morgen nach dem Diebstahl empfunden hatte, als er mit der Beute einfach so verschwunden war. Natürlich wusste Lisa, dass harte Kerle wie die Logis-Brüder jetzt vor allem Fakten hören wollten, doch Italiener hatten angeblich auch sehr viel für die Liebe über.

Allerdings genügte in diesem Fall ein Blick, um zu wissen, dass diese beiden Männer sie gerade ausschließlich für verrückt hielten. Fernando schnaubte angewidert und Alex fixierte sie mit einem Blick, als wollte er sie jeden Moment zerfleischen.

In Giuseppe Pestolazi“, fuhr sie daher rasch fort und versuchte ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. „Einen charmanten und einfühlsamen Mann ... wie ich dachte. Nur leider war er ein fieser Betrüger und Hochstapler, der mir das Blaue vom Himmel erzählt hat. Er war es, der mich zu diesem Diebstahl überredet hat. Irgendwie hat der Schuft von meiner Gabe Wind bekommen, mich verführt und eine rührselige Geschichte erzählt, nur um ...“

Gabe?“, unterbrach sie Alex forsch und so gezielt, als hätte er mit einem Gewehr auf sie gefeuert. Sein Blick war mörderischer denn je und Lisa fühlte sich augenblicklich noch eine Spur kleiner, als sie schon war. Oj. Hatte sie wirklich ihre Gabe erwähnt? Mist! Die hatte sie doch tunlichst unerwähnt lassen wollen! Verdammt, verdammt, verdammt. Sie räusperte sich kurz, um sich von der gedanklichen Selbstgeißelung abzulenken. Dieser Alex Logis war ja schlimmer als ein Röntgenapparat. Aus all dem emotionalen Zeug und dem Namen des eigentlichen Verbrechers, hatte dieser Mann zielsicher ihr Geheimnis herausgefiltert.

Ihre Gabe.

Leugnen hatte nun wohl keinen Sinn mehr. Einen Moment schloss sie in stiller Resignation die Augen, weil sie sich verplappert hatte. Schweren Herzens rückte sie mit der Sprache heraus.

Ich ...“, begann sie und seufzte leise. „... kann …“ Das Herz klopfte ihr bis zum Hals und den Rest des Satzes würgte sie regelrecht hervor. „… jedes Schloss knacken.“ Es fiel ihr nicht leicht über ihre Gabe zu sprechen, doch entweder kam die Aussage nicht richtig an, oder die beiden hatten ihr kein bisschen zugehört. Sie sahen sie nämlich nur verblüfft an und sagten gar nichts. Trotzdem hätte man eine Stecknadel fallen hören können.

Ha!“, prustete Fernando dann nach ein paar Sekunden los und sein Blick wurde herablassender denn je. „Du???“ Demonstrativ verschränkte er die Arme vor seiner Brust. „Nie im Leben! Dafür bist du viel zu jung und auch viel zu dämlich. Jemand hat dir etwas über unser Sicherheitssystem verraten, womöglich sogar den Code genannt. Sonst wärst du nie auch nur in die Nähe unseres Lagerraums gekommen!“ Fernando war überzeugt, dass sie log, aber Alex fixierte sie mittlerweile so intensiv, dass ihr richtig schwindelig davon wurde. Er kam sogar einen Schritt näher.

Jedes Schloss umschreibt eine verdammt unmögliche Vielzahl. Niemand in deinem Alter weiß so viel über Schlösser und Safes ...“, knurrte er gefährlich leise und mit einer Ernsthaftigkeit, die unter die Haut ging. „... außer er hat einen Komplizen oder einen Informanten im System.“ Es war eine logische Feststellung, obwohl sein Blick diese Aussage nun plötzlich wie eine Frage aussehen ließ. Lisa hatte sogar das eigenartige Gefühl, dass er ihr glauben wollte, es aber eben nicht konnte. Zudem machte die Aufmerksamkeit dieses Mannes sie irgendwie verlegen. Glitzernde grüne Augen mit einem riesengroßen Fragezeichen und einer abartigen Härte, die sie – um Himmels Willen – sogar anziehend fand. Was wusste sie, warum sie bei den unmöglichsten Männern immer eigenartig zu ticken anfing. Es war wohl so ein: „Ich bin ein armer, geschundener Krieger und möchte gerettet werden!“- Ding. Und sie? Sie hatte wohl irgendetwas in den Genen abgefangen. Ein irres Grundmuster oder den Drang in die Richtung ‚Selbstzerstörung‘ zu gehen. Bei Guiseppe war es ja auch dieser scheinbare Leidensdruck gewesen, den er wegen seiner Familie und dem fehlenden Artefakt gehabt hatte und der sie – neben all den körperlichen Attributen – so idiotisch angezogen hatte. Wie die Motte das Licht. Jetzt aber noch auf einen LOGIS so zu reagieren, war eindeutig eine Nummer kranker.

Prompt wurde sie rot. Unangebracht und völlig idiotisch. Erotische Schwingungen waren ja wohl das Letzte in ihrer Situation. Noch dazu für einen schmutzigen Urzeitmenschen mit ungepflegten Haaren! Wenn er wirklich der Sohn von Alexandro Logis, dem Schlächter war, dann konnte er sich ja wohl mit Sicherheit auch saubere Kleidung leisten.

