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Lady Violets pikante Briefe

Der Ball in Fairview House

von Junia Swan (Autor:in)
80 Seiten

Zusammenfassung

„Liebe Lady Amber, welch famose Idee unserer gemeinsamen Freundin Monica, diese Brieffreundschaft einzufädeln!“ Mit diesen Worten beginnt der erste Brief von Lady Violet an Lady Amber. Diese liegt mit gebrochenem Fuß auf ihrem Landsitz und kann an der Saison in London nicht teilnehmen. Deswegen soll Lady Violet sie mit ihren Briefen an den Ereignissen der gehobenen Gesellschaft teilhaben lassen. Wäre da nicht der tollpatschige Lord Banks, der ihr ständig in die Quere kommt, hätte sie sicherlich eine Menge zu berichten. So aber langweilt sie sich zu Tode. Kurzerhand beschließt sie, für Lady Amber ein paar spannende Geschichten zu erfinden. Wenn sie wüsste, dass Lady Amber nicht diejenige ist, als die sie sich ausgibt. Vermutlich würde sie nicht so detailliert von ihren erfundenen amourösen Begegnungen berichten oder sich über manche der adligen jungen Herren lustig machen. Der Ball in Fairview House beginnt mit einigen irritierenden Begegnungen, steigert sich zu einem Gipfel an Peinlichkeit, um dann im Tal der Demütigung zu enden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

„Liebe Lady Amber, welch famose Idee unserer gemeinsamen Freundin Monica, diese Brieffreundschaft einzufädeln!“

Mit diesen Worten beginnt der erste Brief von Lady Violet an Lady Amber. Diese liegt mit gebrochenem Fuß auf ihrem Landsitz und kann an der Saison in London nicht teilnehmen. Deswegen soll Lady Violet sie mit ihren Briefen an den Ereignissen der gehobenen Gesellschaft teilhaben lassen. Wäre da nicht der tollpatschige Lord Banks, der ihr ständig in die Quere kommt, hätte sie sicherlich eine Menge zu berichten. So aber sitzt sie meistens an einem abgeschiedenen Ort fest und langweilt sich zu Tode. Kurzerhand beschließt sie, für Lady Amber ein paar spannende Geschichten zu erfinden.

Wenn sie wüsste, dass Lady Amber nur eine erfundene Person ist und Violets Briefe an eine Gruppe junger Adeliger geht, in der ihre Zeilen laut vorgelesen werden, um sich darüber köstlich zu amüsieren! Vermutlich würde sie nicht so detailliert von ihren erfundenen amourösen Begegnungen berichten und sich nicht über manche der adligen jungen Herren lustig machen.

Wenn sie ahnte, welch verborgene Geheimnisse sie unwissentlich ans Tageslicht bringt und welch tiefen Hass sie damit schürt, sodass sogar ihre eigene Existenz bedroht wird, hätte sie wohl keine einzige Zeile verfasst.

 

Mittlerweile jedoch beginnt der Ball in Fairview House mit einigen irritierenden Begegnungen, steigert sich zu einem Gipfel an Peinlichkeit, um dann im Tal der Demütigung zu enden.

„Ich erlaube mir, Euch dorthin zu begleiten, denn nun bleibt uns nur mehr abzuwarten. Darf ich Euch in der Zwischenzeit, bis die ersten Gäste eintreffen, ein Gläschen Champagner anbieten? Wunderbar! Da kommt wie gerufen der Erste Diener mit einem Tablett voller Getränke vorbei. Nicht zögern, schnell zugreifen, bitteschön, Euer Glas! Angestoßen, kling, und an die Lippen gesetzt. Auf einen wundervollen Abend!“

 

Bei „Lady Violets pikante Briefe“ begleitet die geneigte Leserin die Protagonistin zu unterschiedlichen gesellschaftlichen Ereignissen im Laufe der Londoner Saison. Jedes Buch kann unabhängig von den anderen gelesen werden und ist in sich abgeschlossen. Allerdings zieht sich auch ein Handlungsbogen durch alle Geschichten, welcher seine Vollendung dann im letzten Band findet.

Über die Autorin:

Junia Swan schreibt seit ihrer Jugend leidenschaftlich gerne Romane. Besonders das Genre der Liebesgeschichten hat es ihr angetan. Allerdings bevorzugt sie Charaktere mit Ecken und Kanten und begleitet diese gerne auf ihrem oftmals sehr steinigen Weg. Mit ihren Romanen möchte sie den Lesern Mut machen, niemals aufzugeben und auch in schweren Zeiten durchzuhalten. Sie selbst ist mit der Liebe ihres Lebens verheiratet und lebt in Österreich.

Impressum

e-Book-Ausgabe März 2018

Titelbild: Princess Dimples

© 2018 GardenCity, c/o Junia Swan, Salzachtalstr. 1, A-5400 Hallein

Lasst mich Euch vorstellen ...

Ich freue mich überaus, Euch heute Abend hier anzutreffen, liebe Leserinnen, der Ball in Fairview House verspricht wieder das Ereignis des Jahres zu werden! Um es Euch leichter zu machen, sich zurechtzufinden, mache ich Euch nun schon im Vorfeld mit den wichtigsten Persönlichkeiten, denen wir im Laufe des Abends begegnen werden, bekannt. Seid Ihr bereit? Dann hört mir aufmerksam zu!

Da wäre zuerst einmal Lady Violet Redvers, eine junge Debütantin mit einem ausgeprägten Hang zur Schriftstellerei. Wie Ihr herausfinden werdet, ist es genau diese Leidenschaft, die sie, sagen wir, in … Umstände stürzt. Als Tochter eines niederen Landedelmannes geht man davon aus, dass sie im günstigsten Fall eines Tages einen Baron heiraten wird. Sie hat zwei ältere und eine jüngere Schwester sowie einen älteren Bruder, was sicherlich einer der Gründe ist, weshalb sie sich immer wieder in Tagträume flüchtet, um das aufreibende Familienleben auszublenden. Aufgrund der Bitte von Lady Monica geht sie eine Brieffreundschaft mit Lady Amber ein. Sie soll ihr von ihren Erlebnissen während der Saison berichten.

