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Das Geheimnis von Blackwell Heath

Romance Alliance Love Shot 22

von Dorothea Stiller (Autor:in)
192 Seiten
Reihe: Romance Alliance Love Shots, Band 22

Zusammenfassung

Die junge Valentina soll durch eine Zweckehe ihre vom Ruin bedrohte Familie retten. Doch dann bietet sich ihr ein Ausweg. Das berühmte Medium Persephone Lyness sucht eine Gesellschafterin. Valentina taucht in die schillernde Welt der viktorianischen Spiritisten ein und lernt, dass es zwischen Himmel und Erde mehr gibt, als sie ahnt. Auf Einladung einer exzentrischen Adligen reisen die beiden auf deren Landsitz, wo Valentina dem attraktiven Lord L’Isle begegnet, der eine starke Faszination auf sie ausübt. Doch der Mann gibt ihr Rätsel auf. Bei einer Séance, die den Höhepunkt einer Abendgesellschaft bilden soll, sagt Madame Persephone den gewaltsamen Tod eines der Gäste voraus. Und plötzlich wird Valentina in einen Strudel haarsträubender Ereignisse gezogen, bei denen sie nicht nur ihr Herz riskiert.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Eins

Lady Hartcliffes Soirée, Berkeley Square, London, 15. März 1862

Valentina war sich der Blicke der Herren bewusst. Sie beäugten sie neugierig interessiert. Viele der Damen hingegen musterten sie abschätzend und argwöhnisch. Schließlich gehörte Valentina zu den Debütantinnen, deren Eintritt in den Heiratsmarkt mit besonderer Neugier und Wachsamkeit beobachtet wurde.

Für Valentinas erste Saison hatte Mama keine Kosten gescheut. Das himmelblaue Seidenkleid, das sie an diesem Abend trug, stand ihr ausgezeichnet. Das beinahe verboten tiefe Dekolleté entblößte ihre Schultern und ließ unter der Spitze den Ansatz ihrer Brüste erahnen. Endlich konnte sie sich auch einmal wie eine erwachsene Frau präsentieren. Zwei gerüschte Schärpen, die sich unterhalb der Brust kreuzten, sowie ein bestickter und spitzenbesetzter Gürtel betonten ihre schmale Taille. Darunter bauschten sich voluminöse Röcke, die bei jedem Schritt geheimnisvoll raschelten wie ein lauer Sommerwind in den Baumkronen. Elsie hatte ihr himmelblaue und weiße Seidenblüten und Bänder ins Haar geflochten, die hervorragend zu ihren blauen Augen passten. Elsie hatte gemeint, das Kleid ließe sie richtig strahlen.

Sie fühlte sich wie eine Königin, als sie an der Seite ihres Bruders durch die Eingangshalle schritt, um ihre Gastgeberin zu begrüßen. Sie gab sich Mühe, ihre Aufregung zu verbergen und eine unbeeindruckte Miene aufzusetzen.

»Lady Marksbury mit ihrem Ältesten, Mr Valerian Day, und ihrer Tochter, Miss Valentina Day«, verkündete der livrierte Diener. Valentina knickste höflich.

Lady Hartcliffe lächelte und streckte in einer einladenden Geste die Hände aus, die in eleganten weißen Handschuhen steckten. »Meine liebe Lady Marksbury, Mr Day, Miss Day, seien Sie herzlich willkommen. Ich freue mich so, Sie ebenfalls bei meiner Soirée begrüßen zu dürfen, Miss Day. Ihr Debüt hat schließlich bereits für einiges Aufsehen gesorgt, wenn ich so frei sein darf.«

Hitze stieg Valentina in die Wangen. Derlei Aufmerksamkeit war sie nicht gewohnt, doch sie genoss sie in vollen Zügen, ebenso wie die unverhohlen bewundernden Blicke der Herren.

»Kommen Sie, meine Liebe, ich werde Sie ein paar besonders guten Freunden vorstellen.« Lady Hartcliffe bot Valentina den Arm und führte sie in den Salon. Ein verunsicherter Blick über die Schulter zeigte Valentina, dass Mama ein äußerst zufriedenes Gesicht machte. Offenbar war es ihr nur recht, dass Lady Hartcliffe Valentina bei ihrem Eintritt in die bessere Gesellschaft ein wenig behilflich sein wollte.

Folgsam ließ Valentina sich von Grüppchen zu Grüppchen führen, knickste und lächelte artig, während Lady Hartcliffe sie ihren Bekannten vorführte wie eine kostbare Neuerwerbung. Nachdem sie Valentina mit einigen der anwesenden Damen bekannt gemacht hatte, steuerte Lady Hartcliffe auf ein Paar zu, das in der Nähe des Kamins stand. Der Mann mochte ungefähr in Papas Alter sein und hatte dunkles Haar und einen Backenbart. Eine teuer wirkende Uhrenkette baumelte vor der Brust seiner schwarzen Seidenweste. Die Dame in dem hochgeschlossenen, violetten Kleid schien etwas älter zu sein als er, denn ihr Haar war bereits überwiegend silbergrau. Sie hatte es zu einem strengen Knoten gebunden, der von einem perlenbestickten Haarnetz bedeckt wurde.

»Lord Udley, Mrs Palfrey, Sie müssen unbedingt unsere reizende Miss Day kennenlernen, Lady Marksburys Älteste, sie debütiert in diesem Jahr.«

»Obadiah Spiller, der 5. Baron Udley, und seine liebe Schwiegermama Mrs Palfrey.« Valentina knickste und lächelte, während Lady Hartcliffe fortfuhr. »Leider ist unser armer Udley bereits Witwer. Seine Gattin, dieser Engel, hat uns tragischerweise vor zwei Jahren verlassen.«

»Oh, das tut mir leid«, sagte Valentina. Allzu schwer schien die Trauer allerdings nicht auf Lord Udley zu lasten, denn er musterte Valentina mit unverhohlenem Interesse. Sein direkter Blick war ihr beinahe körperlich unangenehm.

»Lady Marksburys Tochter, dann stammen Sie aus Sussex«, stellte er fest und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe. »Wie gefällt es Ihnen in London, Miss Day?«

»Sehr gut, vielen Dank, Lord Udley«, antwortete sie knapp und warf einen Blick über die Schulter, ob sie Valerian irgendwo in der Menge entdecken konnte, doch er war nirgends zu sehen. Dafür nahm sie aus dem Augenwinkel wahr, wie Lord Udleys prüfender Blick an ihrem Hals abwärts glitt. Sie fühlte sich augenblicklich seltsam nackt und wünschte sich, ein Kleid mit einem etwas züchtigeren Ausschnitt gewählt zu haben.

»Ihre erste Saison, und ausgerechnet in diesem Jahr ist der Frühling so verregnet«, bemerkte Mrs Palfrey. »Nicht das Wetter für Ausfahrten im Hyde Park.«

»Nein, Sie möchten sich ja gewiss keinen Schnupfen holen, nicht wahr, Miss Day?«, entgegnete Lady Hartcliffe. »Ein zartes junges Ding wie Sie verkühlt sich, eh man sich’s versieht. Aber dann machen wir es uns eben drinnen nett, nicht wahr? Sie werden sehen, Miss Day, Ihnen wird schon nicht langweilig werden. Abendgesellschaften, Bälle, Theater, Oper – London hat so viel zu bieten.«

»Der armen Miss Day wird noch ganz schwindelig werden. Udleys Bewunderung ist Ihnen jedenfalls bereits gewiss, wie ich sehe. Die Verehrer werden Sie wie die Motten umschwärmen.« Mrs Palfrey warf Lord Udley einen verschmitzten Blick zu. » Da werden Sie sich anstrengen müssen, mein Bester. Unsere Miss Day wurde in Beecham’s Ladies’ Newspaper and Court Chronicle als vielversprechendste Debütantin der Saison namentlich genannt. Ihr wird es an Bewunderern nicht mangeln.«

Lady Hartcliffe und Mrs Palfrey schütteten sich aus vor Lachen, während Lord Udley sich räusperte und sie tadelnd ansah, während er seinen Backenbart zwirbelte. Valentina spürte Hitze in ihren Wangen aufsteigen.

»Verzeihen Sie, Udley, Miss Day. Nun haben wir Sie mit unseren albernen Späßen in Verlegenheit gebracht.« Lady Hartcliffe wischte sich mit dem kleinen Finger eine Träne aus dem Auge. Valentina hätte im Boden versinken mögen. Wieder sah sie sich unauffällig nach Valerian um und entdeckte seinen dunkelbraunen Haarschopf am anderen Ende des Raumes. Er schien in ein Gespräch mit jemandem vertieft, doch Valentina konnte nicht erkennen, mit wem.

»Ich … äh … glaube, mein Bruder wird mich bereits suchen. Es war reizend, Sie kennenzulernen. Lord Udley. Mrs Palfrey. Gewiss haben wir später noch Gelegenheit, miteinander zu plaudern.«

»Das hoffe ich doch sehr, Miss Day. Es war mir eine Freude.« Lord Udley neigte den Kopf und lächelte ölig, wobei er den Blick wieder über Valentinas Schultern und Dekolleté gleiten ließ.

Nicht, wenn ich es verhindern kann, dachte sie, knickste kurz und entfernte sich so rasch, wie es gerade noch als höflich durchgehen konnte.