Warum dennoch eine gewisse Spannung zwischen ihnen lag, konnte nur daran liegen, dass sie hier ums Überleben kämpfte, gerade von ihrer Gabe gesprochen hatte und zudem diesen dummen Stolz wegen ihrem Können fühlte. Um ehrlich zu sein, konnte sie sich ein Grinsen kaum noch verbeißen. Himmel, sie war wirklich im Arsch und emotional offenbar komplett durch den Wind.

Aber irgendwie schienen alle ihre Reaktionen (und jeder Idiot hätte das an ihrem Gesicht ablesen können) diesen Alex neugierig zu machen. Zumindest interpretierte sie seinen Blick so und stellte auch fest, dass er schöne Augen hatte. Gott, ich bin so im Eimer! Lisa verfluchte ihre Schwäche für Männer, die sie stets um den Finger gewickelt und ihr in den letzten Jahren nichts als Schmerzen und Probleme bereitet hatten. Sofort verbot sie sich jeden weiteren Quergedanken in diese Richtung. Dieser Mann hier war ein Feind und ganz sicher nicht an ihrem Wohlergehen interessiert. Doch sein Blick war immer noch wie magisch geladen und so eindringlich, als würde er direkt in ihre Seele blicken. Erst nach ein paar Sekunden war der Spuk vorbei und der Mann blinzelte verwirrt. Scheinbar konnte er nicht glauben, was er gerade in ihren Augen erkannt hatte. Aufrichtigkeit?

Erzähl wie du es machst!“, forderte er heiser und kam so nahe, dass Lisa durch seine körperliche Nähe noch konfuser wurde. Seine Augen fixierten auf eine Weise, die sie atemlos machte, weil er nicht nur nach der Wahrheit forschte, sondern plötzlich auch Interesse zeigte. An ihr ... der Frau. Das brachte sie ganz schön durcheinander. Die Kleidung dieses Mannes und sein struppiger Bart wirkten heruntergekommen, doch er selbst war es nicht. Er roch sogar gut unter all dem Schmutz und vielleicht war er auch attraktiv, aber das was sie wissen wollte, war, ob er auf ihrer Seite stand und sie womöglich vor all dem Irrsinn hier beschützen könnte. Und das glaubte sie irgendwie. Der Tick mit dem sauberen Boden wirkte plötzlich nur wie eine vorgeschobene Masche, um sie zu schützen. Wenn sie es bedachte, hatte er sie ja doch in recht kurzer Zeit aus mehreren unangenehmen Situationen befreit, ohne es wirklich wie Hilfe aussehen zu lassen. Vielleicht war es reines Wunschdenken, aber der Gefährlichere der beiden Brüder schien nicht solch ein menschlicher Abschaum zu sein wie der Affe mit den öligen Haaren. Vielleicht lag es an der Intensität seiner Augen, oder an seiner Ernsthaftigkeit ohne Anzüglichkeit ... sie wusste es nicht, aber sie wollte ihn um jeden Preis auf ihre Seite ziehen. Dieses stille Sondieren ohne Worte brachte sie zu der Überzeugung, Alex Logis Junior würde anders sein, obwohl auch er ganz klar dem Familienunternehmen angehörte. Egal wie sehr der Rest seiner Ausstrahlung nach Autorität und Brutalität schrie. Zumindest war sie sich sicher, dass er durchaus andere Methoden kannte, um Menschen zum Sprechen zu bringen.

Ich komme eigentlich aus Deutschland, aber meine Mutter ist Italienerin“, begann sie, weil sie meinte weit ausholen zu müssen, um seine Frage zu beantworten. Ihre Mutter war Italienerin, sehr temperamentvoll und wunderschön. Ohne diese italienischen Wurzeln hätte sie sich vermutlich nie entschlossen nach Rom zu ziehen und sie hätte auch nicht solch einen Tick in Bezug auf italienische Männer gepflegt. Trotzdem wäre sie ohne ihre Wurzeln sicher unglücklich und wie ohne Halt im luftleeren Raum gewesen. Sie brauchte und sie liebte nun mal ihre Herkunft. Doch jetzt war nicht der Moment, um darüber nachzudenken. Hier ging es schließlich nicht um ihre Vergangenheit, sondern um ihre Zukunft. Und die würde schon sehr bald zu Ende sein, wenn sie sich nicht endlich ins Zeug legte. Dieser Alex hatte schon eine Menge Geduld mit ihr gehabt, also holte sie tief Luft und erklärte weiter.

