Lade Inhalt...

DUELL mit MIRiam ZWISCHEN RAUM UND ZEIT

von Miriam Goldstein (Autor:in)
358 Seiten

Zusammenfassung

Miriam, 33, von ihrem Ehemann getrennt und in Scheidung lebend, trifft zufällig Martin, den sie seit ihrer Kindheit kennt und nicht mag. Er, 43, ein attraktiver unverheirateter Playboy will sie unbedingt erobern. Er schafft es, sie in sich verliebt zu machen durch einen Schlüsselsatz, den er ausspricht und sie am tiefsten Punkt ihrer Seele berührt. Eine Rückführung in ein anderes Leben innerhalb eines Seminars bringt eine Überraschung. Miriam findet heraus, warum sie sich trotz ihrer Abneigung gegen Martin unsterblich in ihn verliebte. Sie kommt dem Geheimnis auf die Spur, das mit einem DUELL und einem FLUCH aus einem anderen Leben eng verbunden ist. Ihre Liebe gibt ihr die Kraft, den fast aussichtslosen Kampf gegen einen gegen sie verhängten VoodooZauber aufzulösen. Die entfachte Liebe und Leidenschaft zwischen ihnen wird schließlich infrage gestellt, als Martin eine junge Afrikanerin aus ihrer Heimat zu ihnen ins Haus holt. Wie soll Miriam reagieren? Zahlreiche Liebesbeweise und Versprechungen durch Martin veranlassen sie, ihr mittlerweile dramatisches Leben auszuhalten. Miriams Persönlichkeitsentwicklung durch ihre positive Lebenseinstellung führt sie heran nicht nur an spirituelle Lösungen. Martins Alkoholsucht, Spielleidenschaft und Sexsucht verarbeitet sie durch Bach-Blüten-Therapie, Reiki-Energie, Wunscherfüllung durch die Kraft ihrer positiven Gedanken und den festen Glauben, dass ihre Liebe ewig halten wird.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ZWISCHEN RAUM UND ZEIT

Ein Liebesroman

Impressum

Wortzauber Karin Lehnerts

c/o Probierwerk, Stauffenbergstraße 14 – 20

51379 Leverkusen

www.wort-zauber.com

mail@wort-zauber.com

Lektorat

Elena Daniel

Manfred Buch

Dipl.-Psych. Ralph te Pass

Sabine Oberpriller www.bestseller-marketing.de

Die Autorin

Miriam Goldstein ist 1948 in der Nähe von Köln geboren. Sie liebte schon als kleines Kind Geheimnisse. Aus diesem Grund schrieb sie diese Story unter einem Künstlernamen. Lesen und Schreiben sind ihre großen Leidenschaften. Mit erzählerischem Geschick und Spannung schildert sie ein außergewöhnliches Leben in Liebe und Leid zwischen Raum und Zeit.

Besonderheiten

Beim Verteilen der Lernaufgaben in Urzeiten meiner Seele habe ich, Miriam Goldstein, bei fast allen die Hand gehoben. Ich wollte viel erleben und viele Erfahrungen machen. Nicht umsonst fiel mir 1981 der Bestseller von Richard Bach zu: Die Möwe Jonathan. Ihr Leitsatz: Lernen – Forschen - Freisein. Wie Jonathan wollte auch ich im großen Spiel des Lebens dabei sein durch „Lernen, Forschen, Freisein“.

Dr. Joseph Murphy lehrte mich mit seinem Weltbestseller

„Die Macht Ihres Unterbewusstseins“ an die Kraft meiner Gedanken zu glauben.

Einer meiner fleißigsten Probeleser meinte, nachdem er fertig war mit meinem Manuskript: »Du bist detailverliebt. Du schreibst zuviel über Dinge, die niemanden interessieren. Auch manche Beschreibungen von den Reisen sind so Rosamunde-Pilcher-mäßig.

Ich fragte nach:

»Was interessiert von meinen vielen Seiten niemanden?«

»Die vielen Briefe zwischen Martin und Miriam. Die Briefe von Miriams Freundin Rosi!«

»Ja, gut! Und was ist mit den vielen Sexgeschichten? Sind die auch zu oft und zu viel?«

»Nein, die lass mal. Die sind in Ordnung so!«

Ich griente. Gesagt. Getan. Viele Seiten habe ich für dieses eBook entfernt.

Die Story

Miriam, 33, von ihrem Ehemann getrennt und in Scheidung lebend, trifft zufällig Martin, den sie seit ihrer Kindheit kennt und nicht leiden kann. Er, 41, ein sehr attraktiver, charismatischer, charmanter und intelligenter Mann mit unendlichem Wissen und mit einer genialen Sprachbegabtheit gesegnet, war nie verheiratet und will Miriam unbedingt erobern. Ein Jahr später schafft er es, sie in sich verliebt zu machen, als er einen Schlüsselsatz ausspricht, der sie am tiefsten Punkt ihrer Seele berührt.

Die Geschichte beschreibt Miriams und Martins große Liebe, die schließlich infrage gestellt ist, als Miriams Traummann Martin eine junge Afrikanerin aus ihrer Heimat in ihr Haus holt. Miriams Persönlichkeitsentwicklung durch ihre positive Lebenseinstellung führt sie heran nicht nur an spirituelle Lösungen. Martins Alkoholsucht, Spielleidenschaft und Sexsucht verarbeitet sie durch Bach-Blüten-Therapie, Reiki-Energie, Wunscherfüllung durch die Kraft ihrer positiven Gedanken und den festen Glauben, dass ihre Liebe ewig halten wird.

Eine Rückführung in ein anderes Leben innerhalb eines Seminars bringt eine Überraschung. Miriam findet heraus, warum sie sich trotz ihrer Abneigung gegen Martin unsterblich in ihn verliebt hatte. Sie kommt dem Geheimnis auf die Spur, das mit einem DUELL und einem FLUCH aus einem anderen Leben eng verbunden ist. Zahlreiche Liebesbeweise und Versprechungen durch Martin veranlassen sie, ihr dramatisches Leben auszuhalten. Ihre Liebe gibt ihr die Kraft, den fast aussichtslosen Kampf gegen einen gegen sie verhängten Voodoozauber aufzulösen.

Prolog

Kölnische Rhein Zeitung:

DUELL auf der Autobahn

Der Albtraum eines Autofahrers

Du fährst nachts allein über die Autobahn und plötzlich fallen Schüsse.

Ein Mann aus Düren hat ihn erlebt und wie durch ein Wunder in der Neumondnacht zum zweiten Weihnachtsfeiertag unverletzt überlebt. Gegen 2 Uhr nähert sich der Dürener in seinem Ford dem Autobahnkreuz Köln-Ost. Da versucht ein anderer Autofahrer ihn plötzlich auszubremsen und abzudrängen. Mehrfach. Und immer nur in letzter Sekunde gelingt es dem Ford-Fahrer, durch waghalsige Spurwechsel dem Amokfahrer zu entkommen. Als sie wieder auf gleicher Höhe sind, passiert es: Viermal schießt der Fremde am Steuer eines Mercedes auf den Wagen des Düreners. Zum Glück bleiben die Schüsse in Tür und Frontflügel stecken. Kurz darauf jagt ein Streifenwagen über die A 3. Die Beamten entdecken den Mercedes abgestellt auf dem Seitenstreifen. Der Fahrer aus Köln ist tot. Durch einen Schuss in den Kopf.

Könntest du dir vorstellen Martin,

dass ich dich meinen geliebten Mann umgebracht habe? Dich, meinen zweiten, sehr attraktiven, charismatischen, charmanten und intelligenten Mann mit unendlichem Wissen und mit einer genialen Sprachbegabtheit gesegnet? Es gibt einige Bekannte, die unsere Lebensgeschichte nur teilweise kennen. Ich erzählte ihnen unter anderem von meinem Wunsch, ein Buch oder mehrere Bücher zu schreiben, einen Bestseller oder mehrere zu landen und dadurch berühmt zu werden. Ich erzähle dir jetzt hier, was diese mir geraten haben.

„Bringen Sie doch einfach Ihren Mann um, dann haben Sie eher Chancen, berühmt zu werden. Und im Gefängnis werden Sie genügend Zeit zum Schreiben Ihrer Geschichten bekommen.“ „Haha...“ konnte ich darauf nur schelmisch und gar nicht ladylike grinsend antworten.

Dieser Rat war gar nicht so abwegig, denn es hatte in der Vergangenheit mehr als einmal eine Situation gegeben, in der ich ernsthaft daran gedacht hatte.

Vielleicht erinnerst du dich an Lanzarote? Wir verbrachten im Jahre 1993 über Karneval einen Kurz-Urlaub auf dieser schönen kanarischen Insel. Während eines Besuches in einer Bar beleidigtest du mich in volltrunkenem Zustand grund- und maßlos, wie so oft in der Vergangenheit.

Ich fühlte mich sehr verletzt und gedemütigt. Du warst sehr laut und die meisten Gäste schauten entrüstet zu uns herüber. Dir waren jedoch die augenrollenden und bösen Blicke vollkommen egal. Lebtest du doch nach dem Motto: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“. Mir war es jedoch sehr peinlich, achtete ich stets darauf, was die Leute von uns dachten. Unbeschreiblich wütend war ich auf dich. Ich wollte dir keinen Anlass zu weiteren verbalen Attacken geben und sagte mir, Miriam bleib ruhig, es geht wieder vorüber. Aber du hörtest nicht auf, Gift und Galle zu verspritzen. Lallend drohtest du mir schließlich, mich umzubringen, meinen Kopf mit einer Axt zu zerspalten und mich mit deinem Benz zu überfahren. Mein Herz schlug wild, das Blut pochte und hämmerte in meinem Kopf.

Ich wusste, dass du sehr aggressiv werden konntest in volltrunkenem Zustand, meistens bei Voll- oder Neumond, so wie an diesem Sonntagabend bei Neumond. Verbal war ich dir nicht gewachsen. Du warst ein Meister der Redekunst und hattest mich oft alleine durch deine gut klingende tiefe Baritonstimme betören können.

Bei deinem damaligen Alkoholpegel sah ich daher keine Chance, dass du friedlich werden würdest durch beruhigende Worte von mir. Das Maß war für mich voll.

Hoch erhobenen Hauptes stand ich auf und dachte ernsthaft, als ich dich wortlos und mit Tränen in den Augen verließ, das lasse ich mir nicht mehr gefallen. Ich werde dir zuvorkommen und dich umbringen! Am nächsten Tag unternahmen wir beide nach unserem schweigsamen Frühstück mit einem Leihwagen, als gäbe es keinen Grund, der gegen diese vor einigen Tagen geplante Aktivität sprechen würde, einen Ausflug in den Timanfaya – Nationalpark. Dort stiegen wir zu Fuß auf einen der zahlreichen Vulkane, damit wir einen Blick in dessen Kegel werfen konnten. Mir kam der Weg endlos lange vor, gingen wir doch beide schweigsam hintereinander hoch. Endlich erreichten wir den Kamm und wurden mit einem prächtigen Rundblick über die Landschaft für die Strapazen des heftigen Aufstiegs entschädigt. Im tiefen Grund des Kraters hatte sich ein See angestaut, dessen Farbenspiel mich aus intensivsten Grüntönen faszinierte. In Anbetracht dieser Sicht auf die großartige Natur bekam ich wieder eine grenzenlose Wut auf dich. Warum musstest du mir meine Welt, mein Leben so zerstören mit deinen unberechtigten Angriffen und Vorwürfen?

Du gingst langsam und schweigsam in einer deiner typisch schlaksigen Posen und sinnierend weiter. Ich folgte dir langsam und hielt etwas Abstand. Du warst mit deinen Gedanken ganz woanders, schien es mir. Deinen rechten Unterarm steil nach oben angewinkelt und die Finger an deinem markanten Kinn haltend, brütetest du irgendwas aus. Sicherlich nichts Gutes, ging mir durch den Kopf. Du sprachst immer noch kein Wort mit mir und ich nicht mit dir, denn ich fühlte mich immer noch sehr gekränkt und war beleidigt.

Der Grat auf dem rostbraunen, erdigen und steinigen Kraterrand war schmal und der Hang fiel steil ab. Du bliebst stehen und stiertest vollkommen abwesend hinunter. Ich befand mich immer noch einen Schritt hinter dir. Unentwegt blicktest du stur und reglos nach unten. Du vermitteltest mir, als wäre ich für dich in Luft aufgelöst. Plötzlich überkam mich eine animalische Lust, dich einfach kurz anzutippen. Natürlich etwas fester, als das relativ softe Wort Antippen hergibt. Du wärest hinuntergestürzt und hättest dir dabei das Genick gebrochen.

Bei der Polizei hätte ich ausgesagt, dass der Grund deines Sturzes wohl dein starker Kater, der dich nach der durchzechten Nacht plagte und deine dadurch entstandenen starken Kreislaufprobleme gewesen wären, über die du auch geklagt hättest. Auch wärest du zu nahe am Kraterrand entlanggegangen, um mich, wie kleine Jungs das schon mal gerne mit ihren Müttern machen, damit zu erschrecken.

Mit deinen SambaStiefeletten, wie ich sie abwertend nannte, wärest du dann umgeknickt, abgerutscht und abgestürzt. Du bestelltest dir schon immer bei einem Spezialisten klassische italienische Lederschuhe und Stiefeletten, in die spezielle höher verarbeitete Einlagen eingearbeitet waren. Zusätzlich verfügten sie über einen fünf Zentimeter hohen Blockabsatz. Dadurch entstand der Eindruck, dass du einige Zentimeter größer wärest, als du in Wirklichkeit ohne Schuhe warst. Die Sohle bestand aus Leder und war für solche Ausflugstouren, wie auf diesen Vulkan, überhaupt nicht geeignet.

Aber in Schuhdingen ließest du dir auch nicht reinreden. Du warst für mich das klassische Exemplar eines gutaussehenden, italienischen Typen aus den Filmen. Starke Ähnlichkeit hattest du mit dem deutschen Schauspieler, der den Commissario Guido Brunetti verkörpert. Die Romanfigur aus der Fernseh-Krimi-Serie der in Venedig lebenden amerikanischen Schriftstellerin Donna Leon.

Allerdings bezeichnetest du dich selbst nur als einen Zwerg von 1,70 Metern Größe. Vom Körperbau her warst du nicht sehr groß, jedoch stämmig und breitschultrig. Wie ein Wikinger mit einem starken Brustkorb und ziemlich muskulös, ohne etwas für deine Figur in sportlicher Hinsicht tun zu müssen. Du verfügtest über stark ausgeprägte intellektuelle Fähigkeiten und über ungemein kultivierte Manieren. Eine extrovertierte Persönlichkeit, ausgleichend zu mir, deiner introvertierten Göttin oder deinem blonden Rauschgoldengel, wie du mich in nüchternem Zustand stolz deinen Bekannten und Verwandten vorstelltest und mich besonders in unseren leidenschaftlichen Blauen Stunden liebevoll nanntest. Du hattest jedoch ein Problem mit meiner schlanken Größe von 1,72 Metern, die zusätzlich durch entsprechend hohe High Heels dein Selbstwertgefühl stark ankratzte. Deine Augen waren von einem goldenen, warmen, schokoladig samtenen Braunton. Dichte schwarze Wimpern vermittelten einen Touch von femininen Augenaufschlag. Wegen deiner starken Kurzsichtigkeit trugst du eine modische, große randlose Brille auf deiner indianisch anmutenden wohlgeformten Nase. Glatte, dunkelbraune, dichte Haare, ein sinnlicher, meist lächelnder Mund mit vollen Lippen und diesem markanten Grübchen im beherrschenden Kinn, machten aus dir einen schönen, kernigen Mann, dazu noch ausgestattet mit einer makellos reinen Haut. Du warst stets glatt rasiert, was dir immer sehr wichtig war. Auch stellte ich fest, dass du ungemein gut rochst nach deinem geliebten After Shave Old Spices. An dir haftete stets ein sinnlicher Geruch. Wir hatten gegenseitig ein gesteigertes sexuelles Verlangen zueinander. Nahezu benebelt und betört war ich von dir. Mein Selbstwertgefühl war jedoch ziemlich schnell angekratzt durch deine zahlreichen Affären und Seitensprünge. Nun, ich hatte dich oben auf dem Vulkan nicht angetippt, weil ich im letzten Moment dachte, ich würde es noch weiter mit dir aushalten, weil ich dich liebte.

Wenn du mich jedoch weiterhin so sehr verletzen würdest, dass ich es nicht mehr ertragen konnte, würde sich bestimmt wieder einmal eine so gute Gelegenheit ergeben wie auf dem Kraterrand. Dann würde ich es eines Tages wirklich tun.

Auch du liebtest mich, da bin ich mir ziemlich sicher, damals glaubte ich dir jedoch nicht immer, wenn du mir in regelmäßiger Abfolge predigtest: „So eine große Liebe wie zwischen uns besteht, kannst du nicht einfach so aufgeben! Ich habe nichts mit anderen Frauen. Ich werde das Roulettespielen aufgeben. Ich werde keinen Tropfen Alkohol mehr trinken. Ich werde dir nicht mehr wehtun. Glaube mir!“

Immer wieder war ich schwach geworden. Ich wollte deinen Beteuerungen und Versprechungen, dich ändern zu wollen glauben, und jedesmal hatte ich die Hoffnung, dieses Mal würdest du dein gegebenes Wort halten, mit mir in Liebe und Frieden alt zu werden.

1982 - 1983

Unmittelbar blieb Martin vor mir stehen und hielt mir grinsend seine Hand entgegen.

»Hallo Miriam! Dich habe ich ja lange nicht mehr gesehen. Wie geht es dir?«

»Hallo Martin! Danke, gut!«,

erwiderte ich höflich und auch seinen starken Händedruck. Oh mein Gott, was will der Casanova von mir, meldete sich mein kritischer Verstand.

»Was machst du denn hier? Wohnst du nicht mehr in Bensberg?«

»Doch, natürlich! Ich besuche meine Mutter heute und verbinde das mit einem Großeinkauf.«

»Das sieht nach einer Feier aus«, äußerte er grinsend mit einem Blick auf meinen mit Lebensmitteln, Knabbereien und Getränken hoch gefüllten Einkaufswagen.

»Ja, ich gehe für meine erste Party in Freiheit einkaufen«, antwortete ich kühl.

»Wie, deine erste Party in Freiheit«, fragte er neugierig.

Der will sich jetzt doch wohl nicht selbst einladen, meldete sich leicht genervt mein Ego.

»Ich habe mich von meinem Mann getrennt und lebe in Scheidung. Vor zwei Tagen bin ich in eine neue Wohnung gezogen.«

Auf meine Armbanduhr blickend, bemerkte ich etwas freundlicher werdend:

»Du, Martin, sei nicht böse, aber ich habe es eilig. Meine Mutter wartet schon auf mich. Tschüss, mach’s gut!«

»Ja, du auch! Vielleicht sieht man sich ja mal wieder. Tschüssi!«

Seit meiner Kindheit kannte ich Martin, und ich mochte ihn nicht, hatte ihn nie gemocht. So begann im Jahr 1982 unsere unglaubliche Geschichte, die ich jetzt erzähle. Es soll ein weiterer Schritt zu meiner Selbstheilung sein. Ein weiterer Versuch, meinen zerrissenen Lebensfaden wieder aufzunehmen und neu zu spannen. Ich konnte fühlen, wie er sich hinter mir abspulte, der alte Faden, den ich verloren hatte. Ein neuer entstand.

Der junge Martin - ein Playboy

Martin half seinen Eltern bereits als Jugendlicher im Kiosk seiner Eltern, der einer der lukrativsten in unserem Stadtteil war. Als zehnjähriges Mädchen kannte ich ihn schon, den achtzehnjährigen Angeber und Playboy. Er fuhr den schicksten Sportwagen in der Stadt, einen roten Porsche 911.

Wir Kinder konnten ihn nicht leiden. Wenn er seine Mutter in ihrem Kiosk vertreten musste und uns bediente, waren wir ihm lästig, weil wir unschlüssig waren, welche gemischten Kamellen wir kaufen wollten. Er hatte uns ständig unwirsch abgefertigt und uns, seinen Mund zu einer Grimasse verziehend, ständig angeblafft.

Wenn meine beiden Freundinnen Marlies und Gisela Taschengeld bekommen hatten, hielten wir uns zunächst in der Nähe am Kino auf, wo wir den Schalter des Büdchens beobachten konnten. Wenn der unfreundliche Martin bediente, gingen wir oft den etwas weiteren Weg zum Lebensmittelgeschäft. Wir waren es leid, dass er uns immer so blöd kam, weil wir erst einmal die bunten Auslagen mit den vielen bunten Heftchen und die großen Bonbongläser betrachten wollten.

Wir wären eine Bande von Pipihühnern, meinte er, wenn er im Kiosk bediente. Einmal jagte er uns fort, weil hinter uns eine Schlange von Wartenden über uns meckerten.

Dramatisch war Martins Beziehung zu seiner Freundin Gudrun als junger Mann von zwanzig Jahren. Ich war zwölf, las die Bravo und begann, mich für die Welt der Erwachsenen zu interessieren. Die damalige Nachbarin, Frau Fritsche und spätere Freundin meiner Mutter, arbeitete als Sekretärin in einer ortsansässigen Bierbrauerei.

Diese Frau Fritsche war eine Arbeitskollegin von Martins Freundin Gudrun und auch deren enge Vertraute.

Gudrun hatte einen Schönheitswettbewerb der Jugendzeitschrift Bravo gewonnen und wurde nach Berlin eingeladen. Sie erhoffte sich, als Fotomodell Karriere zu machen.

Sie kündigte ihre Arbeitsstelle und kam nur für Besuche zurück nach Köln. Monate später starb sie in Berlin unter tragischen Umständen. Einem hässlichen Gerücht zufolge sollte Martin für ihren Tod verantwortlich gewesen sein. Bisher hatte man ihn geachtet und Respekt vor ihm. Nun tratschten die Leute über ihn als üblen Herzensbrecher und ließen kein gutes Haar an ihm. Das trug natürlich auch dazu bei, dass ich ihn noch mehr verabscheute.

Scheidung von meinem Ehemann Hans

Seit acht Jahren war ich halbtags als Sachbearbeiterin in einem Gummi verarbeitenden Betrieb in Bensberg tätig. Das Gehalt würde in Zukunft nicht mehr reichen. Deshalb wechselte ich am 1. Juli 1981 zu einer mittelständischen Firma, die hochwertige Autopflegemittel herstellte. In Vollzeit als Sekretärin des Seniorchefs.

In einer Stellenanzeige der Kölnischen Rundschau wurde im Anzeigenteil des Rheinisch Bergischen Kreises eine Sekretärin mit guten Stenografiekenntnissen gesucht.

Mit meinen guten Zeugnissen erhielt ich sofort nach persönlicher Vorstellung die Stelle.