Nun erst sah sie, dass Valerian mit einer Dame sprach, die ihr nicht bekannt war und deren Erscheinung etwas eigenartig Achtunggebietendes hatte. Ihr Alter war schwer zu schätzen, aber Valentina vermutete, dass sie etwa in Mamas Alter war. Sie trug ein hochgeschlossenes Volantkleid aus perlenbestickter, mitternachtsblauer Seide mit einem ausladenden Reifrock. Ihr lackschwarzes Haar war über der Stirn von einer einzigen breiten, silbrigweißen Strähne durchzogen, streng gescheitelt und im Nacken und an den Seiten zu kunstvollen Rollen aufgesteckt. Darauf thronte ein Haarschmuck mit einer ebenfalls mitternachtsblauen Dahlienblüte aus Seide und Samt, verziert mit Spitze, Perlmutt und Gold. Die von dichten, schwarzen Wimpern umkränzten Augen waren von einem klaren Eisgrau. Als sie sich nun auf Valentina richteten, hatte sie das Gefühl, nichts vor ihnen verbergen zu können. Ein unangenehmes Kribbeln lief Valentina vom Nacken aufwärts über die Kopfhaut. Hinter der rechten Schulter der Dame stand ein hoch aufgeschossener Mann, der selbst Valerian noch um einiges überragte. So reglos stand er, dass man ihn für eine Säule hätte halten können. Sein kantiges Gesicht mit dem langen Kinn und den ausgeprägten Kieferknochen wirkte eingefallen und fahl, als hätte es lange kein Sonnenlicht gesehen. Auch der Mann sah nun in Valentinas Richtung, und seine Augen waren schwarz und glänzend wie polierte Pechkohle. Dem Blick der beiden folgend wandte sich nun auch Valerian um.

»Da bist du ja, Schwesterlein. Wir sprachen soeben von dir. Darf ich dir Mrs Lyness und ihren Assistenten Mr Stoker vorstellen?«

Mrs Lyness? Der Name kam Valentina vage bekannt vor. Sie knickste.

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Miss Day.« Mrs Lyness neigte den Kopf. »Ich hatte gerade Ihren Bruder gefragt, wer denn seine überaus reizende Begleiterin sei.«

Valentina lächelte scheu.

»Mrs Lyness ist ein bekanntes Trancemedium«, erklärte Valerian.

Richtig. Deswegen war ihr der Name so bekannt vorgekommen. Erst gestern hatte sie ihn noch in der Zeitung gelesen, in einem kritischen Artikel über die immer mehr um sich greifende Mode des Tische-Rückens und spiritistischer Sitzungen. Persephone Lyness oder Madame Persephone, wie sie sich nannte. Offenbar auf ihrem Gebiet eine Berühmtheit. Sie hielt regelmäßige spiritistische Salons ab, und es war bisher niemandem gelungen, sie als Schwindlerin zu entlarven. Auch wenn es ihre Konkurrenten und diverse Skeptiker versucht hatten und es immer wieder vorkam, dass Medien der Scharlatanerie überführt wurden.

»Madame Persephone, ich hoffe, wir dürfen heute Abend auf eine Demonstration Ihrer übersinnlichen Fähigkeiten hoffen?«, fragte Valerian.

»Ich fürchte, Lady Hartcliffe wird darauf bestehen«, entgegnete Mrs Lyness mit einem fein ironischen Lächeln. »Eigentlich widerstrebt es mir, den Kontakt mit anderen Sphären des Seins als profane gesellschaftliche Unterhaltung zu inszenieren, doch die Leute verlangen danach, und auch eine Dame muss auf die eine oder andere Weise ihren Unterhalt bestreiten, nicht wahr? Glauben Sie an übersinnliche Phänomene, Mr Day?« Wieder richteten sich die eisgrauen Augen auf Valentina, obwohl die Frage eindeutig für Valerian gedacht gewesen war.

»Ehrlich gesagt habe ich meine Vorbehalte, aber ich bin dennoch äußerst gespannt.«

»Das dürfen Sie sein, Mr Day.« Sie wandte sich dem breitschultrigen Mann mit dem Steingesicht zu. »Nicht wahr, Mr Stoker?«

Er nickte langsam, und sein bis dahin vollkommen unbewegtes Gesicht zeigte ein leichtes Lächeln. Valentina hatte das deutliche Gefühl, dass die beiden sich über sie lustig machten. Allerdings schien es die Art gutmütiger Spott zu sein, die nicht darauf abzielte, andere zu verletzen, sondern sie vielmehr aus der Reserve zu locken.

»Bitte halten Sie Mr Stoker nicht für unhöflich. Er leidet unter einer seltenen Form des Mutismus. Er kann Sie hören, aber nicht sprechen. Jedenfalls nicht mit der Stimme.«

»Verstehe«, sagte Valerian und nickte dem hünenhaften Assistenten freundlich zu.

»Darf ich Ihren Andeutungen entnehmen, dass wir heute noch eine Ihrer berühmten Séancen erleben werden, Mrs Lyness?«, fragte Valentina. Ihre Neugier war geweckt. »Gerade gestern noch las ich darüber in der Zeitung. Der Artikel war sehr kritisch, was den wachsenden Zuspruch für Spiritismus angeht. Es hieß, derlei Praktiken seien Scharlatanerie und stellten eine Gefahr für die geistige Gesundheit dar. Ich hoffe, Sie verzeihen.«

Madame Persephone lachte leise. »Aber natürlich, Miss Day. Warum sollte ich Ihnen Ihre erfrischende Offenheit übel nehmen? Eine gesunde Skepsis hat noch niemandem geschadet, am wenigsten der Jugend. Dennoch werden Sie mir hoffentlich nicht widersprechen, dass es Dinge gibt, die den menschlichen Geist übersteigen.«

»Gewiss, Mrs Lyness«, räumte Valentina ein. »Doch die Menschheit erschließt sich einen immer größeren Wissensschatz. Denken Sie an die enormen wissenschaftlichen Entdeckungen der vergangenen Jahre. Dinge, die man nie für möglich gehalten hätte.«

»Das ist richtig, und möglicherweise werden wir eines Tages das Unerklärliche erklären können«, entgegnete Mrs Lyness. »Doch dann wäre die Welt des Geheimnisses und ihres Zaubers beraubt, oder nicht?«

Valentina lächelte. »Da könnten Sie recht haben, Madame.«

»Geben Sie gut auf Ihre Schwester acht, Mr Day, sie ist ein kluger Kopf. Eine Eigenschaft, die an Frauen selten geschätzt wird und sich nicht mit der erwünschten Fügsamkeit verträgt.« Ihre Lippen kräuselten sich zu einem hintergründigen Lächeln, und sie musterte Valentina aufmerksam. »Nun, ich denke, es wird Zeit, mich auf die Séance vorzubereiten. Es war mir eine besondere Freude, Sie beide kennenzulernen.«

»Eine eigenartige Person«, bemerkte Valerian, als Madame Persephone und Mr Stoker außer Hörweite waren. »Ich bin sehr gespannt, was wir zu sehen bekommen werden. Aber nun komm, ich habe eben zwei Bekannte entdeckt, denen ich dich vorstellen möchte.«

Valentina ergriff diese Gelegenheit nur zu gern, denn sie nahm an, dass Valerians Bekannte eher ihrem Alter entsprächen und weit angenehmere Gesellschaft wären als etwa dieser schmierige Lord Udley.

Tatsächlich wurde der Abend auf diese Weise deutlich vergnüglicher. Zu Lady Hartcliffes Bekanntenkreis zählten unter anderem ein berühmter Konzertpianist und eine Opernsängerin, die Kostproben ihrer Kunst zum Besten gaben. Valentina lernte einige unterhaltsame Leute kennen, darunter einige junge Herren, von denen sie hoffte, sie bei nächster Gelegenheit auf einem Ball wiederzusehen. Die Saison begann für sie recht vielversprechend. So verlor sich langsam die ängstliche Erwartung, die sie anfangs verspürt hatte, weil alle fest damit rechneten, dass sie gleich in ihrer ersten Saison einen passenden Ehemann finden würde. Es beruhigte sie, zu sehen, dass es ihr an Auswahl höchstwahrscheinlich nicht mangeln würde.

Schließlich gesellte sich auch Mama wieder zu ihnen.

»Schrecklich, findest du nicht?«, zischelte sie hinter vorgehaltenem Fächer. »Wie Lady Barlings ihre beiden Ältesten vorführt! Man möchte meinen, wir befänden uns auf einer Viehauktion. Nun ja, man munkelt, dass es finanziell nicht gut um die Familie bestellt ist, und dann gleich vier Töchter! Sie würde die Mädchen wohl auch mit einer Vogelscheuche verheiraten, wenn die nur genügend Geld und einen Titel mitbrächte. Sieh dir an, wie sie um Lord Saxby herumscharwenzelt. Der könnte der Großvater ihrer Töchter sein.«

Valentina hob ebenfalls ihren Fächer und kicherte leise. »Mama! Still, sonst hört uns noch jemand. Mir tun bloß die Mädchen leid.«

»Du hast recht, ich sollte mich nicht über sie lustig machen«, entgegnete Mama. »Allerdings bin ich dankbar, dass du es nicht nötig hast, derart wahllos zu sein.« Sie nahm den Fächer herunter, lächelte und zupfte den Spitzensaum an Valentinas Ärmel zurecht. »Du siehst heute Abend wirklich bezaubernd aus. Das Kleid steht dir ausgezeichnet. Es passt so gut zu deinem dunklen Haar, und bei der Frisur hat Elsie sich selbst übertroffen.« Leise setzte sie hinzu: »Ich möchte wetten, dass du bereits das Interesse einiger Herren geweckt hast. Du wirst dich gewiss nicht anbieten müssen wie sauer Bier.«

Sie sah auf. Lady Hartcliffe hatte sich vor der mehrflügligen Falttür aufgestellt, die den großen Salon von dem angrenzenden Raum trennte, läutete ein Messingglöckchen und räusperte sich. Langsam verstummten die Unterhaltungen, und die Anwesenden wandten sich der Gastgeberin zu.