Was uns direkt zu Lady Amber bringt, die angeblich mit gebrochenem Fuß auf dem Landsitz ihrer Eltern ihrer Genesung harrt und todunglücklich darüber ist, dass sie an der Saison in London nicht teilnehmen kann. Allerdings, und das sei ausnahmsweise an dieser Stelle verraten, gibt es die junge Dame nicht als in einem Körper manifestierten Frau. Im Gegenteil, sie wurde von einer Gruppe junger Studenten aus Adelskreisen ins Leben gerufen. Als Motiv könnte man Spaß, Neugier auf die Gedanken/Erlebnisse einer jungen Frau und vielleicht einen Hang zur Grausamkeit nennen. Denn Lady Violets Briefe werden zum Gaudium in großer Runde verlesen.

Lord Randall Banks, der zweitgeborene Sohn eines einflussreichen Dukes, sechs Jahre älter als Lady Violet, kennt Lady Violet seit ihrer Kindheit. Schon früh hat er beobachtet, wie sie bereits als junges Mädchen von den anderen, höhergeborenen Kindern gehänselt worden war. Das hatte ihn nicht kalt gelassen und seinen Beschützerinstinkt geweckt. Bevor er nach Eton, einem elitären Jungen-College, aufgebrochen war, um dort ins Internat zu gehen, hatte er instinktiv erkannt, dass Lady Violet in späteren Jahren, nämlich dann, wenn sie in die Gesellschaft eingeführt werden sollte, seiner Unterstützung bedürfen würde. Obwohl ihre älteste Schwester Tamara von sanfterem Wesen war und daher mehr dem Bild entsprach, wie sich eine Frau verhalten sollte, war es Violet, die ihn in seinem Inneren berührte. Vielleicht lag es auch daran, dass sie einen Nachmittag an seiner Seite verbracht hatte – sie hatten Verstecken gespielt und er hatte sich mit ihr hoch oben auf einem Baum verborgen. Obwohl er genau gewusst hatte, dass sie sich zu Tode langweilte, hatte sie schweigend an seiner Seite verharrt und den Baumwipfel beobachtet. Damals war ihm klargeworden, dass sie zu träumerisch war, um sich selbst verteidigen zu können. Deswegen wollte er bereit sein, um ihr Jahre später zur Seite stehen zu können. Doch aufgrund seiner Schweigsamkeit war Lady Violet nie wirklich warm mit ihm geworden und Randall Banks hatte das Gefühl, dass sie versuchte, ihm auszuweichen. An dieser Stelle sei noch angemerkt, dass es sich bei den Sätzen, welche im folgenden Text innerhalb der geschwungenen Klammern {} stehen, um seine nicht geäußerten Gedanken handelt.

Die Zeit drängt und die Gäste werden bald eintreffen, deswegen beeile ich mich nun mit meinen Erklärungen.

Ich bin überzeugt, dass Ihr ganz erpicht darauf seid zu erfahren, wer hinter diesem bösen Streich eigentlich steckt. Deswegen werde ich Euch nicht länger auf die Folter spannen.

Man kann ohne zu übertreiben sagen, dass Baron Thomas Matthews die treibende Kraft hinter der Idee von Lady Amber ist. Für ihn triff es sich gut, dass Lady Violet gerne schreibt und daher das Opfer ihres Streiches wird. Denn seit er sie kennt, verachtet er sie und er lässt keine Gelegenheit verstreichen, ihr dies zu demonstrieren. Obwohl er selbst keinem einflussreichen Adelsgeschlecht entstammt, fühlt er sich dennoch den beinahe als arm geltenden Redvers bei weitem überlegen. Wie man leider zuhauf beobachten kann, eine durchaus verbreitete Unart der Menschen von oben nach unten zu treten, wenn Ihr versteht, was ich meine.

Natürlich ist er als Oxford-Student Mitglied in der Studentenverbindung RSAHS (welches eine Abkürzung von irgendetwas wie Royal Students Association of … ist – tut mir leid, ich habe den genauen Wortlaut tatsächlich vergessen), welche aus den jungen Männern besteht, die Lady Violet, ob bewusst oder unbewusst, demütigen wollen.

Genauso empfindet seine jüngere Schwester Lady Monica, die Lady Violet bereits als Kind schikaniert hatte, wo es nur ging. Wer weiß, ob all diese Missgunst ihre hysterischen Anfälle, unter denen sie stark litt, begünstigt hatte? Unter dem Siegel der Verschwiegenheit obliegt es mir, Euch mitzuteilen, dass man diese erst mit Hilfe regelmäßiger Arztbesuche bei Dr. Chandler (ich vermute, man wird im Laufe des Abends über ihn sprechen – er ist zurzeit in aller Munde) in den Griff bekommen hatte.

Baron Hugh Clare, der Erbe der vermögenden Grafschaft Stormybrook, ist der personifizierte Tagtraum eines jeden Mädchens, denn er ist nicht nur reich und gutaussehend, sondern auch ein paar Jahre älter als die Jungspunde der Universität und dementsprechend reifer und interessanter. Sein Haar ist so dunkel, dass sich sogar das Kerzenlicht darin spiegelt, wie wir später erfahren werden und seine breiten Schultern sind wie dafür gemacht, um die Frau seines Herzens daran zu bergen. Seufz. Verzeiht meine kurze Schwärmerei! Aber man ist ja auch nur aus Fleisch und Blut.

Wenn Ihr Euch nicht außerordentlich für die Jagd interessiert, solltet Ihr unbedingt Baron Jeremy Willerbroy meiden. Er ist der Sohn eines Marquess, Mitglied der Studentenverbindung RSAHS, und – dies ist zweifellos sein Verhängnis – ein leidenschaftlicher Jäger. Seine freie Zeit verbringt er am liebsten mit seinen fünf Dachshunden und drei Terriern. Da er immer darauf besteht zu erwähnen, dass er keinen Deutschen Schäferhund besitzt, weil ihm diese Rasse zuwider ist, merke ich dies hier nun am Rande an. Wobei nicht vollkommen klar ist, auf wen sich „diese Rasse“ nun eigentlich bezieht, doch ich gehe wirklich aufrichtig hoffend davon aus, dass es die Tiere sind, die er meint. Wenn nicht, kann ich an dieser Stelle die Betroffenen mit den Worten trösten, dass es durchaus Vorteile hat, von Baron Willerbroy nicht zu den begehrten Gesprächspartnern gezählt zu werden. Erinnert Euch an meine Mahnung!