Der Seniorchef war bereits 70 Jahre und noch sehr agil. Er maß 1,98 Meter, war schlank, hatte volles silberweißes Haar. Vom astrologischen Sternzeichen war auch er eine Jungfrau. Wir kamen sehr gut miteinander aus, und es bereitete mir große Freude, mit ihm zu arbeiten. Das beruhte auf Gegenseitigkeit.

Am liebsten diktierte er nach der Mittagspause. Es kam oft vor, dass wir dabei genüsslich von mir zubereiteten Kaffee oder Tee zusammen tranken. Denn die wichtigste Aufgabe für eine gute Sekretärin war die Zubereitung von gutem Kaffee und Tee. Die zweitwichtigste war das Zuhören und Stenografieren, die drittwichtigste Zehn-Finger-Blind-Maschinenschreiben. So hatte ich es mir als Kind schon gewünscht.

Jetzt fällt es mir erst auf, dass sich dieser Kindheitstraum ja tatsächlich erfüllt hatte. War das durch die Kraft der Macht meines Unterbewusstseins? Das wäre tatsächlich ein Indiz dafür, dass es funktionierte. Genial!

Es war das Jahr, in dem die ersten elektronischen Speicherschreibmaschinen auf den Markt kamen. Große Freude bereitete es mir, mit solch bahnbrechender Technik arbeiten zu können. Mit dieser neuen Errungenschaft konnte man nun eine ganze DIN A4-Seite speichern. Oft fiel Herrn Sahler noch eine Anmerkung oder Änderung ein, wenn ein Brief fertig getippt war. Ich brauchte ihn jetzt nur mit der Tastatur zu ändern und neu auszudrucken, und fertig war er, anstatt ihn komplett neu zu schreiben.

Ich erhielt Anerkennung meiner Fähigkeiten und ein gutes Gehalt. Dies war die Firma, in der ich alt werden konnte und auch wollte.

Mein Chef hatte vor dem zweiten Weltkrieg als junger Mann in einer Waschküche begonnen, Autopflegemittel selbst in einem Waschbottich herzustellen. Diese Flüssigkeit füllte er ab und zog zunächst mit einem Handwagen von Tankstelle zu Tankstelle, um sie dort zu verkaufen. Damit hatte er große Erfolge.

Später schaffte er es nicht mehr alleine, und er holte seinen jüngeren Bruder mit hinzu. Der war ab dato für die Produktion und mein Chef für das Kaufmännische zuständig.

Als ich in die Firma kam, verfügten die beiden Brüder über eine große Produktionsfirma, über einige Verwaltungsgebäude und weitere Immobilien. Die Belegschaft war mittlerweile auf 50 Mitarbeiter angewachsen. Vertrieben wurden die Produkte in ganz Deutschland durch mehr als zwanzig freie Handelsvertreter, denen die Firma Lieferfahrzeuge zur Verfügung stellte. Meine Aufgabe bestand ebenfalls darin, diese Fahrzeuge zu verwalten.

Wo ein Seniorchef war, gab es auch einen Junior. Er wurde so genannt, weil er den gleichen Vornamen hatte wie sein Vater.

Der Junior war allerdings noch größer, schlaksig-schlanker und hatte schöne warme braune Augen. Seine Aufgabe bestand darin, den Export in Europa anzukurbeln. Damit war er sehr erfolgreich. Ganz besonders auf einem der zahlreichen Flüge nach Italien. Eines Tages stellte er uns seine Zukünftige vor, eine zickige, hochnäsige Stewardess.

Die Macht meines Unterbewusstseins

Während meiner Scheidung von Hans begegnete ich Martin noch einmal Anfang September wieder in dem gleichen Großhandel. Meinen ersten Geburtstag in Freiheit wollte ich in meiner neuen Wohnung in Bensberg groß feiern.

Den Einkauf für meine Party erledigte ich und zufällig lief er mir wieder über den Weg.

»Das nenne ich Schicksal, Miriam! Welchen Anlass hast du denn heute für eine Party. Danach sieht es ja aus, wenn ich mir deinen vollbeladenen Einkaufswagen so ansehe.«

»Ich gehe diesmal für meinen Geburtstag einkaufen», erwiderte ich fröhlich gestimmt und lächelte ihn freundlich an.

»Und wann hast du Geburtstag?«, wollte Martin neugierig und grinsend wissen.

»In drei Tagen!«

»Ach, wie interessant, dann bist du ja auch im Sternzeichen der Jungfrau geboren«, bemerkte er, weiter grinsend und fuhr fort: »Ich habe auch bald Geburtstag. Da könnten wir beide ja theoretisch zusammen feiern.«

»Na, sowas! Du bist eine Jungfrau?«, hakte ich höchst überrascht, dann doch zweifelnd nach. Ohne auf eine Antwort zu warten stellte ich sarkastisch fest: »Das hätte ich bei deinem Lebenswandel nicht gedacht!«

»Was? Dass ich eine sensible und erdverbundene Jungfrau bin? Du kennst mich doch gar nicht, sondern nur das, was die Leute über mich reden. Vielleicht wüsstest du nach unserem gemeinsamen Feiern besser über mich Bescheid und würdest deine Meinung ändern«, forderte er mich nun anzüglich werdend heraus. Er grinste. Seine braunen Augen rollten und hielten meinen streng auf ihn gerichteten Blick fest.

»Nee, daraus wird wohl nichts. Gemeinsam feiern? Nein danke. Das würde ich nicht aushalten», erwiderte ich ernster als nötig zurück. Sogleich ärgerte ich mich, dass ich keinen Spaß daraus gemacht hatte.

Aber so war ich nun mal. Smalltalk lag mir nicht.

»Und? Was machst du sonst noch so?«, fragte ich ihn wieder lockerer werdend.

»Ich habe mir gerade einen Ferrari gekauft und Agathe, meine Mutter, schickt mich zweimal täglich in den Großhandel. Es macht ihr einfach lustvolle Freude, mich wie einen kleinen Jungen zu behandeln und hin und her zu jagen, weil sie ständig angeblich etwas vergessen hat«, bemerkte er lauter werdend und zeigte auf seinen mit Getränkekisten hoch beladenen Einkaufswagen, der etwas abseits des Ganges stand.

Oh, nein, ich habe einfach keinen Nerv, mir die Lebensgeschichte dieses stadtbekannten Playboys anzuhören. Ach, und wie seltsam. Er nennt seine Mutter beim Vornamen.

Ich bekam auf meiner Geburtstagsparty die Bücher Die Möwe Jonathan von Richard Bach und Die Macht Ihres Unterbewusstseins von Dr. Joseph Murphy geschenkt. Darüber freute ich mich sehr. Ich hatte meinen Freunden und Verwandten vermittelt, dass ich mich seit kurzer Zeit für spirituelle Bücher interessieren würde. Das Buch von Murphy verschlang ich am nächsten Abend und las die ganze Nacht hindurch in einem Rutsch.

Mit meinem Unterbewusstsein sollte ich selbst steuern können, was das Leben mir bot? Unglaublich!

Eigentlich musste ich pünktlich um acht Uhr im Büro sein. Ich meldete mich jedoch krank, weil ich das Buch zwanghaft weiterlesen musste. Ich war ein verantwortungsvoller Mensch und nahm das Leben und meine Arbeit sehr ernst. Es war das erste Mal, dass ich blau machte. Meine Devise lautete jedoch, irgendwann ist immer das erste Mal. Und warum sollte ich nicht in einem neuen Lebensjahr damit beginnen?

Obwohl mit sechzehn Jahren schwanger und schnell mit Hans verheiratet, war es mir damals wichtig, meine kaufmännische Ausbildung zu beenden. In mir steckte schon früh das Bedürfnis nach materieller Sicherheit, nach Wohlstand, einem eigenen Haus mit Garten, einem schicken Wagen.

Ich, die erdverbundene, pragmatische und ordentliche im Sternzeichen der Jungfrau geborene Miriam, die früh Verantwortung für eine eigene Familie hatte, getrennt und in Scheidung lebend, sollte mit der Kraft der Gedanken diese Wünsche erfüllt bekommen?

Sollte es mir gelingen, mit Hilfe des Buches meine Träume zu realisieren? Vielleicht gab es für mich ja auch den für mich bestimmten Traummann. Ich war nicht dumm und sah gut aus. Ich war jedoch immer noch schüchtern im Umgang mit fremden Menschen und wurde oft noch rot vor Unsicherheit. Mein Selbstwertgefühl lag nach sechzehn Jahren Ehe mit Hans ziemlich am Boden. Nein, tief eingebuddelt im Erdreich.

Der Dressman Jamie

Fürs Herbstsemester belegte ich an einer Sprachenschule einen Englischkurs am späten Nachmittag. Dort lernte ich Jamie mit seinem Freund Thomas, genannt Tommi kennen. Jamie hieß mit richtigem Namen James und war gebürtiger Engländer. Beide waren bekannte Dressmen und ziemlich extrovertiert. Ich lernte sie als sympathische, natürliche junge Männer kennen. Ein bisschen war ich verliebt in Jamie. Er war groß und schlank, mit sanften braunen Augen, einer markanten Hakennase, mit wellig, strubbeligen, dunkelbraunen Haaren. Er war der Ruhige und wirkte immer ein wenig zerfahren, hilfsbedürftig. Dies sprach mich wohl an. Hauptberuflich war er mit seinen äußerst schönen und gefragten Händen Model für Werbefotos.

Tommi war einen Kopf größer und hatte ebenfalls eine schlanke Figur. Mit seinen strahlend blauen Augen, ebenen Gesichtszügen und einer modischen Frisur zog er alle Blicke auf sich. Er war fest für einige Jahre im voraus von einem führenden Versandhaus als Model für Bekleidung engagiert. Beide waren Mitte Dreißig und ledig. Na, ja. Bei der persönlichen Vorstellung gab keiner von uns Schülern zu, gebunden zu sein.

Nach dem Unterricht ging unsere komplette Gruppe zusammen in ein nahegelegenes Bistro. Wir wollten uns dort bei alkoholfreien Cocktails oder leckerem Cappuccino in englischer Konversation üben.

Nach einigen Wochen blieb mein natürlicher Charme bei Jamie nicht ohne Wirkung. Ende Oktober wurden wir ein Paar. Jedoch bemerkte ich schnell, Jamie fehlte die für mich notwendige Leidenschaft. Er war ein ziemlicher Langweiler und Narzißt, der ständig in den Spiegel und besonders liebevoll auch seine berühmten und begehrten Hände anblickte. Er besaß noch einen weiteren seltsamen Tick. Ständig schnupperte er an seinen Klamotten, wenn er sich aus- oder umzog, obwohl er nicht rauchte und auch nicht schwitzte. Er roch sekundenlang an einem Teil, sog den Duft ein, schlug es aus und wiederholte diese Prozedur mehrmals bis er es in den Wäschekorb legte. Dies sah irgendwie abartig aus. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Jamie der gewünschte Traummann sein könnte


Täglich wollte ich nun wieder die im Buch beschriebenen Übungen durchführen, um meine Wunschträume zu visualisieren. Ich plante zunächst, bezüglich meines gewünschten Traumautos selbst tätig zu werden und eine lukrative Nebentätigkeit zu suchen. Das würde ein Zusatzeinkommen bringen und den Schuldenberg verkleinern.

Gleich am nächsten Tag bekam ich einen Nebenjob als Schreibkraft in einem kleinen Hotel im Westen von Köln an den Wochenenden. Wenigstens das funktionierte nach Plan. Was war aber mit der Wunscherfüllung des Traummannes?

Uli

Einen Tag später, am Sonntag, kam ich vom Besuch bei meiner Mutter. Ich fuhr über die Autobahn nach Bensberg. Plötzlich gab mir ein junger Mann, der mich überholte, ein Zeichen. Es sah so aus, als wäre etwas an meinem Wagen. Er fuhr nach rechts über die Standspur und auf den nächsten Parkplatz. Ich folgte ihm aufgeregt mit ängstlichen Gedanken, was wohl passiert sei. Wie sich herausstellte, war nichts mit meinem Wagen, sondern reine Anmache, jedoch eine wirklich nette.

Uli, ein smarter, charmanter junger Mann mit schönen braunen Augen, die mich sehnsuchtsvoll anlächelten, war vom Sternzeichen auch eine Jungfrau. Neben seinem Job als Chemielaborant bekam er hin und wieder kleinere Rollen für einen TV-Sender. Wir gingen an den folgenden Wochenenden in eine Disko zum Tanzen und unterhielten eine lockere Beziehung. Aber Uli konnte auch nicht mein Traummann sein, denn er war 13 Jahre jünger als ich. Das passte meiner Meinung nach nicht. Er war mir zu unreif, nicht ernsthaft genug.

Den Job im Hotel gab ich wieder auf, weil mir der Geschäftsführer an die Wäsche wollte. Eine andere interessante und lukrative Nebentätigkeit fand ich ganz in der Nähe meiner Wohnung. In einer Spedition konnte ich an Montag-, Mittwoch- und Freitagabenden handschriftlich Ladelisten schreiben. Wir waren zwei Frauen und die Arbeitszeit ging bis gegen Mitternacht. Die Bezahlung war dementsprechend sehr gut.

Elfie

Dieses Jahr war es schon früh brütend heiß. Mein Chef befand sich in seinem komfortablen Haus am Lago Maggiore. Ich fuhr nach Dienstschluss hin und wieder nach Köln zum Fühlinger See zum Sonnenbaden.

An einem schönen warmen Freitag Anfang Juni saß ich in meinem Büro und beschloss mittags, meinen Dienst für heute zu beenden. Die dringendsten Arbeiten hatte ich zu meiner vollen Zufriedenheit erledigt.

Für den Abend hatte ich in der Spedition frei bekommen. Es war wenig zu tun. Zum See wollte ich wieder fahren und dort Sonnenbaden und Schwimmen. Eine einsame Stelle, abgeschottet durch üppig wachsende Brombeersträucher, die die Sicht verhinderten, hatte ich bereits ausgekundschaftet. Dort konnte ich ungestört Oben-Ohne liegen. Der Anblick der spiegelglatten Oberfläche des Sees wirkte auf mich idyllisch und betörend. Hier konnte ich mit geschlossenen Augen das Zwitschern der Vögel hören, die trällernd von Baum zu Baum miteinander kommunizierten. Das war äußerst entspannend. Fast wie Sommerurlaub im Süden.

Am See traf ich Elfie, eine Nachbarin meiner Mutter. Mit ihr war ich locker befreundet. Elfie war schlank mit schulterlangen naturblonden Haaren, graublauen Augen, ziemlich heller Haut, durchsetzt mit feinen geplatzten Äderchen im Gesicht. Als hübsch konnte man sie nicht bezeichnen. Sie vermittelte einen gewöhnlichen Eindruck durch ihre lahme Aussprache, die sie müde erscheinen ließ. Dazu kleidete sie sich unvorteilhaft. Ihre zwei Kinder lebten mit ihr seit einigen Jahren in der gut geschnittenen hellen 3- 1/2-Zimmerwohnung. Ein Mädchen von vierzehn und ein Junge von zwölf Jahren. Als wir uns kennenlernten war sie seit einigen Jahren geschieden.

Elfie war mit ihrem Fahrrad hier. Sie freute sich sehr, mich zu sehen. Ich setzte mich schweren Herzens zu ihr. Vorbei war es mit meinem ungestörten Urlaubstag. Aber was solls. Egal. Meinen rosafarbenen Strohhut zog ich als Sonnenschutz auf und mein Bikini-Oberteil behielt ich nun doch an. Oben-Ohne war nur angesagt, wenn ich alleine und vor fremden Augen geschützt war.

Es gab Neuigkeiten zu erzählen. Von ihrem neuen Job bei Martin im Kiosk berichtete sie mir begeistert. Echt überrascht, sagte ich jedoch nichts dazu.

»Es kann sein, dass der Martin auch noch kommt. Er möchte, dass die Hunde mal ins Wasser kommen bei dieser Hitze. Die stinken sonst so«, erklärte Elfie eifrig und wirkte leicht verlegen.

Weiterhin erzählten wir uns locker im Wechsel unsere Erlebnisse der letzten Monate. Nach einiger Zeit sahen wir Martin von weitem heranschlendern. Zwei Männer und drei Hunde befanden sich in seinem Schlepptau. Er wirkte zerzaust und verschwitzt.

»Hallo Miriam«, begrüßte er mich freundlich grinsend. »Dich habe ich ja lange nicht gesehen!«

»Hallo Martin! Ja, wir trafen uns zuletzt im September vor meinem ersten Geburtstag in Freiheit beim Großeinkauf. Du erzähltest, dass du dir einen Ferrari zugelegt hattest.

»Ach, ja! Stimmt. Jetzt erinnere ich mich!«

Während er sich genüsslich neben Elfie auf ihrer Decke ausstreckte und ihr einen beiläufigen Kuss auf die Wange gedrückt hatte, stellte er mir überaus gut gelaunt und höflich seine beiden Begleiter vor.

»Das ist Kalle, mein Faktotum, mit seinem Schäferhund Rex und meinem Bobby.«

Als Bobby seinen Namen hörte, drehte er sich zu Martin um und spritzte beim Niesen Sabber aus seiner Schnauze auf die Wiese. Martin fuhr, darüber unbeeindruckt, mit der Vorstellung fort.

»Und Jeridi mit seinem Buddy. Jeridi stammt aus Tunesien und ist ebenfalls so etwas wie mein Faktotum. Die beiden wohnen in meinem kleinen Haus, in dem sich der Kiosk befindet. Kalle kümmert sich um die Entsorgung von Verpackungsmaterial und Abfall aus dem Büdchen. Jeridi erledigt Hausmeisterdienste in meinen Häusern und auch im gegenüberliegenden kleinen Mehrfamilienmietshaus meiner Mutter. Hin und wieder führt er auch Gelegenheitsarbeiten für andere Mieter aus.«

Hmhhh, dachte ich, wen interessiert es? Und das ist Miriam«, berichtete er weiter, zu Kalle und Jeridi gewandt, »die mich schon als kleines Pipihühnchen«, »bitte für 20 Pfennig gemischte Kamellen, nervte«.

Martin schaute mich grinsend mit warmem Schalk in seinen Augen an, und die Jungs lachten in die Runde. Das war total ansteckend, und ich musste mitkichern, zurückdenkend an diese Zeit von vor 25 Jahren.

»Bist du mittlerweile wieder verheiratet?«, fragte er weiter und sah mir direkt in die Augen.

»Nein, ich genieße jetzt erst einmal meine Freiheit.« Nachdenklich zog er die Stirn kraus.

»Und du, hast du es mittlerweile geschafft?«, hakte ich nach.

»Nein, ich bin kein Mann zum Heiraten!«, rief er lachend aus mit einem augenrollenden Seitenblick auf Elfie. Die war herumalbernd mit den Hunden beschäftigt, warf Stöckchen in Richtung des Sees und hatte sein Statement nicht mitbekommen.

»Aber zum Vater hat mich eine gemacht«, warf er, nachdem sich das Gelächter gelegt hatte das Gesicht schmerzhaft verziehend bitter in die Runde.

»Ach wirklich? Dann haben wir ja was gemeinsam. Du bist Vater geworden und ich im März Großmutter«, berichtete ich, nun etwas lockerer geworden.

»Willst du uns einen Bären aufbinden?«, fragte er ungläubig. Er runzelte wieder seine Stirn und schob seine große Brille mit einem Stupser seines Zeigefingers zurück in die perfekte Augenhöhe.

»Du bist doch gerade mal ... wie alt bist du jetzt?«

»Ich bin noch 34 und zur Zeit wahrscheinlich die jüngste Oma Deutschlands.«

Er schaute mich ungläubig an, und ich fuhr fort: »Ja wirklich! Das ist kein Scherz!«

Meine Schwester Birgit

Elfie schaute lächelnd über Martin hinweg, hob zeigend den Finger in die Ferne und sagte, sich zu mir umblickend: »Schau mal, da kommt deine Schwester mit ihrem neuen Freund!« Tatsächlich! Birgit kam Hand in Hand mit einem großgewachsenen, sehr schlanken jungen Mann auf uns zugeschlendert.

»Ja, das scheint Peter, ihr Neuer zu sein«, bestätigte ich.

»Hey, das ist Peter«, sagte Birgit lächelnd in die Runde, als sie angekommen waren. Zu Peter gewandt, dann zu mir nickend: »Und das ist meine Schwester Miriam.«

Er grinste und meinte flapsig: »Hallo Schwester!« Sein Mund verzog sich zu einem breiten Lächeln und zum Vorschein kamen weiße, makellose Zähne, die seine strahlend blauen Augen blitzen ließen. Peter war einen Kopf größer als Birgit. Sein hellblondes Haar trug er wuschelig, was zu seiner positiven Ausstrahlung passte.

Warum grinst er so, was hat Birgit ihm wohl über mich erzählt? Birgit, unser Nesthäkchen von 18 Jahren, war inzwischen zu einer hübschen, schlanken Frau mit grünen Augen und süßen Grübchen in den Wangen herangewachsen. Sie war 16 Jahre jünger und einen Kopf kleiner als ich. Nach der Schule hatte sie eine dreijährige Lehre bei der Post absolviert und war nun Zustellerin mit einem eigenen Bezirk. Sehr früh musste sie morgens aufstehen, denn ihr Dienst begann um sechs Uhr. Dafür war sie allerdings ab dem frühen Nachmittag schon zu Hause.

Ich fühlte mich mittlerweile unwohl und wollte nach Hause fahren. Daher packte ich meine Sachen ein und sagte zu Birgit gewandt:

»Tschüssi, Schwesterherz! Richte unserer Mutter einen herzlichen Gruß aus und euch wünsche ich noch viel Spaß.« Mit einem Seitenblick zu Peter. »Wir sehen uns!«

Mit Elfie war ich seit unserem Treffen jetzt an den Wochenenden hin und wieder in der Diskothek ‚Zarah‘ zum Abrocken.

Sie erzählte mir so ganz beiläufig, sie sei jetzt mit Martin fest zusammen. Stirnrunzelnd sagte ich ihr, dass ich mir das schon am See gedacht hätte und gab ihr unmissverständlich zu verstehen, dass ich fand, er würde nicht zu ihr passen.

»Er hat doch den Ruf eines Schürzenjägers und Herzensbrechers!«

»Du kannst mir glauben, Miriam, er ist nicht so schlimm wie sein Ruf. Der ist total nett. Er studiert Geschichte und Philosophie nebenbei und ist super intelligent. Wusstest du, dass er acht Sprachen spricht?«, fragte Elfie schwärmend.

