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Pendrake 2- Finding you

Finding you

von Gabby Zrenner (Autor:in)
711 Seiten
Reihe: Pendrake, Band 2

Zusammenfassung

Werden Sherlock und Victoria einen Weg finden, zusammen zu sein? Oder ist Sherlock tatsächlich durch seine Vergangenheit zu kaputt, um sich an einen Menschen zu binden, ohne einen zwingenden Grund? Den hätte Victoria! Aber er soll sie freiwillig wählen. Sie! Und nicht die Umstände und bereit sein für ihre Liebe zu kämpfen. Kurz scheint es, als könnte es dazu kommen, doch dann gerät Victorias Welt erneut aus den Fugen und Sherlock scheint unweigerlich verloren. So aussichtslos, dass sie beginnt einen anderen Weg zu suchen, der sie glücklich machen kann, auch wenn sie sich fast selbst dabei verliert. Und dann wäre da noch die tägliche Bedrohung durch Markus, die durch den Angriff wieder real geworden ist und mit der sich Victoria und auch ihre Freunde nun auseinandersetzen müssen. Nur wie gefährlich ist er wirklich? Leider bekommt Victoria die Antwort auf diese Frage auf brutalste Weise. Als an einem Abend voller Streit mit den anderen, Sherlock sich völlig daneben benimmt und sie tief verletzt, scheint sich jeder gegen sie zu wenden und sie flieht vor dem Gefühl nur noch Ballast zu sein, direkt in ihr Verderben.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

 

 

 

 

 

Pendrake - finding you

Band 2

 

 

von

 

Gabby Zrenner

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 1

 

Der Narr hält sich für weise, aber der Weise weiß, dass er ein Narr ist.

William Shakespeare

 

In den letzten Wochen hatte sich mein Leben komplett verändert. Nicht nur hatte ich meine Erbschaft angetreten und war zu Lady Pendrake geworden, ich hatte mich auch verliebt und meine Unschuld verloren an den wundervollsten und kompliziertesten Mann auf Erden.

Leider waren wir so dumm gewesen, nicht zu verhüten. Folglich lag ich hier in meinem Bett, streichelte den Babybauch und grübelte, um eine Lösung zu finden.

Tausendmal in den letzten Tagen hatte ich angesetzt, es ihm zu sagen, aber immer blieb mir die Wahrheit im Hals stecken. Ich wusste, wie falsch es war, es ihm zu verheimlichen, dennoch die Angst, dass er mich wieder von sich stieß, war zu groß. Ich brauchte ihn im Moment mehr als alles andere bei mir, denn Angst war seit Markus mir aufgelauert und mich angegriffen hatte in so vielerlei Hinsicht mein Begleiter.

Mittlerweile heilten die meisten Verletzungen, aber es war weiterhin schwierig, länger zu stehen oder zu laufen und mein Handgelenk würde noch einige Zeit brauchen, bis ich es wieder voll belasten konnte. Seit dem Angriff war ich im Haus geblieben, nur einmal im Garten spaziert. Mir ging es psychisch schlechter als ich es mir selbst oder den anderen gegenüber zugeben wollte. Aber bald musste ich wohl oder übel mit der Außenwelt klar kommen.
Samstag war die Hochzeit in Devon, auf die mich Sherlock begleitete, aber die Vorstellung, da raus zu gehen, unter Menschen, kam mir vor wie eine unüberwindbare Hürde.

Tatsächlich hatte Sherlock seit Sonntag körperlich Abstand zu mir gehalten. Manchmal nahm er meine Hand oder strich mir übers Gesicht, aber mehr nicht. Dafür kümmerte er sich in jeder anderen Hinsicht mit einer Engelsgeduld um mich. Obwohl ich ihm ansah, dass vor allem, wenn wir an seiner Arbeit saßen, es ihm schwerfiel, geduldig zu sein und nicht die Beherrschung zu verlieren, blieb er stets ruhig. Die übrige Zeit lag er neben mir, während wir fernsahen oder lasen. Jeden Abend machte er mir etwas zu essen und jeden Morgen kam er mit einem Kaffee für mich, um nach mir zu sehen und sich zu verabschieden, bevor er in die Uni fuhr. Hätte er bei mir geschlafen, man hätte uns für ein altes Ehepaar halten können.

Was mir nur lieb gewesen wäre, denn die Nächte ohne ihn waren schwer. Ich hatte oft lange wach gelegen, starr und steif vor Angst, aber die Treppe nach unten zu Sher war in mehrfacher Hinsicht nicht zu bewältigen. Zum einen wusste ich, dass es ihm schwerfiel, mich in den Arm zu nehmen, er brauchte im Moment den Abstand und zum anderen bereitete mir allein der Gedanken an all die Schatten nicht zu überwindende Panik. Keine Nacht war seitdem ohne Alptraum vergangen. Keine Nacht, in der ich nicht schweißgebadet aufgewacht war mit rasendem Herzen.

Aber genau wie die Sache mit der Schwangerschaft blieb die Wahrheit darüber ein Klumpen tief in mir drin, den ich nicht hochbekam, um Sie ihm zu erzählen. Immer wenn er mich morgens fragte, wie ich geschlafen hätte, sagte ich deswegen etwas wie einigermaßen, die Hüfte tut weh oder etwas anderes in der Art. Ihn auch noch damit zu belasten, war für mich unmöglich. Ich liebte diesen unkomplizierten und vertrauten Umgang miteinander zu dem wir gefunden hatten und wollte ihn auf keinen Fall zerstören.

Die Beziehung zu Henry war dadurch alles andere als entspannt. Er belog seinen besten Freund und seinen Partner wegen mir. Wobei ich manchmal vermutete, dass er David schon eingeweiht hatte, da dieser mich letztes Mal ziemlich seltsam gemustert hatte. Ehrlich gesagt, stritten wir immer wieder deswegen und wäre Alistair nicht für mich eingetreten, hätte Henry es Sherlock längst erzählt. Al konnte ihn aber davon überzeugen, dass ich psychisch nichts mehr verkraftete. Somit begnügte sich Henry vorerst damit, mir Vorhaltungen zu machen. Mittlerweile waren Bluttest und Ultraschall erledigt und Henry hatte mich mit Folsäure und Vitaminen versorgt, die ich notgedrungen in meiner Wäscheschublade versteckte, damit Sher sie nicht sah. Alles war bis jetzt mit dem Baby und mir ok, aber es war ja erst der zweite Monat, somit konnte ich nur hoffen, dass meine Verletzungen und die Medikamente sich nicht doch negativ ausgewirkten.

Träge starrte ich an diesem Morgen in die Dunkelheit vor dem Fenster. Es würde noch eine Weile dauern, bis die ersten Sonnenstrahlen den Himmel erreichten. Bereits seit Stunden döste ich nur vor mich hin. Diese Nacht hatte ich so gut wie gar nicht geschlafen und seit einer Stunde mochte ich nicht mal mehr die Augen schließen, um die Bilder dahinter nicht zu sehen.

Autoscheinwerfer zauberten Lichtstrahlen in der Ferne, die mich zumindest etwas von den Schatten ablenkten. An den Autos und Geräuschen hatte ich mittlerweile gelernt, einzuschätzen, wie spät es war. Der eine Nachbar zum Beispiel fuhr jeden Morgen um 5 Uhr los. Gegenüber das Mädchen ging um 6.45 aus dem Haus und immer um 7.20 lief eine Gruppe Schüler vorne an der Hauptstraße lang und unterhielt sich lautstark. Kurz darauf kam Sherlock wie ein Uhrwerk zu mir.

So auch heute. Er klopfte an die Tür und trat dann lächelnd ein. »Guten Morgen, gut geschlafen?« Jeden Morgen die gleiche Frage. Jeden Morgen fast die gleiche ausweichende Antwort.

»Ja, aber ich freu mich drauf, wenn ich wieder besser auf der rechten Seite liegen kann. Und du?«

Er drückte mir meine obligatorische Tasse Kaffee in die Hand. »Nicht besonders. Ich hab mich an dem Artikel über die Ausgrabung in Schottland verbissen. Bis 3 Uhr war ich wach, um daran zu arbeiten und dann hab ich davon geträumt, dass ich was vergessen hätte, was ich gerade nachgelesen und natürlich nicht vergessen habe.«

Liebevoll nahm ich seine Hand. »Wie konntest du je an dir zweifeln?«

»Nicht wahr?« Er verschränkte unsere Finger, was schon mehr war als ich erhoffte und grinste mich für einen Moment breit an. »Vi, ich hab überlegt, heute Nachmittag schon bis Blackhill Manor, meinem Stammsitz zu fahren. Von dort ist es nur eine halbe Stunde bis zu den Beresfords. Dann hätten wir genug Zeit, um die Bibliotheken zu besichtigen und zum Meer zu gehen.« Prüfend musterte er mich. »Wenn du dich gut genug fühlst.«

Gemischte Gefühle breiteten sich in mir aus. Eigentlich wollte ich nirgendwo hin, aber andererseits ein Ausflug ans Meer klang wunderbar. Sein zu Hause sehen. Die Angst, mich der Welt zu stellen, überwog jedoch. »Vielleicht fahr ich besser nicht zur Hochzeit. Die Naht ist noch nicht verheilt und die Hüfte und so und dann bin ich ständig müde«, wand ich mich in halbgaren Ausflüchten, ohne ihm in die Augen sehen zu können, weil ich mich für erbärmlich feige hielt.

Er legte mir den Arm um die Schulter. »Ich bin doch bei dir Kleines. Du musst irgendwann da raus.«

Seit Sonntag hatte er mich kaum berührt und ich schmiegte mich direkt an seine Schulter. »Ich weiß, aber es ist so verdammt schwer.«

»Du schläfst nicht gut, oder?«

Es fiel mir schwer, das zuzugeben. Wie immer kam ich mir dann schwach vor und schämte mich dafür. Genauso leise und krächzend war meine Stimme, als ich in Richtung meiner Beine zugab. »Woanders schaffe ich die Nächte nicht. Wenn mir alles fremd ist und ich aufwache, weiß ich nicht, wo ich bin und bekomme Panik.« Fast tonlos fügte ich an. »Noch mehr Panik.«

Er drückte mich fest an sich. »Wie damals in der Wohnung?«

Ich nickte. Im Grunde war jede Nacht nah dran, so auszuufern.

»Und wenn ich bei dir bleibe? Zusammen in einem Bett oder in einem Raum?«

Da waren so viele Gefühle, die auf mich einstürmten. Pure Sehnsucht nach seiner Nähe. Freude, aber auch Sorge es zu vermasseln und ihn zu verschrecken, weil ich ihm zu nahe kommen könnte. Die Vorstellung neben ihm einzuschlafen und aufzuwachen war so schön, dass er mich damit sogar zur Hochzeit überreden konnte. Leise nuschelte ich in sein Hemd: »Das wäre schön.«

Unerwartet gab er mir einen Kuss auf die Stirn, der erste seit Sonntag und mein Herz blieb stehen, nur um dann viel zu schnell weiter zu galoppieren. »Dann machen wir das.«

Mein Verstand konnte gar nicht glauben, was er sagte, oder mein Herz?

»Kleines, ich muss los. Auf dem Heimweg hol ich dein Kleid ab.« Nochmal drückte er mich. »Du fühlst dich so gut an Vi, ich könnte dich ewig im Arm halten.«

Zurückhaltend hauchte ich ihm einen Kuss auf die Brust. »Bis nachher Sher.«

Nachdem er gegangen war, schlief ich wieder ein. In den letzten Tagen funktionierte es immer besser, wenn ich Henry werkeln hörte und es draußen heller war.