Als letzte Person möchte ich Euch noch mit Baron Gregory Armstrong vertraut machen. Bei ihm genügen ein paar Stichworte, um das Bild von ihm perfekt zu malen: arrogant, Erbe einer hochangesehenen Grafschaft, gutaussehend, Frauenheld, unbarmherzig und natürlich auch Mitglied der Studentenverbindung … Ja, genau, Ihr habt es erraten.

Ich bin mir nun nicht ganz sicher, ob ich Baron Heath Cliff Beaumont noch erwähnen soll, denn er ist, … hm, wie soll ich es ausdrücken, ebenso real wie Lady Amber. Wobei weder die Lady noch der dunkle Baron von der Inexistenz des jeweils anderen wissen. Ich hoffe inständig, das verwirrt Euch nun nicht! Ich werde aus Rücksicht aber auch nicht weiter ins Detail gehen. Ich gehe davon aus, dass sich die noch offenen Fragen im Laufe des Abends klären werden.

Ich hoffe, ich habe niemanden vergessen, wenn doch, nehme ich Eure Kritik gerne morgen entgegen. Ihr könnt am späten Vormittag bei mir vorsprechen.

Nun bleibt uns nur mehr abzuwarten. Darf ich Euch in der Zwischenzeit, bis die ersten Gäste eintreffen, ein Gläschen Champagner anbieten? Wunderbar! Da kommt, wie gerufen, der Erste Diener mit einem Tablett voller Getränke vorbei. Nicht zögern, schnell zugreifen, bitteschön, Euer Glas! Angestoßen, kling, und an die Lippen gesetzt. Auf einen wundervollen Abend!

Prolog

Lord Randall Banks griff nach einem Handtuch, das sein Kammerdiener ihm reichte und trocknete seinen muskulösen Oberkörper ab. Die nassen Spitzen seines dunkelblonden Haars klebten noch vom Waschen zusammen, was ihn jedoch nicht weiter bekümmerte. Vor wenigen Minuten hatte er sein schweißtreibendes Training abgeschlossen und machte sich nun für den Ball auf Fairview House bereit. Er warf das Handtuch nachlässig über eine Stuhllehne und wandte sich zu seinem Kammerdiener.

„Haben Sie alles so vorbereitet, wie ich es Ihnen aufgetragen habe?“

„Jawohl, Mylord. Obwohl es wirklich eine Schande ist, wenn ich dies anmerken darf.“

Lord Banks lächelte und zuckte mit den Achseln.

„Je weniger ich auffalle, desto besser“, meinte er und griff nach dem Hemd, das ihm um eine Nummer zu groß war und nun über dem Arm seines Dieners baumelte.

Genauso hielt er es mit Weste und Jackett und als er vor den Spiegel trat, wirkte er wieder wie der große, schlaksige Junge, der er einst gewesen war. Nichts ließ erahnen, welch gut trainierter Körper sich unter seiner Kleidung verbarg. Zufrieden nickte Randall seinem Spiegelbild zu.

„Lady Violet darf nicht erfahren, dass ich mich als ihr Beschützer sehe. Es würde ihren Stolz zutiefst verletzen“, sagte er nun.

Er erinnerte sich an den vorletzten Ball, als er ihr das erste Mal nach fast sechs Jahren wieder begegnet war. Es hatte ihm geradezu den Atem verschlagen, sie zu sehen, nun herangereift zur jungen Frau. Doch leider schien sie die Veränderung an ihm nicht bemerkt zu haben, denn sie blickte ihn noch immer mit diesem leicht gelangweilten, duldenden Ausdruck an. Er war sich nicht einmal sicher, ob sie ihn tatsächlich wahrgenommen oder einfach durch ihn hindurchgesehen hatte. Wie dem auch sei. Er konnte sie nicht dazu zwingen, ihn zu mögen. Trotzdem würde ihre Ablehnung nichts an der Tatsache ändern, dass er ein Auge auf sie haben würde.

Oxford um 1900

„Meine Herren“, rief Baron Thomas Matthews und klopfte mit den Fingerknöcheln auf einen der dunklen Holztische im Studierzimmer der königlichen Studentenverbindung für hochwohlgeborene Söhne, kurz RSAHS, während er in der anderen Hand ein versiegeltes Kuvert schwenkte. „Es ist so weit!“

Die Gespräche seiner Kommilitonen verstummten, während sich die Aufmerksamkeit aller auf ihn richtete.

„Ich habe Post von Lady Violet erhalten! Oder besser gesagt, Lady Amber hat einen Brief von besagter jungen Dame bekommen.“

Gelächter brandete auf und Baron Matthews hob beschwichtigend die Hand.

„Ich bitte um Ruhe, meine Herren, während ich ihr Schreiben vorlese!“

„Nun hab dich nicht so, Lady Amber!“, rief einer der jungen Männer.

„Genau! Mach es nicht so spannend!“, ein anderer.

Gebannt verfolgten die jungen Studenten, wie Matthews das Siegel brach, den Brief hervorzog und auseinanderfaltete. Dann räusperte er sich gewichtig, blickte noch einmal in die Runde und begann mit verstellter, hoher Stimme zu lesen:

Liebe Lady Amber,

welch famose Idee unserer gemeinsamen Freundin Monica, diese Brieffreundschaft einzufädeln! Sie hat wohl von meinem Hang zur Schriftstellerei vernommen und mich deshalb ausgewählt, Euch nun von meiner Saison in London zu berichten. Ich fühle mich überaus geehrt und komme dieser Bitte mit dem größten Vergnügen nach. Es ist mir sehr verständlich, dass man sich in den ländlicheren Regionen unseres geliebten Englands durchaus nach den Vergnügungen der Hauptstadt sehnt. Nun, ich hoffe dazu beitragen zu können, Euer Verlangen nach Aufregung ein wenig befriedigen zu können. Auch ist es mir ein Anliegen, Euch Eure Krankheit für die Zeitspanne meines Briefes vergessen zu lassen. Trotzdem möchte ich Euch darum bitten, meine Briefe für Euch zu behalten und nicht herumzureichen oder gar vorzulesen. Wie Ihr wünscht, werde ich vollkommen ehrlich und offen von meinen Erlebnissen berichten – allerdings nur unter dem Mantel der Verschwiegenheit. Lady Monica hat mir versichert, dass ich mich hinsichtlich Eurer Diskretion nicht sorgen müsse – ich wollte es nur noch einmal am Rande erwähnen – deswegen werde ich nun nicht weiter bei der Einleitung verweilen und direkt zu berichten beginnen ...