»Meine lieben Gäste! Wie Sie vielleicht wissen, haben wir am heutigen Abend ein berühmtes Medium unter uns. Daher freue ich mich, Ihnen eine ganz besondere Überraschung präsentieren zu dürfen, denn Madame Persephone hat sich bereit erklärt, uns eine kleine Kostprobe ihrer Fähigkeiten zu geben.«

Auf einen Wink öffneten zwei Diener die Falttür und gaben den Blick auf einen kleineren, vermutlich den privaten Salon der Lady frei. Darin war ein ovaler Holztisch aufgebaut, dessen Platte von einer gedrechselten Säule auf drei Füßen getragen wurde. Um ihn herum waren einige Stühle gruppiert.

»Madame Persephone bittet Sie, hier vor der Tür Platz zu nehmen, sodass Sie alle sehen können.«

Die Diener stellten Stühle und Sessel zu zwei großen Halbkreisen und brachten noch zusätzliche Stühle herein.

»Wenn die Plätze nicht ausreichen, möchte ich die Herren bitten, sich hinter den Stühlen aufzustellen.«

Es dauerte eine Weile, bis sich alle gesetzt hatten. Mama und Valentina setzten sich in die hintere Reihe. Im kleinen Salon hatte Madame Persephone an einem Ende des Tisches auf einem Stuhl mit hoher Rückenlehne Platz genommen. Der Mann, den sie als Mr Stoker angesprochen hatte, stand aufrecht und regungslos hinter ihrer rechten Schulter.

Madame Persephone wandte sich an ihr Publikum. »Verehrte Damen und Herren, Lady Hartcliffe bat mich, Sie heute Abend an einer ganz besonderen Erfahrung teilhaben zu lassen: dem Kontakt mit einer anderen Ebene des Seins. Mir ist bewusst, dass viele von Ihnen diesen Phänomenen skeptisch gegenüberstehen, und ich weiß einen kritischen Geist zu schätzen. Doch wenn Sie an die Wissenschaft glauben, die der Schöpfung eine wachsende Zahl ihrer Geheimnisse abringt, warum sollten Sie daran zweifeln, dass es Dinge gibt, die wir nur bisher noch nicht ausreichend erklären können? Möglicherweise gelingt es uns eines Tages, auch hinter das letzte große Geheimnis zu blicken. Fänden Sie es nicht tröstlich, zu wissen, dass jene, die von uns gegangen sind, nicht fort sind, sondern nur eine neue Ebene das Daseins, eine neue Welt betreten haben, bloß durch einen dünnen Schleier von der unseren getrennt? Halten Sie es nicht für möglich, dass wir durch diesen Schleier hindurchsehen können, wenn wir lernen, unsere Sinne dafür zu schulen, und aufmerksam hinsehen? Heute Abend möchte ich Ihnen bei einer Séance zeigen, dass dies gelingen kann. Dafür benötige ich die Mithilfe einiger Personen aus dem Publikum, die über die nötige Sensitivität verfügen. Mein Assistent Mr Stoker wird gleich einige von Ihnen an der Schulter berühren. Wenn Sie dann so freundlich wären, sich hier an den Tisch zu setzen. In der Zwischenzeit brauche ich zwei Freiwillige, die mir die Fesseln anlegen und überprüfen, ob damit alles seine Richtigkeit hat.«

Valerian und ein weiterer Mann erhoben sich und wurden von Madame Persephone nach vorn gerufen. Mr Stoker glitt langsam und lautlos wie ein Geist durch das Publikum und tippte hier und da einem Gast auf die Schulter. Derweil machten sich Valerian und der andere Herr daran, Madame Persephones Füße mit einem langen Seil zu fesseln. Dessen Ende wurde jemandem in der ersten Reihe in die Hand gegeben, um sicherzustellen, dass das Medium nicht die Füße bewegte. Um ihren Hals wurde ein Lederriemen gebunden, der an der Rückenlehne des Stuhls befestigt wurde, sodass sie den Kopf kaum rühren konnte.

Valentina bemerkte ein eigenartig warmes Gefühl, das vom Ende der Wirbelsäule aufstieg, ins Genick und bis über ihre Kopfhaut ausstrahlte. Eine Gänsehaut überlief ihre Arme, als sie plötzlich eine sanfte Berührung an der Schulter spürte und Mr Stoker neben sich erkannte. Die feinen Härchen in ihrem Nacken richteten sich auf, und sie warf ihrer Mutter einen fragenden Seitenblick zu. Die lächelte und nickte ermunternd. Sie schien Madame Persephones Séance für eine amüsante Abendunterhaltung zu erachten.

Valentina erhob sich und ging zögerlichen Schrittes nach vorn, wo Madame Persephone ihr bedeutete, zu ihrer Linken Platz zu nehmen. Mittlerweile saßen fünf weitere Personen um den ovalen Tisch und hatten nach Anweisung des Mediums die Hände mit gespreizten Fingern und den Handflächen nach unten auf den Tisch gelegt. Schließlich gesellte sich auch der hünenhafte Assistent zu ihnen. Mit ihm wurde ebenso verfahren wie mit dem Medium, um sicherzustellen, dass er sich während der Séance nicht vom Tisch entfernen oder die Tischplatte mit Füßen oder Knien berühren konnte. Als das geschehen war und das Seil, mit dem Mr Stokers Füße gefesselt waren, ebenfalls einer Person im Publikum zur Überwachung in die Hand gegeben worden war, wies Madame Persephone die Gäste am Tisch an, die Daumen aneinanderzulegen und die Hände so zu platzieren, dass der kleine Finger jeweils den der benachbarten Person berührte. Als Valentina ihren Finger über den von Madame Persephone schob, kroch abermals diese eigenartige Wärme ihren Rücken hinauf und schien sich an einem Punkt auf ihrer Stirn zu sammeln. Sie schüttelte sich unauffällig, um das Gefühl abzustreifen. Jetzt ließ sie sich schon von dem Hokuspokus anstecken. Dabei war sie überzeugt, dass es sich bei derlei Veranstaltungen um nichts als geschickte Taschenspielereien handelte.

Wieder erschien dieses dezent ironische Lächeln auf Madame Persephones Gesicht, so als hätte sie Valentinas Gedanken erraten.

Ein Diener legte ein kleines Akkordeon, ein Messingglöckchen und eine Schiefertafel in die Tischmitte, das Zentrum ihres Kreises. Daraufhin ließ Madame Persephone das Gas herunterdrehen. Als Konturen und Farben langsam vom Zwielicht verschluckt wurden, senkte sich eine erwartungsvolle Stille über das Publikum, nur hier und da unterbrochen von Hüsteln, raschelnden Unterröcken und kaum hörbarem Wispern.

Auf Anweisung von Madame Persephone begannen die Anwesenden, die ersten drei Strophen des Kirchenliedes Abide with Me zu singen.

Abide with me;

Fast falls the eventide;

The darkness deepens;

Lord with me abide.

When other helpers fail and comforts flee,

Help of the helpless,

O abide with me.

Als das Lied verklungen war und sich erneut Stille ausbreitete, rief Madame Persephone: »Wesenheiten aus der Geisterwelt, seid ihr da?« Stille. »Werdet ihr die Güte haben, eure Anwesenheit heute in der gewohnten Weise zu manifestieren?«

Noch immer nichts.

»Ist der Geist, der mir heute versprach, mit uns kommunizieren zu wollen, anwesend?«

Abermals Stille.

Doch da, plötzlich ein dumpfer Schlag, der die Tischplatte unter Valentinas Hand zum Vibrieren brachte, dann wieder einer und ein weiterer. Ein erstauntes Raunen durchlief das Publikum.

»Wir danken dir, dass du uns mit deiner Anwesenheit beschenkst«, sagte Madame Persephone in die angespannte Stille. »Ich war sicher, wir würden nicht enttäuscht werden. Sind Geister anwesend, die mit einem der hier Versammelten in Kommunikation treten wollen?«

Dieses Mal dauerte es kaum eine Sekunde und drei rasch aufeinanderfolgende Schläge waren zu hören. Jeder davon schickte Vibrationen durch Valentinas Fingerspitzen, die ihr durch den ganzen Körper bis in die Fußsohlen krochen und ein Gefühl hinterließen, wie wenn man aus dem Warmen plötzlich in die Kälte kam. Für einen Augenblick nahm sie einen eigenartigen Geruch wahr. Er erinnerte an den speziellen Duft eines Sommerregens, der auf der von der Sonne hart gebackenen Erdkrume verdampft.

»Kannst du uns ein Zeichen geben, mit wem diese Geister in Kontakt zu treten wünschen?«, fragte Madame Persephone.

Valentinas Augen hatten sich allmählich an das Dämmerlicht gewöhnt, und sie konnte die groben Umrisse des Mediums zu ihrer Rechten erkennen. Mrs Lyness saß weiterhin aufrecht und unbewegt in ihrem Stuhl. Ihr Finger, der Valentinas berührte, hatte sich die ganze Zeit über nicht bewegt.

Valentina hatte den Eindruck, dass das Publikum und die um den Tisch Versammelten kollektiv den Atem anhielten, während sie auf das Zeichen warteten, um das Madame Persephone gebeten hatte. Plötzlich zerriss ein klares, metallenes Klingeln die angespannte Stille, und ein kurzer Ruck ging durch den Kreis der verbundenen Hände.

Die Dame, die Valentina gegenübersaß, gab einen erschreckten Laut von sich. »Das Glöckchen! Es ist in meinen Schoß gefallen!« Wieder war das klare Bimmeln zu hören, diesmal länger und lauter, beinahe aggressiv.

»Du möchtest also mit Mrs Endacott in Kontakt treten?«

Wieder drei Schläge gegen das Holz des Tisches in schneller Folge. Das Akkordeon in der Tischmitte gab einen lauten Seufzer von sich, und der Ton schien sich in die Luft zu erheben.