Frisch geduscht packte ich später am Tag meinen kleinen Koffer für die Fahrt. Als ich alles reingestopft hatte, lief ich runter, wo Henry schon in der Küche anfing Gemüse zu schneiden. »Ist das schon fürs Dinner?«

Vehement hackte er Möhren klein, als wären sie der Inbegriff des Bösen. »Ich wollte, dass du noch was Vernünftiges isst, bevor ihr fahrt.« Henry sah hoch, wieder mit diesem streitlustigen Blick. Im Moment war er ständig sauer auf mich. »Hast du es ihm gesagt?«

Seufzend klaute ich mir eine Möhre und ließ mich auf den Hocker der Kücheninsel nieder. »Nein Henry, jedes Mal wenn ich es versuche, schnürt sich mein Hals zu. Und vor der Uni?«

Er zeigte mit dem Messer direkt auf meine Brust. »Du musst es ihm sagen, Victoria. Das ist kein Spiel. Er hat ein Recht, das zu wissen.«

Wütend biss ich in die Möhre und schmatzte. »Denkst du, es hilft dir, dich wie ein Kind aufzuführen?« Wir hatten dieses Gespräch immer wieder geführt. »Henry, ich sag’s ihm, gib mir Zeit, bitte. Vielleicht schaff ich es ja am Wochenende.«

Frustriert schmiss er das Messer auf die Theke. »Dann kommst du zurück und hattest Angst, er würde dich aussetzten oder allein lassen.«

Verlegen sah ich auf den Boden. »Ja, wahrscheinlich schon. Ich hab einfach Angst.«

Das Gemüse landete im Topf. »Umso länger du wartest, umso mehr wird er verletzt sein.«

Auch das hatte er mir schon tausendmal unter die Nase gerieben und natürlich hatte er recht damit. Das wusste ich selbst. »Vielleicht geh ich besser weg.«

Ruckartig stoppte er mitten in der Bewegung. »Spinnst du jetzt völlig? Wo willst du denn hin? Und es ihm gar nicht sagen? Vi, auch wenn das zwischen euch eine einmalige Sache war, hat er doch ein Recht darauf zu erfahren, das er Vater wird.«

Noch ein Geheimnis, das ich hütete. Henry wusste nichts davon, dass Sher und ich uns unsere Liebe gestanden hatten, aber Sher keine Beziehung wollte. Irgendwann würde das alles über mir zusammenbrechen. »Weißt du, es gibt bestimmt einige, die sagen würden, ich hätte das Recht darüber alleine zu bestimmen. Mein Körper, meine Entscheidung.«

Der Blick, den er mir jetzt zuwarf, war so bitterböse, dass ich direkt ein paar Zentimeter schrumpfte. Gefährlich ruhig entgegnet er. »Du findest es also moralisch und ethisch richtig, nur weil ein Mann nicht in der Lage ist das Kind auszutragen, es ihm vorzuenthalten, ihm zu verweigern? Ihm nicht mal bei den Überlegungen mit einzubeziehen? Das ist arm Vi, ernsthaft.«

Langsam wurde ich wütend. »Arm? Kommst du gleich damit, ich hab dich besser erzogen? Das ist meine Entscheidung, mein Leben. Er will es doch gar nicht. Du hast nicht gesehen, wie erleichtert er war, als er den negativen Test gesehen hat. Henry, er hat gesagt, es wäre schlimm, wenn ich schwanger wäre. Wie bitte soll ich es ihm denn dann sagen?«

Henry kämpfte mit seiner Wut, sein Gesicht arbeitete. Vielleicht suchte er auch nach dem nächsten Argument.

Die Suppe roch jedenfalls gut und ich bekam Hunger. Kein Wunder, wenn man bedachte das ich nichts gefrühstückt hatte. Wieder biss ich bin die Möhre und sah dem Wind zu, der die Blätter umhertanzen ließ.

»Sag’s ihm am besten gleich! Sofort wenn er kommt, ich denke, er wird dich überraschen.«

»Was soll sie wem sagen?« Sherlock kam in die Küche.

Sofort bildete sich der Kloß in meinem Hals. Henry zuckte mit der Schulter. Wütend funkelte ich ihn an. »War das jetzt deine Taktik? Hast du gesehen, dass er da ist?« Ich sprang vom Hocker und klappte direkt zur Seite, keine gute Idee, ein stechender Schmerz schoss mir durchs Bein. Wie konnte ich meine Verletzung vergessen. Das verdoppelte meine Wut geradezu. »Du bist nicht mein Vater oder mein Bruder oder sonst was. Du bist mein Arzt und der Bruder meines besten Freundes. Mehr nicht! Also halt dich aus meinem Leben raus oder du kannst ausziehen, sofort!« Sein Blick war geschockt und zutiefst verletzt. Was hatte ich da nur gesagt, direkt wollte ich es am liebsten zurücknehmen.

Selbst Sherlock sah mich verwundert an. »Kleines? Was bitte schön kann so schlimm sein.«

Feste rieb ich mir über die Augen und ging langsam zu Henry, der jeden meiner Schritte verfolgte. Rau sagte ich. »Tut mir leid, ich … , zu viel Henry, einfach zu viel.« Und brach in Tränen aus.

Sorgsam nahm er mich in den Arm. »Ist schon gut Vi, aber du merkst doch selber, dass es dir so nicht gut geht.«

Ich drückte ihn ganz fest. »Ich hab dich so lieb.«

»Das sind nur die Hormone.«

Ich wurde direkt steif. »Du bist eine Frau, da sind immer die Hormone schuld, ist doch praktisch.«

Sherlock lachte, ohne Verdacht zu schöpfen. »Als Mann muss man sich erst ordentlich betrinken, um eine gute Entschuldigung zu haben.«

Henry stimmte ihm überschwänglich zu und verkündete. »In 15 Minuten können wir essen.«

Kapitel 2

 

Fast wünschte ich mir, wir wären Schmetterlinge und lebten nur drei Sommertage lang. Drei solche Tage mit dir könnte ich mit mehr Entzücken füllen, als fünfzig gewöhnliche Jahre jemals fassen könnten.

Sommer Bright Star, von John Keats

 

Ich hatte gegessen, bis ich fast geplatzt war, obwohl Henry mich ständig mit Blicken strafte und Sherlock mich misstrauisch beäugte. Anscheinend war ich jetzt in der immer Hunger Phase, egal was kam.

Wenige Stunden später bogen wir von der Autobahn auf eine Landstraße, die einen herrlichen Ausblick auf eine weite grüne Landschaft bot. Wir fuhren zwischen grünen Feldern und kleinen Waldstücken voller alter Bäume hindurch, die eine aus der Zeit entrückte Atmosphäre erzeugten.

»Es ist wirklich schön hier.«

Sherlock wirkte seit einiger Zeit abwesend, ich war mir nur nicht sicher ob gut oder schlecht abwesend. »Wenn wir mal länger bleiben können, zeig ich dir Exeter und Dart Moor. Morgen ist erst mal das Meer dran, zumindest ein kurzer Ausflug. Mittags müssen wir ja leider schon zur Hochzeit.«

Von der Seite murmelte ich: »Wir könnten sie ja auch sausen lassen.«

Sein schiefes Lächeln erschien. »Besser nicht. Leider sollte man solche gesellschaftlichen Verpflichtungen wahrnehmen. Meistens ist es auch ganz nett. Aber jetzt Augen nach vorne. Nach der nächsten Kurve sind wir auf der Zufahrt zu Blackhill Manor, zu Hause der Crofts seit 1857.« Bei diesen Worten war er sichtlich aufgetaut und sein Gesicht erhellte sich merklich. Ihm bedeutete das Haus etwas, das war klar.

Kaum später bog er ab in eine kleinere ungepflasterte Straße, die eher wie ein Feldweg wirkte, mitten durch ein bewaldetes Gebiet. In der Ferne machte ich bereits einen Gitterzaun mit Tor und ein beiges Herrenhaus im neugotischen Stil aus. Es war relativ schlicht gehalten, aber dennoch wunderschön mit seinen Kassetten Fenster, den typischen Streben, vielen Schornsteinen und insgesamt wesentlich imposanter als Pendrake Hall. Der Kies der Auffahrt vor dem Haus knirschte unter den Reifen und Sher hielt direkt vor einer dunklen zweiflügligen Holztür, aus der 4 Leute kamen … in Livree? Zwei jüngere Männer quasi in Uniform, eine ältere Dame im Kostüm mit Rock und ein Mann schätzungsweise gleichen Alters im Tweed Anzug.

»Die sehen aus, wie aus einem Film.«

Sherlock grinste kurz, wurde aber sofort wieder ernst. »Keine Hände schütteln, nur leicht den Kopf neigen, verhaltenes Lächeln, eher neutral. Du bist die Lady, sie die Bediensteten. Ja altmodisch, aber die beiden sind so. Eigentlich liebt der englische Adel das alte Leben, also bitte halt dich dran, bitte … biiiiiiiiittttteeee.«

Ich neigte höflich den Kopf mit freundlichem Gesichtsausdruck.

»Perfekt, na dann los.« Und Lord Sherlock Richard Percival Croft stieg aus seinem standesgemäßen Aston Martin und wuchs in meinen Augen um mindestens 10cm durch Würde, Stil und Unnahbarkeit.

Natürlich öffnete er mir die Tür, gut, dass ich darüber nachgedacht hatte, und reichte mir die Hand zum Aussteigen. Würdevoll schritten wir zu dem älteren Paar, das sich verneigte, leicht, aber tatsächlich, was mich veranlasste ein Kichern mühsam zu unterdrücken. Sherlock stellte mich vor und ich wurde extrem steif begrüßt. Das Ganze kam mir vor wie bei einer Comedy Serie, aber gut. Mr. und Mrs. Brown, Haushälterin und Butler berichteten das wichtigste, ein leichtes Dinner wurde bestellt und so einiges anderes besprochen, während ich schon weiter das Haus betrachtete. Die übrigen zwei wurden ignoriert, trugen aber direkt Koffer rein und Mrs. Brown befahl mein Kleid in die Wäschekammer. Sie würde es mir für morgen aufarbeiten. Was auch immer das bedeutete.

Ich neigte wieder meinen Kopf, freundlich, hoffentlich zustimmend dankbar. Wahrscheinlich dachten sie, ich sei stumm oder schlichtweg zurückgeblieben. Aber egal, damit mussten sie leben, wenn ich nicht einen Lachanfall bekommen sollte und ich war fest entschlossen Lord Croft nicht zu blamieren.

Sherlock reichte mir stilvoll den Arm und marschierte kerzengerade und zügig ins Haus. Die Eingangshalle war der Hammer und ich bemühte mich wirklich, nicht zu glotzen und den Mund geschlossen zu halten. Shers Mundwinkel zuckten, als er mich ansah. Marmor Fußboden, eine breite riesige Treppe nach oben, belegt mit rotem Teppich. Im ersten Stock eine Galerie geschmückt mit Wappen und eine Ritter Rüstung in der Ecke. Überall blitzte und glänzte Messing, Holz, Gold, Marmor. Das war so unwirklich und herrschaftlich, dass ich vor lauter Staunen fast über meine Füße stolperte.

Sher zog mich unauffällig galant die Treppe hoch, was etwas dauerte, da ich immer noch leicht humpelte. Oben angekommen hielt er mir direkt die erste Tür auf der rechten Seite auf und deutete mir mit gestrecktem Arm einzutreten. Er allerdings kehrte noch einmal zurück und bestellte Tee. War ja klar. Tee! Und dirigierte unsere Koffer zu ihm.

Mit Koffern beladen, kam er zurück und mit geschlossener Tür hatte der Mann auch wieder ein Lachen. »Kleines, denk an die Fliegen.« Sanft hob er mein Kinn und schloss meinen Mund.