Fairview House, London

Das elegante Stadthaus der Edgcumbes war bis auf das kleinste Fenster erleuchtet, als Lady Violet in Begleitung ihrer Eltern, den drei älteren Geschwistern (zwei Schwestern, ein Bruder) und ihrer jüngeren Schwester vor dem majestätischen Eingangstor ihrer Kutsche entstieg. Sofort eilten junge Männer herbei, um den Frauen beim Aussteigen behilflich zu sein und sie ins Innere zu geleiten. Bedauerlicherweise verbeugte sich Lord Randall Banks, der als überaus schüchtern galt und in dessen Gesellschaft sich jede junge Dame befangen fühlte, vor Lady Violet. Abgesehen davon war er schmalbrüstig, schweigsam, ein Außenseiter und undurchschaubar. Als wäre die Liste seiner Mängel nicht schon lange genug, war er auch noch überaus tollpatschig.

Als er sich nun über Violets Hand beugte, setzte sie ein verkrampftes Lächeln auf und neigte leicht das Haupt, was ihre Köpfe zusammenstoßen ließ, als er sich wieder aufrichtete.

„Au!“, entfuhr es Violet und Banks errötete.

„Bitte verzeiht meine Ungeschicklichkeit, Lady Violet. Es wird nicht wieder vorkommen.“

{Aber ich frage mich, woher ich wissen sollte, dass Ihr Euch über mich beugt. Leider habe ich im Hinterkopf keine Augen.}

Er zog ihren Arm in seine Armbeuge, während die junge Frau grimmig bei sich dachte: „Oh doch, das wird es!“

Während sie hinter Violets Eltern auf das weit geöffnete Eingangstor zuschritten, blickte Banks zu ihr herab, was Violet nicht entging und sie war überaus dankbar, dass ihr Kleid nur wenig ausgeschnitten war und dem Betrachter dadurch nicht allzu tiefe Einblicke gestattete.

{Sie ist so anmutig, dass ich sie am liebsten in den Garten entführen würde. Wäre es nur nicht so kalt!}

Obwohl Banks einige Jahre älter als sie war, fand sie ihn doch viel zu jung, um ihr Avancen zu machen. In ihren Augen war er linkisch und langweilig und sie beneidete ihre ältere Schwester Tamara um ihren schneidigen Begleiter. Es war Baron Hugh Clare, der Erbe der Grafschaft Stormybrooks, in Violets Augen die bessere Wahl: bereits zum Mann gereift, mit so breiten Schultern, dass sie ihr jegliche Sicht auf das Dahinter versperrten.

ZURÜCK zu Banks, der lässig an einer Säule der überdachten Einfahrt von Fairview House im Hintergrund lehnte und die Ankommenden beobachtete. Er rechnete jeden Moment mit der Ankunft der Redvers und wollte nicht versäumen, Lady Violet ins Innere zu geleiten. Als er ihre Kutsche entdeckte, richtete er sich gerade auf. Allerdings würde es noch eine Weile dauern, bis die Familie aussteigen konnte, denn die Schlange der eintreffenden Wagen wurde mit jeder Minute länger. Angespannt heftete er seinen Blick auf das Gespann und zauste sein Haar, sodass es ein wenig nachlässig aussah. Lady Violet sollte unter keinen Umständen merken, dass er bereits zum Mann gereift war und auch so handelte und dachte. Er wollte sie nicht erschrecken und da er die Distanz zwischen ihnen als beunruhigend groß empfand, lag es ihm fern, das geringste Risiko einzugehen, diese noch zu vergrößern.

Nur wenige Meter von seinem Standort entfernt hielt die Kutsche. Baron Clare war ebenfalls gerade angekommen und als er sich zu den Redvers drehte, bot er Violets ältester Schwester höflich sein Geleit an. Endlich entstieg Lady Violet der Kutsche und ihm stockte der Atem. Obwohl ihr Kleid schlicht und nicht sonderlich raffiniert geschnitten war, strahlte sie über das ganze Gesicht und er erinnerte sich ihrer überschäumenden Lebensfreude aus Kindheitstagen. Schnell ging er auf sie zu und ihr Lächeln erlosch.

Ihr müsst Euch, liebe Lady Amber, Fairview House wie ein kleines Schloss vorstellen. Es ist beinahe so weitläufig wie der Buckingham Palace und nur die nobelsten Familien erhalten eine Einladung zu den seltenen Gelegenheiten, wenn die Edgcumbes eine Gesellschaft geben. Wochen später wird noch von den Ereignissen berichtet. Deswegen ist es umso wichtiger, entsprechend gekleidet zu erscheinen. Meine Mutter pflegt immer zu sagen, dass die Haltung einer Dame bereits durch die Wahl der Unterwäsche beeinflusst werde. Umso sorgfältiger muss diese also gewählt werden, denn die zarten Spitzen, die die Haut der Trägerin umschmeicheln, entscheiden über Erfolg oder Misserfolg eines solchen Abends. Aus diesem Grunde trage ich ein Unterkleid aus durchsichtiger Seide, mit Spitzen am Dekolleté. Es ist sehr gewagt ausgeschnitten, da mein Ballkleid einen überaus freizügigen Blick auf meine Brüste erlaubt. Ich schreibe dies nur, damit Ihr Euch eine genauere Vorstellung über die Umstände machen könnt. Über diesem Hauch von Nichts wurde mein Korsett sehr stark geschnürt, sodass die Taille noch schlanker und meine Brüste noch voller wirken. Jeder Atemzug wäre ein Bangen, säße das Kleid nicht wie angegossen, trotzdem meine ich, dass die jungen Herren die Hoffnung auf ein kleines Verrutschen des Dekolletés niemals aufgeben. Ihre gierigen Blicke, mit denen sie über meinen Körper gleiten, als wollten sie ihn liebkosen, geben eindeutig Zeugnis davon. Etwas später werde ich noch berichten, was mir in diesem Zusammenhang zu weiter vorgerückter Stunde passiert ist.