»Wer bist du?«, fragte Madame Persephone. »Nenne uns deinen Namen. Würdest du ihn bitte auf der Schiefertafel notieren?«

Abermals erzitterte dreimal hintereinander dröhnend die Tischplatte.

Mrs Lyness bat darum, das Gas wieder hochzudrehen, damit man nachsehen möge. Der Herr, der Valerian eben geholfen hatte, das Medium und seinen Assistenten an ihre Stühle zu fesseln, sprang hinzu. Er nahm die Schiefertafel vom Tisch und hielt sie Mrs Endacott hin, die mit geweiteten Augen darauf starrte, während die Farbe aus ihren Wangen wich.

»Was steht darauf?«, rief jemand aus dem Publikum, und ein Wispern lief durch die Sitzreihen.

Der Herr hielt die Tafel so, dass die Zuschauer lesen konnten, was darauf in krakeligen, dünnen Kreidebuchstaben geschrieben stand: BIZZY.

»Ist es jemand, den Sie kennen?«, fragte er die noch immer recht blasse Mrs Endacott.

Sie nickte und schluckte, bevor sie mit belegter Stimme hervorbrachte: »Schwester.« Sie räusperte sich. »Meine Schwester Beatrice. Ich nannte sie immer Bizzy. Sie starb vor zwei Jahren an einer schweren Lungenentzündung.«

Laute der Verwunderung und des Unglaubens waren aus dem Publikum zu hören.

»Bitte unterbrechen Sie nicht den Kreis«, mahnte Madame Persephone. »Wir benötigen das Alphabet. Wenn Sie so liebenswürdig wären, Lady Hartcliffe.«

Lady Hartcliffe brachte einen Bleistift und eine Karte, auf die offenbar die Buchstaben des Alphabets geschrieben waren. Damit stellte Lady Hartcliffe sich hinter den Stuhl des Mediums.

»Wir wollen feststellen, ob es sich wirklich um den Geist Ihrer Schwester handelt, Mrs Endacott. Ich möchte Sie bitten, eine Frage zu stellen, von der Sie glauben, dass nur Ihre Schwester die Antwort kennen kann.«

»Als wir klein waren, hat unsere Großmutter uns immer ein Lied vorgesungen. Kannst du dich noch an den Namen erinnern?«

Kaum hatte sie die Frage gestellt, als abermals dreimal hintereinander lautes Klopfen zu hören war.

»Das Alphabet, Lady Hartcliffe«, sagte Madame Persephone, und Lady Hartcliffe begann, langsam mit der Spitze des Bleistifts die Buchstaben abzufahren, bis schließlich deutlich ein einzelnes Klopfen ertönte. Lady Hartcliffe diktierte die Lettern, die der Geist anzeigte.

»R-O-S-E-M-A-R-Y-L-A-N-E. Rosemary Lane!«

Mrs Endacott nickte heftig. »Du bist es! Bizzy, du bist es wahrhaftig.«

So ging es noch eine ganze Weile. Mrs Endacott stellte Fragen, die Bizzy beantwortete.

»Ich spüre, dass die Verbindung schwächer wird«, verkündete das Medium. »Bizzy, möchten Sie Ihrer Schwester noch eine Botschaft mitgeben, bevor Sie sich auf den Rückweg in die Jenseitswelt machen?«

Dreimal pochte es gegen den Tisch. Das Geräusch dieses Mal hörbar leiser und kraftloser. Mrs Endacott sah mit gespanntem Blick zu Lady Hartcliffe, die weiter mit dem Bleistift über das Papier fuhr.

»Hab keine Angst und sei nicht traurig. Wir werden uns eines Tages wiedersehen.«

»Bizzy? Bizzy, bist du noch da?«, flüsterte Mrs Endacott in die angespannte Stille. Doch das Klopfen blieb aus. Publikum und Teilnehmer am Tisch sahen einander schweigend und mit erstaunten Gesichtern an. Schließlich beendete Madame Persephone die Séance, ließ sich losbinden und verkündete, dass sie regelmäßige Sitzungen abhalte, zu denen die Anwesenden herzlich eingeladen seien, sollte diese Kostprobe ihrer Fähigkeiten sie überzeugt haben.

Valentina blieb noch eine Weile am Tisch sitzen, während die Versammlung sich langsam auflöste. Sie ließ das eben Erlebte noch einmal vor ihrem geistigen Auge Revue passieren, als Mrs Lyness sie plötzlich aus ihren Gedanken riss.

»Und? Habe ich Sie überzeugen können, Miss Day?«

»Ich bin noch zu keinem Schluss gekommen«, entgegnete Valentina.

Mrs Lyness lächelte. »Das müssen Sie auch nicht. Wir müssen nicht auf alles stets sofort eine Antwort haben. Ihre Haltung gefällt mir, und ich würde gern kurz unter vier Augen mit Ihnen sprechen. Ich hätte da ein Angebot, das Sie möglicherweise interessieren könnte.«

Auf dem Heimweg in der Kutsche kannten Valerian und Mama nur ein Thema: die höchst erstaunliche Darbietung des berühmten Mediums.

»Ich bin mir sicher, dass sich alles, was wir gesehen haben, auf natürliche Weise erklären ließe«, beharrte Valerian. »Es sind alles Tricks, zugegeben recht beeindruckend und geschickt. Ich komme nicht dahinter, wie sie es angestellt haben könnte.«

»Mich schaudert noch immer«, entgegnete Mama und lachte vergnügt. »Eine ganz außergewöhnliche Demonstration. Im Übrigen muss ich dir beipflichten. Und doch kommen einem Zweifel, nicht wahr? Wie konnte sie das Klopfen erzeugen und die Glocke und das Akkordeon zum Klingen bringen? Du selbst hast ihr doch die Füße und den Kopf festgebunden. Und die Hände hat sie auch niemals bewegt?« Sie sah Valentina fragend an.

Valentina schüttelte stumm den Kopf. »Nicht ein einziges Mal«, setzte sie hinzu. Auch sie war in Gedanken noch bei der Séance und den eigenartigen Empfindungen, die diese in ihr ausgelöst hatte.

»Und ich frage mich, wie sie all die Dinge wissen konnte«, fuhr Mama fort.

Valerian lachte. »Man könnte ja meinen, sie hat dich überzeugt. Sie wird ihre Mittel und Wege haben, im Vorfeld etwas über die Gäste in Erfahrung zu bringen. Ein blanker Schilling hier und da, um beim Dienstpersonal die Zunge zu lösen.«

»Das wird es sein. Vermutlich hast du recht. Was denkst du, Valentina?«

»Oh, gewiss ist es, wie ihr sagt.« Sie lächelte. »Und dennoch überzeugend vorgebracht.«

Dabei verschwieg sie Mama und Valerian allerdings die merkwürdige Unterhaltung mit Madame Persephone nach der Séance, die Valentina mit einer eigenartigen, nicht unangenehmen Unruhe zurückgelassen hatte. Im Nachhinein fragte sie sich, ob Madame Persephone ihr Angebot ernst gemeint hatte oder ob sie Valentina lediglich hatte aufziehen wollen.

Zwei

Madame Persephones Bibliothek, Portland Place, London, 16. März 1862

Persephone Lyness saß an dem schweren, dunklen Schreibtisch. Das Licht des Kerzenleuchters brach sich in der glänzenden Kristallkugel, die in einem gusseisernen Halter ruhte. Persephone brütete über einem dicken, ledergebundenen Buch, dessen Seiten, braun und empfindlich wie trockenes Herbstlaub, eng in feinen Lettern beschrieben waren. Reglos wie ein Baum stand ihr Assistent Mr Stoker an ihrer Seite und rührte sich erst, als sie schließlich aufsah und sich zu ihm umwandte.

»Was halten Sie davon, Stoker?« Sie schob ihm den alten, staubigen Wälzer zu, und er beugte sich darüber. Persephone beobachtete aufmerksam das Spiel der feinen Muskeln unter seiner fahlen Gesichtshaut. Ein kleines Zucken in seinen Schläfen zeigte Aufregung an. Seine Kiefermuskeln spannten sich und eine Falte bildete sich zwischen seinen Augen.

»Sie haben es also auch gesehen, mein Freund, nicht wahr?«

Stoker nickte langsam und wandte sich wieder dem aufgeschlagenen Buch zu. Schließlich richtete er sich auf, und seine langen, kräftigen Finger, die ein wenig an knorrige Zweige erinnerten, formten Worte.

Persephone nickte. »Das dachte ich auch. Es könnte gut sein, dass wir endlich gefunden haben, wonach wir schon so lange suchen. Diese Aura. Noch nie habe ich eine derart fokussierte odische Energie wahrgenommen. Sie war einfach außergewöhnlich. Erstaunlich.«

Mit ruhigen, bedächtigen Gesten antwortete Stoker, und seine Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln, das kleine Fältchen um seine dunklen Augen entstehen ließ.

»Wir können es nur hoffen. Bloß weiß die junge Dame noch nichts von ihrer tragenden Rolle in diesem Stück. Und ich fürchte, meine direkte Herangehensweise war nicht besonders gelungen. Schreiben wir es meiner außerordentlichen Erregung zu. Ich habe jedoch Bedenken, dass ich die junge Dame verschreckt haben könnte.«

Stoker lachte. Es war ein dunkler Ton, der tief in seiner Brust erzeugt wurde und wie das entfernte Grollen eines Sommergewitters klang. Seine Finger tanzten durch die Luft.