In Deutschland habe ich schon früh begriffen, dass etwas mit mir nicht stimmt. Ich hasste es schon als Kind eingeengt und eingesperrt zu sein und ich befreite mich auch ganz leicht aus allem, was mich zu erdrücken drohte. Dunkle Räume, enge Kästen ... bis hin zu viel zu engem Gewand. Ich war sicher schwer zu handhaben für meine Eltern, aber wenn eine Tür mal irrtümlich hinter mir zufiel oder ich im Keller aus Versehen eingesperrt wurde, kam ich immer wie durch ein Wunder heraus. Es war eine Selbstverständlichkeit, dass nichts und niemand meine Freiheit einengen konnte. Erst als Jugendliche begriff ich, dass ich eine Gabe hatte und Schlösser kein wirkliches Hindernis für mich darstellten. Ich brauchte nur meine Finger darauf zu legen, mich kurz zu konzentrieren und konnte den Mechanismus förmlich vor mir sehen. Bis ins kleinste Detail. Total verständlich für mich und logisch, obwohl ich nie eine Ausbildung diesbezüglich bekommen habe. Und dieses Sehen und Begreifen ist bis heute so. Wenn ich mich konzentriere, dann verstehe ich wie das Schloss funktioniert, bekomme ein heftiges Ziehen im Bauch, ein Kribbeln in den Fingerspitzen und – zack – ist das Schloss auch schon offen.“ Lisa dachte ganz intensiv an den Vorgang, fühlte die Erregung und die Macht dahinter und war in dem Moment zu hundert Prozent authentisch. Sie lächelte sogar leicht, doch Fernando hatte keine Antennen für ihre Gefühle oder die Wahrheit an sich. Er konnte gar nicht anders, als wütend zu werden. Wütend auf sich, diese Frau oder einfach auch auf Gott und die Welt.

Klar und dann kommt irgendeine gute Fee und erfüllt dir ein paar Wünsche“, ätzte er, ehe er sich demonstrativ zu seinem Bruder wandte. „Die hat doch ne Vollmeise“, stellte er fest und untermauerte seine Theorie mit einer eindeutigen Handbewegung. „Also wie wäre es, wenn die Kleine jetzt endlich meine Wünsche erfüllt?“, fragte er dann noch ungeduldig, als wäre das schon die längste Zeit überfällig. Doch Alex machte nur eine kurze Handbewegung und brachte ihn zum Schweigen. Für die Geilheit seines Bruders hatte er gerade überhaupt keine Nerven. Vielmehr kam er noch näher an Lisa heran, obwohl das kaum mehr möglich schien. Vielleicht war es auch nur die Verdoppelung seiner inneren Zuwendung.

Du behauptest also allen Ernstes, du könntest zaubern?“, knurrte er und berührte mittlerweile ihre Nase mit der seinen. Sein Geruch war so derart maskulin, dass sich ihr Unterleib vor Aufregung zusammenzog. Was natürlich auch eine schwachsinnige Reaktion war. Der Mann gehörte schließlich zur Familie des Schlächters, war riesengroß und noch nicht mal ihr Typ. Sie hasste Bärte und sie hasste es, so derart hinaufschauen zu müssen. Der Typ war ja fast zwei Meter groß!

Ja“, antwortete Lisa mit möglichst fester Stimme, um sich von ihren Gedanken an diesen Mann abzulenken. Fernando schnaubte empört. Alex hingegen, der weiterhin an ihrer Nase klebte, zeigte keine wirklich erkennbare Reaktion. Er wirkte nur äußerst konzentriert und gespannt wie ein Bogen.

Beweise es!“, zischte er mit verhaltener Brutalität und starrte sie dabei immer noch so intensiv an, dass sie nicht einmal mehr wagte zu blinzeln. Es war ein solch massiver Übergriff ohne körperliche Gewalt, dass sie immer größere Schwierigkeiten hatte zu atmen. Alleine mit seinem Blick schien er so tief in sie zu dringen, dass sie nicht wusste, ob sie das ausschließlich schlimm fand. Es war verrückt, es war peinlich, aber es war eben das, was gerade passierte. Sie mochte starke Männer und sie mochte es, wenn sie in sie eindrangen. Gott, sie war so verdammt hirnlos!

Fernando!“, befahl er jetzt eine Spur lauter, aber ohne den Blick von ihr abzuwenden. „Hol Vaters Holzkiste aus der obersten Lade meines Schreibtisches! DAS werden wir uns jetzt genau ansehen!“ Natürlich konnte er dieses Ding nicht selber holen, weil er sich ja gerade auf das Nasenduell mit ihr konzentrierte. Außerdem lag da immer noch etwas zwischen ihnen in der Luft, das Lisa total kribbelig machte und das schien er auch zu spüren.

Fernando schnaubte erneut und machte sich auf den Weg. Hier den Diener zu spielen, schien ihn ziemlich zu verärgern. Doch was ärgerte den Typen eigentlich nicht? Seit er sein abartiges Spielchen mit Lisa nicht zu Ende bringen konnte, war er nur noch sauer und unangenehm. Gut, er war auch vorher schon nur unangenehm gewesen.

Alex nutzte den Moment von Fernandos Abstand, um Lisa leise etwas ins Ohr zu flüstern.

Mein Bruder hat vielleicht keine Manieren, aber ich kann schon verstehen, was er an dir findet. Du strahlst den puren Sex aus und dein Mund ist die reinste Sünde. Hätte da nicht eben noch der Schwanz meines Bruders drinnen gesteckt, würde ich dich am liebsten küssen.“ Bewusst pustete er dabei seinen Atem in ihr Ohr und lachte leise. Womit ihre Verwirrung auch gleich wieder fortgespült wurde. Der Atem kribbelte auf ihrer Haut, aber seine Unverschämtheit war einfach zu grob.