Zuerst jedoch kehre ich nun mit meiner Erörterung vor das Haus zurück, wo mich der anbetungswürdige Lord Banks empfing und mir galant aus der Kutsche half. Er ist überaus groß und stattlich und die Breite seiner Brust lässt darauf schließen, dass er hervorragend dafür geeignet ist, die Tränen einer in Not geratenen junge Frau zu trocken und sie in seinen starken Armen zu trösten. Niemals ist er um ein Wort verlegen, er weiß immer, was er sagen muss, um das Herz einer Frau zu erfreuen. Als er meine Hand berührte und an seine Lippen führte, konnte ich durch den Stoff meiner Handschuhe die Hitze seines Körpers fühlen. Obwohl seine Lippen meinen Handrücken nicht berührten, meinte ich, dass er mit seiner männlichen Präsenz vollkommen von meinem Leib Besitz ergriff. Es war zu viel! Meine Beine gaben nach, doch er hielt mich fest, als fühlte er meine Schwäche, zog mich näher an sich heran und meine Brüste drückten gegen seinen harten, von Leibesertüchtigungen gestählten Oberkörper. Ihr könnt nicht ahnen, welche Hitze mich in diesem Moment durchströmte und ich wäre in Ohnmacht gesunken, hätte er mich nicht zuvorkommend zu einer Bank in den Garten geleitet. Seine Anwesenheit ließ mich die winterlichen Außentemperaturen vergessen – im Gegenteil, ich war froh über die Kühlung, die sie meinen glühenden Wangen boten. Er setzte sich neben mich, hob mein Kinn an und blickte mir eindringlich in die Augen.

„Meine liebe Lady Violet“, sagte er mit seiner tiefen, männlichen Stimme, „ich hoffe, Ihr fühlt Euch bald besser.“

Bereits während er sprach, senkte er den Blick auf meine Lippen, die sich unwillkürlich einen Spaltbreit öffneten. Ich vergaß zu atmen und beobachtete, wie er meine Erscheinung in sich aufnahm.

„Euer Dekolleté ist ein wenig verrutscht“, stellte er plötzlich fest und im nächsten Moment fühlte ich die Wärme seiner Fingerkuppen, als er den Stoff knapp oberhalb meiner Brustspitzen zurechtrückte. Für dieses Gefühl lohnt es sich zu sterben, meine liebe Lady Amber, und ich glaube, er konnte in meinen Augen lesen, dass mir gefiel, was er machte. In diesem Moment jedoch meldeten sich die letzten Reste meiner guten Erziehung und ich hauchte:

„Ich danke vielmals für Eure Hilfe, Mylord. Es geht mir tatsächlich schon wieder besser und ich bin guter Dinge, dass wir uns ohne einen Schwächeanfall befürchten zu müssen ins Innere begeben können.“

Da lächelte er ein träges Lächeln, beugte sich zu mir und flüsterte in mein Ohr: „Meine liebe Violet, der Abend ist noch lang und wir werden einander noch öfter begegnen. Ich verspreche Euch, dass ich zu jeder Zeit einen Blick auf Euer Dekolleté haben werde und es gegebenenfalls in einem unbeobachteten Augenblick wieder korrigiere.“

Er erhob sich und seine Augen funkelten, als er mich zu sich emporzog.

„Zu gütig, Mylord“, dankte ich. „Nun, da ich Eurer Hilfe gewiss bin, werde ich den Abend umso ausgelassener genießen können.“

An seiner Seite betrat ich das weitläufige Haus der Edgcumbes und wir mischten uns unter die zahlreichen Gäste.

„Herzlichen Dank für Eure Hilfe“, sagte Violet, nachdem sie ihre Mäntel abgelegt hatten und Banks Anstalten machte, auch weiterhin nicht von ihrer Seite zu weichen. „Doch ich werde mich nun zu meinen Freundinnen gesellen.“

{Zu welchen Freundinnen?}

Enttäuscht suchte er ihren Blick.

{Ich hoffe, ich sehe sie an, wie ich es vor dem Spiegel geübt habe. Wenn ich zu leidenschaftlich oder abgebrüht wirke, kommt sie mir auf die Schliche. Trotzdem muss ich dringend verhindern, dass sie mit zu vielen anderen Männern tanzt!}

„Dürfte ich mich zuvor noch auf Eurer Tanzkarte ...“

„Bis später!“, rief Violet und eilte davon.

Banks sah ihr reglos nach, dann zuckte er mit den Achseln und wandte sich ab. Seit er Lady Violet kannte und das war seit Kindheitstagen, hatte sie ihn verachtet. Er konnte keine Erklärung dafür finden, außer dass er überaus schüchtern und aus diesem Grund kein anregender Gesprächspartner war. Vielleicht ließ sie aber auch einfach nur ihren Frust an ihm aus, der sich durch das herablassende Verhalten ihrer Spielkameraden angestaut hatte. Banks folgte ihr etwas versetzt, ohne von ihr gesehen zu werden.

Um sicher zu gehen, ihren Begleiter abgeschüttelt zu haben, warf Violet noch einen Blick über ihre Schulter und vergewisserte sich, dass Randall außer Sicht war. Als sie ihn nicht mehr entdecken konnte, atmete sie erleichtert aus. Den hatte sie also abgeschüttelt. Banks war manchmal anhänglich wie ein kleiner Hund. Als sie ihn vor kurzer Zeit, nach Jahren, das erste Mal wiedergesehen hatte, war sie ein wenig enttäuscht von ihm gewesen. Er wirkte noch genauso unbeholfen und uninteressant wie als junger Bursche. Sie fragte sich insgeheim, wie er es nach Oxford geschafft hatte. Wobei, eigentlich war das keine ernsthafte Frage. Unzweifelhaft ebnete ihm der Einfluss seines Vaters alle Wege. Nichts, wofür sich Banks jemals hätte anstrengen müssen. Nicht einmal jetzt, als junger Mann, füllte er seine Anzüge aus. Sein Körperbau machte den Anschein, als höbe ein Diener sogar das Glas während eines Essens an seine Lippen, als hätte sein Leib niemals den Hauch eines Muskels gespürt.

Lady Violet hatte kurz in ihren Gedanken verharrt. Als sie sich gerade wieder in Bewegung setzen wollte, tippte ihr jemand auf die Schulter. Sie drehte sich um und erkannte Lady Monica, die ein strahlendes Lächeln aufgesetzt hatte. Diese Freundlichkeit wunderte Violet, denn sie war für die andere Frau normalerweise Luft. Doch heute schien sie sich sogar an ihren Namen zu erinnern, denn sie sagte: „Lady Violet, wie ich mich freue, Euch heute zu begegnen! Tatsächlich habe ich Euch sogar gesucht!“

Überrascht runzelte Violet die Stirn.