»Ihr Wort in Gottes Ohr, mein Lieber«, entgegnete Persephone. »Vielleicht ist da etwas Wahres dran. Es wird, was sein soll. Dennoch überlege ich, ob es nicht besser wäre, dem Schicksal möglicherweise etwas auf die Sprünge zu helfen.«

Wieder gestikulierten Stokers knorrige Hände.

»Sie haben recht. Ich werde warten. Auch wenn Geduld nicht gerade eine meiner Stärken ist, mein Guter. Aber das wissen Sie schließlich am allerbesten.«

Abermals ließ Stoker sein grollendes Lachen hören.

»Lassen Sie mich sehen, ob ich etwas erkennen kann«, sagte Persephone schließlich und klappte das Buch zu, was eine feine Wolke Staubflöckchen aufwirbelte, die im Kerzenschein tanzten.

Mit einem tiefen Seufzer reichte sie Stoker das Buch, der damit zu einem der deckenhohen Bücherregale ging und es zurück an seinen Platz stellte, während Persephone die große Kristallsphäre in die Tischmitte zog. Sie rückte den Kerzenleuchter dahinter. »Holen Sie das Medaillon. Ich werde versuchen, ob ich etwas empfangen kann. Die Schwingungen im odischen Netzwerk erscheinen mir heute besonders stark.«

Der hochgewachsene Assistent nickte bedächtig und ging mit ausgreifenden Schritten zur Tür.

Persephone atmete noch einmal tief durch und beugte sich über die spiegelnde Glaskugel.

Drei

Stadthaus von Lord und Lady Marksbury, Harewood Square, London, 18. März 1862

Zwei Tage waren seit der Soirée bei Lady Hartcliffe vergangen, als Valentina am Morgen von freundlichen Sonnenstrahlen geweckt wurde, die durch die Lücke in den schweren, grünen Samtvorhängen ins Zimmer fielen und die verschlungenen Blätter, Blüten und Früchte auf der Tapete zum Leben erweckten. So verregnet war dieses vertrackte Frühjahr, dass sie schon geglaubt hatte, vergessen zu haben, wie die Sonne aussah und sich anfühlte. Gut gelaunt schob sie die Decken zur Seite, kroch aus dem Bett und streckte sich. Sie öffnete die Vorhänge und sah hinaus. Herrlich sah es aus. Sie wollte Mama oder Valerian bitten, mit ihr eine Ausfahrt in den Hyde Park zu unternehmen. Allerdings war ihr Mama in den Tagen seit der Abendgesellschaft eigenartig geistesabwesend vorgekommen, als ob irgendetwas ihre Gedanken beschäftigte. Valentina wusch sich und läutete nach Elsie, damit sie ihr bei der restlichen Morgentoilette und beim Ankleiden half. Sie zog das cremefarbene Tageskleid mit dem Blumenmuster an, das an Ärmeln und Rock mit mehreren Reihen plissierter, mintfarbener Seidenbänder gesäumt war. Sie fand, dass es gut zum ersten hoffnungsvollen Hauch des Frühlings passte, der sie an diesem Morgen geweckt hatte.

Sie ging die Treppe hinunter in den Morgensalon, wo sie ihre Mutter am Frühstückstisch antraf. Sie war offenbar so in Gedanken versunken, dass sie Valentina nicht bemerkte. Sie rührte in ihrem Tee und schien zum Fenster hinauszusehen. Vor ihr auf dem Teller lag ein unberührtes Stück Röstbrot. Valentina wollte sie nicht erschrecken und räusperte sich leise, bevor sie sprach. »Guten Morgen, Mama. Hast du gut geschlafen?«

Mama fuhr zusammen und wandte den Kopf. Sogleich erschien ein Lächeln auf ihren Lippen, doch es spiegelte sich nicht in ihren Augen.

»Guten Morgen, Liebes. Ja, sehr gut, danke.« Sie wandte rasch den Blick wieder ab und schaute in ihre Tasse. Valentina hatte den Eindruck, dass ihre Augen gerötet aussahen. Sie legte ihrer Mutter die Hand auf den Unterarm.

»Geht es dir nicht gut, Mama?«

»O doch, natürlich, danke. Ich fürchte, ich habe mich nur ein wenig verkühlt und einen leichten Schnupfen. Kein Wunder bei diesem Wetter. Zum Glück scheint es heute etwas freundlicher zu werden.«

»Richtig«, sagte Valentina und ließ sich von ihrer Mutter Tee einschenken. »Deswegen wollte ich dich auch fragen, ob wir nicht vielleicht eine Ausfahrt in den Hyde Park unternehmen könnten.«

Mama schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, Liebes, ich … ich habe noch einiges zu erledigen. Vielleicht kannst du Valerian oder Corbin bitten, dich zu begleiten. Sie sind in der Bibliothek.«

Valentina fragte sich, was ihre Mutter so Dringendes zu erledigen hatte, dass sie an ihrem ersten sonnigen Tag in London auf einen Ausflug in den Park verzichten wollte. Heute würde halb London dort anzutreffen sein. Alle, die Rang und Namen hatten, würden die Gelegenheit nutzen, ihre edlen Reitpferde, auf Hochglanz polierten Kutschen, die neueste Frühjahrsmode aus Paris und natürlich ihre heiratsfähigen Töchter vorzuführen. Und das wussten auch die begehrten jungen Herren, die dort ebenfalls zum Schaulaufen antreten würden. Das Spektakel konnte sich Valentina auf keinen Fall entgehen lassen.

»Ist Papa im Studierzimmer?«, fragte sie. »Ich würde ihn gern fragen, ob wir die Kalesche nehmen können.«

»Bitte störe ihn nicht, er hat zu tun«, sagte ihre Mutter, und Valentina glaubte, eine unerklärliche Schärfe in ihrem Ton bemerkt zu haben. »Er wird gewiss nichts dagegen haben.«

Sie stutzte und sah ihre Mutter fragend an. Papa hatte an den beiden vorangegangenen Abenden bereits im Club zu Abend gegessen, was meistens ein Zeichen war, dass im Parlament etwas Wichtiges stattfand, er Leute treffen und dringende Angelegenheiten besprechen musste.

»Meinst du, es gibt eine Krise im Parlament? Er würde uns doch gewiss sagen, wenn es Grund zur Sorge gäbe, nicht wahr?«

Mama nickte nur knapp. »Ja, das würde er. Bevor ihr ausfahrt, solltest du aber gut frühstücken. Soll ich dir etwas Porridge bringen lassen?«

Valentina hatte das unbestimmte Gefühl, dass ihre Mutter nur zu gern das Thema wechselte, aber es hatte keinen Sinn, sie zu bedrängen. Mama konnte recht stur sein. Also beschloss sie, sich die Laune und den schönen Sonnentag nicht verderben zu lassen.

Als sie gefrühstückt hatte, ging sie in die Bibliothek, um ihre Brüder zu bitten, sie bei der Ausfahrt zu begleiten. Als sie den Raum betrat, hörte sie noch, wie jemand an der Haustür läutete und der Butler ging, um zu öffnen. Sie hatten recht spät gefrühstückt, vermutlich war es eine der Damen, die regelmäßig auf ihrer morgendlichen Runde hereinschauten, um mit Mama den neuesten Klatsch auszutauschen.

Valentina war überrascht, nur Corbin in der Bibliothek anzutreffen. Offenbar war Valerian bereits ausgeritten, und Valentina fragte sich, ob er möglicherweise darauf aus war, jemand Bestimmten zu treffen. Zum Glück gelang es ihr mit Leichtigkeit, Corbin zu einer Ausfahrt im Park zu überreden. Als sie gerade die Bibliothek wieder verlassen wollte, erschien der Butler und teilte ihnen mit, dass Mama sie im Salon zu sehen wünschte.

»Anscheinend haben wir Besuch, der auf unsere Anwesenheit Wert legt«, folgerte Corbin. »Vielleicht ein Galan, dem du bei Lady Hartcliffe ins Auge gefallen bist, Schwesterchen?«

»Ach, papperlapapp!« Valentina schlug ihm spielerisch auf dem Arm. »Komm, wir sollten Mama nicht warten lassen.«

Sie folgten dem Butler in den Salon, und Valentina wäre am liebsten gleich rückwärts wieder hinausgegangen. »Corbin, Valentina, da seid ihr ja. Kommt herein und begrüßt unsere lieben Gäste. Lord Udley, Mrs Palfrey, ich darf Ihnen meinen Jüngsten vorstellen, Mr Corbin Day. Und Valentina kennen Sie ja bereits.«

Mrs Palfrey lächelte und knickste kurz. Lord Udley hatte sich erhoben und verneigte sich steif, wobei er Valentina ein Lächeln schenkte, das ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ.

»Mrs Palfrey, Lord Udley«, stieß sie hervor und knickste leicht. Ihre Mutter warf ihr einen tadelnden Blick zu. »Was für eine Überraschung. Wie … schön, Sie zu sehen.«

»Die Freude ist ganz meinerseits, Miss Day. Mr Day.« Lord Udley nahm ein in Seidenpapier geschlagenes Bouquet von dem Tischchen neben seinem Sessel und reichte es Valentina. »Ich habe mir erlaubt, Ihnen den Frühling ins Haus zu bringen, verehrte Miss Day.«

Valentina nahm den Strauß an, schlug das Seidenpapier zur Seite und betrachtete die Blumen. »Die … die sind wirklich hübsch, vielen Dank, Mylord. Ich werde sie gleich in die Vase stellen lassen.«

»Es freut mich, dass Ihnen mein kleiner Blumengruß gefällt. Ihr Einverständnis vorausgesetzt, würden wir den Frühling gern um eine wunderschöne Blüte bereichern, indem wir Sie in die Natur entführen. Meine Kalesche wartet unten, und ich würde Sie gern zu einer kleinen Ausfahrt im Park verleiten. Ihre werte Frau Mama sagte bereits, sie selbst sei leider verhindert, aber meine liebe Schwiegermama wird uns begleiten.«

»Dann hat auch alles seine Ordnung, nicht wahr?«, ergänzte Mrs Palfrey.