Ja, glauben Sie denn mir schmeckt das?“, zischte sie aufgebracht und bemerkte erst an seinem überraschten Blick die Doppeldeutigkeit ihrer Worte. Schmecken war aber auch eine ziemlich blöde Bezeichnung in dem Zusammenhang. Lisa wurde prompt rot. „Das sagen wir so, wenn man etwas nicht will“, erklärte sie und biss auf ihre Unterlippe. „Deutscher Sprachgebrauch eben. Hier passt es nur zufällig auch von der eigentlichen Bedeutung, der Semantik. Wegen dem Geschmack und so, ach verdammt.“ Sie plapperte, war aufgewühlt und natürlich verängstigt. Aber genau diese Kombination schien Alex Logis Junior irgendwie anzusprechen. Oder es gefiel ihm, wie sie dachte und erklärte. Zumindest meinte Lisa unter all dem Gestrüpp ein Lächeln zu erkennen. Was war das nur zwischen ihnen? Er musste sie doch verachten und sie wiederum fand ihn nicht mal hübsch, nur eben machtvoll.

Hier! Die Box“, unterbrach Fernando das Geplänkel und übergab das Ding seinem Bruder. Sein Blick streifte ärgerlich über die beiden hinweg, denn die knisternde Atmosphäre zwischen Alex und Lisa war ihm nicht entgangen.

Danke“, bemerkte Alex ohne sich umzudrehen oder Lisa aus den Augen zu lassen. Er nahm die Box entgegen, blickte kurz darauf und überreichte sie dann wortlos der Diebin. Lisa griff zu und versuchte sich nun endlich aus dem intensiven Interesse des Mannes zu befreien.

Als sie die Augen nun senkte, summte es in ihrem Schädel, als hätte er ihr Innerstes mit einem Laserstrahl durchgepflügt oder ihr Gehirn einer kleinen Wäsche unterzogen. Sie wusste, dass das unmöglich war, denn niemand konnte eine derartige Macht über andere haben, aber mit dem richtigen Glauben und der eigenen Unsicherheit war viel möglich. Lisa schüttelte kurz den Kopf und konzentrierte sich auf die kleine Holzschatulle in ihrer Hand.

Aufs Erste sah die Kiste nicht weiter ungewöhnlich aus, mehr wie eine Zigarrenbox, nur eben schön verziert mit wertvollen Einlegearbeiten. Doch sobald Lisas Finger sich um das Schloss des Kästchens legten, begann sie zu staunen. Da war schon eine sehr ungewöhnliche Schwingung zu spüren! Wärme und Energie brannten auf ihren Fingerspitzen, fuhren über ihre Handfläche hinauf über ihren Arm bis zu ihrer Schulter. Dieses Schloss vibrierte auf jeden Fall viel stärker als alle Schlösser, die sie je berührt hatte. Und … es flüstere ihr zu. In einer unbekannten Sprache, die so uralt erschien, wie die Menschheit selbst. Dunkel und unheilvoll wisperten Worte durch ihren Kopf. Geschichten wurden erzählt während etwas Machtvolles durch ihren Körper kroch. Zumindest vibrierte etwas Unbekanntes in ihr, breitete sich aus und erfüllte mehr und mehr ihr Wesen.

Lisa gab ein komisches Geräusch von sich. Sie liebte es Schlösser zu knacken und die Energie dabei zu spüren. Doch das hier war beeindruckend störrisch und völlig anders in seiner Qualität. Ihr Körper schauderte unter der düsteren Kraft und doch fühlte sie sich dabei nicht ausschließlich verängstig, sondern auch ein wenig glücklich. Die eigentliche Magie hinter der Kraft glitzerte auf eine Weise in ihrem Wesen, als stünde sie plötzlich unter Hypnose oder Drogeneinfluss. Ja, es kam einem Rausch gleich und hatte wohl etwas mit Endorphinen zu tun. Dieses Kästchen war außergewöhnlich und die Kraft des Schlosses fantastisch und machtvoll. In den falschen Händen war es vermutlich der schwarzen Magie zuzuordnen und mit einem gewöhnlichen Schlüssel sicher nicht zu öffnen. Zumindest ging sie von Magie aus, denn mit herkömmlicher Physik oder Mechanik war dieses Gefühl nicht zu erklären.