»Nein, das wusste ich nicht. Ich kenne ihn eigentlich ja nur vom Büdchen aus meiner Kindheit. Vor meiner Geburtstagsparty letztes Jahr, bei der du auch warst, traf ich ihn im Großhandel und sprach dort kurz mit ihm. Und dann von dem einen Mal mit dir am See. Und halt das, was die Leute so über ihn reden seit Jahren.«

Abwinkend bemerkte ich vorsichtig: »Der passt nicht zu dir, Elfie. Er ist doch ein Frauenheld!«

»Ja, aber er hatte so viele Freundinnen, weil er noch nicht die Richtige gefunden hat. Er wollte immer eine blonde Frau, so wie ich bin. Und er will sich von Ruth trennen. In seinem kleinen Haus, in dem sich das Büdchen befindet, baut er jetzt das Dachgeschoss für uns beide aus. Wir haben dann dort ein Nest für uns. Und, er möchte, dass ich den Führerschein mache«, erzählte sie begeistert und strahlte übers ganze Gesicht.

»Sei trotzdem vorsichtig! Und was ist mit dieser Ruth? Ich habe sie heute noch im Kiosk gesehen.«

»Ja, die Sache mit ihr kann er nicht so Knall auf Fall beenden. Das muss er langsam angehen, sagte er. Er hatte ein dreigeschossiges Geschäftshaus gekauft und baut es noch um in ein Einfamilienhaus. Es ist noch nicht ganz fertig. Aber sie wohnen schon dort. Er, Ruth und Ruths vier Kinder und der Schäferhund. Stell dir vor, ihre Kinder sind von drei verschiedenen Männern!«

Elfie rollte die Augen und fuhr fort:

»Ruth löst Martin im Büdchen ab. Es wird ihm sonst zu viel mit dem Remittieren der Zeitungen und Zeitschriften und dem gleichzeitigen Bedienen. Das ist keine Arbeit für ihn, aber seine Mutter zwingt ihn dazu. Sie gibt ihm ja alle Einnahmen, und die sind nicht schlecht. Sie braucht selber nichts. Die ist total bedürfnislos. Martin muss fast jeden Tag im Großhandel einkaufen. In zwei Kneipen und in dem Imbiss nebenan hat er seine Spielautomaten hängen. Dort muss er jede Woche abrechnen ...«

»… und er fährt täglich zur Uni, wie er mir sagte«, warf ich ein. »Da hat er wirklich eine Menge zu tun. Vielleicht kommt er ja mit dir zur Ruhe. Ich wünsche es dir, Elfie, von ganzem Herzen, wenn er so nett ist, wie du sagst!«

»Komm‘ doch nächste Woche mal mit zum Chinesen. Dann wirst du sehen, dass er wirklich so ist.«

»Ich kann doch nicht einfach so mitkommen, und das will ich auch nicht.«

»Doch, Miriam, das kannst du! Bitte! Ich hab’ da schon so eine Idee. Der Poldi kommt schon mal mit. Das ist ein Bekannter von Martin. Er hat eine Auto-Werkstatt und er ist momentan Single. Wir könnten doch so tun, als wollte ich dich verkuppeln an Poldi.«

»Nein Elfie, da mache ich nicht mit! Den Poldi kenne ich und ich finde den nicht so angenehm«, antwortete ich entrüstet.

»Das macht doch nichts, Hauptsache, du siehst mal, wie der Martin ist. Außerdem können wir doch einmal gemeinsam einen netten Abend verbringen. Überlege es dir doch, ja?«

»Na, mal sehen. Wenn ich nächstes Wochenende zu meiner Mutter komme, dann können wir ja was verabreden.«

»Klasse, und ich werde Martin schonmal darauf vorbereiten.«

Ich war skeptisch. Wollte Elfie mir wirklich nur zeigen, wie ihr Neuer, der stadtbekannte Playboy Martin ist?

Oder wollte sie mich vielleicht in Wirklichkeit an den Poldi verkuppeln und hatte sich die Geschichte, dass ich ihren Martin begutachten sollte, nur ausgedacht?

Ein merkwürdiges Gefühl befiel mich.

Elfie und Martin machten mit Poldi ein Treffen aus und hatten mich dazu eingeladen. Zum vereinbarten Zeitpunkt fuhren wir gemeinsam zu einem bekannten China-Restaurant. Martin fuhr uns in seinem tiefergelegten silbermetallicfarbenen Mercedes 500 SEC. Er war mit Autotelefon, weichen Ledersitzen und elektrischer Sitzheizung ausgestattet.

Am großen Tisch saß er mir gegenüber, links neben ihm Elfie, rechts neben mir Poldi. Martin verwickelte mich gleich in ein Gespräch über Amerika. Er fragte mich über meine Reise zu meinen Verwandten aus und war total begeistert von meinen Abenteuern, die ich dort erlebt hatte.

»Du solltest darüber ein Buch schreiben. Das wär’ doch mal was. Es muss wundervoll sein in USA. Ich selbst war noch nie dort. Mich zieht es mehr nach Italien und Spanien. Aber ein Freund von mir, der Willi, war vor 20 Jahren mit meiner Mutter, nach dem Tod meines Vaters in Kalifornien. Die hatten auch so begeistert berichtet. Vielleicht können wir ja mit ihm mal ein Bier trinken gehen und du könntest dich mit ihm austauschen, wenn du willst. Er wohnt ganz in deiner Nähe. In Rösrath.«

»Hmhhh…«, erwiderte ich nur und Martin fuhr fort:

»Im Haus neben Willi hat ein Italiener vor kurzem eine Kneipe eröffnet. Zu ihm will ich sowieso noch wegen der Automatenaufstellung.«

Er redete weiter eifrig auf mich ein und blickte mich irgendwie merkwürdig dabei an.

»Mal sehen. Im Moment arbeite ich viel und habe wenig Zeit«, wehrte ich spröde ab.

»Du kannst ja mit Elfie was ausmachen, wenn du wieder bei deiner Mutter bist. Ihr beide müsst ja nicht immer nur in die Disko gehen. Wir können ja auch mal gemeinsam zum Italiener fahren«, entgegnete er grinsend.

Oh, das klingt nach Eifersucht. Er mag sicher nicht, dass Elfie ohne ihn loszieht.

»Ja, ich will mal sehen«, erwiderte ich leicht amüsiert. Das weitere Gespräch drehte sich um sein Geschichtsstudium an der Universität. Er war einmal exmatrikuliert worden, weil er irgendwelche Anmeldefristen nicht eingehalten hatte und musste wieder im ersten Semester beginnen. Nun war er wieder im vierten Semester. Das frühe Mittelalter, insbesondere der deutsche Kaiser Heinrich IV. mit seinem Gang nach Canossa beeindruckte ihn sehr.

Martins Eltern Agathe und Erich

Martin war in seinem erzählerischen Element. Munter erzählte er weiter, und ich hing an seinen Lippen. Ich liebte alte Geschichten.

»Heinrich IV. wurde durch seinen eigenen Sohn gefangen genommen. Nach seinem Tode wurde er im Dom zu Speyer beigesetzt. Manchmal kann ich den Sohn verstehen, dass er gegen seinen Vater war. Bei mir ist es jedoch genau umgekehrt. Ich würde alles darum geben, wenn mein Vater noch leben würde und an seiner Stelle meine Mutter nicht mehr wäre. Mit ihm hätte ich alles erreichen können!«

»Aber Martin, du hast doch alles erreicht«, warf ich erstaunt ein.

»Ach Miriam, was weißt du schon von dem Martin?«

Er spricht von sich in der dritten Person? »Als ich zum Beispiel Tierarzt werden wollte, mit summa cum laude Numerus Clausus Note Eins, bewarb ich mich in München um einen Studienplatz. Es war schwierig, aber es klappte. Ich fuhr nach München, um mir eine Wohnung zu suchen. Was meint ihr, was Agathe dazu sagte«, fragte er in die Runde, dabei jeden von uns herausfordernd anblickend. Von niemandem kam eine Antwort.

»Agathe flippte aus!«

Zorn loderte plötzlich in ihm auf.

»Sie fuchtelte wirr herum mit ihren Händen wie eine Hexe. Dabei verrutschte ihre Perücke. Die saß dann schief auf ihrem Kopf. Sie schrie mich an. „Wie kannst du mich hier im Stich lassen? Das Büdchen mache ich doch nur für dich. Damit es dir gut geht. Was willst du Tierarzt werden, wo du Tiere über alles liebst und ihnen noch nicht mal eine Spritze geben könntest. Schau dir doch den Dr. Burger an, der steht von morgens bis abends in seiner Praxis, auch am Wochenende. Er muss schwer arbeiten und verdient nur ein paar Kröten. Du brauchst doch nur in den Großhandel zu fahren und einzukaufen. Und das bisschen Buchführung und die paar Remittenden, was ist das schon? Wir verdienen doch hier das meiste Geld mit dem Büdchen!« Betroffen schwiegen alle. Martin fuhr nun nachdenklich geworden fort:

»Da hat meine Mutter natürlich recht. Sie scheffelt wirklich die Kohle mit der Schaufel rein. Morgens um 7:30 Uhr macht sie auf, verkauft jedem Monteur oder Arbeiter eine Zeitung, eine Packung Zigaretten, eine Tafel Schokolade mit ihrer übertriebenen Freundlichkeit. „Bitte schön! Danke schön! Der Nächste bitte! Was darf’s denn sein?“

Bis Mitternacht sitzt sie in ihrer Trinkhalle. Nach 22 Uhr kommen alle die zu ihr, die nirgendwo mehr etwas kriegen. Die Leute lassen sich sogar mit dem Taxi bei ihr eine Flasche Schnaps und Zigaretten holen. Und die Taxifahrer wissen alle, dass die alte Agathe ihre Trinkhalle bis null Uhr geöffnet hat. Wenn sie nachts die Kasse abrechnet, lässt sie die Rollläden bis auf einen kleinen Schlitz herunter. Kommt noch jemand, kann sie ihm so noch etwas verkaufen.«

»Und wie hält sie das physisch durch?«, fragte ich neugierig.

»Mittags kommt immer um 12:30 Uhr eine Aushilfe bis 17 Uhr. Wir haben zwei, die Frau Bucher und die Frau Dott. Das sind schon ältere Frauen, auf die kann man sich einhundertprozentig verlassen. Die klauen nicht. Die rauchen und trinken nicht. Die jüngeren langen schon mal hin. Die Versuchung ist zu groß. Wenn sie kein Geld aus der Kasse nehmen, rauchen sie dafür auf unsere Kosten.

Das ist ein schnelles und lukratives Geschäft. Man könnte es kontrollieren, wenn wir eine Kasse hätten. Aber Agathe sträubt sich dagegen. Es wird seit dreißig Jahren so gemacht und wir machen es die nächsten dreißig Jahre so. Das Geld wird einfach nur in die Schublade gelegt ohne Kontrolle. Es gab Zeiten, da hatten wir über Monate bei gleichem Einkauf viel weniger Umsatz. Mit Sicherheit hatte die damalige Aushilfe in die Kasse gelangt.«

»Aber man kann doch das Bargeld zählen. Beim Dienstantritt und wenn sie geht. Dann hat man doch einen Überblick«, bemerkte ich stirnrunzelnd.

»Ja, das macht Agathe ja auch. Aber bei zwei-, drei-, vierhundert DMark, die reinkommen in zwei bis drei Stunden fällt es nicht auf, wenn täglich ein Zehner oder Zwanziger fehlt. Eine Aushilfe beobachtete ich einmal dabei, als sie an der Seite des Lagers vom Fenster aus ihrem Sohn eine mit Getränken gefüllte Plastiktüte herausgab.«

Martin verzog schmerzhaft das Gesicht. Nach einer kurzen Atempause fuhr er fort:

»Lasst uns von was anderem reden. Ich kam nur darauf, weil ich über meinen Vater sprach. Erich hätte alle Neuerungen mitgemacht. Mit ihm hätte ich die Trinkhalle auf Vordermann bringen und mit einer Registrierkasse den Überblick haben können. Agathe macht zwar mit ihrer typischen Verkäuferinnenfreundlichkeit viel Geld und sie ist eine Institution mittlerweile. Aber sie suddelt nur herum, verbreitet überall Chaos und will mich beherrschen. Ihr müsst mal sehen, was sie für eine Schweinerei mit den Hunden macht. Sie holt abends aus der Mülltonne nebenan vom Imbiss altes Fleisch, das die wegschmeißen und zerklopft es hinter dem Büdchen in der Küche mit einem Hammer, kocht es mit Reis auf und gibt es den Hunden. Ihre fettigen Finger wischt sie nur mal eben an einem alten Handtuch ab, wenn ein Kunde vorne an die Scheibe klopft und etwas kaufen will.

Agathe nimmt sich die Freiheit heraus, zu machen, was sie will. Alle anderen lässt sie nicht gelten. Was glaubt ihr, was meine Freundinnen schon Rotz und Wasser geheult haben, weil Agathe sie fertiggemacht hatte. Sogar Ruth, die selbst vom Sternzeichen her ein Widder ist wie Agathe, hat ihr Fett schon weg!«

»Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Sie ist doch überaus freundlich«, widersprach ich ungläubig und zog die Stirn kraus.

»Ach Miriam, du kennst sie nicht. Keiner kennt sie. Das ist ihre typische Verkäuferinnenfreundlichkeit. Oben in ihrer Badewanne liegen die Äpfel aus ihrem Garten. Die liegen dort vom Sommer bis Weihnachten. Egal, wenn sie faul sind. Wehe, ich gehe hin und sortiere sie aus zum Wegschmeißen. Da solltet ihr mal sehen, wie sie mich behandelt. Wie einen dummen kleinen Jungen! Weihnachten, wenn die Äpfel verbraucht sind, badet sie in wenig Wasser. Handhoch, weil eine volle Wanne ja Geld kostet. Auf der Toilette unten hinter dem Verkaufslager hat sie Salamiwürste hängen über dem Klotopf zum Räuchern! Da soll ich nicht verrückt werden. Sag ich ihr was, winkt sie ab und bemerkt nur „das haben wir früher im Westerwald so gemacht, als ich noch ein Kind war, warum soll ich es hier nicht auch so machen?"

Gegen diese Frau komme ich nicht an. Sie ist ein typischer Widder. Wenn zum Beispiel in der Wand eine Türe ist, durch die sie gehen könnte, bleibt sie kurz davor stehen, überlegt es sich, stemmt die Hände in die Hüften und geht mit dem Kopf durch die danebenstehende Wand. Da gehe ich als hochsensible Jungfrau dran kaputt. Die Frau macht mich einfach nur fertig!«

Er war sehr aufgebracht und zornig. Nach einer längeren Atempause, in der wir alle still und betroffen auf den See schauten, fuhr er nachdenklich fort:

»Erich war sauber und ordentlich, immer freundlich und lebenslustig, offen für neue Ideen. Es trifft oft die Falschen. Oft hadere ich mit unserem Herrgott oben im Himmel und frage ihn, warum mein Vater und nicht meine Mutter?«

Martins Vater hatte ich auch noch aus meiner Kindheit gekannt. Mit uns Pänz machte er immer Späßchen, wenn wir uns für zwanzig Pfennig gemischte Kamellen kauften. Er war ein sehr freundlicher Mensch, immer fröhlich und stets am Lachen, im Gegensatz zu Martin. Ich kann mich jedoch nicht mehr erinnern, woran und wann er verstorben war.

»Hatte der Tod deines Vaters etwas damit zu tun, dass er beide Beine im Krieg verloren hatte?«

»Ja, vielleicht indirekt«, antwortete Martin nun wieder ruhiger geworden.

»Im Zweiten Weltkrieg wurde er schwer verwundet. Bei der Einkesselung von Stalingrad wurden seine Beine von Granatsplittern zerfetzt. Im Lazarett konnte man sie nur noch amputieren. Durch die unvorstellbaren Schmerzen und das Heimweh, die Kälte, wenig Essen, waren auch die Seelen vieler Soldaten stark verwundet.

Erich erhielt Trost durch männliche Pfleger. Er wurde durch einen von ihnen an die Homosexualität herangeführt. Als er dann als Kriegsgefangener zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges nach Hause entlassen wurde, war er nur noch Männern zugetan.

Agathe kam damit nicht zurecht. Und ich glaube, ich auch nicht. Aber ich liebte meinen Vater sehr. Er kam sehr gut mit seiner Versehrtheit klar und war immer lustig. Er hatte die Prothesen und die Krücken, mit denen er sich relativ gut fortbewegen konnte. Auch mit seinem Rollstuhl war er wendig. Durch seine Kriegsversehrtheit sind meine Eltern an das Büdchen gekommen.

Die Stadtverwaltung verpachtete diese runden Kioske in verschiedenen Stadtteilen an Kriegsversehrte und Heimkehrer. Wir nannten es „unser Büdchen", und es war eines der ersten in unserem Stadtteil, zirka 300 Meter von der Autobahn entfernt, was auch ein großer Vorteil ist. Der Name ist bis heute geblieben, obwohl wir jetzt offiziell eine Trinkhalle besitzen.

Meine Eltern waren von morgens bis spät abends immer dort. Zu Hause, drei Kilometer vom Büdchen entfernt, war ich immer alleine.

Später wohnte meine Oma aus dem Westerwald bei uns, nachdem mein Opa gestorben war und wir das erste kleine Mehrfamilienmietshaus schräg gegenüber vom Büdchen gebaut hatten. Ich durfte dann schon mit sechzehn Jahren den Führerschein durch eine Sondergenehmigung machen wegen des Geschäftes und, um meinen kriegsversehrten Vater fahren zu können.«

»Ach, das wusste ich nicht. Das war möglich damals?«, warf ich stirnrunzelnd ein.

»Ja, Miriam. Oft fuhr ich ihn zur Hühnergasse. Dort traf er sich mit Gleichgesinnten in einer Kneipe und tauschte sich mit ihnen aus. Er litt sehr unter Agathe, die ihn ablehnte mit seiner für sie fremden Neigung.«

»Ja, das kann ich gut verstehen«, murmelte ich leise.

Martin fuhr lachend fort: »Außerdem war Homosexualität ja damals noch verboten. Die Leute hatten schon immer viel über mich geredet, weil ich im Büdchen wie auf einem Präsentierteller stehe. Alle kamen und kauften bei uns. Und da ich immer wenig Freizeit hatte und immer arbeiten musste, war doch klar, dass meine Freundinnen auch immer bei mir im Büdchen waren und mir beim Verkaufen halfen.

Die Kunden hatten immer alles mitbekommen, was mich betraf. Sie sahen meine verschiedenen Freundinnen und meine Autos, die ich immer neben dem Büdchen geparkt hatte. Als wir das große Mehrfamilienmietshaus bauten, redeten die Leute noch mehr und waren neidisch.

Nicht, wie bei dir Miriam. Du warst ja früh schwanger und bist dann mit deinem Hans in den Westerwald gezogen. Das einzige, was über dich geredet wurde, war, dass du mit sechzehn heiraten musstest. Kennt ihr den Spruch, ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert?«

»Nein, den kenne ich nicht, aber der ist verdammt gut«, bemerkte ich in die Runde.

»Ja, und bei mir ist es so. Ich kann tun und machen was ich will, mein Ruf ist eh‘ schon ruiniert.« Wir lachten alle und pflichteten ihm bei.

»Könnt ihr euch übrigens noch an unser erstes kleines rundes Büdchen erinnern, gegenüber von dem jetzigen, neben der LitfassSäule? Dort wo jetzt die Ladenzeile ist in Höhe von dem Schreibmaschinengeschäft? Es gibt noch Fotos davon.«

»Ja, ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Es war klein und winzig. Dahinter befanden sich die Schrebergärten.«

Plötzlich war ich wieder das kleine Mädchen von zehn Jahren, das mit ein paar Groschen zum Büdchen lief, um Salmiakpastillen oder die leckeren Erdbeerschaumbonbons zu kaufen.

»Martin, du musst so um die achtzehn Jahre gewesen sein, wenn wir einen Altersunterschied von acht Jahren haben, ich war zehn. Du hattest dir aus dem Urlaub eine Dänin mitgebracht. Die Leute lästerten damals über dich, sie müsste dir beim Verkaufen helfen, damit du dich mit anderen Mädchen treffen konntest.«

»Da erinnerst du dich noch dran?«, antwortetet er mit einem breiten Grinsen.

»Ja, ich habe ein gutes fotografisches Gedächtnis. Wenn du bedientest, hattest du uns Kinder ja immer angeblafft. Ich konnte dich absolut nicht leiden, fand dich schrecklich und hatte auch Schiss vor dir. Warum warst du denn so unfreundlich zu uns Kindern? Wir hatten ja regelrecht Angst, wenn du bedientest.«

Lachend blickte er umher, dann wanderten seine Augen wieder zu mir, und ich wurde rot.

Warum nur werde ich rot, wenn er mich so ansieht? Was soll er von mir denken? Ich bin doch nicht mehr das kleine Pipihühnchen.

»Das könnt ihr euch doch denken. Ich hatte immer eine Freundin, aber keine Zeit für sie. Ich musste meinen Eltern ja immer helfen, wenn ich von der Schule kam. Es war schon immer eine ungeliebte Arbeit für mich. Wenn dann so Pipihühner, wie zum Beispiel die Miriam oder die Elfie am Schalter standen …«, dabei sah er mich und dann Elfie kurz grinsend an, »… und von einem Fuß auf den anderen traten, die riesigen und prall gefüllten Kamellengläser anhimmelten und dann nicht wussten, welche sie kaufen wollten, umständlich herumdrucksten, und, na ja, da hatte ich dann keine Geduld für euch Pänz, weil sich hinter euch Warteschlangen bildeten.«

»Ich kann mich noch erinnern, als du den roten Porsche hattest. Da warst du noch sehr jung, nicht wahr? Auch ich habe heute ein Faible für schöne Fahrzeuge und finde deinen silbermetallicfarbenen Mercedes große Klasse!«

»Ja, das ist wirklich das schönste Auto, das es zur Zeit auf dem deutschen Markt gibt. Freut mich, dass der Wagen dir gefällt. Der rote Porsche damals, das war das Geschenk zu meinem 18. Geburtstag von meiner Mutter. Den hätte ich mal behalten sollen, der wäre heute ein Oldtimer und viel wert. Aber ich wollte lieber Mercedes fahren. Könnt ihr euch noch an den Sportwagen der Rosemarie Nitribit, den Mercedes 190 SL erinnern?«

»Ja, das war ein tolles Modell«, meldete sich Poldi endlich auch einmal zu Wort. Er unterhielt sich fast ausschließlich angeregt mit Elfie. Martin nickte Poldi wohlwollend zu.

»Den habe ich lange gefahren. Bis die Gustel aus der Nachtbar ihn gegen die Wand gefahren hatte während einer Probefahrt. Sie wollte ihn kaufen.«

»Aus der Pigalle?«

»Ja, ich war ja ein guter Kunde dort. Aber nur zum Saufen und zum Quatschen. Das könnt ihr mir glauben. Ich bin kein Mann, der für eine Frau bezahlt!«

Huch, wer soll ihm das bei seinem Lebenswandel glauben?