»Sherlock, warum habe ich mich nicht besser angezogen. Wenigsten trage ich keine Jeans, dann würde ich vor Scham versinken. Das hier ist atemberaubend und ehrlich gesagt beängstigend.« Wir standen in einem Arbeitszimmer, so groß wie die Grundfläche meines Hauses. Vielleicht nicht ganz so groß, aber es war riesig. Ein riesiger Kamin, in dem ich fast schon stehen konnte, davor eine Chesterfieldcouch in schokoladenbraunem Leder zum Verlieben, alte Ohrensessel an den Fenstern und natürlich der obligatorische Schreibtisch vor einer 10 Meter Wand mit Einbauregalen.

Wie magisch angezogen stolperte ich sofort dorthin, strich über Buchrücken und nahm das ein oder andere Buch heraus. Ein paar waren nicht im besten Zustand und ich behielt sie im Arm, um sie mir genauer anzusehen.

Sherlock tippte mir auf die Schulter. »Victoria, ich werde gerade eifersüchtig.« Ich brummte nur und ging weiter. Hinter mir lachte Sher leise in sich hinein. »Was machst du denn mit den Büchern auf deinem Arm?«

Ich hatte die Wand erst grob abgelaufen, wirklich nur sehr grob, bei dem Bestand und hatte bereits acht Bücher aussortiert und legte sie nun auf den Schreibtisch.

Sher sah mich abwartend an. »Würdest du mir erklären, wofür du sie ausgesucht hast?«

Abwesend sah ich hoch. »Natürlich, Sekunde.« Ich begutachtete sie genauer und ordnete 4 Stapel. Sherlock stand mit diesem Prof Blick vor mir und hatte die Brille aufgezogen. »Also Sherlock. Bei denen hier löst sich die Bindung auf, diese haben fürchte ich einen Pilz, man sollte es behandeln, es sei denn, sie sind es dir nicht wert. Das hier, das Leder am Rand müsste man aufarbeiten, bevor es riesiger und trockener wird. Und das hier.« Ich sah in Sherlocks leicht verwundertes Gesicht. »Sher, das ist nicht zu retten.«

Völlig perplex blaffte er. »Was? Das sieht doch gut aus.«

»Finde ich auch, deswegen werde ich es lesen.«

Er grinste und zog mich in seine Arme, hielt mich locker an der Hüfte und sah mich wieder so intensiv an, dass mir ganz schwindelig wurde.

»Kein Wunder, dass ich mich in dich verliebt habe.« Er strich mir die Haare zurück »Ist dir aufgefallen, dass es hier ein Faberge Ei gibt und haufenweise Sachen aus Gold, antike Stücke?«

Verlegen sah ich mich um. Wow, hier gab’s richtig viel Zeug, das superteuer aussah. »Wo ist das Ei? Ist es echt? Ich hab noch nie eins gesehen.«

Er führte mich mit der Hand im Rücken zu einer Vitrine.

»Wow, beeindruckend.« Ich besah es mir durch die Scheibe und flüsterte ihm ins Ohr. »Ziemlich kitschig, oder?«

Das brachte ihn dazu lauthals aufzulachen. »Willst du nicht wissen, was es wert ist?«

Verwirrt sah ich ihn an. »Warum? Ich will’s doch nicht kaufen.«

Wieder fing er an zu lachen.

Meine Aufmerksamkeit galt aber schon einem Schaukasten neben den Vitrinen. »Sherlock, ist das eine Münze von Caligula?«

Er legte mir den Arm über den Rücken mit der Hand auf meiner Hüfte und hauchte ein ziemlich sinnliches »Ja«, in mein Ohr und schmuste mit meiner Schläfe. Nicht das ich was dagegen hatte, aber irgendwie wusste ich nicht so recht, wie ich damit umgehen sollte, geschweige denn, was es bedeutete. Egal, was er mir an Nähe gab, ich würde es aufsaugen, wie ein Schwamm.

»Sherlock das ist so cool, lauter römische Münzen und Fibeln. Was ist das?«

»Ein Dodekaeder. Man konnte noch nicht klären, wofür es verwendet wurde. Meins hier ist aus Bronze, aber es gibt sie in unterschiedlichen Größen und Materialien. Manche meinen Kerzenständer, manche einfach Würfel, andere glauben an Messinstrumente. Finde es heraus und du wirst berühmt.« Der Prof schielte mich über die Brille an und ich sog seinen Anblick auf. Es klopfte kurz und die Tür schwang auf. Uns wurde der bestellte Tee serviert. »Vielen Dank Mrs. Brown, Victoria?«

Freundlich drehte ich mich um, aber sie war schon wieder weg. Durch die geänderte Blickrichtung sah ich etwas, auf das ich zielstrebig zu rannte. Ein Monet, ein kleiner Monet. Ich musste mich beherrschen die Finger nicht über die Farbe gleiten zu lassen.

Sherlock stand bereits hinter mir. »Mach ruhig.«

Wie gut er mich doch kannte. Unsicher warf ich ihm ein Seitenblick zu, aber er bekräftigte mich mit einer Geste und ich fuhr sanft mit den Fingern über das Bild und stöhnte auf. »Oh Gott. Vielleicht hat Monet das auch so berührt, also fass ich ihn an, das ist so ... überwältigend.«

Er verschränkte seine Arme vor meinem Bauch und zog mich fest an sich. »Bist du scharf auf ihn?«

Ich hauchte selig: »Ja und wie.« Er gluckste dunkel. Ich konnte meine Finger gar nicht mehr von dem Bild nehmen, ging ganz nah dran, lehnte mich zurück, wobei Sher immer mit musste. »Ist das nicht faszinierend, wie er das hinbekommen hat?«

»Willst du wissen, was es wert ist?«

Ich strich über eine Mohnblume. »Das vergesse ich eh wieder bis morgen. Warum fragst du mich sowas? Sherlock sieh es dir an, es ist wunderschön, unbezahlbar schön.«

Schwungvoll drehte er mich zu sich um und sah mir wild in die Augen. Vor Überraschung quiekte ich kurz und stützte mich dann mit den Händen auf seine Brust. Bevor ich begriff, was los war, lag sein Mund schon auf meinem. Fest und leidenschaftlich. Zuerst zuckte ich erschrocken zurück, aber dann schlang ich meine Arme um ihn und versank in diesem Gefühl, ließ mich völlig in diesem Ziehen aus Sehnsucht und Glück fallen.

Leider endete es viel zu schnell. Sher legte seinen Kopf neben meinen auf die Schulter. »Ich liebe dich Victoria. Deswegen, weil du den wahren Wert siehst, weil du Dinge mit dem Herzen betrachtest.« Er hielt mich noch einen Moment fest, in dem ich hoffte, er würde mich wieder küssen, richtig küssen, aber er ließ mich los und ging zum Tisch, um mir einen Becher Kaffee zu reichen. »Tut mir leid, ich weiß das war nicht regelkonform. Ich halt mich ab jetzt zurück.«

Ich nippte verdrossen an der Tasse und verzog mein Gesicht. »Die Regel ist deine. Gibst du mir Tee, der Kaffee ist zu stark.«

Er zog die Augenbrauen hoch und nahm einen Schluck. »Finde ich nicht, aber klar.« Er goss mir Tee in eine feine kleine Tasse und ich plumpste auf das Chesterfieldsofa.

»Eigentlich ist das eher ein Whisky Sofa.«

Er nahm neben mir Platz und lehnte sich schwer ins Polster. »Kein Problem, wir können nachher meine Bar durchprobieren. Da sind ein paar verdammt Gute bei, die du bestimmt zu schätzen weißt.« Dabei drehte er sich seitlich zu mir. »Du bist die erste Frau, die ich kennengelernt habe, die wirklich gerne Whisky trinkt und dann auch noch die Wahrheit sagt, außer natürlich ein paar Schottinnen, die allerdings meistens schon über 60 sind.«

»Was meinst du mit Wahrheit?«

Grinsend strich er mir mit dem Daumen über die Lippen. »Ich werde nie vergessen, wie du mir erklärt hast, dass meine 800 Pfund teure Sammelflasche scheußlich geschmeckt hat.«

Ich wurde rot. »Ich wusste es ja nicht. Gott war ich froh, als ich noch eine bekommen hatte. Warte, ich hab 1200 Pfund bezahlt.«

Er riss die Augen auf. »Ernsthaft? Und ich wollte ihn eigentlich trinken.«

»In der anderen Flasche ist noch was drin, steht im Kleiderschrank.«

Und wieder kam sein Gesicht meinem so nah, dass alles anfing zu kribbeln. »Darf ich?«

»Was?«

Erneut strich er mir über die Lippen und mein Körper bestand nur noch aus kleinen Funken, die in alle Richtungen stoben und seltsame Gefühle hinterließen. Wollte er mich küssen?

Unsicher nickte ich, woraufhin er meine Tasse nahm und sie auf dem feinen antiken Tisch neben sich abstellte. Fast schon benommen sah er mich an und sagte rau: »Soll ich dir mein Bett zeigen … aus der Tudor Zeit.«

In mir flog alles auseinander, Sehnsucht so intensiv und schmerzvoll und so süß, dass es kaum zu ertragen war. Mein Mund war trocken und ich hauchte atemlos: »Ja.«

Sanft nahm er meine Hand und zog mich geschmeidig mit sich nach oben, bevor er mit mir durch eine Tür weiter hinten schritt. Ohne ein Wort schloss er langsam die Tür hinter sich, sah mich schwer atmend an und stürmte im nächsten Moment auf mich zu.

Mein Verstand verflüchtigte sich sofort. Alles, was ich wollte war, Sherlock fühlen, riechen, schmecken. Fast sofort fingerte ich an seinem Hemd, zog es aus der Hose, schob meine Hand auf seine Haut, warm, weich, Sherlock, nur noch er.

Er zog mir meinen Pullover über den Kopf, hielt kurz inne und sah mich an. »Victoria, ist das wirklich in Ordnung? Du weißt, dass ich nicht mehr will, ... kann.«

Ich vergrub mein Gesicht an seinem Hals und biss in sein Schlüsselbein, was er mit diesem kehligen Geräusch belohnte. »Ja Sher.« Alles, ich würde ihm alles geben, was er zuließ. Ich brauchte ihn so sehr.

Er schob mein Trägershirt über den Kopf und liebkoste meine Brüste. Sinnlich bedeckte er sie mit Küssen und schloss die Lippen um meine Brustwarze. Zärtlich und langsam saugte er sie ein, ließ seine Zunge warm darüber gleiten.

Mein Körper reagierte so heftig auf ihn, dass ich nur noch seine Haut auf meiner wollte. Für diese Spielerei hatte ich keine Geduld. Ich musste ihn fühlen. Endlich wieder eins werden mit diesem Mann, der meinen Verstand, meinen Körper und mein Herz so vereinnahmte. Geschickter als erhofft, öffnete ich die oberen Knöpfe seines Hemdes. Er half mir und zog es direkt mit Shirt über den Kopf.

Endlich konnte ich wieder seinen wunderschönen Oberkörper bestaunen und durfte mit meinen Händen drüber streifen. Er sah mich so gierig an, dass mir ein Stromstoß zwischen die Schenkel schoss.

Meine Finger flogen sofort zu seiner Hose, um sie zu öffnen, und er fing an zu grinsen. »Wenn du dich sehen könntest, als würdest du durchdrehen, wenn ich nicht in 2 Sekunden nackt wäre.«

Ich küsste in stürmisch, verlangend, meine Zunge spielte mit seiner, meine Hand legte sich über seine Erektion und wir stöhnten gemeinsam auf. Seinen Kiefer küssend und beißend fand ich den Weg zum Ohr. »Du hast 2 Sekunden, um mich aufs Bett zu schmeißen und zuzustoßen, bevor ich wahnsinnig werde.«

Er seufzte knurrend, packte mich um die Hüfte, warf mich aufs Bett und lag in der nächsten Sekunde über mir, während ich schon an meiner Hose zerrte. Seine Augen so stürmisch, sein Mund so fordernd, dass ich nichts mehr denken konnte. Mein Körper, mein Herz, meine Seele schrien nach ihm und dieses Gefühl von Verlangen war so stark wie nie zuvor.