Zum ersten Mal war sie also nicht sicher, ob sie es schaffen würde und das machte sie nervös. Dazu spürte sie auch noch die Anspannung der beiden Männer, ihre Ungeduld und ihren Widerwillen. Als würde dieses winzige Kästchen sämtliche Emotionen im Raum verstärken oder nur für sie besonders deutlich machen. Das machte sie ein wenig nervös. Also schloss sie demonstrativ die Augen und versuchte sich mehr zu konzentrieren. Sie hatte hier schließlich gerade einen Beweis zu liefern und genau der könnte ihre Chance erhöhen länger zu leben. Und diese Überlegung half ihr letztendlich auch. Sie blendete die beiden Männer völlig aus und ließ sich nun ausschließlich von dem Kästchen und der Schwingung der Magie erfüllen. Lisa stellte sich auf das tiefe Summen ein, ließ die Kraft und die Stimmen zu und selbst das Dunkle daran verängstigte sie nicht länger. Im Gegenteil. Es fühlte sich gut an. Sanft fuhren ihre Finger über das Holz, drückten auf das Schlüsselloch und streichelten weiter. Die beiden Männer hatte sie ausgeblendet, aber sie hörte sie stöhnen, als würde sie nicht gerade über das Holz streichen, sondern über deren nackte Haut. Dann spürte sie das wohlige Ziehen in ihrem Bauch, das Prickeln auf ihren Fingerspitzen, das Gefühl von Macht und Grenzenlosigkeit ... und wusste, dass sie es doch auch dieses Mal schaffen würde. Sie verstand die Worte dieser alten Sprache nicht, konnte an der Dunkelheit nichts Unheimliches mehr finden, nur Verständnis und einen gewissen Gleichklang. Sie lachte über das Prickeln, liebkoste die magische Kraft wie einen Geliebten und genoss diese ultimative Verständigung, die alle Grenzen zu sprengen vermochte. Zum ersten Mal kam Lisa mit solch einer Kraft in Berührung und zum ersten Mal verstand sie, dass ihre Gabe Kommunikation auf anderer Ebene war.

Als sie die Augen wieder öffnete, veränderte sie die Position ihrer Finger ein letztes Mal und übte leichten Druck aus. Sie konzentrierte sich auf das Kästchen, ließ aber auch einen ersten Seitenblick auf die Männer zu. Die hatten sie die ganze Zeit mit unverhohlener Gier beobachtet. Ihre Augen glänzten fiebrig, ihre Münder standen offen. Fernando wirkte dabei irgendwie gehetzt, Alex hingegen verblüfft und fasziniert. Sie starrten sie auch weiterhin an, als hätte sie mit ihrem Tun ein unsichtbares Biest gezähmt oder gar ein wildes Tier geritten. Erotik lag in der Luft, obwohl es hier keinen ersichtlichen Grund dafür gab. Sie spürten nur alle diese ungewöhnliche Schwingung, die durch Lisa pulsierte und umgeleitet wurde. Das leise, schabende Geräusch kündigte dann bereits an, was bis vor kurzem keiner wirklich geglaubt hatte. Die Augen der beiden Männer weiteten sich noch mehr vor Staunen und Lisa begann lasziv zu grinsen.

Dann sprang die Box tatsächlich auf.

Das ist ... unmöglich!!!“ Fernandos Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze der Fassungslosigkeit. Immer wieder starrte er von der Box zu Lisa und zurück. Er war erregt, wütend und offensichtlich vollkommen durcheinander. Seine Augen sprühten dämonische Funken, obwohl er Lisa ansah, als wäre sie gerade aus der Hölle emporgestiegen. Sein Vorhaben mit ihr ein perverses Verhör durchzuziehen, schien ihm mit einem Mal völlig vergangen zu sein und das, obwohl die ganze Atmosphäre mittlerweile vor Erotik nur so knisterte.

Alex hingegen packte blitzschnell die Box und klappte sofort wieder den Deckel zu. Was irgendwie übertrieben wirkte, obwohl er bis auf diese schnelle Aktion sonst kaum Reaktion zeigte. Er sprach auch kein Wort und ignorierte Lisa, als könnte er das Ergebnis nicht fassen. Dabei hatte sie den Eindruck gehabt, dass er eigentlich mit ihrem Erfolg gerechnet hatte. Nur konnte er offenbar nicht ausschließlich cool damit umgehen.

Lisa fühlte sich jedenfalls großartig – wie immer, wenn sie es geschafft hatte eine Barriere zu beseitigen oder ein Schloss zu knacken. Es war ein Gefühl von Verständnis, das sie beflügelte, aber es war vor allem das Gefühl von Freiheit, das ihren Körper mit Endorphinen überschwemmte. Sie strahlte wie ein funkelnder Diamant, hatte rosige Wangen und war einfach wunderschön anzusehen. Entsprechend euphorisch sah sie auch zu den beiden Männern. Egal wie frustriert, schockiert oder verblüfft die gerade waren. Das übertrieben schnelle Zuklappen der Box kam ihr zwar komisch vor, aber was wusste sie schon, was sich in dem Ding befand oder warum die zwei Männer so seltsam reagierten. Irgendwann würden sich die beiden Idioten schon fangen und ihr ein Lob aussprechen. Schließlich hatte sie gerade bewiesen, was sie konnte und, dass sie die Wahrheit gesagt hatte.

Ja, sie konnte JEDES Schloss knacken, selbst wenn es irgendwie magisch verschlüsselt war. Am liebsten hätte sie getanzt, den bärigen Typen geküsst und dem Lackaffen in die Eier getreten. Doch davon sah sie lieber ab, grinste lieber nur still vor sich hin und wartete, dass die beiden Herren sich nun endlich besinnen würden.

Alex atmete tief durch und begann sich als Erster zu bewegen. Allerdings rieb er sich lediglich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck über die Stirn. So, als hätte er furchtbare Kopfschmerzen, oder plötzlich ein großes ... ein wirklich großes ... Problem. Auch Fernando zeigte weiterhin nicht die gewünschte Reaktion und allmählich kapierte Lisa, dass sie mit der kleinen Demonstration ihre Situation nicht gerade verbessert hatte. Verdammt, irgendetwas läuft hier gerade ziemlich falsch. Die nächsten Worte von Alex Logis schienen das auch zu bestätigen.