Ich musste grinsen. »Und das sollen wir dir glauben? Du bist als spendabel und großzügig deinen Frauen gegenüber bekannt. Also bezahlst du sie doch!«

»Nein, so sehe ich das nicht, Miriam. Natürlich möchte ich, wenn ich mit einer Frau zusammen bin, dass sie glücklich ist. Und wenn sie mit mir unterwegs ist, habe ich es gerne, wenn sie nett gekleidet ist und auch ein schöner Ring, nur so als Beispiel, an ihrem Finger blitzt. Und …, dass sie den Führerschein macht …«,

erwähnte er mit einem nachdenklichen Blick zu Elfie,

» … damit sie mich hin und wieder, wenn ich mal zu tief ins Glas geschaut habe, nach Hause kutschiert. Das ist doch auch in meinem Interesse.«

Das chinesische Essen war köstlich. Es wunderte mich, dass Martin einige Glas Bier ziemlich rasch hintereinander für sich bestellt hatte, war er doch unser Fahrer. Ich sagte jedoch nichts. Auch Poldi trank einige Kölsch, kam daher als Fahrer auch nicht in Frage. Elfie und ich tranken Apfelsaftschorle. Na, das bedeutete erst einmal, abzuwarten, wie wir nach Hause kommen sollten.

Wir hatten vorher ausgemacht, dass jeder von den vier verschiedenen Gerichten probieren sollte. Martin warf weiter einige harmlose Witze ein, wenn er mal nicht über sich sprach. Wir hatten Spaß und konnten herzhaft darüber lachen. Ich bereute nicht, mich auf diesen gemeinsamen Abend eingelassen zu haben.

Ich stellte fest, dass ich begann, Martin in einem anderen Licht zu sehen. Die alten Klatschgeschichten wichen einem kleinen mitleidigen Gefühl wegen der Einsamkeit in seiner Kindheit und wegen seiner großen Liebe zu seinem kriegsversehrten Vater, der zu früh verstorben war. Wahrscheinlich an gebrochenem Herzen, nachdem, was er alles an Schrecklichem erlebt hatte während des Krieges und als schwer verletzter Kriegsgefangener nach seiner Heimkehr mit seiner herrischen Ehefrau, die ihn nicht mehr akzeptierte und seine Art ablehnte.

Elfie hatte recht! Martin war nicht so, wie die Leute über ihn redeten. Die waren sicher neidisch auf ihn, weil sie nicht so unkonventionell lebten wie er. Mein Bild über Martin hatte sich nach diesem schönen Abend überaus positiv verändert, er war mir sympathischer geworden. Seine Redegewandtheit, die Geschichten, die er erzählte, seine Intelligenz, sein Wissen, seine Begabung für Fremdsprachen, seine höfliche und charmante Art. Martin rauchte nicht, hatte auch noch nie geraucht, wie er sagte. In seiner Jugend wäre er geizig und geschäftstüchtig gewesen. Die Zigaretten verkaufte er damals lieber einzeln an seine Freunde, um mit diesen Einnahmen sein Taschengeld aufzubessern.

Der Abend war weit vorgerückt. Wir waren die letzten Gäste. Martin bezahlte die Zeche und gab dezent ein großzügiges Trinkgeld. An seinem geparkten Wagen angekommen, ließ Martin mit seinem Schlüssel automatisch die Türen öffnen und überreichte ihn mir mit den Worten:

»So, Miriam, jetzt bist du dran. Du musst uns nach Hause fahren. Ich habe zuviel Bier getrunken. Genauso wie Poldi. Du bist daher die einzige von uns, die noch fahrtüchtig ist.« Zu Elfie meinte er bedächtig:

»Beim nächsten Mal, wenn wir wieder zusammen ausgehen, hast du sicherlich deinen Führerschein. Dann bist du mit dem Nachhausekutschieren dran!«

Elfie strahlte und sah ihn verliebt an. Bescheiden erwiderte sie:

»Meinst du, ich schaffe den Führerschein?«

Martin grinste irritiert, warf eine lange Haarsträhne mit einer Hand nach hinten und schüttelte leicht den Kopf.

»Traust du dir das etwa nicht zu, Elfie?«

»Naja, ich bin ja nicht mehr die jüngste!«

»Ach, komm‘ Elfie. Das schaffst du schon. Wenn du Hilfe brauchen solltest, ich helfe dir gerne«, ermunterte ich sie lächelnd.

Ich hatte den Ledersitz automatisch für meine langen Beine und eine andere Sitzhöhe eingestellt, den Innen- sowie die Außenspiegel gerichtet. Martin erklärte mir die Gänge des Automatikgetriebes und los gings.

Dieses Auto war der reinste Wahnsinn! Martin meinte jovial:

»Fahre doch mal eben auf die Autobahn, dann kannst du mal eine kurze Strecke mit über zweihundert PS Gas geben!« Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.

Ich bedankte mich für den schönen Abend, als ich den Wagen neben dem großen Häuserblock stoppte, in dem meine Mutter und auch Elfie wohnten.

Lächelnd übergab ich Martin den Autoschlüssel und wir verabschiedeten uns ohne eine weitere Verabredung.

Als Elfie strahlend von Martin verabschiedet wurde, dachte ich so bei mir, der Martin ist für die Elfie eine Nummer zu groß. Wenn das mal gut geht!

Ich wollte zukünftig eine Distanz zu Elfie und Martin halten. Mit Poldi verband mich nichts. Er war ein uninteressanter und farbloser Mann für mich, ohne Ausstrahlung und Energie.

Der Geschäftsführer der Spedition war ein Luftikus und Hans-Dampf-in-allen-Gassen, Mitte 40 und sehr sympathisch. Er erzählte uns während unserer Arbeit ständig Geschichten aus seinem Leben. So vergingen uns die Abendstunden wie im Fluge. Manchmal spendierte er uns spätabends noch ein Essen und ließ es über den Pizza-Service anliefern. Wir hatten eine schöne, lockere und, ja familiäre Atmosphäre, in der es Spaß machte, zu arbeiten.

Eines abends berichtete er aufgeregt:

»Stellt euch vor, letzte Woche war ich auf einer freiwilligen Autoversteigerung. Ich hatte mich für einen Ferrari interessiert. Jedoch, so einen versauten Wagen habe ich noch nie gesehen. Der Besitzer hat einen Schäferhund und den lässt er auf dem Rücksitz mitfahren. Er ist übrigens aus Köln. Vielleicht kennen Sie ihn, Miriam? Ein kräftiger, dunkelhaariger italienisch aussehender Typ mit Brille.«

»Ach, das könnte Martin sein«, entgegnete ich überrascht. »Er fährt jetzt ein tiefergelegtes silbermetallicfarbenes 500er Mercedes Coupé und … ja, den Ferrari verkauft er.«

Die nächsten Wochenenden verbrachte ich bei meiner Mutter. Von ihr wurde ich über den Fortschritt von Elfies Beziehung zu Martin weiter informiert.

Eines Tages berichtete sie mir, Elfie hätte nicht mehr viel von Martin, weil er immer nur unterwegs sei oder aber nur arbeiten würde. Oft würde er sich verleugnen lassen, wenn sie von seiner Mutter wissen wollte, ob er oben über dem Büdchen im Dachgeschoss sei.

Ruth, Martins Lebensgefährtin, hatte Elfie gefragt, was sie von ihrem Lebensgefährten wolle, ihr Ärger bereitet und sie kurzerhand rausgeschmissen. Nun hatte Elfie auch keinen Aushilfsjob mehr.

Als Martin Elfie zu Hause besuchte, beruhigte er sie. Sie solle sich nichts daraus machen, es wäre doch klar, dass Ruth ihn nicht so einfach aufgeben würde. Einen Mann wie ihn ließe sich doch keine Frau entgehen. Sie solle noch Geduld haben und ihn erst oben die Wohnung fertigmachen lassen, danach hätte er mehr Zeit für sie.

»Kümmere dich jetzt erst einmal um deinen Führerschein. Nächste Woche bekommst du von mir das Geld dafür.«

Elfie war wieder besänftigt und voller Hoffnung auf die gemeinsame Zukunft mit ihm. Sie berichtete meiner Mutter weiter, dass Ruth nun immer öfter im Büdchen arbeiten würde. Abends nähme sie Martin mit in ihrem Opel nach Hause, weil er von den Bauarbeiten zu müde sei zum Fahren oder auch zu schmutzig in seinen Arbeitsklamotten, um sich damit in den Benz zu setzen. Sein Mercedes stehe dann über Nacht auf dem Hof hinter dem Büdchen. Ruth würde Martin am anderen Tag gegen Mittag mit ihrem Wagen zum Kiosk zurück- und immer öfter würden sie nun auch gemeinsam in den Großhandel zum Einkaufen fahren.

Es käme häufig vor, dass sie auf dem Weg nach Hause in der Kneipe ‚Im Kamin‘ von Manni noch einkehren würden, um dort noch ein Bier zu trinken. Dort hat Martin zwei Geldspielautomaten hängen. Ruth und Martin würden beide als äußerst trinkfest gelten. Es wäre wahrscheinlich Ruths Taktik, Martin durch die häufigen Kneipenbesuche von Elfie fernzuhalten. Wenn Martin am Abend zuvor getrunken hatte, käme er morgens nicht aus dem Bett. Erst gegen Mittag würde er sich wieder unter den Lebenden mit entsprechendem Kater befinden. Martin würde Auseinandersetzungen jeglicher Art verabscheuen. Er würde die Flucht ergreifen und ließe die anderen die Sache miteinander aushandeln, über seinen Kopf hinweg. Das wäre ihm einerlei. Hauptsache, er bräuchte keine Entscheidungen zu treffen. Das Geld für den Führerschein hatte er ihr noch nicht gegeben.

Im November war Elfie mit den Nerven am Ende, hatte sie doch große Hoffnungen in eine gemeinsame Zukunft mit Martin gesetzt. Er rief sie immer seltener an und erzählte Banales, sie solle abwarten, er würde schon alles regeln. Er ließ sich seit einigen Wochen nicht mehr bei ihr sehen.

Der Herzensbrecher Martin

Oft besuchte ich meine Mutter, die seit zehn Jahren von unserem Vater geschieden war. Meine kleine Schwester, wie ich sie liebevoll nannte, lebte jetzt in der ersten gemeinsamen Wohnung mit ihrem Freund Peter. Es schien, als würde es eine feste Beziehung werden.

Bei einem meiner Besuche bei ihnen unterhielten wir uns über Elfie, die so unglücklich verliebt war. Meine Abneigung gegen Martin, die seit unserem gemeinsamen Essen in Sympathie umgeschlagen war, kam wieder hervor, breitete sich in meinem Kopf aus und legte sich auf mein Herz.

»Der Martin verarscht die Elfie doch. Man müsste Elfie und alle anderen Frauen, denen er das Herz gebrochen hat, rächen!«

Anfang Dezember berichtete mir meine Mutter bei meinem Besuch, Elfie hätte ihr gesagt, Martin läge in einer Klinik und wäre an der Leiste operiert worden.

Zwei Wochen später rief mich Mutti, wie wir sie immer liebevoll nannten, im Büro an und erzählte aufgeregt:

«Stell dir vor Liebchen, der Martin ist mir eben in der Sparkasse hinterher gelaufen, um mich nach deiner Telefonnummer zu fragen. Es ginge um ein Fahrzeug aus deiner Firma, was er kaufen wollte. Ich habe sie ihm gegeben! Ich hoffe, ich habe da keinen Fehler gemacht? Er wird dich bestimmt heute noch anrufen. Ich wollte dich nur vorwarnen!« Und in vorwurfsvollem, bestimmendem Ton, was gar nicht ihre Art war, fuhr sie fort:

»Du wirst dich doch nicht mit dem einlassen?«

»Nein, Mama, mit dem doch nicht. Der will doch nur einen gebrauchten LKW kaufen. In der Firma hier gibt es hin und wieder Transporter abzugeben, die abgeschrieben sind. Wir hatten davon gesprochen, als ich mit Martin, Elfie und diesem Poldi essen war. Deshalb ruft er sicherlich an«, meinte ich leicht gereizt.

»Ach so, dann bin ich ja beruhigt, ich dachte schon ...«

»Nein, Mutti, mach dir keine Sorgen! Mit dem Herzensbrecher fange ich doch nichts an. Und außerdem muss ich jetzt weiterarbeiten. Ich habe viel zu tun«, unterbrach ich ihren nicht enden wollenden Redeschwall.

Martin rief während meiner Mittagspause an. Wir trafen uns wegen eines gebrauchten Transporters, an dem er interessiert war. Bei dieser Verabredung lernte ich ihn als aufmerksamen, interessierten Gesprächspartner kennen, der sich nicht aufspielte. Es erschien mir wichtig, dass ich mit ihm sachlich über das Fahrzeug, an dem er interessiert war, reden konnte. Als wir nach dem Essen noch Kaffee tranken, gestand er mir, dass ihm aufgefallen sei, wie zurückhaltend ich wäre.

»Ich dachte, an die Miriam ist nicht ranzukommen. Du bist so eine attraktive und kultivierte Frau geworden.«

Darauf ging ich nicht ein und fragte ihn räuspernd nach dem Tod seiner Freundin Gudrun von vor fünfzehn Jahren. Ich wollte ihn einfach aus Neugierde herausfordern und später auf Elfie zu sprechen kommen.

Achselzuckend brach er nach einer endlos erscheinenden Pause das Schweigen.

»Ach, Miriam, da wurde damals so viel Wirbel drum gemacht. Mir wurde nachgesagt, ich sei schuld an ihrem Tod. Gudrun hatte an einem Schönheitswettbewerb einer Jugendzeitschrift teilgenommen. Sie gewann den zweiten Platz und wurde nach Berlin zu Probeaufnahmen eingeladen. Dort gefiel es ihr sehr und sie erhoffte sich, Karriere zu machen. Mit mir machte sie Schluss, als sie dort einen anderen Typen kennenlernte.

Wir hatten nur noch losen telefonischen Kontakt. Sie behielt auch noch Kontakt zu ihrer Freundin Angelique, die hier in unserem Stadtteil lebt. Durch sie erfuhr ich, dass Gudrun ins Milieu geraten und von einem Freier schwanger war. Ihr Beschützer, der heute noch neben dem in Berlin ein gutgehendes Geschäft hier in unserer Stadt unterhält, hatte sie zu einer Engelmacherin geschickt.

In der Nacht nach der Abtreibung hatte Gudrun ihre Freundin Angelique und auch mich angerufen und bat um Hilfe. Sie war in einer verzweifelten Verfassung, sie blutete stark und hatte Schmerzen. Dringend hatte ich ihr geraten und sie dazu gedrängt, sofort den Notarzt zu rufen oder mit einem Taxi ins Krankenhaus zu fahren. Mit Engelszungen hatte ich zu ihr gesprochen.

Am nächsten Tag erhielt ich durch Gudruns Bruder die furchtbare Nachricht von ihrem tragischen Tod. Sie war zu Hause in Berlin alleine in ihrer Wohnung verblutet.«

Die Art und Weise, wie Martin liebevoll über Gudrun sprach, überraschte mich. Unerklärliches Mitleid stieg plötzlich in mir hoch.

»Oh, das tut mir leid, Martin, das wusste ich nicht. Die Leute damals sprachen nur davon, sie hätte sich wegen dir das Leben genommen!«

»Gudrun hatte ja oft im Büdchen bedient. Die Kunden hatten nicht mitbekommen, dass Gudrun in Berlin war. Man hörte dann nur von ihrem Tod und die Ursache wurde von Gudruns Familie natürlich aus falscher Scham verschwiegen. Die Gerüchte bezichtigten mich als Schuldigen. Die Wahrheit wissen nur wenige, Gudruns Freundin Angelique, dieser Zuhälter und ich.«

»Hat dich ihr Tod stark getroffen?«, fragte ich leise.

»Ja! …Nein ...«, begann er zaghaft, sprach aber nicht weiter. Er schluckte und senkte den Kopf. » im Gegenteil …«, brach er endlich das Schweigen.

»… ich spürte Genugtuung, weil sie jetzt niemand Anderem mehr gehörte, wenn ich sie schon nicht mehr haben konnte!«

»Oh! Die Nachbarin meiner Mutter, die mit Gudrun in einem Büro gesessen hatte, bevor sie nach Berlin ging, erzählte damals, dass du dich mit Gudrun oft gezankt hättest. Und Gudrun muss ihr auch viel Schlechtes über dich berichtet haben.«

»Ja, das kann sein. Wir hatten uns nicht besonders gut verstanden. Sie war sehr zickig. Sie wollte mich beherrschen. Sie hat mir sogar einmal eine Ohrfeige gegeben. Und sie wollte schon immer hoch hinaus. Sie war meine erste große Liebe und ich habe ihren Verlust nur schwer verkraftet. Diese Nachbarin deiner Mutter kennt ja nur Gudruns Version. Wenn man sich beide Parteien anhören würde, sähe eine Sache oft anders aus.«

Warum fühlte ich mich erleichtert, dass Martin an dieser unglaublich traurigen Geschichte schuldlos war? Den Rest des Abends war mir wehmütig zumute.

Martin wollte ein weiteres Mal mit mir Essen gehen. Er sprach wieder von dem Italiener, bei dem sein Freund Willi wohnte. Während er sich über die Aufstellung der Spielautomaten besprechen würde, hätte ich genügend Zeit, mich mit Willi über Amerika auszutauschen.

»Willi würde sich sehr freuen, wenn er mich wiedersehen würde.«

Martin war mir nicht mehr unangenehm, zeigte er sich doch von einer positiven Seite. Wir verabredeten uns für den Samstag vor dem 4. Advent.

Er holte mich bei mir in Bensberg ab, und wir fuhren zu Willi nach Immekeppel. Nach dem Tod von Martins Vater, der Willis Kamerad im Krieg gewesen war, hatte Willi um Agathe gebuhlt. Sie war jedoch weiterhin nur auf ihren Sohn fixiert. In ihrem Herzen war kein Platz frei für eine andere Person. Sie ging nicht auf Willis Werben ein. Martin blieb jedoch weiterhin eng mit ihm befreundet.

Es imponierte mir, in Martins traumhaft schickem Wagen mit Autotelefon zu fahren. Er meinte stolz, er wäre Besitzer des ersten Autotelefons in der Stadt. Er stellte es jedoch ab, als ich mich neben ihn gesetzt hatte.

»Was ist eigentlich aus deiner Beziehung zu Elfie geworden?«, wollte ich wissen.

»Ach, Elfie…«, sagte er nachdenklich und fuhr fort,

»sie ist doch auch nicht die Frau, die ich mir aus vollstem Herzen wünsche. Anfangs dachte ich es, weil sie nett anzuschauen ist, aber dann stellte ich doch fest, dass sie von ihrem Geist her nicht zu mir passt. Sie ist jetzt mit dem Charly aus dem Hochhaus zusammen. Kennst du ihn?«

»Nein! Aber das ist ja gut, dann leidet sie nicht so unter der Trennung von dir. Sie war ja sehr in dich verliebt. Und was ist mit Ruth, mit der du schon so lange zusammen lebst?«

»Sie ist auch nicht die Frau fürs Leben, sondern wie eine Glucke, bei der man sich wohlfühlen kann. Sie kocht gerne, und ich kann bei ihr in die Töpfe gucken und probieren. Das kenne ich nicht von meiner Mutter. Es ist schön, mit den Kindern Mensch-ärgere-dich-nicht zu spielen. Dieses Familienleben hatten früher immer nur meine Freunde. Ich war immer auf mich alleine gestellt. Mir geht nur die Unordnung auf die Nerven. Wenn ich etwas Bestimmtes suche, liegt es nicht an seinem Platz. Da tue ich mich schwer. Wir Jungfrauen sind darin doch überempfindlich und ordentlich, nicht wahr?«

Der Abend bei dem Italiener war sehr angenehm. Ich hatte ein unterhaltsames Gespräch über Amerika mit Willi. Als Martin seine Verhandlungen beendet hatte, sagte Willi zufrieden zu ihm:

»Da hast du aber mal eine hübsche und sympathische Frau, Martin. Und, die ist nicht auf den Kopf gefallen!«

Martin plusterte sich auf, zog obligatorisch den Bauch, den er nicht hatte, ein und antwortete geschmeichelt:

»Ja, Willi! Miriam ist sehr nett. Aber sie ist nicht meine Freundin!«

Scherzend erklärte er ihm wie wir miteinander bekannt waren.

»Was nicht ist, kann ja noch werden«, entgegnete Willi und blinzelte mir zu.

»Nein, da muss ich Sie enttäuschen«, wehrte ich lächelnd ab.

»Ich kenne Martin zu lange und habe keine so gute Meinung von ihm, was seine Frauengeschichten betrifft. Ich werde mich nicht auf ein Abenteuer mit ihm einlassen. Dafür bin ich mir zu schade!«

Martin fasste mich an meinem Oberarm, sah mich ernst an und sagte bedächtig:

»Miriam, du bist genau die Frau, die ich mir immer gewünscht habe. Groß, schlank, blond. Deine schönen Augen sind blau wie der Himmel. Und was mir besonders gut gefällt, du bist eine intelligente und äußerst hübsche Frau. Schau dir doch die Frauen an, die ich bisher hatte, da war nicht eine darunter, bei der ich ernsthaft darüber nachdachte, sie zu heiraten. Ich hatte dir damals, als du erwachsen wurdest, aus dem Büdchen immer wehmütig nachgesehen und gedacht, ja, die Miriam, die wäre was. Sie ist etwas ganz Besonderes. Aber du hast ja schon so früh geheiratet und bist dann weggezogen. Du warst seitdem unerreichbar. Und jetzt werde ich dir etwas sagen …«, er schaute mir mit seinen warmen braunen Augen tief in meine Seele.

»Ich habe mich in dich verliebt! Ich glaube, vom ersten Moment an, schon letztes Jahr am See.«

Ich war total überrascht und konnte ihn nur staunend mit offenem Mund ansehen. Seine Worte klangen zärtlich, aufmunternd und zuversichtlich. Meine praktische Vernunft schickte Zweifel ins Rennen. Meint er das ernst? Kann ich ihm vertrauen?

Nachdenklich fuhr er fort:

»Miriam, du! ... Ich muss dir sagen, du bist die erste Frau, bei der ich ans Heiraten denke. Jetzt bist du geschieden und frei. Doch sicher für mich!?«

Oh mein Gott! ... Dieser Satz!

Der unverbesserliche Macho und Frauenheld, der unzählige Frauen hatte und nie verheiratet war.

Der Martin, für den alle Frauen in meiner Stadt schwärmten, außer ich, sagte zu mir, ich sei die erste Frau, bei der er das erste Mal ans Heiraten denkt?

Was sollte denn das?

Was passierte denn soeben mit mir?

Wie fühlte ich mich denn plötzlich?