Sanft legte er seine Hände auf meine. »Langsam Vi, denk an deine Wunde.« Er stand auf und mein Herz geriet aus dem Takt. Würde er aufhören? Ich brauchte ihn doch. Aber im nächsten Moment lächelte er und zog mir vorsichtig die Hose aus. Dabei glitt sein Blick genüsslich über meinen Körper und meiner über seinen, aber er war so weit weg. Viel zu weit weg von mir.

Langsam glitt er mit seinen Händen über meine Beine, küsste neben die verletzte Stelle und besah sich meine Hüfte. Vorsichtig und ganz sanft senkte er seine Lippen auf den restlichen Bluterguss und küsste langsam jeden Zentimeter meiner malträtierten Haut, mit dem Finger die Unterhosen immer ein Stück zur Seite drückend, wo sie gerade störte. Das war zu wenig, schön, liebevoll, aber zu wenig für das, was seit Wochen in mir brodelte.

Meine Hände krallten sich in seine Schulter und ich stöhnte auf. »Sher ausziehen.«

Er krabbelte zu mir hoch und grinste mich an. »Was denn mein Schatz?«

Ich schnappte nach seinem Mund, aber er entzog sich mir und mein Körper bog sich ihm entgegen. »Alles.« Er hielt mein Gesicht in seinen Händen und seinen Mund knapp über meinem. Ich schlang ein Bein um ihn und versuchte erneut, ihn zu küssen, aber er hielt mich unüberwindbar fest. Schwer atmend stieß ich einen verzweifelten Laut aus und schloss die Augen. Wenn er mich jetzt nicht mehr küssen würde, würde ich vor Sehnsucht sterben.

»Victoria?«

Tonlos und wild krächzte ich. »Ja?« Tief durchatmen, ich musste tief durchatmen. Langsam kam ich ein wenig runter.

»Du stehst echt nicht aufs Vorspiel, oder?«

Und diesmal knurrte ich dunkel. »Nein, Nachspiel, aber jetzt will ich dich, nicht kuscheln nicht irgendwelche Liebkosungen, sondern dich in mir, deine Haut auf meiner, Gott Sher, wie hältst du das aus?« Und dann kam mir ein Gedanke, der weh tat, unweigerlich und zerstörerisch weh tat. Sofort schossen mir Tränen in den Augen. »Du liebst mich gar nicht wirklich, oder?« Verzweifelt suchte ich seine Augen. »Deswegen kannst du dich dauernd so beherrschen.«

»Was? Nein Vi, das ist nur, ich möchte gern alles an dir küssen und lieben und fühlen und kennenlernen.«

Etwas beruhigt, fragte ich: »Später? Vielleicht?«

Er bekam dieses schiefe Lächeln und funkelte mich frech an. Dann stand er vom Bett auf und ich schrie innerlich bitte nicht, bitte geh nicht, aber er zog sich nur aus. Langsam! Meine Atmung holperte, als er seine Shorts runterzog und ich sah, wie hart er war.

Unkontrolliert bäumte ich mich stöhnend vor Sehnsucht auf und sein Blick verklärte sich vor Erregung. Im Bruchteil einer Sekunde lag er auf mir und ich hatte ihn schon fest in meiner Hand und erleichterte ihm den Weg zu mir.

Aber wieder stoppte er mich. »Warte, Kondom!«

Er zog sich etwas zurück, aber ich hielt ihn fest. »Brauchen wir nicht unbedingt, also nicht zum Verhüten. Das ist erledigt, nur wenn du es möchtest.«

Zögerlich sah er mich an. »Sicher?«

Ich griff nach seinen Haaren und bog meinen Körper zu ihm durch. »1000% sicher.«

Einen kurzen Moment hielt er noch inne. Dann sah ich in seinem Gesicht, wie er losließ, und er war wieder ausnahmslos bei mir, auf mir, mich verschlingend küssend. Als er in mich eindrang, stob meine ganze Welt auseinander. Kein Vergleich zu allem vorher. Kein Vergleich zu dem, was ich mit Edward hatte. Pure Erlösung und doch nie genug.

Langsam fing er an, sich zu bewegen, aber ich hielt seinen Kopf, der schwer neben meinem lag, mit der einen und seine Hüfte mit der anderen Hand. »Warte, ich will dich kurz fühlen.«

Diesmal war er es, der verzweifelt aufstöhnte. »Jetzt Kleines, ernsthaft?«

Ich schlang einen Arm um ihn und suchte seinen Mund, während ich ihn mit meinen Beinen tief in mich reinzog und verankerte. Unsere Münder saugten sich aneinander und ich ließ mein Becken in leichten Bewegungen kreisen, die mir bis tief ins Innerste drangen. Solange bis auch ich es nicht mehr aushielt und mehr brauchte, schneller. Er stimmte direkt mit ein, aber intensiv und voller Liebe. Mit den Händen fuhr ich fest an seinen Armen, seinem Rücken, jedem Zentimeter Haut entlang, den ich zu fassen bekam. Er lag schwer auf mir, nah und voller Körperkontakt, wunderschön. »Ich liebe dich Sherlock.«

Sein Atem schwer an meinem Hals, seine Stimme so dunkel. »Ich liebe dich.« Sein Arm glitt unter meinen Kopf und er stieß fester zu, schneller, begieriger. Heiser raunte er lächelnd in mein Ohr. »Brauchst du einen Stellungswechsel?« Kehlig lachte er und zog mich in der Sekunde hoch, genau in die Position, die wir beim ersten Mal innehatten, nur leider war das diesmal körperlich zu schmerzhaft für mich. Wir sahen uns tief in die Augen und er spürte sofort, dass etwas nicht passte. »Kleines, was ist los?«

Ich hasste es, ihn zu enttäuschen. »Tut leider im Bein weh.«

Vorsichtig ließ er mich runter und glitt komplett raus aus mir. In abgekühlter Stimmung legte er sich viel zu ernst neben mich.

Ich schwang mein verletztes Bein über seine Hüfte und drückte mich an ihn. Sein Blick war seltsam und meine Eingeweide zogen sich sorgenvoll zusammen. »Liebling, Sherlock?« Sanft küsste ich ihn und ein Ruck ging durch seinen Körper, als hätte ich ihn zurückgeholt.

Im nächsten Moment packte er mich schon wieder und drang seitlich in mich ein. »Geht das so?«

Ich stöhnte als Antwort auf und schrie fast vor Lust. »Ja Sher, ja … das …«Ich bestand nur noch aus Stöhnen und Seufzen.

»…ist angenehm?« Wieder stieß er zu.

Ich lachte keuchend auf und fand in seinen Rhythmus, der jetzt immer schneller wurde, die Küsse wurden immer verlangender. Ich spürte bereits, wie sich dieses Gefühl in mir hochschraubte. »Sher kannst du nach oben?« Ich liebte sein Gewicht auf mir.

Er drehte uns perfekt, ohne auch nur ein Stück rauszurutschen und wurde dann langsamer, sinnlicher, was es noch intensiver machte. »Lass mich dich ansehen.« Er küsste mich wieder so gierig und ich konnte kaum denken, so verloren war ich in diesem Gefühl von Liebe und Verlangen nach ihm.

Meine Augen schlossen sich und alles, was ich wollte war, sein Gewicht auf mir fühlen, seine Wärme. Tief atmete ich an seinem Hals seinen Geruch ein und ohne Vorankündigung kam das Feuerwerk, so vehement, dass mir kurz schwarz vor Augen wurde. Ich explodierte so intensiv, dass mir die Luft wegblieb, meine Fingernägel krallten sich in seinen Rücken, während ich schrie und keuchte. In dem Moment, in dem ich dachte, es ebbt ab, stieß er nochmal fester zu und es war wieder da. Genauso vehement wie zuvor. Meine Nägel gruben sich in sein Fleisch den Rücken runter. Mit geschlossenen Augen hörte ich ihn aufstöhnen, aber in mir explodierte alles, ohne dass ich nur die geringste Kontrolle über mich gehabt hätte. Wieder stieß er kraftvoll zu und ich bäumte mich ihm entgegen, stöhnte nach Luft ringend. Völlig von Sinnen klammerte ich mich an ihn, ohne je genug zu bekommen. Mit dem nächsten Stoß schrie ich wieder spitz und schrill ohne Luft, bevor es endlich ruhiger in mir wurde und ich etwas zu mir kam.

Benebelt öffnete ich die Augen, sah ihn an. Diesen wundervollen, komplizierten Mann. Seine Haut auf meiner erregte mich, auch wenn ich kaum noch Kraft hatte, mich zu bewegen nach diesem ewigen Höhepunkt, den er aus mir heraus geholt hatte. Als er jetzt dran war, kam ich ihm dennoch entgegen, wurde wieder schneller. In der Sekunde, in der er explodierte, riss er mich erneut mit und ich sah Sterne. Als er runterkam und mich fast verschlang mit seinem Kuss, bebten immer noch kleine Nachwehen durch mich hindurch.

Er küsste meine Wange und grinste mich an.

»Sher ich war gerade ganz sicher tot.«

»Das denke ich auch mein Schatz. Das war wohl ein multipler Orgasmus.«

Ich war, da völlig außer Atem, eine Mischung aus Hecheln und Lachen. Alle Muskeln fühlten sich an wie Gelee. »Sherlock?«

Er stütze sich neben meinem Kopf ab. »Ja, Babe.«

Ich war völlig atemlos, aber er sollte es wissen. Er musste es wissen. »Ich … ich bin …nSher ich.« Nein, nicht jetzt, ich konnte ihm das jetzt nicht sagen. Nicht jetzt, wo ich ihn endlich wieder in die Arme schließen durfte. »Können wir das später wiederholen?«

Er lachte rau auf und küsste meinen Mundwinkel. »Du raubst mir den Verstand, Babe.« Er streichelte meinen Bauch, unser Baby, und nahm mich fest in den Arm. »So viel zu, ich würde dich nicht so lieben. Ich werde jedes Mal zum Vollidioten, wenn ich nur dran denke, wie du dich anfühlst.« Er schmiegte sich an mich.

Vorsichtig löste ich uns etwas voneinander. »Ich fürchte, ich muss da was loswerden, bevor ich das Bett versaue. Wo ist denn mal ein Badezimmer?«

Er küsste meine Schultern, liebkoste meine Brüste. »Die Tür dort.« Gott sei Dank, war hier ein Bad angeschlossen. »Ich komm mit, heute lass ich dich nicht mehr los.« Das hörte ich nur zu gern.

Mit quasi zusammengekniffenen Beinen machte ich mich auf den Weg. Sowas erwähnt natürlich keiner beim Aufklärungsgespräch, das einem die Suppe auch wieder ausläuft. »Irgendwie ist das der Moment, in dem ich Kondome schätzen lerne.«

Sherlock lag mit hinter dem Kopf verschränkten Armen im Bett und amüsierte sich köstlich. »Ich wollte ja, aber du konntest ja nicht warten, bis ich mich angezogen hatte.«

Ich streckte ihm die Zunge raus, woraufhin er aufsprang und mir die Tür über meine Schulter hinweg öffnete. So schnell wie möglich saß ich auf dem Klo und versuchte, das gröbste loszuwerden und das unter Beobachtung.

»Kleines? Magst du duschen?« Das sagte er mit einer so seltsamen Spannung in der Stimme, dass ich abrupt in sein Gesicht sah.

»Mit dir zusammen?« Aha, er grinste frech. »Krieg ich denn dann überhaupt warmes Wasser ab, so groß und stark, wie du bist?«

Er tigerte auf mich zu. »Auf jeden Fall!« Er hob seine Hand, legte sie zärtlich unter meine Brust und fuhr mit dem Daumen über die Brustwarze. Das war elektrisierend, wie er sie zwischen zwei Fingern leicht drückte und dann wieder federleicht darüber strich. Ein leises Keuchen entfuhr mir. »Wie das Wasser dir über diese perfekten Brüste läuft, muss wunderschön sein. Jedes Mal, wenn ich dich in der Wohnung unter der Dusche gehört habe, konnte ich an nichts anderes denken.« Dann beugte er sich zu mir runter und küsste mich sinnlich, lang und genießerisch. Danach bekam ich noch einen kleinen Kuss auf die Nase, bevor er zielstrebig auf die große offene Dusche zuging.