Valentina warf ihrem Bruder einen flehenden Blick zu, von dem sie hoffte, dass er ihn richtig auffassen würde. Es war Corbin anzusehen, dass er sich aus dieser Situation lieber herausgewunden hätte, denn er hatte offensichtlich keine große Lust auf eine Ausfahrt mit Udley und seiner Schwiegermutter.

»Ähm, wenn … wenn es keine Umstände macht, würde ich Sie auch gern begleiten«, stammelte Corbin. »Wir wollten ohnehin heute eine Ausfahrt unternehmen. Ich könnte Aries nehmen, es wird höchste Zeit, dass ich ihn einmal wieder bewege. Leider war das Wetter bisher nicht gerade ideal für längere Ausritte. Ich werde ihn gleich satteln lassen und treffe Sie dann draußen.«

Corbin verneigte sich und verließ den Salon, und Valentina war erleichtert, dass er ihre stumme Bitte so rasch verstanden hatte. Allerdings fragte sie sich, warum ihre Mutter Lord Udley nicht unter irgendeinem Vorwand abgewimmelt hatte. Hatte sie sich nicht auf Lady Hartcliffes Soirée darüber ausgelassen, wie schamlos Lady Barlings versucht hatte, dem greisen Lord Saxby ihre Töchter aufzudrängen? Was war nur in sie gefahren, ausgerechnet Lord Udley so bereitwillig ihr Einverständnis zu geben, Valentina zu einem Ausflug einzuladen? Für eine geübte Diplomatin wie ihre Mutter wäre es ein Leichtes gewesen, eine Ausrede zu finden, die niemanden brüskiert hätte. Fragend sah sie zu ihr hinüber, doch Mama schien ihren Blick zu meiden.

Allmählich wurde ihr Mamas rätselhaftes Verhalten unheimlich. Sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass da etwas äußerst Merkwürdiges vor sich ging.

Sie folgte Mrs Palfrey und Lord Udley hinaus, wo eine elegante zweispännige Kalesche mit geöffnetem Verdeck auf sie wartete. Ein junger Diener klappte den Tritt herunter und öffnete den Schlag, und Valentina ließ sich von einem schmierig lächelnden Lord Udley hineinhelfen. Nachdem sie Platz genommen und ihre Röcke geglättet hatte, stieg auch Mrs Palfrey ein, die sich neben ihr auf der Bank niederließ, und schließlich Lord Udley, der sich ihnen gegenübersetzte.

Endlich kam auch Corbin auf Aries an die Seite der Kalesche geritten, und Lord Udley bedeutete dem Kutscher, loszufahren.

Sie verließen den Harewood Square und bogen bald in die Marylebone Road und schließlich in die Edgeware Road ein. Bei dem herrlichen Sonnenschein waren sie natürlich nicht die Einzigen, denen die Idee zu einer Ausfahrt in den Park gekommen war, und so steckte ihre Kalesche bald inmitten eines geschäftigen Gewimmels aus Kutschen, Hackney Coaches, Omnibussen, Reitern, Fußgängern und Straßenhunden. Langsam schoben sie sich durch den chaotischen Verkehr Richtung Park. Sie durchquerten das Cumberland Gate und folgten der Ringstraße durch den Park, die im Süden am Serpentine Lake vorbeiführte. Auch hier herrschte reger Betrieb, und Valentina beobachtete fasziniert das bunte Treiben. Sportliche Einspänner und junge Gentlemen auf Pferden preschten an ihnen vorbei, und in offenen Kaleschen saßen modisch herausgeputzte Damen mit luftigen, mit Federn und Blüten geschmückten Hauben und zierlichen, in kokettem Winkel aufs Haar gesteckten Strohhütchen. Der Anblick versöhnte sie wieder ein wenig mit der Tatsache, dass sie dem gräulichen Lord Udley gegenübersaß, während seine Hopfenstange von Schwiegermutter versuchte, Valentina in ein Gespräch über London, den bon ton und die Schwierigkeiten mit ihrem Dienstpersonal zu verwickeln.

Corbin trabte mit Aries an ihre Seite. »Ein ziemliches Gewimmel, nicht? Du solltest erst sehen, wie es bei diesem Wetter auf der Rotten Row zugeht. Kutschen dürfen dort allerdings nicht fahren, weil der Reitweg auch so schon rettungslos überfüllt ist. So etwas kannst du daheim in Sussex nicht erleben.«

»Ist dies ihr erster Besuch im Hyde Park, Miss Day?«, fragte Lord Udley. Er stützte die Hände auf die Knie und beugte sich unangenehm nah zu ihr herüber.

»Ja, bisher hatten wir noch keine Gelegenheit, auszureiten.«

»Aber nun, da Sie hier sind, strahlt die Sonne sogleich. Man mag es ihr nicht verdenken. Mir ergeht es ebenso in Ihrer reizenden Gegenwart.«

»Äh … vielen Dank, Lord Udley«, stotterte Valentina, wandte rasch den Blick zur Seite und tat, als betrachte sie mit besonderer Faszination die anderen Ausflügler.

»Udley!« Mrs Palfrey lachte und schlug ihrem Schwiegersohn mit der flachen Hand aufs Knie. »Sie machen Miss Day ja ganz verlegen. Sie müssen Udley verzeihen, meine Liebe. Er ist ein unverbesserlicher Charmeur. So hat er auch spielend meine Cora um den Finger gewickelt, Gott hab sie selig.« Sie räusperte sich. »Nun, wenn Sie mich fragen, es ist ja auch kein Zustand, wenn so ein Mannsbild zu lange allein bleibt. Dem Armen fehlt die ordnende weibliche Hand. Da bin ich selbstverständlich nur ein schlechter Ersatz.«

»Mrs Palfrey ist der Meinung, ich befände mich in einem Zustand der moralischen Verwahrlosung und bedürfte einer Gattin, die mich mit sanfter weiblicher Autorität wieder auf den Pfad der Tugend führt. Ist es nicht so, Mrs Palfrey?« Udley lachte. »Aber sie hat ja recht. Das Leben eines Junggesellen ist auf Dauer nicht das Wahre.«

Aus dem Augenwinkel nahm sie den Blick seiner kleinen, lauernden Augen wahr. Am liebsten hätte sie einfach weiter die Vorbeifahrenden beobachtet und so getan, als hätte sie die schlecht versteckte Anspielung nicht verstanden. Doch es wäre höchst unhöflich gewesen, ihren Begleiter einfach zu ignorieren.

»Ich möchte meinen, dass Sie gewiss noch die Richtige finden werden«, entgegnete sie stattdessen und lächelte kurz.

»Na aber, meine Liebe!«, rief Mrs Palfrey. »Es gibt genügend junge Damen, die nur zu gern das Glück hätten, sich Baronin Udley nennen zu können, aber ein Mann hat seine Ansprüche, nicht wahr?«

Valentina sah über die Schulter verzweifelt zu Corbin, der sich aufgrund der Enge wieder hatte zurückfallen lassen müssen und nun direkt hinter ihnen ritt. Er zuckte kurz entschuldigend mit den Schultern und verzog das Gesicht.

»Man möchte sich schließlich nicht mit einem gänzlich reiz- und geistlosen Geschöpf zufriedengeben, das verstehen Sie doch«, fuhr Mrs Palfrey fort, und Lord Udley nickte eifrig. Sein Blick tastete über Valentinas Körper, und sie senkte den Blick und strich ihre Röcke glatt.

»Was man von Ihnen natürlich ganz und gar nicht sagen könnte«, beeilte Udley sich zu sagen. »Eine bezaubernde junge Dame wie Sie könnte gewiss auch einen eingefleischten Junggesellen von den Vorteilen der Ehe überzeugen.«

Er lächelte breit und rutschte noch ein Stück näher an die Kante seiner Sitzbank, sodass seine Knie beinahe die ihren berührten.

»Impertinent! So eine unmögliche Person!«, schimpfte Valentina und drückte dem erschrocken dreinblickenden Dienstmädchen ihre Haube in die Hand. »Nie wieder werde ich mich diesem schleimigen Widerling auch nur auf eine Meile nähern.«

Corbin lachte und legte ebenfalls Hut und Handschuhe ab. »Entschuldige, ich weiß, es ist überhaupt nicht komisch. Leider konnte ich nichts tun. Es war nicht genug Platz, um neben der Kalesche zu reiten. Aber wie es sich anhört, weißt du dich schon selbst zu wehren, Schwesterherz.«

»Natürlich! Ich hätte nicht übel Lust gehabt, ihm seinen albernen Bart in Brand zu setzen«, wetterte Valentina. »Aber das stellst du dir so einfach vor. Ihr Männer habt es da besser. Du weißt doch, wie es ist. Von einer Dame erwartet man, dass sie sich höflich zurückhält. Wie schnell wäre meine Reputation dahin, wenn ich seine dreisten Avancen mit der Deutlichkeit zurückgewiesen hätte, die sie verdienen, oder wenn ich diesem schmierigen Pflaumenaugust ins Gesicht gesagt hätte, was ich wirklich denke. Ich kann es mir einfach nicht erlauben, dass mir der Ruf einer Xanthippe vorauseilt.«

»Vielleicht hast du recht. Aber du musst ihn ja nicht wiedersehen. Wenn er hier wieder auftaucht, bist du eben nicht zu Hause oder hast plötzlich unerklärliche Kopfschmerzen.«

Valentina massierte ihre Schläfen. »Das wäre im Augenblick noch nicht einmal gelogen. Ich frage mich, was in Mama gefahren ist. Ob sie ernsthaft glaubt, dass ich mich für einen Mann wie Udley interessieren könnte? Er ist uralt und sieht aus wie ein Molch!«

»Udley ist wohlhabend und hat gute Verbindungen. Vielleicht dachte sie, du legst auf so etwas Wert?« Corbin sah allerdings nicht aus, als ob er seine eigene Erklärung besonders überzeugend fand.