»Hey, Miriam, was ist los? Habe ich etwas Schlimmes gesagt? Du schaust so seltsam. Fehlen dir plötzlich die Worte?«, fragte Martin verunsichert und stupste mich liebevoll an.

Konnte ein Satz verzaubern?

Seine Worte! Sie bewirkten etwas in mir.

Meine Seele hüpfte vor Freude. Mein Herz warnte mich, achte auf dein Herz, es könnte zerbrechen! Meine praktische Vernunft fragte, glaubst du ihm? Mein Ego antwortete bedächtig, ja! Ich will ihm glauben!

Ich schluckte und rang nach Atem.

Martin nahm meine Hand, streichelte sie zart und schaute mich voller Zuneigung an. Ich fühlte mich geschmeichelt und versuchte, durch Martins braune Augen, mit leicht geöffnetem Mund, einen Blick in seine Seele zu werfen.

Sollte ich, Miriam, die mit sechzehn Jahren heiraten musste, seit kurzer Zeit geschieden war, einen erwachsenen Sohn und eine Enkelin hatte, tatsächlich die erste Frau sein, die den Playboy Martin zum Nachdenken übers Heiraten bewegt hatte?

Es gab keinen Zweifel, er hatte soeben gesagt, ich sei die erste Frau, bei der er ans Heiraten denken würde!

Nein, das hat nichts zu bedeuten, meldete sich empört meine praktische Vernunft.

Er ist ein Weiberheld und kennt sich mit Frauen aus. Er weiß genau, was Frauen hören wollen!

Aber,... widersprach mein Herz.

Tief in meinem Herzen war etwas erwacht. Wollte an die Oberfläche. Ich konnte es jedoch nicht deuten.

Während der Fahrt zu mir nach Hause schwiegen unsere Lippen. Unsere beiden Herzen kommunizierten miteinander. Locker und sanft hielten wir uns an den Händen. So zärtlich und harmonisch hatte ich eine Autofahrt noch nie erlebt.

Er parkte sein Auto und begleitete mich bis an die Haustür. Jeder musste für sich nach Hause, zurück in sein Leben. Es war mir plötzlich kalt, als ich mich eilig von ihm verabschiedete.

»Vielen Dank für den schönen Abend, Martin!«

Eine Floskel, Miriam! Hast du nichts Intelligenteres auf Lager?

Gut, dachte ich und hauchte verlegen einen zarten Kuss auf seinen Mund, der mir die verlorene Wärme wiedergab. Er hielt nur still, erwiderte meinen Kuss nicht. Hatte er nicht damit gerechnet wegen meiner spröden Art, die ich ganz offensichtlich heute wieder präsentiert hatte? Verlegen fragte er mich:

»Kann ich dich morgen anrufen, Miriam? Wirst du zu Hause sein? Oder bist du bei deiner Mutter? Ich hoffe doch sehr, wir sehen uns bald wieder?«

Oh, so viele Fragen auf einmal und kein Kommentar zu meinem Kuss!

»Ja, ruf mich an, ich bin zu Hause«, antwortete ich ebenso verlegen und sah Martin kurz nach, als er leicht beschwingt zurück zu seinem Wagen ging.

Ein wenig wehmütig war mir zumute. Rasch verschwand ich im Treppenhaus.

Am nächsten Tag rief Martin gegen Abend an und lud mich in ein Brauhaus ein. Es kam fast von selbst, dass wir uns beim Gehen an der Hand hielten. Wir erzählten uns bei seinem Kölsch und meinem Apfelsaft gegenseitig Geschichten aus unserer Vergangenheit und sahen uns dabei tief in die Augen.

»Miriam, ich will dir etwas sagen, was mir wichtig ist. Anfang Dezember war ich in Bad Neuenahr in einer Privatklinik. Durch die vielen Bauarbeiten in den letzten Jahren an meinen Häusern hatte ich mir schmerzhafte Leistenbrüche zugezogen. Ich ließ sie durch einen Facharzt operieren. Das sage ich dir, damit du nicht erschrickst, wenn wir in naher Zukunft intim miteinander werden. Das willst du doch auch, oder nicht?«

Er sah mich verliebt an, während er fortfuhr und höflich übersah, dass ich stark errötete.

»Die Narben sind noch sehr rot und befinden sich rundum. An beiden Leisten hat der Professor Schnitte von vorne bis hinten vorgenommen.«

Er erhob sich etwas von seinem Stuhl und zeigte mit der rechten Hand über seiner Stoffhose hinweg an der Leistengegend entlang den scheinbaren Verlauf der darunter liegenden Narben an beiden Oberschenkeln.

»Nach der Operation hatte ich einen Witz gemacht, als ich die Zickzackstiche sah. „Es sieht so aus, als würden Sie nach Zentimetern berechnen, Herr Professor, und Sie haben das Maximum für sich herausgeholt!“ Der Professor musste schallend darüber lachen.«

»Das ist doch der beste Grund, Martin, wenn wir beiden Jungfrauen uns mit den Intimitäten noch etwas Zeit lassen würden«, lächelte ich ihn an.

»Da magst du recht haben; denn an dem Sprichwort was lange währt, wird endlich gut wird wohl etwas dran sein, oder nicht? Da habe ich mit 43 Jahren die Frau meines Lebens, meine Traumfrau gefunden und kann ihr noch nicht meine Liebe zeigen. Demnach haben wir die besten Voraussetzungen für eine tolle gemeinsame Zukunft. Was meinst du, Miriam?«

Das ging mir zu schnell. Ich war verliebt und mochte, was er sagte, keine Frage, aber ich wollte noch mehr Zeit haben, ihn besser kennenzulernen. Mein persönlicher Sicherheitsradius war sehr groß. Ehe ich jemandem erlaubte, meine unsichtbare Linie der Unnahbarkeit zu übertreten, musste schon einiges an Vertrauen vorhanden sein.

Am 24. Dezember bereitete ich nachmittags bei Mutti das Essen für den Abend vor, als es klingelte. Kalle, Martins Faktotum, stand vor der Tür mit einem großen Strauß Blumen und einem Brief für mich. Martin schrieb ein paar romantische Nettigkeiten und wünschte mir und meiner Mutter schöne Weihnachten. Über diese Aufmerksamkeit freute ich mich. Sollte sich dieser Sinneswandel von Nicht-leiden-können so schnell in ein Verliebtsein geändert haben? Was war mit mir los? Meiner Mutter erzählte ich noch nichts von meinen chaotischen Gefühlen. Sie würde schockiert sein.

Der Roulettespieler Martin

Martin rief mich am zweiten Weihnachtstag aufgeregt an. »Miriam, warst du schon einmal in einer Spielbank?«

»Nein Martin, warum?«, antwortete ich verwundert.

»Hättest du Lust, morgen Abend mit mir nach Aachen zu fahren? Ich spiele hin und wieder Roulette und habe mehrere Systeme im Kopf, die mir Geld bringen. Und ich habe momentan ein sehr gutes Gefühl, das möchte ich ausnutzen. Mit dem Benz sind wir in einer halben Stunde dort.«

»Das wusste ich nicht, dass du spielst. Ja, vielleicht. Das würde mich schon interessieren«, erwiderte ich leicht irritiert. Martin, ein Spieler? Das ist ja was ganz Neues!

»Du benötigst deinen Personalausweis. Denk‘ bitte daran, ihn einzustecken.«

Na, da bin ich ja gespannt. Ich hatte überhaupt keine Vorstellung davon, außer, dass ich ein Spielcasino mit Glanz und Glamour in Verbindung brachte. Dann musste ich mich natürlich auch dementsprechend stylen, nahm ich mir vor. Mit einem schicken Outfit und High Heels wollte ich Martin überraschen. Aber warum war Martin so aufgeregt und meinte, er habe mehrere Systeme im Kopf, die ihm Geld einbringen würden? Total neugierig war ich und gespannt auf den nächsten Tag.

Am Nachmittag war ich um fünf Minuten nach halb sechs fertig, nachdem ich nur noch zweimal meine Unterwäsche gewechselt hatte und protzte mit neun Zentimeter hohen Riemchensandaletten, dem heißesten Teil des ganzen Outfits. Jjedenfalls meiner Meinung nach. Ich hatte in Erwägung gezogen, das Make-up dezent mit einem Hauch von Lippenstift aufzutragen. Nachdem ich an einer Hochsteckfrisur gescheitert war, bürstete ich meine Haare aus und ließ sie offen über die Schulter fallen, weich und ungebändigt.

Martin machte mir ein Kompliment über mein trendiges schwarzes Etuikleid aus weichem Samt. Es hatte einen runden tiefen Ausschnitt und ließ mein Dekolleté nicht zu aufdringlich zur Geltung kommen. Es besaß lange schmale Ärmel. Um den Hals trug ich eine echte Perlenkette, die ich während meiner USA-Reise von dem Cousin meiner Mutter, ich nannte ihn meinen Großonkel Carl, in Washington als Andenken geschenkt bekommen hatte.

Martin nahm meinen Mantel über seinen Arm, öffnete die Beifahrertüre seines Benz, ließ mich einsteigen und los ging es zu meinem ersten Casinobesuch.

Während der rasanten Fahrt erzählte er, wie das Roulettespiel ihn fasziniert und eingefangen hatte.

»Also, es begann mit der Beerdigung von Erich, meinem Vater. Das war vor zirka achtzehn Jahren. Ich war damals vierundzwanzig. Willi, den du ja schon kennst, ist ein Gelegenheitsspieler. Er wollte nach dem Reuessen ins Casino nach Bad Neuenahr. Um mich von meiner Trauer abzulenken, bat er mich, ihn zu chauffieren. Auf der Fahrt erklärte er mir das Roulettespiel mit all seinen Facetten und Regeln. Die Umgebung dort faszinierte mich. Die meisten Spielbanken legen großen Wert auf Etikette. Eine Krawatte zu tragen, ist für uns, die wir die Herren der Schöpfung sind, ein Muss. Das gefiel mir. Von nun an fuhr ich regelmäßig alleine. Ich gewann und verlor. In den letzten Jahren habe ich bestimmt global gesehen, ein Einfamilienhaus verspielt.«

»Wie willst du das denn wissen? Hattest du dir denn deine Verluste notiert?«, fragte ich neugierig.

»Nein, aber wenn du willst, kannst du das ab jetzt machen. Du schreibst doch gerne. Aber bitte nur Gewinne«, bemerkte er grinsend.

»Das wäre doch sehr interessant, einmal Bilanz zu ziehen. Ich kaufe mir doch die goldenen Brigitte-Kalender seit Jahren. Da schreibe ich meine Erlebnisse rein. Ich könnte doch in Zukunft auch deine Gewinne und Verluste eintragen. So hättest du eine vernünftige Übersicht«, sagte ich eifrig, ohne auf seine Bemerkung nur Gewinne einzugehen.

»Agathe gibt mir abends meistens zwischen fünf- und zehntausend DMark. Wenn ich gewonnen habe, bringe ich ihr das Geld am nächsten Tag wieder, damit sie den Tabak- und den Getränkehändler bar bezahlen kann. Den übriggebliebenen Gewinn bringe ich zur Bank und zahle das Geld auf mein Konto ein.«

Flüsternd setzte er hinzu:

»Oder ich setze es abends wieder ein. Es gab Zeiten, da bin ich jeden Tag in der Woche gefahren. Das begann, als ich das erste Mal eine hohe Summe verloren hatte. Die wollte ich mir am nächsten Tag mit einem noch höheren Einsatz wieder zurückholen. Hatte ich wiederum verloren, nahm ich am nächsten Tag noch mehr Geld mit. Meistens bekam ich alles zurück mit einem meiner Systeme.«

Dem uns freundlich entgegenblickendem Angestellten im Empfangsbereich reichte ich meinen Personalausweis. Er fragte mich, ob dies mein erster Besuch in der Spielbank Aachen wäre. Das bejahte ich, ihn freundlich anlächelnd.

Martin erklärte mir, man würde für jeden neuen Besucher eine Karteikarte anlegen, auf der die Daten notiert würden. Ich erhielt eine kleine Besucherkarte, die ich unterschreiben musste. Damit bestätigte ich, die Regeln des Casinobetriebes einzuhalten. Diese Besucherkarte musste der Zutrittskontrolle am Eingang zum Saal vorgezeigt werden.

Martin steuerte zunächst zu einem Bankschalter. Er wollte hier Bargeld gegen Spielgeld eintauschen. Diskret drehte er sich von mir weg und legte dem Kassierer, der sich hinter einer dicken Glaswand befand, mehrere Geldscheine mit der Ansage in die Öffnung, er möchte seine Scheine in soundsoviele 50er, 20er und 10er Jetons gewechselt haben.

Ich schaute mich ehrfürchtig staunend in dem riesigen Saal um. Es herrschte eine gediegene Atmosphäre. An den hohen Fenstern hingen schwere Samtvorhänge in dunkelrot. An den Seiten durch goldfarbene Troddel gehalten. Der dicke Teppichboden aus Velours hatte einen etwas dunkleren Farbton. Es gab eine langgezogene Theke aus edlem Holz, an der einige attraktive Damen auf Barhockern saßen. Mit einem Drink vor sich stehend. Wahrscheinlich waren sie von deren männlichen Begleitern hier abgesetzt worden, um in Ruhe ihr Geld setzen zu können.

Martin wirkte sehr gelassen und äußerst seriös. Ich fand ihn sehr attraktiv in seinem dunkelblauen, klassischen, einreihigen Anzug, einem weißen Seidenhemd, dazu eine passende Krawatte im Streifendessin. Sollte man/n aus irgendeinem Grund ohne Krawatte erscheinen, so könnte er sich eine an der Garderobe ausleihen, war Martins Erklärung. Wie gut, dass dieses Manko nach Bedarf eingesetzt werden konnte. Die Spielbankgesellschaft hatte wirklich an alles gedacht, um einem Spieler, der dieser Kleiderverordnung nicht entsprach, dennoch den Zutritt ermöglichen zu können und der Bank somit einen potentiellen Gewinn.

Martin nahm mich an die Hand und zog mich sanft zu einem Roulettetisch an dem nicht so viele Spieler standen. Locker begann er mit seiner Erklärung.

»Schau hier, Miriam! An jedem Spieltisch können die Spieler sitzen oder stehen. Drei Croupiers an jedem Tisch haben ihre verschiedenen Aufgaben. Ein Croupier sitzt auf einem erhöhten Stuhl hinter dem Kessel. Von dort hat er den idealen Überblick zur Kontrolle, um die anderen Croupiers zu beobachten und auch auf das korrekte Verhalten der Spieler achten zu können. Er ist perfekt darauf geschult, dass er immer den Überblick über sämtliche Einsätze behält. Ebenso die Auszahlung der Gewinne. Der Kesselcroupier sitzt an der linken Flanke des Tisches. Er nimmt die Einsätze der Gäste entgegen und sorgt für deren richtige Plazierung auf dem Spieltisch. Er ist verantwortlich für den korrekten Abwurf der Kugel und die rechtzeitigen Ansagen. „Nichts geht mehr“ und in Französisch „Rien ne va plus“. Ihm gegenüber auf der rechten Seite des Spieltisches sitzt ein weiterer Croupier. Er sammelt und sortiert die Jetons nach jedem Spiel ein, die von der Bank gewonnen wurden und legt sie in die dafür vorgesehenen Ablagen. Auch er nimmt die Ansagen der Spieler entgegen.«

Kopfschüttelnd holte ich tief Luft und stöhnte: «Na, wenn ich mir das mal alles merken kann!«

Martin schmunzelte und zog mich am Arm zu einem anderen Spieltisch.

»Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz. Das Glück ist mit dem Anfänger, der Anfängerin!«

Nach wenigen Augenblicken des Beobachtens der letzten gewonnenen Zahlen auf der Anzeigentafel, die sich von der Decke herabhängend über den Tischen befand, erklärte er weiter mit ernster Miene.

»Die Glücksgöttin Fortuna will dich locken und lässt dich beim ersten Spiel gewinnen. Und es liegt bei dir, ob dich der Teufel holt. Hier, Miriam, hast du einige Jetons. Versuche es selbst!«

Einige Chips drückte er mir in die Hand und erkundigte sich leise: »Hast du eine Lieblingszahl?«

»Ja! Die Sechs«,

murmelte ich nachdenklich und zog die Stirn kraus. »Und ich habe die Neun, also spielen wir die Sechs und die Neun gleichzeitig. Du wirst es nicht glauben. Aber nach dem Wahrscheinlichkeitsprinzip in den Permanenzen kommt oft die Neun hinter der Sechs. Schau mal hier an dem Tisch!«

Martin bekam Schweißperlen auf der Stirn. Aufgeregt zeigte er auf die Anzeigentafel der letzten gewonnenen Zahlen.

»Ist das noch Zufall, Miriam? Hier an diesem 20er Tisch ist soeben die Sechs gekommen. Wenn der Kesselcroupier die Gewinne ausbezahlt hat, beginnt ein neues Spiel. Dann legst du ein 20erStück auf die Neun.

Um aber deine Sechs mit abzudecken, legst du das Stück als Cheval, also mitten auf den Trennstrich der Sechs zur Neun auf dem Spielfeld, das bedeutet, dass zehn DMark auf der Sechs liegen und ebenso zehn auf der Neun. Es könnte ja sein, dass die Sechs noch einmal kommt. Das nennt man dann eine Doublette.

Bei einem gewonnenen Cheval erhältst du das 17fache deines gesetzten Wertes, also 17 mal 20, das sind 340 DMark. Das Stück, das du gesetzt hattest und noch dort liegt, nimmst du nicht fort, das lässt du unbedingt liegen. Damit verdoppelst du das nächste Spiel. Denn du solltest immer, das ist auch ein ungeschriebenes Gesetz, wenn du gewonnen hast, das gewonnene Stück nicht abziehen, sondern zusätzlich auf die gewonnene Zahl nachsetzen!«

Der Kesselcroupier blickte in die Runde mit der Ansage: »Alles bezahlt. Bitte machen Sie Ihr Spiel!«

Lauter werdend und leicht erheitert fuhr Martin fort: »Komm‘! Setze die 6/9 als Cheval, dort rechts am Tisch.« Er zeigte jovial zu der Stelle, wo die Sechs und die Neun untereinander angeordnet waren.

Mit heißen Wangen legte ich einen Jeton auf die Linie zwischen der Sechs und der Neun und machte schnell wieder einen Schritt zurück zu Martin, um in seinen Sicherheitsbereich zu kommen. Es war für mich furchtbar aufregend.

»Ja, so ist es richtig!«, lobte er mich.

»Und jetzt glaube ganz fest, dass du gewinnst. Mal sehen, ob die Fortuna auch dich locken wird.«

Die Kugel wurde von dem Wurfcroupier in den sich bewegenden Kessel eingeworfen. Sie drehte mit einem eigenartigen Klang ihre Runden.

»Rien ne va plús. Nichts geht mehr! Bitte nicht mehr setzen!«, hörte ich die Ansage des Croupiers am Kopfende.

Ich will gewinnen, ich will gewinnen, wünschte ich tief in mich versunken.

Die negativen Gedanken meiner praktischen Vernunft jedoch meinten, so ein Quatsch, was der Martin dir erzählt, dann würde ja jeder, der feste an seinen Gewinn glaubt, gewinnen. Nein, antworteten die positiven Gedanken, die sich als die feinen Stimmchen meiner Logik vorstellten und pragmatisch weiter erklärten, das weiß ja nicht jeder! Die wenigsten Menschen haben das Bewusstsein dafür. Lass‘ dich doch einfach überraschen und warte ab, in welches Bettchen sich die Kugel hineinfallen lässt!

Martin dozierte locker weiter: »Legst du ein Stück nur auf eine Zahl, also nur auf die Neun, das nennt man Plein. Wenn du gewinnst, erhältst du das 35fache des Jeton-Wertes. Das sind 35 x 20 DMark = 700 DMark Gewinn!«

Die Kugel rollte mittlerweile ermüdend langsam. Wie gebannt starrte ich weiterhin auf meine Sechs im rotierenden Kessel. Ich wünschte mir so sehr, sie solle noch einmal kommen. Die Glücksgöttin Fortuna sollte mich als Anfängerin bemerken und gleich beim ersten Mal, wie Martin es mir erklärt hatte, gewinnen lassen.

Meine Augen blickten an den abwechselnd schwarzen und roten Zahlen im Kessel weiter. Martins 9/Neun suchte ich.

Da .., dort war die Neun, genau gegenüber meiner Sechs auf der anderen Seite. Es war ein weiter Weg für eine kleine Kugel in dem Kessel von der Sechs bis zur Neun, eine halbe Umdrehung. Das Geräusch der rollenden Kugel veränderte sich. Sie kam nun langsam an der Zero vorbei, an der Vier, an der Zwei, der Siebzehn, der Vierunddreißig und ... hüpfte wie selbstverständlich … in ... die ... Sechs!

Ich traute meinen Augen nicht!

Das gibt es doch nicht, das glaubt mir kein Mensch!

Ich hatte gewonnen. Mein erstes Roulettespiel hatte ich tatsächlich gewonnen!

War das noch Zufall? Nein! Hier musste Magie mit im Spiel sein oder in der Luft liegen. Ich begann, an dem Wort Zufall zu zweifeln. Gab es wirklich Zufälle auf dieser Welt? Alles was passierte, hatte scheinbar doch seinen Sinn. Nur, den erkannte ich in diesem Moment noch nicht.

Nur Sekundenbruchteile waren vergangen seit diesem Wahrwerden der Erklärung von Martin über die Glücksgöttin Fortuna, die jeden Anfänger locken wird und ihn beim ersten Spiel gewinnen lässt.

Es würde noch einige Zeit vergehen, bis ich weitere Indizien für Zufälle, die keine waren, präsentiert bekommen sollte.

Martin flüsterte mir mit stolzer Brust ins Ohr:

»Höre ihm zu!«, und zeigte dabei strahlend mit einem Kopfnicken auf den Croupier links am Ende des Tisches.

»Die Sechs. Pair. Manque. Schwarz. Erstes Dutzend. Dritte Kolonne«, vernahm ich die Ansage des jungen attraktiven Croupiers. Gleichzeitig zeigte er mit seinem Rateau auf die Zahl Sechs auf dem Spielfeld.

»Ich wusste es, Miriam! Du wirst meine Glücksgöttin sein! Das hatte ich gestern damit gemeint, ich hätte ein gutes Gefühl. Das hatte absolut nur mit dir zu tun«, raunte er mir ins Ohr und knabberte kurz ganz ungeniert daran.