„Ihr habt mich gesucht?“, fragte sie fassungslos, darum bemüht, ihre Verwunderung nicht zu zeigen.

„Ja, so ist es!“

Sie umfasste Violets Unterarm und schleuste sie an den Rand des dichtgedrängten Saals.

„Ich brauche Eure Hilfe, Lady Violet!“, flüsterte sie schließlich, nachdem sie einen Platz gefunden hatten, an dem man sich ungestört unterhalten konnte.

Alles, was Lady Monica gerade zu Violet sagte, kam dieser so irreal vor, dass sie sich am liebsten gezwickt hätte, um herauszufinden, ob sie träumte.

„Meine Hilfe?“, wiederholte sie einfältig und ihr Gegenüber nickte.

„Hört zu“, begann Lady Monica mit gesenkter Stimme zu berichten, „ich habe eine Bekannte, ein wirklich armes Ding. Wie ich soeben erfahren habe, wird sie aufgrund eines Beinbruchs die diesjährige Saison nicht in London verbringen können. Ihr vermögt Euch sicherlich vorzustellen, was das für sie bedeutet! Sie ist so alt wie wir und ihr Debüt war fix geplant.“

„Die Arme!“, seufzte Violet mitleidig.

„Darüber hinaus wohnt sie sehr ländlich, weshalb sie keine Möglichkeit hat, den Landsitz ihrer Eltern zu verlassen.“

„Schrecklich!“ Violet wollte sich gar nicht ausmalen, wie es ihr ergehen würde, sollten ihr die Vergnügungen der nächsten Monate versagt werden.

„Um Lady Amber, so heißt sie, ein wenig aufzumuntern, dachte ich, ihr Briefe zukommen zu lassen. In diesem Zusammenhang erinnerte ich mich an Eure Leidenschaft für geschriebene Worte und überlegte, ob Ihr vielleicht so freundlich wärt, mit Lady Amber zu korrespondieren.“

„Aber sehr gerne!“ Violets Augen leuchteten auf. „Worüber soll ich schreiben? Was ihr berichten?“

Das hintergründige Lächeln, das nun Lady Monicas schmale Lippen teilte, entging Violet vollkommen.

„Es ist so ...“, Lady Monica beugte sich noch näher zu Violet und flüsterte an ihrem Ohr, „dass sie sich natürlich wie alle jungen Mädchen dafür interessiert, was Ihr während der unterschiedlichen Veranstaltungen erlebt. Ihr könnt durchaus ins Detail gehen, was zum Beispiel Euren ersten Kuss angeht oder die Gentlemen, welche Euch umwerben. Lenkt Amber von ihrem Schmerz ab, seid offen und durchaus freizügig! Sie ist eine überaus vertrauenswürdige Person und wird Eure Geheimnisse für sich behalten.“

Violet schluckte unbehaglich.

„Mein erster Kuss?“ Röte überzog ihre Wangen. „Aber ich wurde noch nie geküsst!“

„Dann erfindet Ihr es eben!“ Lady Monica machte eine ausholende Geste. „Lasst Eurer Phantasie freien Lauf!“

Violet ließ die Augen über die zahlreichen Gäste schweifen.

„Ihr meint, ich soll mir Geschichten für sie ausdenken und so tun, als wären sie wahrhaftig passiert?“

„Genau!“ Monica klatschte begeistert in die Hände. „Schreibt ihr pikante Details und lasst sie an dem Leben und den Gedanken einer Debütantin teilhaben!“

„Hm.“

Violet war noch nicht überzeugt. Dieser Vorschlag klang irgendwie anrüchig.

„Lady Amber ist wirklich äußerst äußerst bemitleidenswert! Sie hatte sich so auf ihre erste Saison gefreut.“

Um Mitgefühl heischend, sah Lady Monica ihr Gegenüber an, bis diese unter ihrem Blick nachgab und geschlagen seufzte.

„Gut, ich werde ihr schreiben.“

„Fein!“, freute sich Lady Monica und rieb sich vergnügt die Hände. „Gebt mir die Briefe und ich schicke sie gemeinsam mit meiner Korrespondenz zu der armen Seele.“

„Werde ich machen.“

Nachdem sie sich voneinander verabschiedet hatten, wandte sich Lady Monica ab und schlenderte davon. Als sie ihren Bruder Matthews in einigen Metern Entfernung entdeckte, nickte sie unmerklich und ein zufriedenes Grinsen huschte über sein Gesicht.

ZURÜCK zu Banks, der Lady Violets Weg aufmerksam verfolgt hatte. Aus dem Augenwinkel beobachtete er Lady Monica, die direkt auf sie zuhielt. In ihm stieg das Bild eines hungrigen Wolfs auf, der sich auf leisen Sohlen seinem Opfer näherte. Was wollte sie von Lady Violet? Banks runzelte nachdenklich die Stirn. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Unauffällig ließ er seinen Blick weiterwandern und er entdeckte Matthews, der die beiden Frauen angespannt beobachtete. Monicas unmerkliches Nicken in Richtung ihres Bruders, nachdem sie sich von Violet abgewandt hatte, bestätigte ihn in seinen Befürchtungen. Lady Violet benötigte Schutz. Seinen Schutz. Er musste also jede Möglichkeit ergreifen, sie aus der Gefahrenzone zu schaffen.