»Dann liegt sie aber mehr als falsch! Und Mama sollte mich besser kennen. Überhaupt ist sie in den letzten Tagen eigenartig, findest du nicht?«

»Sie war sehr still, das ist mir auch aufgefallen«, meinte Corbin. »Ich hatte den Eindruck, es ginge ihr nicht gut, aber sie sagte, ich solle mir keine Gedanken machen.«

Als sie ihre Übergarderobe abgelegt hatten und in die Eingangshalle kamen, nahm sie dort der Butler in Empfang.

»Lady Marksbury erwartet die jungen Herrschaften im Salon«, vermeldete er, und Corbin und Valentina sahen einander an.

»Dann kannst du Mama ja gleich sagen, was du von Lord Udleys Brautwerbung hältst.« Corbin feixte.

»Worauf du Gift nehmen kannst«, entgegnete Valentina noch immer wütend.

Als sie den Salon betraten, saß Mama am Fenster und stickte. Sie sah auf, lächelte und legte das Handarbeitszeug in den Schoß.

»Da seid ihr ja! Wie war die Ausfahrt? Hat dir der Park gefallen, Valentina?«

Valentina stemmte angriffslustig die Hände in die Hüfte. »Der Park schon, meine Begleitung weniger. Warum hast du diesen aufgeplusterten Bartkauz nicht gleich abgewimmelt? Hast du wirklich geglaubt, ich bin ganz versessen darauf, mich von einem Greis umwerben zu lassen?«

Eine steile Falte bildete sich über Mamas Nasenwurzel. »Lord Udley ist kein Greis und noch eine recht stattliche Erscheinung. Er ist fünfundvierzig und damit im besten Mannesalter. Dein Vater ist schließlich auch kein Greis. Ganz im Gegenteil, er ist weit entfernt davon, sich wie einer zu verhalten.«

Valentina sah ihre Mutter entgeistert an. »Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein. Hast du nicht gerade noch gesagt, wie schrecklich du es findest, dass Lady Barlings versucht, ihren Töchtern diesen Saxby aufzudrängen? Du hast gesagt, so etwas hätten wir niemals nötig. Erinnerst du dich?«

»Zeiten ändern sich, Liebes«, sagte Mama mit ernster Stimme. »Und Saxby ist fast sechzig. Das kannst du doch gar nicht vergleichen. Lord Udley ist ein hoch angesehener Mann und sein Landsitz in Somerset …«

»Und wenn er der russische Zar wäre!«, rief Valentina. »Ich bin erst achtzehn, Mama. Du kannst Udley doch nicht ernsthaft als Heiratskandidaten in Erwägung ziehen. Einen Mann, der beinahe so alt ist wie mein Vater. Wir haben nichts gemeinsam, er ist schrecklich aufdringlich.«

»Lord Udley mag etwas übereifrig erscheinen, aber doch nur, weil er von dir hingerissen ist. Du könntest es weit schlechter treffen. In erster Linie ist es wichtig, dass du versorgt bist.«

»Aber das bin ich doch. Du hast immer gesagt, dass ich mir keine Gedanken machen muss, weil ich eine großzügige Mitgift mit in die Ehe bringen würde. Beecham’s Court Chronicle hält mich für die aussichtsreichste Debütantin der Saison. Da muss ich mich doch wohl gewiss nicht dem ersten besten Bewerber an den Hals werfen.«

»Es … es sind Umstände eingetreten, die erfordern, dass wir schnell handeln, Valentina. Bitte versteh doch, es …«

»Mama! Du willst uns doch verulken«, rief Corbin und lachte, doch die Miene der Mutter blieb ernst. Er schüttelte den Kopf. »Nein. Du kannst doch nicht ernsthaft verlangen, dass Valentina auf das Werben dieses Hanswursts eingeht. Was sagt denn Papa dazu?«

»Papa? Papa?« Mamas Stimme klang schrill. »Papa interessiert sich nicht dafür, wen Valentina heiratet. Wir interessieren ihn nicht. Es ist ihm vollkommen gleich, ob wir im Armenhaus landen.«

»Wie bitte?«, fragte Corbin. »Ich verstehe nicht.«

Mama sprang auf. Dabei rutschte das Handarbeitszeug von ihrem Schoß und der Stickrahmen fiel klappernd auf das Parkett. Sie griff sich an den Kopf und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. Valentina spürte eine leichte Übelkeit. Noch nie hatte sie ihre Mutter derart aufgewühlt erlebt, und es war beängstigend.

»Klammheimlich davongemacht hat er sich. An dem Abend, als wir bei Lady Hartcliffe waren. Mit diesem Flittchen. Dieser Lillian Ray. Ich war so dumm! Ich hätte es ahnen müssen.«

»Lillian Ray? Die Schauspielerin?« Corbin starrte sie mit geweiteten Augen an. Auch Valentina konnte nur wie vom Donner gerührt dastehen und sie ansehen.

»Dass er eine Affäre hatte, wusste ich schon lange.« Mama blieb stehen und massierte mit Daumen und Zeigefinger ihre Nasenwurzel. »Welcher Mann nimmt sich nicht früher oder später eine Geliebte?«

Valentina warf ihrem Bruder einen fragenden Blick zu. Der machte ein unschuldiges Gesicht und zog die Schultern hoch.

»Damit hätte ich leben können. Aber das?« Mama legte den Handrücken an die Schläfe und strich sich damit eine lose Strähne ihres blonden Haars aus dem Gesicht. »Er ist auf und davon, höchstwahrscheinlich nach Amerika, und überlässt seine Frau und seine Familie der Schande. Wie sie sich alle das Maul zerreißen werden!«

»Aber es ist doch nicht deine Schuld. Und unsere auch nicht«, protestierte Corbin schwach.

»Schuld. Schuld. Wen interessiert schon Schuld? Wenn es sich herumspricht, dass euer Vater uns hat sitzen lassen, um mit dieser Schauspielerin durchzubrennen, sind wir gesellschaftlich ruiniert.« Mama ging zum Fenster und starrte hinaus. »Aber das ist noch nicht alles. Onkel Henry war heute Morgen mit mir bei der Bank. Er ist bisher der Einzige, den ich eingeweiht habe. Offenbar hat Victor seine Flucht bereits länger vorbereitet und sämtliche Konten und Wertanlagen geplündert. Ich kann mir denken, dass die feine Miss Ray gern auf großem Fuß lebt. Sie hat gewiss genügend jüngere und hübschere Verehrer, aber ein spendabler Mann ist doch gleich um einiges attraktiver, nicht wahr?« Ihre Stimme triefte vor Gift. Valentina konnte sich nur schwer ausmalen, welche Gefühle in ihrer Mutter toben mussten. Sie selbst war wie betäubt, als wäre sie der Realität entrückt und in einem bösen Traum gefangen und müsste nur aufwachen.

»Und … was bedeutet das?«, fragte Valentina zögerlich.

»Das bedeutet, wir sind so gut wie mittellos. Er hat offenbar alles sorgfältig geplant und gewartet, bis wir in London sind, um auch Charlhurst zu verkaufen.«

»Er hat … was?«, riefen Valentina und Corbin gleichzeitig. Valentina starrte ihre Mutter an. Das konnte doch überhaupt nicht sein! »Heißt das, wir können nicht wieder zurück nach Sussex?«

Mama schüttelte den Kopf, rote Flecken hatten sich auf ihren blassen Wangen und auf ihrem Hals gebildet.

»Aber was soll denn nur werden?«, fragte Corbin.

»Um euch Jungen mache ich mir wenig Sorgen, ihr habt beizeiten ein bescheidenes Vermögen übertragen bekommen und könnt euren Unterhalt selbst bestreiten, aber was wird aus Valentina und Izora? Wo sollen wir leben? Und woher das Geld nehmen, um zu leben?« Mamas Kinn bebte und Tränen schimmerten in ihrem hellen Wimpernkranz. »Unsere einzige Chance ist eine vorteilhafte Heirat, Valentina.«

»Aber doch nicht Udley!«, rief Corbin. »Wir können doch einen anderen Mann für Valentina finden. Sie ist jung, sie ist hübsch. Es kann doch nicht so schwer sein, jemanden …«

»Jeden Augenblick kann ans Licht kommen, was euer Vater getan hat«, sagte Mama und wandte sich ihnen mit finsterem Gesichtsausdruck zu. »Wenn erst einmal die Runde macht, dass Valentinas Vater mit einer Frau von fragwürdiger Moral durchgebrannt ist und sie überdies keine Mitgift zu erwarten hat, helfen ihr auch ihre Jugend und ihr gutes Aussehen nicht. Udley ist von dir hingerissen, mein Kind. Wenn du auf sein Werben eingehst und auf eine schnelle Heirat drängst, wird er nicht lange zögern.«

»Aber Mama!«, rief Valentina. Hitze stieg ihr in die Wangen und ihr Kopf pochte. »Ich weiß, unsere Lage ist verzweifelt und du weißt nicht, wie es weitergehen soll, aber ich kann doch keinen Mann heiraten, der mir abgrundtief zuwider ist. Ich weiß, dass ich womöglich zu viel erwarte, wenn ich hoffe, aus Liebe zu heiraten, und ich verstehe deine Verzweiflung. Aber man muss sich doch zumindest in gegenseitigem Respekt zugeneigt sein. Es muss doch wenigstens ein Funke vorhanden sein, aus dem später Liebe und Verbundenheit erwachsen können. Mit Lord Udley verbindet mich nichts, und ich kann ihn unmöglich heiraten!«

»Aber begreife doch, Valentina! Es wird uns nichts anderes übrig bleiben. Wir müssen unsere Chance ergreifen, solange ich noch geheim halten kann, was geschehen ist. Ich werde sagen, dein Vater besucht Verwandte im Norden. Doch eine solche Lüge werde ich nicht lange aufrechterhalten können. Im Übrigen können wir nur hoffen, dass bei der Bank niemand etwas durchsickern lässt. Ach, es ist fürchterlich!«

»Mama! Bitte, es muss doch eine andere Lösung geben«, flehte Valentina. »Ganz gleich, wie aussichtslos jetzt alles scheint. Gemeinsam finden wir einen Ausweg.«

Doch ihre Mutter schüttelte nur den Kopf.