Fröhlich, jedoch leise und dezent erklärte er weiter:

»Bei jedem Gewinn, den du erhältst, lässt du gleich beim Auszahlen ein Stück als Trinkgeld für die Croupiers abziehen. Du sagst dann Stück für Sie! Und der Croupier bedankt sich bei mir mit Danke der Herr! Oder bei dir mit Danke die Dame!«

Jedes Wort, jede Geste, jede Bewegung des Croupiers saugte ich ab jetzt in mein Gedächtnis auf. Da war ganz plötzlich für mich eine faszinierende Atmosphäre hier in diesem Saal. Es musste daran liegen, weil ich mit meiner Sechs gewonnen hatte, und das gleich beim ersten Einsatz. So, wie Martin es vorhergesagt hatte. Das würde mir kein Mensch glauben. Ja, ich selbst konnte es ja kaum glauben.

»Es erfolgt nun eine etwas länger andauernde Auszahlung der gewonnenen Chancen«, bemerkte Martin mich glücklich anlächelnd.

Als der Croupier mit dem Rateau auf meinen Cheval zeigte, lagen die zwei Stücke dort, und er schaute fragend in die Runde.

Martin meldete sich für meinen Gewinn mit diskret erhobener Hand: »Hier bitte!«

Laut und selbstsicher annoncierte er weiter: »Stück für Sie!«

Der Croupier erwiderte: »Danke, der Herr!«, zog ein 20-DMark-Jeton-Stück von dem gewonnenen Stapel ab und warf es seinem Kollegen am Kopfende zu. Der nahm es und steckte es, mit einem Kopfnicken hin zu Martin, in einen dafür vorgesehenen Schlitz neben ihm im Spieltisch. Den kleinen Stapel mit dem Gewinn schob er mit seinem Rateau zu uns hinüber. Martin nahm den Stapel Jetons vom Tisch auf und reichte ihn mir mit strahlendem Lächeln. Seine dunklen Augen blitzten vor Stolz. Ein Stück nahm er fort.

»Das ist das Stück vom Einsatz. Das setze noch einmal! Jetzt auf meine Neun als Plein. Den Rest behalte für dich! Das sind 300 DMark. Rechne mal nach! Ein guter Stundenlohn nicht wahr?« Er grinste und war hellauf begeistert.

»Alles bezahlt. Machen Sie Ihr Spiel!«, hörte ich die erneute Ansage des Croupiers.

Ich war unsicher, ob ich die Jetons annehmen sollte. Martin drängelte jedoch: »Komm, mach schnell! Setze nochmal!«

Ich legte das Stück nicht alleine als Plein auf die Neun, sondern ich dachte so bei mir als Anfängerin, die schnell lernt, wenn eine Zahl zweimal kommen kann, kann sie es auch dreimal.

Wie beim ersten Mal setzte ich also einen 20er Jeton als Cheval auf die Zahlen Sechs und Neun. Ein neues Spiel begann. Der Croupier wartete einen Moment ab, bis alle Spieler ihren Einsatz gesetzt hatten. Er legte die Kugel erneut mit einem eleganten Schwung seiner rechten Hand in den Kessel ein.

Das Roulettespiel begann, mich zu faszinieren. Gebannt starrte ich auf die rote Neun.

Ich fühlte mich wie in einem lauten Traum mit einem Stimmengewirr und Kugelrollen, wie ich es mir vorher nicht vorgestellt hatte. Meine Augen ließen die Sechs nicht los. Ich hypnotisierte sie förmlich und ...

»Rien ne vaplús. Nichts geht mehr! Bitte nicht mehr setzen!«, hörte ich die Stimme des Croupiers.

Ich hypnotisierte und ließ die Sechs nicht eine Sekunde aus den Augen. Leicht bewegte sich mein Kopf den Drehungen des Kessels hinterher. Letztendlich sprang die Kugel nach einigen weiteren Runden in die ...

Sechs!

»Martin, das glaube ich jetzt nicht! Ist das wirklich ein Glücksspiel? Oder doch eher ein Teufelsspiel?«

Er sah mich seltsam an:

»Nein, das ist die Glücksgöttin Fortuna. Das passiert mit den meisten Anfängern. Das ist eines der elementaren Gesetze. Wenn du jetzt weiterspielen würdest, wäre nach einer halben Stunde alles Gewonnene wieder weg. Das ist jetzt die Prüfung. Spielen. Gewinnen. Nachsetzen. Tasche zu und … auf Wiedersehen. Das ist die große Kunst, im richtigen Moment aufzuhören.«

Die Auszahlung erfolgte mit dem gleichen Ritual wie zuvor. Es waren diesmal 680 DMark. Martin gab mir die Jetons und noch ein weiteres Stück von sich dazu. Er ließ sie ganz einfach in meine Tasche gleiten und sagte lächelnd: »Das sind mit dem Gewinn von vorhin genau 1.000 DMark. Gehe sie gleich umtauschen, damit du sie nicht wieder verspielst! Die darfst du in Erinnerung an unseren ersten gemeinsamen Casinobesuch behalten!«

Ich war außer mir vor … ja, was eigentlich? Die Überraschung über die Glücksgöttin Fortuna musste ich erst noch verinnerlichen. Die Freude über das unerwartete Geldgeschenk ließ mich stammeln.

»Danke Martin, das ist ja … Ach, ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Es ist eine neue Erfahrung, die ich erst einmal verdauen muss. Aber ich kann doch das Geld nicht annehmen!«

»Sieh es als ein nachträgliches Weihnachtsgeschenk. Ich hatte ja nichts für dich!«

»Ach Martin, du bist für mich das tollste Weihnachtsgeschenk, das ich mir denken kann«, flüsterte ich ihm mit glühenden Wangen ins Ohr.

Blaue Stunden

Eines Abends kam er pünktlich zur verabredeten Zeit und wirkte irgendwie bedrückt. Er nahm mich bei den Händen, schaute mir verliebt in die Augen, in denen ich in diesem Moment am liebsten tief eingetaucht wäre.

»Miriam, ich würde heute gerne bei dir bleiben. Mir geht es soweit ganz gut und der Professor meinte, ich könnte mich wieder etwas belasten.«

»Das ist ja eine gute Nachricht, Martin«, antwortete ich völlig überrascht. Er nahm seine Brille ab, legte sie behutsam auf den Tisch und im gleichen Augenblick, als er sich an mich presste, flogen meine Arme um seinen Oberkörper. Meine Hände strichen an seinen breiten Schultern entlang, streiften seine Oberarme. Seine Hände umschlossen meinen Nacken, fassten zärtlich in mein Haar, massierten meine Kopfhaut. Seine Fingerspitzen streichelten über meine Wangen, und ich schmiegte mein Gesicht in seine Handflächen. Seine Lippen liebkosten meine Stirn, die Schläfen, saugten an meinen Ohrläppchen und seine Zunge vertiefte sich in meine rechte Ohrmuschel. Sanft schob er sein Knie zwischen meine Beine. Wir hielten uns umfangen. Sein Mund spielte mit meinen Lippen. Mit seinem ganzen Gewicht schob er mich auf das Bett. Seine Zunge saugte an meiner und führte sie wie in einem wilden Tanz. Wir keuchten und bewegten uns heftig, pressten uns umeinander.

»Komm‘, heb die Arme hoch«, flüsterte er. Ich gehorchte ihm voller Begierde.

Er zog mir den Pulli über den Kopf, beugte sich vor und küsste meinen Brustansatz. Ich zog mir die Träger des Büstenhalters herunter und beugte den Oberkörper nach vorne. Martin griff um mich und öffnete gekonnt den Verschluss. Mit einer ausholenden Handbewegung warf er ihn aufs Bett. Zarter werdend, drückte er mich behutsam auf das Kissen. Das Ziehen in meinem Inneren ließ mich erbeben. Unser Ein- und Ausatmen vermischte sich. Unsere Herzen schlugen wie wild übereinander in einem heftigen Beben. Ich öffnete eilig die Knöpfe seines Oberhemdes, half ihm aus den Ärmeln und warf es in hohem Bogen zu meinem BH. Er war schnell mit dem Ausziehen seines Unterhemdes. Er öffnete meine Jeans. Zog sie gleichzeitig mit meinem Höschen über meine Schenkel hinunter. Ein wenig kam ich zur Besinnung und das erotische Gefühl in mir war ein klein wenig verschwunden. Eine ungewohnte Situation, die Martin mit seiner erotischen Stimme und einem anerkennenden Blick auf meinen nackten Körper auflöste.

»Lass dich anschauen, Miriam. Du bist wunderschön! Mit deinen langen blonden Haaren, deinen langen Beinen und der schlanken Taille siehst du aus wie die Jagdgöttin Diana. Komm‘, ich will dich überall spüren!«

Fasziniert war ich von meiner ungewohnten Lust und gab mich ihm bedingungslos hin. Wir schwebten in einen Himmel zwischen Raum und Zeit. Der Gegenwart entrückt, vereinigten sich unsere Körper bis zur Besinnungslosigkeit.

»Es ist eigentlich seltsam, dass wir uns so gut verstehen«, sagte ich nach einer kleinen Ewigkeit benommen.

»Wir lieben uns ja erst seit zwei Stunden!«

Er führte ein Glas Champagner an meine Lippen.

»Vielleicht sind wir uns ja schon früher begegnet?«

Das machte mich für einen Moment nachdenklich. Ich ging jedoch nicht darauf ein.

»Du hast so wunderschöne klare blaue Augen. Wie ein stiller See, in den gleißendes Sonnenlicht eintaucht. Sag‘, Miriam, hast du es so stark und innig wie ich empfunden?«

Ich verschluckte mich.

»Ja, Martin! Das habe ich!«

»Du und ich«, fuhr er fort, »wir sind von der gleichen Art. Wir sind ernsthaft und vernünftig, haben ein großes Sicherheitsbedürfnis und hohe Ansprüche an das Leben.«

Wieso weiß er das von mir?

»Und … wir sind beide im Sternzeichen der Jungfrau geboren, das muss doch etwas zu bedeuten haben, oder nicht? Auf jeden Fall haben wir den gleichen Stern. Den Spica, das ist der hellste Hauptstern im Sternbild der Jungfrau. Er gehört zu den heißesten und somit bläulichsten der hellen Sterne am Nachthimmel. Spica kann als ekliptiknaher Stern vom Mond und auch von der Venus bedeckt werden.

Was er alles weiß! Unglaublich!

Und deine klaren meerblauen Augen in Verbindung mit diesem blauen Stern bringt mich auf den Gedanken, in Zukunft unsere durch körperliche Liebe verbrachte Zeit als Blaue Stunden zu bezeichnen.«

Er blinzelte mir verschmitzt zu, nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und küsste mich wieder. Lange. Sehr lange.

»Hast du dir vorgestellt«, fragte ich zögernd in der Nacht, »dass es so sein könnte? Ich meine, wie es war?«

Er streichelte zärtlich mit beiden Händen über meinen Nacken, weiter über die Schultern, hinab über meine Hüften. Er lächelte mich an, während er seinen Unterleib feste gegen meinen presste.

»Ich glaube, Miriam, dass wir uns gefunden haben. Wenn es so ist, wurde es höchste Zeit, denn ich kriege graue Haare.«

»Und ich Falten!«

»Ach, ja?«

Wir schüttelten uns vor Lachen.

»Mir gefallen diese kleinen Fältchen zwischen deinen Augenbrauen und über deinem sinnlichen, schönen Mund.«

Er drehte mein Gesicht zwischen seinen Händen zu sich heran und küsste mich wieder. Intensiv. Lange. Ausdauernd.

Ich legte meine Arme auf seinen Unterleib, strich behutsam an den roten Narben entlang und hielt einen Moment inne.

Erschüttert war ich von dem Ergebnis dieser komplett umlaufenden Leistenoperation an beiden Oberschenkeln. Einen Sekundenblitz lang dachte ich, wie kann so etwas passieren?

Weiter erkundete ich seinen muskulösen Körper. Vollkommen erregt und heiß erfühlte ich seine männliche Stärke.

Wir streichelten uns gegenseitig. Zunächst behutsam, dann gierig bis atemlos nach Luft ringend. Sein Mund wanderte über mein Gesicht, saugte an meiner Unterlippe. Meine neugierige Zunge glitt an seinen Zähnen entlang. Ich tauchte wieder ganz in ihn ein. Die heiße Leidenschaft machte uns gierig nach mehr.

Eine kurze Ewigkeit blickten wir tief in unsere Seelen und verschlossen uns von der Außenwelt.

»Das war erst der Anfang, lass‘ erst einmal meine Narben ganz verheilt sein.«

Leise sagte er ernst: »Miriam, ich bin kein Mann, der damit hausieren geht. Aber du bist die erste Frau, der ich das sage. Ich liebe dich

»Martin, das ist eine sehr ernste Sache«, flüsterte ich, nachdenklich den Kopf zu ihm hebend.

»Ja, Miriam, ich weiß. Aber ich meine es sehr, sehr ernst. Oder bereust du es?«, fragte er mich leise.

»Nein, wie kannst du das nur denken?«

»Na ja! Es ist noch nicht so lange her, da mochtest du mich nicht!«

»Das stimmt, diese Entwicklung ist schon unglaublich, aber wahr!«

Ich hatte den Rest der Nacht unruhig geschlafen. Es war für mich ungewohnt, nach einiger Zeit der Enthaltsamkeit das Bett wieder zu teilen.

Martins Lebensgefahr Ruth

»Was sagte deine Mutter dazu?,« fragte ich ihn am Abend.

»Agathe geht es gut, wenn ich glücklich bin. Das mit Ruth war ihr sowieso ein Dorn im Auge. Auch die Kinder. Und besonders, dass ich dieses dreigeschossige Geschäftshaus, in dem sie jetzt leben, gekauft hatte.

Mein Mund war trocken. Ich trank einen Schluck.

»Liebst du sie? Ruth! Entschuldige, ich bin dumm!«, setzte ich beschämt hinzu.

Er brauchte etwas länger, um zu antworteten.

»Ich lernte sie vor acht Jahren kennen. Damals ging es mir sehr schlecht. Es hatte mit dem Bau des großen Mehrfamilienmietshauses zu tun. Ich nenne es den großen Kasten. Die Bank machte mir Schwierigkeiten. Ich hatte eine Krise und war so deprimiert, dass ich sehr oft Todessehnsucht hatte. Ruth war eine Bekannte meines Freundes Reinhard. Als Reinhard Vater geworden war und seine Frau im Krankenhaus lag, hatte sich Ruth fürsorglich um ihn und den Haushalt gekümmert. So lernte ich Ruth kennen. Sie holte mich aus meinem Tief heraus. Nein, ich liebe sie nicht! Es gefällt mir mit ihr und den Kindern, so als Familie. Aber sexuell läuft bei uns nichts. Sie ist sehr gesellig und man kann mit ihr gut einen Trinken gehen.«

Ich spürte einen Druck auf meiner Brust und atmete tief ein.

»Wenn ich dir sage, dass es überhaupt nichts mit uns zu tun hat, glaubst du mir das?« Ich erwiderte seinen Blick und nickte.

»Ich muss jetzt nur noch den Keller in dem Haus fertig verputzen, dann kann ich es zum Verkauf anbieten.«

»Und Ruth und die Kinder, wo sollen die dann hin?«

»Da werde ich schon was finden. Mach dir darüber keine Sorgen. Mit uns ist doch alles in Ordnung, Miriam?«

»Ja, Martin, alles ist gut!«

1984

Meine Mutter war besorgt um mich. Argwöhnisch hielt sie mir bei meinem Besuch eine Predigt.

»Ich wusste es, dass du dich mit ihm einlassen würdest. Ich hatte dich doch gewarnt! Warum hörst du nicht auf mich? Der hat die Elfie doch auch unglücklich gemacht und ich meine, ich hätte ihn auch nochmal vor einigen Tagen abends gesehen, als er wohl zu ihr gehen wollte. Kurz vor unserer Haustüre drehte er sich um, sah mich am Fenster, schlug einen Haken und ging weiter geradeaus. Wohin wohl?«

»Ach, Mama! Das war er sicher nicht. Du hast dich bestimmt versehen, wie so oft in letzter Zeit. Du brauchst schon seit langem eine neue Brille! Was sollte er noch von Elfie wollen? Er sagte mir, ich sei seine große Liebe. Und Elfie hatte recht damit, dass er anders ist als sein Ruf. Mach’ dir mal keine Sorgen, alles geschieht zu meinem Besten!«

Traumauto

Martin rief mich während meiner Dienstzeit von seinem Autotelefon aus an.

Er möchte mich vom Büro abholen und mit mir nach Köln zu einem Mercedes - Händler fahren. Dort würden zwei gebrauchte Porsche 924 in der Farbe Rot und in Silbermetallic zum Verkauf angeboten. Die sollte ich mir ansehen. Mein Traumauto wäre doch ein roter 924er.

»Warum solltest du nicht jetzt deinen Traumwagen fahren, anstatt jahrelang dafür zu sparen, wie du es vorhast?«, war sein Statement, als wir uns über unsere Wunschträume unterhalten hatten. Meine täglichen schriftlichen Übungen, die meine Wünsche erfüllen sollten, hatte ich ihm gegenüber nicht erwähnt. So antwortete ich Martin nur, dass ich für einen roten Porsche 924 schwärmen würde.

Zu dieser Zeit war ich stolze Besitzerin eines roten, schnuckeligen und bezahlten kleinen Ford Fiesta.

Martin erwartete mich strahlend, als ich pünktlich um 17 Uhr das Verwaltungsgebäude verließ. Er stieg aus und begrüßte mich mit einem zarten Kuss auf die Wange. Er öffnete die Beifahrertüre und ließ mich freudig lächelnd einsteigen. Als ich in seinem Wagen Platz nahm, glitt mein Blick am Gebäude hinauf zu meinem Büro. Es bewegte sich die Jalousie und ich erkannte meinen Chef, der ganz offensichtlich neugierig zu uns heruntersah.

Ach, das wird morgen Fragen aufwerfen. Ich werde gewappnet sein, Herr Sahler!

Martin betätigte die Taste für den Kassettenrecorder und Operettenmusik erklang aus den Boxen.

»Magst du klassische Musik?«, fragte er heiter und blickte mich erwartungsvoll an.

»Ja sehr! Es gibt eine große Bandbreite meines Musikgeschmacks. Ich mag fast alles außer Volksmusik, und ich bin überhaupt kein Fan von Jazz.«

Das fest installierte Autotelefon surrte laut. Mit einer knappen Handbewegung schaltete Martin es ohne Kommentar aus. Er schaute mich kurz von der Seite an, und wir genossen wortlos die Musik.

»Ich bin der Meinung, man sollte sich seinen Traumwagen nicht erst dann kaufen, wenn man eine bestimmte Summe angespart hat, sondern ihn im Hier und Jetzt fahren, denn morgen kannst du schon tot sein, und dann bist du nicht in den Genuss der Erfüllung deines Traumes gekommen!«

Seine Sichtweise war für mich vollkommen neu, und ich wollte sie bis zu unserer Ankunft in Köln überdenken. Martin vermittelte mir jedoch noch weitere neue Aspekte. So erklärte er mir die Vorzüge des silberfarbenen Porsche.

»Du trägst doch sehr gerne Pink und Rosa. Das steht dir ja auch zu deinen hellblonden Haaren einmalig gut. Wenn ich an den Sommer an den See denke, als du diesen rosafarbenen Strohhut als Sonnenschutz getragen hattest ...«, er rollte mit den Augen, nahm meine linke Hand an seine Lippen, drückte mir zärtlich einen Kuss auf meine Finger und fuhr schwärmend fort:

»… das sah schon klasse aus. Aber pinkfarbene und rosafarbene Bekleidung in einem roten Porsche? Meinst du nicht, dass sich das farblich beißt? In deinem roten Fiesta fällst du nicht so auf, aber ...«

Er sprach den angefangenen Satz nicht weiter, weil er sich auf den Straßenverkehr beim Einfädeln auf die Autobahn konzentrieren musste.

»…also, nein, ich meine, das sieht nicht gut aus. Schau ihn dir aber erst an. Es ist ja dein Traumauto, und ich will dich nicht beeinflussen«, fuhr er zögerlich fort.

In die Musik versunken dachte ich über seine Worte nach.

Er hat ja den gleichen Tick wie ich! Alle mich umgebenden Farben müssen miteinander harmonieren. Und in einem auffälligen, knallroten Porsche in pinkfarbener Bekleidung? Nein! Das geht auch für meinen Geschmack überhaupt nicht!

Viele Jahre später sollte diese Farbkombination jedoch ein Hit werden.

Der Verkäufer erwartete uns bereits und begrüßte mich freundlich mit einem angenehmen Lächeln. Sofort erklärte er mir die technischen Details beider Fahrzeuge. Letztendlich überzeugten mich Martins Argumente bezüglich der Farbe.

»Du hast vollkommen recht, Martin. Der silberfarbene Porsche wirkt edler als der rote und ich könnte jede Farbe zu dem Wagen tragen. Er sieht klassisch aus, auch die Innenausstattung wirkt viel eleganter«, meinte ich anerkennend.

»Was hältst du davon, wenn wir gleich noch nach Valkenburg ins Casino fahren? Ich habe wieder so ein gutes Gefühl in meinen Fingern«, äußerte er gut gelaunt mit einem Blick auf seine Armbanduhr, als wir wieder in seinem Benz saßen.

»Es ist noch früh. Das schaffen wir locker!«

Verwundert schaute ich ihn von der Seite an und erwiderte schmunzelnd:

»Na gut, dann wollen wir mal sehen, ob deine guten Gefühle dir auch wieder Geld einbringen.«

Wir kamen gegen 21 Uhr in Valkenburg an, und Martin gewann tatsächlich eine relativ hohe Summe.

Auf der Rückfahrt meinte er locker und herzlich:

»So, Schatzerl, jetzt machen wir folgendes! Du kaufst den Silberfarbenen. Machst eine Anzahlung und bezahlst den Rest in monatlichen Raten. Das ist das gleiche, als würdest du monatlich eine bestimmte Summe sparen.«

Kopfschüttelnd entgegnete ich:

»Ach, wie schön! Du kannst es von diesem Standpunkt aus sehen. Aber die Anzahlung habe ich nicht. Ich fahre lieber weiter meinen schnuckeligen Fiesta und werde weiter nebenbei in der Spedition jobben und weiter sparen. Ich habe noch zu viele Schulden von meinem Ex-Mann abzuzahlen. Er hatte sich ja gleich nach unserer Scheidung nach Amerika davongemacht, ohne unsere finanzielle Situation zu klären. Und die unklaren Dinge um unser Haus, das wir verkauft haben, muss ich erst noch erledigen. Und ich habe noch Schulden bei dem Rechtsanwalt wegen der Scheidung.«

»Miriam, …«

begann Martin jetzt sehr ernst dreinblickend und fuhr fort:

»Ich habe eben im Casino 10.000 DMark gewonnen! Für den silbernen Porsche gebe ich dir acht Mille. Die schenke ich dir und tue so, als hätte ich sie beim Roulette verloren. Ich gewinne doch nicht nur! Du kannst deinen Traumwagen damit anzahlen. Ich gehe morgen zur Sparkasse und lasse dir einen Darlehensvertrag über monatliche Raten von 100 DMark über 36 Monate vorbereiten. Auch bürge ich für dich. Dann hast du dein Traumauto jetzt. Und wenn dir etwas passieren sollte, was ja nicht passiert, kannst du wenigstens oben bei den Engelchen erzählen, dass du auf dieser schönen Erde, so wie ich, auch deinen Traumwagen hattest.«

»So einfach willst du mir das Geld geben? Machst du dir da nicht was vor mit dem angeblich verlorenen Geld?«

»Nein, wieso? Ich verbiege doch nur etwas die Wahrheit. Es tut doch niemandem weh«, sagte er ernst und fuhr euphorisch fort:

»Im Gegenteil, du freust dich doch sehr darüber. Oder nicht?«

»Ja, schon, aber das ist alles so ungewöhnlich und so schnell.«

»Ach, komm‘, Miriam! Du hast es doch verdient, wo du so viel arbeitest.«

Sollte ich das machen, konnte ich das Geld von Martin annehmen? Der Porsche 924 in Silbermetallic war schon ein Traum. Er sah hammermäßig aus und passte auch zu mir.