Es fiel mir überaus schwer, mich von Lord Banks beunruhigender Gesellschaft zu trennen, doch wie Ihr sicherlich wisst, gibt es Pflichten, denen junge Mädchen im Laufe eines Balles nachgehen müssen. Eine davon wäre, die Tänze, die sie auf ihrer Tanzkarte versprochen hatte, einzulösen. Aber, ganz unter uns gesagt, wenn man zu den umschwärmten Mädchen zählt, ist dies nicht die schlimmste Pflicht. Im Gegenteil, zumeist ist die Gesellschaft der jungen Männer durchaus angenehm zu nennen. In meinem Fall sogar überaus willkommen, denn Baron Hugh Clare führte mich als erster auf die Tanzfläche. Über ihn sei gesagt, dass er ein ausgezeichneter Tänzer und überaus charmant ist. Sein Haar ist so dunkel, dass sich die unzähligen Kerzenlichter darin spiegeln. Er ist etwas älter als viele meiner späteren Tanzpartner und ich weiß instinktiv, dass er mich noch viele Dinge lehren kann. Zum Beispiel versteht er es hervorragend, den Hof zu machen. Als ich ihm während einer Drehung näherkam, raunte er mir ins Ohr, dass ich so leichtfüßig wie eine Elfe tanze. Ob dieses Kompliments blieb mir nichts Anderes als zu erröten, woraufhin er meinte, dieser rosige Hauch würde meinen Liebreiz noch steigern. Wenn seine Hand meine Taille umfasste, fühlte ich mich so zart und zerbrechlich wie eine dieser Porzellanfiguren, die bei meiner Großmutter in der Vitrine stehen. Als er mich von der Tanzfläche führte, meinte ich, im Schatten seiner breiten Schultern in der Bugwelle eines großen Schiffes zu gehen, denn um uns teilten sich die Menschen, brandeten zur Seite, um ihm Platz zu machen. Mit einer Hand umfasste er mein Handgelenk und hielt mich schützend hinter sich, damit ich nicht dem Andrang der Menge ausgesetzt wäre. Doch anstatt mich zurück an den Rand zu bringen und mich meinem nächsten Tanzpartner zu übergeben, zog er mich weiter, bis wir uns plötzlich in einem schwach beleuchteten Raum gegenüberstanden. Entlang der Wände waren kleine Alkoven eingelassen, die teilweise von schweren Samtvorhängen verdeckt wurden. Ohne mit mir zu sprechen, führte er mich zu einem und zog den Vorhang hinter uns zu. Mit seinen großen, kräftigen Händen umschloss er mein Gesicht und blickte mir in die Augen. Es war fast vollkommen dunkel, nur der Schein einer Öllampe erhellte unser intimes Beisammensein. All seine tiefen Gefühle offenbarte er mir und ich las in ihm, der mir mit seinen Augen huldigte. Die einzige Berührung, die wir miteinander teilten, war die seiner Hände an meinen Wangen und die unserer Blicke. Was er mich wissen ließ, trieb mir die Röte in die Wangen und beschleunigte meinen Puls. Meine Atmung wurde schneller und seine Augen weiteten sich, als er es registrierte. Alles in mir sehnte sich nach einem Kuss. Endlich gab er nach, beugte sich tiefer und umschloss meinen Mund mit seinem. Dieses Gefühl war so überwältigend, dass ich zum zweiten Mal an diesem Abend das Gleichgewicht verlor und mich darauf verlassen musste, von starken Männerarmen gehalten zu werden. Baron Clare enttäuschte mich nicht und presste mich enger an sich. Für einige Augenblicke meinte ich, wir beide wären nackt, denn die Hitze seines Körpers fuhr durch die Stofflagen unserer Kleider, als trennte uns nichts. Ich schmiegte mich enger an ihn und seufzte, als er sich etwas von mir zurückzog.

„Noch nie“, murmelte er rau, „wurde ich von einer Lady so leidenschaftlich geküsst wie von Euch, Lady Violet.“

Aus dem Mund meiner Mutter wäre dies schärfste Kritik gewesen, doch der Ausdruck seiner Augen zeigte mir, dass es kaum ein größeres Kompliment als dieses gäbe. Deswegen legte ich den Arm um seinen Nacken und zog ihn wieder zu mir herab. Bereitwillig führte er mich weiter in die Kunst des Küssens ein.

Nachdem Lady Monica Violet ein wenig ratlos zurückgelassen hatte, beschloss letztere, sich in Richtung Buffet zu begeben. Ihre Tanzkarte war so leer wie auch bei den letzten beiden Bällen, an denen sie teilgenommen hatte. Nur Banks hatte sich immer wieder eingetragen. Er tanzte so ungeschickt, dass sie ihm mehrmals auf die Füße getreten war, wofür er sich immer entschuldigt hatte, denn es war der Fehler des Mannes, wenn er seine Partnerin so ungenau führte. Ganz am Ende des letzten Tanzes war auch er ihr einmal auf die Zehen getreten und sie fragte sich insgeheim, ob er das absichtlich gemacht hatte.

„Lady Violet“, ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihr und sie wandte sich um.

Baron Thomas Matthews, Lady Monicas Bruder, kam in ihre Richtung.

„Ob ich wohl auf Eurer Tanzkarte noch einen freien Platz finde?“, fragte er galant und verbeugte sich.

Verwirrt, dass ein weiterer Matthews nach ihrer Aufmerksamkeit verlangte, ließ sie sich von ihm auf die Tanzfläche führen. Er zog sie enger an sich als es schicklich war und Violet versuchte, Abstand zu gewinnen.

„Ich muss Euch ein Kompliment zu Eurem bezaubernden Kleid machen“, schmeichelte er und seine Lippen streiften dabei ihr Ohr.

Unbehaglich versteifte sich die junge Frau. Sie hatte Baron Matthews noch nie ausstehen können. Er war ihr immer verschlagen erschienen und hatte einen unleugbaren Hang zur Grausamkeit. Violet wich seinem starrenden Blick aus und konzentrierte sich angestrengt auf die komplizierte Schrittfolge. Im nächsten Moment stolperte sie, da er ungenau geführt hatte und sie wäre auf dem Boden aufgeschlagen, wenn Baron Matthews sie nicht im letzten Moment am Oberarm gepackt und festgehalten hätte. Hochrot erwiderte sie seinen Blick. Er hob spöttisch die Augenbrauen.

„Wo seid Ihr nur mit Euren Gedanken, Lady Violet? So schwer ist es nun auch wieder nicht.“

Ohne Anstalten zu machen den Tanz fortzusetzen, führte er sie zu einem Stuhl am Saalrand. Beschämt ließ sie sich darauf sinken und fühlte seine Hände, die kurz ihre nackten Schultern umfassen. Dann machte er eine flüchtige Verbeugung und entfernte sich.