Das ist allerdings ein Problem“, seufzte er nämlich und rieb sich weiterhin die Stirn.

Was heißt Problem?“, schrie Fernando aufgebracht. „Sie hat Vaters Gott verschissene Box geöffnet! Weißt du was das heißt? Wir sind einfach nur tot! T-O-T!“ Fernando fuhr sich zittrig durch seine öligen Haare und ging schwer atmend zurück zum Tisch, um sich sein Whiskeyglas zu holen. Als er bemerkte, dass es fast leer war, schenkte er sich erneut ein. Großzügig, doppelt bis dreifach. Dann kippte er das Zeug mit einem Satz herunter und machte dabei eine Grimasse, als würde der Whiskey ihm die Eingeweide verbrennen.

Kann ich auch einen haben?“, fragte Lisa, weil sie noch im Endorphinrausch schwebte und zugleich die negative Aufregung nicht verstand. Außerdem wollte sie schon längst ihren Mund desinfizieren. Doch die normale Bitte in einer nicht normalen Situation, überforderte den Lackaffen total. Mit einem lauten Brüllen schleuderte er sein Glas quer durch den Raum bis es klirrend an der Wand zerschellte.

Du verdammte Hexe kannst froh sein, wenn du die nächsten zehn Minuten überlebst“, schrie er mit hochrotem Kopf. „Verlangt einfach sündteuren Whiskey, als hätte sie nicht gerade die ganze Welt auf den Kopf gestellt!“, brüllte er fassungslos und ballte die Fäuste, als würde er jeden Moment wo dagegen schlagen. Das war freilich gehörig einschüchternd, aber Lisa verstand gar nicht warum er so aufgeregt war. Selbst der Sauberkeitsfanatiker neben ihr schien noch immer nicht ganz da‘ zu sein. Noch nicht mal zu den Scherben am Boden sagte er etwas. Dabei war das ja wohl eine viel größere Sauerei als die paar Speichelflecken von ihr.

Gönn ihr halt einen Schluck!“, sagte er schließlich und sah Lisa dabei tief in die Augen. „Der Drink wird sowieso ihr letzter sein.“

03.Kapitel



Was ist nur passiert?

Eben noch hatte sie an ihrem Engelsbild gemalt und sich in den buntesten Farben die weitere Vorgehensweise überlegt und dann erwachte sie in einem abgedunkelten Raum? Einfach so? Als wäre sie ohnmächtig geworden oder im Schlaf gewandelt. Der Raum kam ihr nicht bekannt vor, Bilder waren keine zu sehen und so wie es sich anfühlte, hatte sie ein paar Stunden verloren. Ihr Kopf dröhnte, ihr Mund war ausgetrocknet und sie hatte einen ekelhaften Geschmack auf der Zunge.

Das ergab irgendwie keinen Sinn, wirkte nicht real. Raffaelas Augen versuchten im düsteren Raum etwas zu erkennen, wanderten hektisch von rechts nach links und auch von oben nach unten. Sie lag auf einem Bett, aber auch das kam ihr nicht bekannt vor. Nichts kam ihr hier bekannt vor. Was ist nur passiert? … dachte sie erneut und versuchte sich zu beruhigen. Hatte sie etwa ein Blackout gehabt oder war sie beim Malen so sehr in eine andere Welt abgetaucht, dass sie vollkommen ihr Bewusstsein verloren hatte?

Raffaela setzte sich automatisch ein wenig mehr auf, wollte aufstehen und genau erkunden, wo sie war, doch aus irgendeinem Grund fühlte sie sich wie mit schweren Sandsäcken an dieses Bett gebunden. Dabei konnte sie keine realen Fesseln erkennen. Sie war nur einfach zu keiner wirklich kontrollierten und schnellen Bewegung in der Lage. Als würde ihr Körper nicht länger von ihr gesteuert werden. Ihr Kopf brummte zudem ungewöhnlich stark und ihre Augen wollten ihr ständig zufallen … bis dann doch noch die Erinnerung einsetzte.

Sie tauchte gerade den Pinsel erneut in die Farbe, als sie ein ungewohntes Geräusch bemerkte. Es war nicht wirklich zuzuordnen, aber doch so anders, als die üblichen Geräusche des Parkettbodens, des Boilers oder der Nachbarn, dass sie versucht war aufzustehen und nachzusehen. Einen Pinselstrich musste sie allerdings vorher noch setzen, denn der Engel brüllte förmlich danach endlich Gestalt annehmen zu dürfen. Sie hatte noch nicht viel geschafft, gerade ein paar Linien, eine erste Struktur, doch bisher wirkte er irgendwie unrund, ungeduldig und herrisch. Als würde er schon viel zu lange auf seine Erschaffung warten. Im Moment war er sogar sehr aggressiv, doch das konnte Raffaela nicht so recht begreifen. Mit der Farbe Rot hatte sie sich bisher zurückgehalten und er sollte doch ihr wunderbarer Held werden, ihr Helfer und … ihr himmlischer Liebhaber.