In diesem Moment sah ich ihn zum ersten Mal von hinten, seit meine Fingernägel aktiv geworden waren und schrie erschrocken. »Ach du …!«

Beschämt sprang ich zu ihm und Sherlock drehte sich alarmiert um. Grinsend hielt ich mir die Hand vor dem Mund. Nach dem ersten Schreck fand ich es lustig, absurd, aber lustig. Sein Rücken sah aus, als hätte ihn ein Tiger von hinten angegriffen. Meine Fingernägel hatten ganze Arbeit geleistet. Ich drehte ihn sanft an der Schulter mit dem Rücken zum Spiegel und deutete darauf.

Ich lief rot an, als er seinen Rücken betrachtete. »Oh man Babe, ich mein ich hab gemerkt, dass es weh tut, aber das hier. Respekt!«

Verlegen flüsterte ich schuldbewusst. »Ich fürchte, du brauchst eine gute Erklärung für Susan.«

Ärgerlich verzog er seinen Mund. »Das hat sie nicht zu interessieren, warum denkst du so? Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig, verstanden?« Die Härte in seinem Gesicht irritierte mich.

»Sher, ich würde dich fragen, warum du so aussiehst, das ist doch normal.«
Er presste seinen Kiefer wütend aufeinander und sah strikt an mir vorbei, während sein Gesicht arbeitete.

Vorsichtig ging ich auf ihn zu und legte ihm hoffentlich besänftigend meine Hände auf die Brust. »Und nicht, weil ich eine Rechtfertigung hören will, sondern um an deinem Leben teilzuhaben.«

Überrascht sah er mich an und fragte dann zynisch. »Wirklich? Auch wenn ich jetzt so hier stände und das von einer anderen wäre?«

Ich legte meinen Kopf auf seinen Oberkörper. Meine Stimme zitterte, weil ich den Schmerz nicht gut genug ausblenden konnte, als ich wieder hochsah und ihm antwortete. »Wir sind schließlich nicht zusammen, also muss ich das mit mir ausmachen und nicht mit dir.«

Langsam fuhr er über meine Arme und hielt dann mein Gesicht mit einer Hand hoch, dass ich ihn ansehen musste. »Und was genau musst du mit dir deswegen ausmachen?«

Ironisch verzog ich den Mund. »Ich denke Ähnliches wie du letzten Sonntag wegen Edward oder Alistair, Eifersucht!«

Brüsk meinte er. »Aber du bist doch gar nicht eifersüchtig.«

Ungläubig trat ich einen Schritt zurück und rief. »Wie bitte?«

Sherlock hob fragend die Hände. »Ich mein, Gott, ich hab Susan vor deinen Augen fast geschwängert und du hast gelächelt und mir einen schönen Abend gewünscht.«

Ich rang um Fassung und zischte: »Ich habe gelächelt. Ja! Damit meine Tarnung nicht aufliegt. Denkst du, ich geb mir die Blöße zu zeigen, was ich empfinde? Ich hab gelächelt, weil ich mir vorgestellte habe, wie ich euch beiden eine Kugel in den Kopf jage. Ich hätte ihr am liebsten die Kehle aufgerissen. Aber ich hab kein Recht dazu und deswegen werde ich weiter lächeln. Deine Entscheidung so zu leben, meine Entscheidung damit zu leben.« Diesmal ging ich, ohne seine Reaktion abzuwarten, unter die Dusche. Dort stand ich mit geschlossenen Augen und ließ das warme Wasser beruhigend an mir runterlaufen. Sammelte es mit meinem Mund, um schwallartig alles wieder auszuspucken. Meine Ohren dröhnten vom Wasser aber auch von dem Sturm der Gedanken und Gefühle. Alles sollte einfach abgespült werden, ab in den Ausguss damit.

Auf einmal spürte ich eine Hand, die sich um meine Taille schob, dann eine an meiner Wange. Meine Augen hielt ich geschlossen, als ich spürte, wie sein Körper sich an meinen annäherte und seine Lippen sich auf meine senkten. Ein unschuldiger Kuss, aber voller Liebe. Er zog mich näher an sich und raunte mir bedrückt ins Ohr: »Kannst du es denn? Damit leben?«

Ich vergrub mein Gesicht in meiner Lieblingskuhle am Hals und küsste ihn sanft. »Ich weiß es nicht. Noch habe ich keine Lösung, aber ich bin nicht gut darin, vorauszuplanen. Und ich will jetzt auch nicht darüber nachdenken. Im Moment will ich einfach mit dir glücklich sein, gib mir diese zwei Tage oder wenigstens noch ein paar Stunden.« Ich umarmte ihn und legte meinen Kopf an seinen Hals.

»Reicht dir das? Diese gestohlene Zeit mit mir?«

Ich wollte wirklich nicht mehr darüber nachdenken, denn es tat nur weh. Bald endete eh alles unweigerlich. Bald könnte ich nicht mehr verheimlichen, dass ich schwanger war. Sanft schob ich meinen Mund an seinen und presste mich an ihn. Wie erhofft, reagierte er direkt und stöhnte auf, als meine Hände ihn am Hintern fest an mich ran zogen. Unsere Lippen berührten sich kaum bei diesem spielerischen wilden Kuss, der folgte und ich ließ mich langsam küssend an ihm runter gleiten und nahm ihn in den Mund. Spielte mit meiner Zunge an seiner Eichel, übte sanften Druck aus, bewegte mich langsam rauf und runter. Sein Keuchen war Belohnung genug. Auch wenn ich wusste, dass ich das hier tat, damit er nicht mehr nachdachte, genoss ich diese Intimität. Bis er meinen Kopf packte und mich leicht wegdrückte.

Fragend sah ich zu ihm hoch. »Victoria steh auf, bitte, ich möchte das nicht.«

Und das tat tief in mir drin unglaublich weh. Sie durfte immer, ich nicht? Bei mir war das was? Eklig? Sanft zog er mich zu sich hoch und umarmte mich fest. »Nicht, dass ich das nicht genießen würde, aber du bist mir zu weit weg.«

Mein Herz machte einen kleinen glücklichen Hüpfer und mein Mund suchte seinen.

Wir hatten ewig unter der Dusche gestanden. Lange Zeit lagen wir einander in den Armen, auf diese Art küssend, die nicht mit Sex in Verbindung stand, sondern nur mit Vertrautheit und Liebe. Irgendwann hatten wir es doch geschafft, die Dusche so zu nutzen, wie es gedacht war und uns gewaschen. Dabei lachten und alberten wir rum. Ich sang lauthals und verschluckte mich dabei fürchterlich, was einen weiteren Lachanfall auslöste.

Punkt 8 Uhr am Abend saßen wir gesittet mit neutral freundlicher Miene in diesem imposanten Esszimmer und bekamen den ersten Gang unseres Dinners serviert. Suppe, und ich absolvierte unglaubliche 4 weitere Gänge ohne größeren Fehler.

Sher navigierte mich unauffällig durch meine Unsicherheiten.

Beim Nachtisch zögerte ich allerdings, obwohl es köstlich aussah. Mousse au Chocolat. Die Frage war das rohe Eiweiß. Selbst wenn ich meine Vorbehalte, die ich immer hatte, beiseiteschob, würde ich schwanger niemals rohes Ei essen.

Sherlock musterte mich fragend. »Victoria, Schokolade? Sagt dir der Nachtisch nicht zu?«

Mir war nur zu bewusst, dass wir nicht allein waren. Ständig stand hinter uns ein Diener oder Mrs. Brown. »Ich fürchte, ich muss passen.« Unsicher lächelte ihn an.

Leise sagte er. »Nimm ein wenig aus Höflichkeit, dann ist es ok.«

Selbst ein Löffel könnte schon ein Fehler sein. Ich schüttelte leicht den Kopf. »Sherlock, wenn rohes Ei verwendet wurde, kann ich es nicht essen, tut mir leid.«

Er runzelte die Brauen. »Das hatte ich vergessen.«

Von hinten kam Mrs. Brown freundlich auf mich zu. »Keine Sorge Lady Pendrake, die Eier sind heute Morgen frisch aus dem Hühnerstall geholt worden.«

Sherlock zuckte mit den Achseln und forderte mich mit einer Geste auf zu essen. Langsam tunkte ich den Löffel in das Mousse und mir wurde augenblicklich schlecht. Die Angst, meinem Baby zu schaden, war übermächtig. Ich ließ den Löffel wieder sinken und schluckte schwer.

Sherlock verstand anscheinend nun, dass es für mich eine regelrechte Qual darstellte und nicht nur eine Abneigung war. »Danke Mrs. Brown. Würden sie uns bitte gleich einen Tee in die kleine Bibliothek bringen?« Damit war sie entlassen und wir endlich allein. Abschätzend blickte er zu mir. »Ekelst du dich so sehr? Ich hatte das Gefühl, du musst dich gleich übergeben.«

Ich nickte nur, denn das Gefühl war nicht verschwunden. »Kleines, warum?«

Ich zuckte nur mit den Schultern, denn wie hätte ich das erklären sollen, ohne mich zu verraten. »Nun gut.« Er stand auf und hielt mir seine Hand hin, dann lass uns einen meiner Lieblingsräume besichtigen, den Ballsaal.

Verdutzt fragte ich: »Der Ballsaal? Ich dachte die Bibliothek.«

»Die grenzt direkt daran an. Komm, gehen wir tanzen.« Grinsend drehte er mich einmal um meine eigene Achse und marschierte los.

Der Ballsaal war riesig, nun begriff ich, dass in der Eingangshalle ganze vier Türen Zugänge zu diesem Raum waren. Zwei gigantische Kamine, ein wunderschöner Steinfußboden, Vertäfelungen, Bilder an den Wänden, die größer waren als ich. Das letzte Drittel grenzte an einen Wintergarten, in dem ich mindestens eine Palme und ein Orangenbäumchen ausmachte. Der Rest des Raumes lag seitlich an einer Parklandschaft, in die man durch große doppelflügelige Glastüren gelangte. Einfach wow. Wie im Film. Aber im Moment kahl und leer. Jedes Geräusch schallte durch den Raum, da nicht ein Möbelstück hier stand. Ich hob einen Finger. »Frage, benutzt du diesen Raum?«

Er tanzte ein paar Schritte mit mir. »Ja natürlich, mindestens einmal im Jahr beim Weihnachtsball. Gehst du mit mir hin? Das wäre so oder so die angemessenere Lösung! Schließlich gehörst du quasi zur Familie und ich sollte dich bei deinem ersten offiziellen Ball hier als Begleitung haben.«

»Das ist lieb, aber bis dahin kann viel passieren. Wer weiß, ob du mich dann überhaupt noch ertragen kannst.« Oder ich dann überhaupt noch hier war. Irgendwann musste ich entweder mit ihm reden oder gehen. Mein Herz wurde schwer.

Er nahm mich bei den Schultern und betrachtete mich nachdenklich. »Kleines, was bedrückt dich so. Da ist doch mehr als das Offensichtliche. Lass mich dir helfen.«

Traurig schmiegte ich mich in seinen Arm und wünschte mir den Mut endlich die Wahrheit zu sagen. »Zeigst du mir die Bibliothek?«

Seine Haltung hatte was durch und durch Beschützendes, so wie er mich im Arm hielt, abgeschirmt vor der Welt. Seufzend ging er mit mir in Richtung einer der Türen auf der kurzen Wand. »Dann mal los, der Tee ist bestimmt schon da.«

Der Tee wartete auf dem Tisch und im Kamin, der normale Größe hatte, knisterte ein Feuer. Glücklich setzte ich mich auf eins der Sofas, die quer zum Kamin standen und zog die Beine an. Mir war recht kalt geworden bei unserem Rundgang.