Mein Ego maulte, nein! Das tut man/frau nicht! Das Geld kannst du nicht annehmen!

Meine praktische Vernunft konterte, ja! Warum nicht? Das ist doch Wunscherfüllung pur nach deinem Traumauto durch deinen Traummann!

Jetzt, wo meine Wünsche nach meinen monatelangen Übungen so offensichtlich erfüllt wurden, zweifelte ich. Ach, ich will jetzt nicht weiter darüber nachdenken und werde eine Nacht darüber schlafen.

Glücklich und stolz hing ich schweigend meinen Träumen nach an Martins Seite.

Meine Freundin Rosi

Für Dienstag, den 3. Januar, hatte ich zwei Karten für Schwanensee in einem famosen Festspielhaus in Köln. Rosi, die netteste Kollegin, die ich je hatte, und meine seitdem langjährige Freundin, wollte sich mit mir dieses berühmte Ballett zur Musik von Tschaikowski ansehen. Martin hatte sich angeboten, uns vom Büro abzuholen und uns dorthin zu fahren.

»Mein Gott, Miriam, der Martin reißt sich ja für dich die Beine aus!«,

war Marinas freudiger Kommentar, als ich ihr von Martins Angebot berichtete. Rosi empfing die Besucher in unserem Verwaltungsgebäude und war die absolute Schaltzentrale für gute Laune und für die Vermittlung der Telefongespräche. An ihr kam niemand vorüber ohne ein Lächeln oder ein gutes Wort zu erhalten und ein besonderes Bonbon. Sie war der Sonnenschein unserer Firma. Eine charmante, einsachtundfünfzig kleine zierliche Elfe, wie aus dem Bilderbuch. Mit rehbraunen, leuchtenden Augen, die vergnügt funkelten und mich mit tiefschwarz getuschten Wimpern anklimperten und immer von wechselnden modischen Brillen beschmückt waren. Ihre rotbraunen Haare lagen kinnlang in Wellen um ihr schönes Gesicht.

Bisher kannte Rosi Martins Stimme nur vom Telefon. Sie war daher sehr gespannt auf ihn. Pünktlich kam Martin auf den Hof gefahren und stieg aus, als wir auf seinen Wagen zukamen. Er drückte mir einen Kuss auf die Lippen.

»Hallo, meine Schöne!« Strahlend wandte er sich zu Rosi und begrüßte auch sie:

»Jetzt lernen wir uns endlich persönlich kennen. Meine Fantasie hat mich nicht getäuscht. Sie strahlen ja in Wirklichkeit noch mehr Freude aus als am Telefon.«

»Und Ihre wohlklingende Stimme passt absolut zu Ihrer Erscheinung«, entgegnete Rosi gewitzt.

»Wollen wir uns nicht duzen, Martin? Ich bin die Rosi.« Freudestrahlend lachte sie ihn dabei an.

»Ja, das ist eine gute Idee, Rosi. Ich bin der Martin, aber das weißt du ja schon von Miriam, nehme ich an.«

Wir lachten herzlich. Martin hielt uns galant die Beifahrertüre auf, ließ automatisch den Sitz nach vorne gleiten, damit sich Rosi bequem hinten auf den Rücksitz setzen konnte. Schwerelos ließ ich mich vorne nieder.

Martin griff eines seiner beliebten Themen auf. Seine Körpergröße.

»Die Rosi …«, fing er an, sprach aber nicht weiter, weil er sich auf der Einfädelspur der Autobahn befand und sich konzentrieren musste.

»... hätte die richtige Größe für mich«, fuhr er mit einem kurzen Blick zu mir neckend fort.

»Ja, Martin, dann wären ja die richtigen Zwerge zusammen«, entgegnete Rosi kichernd und stupste dabei locker ihre Brille zurecht.

»Lass mal, Martin! Miriam und du, ihr seid schon ein schönes Paar. Du kannst stolz sein auf sie. Kleine Männer stehen halt auf langbeinige Blondinen. Und du wirkst überhaupt nicht klein durch deine breiten Schultern.«

Martin erwiderte mit wohlwollendem Kopfnicken. »Ich habe von einem unglaublichen Fall gelesen. Es gibt in Asien ein Verfahren, sich die Beine verlängern zu lassen. Das ist was für mich. Denn, ich bin eindeutig für Miriam zu klein. Der Oberschenkelknochen wird durchgesägt, mit Stiften und Schrauben beidseitig versehen und wieder zusammengefügt. Im Abstand von einigen Monaten wird der Knochen mittels der Schrauben um Millimeter auseinander geschraubt und so mehrmals die Haut an den Stellen gedehnt. Dadurch kann man maximal bis zu zehn Zentimeter mehr an Körpergröße gewinnen.«

»Wie furchtbar! Martin, lass uns von was anderem reden. Da kann es einem ja schlecht werden«, bemerkte Rosi mit gerunzelter Stirn.

Ich mischte mich in ihr Geplänkel ein.

»Wenn ich barfuß bin, was ja als gesund von einigen Spirituellen empfohlen und auch praktiziert wird, könnten wir uns direkt in die Augen schauen, und in der horizontalen Lage gibt’s überhaupt keine Probleme, nicht wahr Martin?«

»Ja, meine Schöne, das stimmt! Also lasse ich das mit dem Verlängern meiner Beine«, meinte Martin, grinsend die Brauen hochziehend.

»Andere Männer haben Sorgen mit der Größe anderer Körperteile«, sagte ich laut und fügte mit einem kurzen Blick auf seine Oberschenkel hinzu:

»In der Beziehung hast du absolut keine. Aber du siehst, jeder hat so seine Problemchen mit seinem Körper, oder macht sich welche, so wie du!«

Martin brachte uns bis vor den Haupteingang, ließ uns dort aussteigen und fuhr weiter zur Universität, um dort in der Bibliothek zu stöbern, bis er uns wieder abholen würde. Die Aufführung war ein Streicheln aller Sinne, ein vollkommener Genuss. Während der Pause bemerkte Rosi ergriffen:

»Miriam, riechst du auch diesen eigenen Geruch der Bühne? Es ist, als würde ich in ein romantisches Märchen versinken, das mich an Aschenputtel erinnert. An tiefen Wald, einen stillen Teich mit Seerosen, auf dem weiße Schwäne mit ihren langen stolzen Hälsen dahingleiten, an duftende Kräuter und saftigem Gras, warmer Erde, zwitschernde Vögel und Sterntaler, die durch den Vollmond begleitet vom Himmel fallen.«

»Ja, ich empfinde es auch so. Wenn ich die Augen schließe und die Musik wirken lasse, spüre ich eine universelle Schwerelosigkeit, als könnte ich ohne Flügel über die Meere fliegen«, flüsterte ich andächtig.

Unserem Chef war das silberfarbene 500er-Mercedes-Coupé natürlich aufgefallen. Am nächsten Morgen bat er mich gleich zum Diktat und fragte mich sehr direkt aus.

»Sagen Sie mal, muss ich mir Sorgen um Sie machen?«

Leicht erschrocken fragte ich zurück.

»Warum fragen Sie das, Herr Sahler?«

»Na, ja! Ihr neuer Verehrer …«, kurz zögerte er und fuhr nach einer tiefen Atempause fort, »… ist der in der Spielbranche tätig?«

Mir spukte blitzschnell das uralte Gerücht aus dem Stadtteil meiner Heimatstadt im Kopf herum, Martin hätte ein paar Mädels laufen. Perplex sah ich ihn an und erwiderte:

»Nein! Wie kommen Sie denn darauf?«

»Na, ja! Solch einen Wagen kann sich in dem Alter nur jemand leisten, der in dieser Branche tätig ist«, meinte er argwöhnisch.

»Nein! Das ist er nicht. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Herr Sahler!«

Selbstsicher und lauter werdend fügte ich hinzu: »Er ist ein sehr netter und intelligenter Mann, und ich kenne ihn seit meiner Kindheit. Als ewiger Student studiert er Geschichte. Er spricht, soviel ich weiß, sieben oder acht Sprachen und es gibt kaum ein Thema, über das er nicht Bescheid weiß. Nebenbei baut er Häuser. Hauptsächlich ist er jedoch der Sohn einer Geschäftsfrau, die sehr viel Geld mit einem Kiosk verdient und es an ihn täglich abliefert, damit er es im Spielcasino vermehrt.«

Mein Chef hörte mir nun leicht belustigt zu. Ich bemerkte erst jetzt, dass ich Martin wirr und witzig beschrieben hatte. Ich war jedoch noch nicht zu Ende.

»Er besitzt Wohn- und Geschäftshäuser, in denen sich Gaststätten, ein Imbiss, ein Kiosk und eine Reinigung befinden. In den Gaststätten hängen seine eigenen Spielautomaten und er erzielt hieraus einen großen Teil seines Einkommens.

Aber ja! Natürlich, Herr Sahler. So gesehen haben Sie vollkommen recht, sein Gewerbe als Automatenaufsteller! Das gehört ja zur Spielbranche, wenn Sie das meinen?«,

fragte ich nun spitzfindig nach. Freundlich strahlte ich dabei meinen besorgten Chef an.

Er macht sich halt väterliche Sorgen, meldete meine praktische Vernunft und das Ego konterte, soll er ruhig!

Martin hatte für mich einen Termin bei der städtischen Sparkassenfiliale vereinbart. Der Darlehensvertrag war vorbereitet und Martin übernahm die Bürgschaft. Er gab mir die Anzahlung in Höhe von 8.000 DMark aus seinem Casinogewinn, damit ich mein Traumauto selbst bar anzahlen konnte. Gut gelaunt sagte er zu mir:

»Dieses Geld sehe ich als Spielverlust. Ich hole es mit dir jedoch wieder herein, meine Glücksgöttin!«

Am Freitag rief er mich an und fragte munter:

»Hättest du Lust, mich in einer Stunde am Büdchen abzuholen? Dann gehen wir noch nebenan zum Italiener essen und fahren danach zu dir.«

»Ja, warum nicht? Wo soll ich denn hinkommen?«

»Du kannst dich direkt vors Büdchen stellen. Dann sehe ich dich oben von meinem Büro aus und komme runter«.

Oh! Vor dem Büdchen parken? Das ist aber ein Fortschritt, bemerkte mein Ego munter.

Es war das erste Mal, dass er mich persönlich mit seiner Mutter als seiner neuen Liebe konfrontierte. Agathe war freundlich zu mir und meinte, indem sie mich duzte:

»Miriam! Dich kenne ich schließlich schon als kleines Mädchen. Der Martin ist manchmal schwierig, aber er ist ein guter Mensch. Er hatte bisher nur nicht die richtige Frau!«

Ach, meinte sie das wirklich?

»Ach Mutter, doch nicht jetzt!«,

unterbrach Martin sie und zeigte mir die Räumlichkeiten. Aus einem Regal nahm er eine Packung Mon Cherie und reichte sie mir grinsend.

»Hier du Pipihühnchen. Statt gemischter Kamellen für zwanzig Pfennig!« Lachend nahm ich die süße Verführung an.

Alle Räume, auch die Toilette mit der darüber hängenden Salami musste ich besichtigen. Ebenso den Schnellimbiss nebenan. Er stellte mich auch hier stolz und strahlend dem Pächter-Ehepaar vor.

Im ersten Stock befand sich eine der beiden Wohnungen von Agathe sowie eine weitere Wohnung, die mit zum Imbiss gehörte. Die zweite Wohnung seiner Mutter befand sich gegenüber in fünfzig Metern Entfernung in ihrem kleinen Mehrfamilienmietshaus.

Aus einem kleinen Teil des Flures über dem Kiosk hatte Martin ein winziges Büro abgetrennt, das Flurfenster zur Straße war integriert. Der Speicher war fertig ausgebaut und in zwei gemütliche kleine Zimmer, eine Miniküche und ein Duschbad verwandelt. Diese Ebene war damals für ihn und Elfie vorgesehen. Nun, Zeiten ändern sich, Zeiten ändern mich.

Kalle, Martins Faktotum, hatte sich oben auf der Ebene des Speichers, mit seinem Schäferhund Rex eines der beiden Zimmer eingerichtet. Er versorgte zusätzlich Martins Bobby, wenn Martin unterwegs war und seinen Hund nicht mitnehmen konnte oder wollte. Martin liebte Hunde sehr, ebenso auch Katzen.

Das andere Zimmer, gegenüber dem von Kalle, nutzte Martin für sich selbst zum Ausruhen. Momentan war der Raum nur mit einem alten Teppich und einer Schlafcouch ausgestattet.

Martin setzte sich und zog mich zu sich herunter auf seinen Schoß. Er streichelte über mein Haar und zog genüsslich seine Finger über meine Kopfhaut.

»Miriam, es hört sich zwar abgeschmackt an, aber ohne dich hat mein Leben keinen Sinn mehr!«

»Wieso abgeschmackt, Martin? Verbringen wir nicht unser Leben damit, die wahre Liebe zu suchen? Jedoch, ist die Liebe nicht wie ein Komet, dessen Umlaufbahn unser Leben nur einmal berührt?«

»Meinst du nicht, dass es mehrere Kometen in unserem Leben geben kann, die uns berühren?«, fragte er nachdenklich und blickte mich sehr ernst dabei an.

»Vielleicht! Der eine streift uns kurz, ein anderer schlägt ein wie eine Bombe und verändert die Landschaft und zerstört alles Leben.«

»Ja, das ist wahr.«

Martin rief mich nun immer öfter in der Woche an. Es gefiel ihm nicht, dass ich so wenig Zeit für ihn hatte. Mein Nebenjob und mein Englischkurs, den mir meine Firma bezahlte und den ich für die Korrespondenz mit dem britischen Königreich benötigte, waren mir sehr wichtig. Zumal ich nun die monatlichen Raten zusätzlich für den Porsche zu zahlen hatte. Es kam jedoch vor, dass ich Sandra, die Tochter meiner Cousine Ingrid bat, für mich den Dienst zu übernehmen. Sandra freute sich über den Nebenjob. Ebenfalls hatte ich meine kleine Schwester vermittelt, als noch weitere Frauen zum Schreiben gesucht wurden. Bei Neuerscheinungen von MCs und CDs war oft die Hölle los und wir kamen manchmal nicht vor ein Uhr nachts aus der Spedition.

An einem Samstagabend waren wir bei Rosi und Markus, ihrem Ehemann, zu einem gemütlichen Abend eingeladen. Rosi war eine ausgezeichnete Köchin und hatte ein köstliches Mahl zubereitet. Es war sehr gesellig. Ich freute mich, dass die beiden von Martin sehr angetan waren.

»Kann ich da mal drin blättern«, fragte Martin nachdenklich, als ich bei mir zu Hause Eintragungen in meinem Brigitte-Kalender machte.

»Martin«, antwortete ich streng und über seine Frage leicht pikiert, »das ist mein Tagebuch!«

»Das macht doch nichts. Wir haben doch keine Geheimnisse voreinander, oder?«, säuselte er zärtlich. Von neuem fiel mir auf, welch eine erstaunlich erotische Stimme er hatte. Eine Stimme wie rauher, schwerer Samt mit unzähligen Goldsprenkeln überhäuft.

Ich war sehr glücklich über meinen Porsche 924, meinem Traumauto. Der Wagen entsprach tatsächlich absolut meinen Wunschvorstellungen.

Martin fand ihn nicht besonders passend, weil er hinten nur über zwei Notsitze verfügte und der Kofferraum sehr klein war. Sehr stolz war er jedoch, wenn er mir seinen Mercedes leihen konnte. Dieser Wagen war eine Offenbarung in jeder Beziehung, und Martin pries ständig die Vorzüge des Sterns, wie er ihn stolz nannte, in den höchsten Tönen.

»Miriam, du wirst sehen, wenn du deinen 924er mal eine Zeit gefahren bist und zwischendurch den 500er, wirst du auch dein Herz an den Stern verlieren. Ich hatte damals einen richtigen Porsche gefahren, nicht so einen Verschnitt wie du jetzt hast, auch einen Ferrari und viele andere gute Marken, aber dieses Modell von Mercedes ist einfach perfekt!«

Ich lachte ihn an. Sollte das heißen, dass er mir seinen Mercedes geben wollte? Haha!

»Übrigens fällt mir jetzt ein, wo du von dem Ferrari sprichst. Als du den Wagen hast versteigern lassen damals, da war der Geschäftsführer der Spedition auch dort und war an dem Renner interessiert. Kannst du dich noch an ihn erinnern? So ein kleiner, blonder mit Schnäuzer?«

»Ach! … Der? Das ist der Chef der Spedition, in der du abends schreibst?«, fragte Martin gedehnt und verzog das Gesicht.

»Der hatte doch an dem Ferrari einiges auszusetzen. Dabei hatte ich ihn weit unter Wert angeboten.«

Alles was Martin erzählte, was er plante, was er ausführte, hatte für mich mittlerweile einen Sinn. Es war einerseits alles pragmatisch und einfach, andererseits konnte ich nicht verstehen, dass er immer noch an dieser Verbindung zu Ruth festhielt und oft nicht bei mir war.

Auf jeden Fall gab er mir das Gefühl, wenn wir zusammen waren, dass ich für ihn die einzige Frau auf der Welt und seine Traumfrau sei. Mehr als das. Oft bezeichnete er mich als seine Göttin, die auf einem von ihm erbauten Marmorsockel stand oder auch als seinen Rauschgoldengel. Mein goldener Brigitte-Kalender als mein Tagebuch, würde alles aufnehmen. In der Zukunft würde es sich zeigen, ob Martin der von mir gewünschte Traummann war oder nicht.

»Dieser Anschluss ist vorübergehend nicht erreichbar!« Wie ich diese Ansage von seinem Autotelefon hasste. Es bedeutete, dass Martin es ausgeschaltet hatte. Dass er aus dem Wagen ausgestiegen war. Dass er nicht zu mir kam. Sein Wagen stand nämlich nicht vor dem Haus, in dem ich wohnte.

Vor einer Stunde hatte er von unterwegs angerufen: »Hallo, mein Rauschgoldengel. Ich hole dich gleich ab und wir gehen beim Italiener noch eine Kleinigkeit essen. Danach bleibe ich bei dir.« Bei seinen letzten Worten schwang seine Stimme dunkel vibrierend durch die Leitung.

»Ja, klasse. Ich habe nämlich richtig Appetit jetzt auf leckere Spaghetti«, erwiderte ich und strahlend legte ich auf.

Wo blieb er nur? Wahrscheinlich war ihm wieder im letzten Moment etwas dazwischengekommen. Er hätte doch Bescheid geben können. Er wusste doch, dass ich hungrig war.

Martin war geknickt wegen Ärger mit seiner Mutter. Sie hatten entschieden, sie wollen das Büdchen und alles abgeben. Was mit alles gemeint war, blieb mir erst noch verborgen. Wir wollten gleich schlafen gehen, weil er müde vom Arbeiten war. Meine Nähe wirkte jedoch plötzlich auf ihn wie ein Schalter, der seine Sinne anknipste.

»Nein, Liebling, es geht leider nicht! Ich liebe keine Fahrten durchs Rote Meer«, raunte ich ihm leise ins Ohr.

»Da bin ich vollkommen deiner Meinung«, seufzte er und hielt mich die ganze Nacht fest umschlungen.

Am nächsten Morgen stand er nach dem Frühstück abrupt vom Tisch auf, grinste vielsagend, öffnete den Reißverschluss seiner Hose und stellte sich ganz dicht vor mich. Er strich durch meine Frisur und drückte mein Gesicht behutsam gegen seine Erektion. Er berührte sanft meine Brustwarzen und ich spürte, was er wollte. Ich erstarrte innerlich und wurde steif vor Schreck.

Nein! Das nicht! Ich kann das nicht! Ich werde es niemals fertigbringen.

Mein Gesicht drehte ich weg. Martin merkte sofort, was los war. Er zeigte sein reizendstes Lächeln, seine schönen weißen Zähne blitzten. Kurz streichelte er mir über die Wangen, bevor er sich abwandte und seine Hose wieder schloss.

»Bedeutet das für dich, dass du die ganzen Tage während deiner Regel keinen Sex haben willst?«, fragte er enttäuscht und lief im Zimmer auf und ab. Er kam mir vor, wie ein eingesperrter Tiger in seinem Käfig.

»Ja, das heißt es! Ich finde es nicht ästhetisch. Und du?«, fragte ich bedächtig und sah ihm dabei ernst in seine blitzenden braunen Augen.

»Das finde ich auch. Es gibt aber noch andere schöne Dinge, als durchs Rote Meer zu segeln. Du kannst mit mir noch anderes anstellen, du Nonne! Du tust gerade so, als wäre ich dein erster Mann. Du warst doch mit deinem Ex sechzehn Jahre verheiratet. Da weiß man doch so einiges, oder nicht?«

»So kannst du das nicht sehen. Wir waren noch sehr jung, als wir heirateten, und er war mein erster Mann.«

»Und? Hat er dir nichts beigebracht? Zum Beispiel, wie eine Frau den Mann sonst noch beglücken kann?«

»Nein, wir hatten immer nur gegenseitig guten Sex mit diesen Pausen während meiner Tage. Und wir ergänzten uns in dieser Beziehung gut. Es ist doch von der Natur her so vorgesehen, dass die Frau während dieser Zeit ihre Ruhe haben soll!«, verteidigte ich mich.

»Oder etwa nicht?«

»Das glaubt dir kein Mensch, wenn man dich so ansieht!«, staunte Martin und schüttelte leicht den Kopf.

»Da habe ich ja noch einiges vor mir«, meinte er stöhnend, öffnete seinen Gürtel, den Knopf und den Reißverschluss, ließ seine Hose fallen und führte langsam meine Hände an die Stelle, die ihm höchste Wonne bereitete.