Wieder hörte sie dieses seltsame Geräusch und das brachte sie nun doch dazu, den Pinsel aus der Hand zu legen. In ihrem Kopf schien der Engel ein HALT zu schreien und sie mit aller Kraft zum Weitermalen zu animieren, doch Raffaela musste dem Geräusch auf den Grund gehen. Ein letzter Blick auf das schöne Gesicht, dem noch Mund und Nase fehlten, dann wollte sie aufstehen. Doch gerade in dem Moment als sie sich bewegte, packte sie jemand hart von hinten und presste ihr etwas sehr übel Riechendes auf Nase und Mund. Ether vermutlich. So schnell konnte sie gar nicht reagieren, wurde ihr auch schon übel und schwarz vor Augen. Den entsetzten Blick des Engels auf der Leinwand konnte sie dennoch kurz sehen und sein verzweifeltes Brüllen in ihrem Kopf hören. Raffaela schwanden die Sinne, aber sie fühlte sich glücklich dabei. Ihr schlaff gewordener Körper fiel in sich zusammen und in die Arme des Mannes, der bei ihr eingebrochen war. Aber vor ihrer Ohnmacht hatte sie erkannt, dass der Engel sie schon jetzt beschützen wollte.

Was ...?“, fragte sie laut und krümmte sich in einem langen Hustenanfall, weil ihre Kehle trocken war. Die Erinnerung hatte sie wie ein Dejá vu überrollt und ihr den Atem geraubt, aber zumindest Klarheit über ihre Situation gebracht, wenn auch keine Erklärung über die Entführung oder den Ort, wo sie sich gerade befand. Dieses Dejá vu verdankte sie ihrem Engel, also ihrer halbfertigen, magischen Schöpfung. Sie wusste das irgendwie und sie spürte ‚sein‘ Wollen zu helfen. Dumm daran war nur, dass er noch zwischen den Welten gefangen war und sie daher nicht wirklich aus dieser Lage befreien konnte. Sie spürte seine Anwesenheit zwar in ihrem Herzen, aber seine Macht war begrenzt. Was kein Wunder war, wenn man bedachte, dass er noch lange nicht fertiggemalt war. In der geistigen Welt existierte er gerade mal als Idee und in der materiellen Welt nur als schemenhaftes Wesen mit ersten Konturen von Augen.

Ja, phasenweise war Raffaela höchst seltsam. Wie nicht von dieser Welt. Aber sie konnte nun mal magisch erschaffen. Doch jetzt … jetzt musste sie erst einmal ihre reale Situation überdenken und auf magische oder himmlische Unterstützung verzichten. Sie musste sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren und überlegen, warum sie entführt worden war. Sie war noch keine bekannte Malerin, hatte wenig Geld und auch keine reichen Verwandten. Warum also der Aufwand? Und warum lebte sie überhaupt noch? Sexuelles Interesse mochte vielleicht eine Rolle spielen und Raffaela versuchte sich das auszumalen (nicht wirklich und ganz ohne Farbe), konnte sich aber letztendlich auch dieses Motiv nicht vorstellen. Sie war nicht hässlich, hatte aber definitiv viel zu wenige, weibliche Attribute, die einen Mann in den Wahnsinn treiben könnten. In ihren Augen war sie hager und hatte kaum Busen, geschweige denn einen anständigen Hintern.

Nervös kratzte sie sich über ihre Unterarme. Das war so ein Tick, wenn sie überlegte und konnte in eigentümlichen Momenten schon auch mal blutig werden. Vielleicht war es auch nur ihre Art, sich besser zu konzentrieren oder sich und ihren Körper zu spüren. Borderline oder so. Ärgerlich schüttelte sie den Kopf und beendete ihre Kratzorgie. Vielmehr als Grübeln und Kratzen sollte sie wohl rasch auf die Beine kommen. Automatisch nickte sie sich selbst zu, als würde sie in einen Spiegel blicken und versuchte sich langsam vollständig aufzurichten.

Das Zimmer war ihr fremd, die Luft stickig, doch so wie es aussah, waren die Fenster nicht zu öffnen und zudem vergittert. Schwere Vorhänge waren fast zur Gänze zugezogen, aber durch einen kleinen Spalt war noch helles Tageslicht zu sehen. Es konnte also nicht Abend sein, wenn es noch nicht einmal dämmrig war. Viele Stunden hatte sie demnach nicht verloren, wenn ihre letzte Erinnerung am frühen Nachmittag endete. Außer es wären seitdem mehrere Tage vergangen, … was sie aber nicht glaubte. Fakt war jedenfalls, dass sie auf einem harten Bett mit weißen, sauberen Laken lag. Es roch sogar leicht nach Waschmittel. Der eigentlich muffige Geruch kam also vom Zimmer und womöglich davon, dass hier schon lange nicht mehr gelüftet worden war. Ein ewig unbenutzter Raum, ging es ihr durch den Kopf. Vielleicht ein Gästezimmer? Niemand hat schließlich einen Gefangenenraum in seinem Haus, oder etwa doch? Bei dem Gedanken wurde ihr schlecht und um sich abzulenken, sah sie sich noch weiter um. Neben ihrem Bett befand sich ein altes Nachtkästchen aus Holz, auf dem ein Glas Wasser stand. Ein weißer Zettel lag da ebenfalls, aber der interessierte sie im Moment nicht so sehr wie das Glas. Wasser! Zum Glück!