ZURÜCK zu Banks, der mit verschränkten Armen beobachtete, wie Matthews Lady Violet zum Tanz aufforderte. Hätte die sture Lady ihn vorhin nicht so brüsk abgewiesen, hätte er ihre Tanzkarte mit seinem Namen gefüllt. Ihm war nicht entgangen, dass sie auch bei den vorangegangenen Bällen nicht auf eine große Anzahl von Bewerbern zurückgreifen konnte. Als er sah, wie nahe Matthews sie an sich zog, spannte Banks seine Muskeln an und er biss den Kiefer fest zusammen. Welche Freiheiten nahm sich dieser Mann nur heraus? Doch Violet schien es nichts auszumachen. Allerdings stolperte sie im nächsten Moment wieder über ihre Füße. Banks konnte davon ein Lied singen. Es gab keinen Tanz, den sie wirklich fehlerfrei beherrschte. Auch er hatte sich redlich bemüht, sie so zu führen, dass sie gar nicht anders konnte, als die richtigen Schritte zu setzen. Nun ja, er war gescheitert und hatte sich gefragt, ob sie das absichtlich gemacht hatte, um ihn zu blamieren. Er hatte sich zu Tode geschämt, als er ihr auf die Zehen gestiegen war und ihr fragender Blick hatte ihm den Rest gegeben. Als hätte sie überlegt, ob er das absichtlich gemacht hatte! Sie hatte einfach überhaupt keine Ahnung von ihm! Als würde er Genugtuung daraus ziehen, sich so billig zu rächen, indem er ihr Schmerzen zufügte! Ob sie sich jemals die Mühe machen würde, ihn richtig anzusehen?

Entsetzt beobachtete er, wie Matthews sie von der Tanzfläche führte. Violets gerötete Wangen glühten, er konnte es genau sehen und ballte vor Mitgefühl die Fäuste. Dann seine Hände auf ihrer nackten Haut. Himmel, wie konnte sie Baron Matthews diese Zutraulichkeit gestatten, noch dazu, nachdem er sie so rüde behandelt hatte!

Diese ganze Situation war kaum zu ertragen. Wie es aussah, musste er zu härteren Bandagen greifen, wenn er sie beschützen wollte. Kurz entschlossen schlenderte er zum Buffet.

Trotz all der erfreulichen Begebenheiten während einer dieser gesellschaftlichen Veranstaltungen, muss ich Euch doch warnen, meine liebe Lady Amber. Es ist immer gut, seine Feinde zu kennen und wachsam zu sein. Mir ist nicht bekannt, ob Ihr Baron Thomas Matthews, Lady Monicas Bruder, persönlich kennt. Es ist mir schleierhaft, womit ich sein Missfallen erregt habe – vielleicht ist der Grund auch einfach der, dass ich ihn vor einiger Zeit habe abblitzen lassen – doch verachtet er mich, seit ich ein kleines Mädchen bin. Wahrscheinlich denkt er, ich glaube ihm die Komplimente, die er mir macht, doch er irrt sich. Ich kann das Böse in seinem Blick erkennen – in ihm ist nichts Gutes. Umso überraschter war ich, als er mich zum Tanz aufforderte. Es erfüllt mich mit Befriedigung sagen zu können, dass er der bei weitem schlechteste Tänzer ist, mit dem ich jemals getanzt habe. Wie froh war ich, als ich ihm endlich entkommen war und ich auf Lord Banks traf, der seine Aufmerksamkeit sogleich auf den Sitz meiner Kleidung richtete.

„Wie ich sehe, ist alles an seinem Platz“, stellte er mit einem schiefen Lächeln fest und streckte mir seine Hand entgegen.

Als ich meine Hand hineinlegte und sich unsere Handflächen aneinanderschmiegten, zu einem einzigen Körperteil verschmolzen, kehrte das innere Vibrieren zurück und versetzte meinem Herzen einen heftigen Schluckauf. Er führte mich aus dem überfüllten Raum, stieg mit mir die Treppen hinauf und ich wunderte mich, weshalb er sich hier so gut auskannte. Schweigend nahm er mich mit sich in die Höhen des Gebäudes, bis er eine Terrassentür öffnete und wir unter den samtenen Nachthimmel traten. Durch die geöffneten Flügeltüren des Ballsaals drang die Musik bis hier herauf. Formvollendet verbeugte er sich vor mir und ich sank in einen tiefen Knicks. Noch immer ruhten unsere Handflächen aneinander und er löste auch nun diese intime Verbindung nicht, sondern legte die andere Hand an meine Hüfte und zog mich näher zu sich heran. Langsam begannen wir, uns zu der fernen Melodie zu bewegen und ich schloss die Augen, um hier in dieser verzauberten Schatzkiste unter diamantenen Sternen zu versinken. Eingebettet in seinen Armen ließ ich mich treiben und als ich die Augen öffnete, fing sein Blick meinen auf. Er musste nichts tun, um mein Innerstes in Aufruhr zu versetzen. Seine Anwesenheit allein war unschicklich. Oder seine Auswirkungen auf mich.

Matthews Nähe hatte Lady Violet so sehr erschüttert, dass sie beschloss, dringend frische Luft zu schöpfen. Sie sprang vom Stuhl auf und bahnte sich einen Weg in Richtung der Flügeltüren. Fast hatte sie es geschafft, als sich ein Mann mit einer schnellen Bewegung umdrehte, mit ihr zusammenstieß und den Inhalt seines Glases über ihrem Dekolleté verschüttete. Entsetzt schnappte sie nach Luft und als sie den Kopf hob, wunderte es sie nicht, dass es Banks war, der ihr diese Schmach angetan hatte.

„Mein Gott, Banks!“, keuchte sie und errötete.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752141320
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
Briefwechsel Spott Beschützer England gesellschaftliches Ereignis Liebe Adelskreise Außenseiter Humor

Autor

  • Junia Swan (Autor:in)

Junia Swan entdeckte schon als Kind ihre Leidenschaft, sich Geschichten auszudenken und diese aufzuschreiben. Sie wohnt in einer historischen Kleinstadt mit italienischem Flair, in der Nähe ihrer Geburtsstadt Salzburg. Jedes ihrer Bücher hat eine besondere Entstehungsgeschichte. In ihrem Alltag kommt sie mit Themen in Kontakt, die sie zutiefst bewegen. Für die Autorin macht eine gute Geschichte eine Handlung aus, welche die Komplexität der Beziehungen und Situationen spiegelt und lebensnahe ist.
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Titel: Lady Violets pikante Briefe