Sherlock blieb vor Kopf stehen und sah ziemlich steif aus. »Victoria?«

»Mmmh?«

»Was ist los? Jetzt mach ich mir echt Sorgen.«

Gähnend sah ich ins Feuer, das fast hypnotisierend auf mich wirkte. »Warum? Mir ist nur kalt und ich bin furchtbar müde.«

Sherlock stand neben mir und gab mir einen Kuss auf die Haare. »Mein Schatz, du hast die Bücher nicht beachtet.«

Oh! Der Raum war recht dunkel und ich war von dem Licht des Feuers wie eine Motte angezogen worden. Mein Blick wanderte umher. Wie war mir das entgangen. Hier gab es kaum einen Platz ohne deckenhohe Regale mit Schiebeleitern, teilweise sogar verglast. Nur die Fensterseite wurde von einem Schreibtisch abgerundet. »Es ist schön hier. Tut mir leid. Ich bin wirklich müde. Vielleicht kann ich morgen nochmal kommen?« Ich hörte selbst, wie betrübt ich mich anhörte.

Man sah, wie es in ihm arbeitete. Anscheinend machte er sich richtig Sorgen.

Ich griff nach seiner Hand und lächelte ihn müde an. »Alles gut! Gib mir lieber eine Tasse Tee als an deinen Falten zu arbeiten. Tee hilft immer.«

»Oder brauchst du einen Whisky?«

Ich schüttelte den Kopf und lachte. »Dann schlafe ich dir hier direkt ein.« Dankbar nippte ich an meinem Tee und unterdrückte ein Gähnen.

Das schien ihn zu überzeugen und er lächelte mich, wenn auch verhalten, an. »Wir können hochgehen und du legst dich hin. Wahrscheinlich kämpfst du noch mit dem Blutverlust.«

Sicherlich und mit den schlaflosen Nächten und der Tatsache, dass mein Körper neues Leben erschuf. »Gleich. Das Feuer ist schön. Der Tee ist gut. Lass uns das ein wenig genießen.«

Still saßen wir so eine ganze Weile nebeneinander. Etwas was ich mit Sherlock, wie mit keinem anderen vermochte. Plötzlich stand er auf und werkelte auf dem Schreibtisch herum. Ich sah, dass er eine Brille aufgesetzt hatte, die ich nicht kannte. Horngestell, furchtbar süß und ich musste spontan grinsen. Wie sehr er mir fehlen würde. Ich seufzte traurig, was seine Aufmerksamkeit auf mich lenkte. Unsere Blicke trafen sich und die Zeit blieb wieder mal stehen. Nichts auf der Welt war mit seinen grünen Augen zu vergleichen. In mir breitete sich eine wundervolle Ruhe aus, die Gewissheit, dass er mich tatsächlich liebte. Für einen flüchtigen Moment war ich mir ganz sicher, dass es so war, aber war es auch genug? Warum wollte er dann nicht mit mir zusammen sein und das Risiko eingehen?

»Kleines, was ist los?«

»Ich liebe dich Sherlock.«

Er lächelte mich an und legte das Buch ab. Als er bei mir war, ging er vor mir auf die Knie und küsste mich sanft. »Ich liebe dich auch Victoria. Ich hätte nie gedacht, dass ich überhaupt dazu fähig bin.« Er fuhr mit seinen Fingerspitzen über meine Augenbrauen und die Wangenknochen. »Du bist wegen mir so traurig, oder? Gib mir ein bisschen Zeit, ich versuche es, aber es ist schwer für mich.«

Meine Hände legten sich um seinen Nacken. »Erklär es mir.«

Langsam schob er sich neben mich auf die Couch und knetete seine Finger. »Das ich mir und dir diese Gefühle überhaupt eingestehe, ist schon ein Wunder und macht mir die meiste Zeit eine Heidenangst.« Er seufzte schwer und ich blieb regungslos, um ihm Raum zu geben. »Vi, ich fühl mich verwundbar, wie ein Tier, das man in eine Ecke treibt, um es zu töten. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass ich grausamer sein kann als alles andere. Ich hab das Potenzial dir so unglaublich weh zu tun. Dich zu verletzten, allein durch die Art und Weise wie ich lebe. Durch meinen Egoismus, meinen absoluten kompromisslosen Freiheitsdrang. Ich denke nicht, dass ich es kann, Vi, mich binden, ohne dich und mich daran zu zerbrechen.«

Meine Gedanken überschlugen sich. Was bedeutete das für das Baby? Was wenn er recht hatte? »Sherlock, aber manchmal muss man einfach nur lernen und heilen. Wenn man das Risiko eingeht, kann immer alles passieren. Das Schlimmste, aber auch das Beste. Stell dir vor du könntest glücklich sein …« Meine Stimme brach. »…mit mir.«

Er schloss gequält die Augen. »Wie soll ich dir das nur erklären.« Er sah mich mit einem Gesicht an, das 10 Jahre älter wirkte, dann nahm er behutsam meine Hand. »Mein Vater war grausam. In vielerlei Hinsicht. Er hat mir jeden Tag gezeigt, dass ich nicht genug bin, dass ich versage. Er hat mich gedemütigt bei jeder Gelegenheit. Körperlich und psychisch. Noch heute erwische ich mich dabei, wie ich es ihm recht machen will. Seinen Ansprüchen gerecht werden will. Nicht weil er recht hatte. Er war ein unglaublich arroganter Mistkerl, der es liebte, Menschen zu quälen und vor allem zu unterwerfen, sondern nur um seiner Strafe zu entgehen. Ich bin immer noch abhängig von ihm und seiner Meinung. Es ist schwer Vi und ungerecht von mir, aber sobald ich das Gefühl habe, ich soll Erwartungen erfüllen oder muss mich rechtfertigen, sehe ich rot. Mein ganzes Leben kämpfe ich um jedes Stück Selbstbestimmung, immer mit dem Gefühl kein Recht darauf zu haben. Für mich fühlt sich das an, als würde ich mich deinem Willen ausliefern und nicht mit dir zusammenleben.«

Ich rutschte zu ihm auf und legte meinen Kopf auf seinen Schoss, sofort fing er an, mich zu streicheln. »Dabei will ich nur dein zu Hause sein. Sher.«

Zärtlich gab er mir einen Kuss auf die Schläfe. »Weißt du Sherlock, mein Problem ist ähnlich, deswegen werde ich oft so provokant oder kratzbürstig. Niemand darf über mich bestimmen. Niemand! Dazu kommt noch, dass ich die meiste Zeit nicht glaube, dass du mich liebst, dass mich überhaupt jemand lieben kann.« Er zog scharf Luft zwischen seine Zähne. »Höchstens, dass du für eine Zeit denkst, du würdest mich lieben. Das liegt nicht an Dir. Sogar bei Alistair bin ich überzeugt, dass er irgendwann merkt, dass er ohne mich besser dran ist. Ich rechne ständig damit, aber er hat etwas gesagt und ich denke, er hat recht.«

»Was hat er gesagt?«

»Es kann immer schief gehen, aber mit der Richtigen, wenn man wirklich liebt, geht man das Risiko ein. Immer! Egal wie groß es ist.«

Seine Bewegung hörte mittendrin auf und er nahm die Hand von meinem Kopf.

Ich setzte mich auf und sah ihn ernst und eindringlich an. Ganz sachlich, wie ich es so oft konnte, wenn ich innerlich starb, sprach ich weiter: »Deswegen denke ich, bin ich wahrscheinlich einfach nicht die Richtige für dich. Und deswegen ist es ok, wie es jetzt ist, denn dann muss ich mich auch nicht drauf einlassen, voll und ganz, und stehe sprungbereit vor der Fluchttür.« Und deswegen war ich nicht in der Lage ihm zu sagen, dass er Vater wurde.

»Victoria, ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

Das Einzige, was ich jetzt wollte, war, ihn küssen und das tat ich. Er zögerte, aber nur kurz. Ich krabbelte ihm auf den Schoß und klammerte mich an ihn. »Sherlock, es ist ok. Wie sollte ich erwarten, dass jemand wie du es mit mir lange aushält.«

Er hielt meinen Kopf fest und starrte mich verzweifelt an. »Kleines, ich habe nie jemanden so sehr geliebt wie dich. Ich würde für dich sterben.«

Sanft strich ich ihm über die Wange und die Tränen kamen unweigerlich. »Sterben ist einfach. Sterben würde ich für viele. Für dich Sherlock, will ich leben.«

Mit Erstaunen sah ich, dass auch ihm die Tränen kamen, denn er verstand mich, wie sonst keiner. Mit erstickter Stimme flüsterte er: »Vi, Kleines, ich hab dich nicht verdient.«

Für lange Zeit hatten wir dort gesessen, ohne ein weiteres Wort zu reden. Mein Kopf zurück auf seinem Schoß, hing jeder seinen eigenen Gedanken nach und waren doch zusammen. Spät waren wir hoch und ins Bett gegangen und auch da war kaum ein Wort gefallen. Alles zwischen uns lag in den Blicken, die wir wechselten. Das Gefühl, mich nicht erklären zu müssen und die Selbstverständlichkeit wie wir uns fürs Bett fertig machten, jeder automatisch die richtige Seite wählte, war mit ihm einzigartig. Der folgende Gute Nacht Kuss, liebevoll als ich mich in meine Decke rollte und dann er, wie er mich anlächelte und anfing, zu lesen mit Brille auf der Nase machte mir die Brust eng. Genau das Bild, das ich mir schon in seiner Wohnung am Anfang vorgestellt hatte. Es kam mir vor, wie Monate, dabei waren seitdem erst wenige Wochen vergangen.

Obwohl ich müde war und mich seit langem Mal wieder entspannte, konnte und wollte ich meinen Blick nicht von ihm abwenden. Das hier war der Inbegriff meiner geheimsten Wünsche und ich wollte ihn mir einprägen für immer, als eine dieser Erinnerungen, die man im Herzen trägt. Regelmäßig warf er mir kurze Blicke zu. Strich mir über den Kopf, lächelte.

Meine Augen wollten nicht zu gehen und ihn verlassen, wollten aber auch nicht aufbleiben und sie verengten sich zu müden Schlitzen. Mir war gar nicht bewusst, dass wir uns immer noch ansahen, sein Buch lag dabei locker auf der Decke.

»Victoria soll ich aufhören zu lesen? Störe ich dich?«

Verschlafen nuschelte ich ins Kissen: »Nein. Was liest du?«

Er grinste ironisch. »Oh, das wird dir gefallen. Äsop auf Altgriechisch.«

Ich verzog angewidert mein Gesicht. »Suchst du passende Texte, um Studenten zu quälen?«

»Nein, eigentlich gehört das Buch meiner Mutter, sie war Altphilologin, ziemlich clever und wunderschön.« Sein Gesicht war ganz weich geworden. »Du erinnerst mich oft an sie, an ihre guten Tage.«

»Du hast ihre Augen, oder?«

Überrascht sah er mich an. »Ja, woher weißt du das?«

»Wusste ich nicht, war nur ein Gefühl. Warum gute Tage?«

Seine Miene verdüsterte sich. »Mein Vater hat sie gebrochen. Sie war ihm völlig hörig, selbst wenn er nicht da war, hatte sie Angst. Die meiste Zeit hat sie arbeitend unten in der Bibliothek verbracht. Viele gute Artikel, zwei tolle Abhandlungen über griechische Philosophen, griechische Geschichte, sind dort entstanden. Immer mit einer oder drei Flaschen Wein pro Tag.« Verbittert zuckte er mit den Schultern.