Gierig griff sie danach, denn ihr Hals spürte sich so trocken an, als hätte sie tagelang nichts getrunken. Ihre Hand zitterte ein wenig, doch sie konnte das Glas festhalten und an die Lippen führen. Der seltsame Geruch fiel ihr dabei nicht auf und der erste Schluck brannte wie die Hölle, doch sie konnte nicht aufhören zu trinken. Dafür spürte es sich insgesamt doch zu gut an. Erst gegen Ende bemerkte sie den eigenartigen Nachgeschmack.

Drogen. Sie wusste es so sicher, wie sie nun ihre Situation als beschissen einstufte. Irgendjemand hatte sie entführt und den Grund dafür konnte sie nicht erkennen. Sie war nur eine junge Malerin, die fast mittellos war, geschweige denn Verwandte hatte, die viel Geld für sie bezahlen würden. Ihre Eltern waren tot, ihre Tante in Amerika verschollen. Alles was sie konnte war malen, also was erwartete sich ihr Entführer von ihr? Ein Selbstportrait oder was?

Der Schwindel kam plötzlich, wenn auch nur leicht. Die Droge zeigte erste Wirkung, doch Raffaela fühlte sich gar nicht so schlecht und tippte auf Tranquilizer. Auch schon egal, dachte sie, weil sie gerade lieber benebelt war, als ganz bei der Sache. Nur etwas dösen, brummte sie in Gedanken und wollte sich gerade wieder hinlegen, als ihr der weiße Zettel am Nachtkästchen einfiel. Hastig richtete sie sich auf und schnappte sich das Ding. Ihre Bewegungen waren eckig und unkoordiniert, aber sie erwischte den Brief. Der Inhalt war ziemlich schlampig geschrieben und befand sich auf unordentlichem Papier. Als hätte ihr Entführer wenig Zeit und den Zettel nur rasch aus einem alten Notizbuch gerissen.


Raffaela!

Ich bitte dich hier nicht laut zu werden, noch die Vorhänge ohne meine Erlaubnis zu bewegen. Solltest du gegen diese Regeln verstoßen, hat das Konsequenzen und glaube mir, DU WILLST DIESE KONSEQUENZEN NICHT.

Du fragst dich sicher, warum du hier bist und wie es weitergeht, doch das werde ich dir in den nächsten Tagen persönlich sagen. Dafür ist wohl kein Blatt Papier ausreichend und meine Schreibgeduld sowieso begrenzt. Fürs Erste hast du still zu sein, zu gehorchen und auf mich zu warten. Allerdings weiß ich derzeit noch nicht, wann ich dich besuchen kann und daher wirst du vorerst einmal schlafen.

Mittlerweile wird die Mischung aus Sedativa und Hypnotika wirken. Sofern Du keine Allergie auf einen der Inhaltsstoffe hast, brauchst du dich nicht zu sorgen. Beide Mittel sind in der Regel gut verträglich.

Wir sehen uns bald...


Raffaela fiel der Zettel aus der Hand, denn sie war zu geschockt von dem Inhalt, aber vor allem zu müde, um noch länger die Augen offen zu halten. Ihr Entführer wollte sie so lange unter Drogen setzen, bis er persönlich vorbeikam? Wie gemein und rücksichtslos musste ein Mensch denn sein, um einer Frau so etwas anzutun? Drogenrausch über Tage war ja wohl alles andere als gesund und nur schlicht das Einfachste für jemanden, der offenbar zu beschäftigt war sein eigenes Entführungsopfer zu besuchen.

Arschloch! Und das war noch das Netteste was ihr dazu einfiel. Sie war entführt worden und der Entführer hatte gerade mal keine Zeit, oder wie? Überhaupt … was hatte er oder sie jetzt mit ihr vor und warum hatte er oder sie es nicht gleich niedergeschrieben? Hektisch griff sie noch einmal zum Zettel am Boden, fasste zuerst ins Leere und erwischte ihn dann doch noch. Irgendetwas hatte sie doch sicher übersehen! Einen Namen oder einen Hinweis. Doch als sie den Brief näher an ihr Gesicht hielt, verschwammen die lieblos hingeschmierten Buchstaben bereits vor ihren Augen.

Nein, noch nicht schlafen, dachte sie und versuchte sich zu konzentrieren. Doch da war keine Unterschrift und damit auch kein Hinweis auf die Person, die sie entführt hatte. Allerdings entdeckte sie ein kleines Postskriptum:

PS: Bereite dich auf die Malsession deines Lebens vor!



Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739439594
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
Mafia Magie Diebin Fantasy Spannung Spirituell Liebe Erotik Paranormal Romanze Romance Erotischer Liebesroman Liebesroman

Autor

  • Sabineee Berger (Autor:in)

WARUM SABINE MIT DREI E? Sie passen zu mir und dienen zur Abgrenzung bei Namensgleichheit. Ich bin freischaffende Künstlerin & Schriftstellerin und schreibe seit mehr als fünfzehn Jahren Fantasy-Romane. Mein Slogan lautet "Kunst ist, was berührt und Impulse setzt!"
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Titel: Fantastische Diebin