»Auf keinen Fall werde ich Udley heiraten!«, schrie Valentina. »Niemals! Lieber lebe ich auf der Straße.«

»Du hast keine Wahl!«, brüllte Mama. Ihre Stimme kippte. »Denk doch auch an Izzy. Sie ist erst zwölf. Was soll denn aus ihr werden?«

Die Tür flog auf und Valerian kam hereingestürzt. »Was ist denn hier los?« Sein Blick wanderte über die Gesichter der Anwesenden.

Valentina stieß einen wütenden Laut aus, drängte sich an ihrem älteren Bruder vorbei durch die Tür und stürmte die Treppe hinauf.

Vier

Stadthaus von Lord und Lady Marksbury, Harewood Square, London, 18. März 1862

»Mama hat sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und Corbin hat geschworen, nicht mehr mit ihr zu sprechen, wenn sie nicht mit diesem Udley-Unsinn aufhört«, sagte Valerian und setzte sich zu Valentina aufs Bett. »Und er hat recht. Du kannst ihn auf keinen Fall heiraten.«

»Aber was soll aus uns werden, Valerian?« Valentina griff nach ihrem Taschentuch und schnäuzte sich undamenhaft. Mit dem Handrücken rieb sie die Tränen aus ihrem Gesicht. »Wir sind mittellos. Die arme Mama. Wie schrecklich es für sie sein muss, so hintergangen worden zu sein. Aber dennoch bringe ich es nicht über mich, diesen Mann zu heiraten. Wenn es dabei nur um mich ginge, würde ich mich schlicht weigern, aber es betrifft ja ebenso Mama und Izzy.«

»Mach dir keine Sorgen, wir werden schon eine Lösung finden«, sagte Valerian und strich ihr eine lose Strähne ihres Haars hinter das Ohr.

»Möglicherweise habe ich das bereits«, sagte Valentina und schwang die Beine vom Bett. Sie ging ins Ankleidezimmer und holte ihr Retikül hervor, dem sie eine quadratische Karte entnahm. »Erinnerst du dich, dass ich mich nach der Séance am Samstagabend noch mit Mrs Lyness unterhalten habe?« Sie reichte ihrem Bruder die Karte.

Valerian nickte und betrachtete die schlichte Visitenkarte.

»Es war recht merkwürdig. Sie sagte, ich hätte eine besondere Aura, und fragte, ob ich möglicherweise Pitman-Stenografie beherrsche.«

»Warum wollte sie das wissen?« Valerian drehte die Karte um.

»Sie sagte, sie sei auf der Suche nach einer Gesellschafterin und persönlichen Assistentin, die sie auf ihren Reisen begleitet, und ich erschiene ihr genau die Richtige für diese Position.«

»Aufgrund deiner besonderen Aura?« Valerian hob zweifelnd eine Augenbraue.

»Richtig. Sie redete irgendetwas von einer Energie und so einem Zeug, ich habe nicht genau hingehört und es zunächst nicht weiter ernst genommen. Aber nun lässt es mich nicht los … Eine Anstellung als Gesellschafterin könnte es mir ersparen, jetzt rasch zu heiraten. Allerdings kann ich doch Mama und Izzy nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.«

»Du willst für Madame Persephone arbeiten?«, fragte Valerian und hatte nun auch die zweite Braue hochgezogen. »Sie ist höchstwahrscheinlich eine Betrügerin. Oder verrückt. Oder vielleicht beides.«

»Aber ich muss nicht ihr Bett teilen oder ihr Kinder gebären.« Valentina schauderte. »Valerian, allein bei dem Gedanken, mich von Lord Udley auf diese Weise berühren zu lassen, möchte ich mich von einer Klippe stürzen.«

Valerian nickte langsam. »Ich denke, ich kann dich verstehen. Also willst du die Stelle annehmen?«

»Es wäre ein Ausweg, oder nicht? Aber was wird aus Izzy und Mama? Mein Gehalt wird nicht ausreichen, um sie zu versorgen.«

»Ich kann für sie sorgen.« Valerian legte ihr die Hand auf den Unterarm. »Und Corbin ist auch noch da. Hör zu, es gibt da etwas, das ich euch ohnehin noch erzählen wollte. Da gibt es eine junge Frau … Evie. Evelyn. Wir haben uns am Ende der vergangenen Saison kennengelernt und einander versprochen, die Verbindung nicht abreißen zu lassen. Wir haben uns geschrieben. Lange Briefe. Kannst du dir das vorstellen? Ich, der kaum eine Zeile ohne Tintenklecks zu Papier bringt? Sie hatte mein Interesse geweckt, aber durch ihre Briefe habe ich mich endgültig in sie verliebt. Natürlich wollten wir einander wiedersehen, sobald wir beide zurück in London wären. Und vergangene Woche auf dem Ball von Lady Dowland sind wir einander endlich wieder begegnet. Das war am Abend deiner Präsentation bei Hofe.«

Valentina runzelte die Stirn. »Das freut mich sehr für dich, Valerian, aber was hat das alles mit unserer prekären Lage zu tun?«

»Du hast mich ja nicht ausreden lassen«, entgegnete ihr Bruder. »Gerade heute haben wir uns zu einem Ausritt im Park getroffen. Sie gab mir ihr Einverständnis, ihren Vater um ihre Hand zu bitten, und das tat ich natürlich auch gleich.«

»Du bist verlobt?« Valentina sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

»Ja, ich bin verlobt. Evie ist die Tochter des Earls of Farringdon. Ihr Vater ließ durchblicken, dass sie eine ansehnliche Mitgift sowie ein Anwesen in Buckinghamshire mit in die Ehe bringen wird. Es wird also kein Problem sein, Mama und Izzy zu versorgen. Möglicherweise können sie auch bei uns wohnen. Ich bin sicher, Evie wird nichts dagegen haben. Sie ist solch eine herzensgute junge Frau. Du wirst sie lieben.«

»Da bin ich ganz sicher. Wenn du sie liebst, werde ich es gewiss auch tun.« Valentina lächelte und nahm Valerians Hände. »Ich freue mich so für dich. Diese Nachricht ist mir wirklich ein Trost in dieser katastrophalen Lage.«

»Ich weiß nicht, ob das Geld reichen wird, aber bestimmt könnte ich auch dir unter die Arme greifen«, sagte Valerian. »Dann müsstest du die Stelle vielleicht gar nicht annehmen.«

Valentina dachte nach, doch die Vorstellung, ihrem Bruder und seiner neuen Frau im Wege zu sein und von Geld zu leben, das ihnen ermöglichen sollte, eine Familie zu gründen, behagte ihr nicht. Sie würde sich schuldig fühlen.

Valentina schüttelte den Kopf. »Nein. Ich möchte niemandem zur Last fallen, wenn ich es vermeiden kann. Ich werde die Stelle bei Mrs Lyness antreten. Und wenn es mich dort allzu sehr gruselt, finde ich etwas anderes. Allerdings glaube ich kaum, dass irgendeiner der Geister, die Madame Persephone heraufbeschwören könnte, es vermöchte, mich mehr erschaudern zu lassen als der Gedanke an eine Hochzeitsnacht mit Lord Udley.«

Valerian lachte. »Na, wenn du meinst …«

Als Valentina am folgenden Nachmittag am Portland Place aus der Kutsche stieg, war sie sich plötzlich nicht mehr so sicher, ob es wirklich so eine gute Idee war, für diese doch recht merkwürdige Frau und ihren unheimlichen Assistenten arbeiten zu wollen. Doch wenn sie die Alternative bedachte, erschien es ihr zumindest einen Versuch wert.

Selbst für London war die Straße enorm breit, und die Gebäude mit ihren neoklassizistischen Giebelfassaden und Säulenportalen hatten etwas Ehrfurchtgebietendes wie antike Tempel. Wenn Mrs Lyness so mondän wohnte, schien man als Medium ja gutes Geld zu verdienen, dachte Valentina. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass Mrs Lyness ihr Angebot ernst gemeint hatte.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752141238
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
Liebesroman viktorianisch Medium historisch Geister Liebe Schauerroman Gothic Love Shot Seance Romance Fantasy Historisch

Autor

  • Dorothea Stiller (Autor:in)

Die gebürtige Westfälin entdeckte früh ihre Liebe zum geschriebenen Wort und zur Sprache. Nach dem Studium der Anglistik und Germanistik arbeitete sie fünfzehn Jahre als Lehrerin, bis sie ihre Leidenschaft zum Beruf machte. Sie arbeitet als freiberufliche Autorin, Lektorin, Übersetzerin und Dozentin für Kreatives Schreiben. Die zweifache Mutter lebt mit ihrer Familie am Rande des Ruhrgebiets und fühlt sich in verschiedenen Genres zu Hause, ob Liebesroman, Historisches, Krimi oder Jugendbuch.
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Titel: Das Geheimnis von Blackwell Heath