Ich schälte meine Hand aus der Decke und griff tröstend nach seiner. »Denkst du, sie hat ihn geliebt oder er sie?«

»Sowohl als auch. Das ist wohl das Tragische daran. Sie dachte, er würde sich für sie ändern. Er meinte, sie mache ihn zu einen besseren Menschen. Aber eigentlich wollte er sie nur besitzen, unter allen Umständen. Daran ist sie zerbrochen.«

Ich musterte ihn. »Du hast deswegen solche Angst.«

Er sah runter auf sein Buch und strich über die Seiten.

»Sherlock, vielleicht bin ich ihr ähnlich, aber ich würde so nicht leben. Du kennst mich nicht gut genug, sonst wüsstest du, dass ich sofort weglaufen würde, wenn ich jemanden zu etwas Besseren machen soll. Alles, was man tun kann, ist da sein. Liebe geben. Manchmal den Spiegel vorhalten, manchmal Wahrheiten aussprechen, aber ein Mensch kann sich nur durch sich selbst ändern. Durch seine Erkenntnis und sein Verständnis was er sein will. Deswegen laufe ich weg, wenn ich mich so leer fühle. Wenn man zulässt, dass jemand anderes einem dann erklärt, wer man ist und wie man sein sollte, kann das langfristig nur kollidieren mit der eigenen Wahrnehmung von sich selbst. Man muss selber lernen, die Relationen richtig zu setzen.«

Sein Gesicht war wie erstarrt, geradezu fassungslos.

»Das ist allerdings verdammt schwer und ich denke, man arbeitet da unter Umständen sein Leben lang dran.«

Er schüttelte sanft den Kopf. »Wie alt bist du?«

Albern grinsend sagte ich: »Mit dieser Reinkarnation sind es 437 Jahre pure Weisheit.« Dann zwinkerte ich ihm zu und er lächelte, wurde aber direkt so komisch lauernd.

»Was erwartest du von mir? Oder von einer Beziehung?«

Ratlos überlegte ich. »Nichts eigentlich.«

»Nichts?« Energisch klappte er sein Buch zu und legte die Brille zur Seite. »Du musst doch irgendwas für die Zukunft planen? Du musst doch eine Vorstellung haben, wie es mit uns laufen soll.«

Ich vergrub mein Gesicht ins Kissen. »Irgendwie natürlich schon.« Seufzend rollte ich mich auf den Rücken und fixierte die Decke über mir. »Ich möchte dich lieben und geliebt werden. Versuchen, glücklich zu sein, bei dir zu sein. Füreinander da zu sein. Vielleicht ein Stück, vielleicht länger, gemeinsam gehen. Im Müssen und Sollen bin ich eine Niete. Ich lass es sich lieber entwickeln. Was erwartest du denn?«

Lange sah er mich ohne Antwort an, dann stand er seufzend auf und trat ans Fenster. »Die Sterne sind schön heute Nacht.«

Zögerlich gesellte ich mich zu ihm. »Ja! Cassiopeia, siehst du da.«

Er schüttelte lächelnd den Kopf und küsste mich zärtlich. Nur ein Streicheln meiner Lippen mit seinen. »Jeder andere sagt: Da der große Wagen. Oder vielleicht Orion.« Wieder küsste er mich, diesmal tief und liebevoll. »Ich erwarte, dass du mich irgendwann ansiehst und merkst, das es ein Fehler war.«

Provokant fixierte ich ihn. »Das klingt realistisch. Das wird früher oder später passieren.« Sein Kiefer fing an zu mahlen. Seine Augen wurden dunkler. »Denn Sherlock, vielleicht war es dann ein Fehler das dritte Kind zu bekommen oder die Reise nach Antwerpen oder vielleicht war auch der Wein beim Essen furchtbar. Aber solange du nicht von mir vehement etwas verlangst, was ich nicht bereit bin zu geben, wirst du in meinem Leben niemals ein Fehler sein.« Er presste die Lippen aufeinander und ich nahm sein Gesicht zwischen meine Hände. »Gott, ich weiß ich bin jung und ich weiß, dass mir das nie jemand glaubt, aber alles, was ich verlange, was ich möchte, ist, das die Menschen an meiner Seite sind, wer sie sind, dass sie mich sein lassen, was ich bin und dann mit ihnen ein wir erschaffen. Ich will das Privileg, dich kennenlernen zu dürfen mit allen Fehlern und ich will auch selber fehlerhaft sein dürfen.«

Seine Hand war so schnell in meinem Nacken, dass ich kaum Zeit hatte mich zu erschrecken, sein Mund fieberhaft und drängend und natürlich floss ich direkt auseinander zu einer willenlosen treibenden Pfütze. Plötzlich fing er mitten in diesem sexy Kuss an zu lachen. »Antwerpen? Sollten wir je überlegen, in Urlaub zu fahren, dann erstmal Antwerpen.«

Ich schlug ihm auf den Arm. »Antwerpen ist eine tolle, historische Stadt.«

Mit unterdrücktem Lachen nickte er. Schnaubend machte ich kehrt und kuschelte mich wieder ins Bett.

»Kleines, erst fahren wir nach Antwerpen und dann?«

Gespielt beleidigt ignorierte ich ihn, aber er gab nicht auf.

»Wohin willst du deine Hochzeitsreise machen?«

Genauso hatte mich Markus gefragt, nur wenige Tage bevor er mich fast vergewaltigt hatte. Mein Freund, mein Partner, meine ... Liebe. Wie dumm ich doch gewesen war, ihm zu vertrauen. War ich wieder dumm? Blendete mich mein Herz auch bei Sherlock? Konnte ich ihm vertrauen? Nicht, dass ich glaubte, er würde gewalttätig, aber es gab viele Wege enttäuscht, verraten und verletzt zu werden.

Direkt baute sich dieser Druck in meiner Brust auf, dieses beklemmende Gefühl, das mir oft die Atmung lahmlegte. Egal, was ich glaubte oder erhoffte, alles war ausweglos. Hoffnungslos. Für uns gab es keine Zukunft. »Wir heiraten eh nicht, warum soll ich mir Gedanken machen.« Das war eingeschnappt rübergekommen, aber ich versuchte nur, gleichmäßig zu atmen und die Panik unter Kontrolle zu halten.

»Ich dachte generell, du wolltest doch irgendwann heiraten, oder?«

Ein Kloß voller unterdrückter Tränen steckte in meinem Kehlkopf und ich wisperte mehr: »Dauert doch noch lange, wenn überhaupt. Ich will Kinder, mehr nicht.«

Im Schneidersitz saß er neben mir auf dem Bett und sah aus dem Fenster. Er schien gar nicht zu merken, dass es mir nicht gut ging, so sehr hing er in seinen eigenen Gedanken fest. »Weißt du, wenn du schwanger gewesen wärst, hätte ich dich geheiratet.«

Was? O mein Gott, ich konnte nicht fassen, dass er das sagte. Die Tränen liefen mir leise aus den Augen und ich vergrub mein Gesicht im Kissen und unter der Decke.

»Ich mein Victoria, natürlich nur wenn du einverstanden gewesen wärst, aber ich hätte gerne gewollt, dass mein Kind auch meinen Namen trägt. Das wäre schön.«

Was für ein furchtbares Brennen sich nun in mir ausbreitete. Ein Schmerz, den ich so nicht kannte. Wieso dachte er überhaupt darüber nach? Und dann glücklich.

Ich räusperte mich. »Willst du denn Kinder?« Meine Stimme war brüchig. Hoffentlich schob er das der Müdigkeit zu.

Im Halbdunklen musterte er mich skeptisch. »Ich dachte eigentlich nicht, aber als der erste Schreck hinter mir lag, fand ich die Vorstellung irgendwie schön.«

Ich schluchzte leise auf, fing mich aber schnell wieder. »Vi, Kleines, was ist denn?« Er legte sich neben mich und liebkoste mein Gesicht mit den Fingerspitzen.

»Sherlock ich muss dir was sagen.« Ich atmete tief durch und versuchte, all meinen Mut zusammen zu nehmen. »Sherlock, Sonntag, also letzten Sonntag.«

»Du hast mit Alistair geschlafen, als Henry euch erwischt hat.«

Ok, das brachte mich jetzt aus dem Konzept. Ich setzte mich auf und verzog missmutig mein Gesicht. »Nein! Ich mein, ich hab ihn geküsst, aber mehr nicht.«

Er rieb sich über die Augen. Scheinbar uninteressiert rutschte er tiefer ins Bett und wischte mit einer Handbewegung das Thema für sich vom Tisch. »Vi, das ist schon in Ordnung, ich meine wir sind ja nicht ...«

Ungehalten zischte ich: »Sherlock, nein wir haben nicht miteinander geschlafen.«

Zweifelnd sah er mich an. »Was dann? Also geküsst, war’s schön?« Seine Augen wurden wieder so düster und ich ironisch vor Ärger über seinen Sturkopf.

Aber diesmal würde ich nicht so leicht aufgeben. »War ganz nett, aber wird sicher nicht mehr so schnell passieren. Bitte hör mir einfach zu. Das ist nicht leicht für mich, aber letzten Sonntag als wir oben waren Al und ich wegen des Tests …«

»Erspar es mir. Ich will es nicht wissen. Das ist ok, aber ich kann mir nicht anhören, was du mit ihm oder sonst wem treibst. Ich erzähl dir schließlich auch nicht, wie Susan mir Samstag Abend einen geblasen hat.« Nach diesem verbalen Tiefschlag drehte er sich um, mit dem Rücken zu mir und blockte somit jeden weiteren Versuch mit ihm zu reden. »Gute Nacht!«

Mein Herz knackte und riss gewaltig. So viel zu der Angst, er könne mich verletzen, ohne handgreiflich zu werden. Er war ein Meister darin. Aber nicht mit mir. Die Genugtuung gewonnen zu haben, würde ich ihm nicht geben. »Ja vergiss es. Was soll’s? Dann weißt du es halt nicht, aber sag du bitte Henry, dass es dein eigener Wunsch war, dass ich es dir nicht erzähle. Ich hab keine Lust, mir seine Vorwürfe weiter anhören zu müssen.«

»Kein Problem.«

Gott was waren wir beide für sture Hornochsen.

 

Die Nacht war eine der Schlimmsten in den letzten Tagen. Zuerst hatte ich ewig wach gelegen, voller Wut im Bauch, aber auch Eifersucht.Er hatte mich zutiefst verletzt, mal wieder. Als ich dann endlich eingeschlafen war, schlitterte ich von einem Traum in den Nächsten. Sherlock, der mir erklärte, dass er nichts mit dem Kind zu tun haben wollte. Der glaubte, es wäre von jemand anderem. Immer und immer wieder stritt ich mit ihm oder er verließ mich. Dann heiratete ich ausgerechnet David. Hochschwanger stand ich in der Kirche und Henry klopfte uns aufmunternd auf die Schulter. Fast hätte ich im Schlaf gelacht, so surreal war das.

Eine ganze Zeit musste ich danach ruhig geschlafen haben. Erst als ich ein Poltern hörte und ich kurz dämmerte, schlich sich der nächste Traum an. Am Anfang lief ich durch London nach Hause. Spät abends im Nieselregen kam ich vor meiner Tür an und schloss auf.

Erleichtert angekommen zu sein, zog ich Jacke und Schuhe aus. Bückte mich und spürte bedrohlich und falsch eine Hand am Hinterkopf, die sich in meine Haare krallte. Bevor ich verstand, was los war, schoss mein Kopf schmerzhaft nach hinten. Blitzschnell legte sich die andere Hand um meine Kehle und drückte zu. Panik machte sich breit. Ich bekam keine Luft. Er erwürgte mich. Dazu sein Geruch, seine Stimme. Nur eine Erinnerung aber in diesem Moment so verdammt real.