Martin holte mich vom Englischkurs ab. Ich ließ meinen Wagen dort stehen. Er hatte neue Ideen. Ein Büroservice wäre ideal für mich. Für uns. Er könnte sich finanziell beteiligen. Auch das passende Haus würden wir dafür finden.

Wir machten im Dunkeln eine Rundreise durch die Stadt und besichtigten einige Objekte, die in Frage kommen könnten. Zu sehr später Stunde fanden wir uns beim Spanier in der City ein. Angelo hatte bis morgens früh um fünf Uhr geöffnet. Er grillte uns köstliche Gambas mit Knoblauch. Der Geschmack war einzigartig, der Duft betörend und Martin trank zu viel von der fruchtigen Sangria.

Mir schmeckt kein Alkohol, auch konnte ich keinen vertragen. So fuhr ich uns natürlich zu mir nach Hause. Martin hatte am nächsten Morgen starke Probleme mit dem Aufstehen und klagte über seinen starken Kater. Mein Wagen stand noch vor der Sprachenschule. Er musste mich daher pünktlich um 7:30 Uhr an meiner Arbeitsstelle abliefern und nachmittags um 17 Uhr dort wieder abholen. Die zu schreibenden Ladelisten in der Spedition warteten auf mich.

»Miriam, jetzt lass uns mal ein paar Minuten über deine viele Schufterei reden«, fing er nachts an, als wir spät selig seufzend im Bett versanken.

»Ich glaube kaum, dass das Zweck hat«, erwiderte ich gähnend und schloss die Augen.

»Probieren wir es mal. Also, ich wollte dir einen Vorschlag machen.«

»Nein, Martin, erledige du erst deine Sachen mit Ruth, dann ändere ich auch etwas. Ich brauche das Geld und kann keinen Job aufgeben. Und Englisch brauche ich zusätzlich auch für mein Ego. Du sprichst sieben oder acht Sprachen und ich beherrsche noch nicht mal Englisch richtig!«, sagte ich laut und gab Schnarchgeräusche von mir.

»Ich habe übrigens eben in mein Tagebuch eingetragen: Martin drank to much and I have had to drive the car.«

Martin war mit dem Wagen von Ruth unterwegs. Er war sehr müde und kaputt, erklärte mir aber noch seine Beziehung zu Maria, mit der er vor Ruth liiert war, aber nicht mit ihr gelebt hatte. Er hatte sie in einem Nachtclub kennengelernt, in dem sie vor 20 Jahren arbeitete. Maria wäre sehr intelligent, aber nicht besonders hübsch. Sie hätte einen Silberblick, was er als sehr sexy gefunden hatte. Nach der Trennung von ihm, die ihr sehr zu schaffen gemacht hatte, als er Ruth kennenlernte, wäre sie von den Zeugen Jehovas aufgefangen worden. Hin und wieder würde er sie noch treffen, mit ihr einen Trinken gehen und mit ihr über Gott und die Welt diskutieren, zum Beispiel, zu wem man nach dem Tode ins Grab gehören würde, wenn man mehrmals verheiratet gewesen wäre.

An einem Donnerstag, bei Neumond, bekam ich einen Anruf um 21 Uhr: »Sie können sich nicht nur schöne Stunden machen mit meinem Mann, sie sollten ihm auch die Socken waschen!«

Ja, was sollte das denn?

Martin saß direkt neben mir, erkannte ihre laute grelle Stimme. Ich legte den Hörer auf im selben Augenblick, als Martin sich aufrichtete und mich in seine Arme zog. Ein plötzliches Kältegefühl überkam mich. Ein tiefer, lähmender Schreck erfüllte meinen Geist.

»Warum hat sie das gesagt?«

»Weil sie einen Mann wie den Martin nicht hergeben will. Natürlich will sie Unruhe stiften.« Jetzt war es soweit. Martin würde zu ihr gehen, mich verlassen. Mein Herz hämmerte so laut, dass er es hören konnte.

»Meine Schöne«, sagte er ernst, »du brauchst keine Angst zu haben.«

»Tut mir leid. Ich bin jetzt total durcheinander.«

Er streichelte zärtlich meine Hände.

»Ich hätte dir sagen müssen, dass sie Probleme machen wird. Wie bei Elfie. Und jetzt höre zu. Ich bringe nur noch den Papierkram in Ordnung und verkaufe dann das Büdchen. Dann bleiben wir zusammen bis ans Ende unserer Tage. Irgendwo, wo uns niemand stört.«

Königsrath

In einem Gasthof vertilgten wir genüsslich Bergische Waffeln mit heißen Kirschen und Sahne. Beim Schlemmen besprachen wir unsere weiteren Pläne und Martin präsentierte mir eine Neuigkeit.

»Seit zwei Jahren besitze ich ein 3.000 qm großes Grundstück. Ich kaufte es, um dort ein Einfamilienhaus zu bauen. Aber für Ruth und die Kinder war es nicht das Richtige. Es sei dort zu sehr abgelegen. Sie bräuchte Rummel um sich und die Kinder hätten mit dem Bus in die Schule fahren müssen, meinte sie. Daher hatte ich dann dieses dreistöckige Doppelhaus in der City gekauft. Heute bin ich froh, dass ich das Grundstück noch habe und nicht gleich wieder verkaufte, wie es Ruths Wunsch war.

Ich hatte eben bei der Besichtigung der Wohnung in Königsrath bewusst nichts gesagt, weil ich deine Reaktion darauf abwarten wollte. Würde es dir dort gefallen, Miri? Was hältst du davon, wenn wir beide dort bauen würden?«

»Ja, es ist sehr schön dort«, antwortete ich gleich und fuhr aufgeregt fort:

»Dieser Ausblick. Und im Grünen. Ja, das würde mir sehr gefallen!«

»Gut! Dann verkaufe ich das Büdchen nicht. Es bringt uns viel Geld ein und zum Bauen brauchen wir ‘ne Menge! Wenn ich die Stadt unten sehe, weiß ich mit Sicherheit, dass uns finanziell nichts passieren kann. Die meisten von Adeles Kunden arbeiten dort. Solange die ihre Arbeit haben, kaufen sie bei uns.«

Martin hatte es nun sehr eilig, mir dieses fantastisch liegende Baugrundstück zu präsentieren. Es befand sich auf einer Anhöhe am Anfang des Bergischen Landes neben Erdbeerfeldern und einem Obst- und Gemüseanbaubetrieb. Riesige alte Bäume säumten die Straße, die hier hinaufführte. Ordentlich gesäumte Blumenbeete grenzten die alten Backsteingebäude im Ort ein. Wir genossen zusammen den fantastischen Ausblick auf die unten im Tal liegende Großstadt.

Martin erklärte mir die Lage einiger Felder und schritt mit mir frohgelaunt und glücklich die Flächen des in seinem Kopf bereits vorhandenen Hauses ab, während die Sonne langsam im Westen unterging.

Für Sonntag stand die Fertighaus-Ausstellung in Wuppertal auf unserem Programm. Martin hatte die Idee, ein Fertighaus erstellen zu lassen und den Innenausbau selbst in Eigenleistung mit meinem Bruder Dieter, seinem Faktotum Kalle und noch anderen Bekannten auszuführen.

Dieter, fünf Jahre jünger als ich, war von schlanker Statur. Mit blauen Augen, die wir von unserer Mutter mitbekommen hatten, ebenso die dicken und vollen Haare. Die Grübchen stammten von unserem Vater. Er war ein Eigenbrötler, lebte alleine ohne feste Beziehung und war dem Alkohol verfallen. Er ging jedoch nicht in Kneipen, sondern trank seine Flaschen Bier bei sich zu Hause oder während der Arbeit auf den jeweiligen Baustellen. Er war Starkstromelektriker und Martin konnte ihn bei den Bauarbeiten an seinen Häusern perfekt einsetzen.

Es gab sehr schöne und äußerst interessante Häuser zu besichtigen. Sie waren alle komplett möbliert. Besonders gefiel uns beiden ein besonderer Haus-Typ, von dem wir uns Unterlagen mitnahmen.

Anschließend waren wir bei einem Bekannten von Martin in einem Schloss-Restaurant zum Kaffeetrinken und Bergische-Waffeln-Essen. Als junge Männer besuchten die beiden gemeinsam die Hotelfachschule am Tegernsee, um den Beruf des Hotelkaufmanns von der Pike auf zu lernen. Laber hatte nach seinem Abschluss das Restaurant seiner Eltern übernommen und als Gourmet-Koch begonnen, Sterne zu sammeln.

Martin war stolz, mich seinem damaligen Freund als seine Zukünftige vorstellen zu können. Die beiden schwelgten nun in fernen Erinnerungen und ich hörte aufmerksam und gerne zu. Von Laber erfuhr ich so ganz nebenbei die Neuigkeit, dass Martin ein Diplom als Hotelkaufmann erworben hatte.

Und, was hatte er damit gemacht? Statt Sterne wie sein Freund hatte er Frauen gesammelt!

Montagmorgen bemerkte ich an der Windschutzscheibe meines Wagens einen Zettel. Es war ein kleines Stück abgerissener weißer Karton, auf dem handschriftlich mit Kuli vermerkt war:

„Hoffentlich haben Sie mit meinem Lebensgefährten eine schöne Nacht verbracht! An Ihrer Stelle würde ich mir endlich mal Tatsachen erzählen lassen! Ruth..“

Dazu war eine Geschäfts-Visitenkarte von Martin geheftet, auf deren Rückseite ebenso handschriftlich ihre gemeinsame Privat-Adresse stand, die mir ja bekannt war. Den ganzen Tag grübelte ich im Büro darüber nach, was das sollte. Es war wohl simpel und ganz einfach. Sie kämpfte mit den Waffen einer Frau!

Abends musste ich wieder in die Spedition. Martin rief spät noch vom Büdchen aus an, als ich von meinem Nebenjob gekommen war und mich grade schlafen legen wollte. Ich erzählte ihm von Ruths Bemühungen, mir beizubringen, dass er, Martin, nicht als Single über dem Büdchen im Dachgeschoss wohne, wie er mir erzählt hätte, sondern mit ihr und den Kindern in diesem dreistöckigen Doppelhaus.

Er meinte dazu lapidar: »Sie wird mich wohl nicht so leicht aufgeben. Aber ich werde ab jetzt tatsächlich über dem Büdchen im Dachgeschoss in dem kleinen Zimmer auf der Schlafcouch übernachten, damit du beruhigt bist. Mach dir keine Sorgen. Du bist meine Göttin, und ich liebe nur dich!«

Am Valentinstag hatte ich Englischkurs. Martin rief mich abends zu Hause an aus einer Kneipe. Er bat mich, ihn dort abzuholen.

Verliebt stellte er mich seinem Bekannten vor, mit dem er als einzigen Gast noch an der Theke stand. Er war sehr aufmerksam und charmant zu mir. Ich merkte jedoch, dass er schon stark alkoholisiert war. Wir blieben nicht mehr lange und besuchten noch die Wirtsleute der Gaststätte ‚Am Roundebout‘. Martin hatte ihnen die Nebenkostenabrechnung abzugeben. Den Brief dazu hatte ich auf seiner Kofferschreibmaschine getippt, die er mit zu mir nach Hause gebracht hatte. Wir waren übereingekommen, dass ich ihm in Zukunft bei der Hausverwaltung seiner ungeliebten Häuser helfen würde.

Martin war sehr sozial eingestellt und immer zu einem Schwätzchen mit seinen Mietern bereit. Meistens stellten sie jedoch ungerechtfertigte Forderungen an ihn, wenn er sich auf ein persönliches Gespräch mit ihnen eingelassen hatte. Wenn er in der Gaststätte ‚Im Kamin‘ die Spielautomaten leerte und mit Manni abrechnete, kam es vor, dass einige seinen Wagen auf dem Hof bemerkten und ihn auf irgendeine Kleinigkeit ansprachen, was er als Belästigung empfand. Die Hausverwaltung war ihm daher noch verhasster, als der Dienst im Büdchen und die Einkäufe im Großhandel. Er war sehr erleichtert, dass ich ihm diese Arbeit abnehmen wollte.

Es war wieder sehr spät als wir in Bensberg eintrafen, und ich war sehr müde. In der Diele nahm Martin behutsam seine Brille ab. Legte sie auf die Kommode. Seine Hände berührten meine Schultern. Er zog mich feste an sich. Mein unter Müdigkeit stehender Körper war mit einem Schlag wieder munter.

Seine Hände tasteten nach meinen. Glitten zwischen meine Finger. Er küsste die Rückseiten meiner Hände und ließ sie wieder sanft los. Seine Finger wanderten meine Unterarme entlang, zwickten sanft die Ellenbogen, glitten über die Oberarme, unter die Arme und kraulten meine Achselhaare. Er wunderte sich schnurrend und meinte verzückt:

»Wie schön, dass du dich hier nicht rasiert hast, wie du es vorhattest, nachdem wir das erste Mal intim waren und dir dieser starke Wuchs peinlich war«.

Seine Hände ließ ich weiter wandern bis zu den Schultern und zum Hals. Seine Lippen öffneten meinen Mund. Er küsste mich zuerst zärtlich, dann heftiger, bevor er mir den Blazer von den Schultern abstreifte und ganz langsam meine Bluse aufknöpfte.

Heiße Wallungen ließen mich erröten wie eine überreife Frucht. Sie erfüllten mich mit süßer Begierde. Ich beugte mich nach hinten, ließ durch leichtes Schütteln meine Bluse über die Arme auf den Boden gleiten. Martin legte behutsam seine Hand auf meine Brust. Ich drückte mich an ihn, hing mich an seinen Hals. Meine Knie wurden so weich, dass ich kaum noch stehen konnte. Er neigte den Kopf, seine Zunge streichelte über meine Halsbeuge bis zu meinem Nacken, knabberte an meinem Ohrläppchen. Meine Müdigkeit war verflogen. Ich spürte, wie seine starken Hände an meinem Büstenhalter nestelten. Die Häkchen ließen sich nicht so leicht öffnen, weil er wohl etwas ungeschickt hantierte. Er zerrte ein wenig unsensibel daran, bis sich die Ösen öffnen ließen.

Diesen Moment fand ich ein wenig unwirklich. Er umschloss mit seinen Händen meine nackten Brüste. Hielt sie ganz sanft, ohne sie brutal zu drücken. Sie ruhten einfach nur ganz leicht in seinen Handflächen. Seine Augen waren dabei geschlossen. Er genoss diesen Moment, während in mir die Begierde begann, lustvoll einzuströmen. Das Gefühl kam so heftig, dass ich die Augen schloss, um es intensiver zu spüren.

Martin löste sich einen Augenblick von mir, zog sein Hemd über den Kopf und drückte sich mit seiner Hüfte an mich, sodass ich seine starke Erektion spürte. Das törnte mich total an. Seine heiße Haut berührte mich wie glühendes Eisen. Er zog den Reißverschluss meiner Hose auf, ließ sie auf den Boden gleiten und hielt mich an den Ellbogen fest, während ich schwankend hinausstieg. Er schob meinen Slip herunter. Sachte. Leicht. Behutsam.

Seine Hände wanderten weiter über meinen Rücken hinunter, küsste mich an der Halsbeuge. Meine Brüste hoben und senkten sich im Rhythmus meines keuchenden Atems. Er tauchte beide Hände in die Fülle meines Haares. Ich stöhnte. Beknabberte seine Lippen. Heißes Feuer brannte in meinem Unterleib, der begann, wie losgelöst von meiner praktischen Vernunft, sich rhythmisch mit meinem Atem zu bewegen. Leicht begann ich zu taumeln. Mühelos hob Martin mich hoch, trug mich ins Wohnzimmer um den Spiegelkleiderschrank zum dahinterstehenden breiten französischen Bett. Sanft legte er mich auf das Laken und ließ meine Beine auf den Boden herunter. Vor mir auf dem weichen Teppich kniend streckte er die Hände nach meinen Brüsten aus. Seine Finger streichelten mich in fast unmerklichen, jedoch präzisen Bewegungen, zeichneten die Linien meines Körpers nach, kreisten um meinen Nabel.

Die Welt hatte aufgehört, etwas anderes zu sein als er und ich. Ich war blind. Ich war taub. Ich war stumm. Seine Hände schlossen sich fester, lösten ein süßes, atemberaubendes Ziehen aus. Blitze zuckten durch meinen Körper. Er beugte sich mit seinem Oberkörper über mich. Ich krallte mich an seinen Schultern fest mit der Verzweiflung einer Ertrinkenden, zog ihn zu mir herunter und drückte mein Gesicht an seines. Ich verschloss meine Augen, um mich ganz diesem starken Gefühl hinzugeben.

Martin flüsterte fordernd: »Öffne deine Augen, Miriam! Schau mich dabei an!« Alles, was ich bisher gefühlt hatte, war nichts gegen dieses Glücksgefühl. Durch den Schleier meiner durchgewuselten Haare sah ich ihn mit verklärten Augen. Meine Zähne wanderten über seine Schulter zu seinem Hals. Ich zog mit einer Hand seinen Arm zu meinem Mund. Meine Zähne bissen zu, drangen wieder ein in seine weiße Haut. Ich wollte ihn verschlingen, ihn ganz in mich aufnehmen. Seinen Geruch wie meinen Lieblingsduft einsaugen. Einatmen. Ich spürte, wie er mich hochhob, sich mit mir in den Armen auf den Rücken legte. Er leitete und führte mich. Brachte mich zum Glühen. Im vollkommenen Einklang unserer rhythmischen Bewegungen schien sein Puls in meinem heißen Körper zu schlagen. Goldene Blitze tanzten vor meinen Augen. Ich zitterte vor Schwäche. Ich wollte ihn jetzt. Seine starken, geübten Hände hielten mich fest. Ich fühlte mich immer weitergetragen. Immer höher in jene unendlichen Sphären. In den Himmel der Seligkeit. Sein Herz schlug in mir. Mit jedem Atemzug. Mit jeder Bewegung.

Nach einer Weile hob er das Gesicht, rieb zärtlich seine Stirn an meiner Nase. Meine Hände streichelten ihn überall, wo ich in dieser Stellung hinkam. Immer wieder. Ich konnte nicht genug von ihm bekommen.

Am nächsten Morgen fiel es mir sehr schwer, aufzustehen.

»Liebster, du musst mit mir aufstehen! Mein Wagen ist nicht hier.«

Er knurrte und brummte etwas Unbestimmtes und hielt mich fest.

»Lass uns liegen bleiben. Komm‘, bleib doch heute hier. Sei lieb, mach‘ blau!«

»Nein, Schatz, das kann ich nicht!«

»Dann nimm den Stern. Ich bleibe hier im Bett bis du wiederkommst.«

Zärtlich küsste ich ihn, ließ ihn wieder einschlafen und fuhr mit dem Benz zum Dienst.

Meine Eintragungen im Brigitte-Kalender wurden durch Martin in Kursivschrift komplettiert und kommentiert. Es war nicht weiter schlimm, dass er meine Notizen las. Ich hatte keine Geheimnisse vor ihm und vertraute ihm vorbehaltlos. Es war ein amüsantes Spiel zwischen uns. So konnte er seine Gedanken, die er mir nicht so direkt sagen konnte oder wollte, aus welchen Gründen auch immer, schriftlich mitteilen. Mein goldener Brigitte-Kalender lag in der Regel auf dem Tisch. Meistens tat er es, wenn ich schlief und er noch nicht müde war. Er war ein Nachtmensch, das Gegenteil von mir. Ich spürte mittlerweile eine solch tiefe Liebe, dass ich es manchmal gar nicht glauben konnte, wenn ich an die Zeit dachte, als ich ihn nicht mochte. Dennoch kamen hin und wieder Zweifel, besonders dann, wenn er eine Nacht oder mehrere Nächte nicht bei mir war, ob wir eine gemeinsame Zukunft haben würden.

Sollten die täglichen schriftlichen Übungen tatsächlich Wirkungen zeigen? Hatte ich meinen Traummann und mein Traumauto bekommen? Gab es einen Haken? Wenn ja, welchen? Warum zweifelte ich?

Die Übung für den Traummann brauchte ich nicht weiter fortzuführen. Ich fügte jetzt den Wunsch hinzu, dass Martin sein dreistöckiges Doppelhaus zur vollen Zufriedenheit und zum Wohle und zum Besten aller Beteiligten gut und schnell verkauft bekommt. Wenn dies erreicht wäre, würde ich mit meinem Wünsche aufschreiben aufhören.

Martin sprach nun davon, dass wir nur vorübergehend während der Bauzeit eine gemeinsame Wohnung nehmen sollten. Der Neubau unseres Hauses würde von der Planung bis zur Fertigstellung mindestens ein bis zwei Jahre in Anspruch nehmen.

Martin wollte mit mir nach München fliegen, um die Fertighausfirma unseres Wunschhauses dort zu besuchen. Wir bekamen jedoch keinen günstigen Flug. Statt dessen wollte er nun Karneval mit mir auf Gran Canaria verbringen. Kurzentschlossen buchte er die Reise ab Weiberfastnacht für eine Woche. So kurzfristig sollte ich zukünftig des öfteren mit Urlaubsbuchungen überrascht werden.

Während einer der üblichen Fahrten am Rhein entlang, erzählte er mir spannende Geschichten der jeweiligen Grafen und Adeligen, die im Mittelalter die einzigartigen Burgen rechts und links des Flusses bewohnten. Hier befindet sich die höchste Burgendichte der Welt. Martin war derart begeistert, dass er die Idee entwickelte, diese Geschichten verfilmen zu wollen.

Der Eulensammler Martin

Eines Sonntags fuhren wir nach Holland und landeten in Valkenburg. Natürlich!

Martin wollte einen Stadtbummel unternehmen. Einige Geschäfte hatten geöffnet. Vor dem Schaufenster eines Souvenirladens blieb er stehen und zeigte auf einige Eulen aus Porzellan und Glas.

»Was hältst du davon, Miriam, wenn wir gemeinsam Eulen sammeln?«, fragte er mich fröhlich und fuhr belehrend fort, ohne meine Antwort abzuwarten.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783981095852
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Oktober)
Schlagworte
Leidenschaft Reiseabenteuer Sexualität Liebe Spiritualität Esoterik Rückführung

Autor

  • Miriam Goldstein (Autor:in)

Die Autorin ist 1948 in der Nähe von Köln geboren. Sie liebt Geheimnisse. Aus diesem Grund schrieb sie diese autobiografische Geschichte unter dem Künstlernamen MIRIAM GOLDSTEIN. Lesen und Schreiben sind seit Kindheitstagen ihre großen Leidenschaften. Mit erzählerischem Geschick und Spannung schildert sie ein außergewöhnliches Schicksal in Liebe und Leid zwischen Raum und Zeit. Das vorliegende Werk ist ihr erster großer Roman, entstanden aus einer Vision.
Zurück

Titel: DUELL mit MIRiam ZWISCHEN RAUM UND ZEIT