Ich fing an, um mich zu schlagen, aber er hielt mich fest. Viel zu fest, als dass ich mich hätte wehren können. Ich bekam keine Luft. Ich würde ersticken.

Erneut begehrte ich auf, heftiger, trat, schlug, wand mich in seinem Griff, aber alles vergebens. Ich musste atmen. Ich durfte nicht sterben. Nicht so! Nicht durch IHN!

»Victoria, wach auf! Victoria!«

Ich öffnete abrupt die Augen und zog heftig Luft in meine Lungen, ohne zu begreifen, dass ich aufgewacht war. Denn das war ich nicht wirklich. Nur mein Kehlkopf war wieder frei. Er war immer noch hier und lauerte. Ich war nicht in Sicherheit. Schnell trat ich nach ihm, um ihn auf Abstand zu halten und robbte nach hinten.

Dabei fiel ich unsanft aus dem Bett, was mir einen scharfen Stich im Oberschenkel bescherte, aber so schnell ich konnte, rappelte ich mich hoch und ging rückwärts, bis ich mit dem Rücken an der Wand ankam. NEIN! Panisch drückte ich mich an die Wand, überlegte fieberhaft, wo ich war, wie ich entkommen konnte.

Leise und eindringlich redete er auf mich ein. Lügen, Drohungen.

Ich schrie mit aller Macht. »Geh weg. Ich bring dich um. Ich schwöre, ich bring dich um, wenn du mich anfasst.« Steif rutschte ich zitternd an der Wand runter, weil mein Bein vor Schmerz nachgab. Verloren, ich war verloren.

Er kam auf mich zu und ich fing an zu wimmern. »Fass mich nicht an.« Mein Kampfgeist war viel zu schnell erloschen und ich vergrub mein Gesicht in meinen Armen auf den angezogenen Beinen. Ich konnte nicht mehr kämpfen.

»Victoria, ich bin es, Sherlock.«

Nein er log, Sherlock war nicht da.

»Kleines sie mich an, bitte, Schatz, sieh mich an.«

Eine Berührung am Arm ließ mich aufschluchzen und zusammen zucken. Verloren ...

»Victoria, sieh mich an. Sieh hoch, bitte Schatz bitte. Sieh mir in die Augen.«

Die Augen. Markus hatte braune Augen mit hellen Sprenkeln.

»Kleines, ich liebe dich, sieh mich an.«

Immer noch voller Panik, hob ich langsam den Kopf und sah in grüne Augen, meine grünen Augen. Ich wimmerte schluchzend. »Sherlock?«

Sanft hielt er mich an den Armen fest und flüsterte beruhigend. »Er ist nicht da. Du hast geträumt. Schatz, komm her. Komm zu mir. Ich pass auf dich auf.«

Erleichtert ließ ich mir von ihm ins Bett helfen und vergrub mich in der Geborgenheit, die er mir anbot. Kurz später schlief ich völlig erschöpft in seinem Arm wieder ein.

 

Der nächste Morgen war einer von denen, an denen man eher dämmernd wach wird. Alles war schwarz, alle Muskeln schliefen noch, nur mein Kopf wurde wacher. Ich spürte, dass mich jemand streichelte, keine große Bewegung, nur ein Finger. Der Daumen, der sanft hin und her bewegt wurde. Ich lag auf seiner Brust, die sich hob und senkte und sein Geruch erfüllte mich mit einem Gefühl von zu Hause. Gestern war ich wütend auf ihn gewesen, warum? Mein Kopf versank in dieser bleiernen Müdigkeit, alles war irgendwie nicht real.

Ein Kuss traf auf meinen Kopf. »Meine Frau, Lady Croft, Lady Victoria Eleonore Croft, hört sich doch gar nicht schlecht an, oder?« Er schnaubte belustigt »Ach Kleines.« Wieder ein Kuss auf den Kopf. War das echt? Oder ein Traum?

Vorsichtig bewegte ich mich, um dann schnell hellwach zu sein. Mein Bein tat weh, genau wie ... mein Unterleib. O Gott, ich war aus dem Bett gefallen.

»Victoria? Bist du schon länger wach?«

Für seinen unsicheren Tonfall hatte ich keine Zeit. Ich setzte mich ohne Antwort auf und versuchte, dieses Ziehen im Unterleib und den Oberschenkeln einzuordnen. »Bin ich schlimm gefallen?« Irritiert sah Sherlock mich an. »Aus dem Bett, wie bin ich gefallen?«

»Nicht schlimm, nur leider auf deine rechte Seite, hast du Schmerzen?«

Hastig stand ich auf, tastete die Hüfte ab und besah mir meine Stichverletzung. Sherlock hatte sich zu mir gesellt. »Sieht eigentlich alles ok aus.«

Nervös überlegte ich, woher dieser dumpfe Schmerz im Unterleib kommen könnte. Henry, ich würde ihn fragen. Als ich nach dem Telefon griff, überkam mich wieder dieser seltsame Schmerz, fast wie ein Krampf an der Innenseite der Oberschenkel. Ich nahm mein Handy und ging Richtung Bad.

»Victoria?«

Hastig rief ich: »Ich muss nur kurz telefonieren, mit Henry. Bin gleich wieder da.«

Dieser beruhigte mich schnell und meinte, ich hätte bestimmt Magnesium Mangel, aber einen Tag lang wäre das ok, da ich bereits Präparate dagegen nahm, wenn ich nicht schlimmere Schmerzen bekommen würde. Netterweise unterließ er alle restlichen Kommentare. Vielleicht, weil ich ihm schon wegen des Alptraums gestraft genug war.

Gewaschen und gebürstet kam ich nach dem Gespräch wieder zu Sherlock ins Schlafzimmer.

»Du wirst es mir nicht erklären, oder?«

Seine Miene wirkte beleidigt und sofort erinnerte ich mich nur zu genau, warum ich sauer auf ihn war. »Nein, erst recht nicht, wenn du mir so kommst.«

Er raufte sich die Haare und tigerte durchs Zimmer. »Was musst du mir sagen, Vi? Worauf hat Henry angespielt in der Küche, bevor wir gefahren sind. War es das, warum du im Bad heimlich telefonieren musst? Hast du einen anderen? Bist du krank?«

Ich fing an, mich anzuziehen. »Du hast doch gestern gesagt, du willst es nicht hören.«

Abrupt blieb er stehen. »Was?«

»Zu spät Sher.« Bockig ließ ich ihn stehen und ging ins Arbeitszimmer. Ja, ich war sauer, aber auch total verunsichert, was ich tun wollte und sollte. Welche Optionen gab es? Was war richtig, was falsch? Welch ein Glück, hier stand schon ein Wagen mit Frühstück, wie in einem Hotel. Ich goss mir einen Tee ein und nahm mir ein Toast und Marmelade. »Daran könnte ich mich gewöhnen.«

»Zu spät? Vi, was? Bist du krank?«

Ich schüttelte den Kopf und genoss diese herrliche Marmelade. »Fahren wir gleich ans Meer?« Ungläubig starrte er mich an. »Unterhalten wir uns da weiter und lass mich jetzt einfach diese Marmelade genießen. Die ist super.« Ich war ein bisschen irre, aber irgendwann war auch mal gut. »Knutschen am Strand wäre schön.« Gut, ich war total durchgeknallt.

Sein Analyseblick glitt über mein Gesicht. »Bist du betrunken? Hast du im Bad was genommen?«

Ich kicherte. Hatte ich! Schwangerschaft Vitamine. »Nein, ich hab nur keine Lust mehr, ernst zu sein. Gibst du mir noch Toast?« Er reichte mir eine Scheibe. »Dann zieh ich mich an und wir fahren los.«

Er war hoffnungslos überfordert, kurz musste ich an Al denken, der jetzt mit mir den größten Unsinn treiben würde. Er kannte mich nun mal schon seit Jahren und hätte gewusst, dass ich manchmal einfach beschloss, abzutauchen in Irrsinn. Das war schlichtweg meine Überlebensstrategie, um nicht zu durchzudrehen.

Kurz drauf schlenderten wir die Treppe runter. »Sherlock, darf ich fahren?«

Seine Augenbrauen wanderten nach oben. »Ganz sicher nicht. Ich überlege immer noch, welche Droge du dir da verabreicht hast.«

Ich verdrehte die Augen. »Keine!« Leider ließ er sich dennoch nicht überreden und fuhr selber.

Am Strand angekommen, atmete ich erst einmal tief ein und hörte den Möwen zu.

Sherlock zog sich grinsend die Schuhe und Socken aus und stiefelte barfuß ins Wasser. »Komm Vi. Das ist schön.«

Ich lachte. »Schön kalt, nein danke.«

Er kam auf mich zu gerannt und nahm mich in den Arm. »Warst du schon mal in Cornwall, unten an der Küste?« Ich schüttelte den Kopf. »Oder die Burg Tintagel, hast du sie schon gesehen?« Wie ein kleiner Junge sah er mich schwärmend an.

»Nein leider nicht.«

Fest presste er seinen Mund auf meinen für einen kurzen Kuss. »Na dann fangen wir vielleicht damit an, warum keine Hochzeitsreise durch England und Wales? O und Irland und Schottland. Ich zeig dir meine Lieblingsplätze. Keltengräber, Feenkreise. Burgen, Schlachtplätze.«

Es hörte sich so real an, dass sich mein Herz überschlug und ich ihn angrinste. »Damit könnte ich leben.«

Kurz sahen wir uns glücklich in die Augen und dann küssten wir uns wieder minutenlang. Irgendwann funkte es anders in mir und ich wollte mehr als nur diesen Kuss voller Liebe. Einer dieser verlangenden Laute bildete sich in meiner Kehle. Er stöhnte augenblicklich auf und schob mir die Hand unter die Kleidung. Wir hingen aneinander wie Verhungernde. Heiser forderte ich. »Lass uns fahren.«

Mich fest an sich gepresst, schob er seinen Mund an mein Ohr. »Warum? Willst du mich etwa flachlegen?«

Ich kicherte und sah ihn mit großen gierigen Augen an. »Ja verdammt, das will ich.«

Sein Blick flackerte. »Du hast gesagt, hier reden wir. Sag mir, was es ist. Was dich belastet.«

Schwer fiel meine Stirn auf seine Brust und ich knurrte genervt. »Nein!«

»Warum? Ist es so schlimm?«

Ich entzog mich ihm und ging näher zum Wasser, suchte im Sand nach Muscheln und lief ohne Rücksicht auf ihn weiter.

Er schloss sich mir an, ohne etwas zu sagen, hob hier und da sogar eine Muschel oder ein Schneckenhaus auf und gab sie mir. Mittlerweile war ich sicher, dass ich nicht bereit war, ihm zu sagen, dass ich von ihm schwanger war, nicht hier. Aber ich wollte auch diese Spannung zwischen uns nicht.

»Sherlock?«

Er horchte auf und blieb stehen.

»Wenn ich mit dir rede, hör zu und fang nicht an dir irgendwas einzubilden und mich dann wegzustoßen.«

Verlegen sah er zum Boden und malte mit seinem Fuß Linien in den Sand. »Ich weiß Vi, sorry!« Sein Blick wanderte zurück zu mir. Verweilte in meinen Augen. Abwartend, fragend.

»Es ist fundamental. Es verändert einiges, aber für mich ist es auch gut. Ich hab keinen anderen, ich bin nicht krank. Für dich weiß ich nicht was es bedeutet und ich bin noch nicht bereit, dir alles zu sagen, weil ich erst mit mir selbst klären muss, wo ich stehe. Also bitte sei mir nicht böse, wenn ich noch ein bisschen Zeit brauche.« Meine Arme schlangen sich um seinen Nacken. »Ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich es dir erzähle. Bald! Und hoffe, dass du mir dann verzeihst und verstehst, warum ich es nicht früher konnte. Und denk dran Henry kann nichts dafür.«

Völlig verwirrt runzelte er die Stirn. »Jetzt geht es mir nicht wirklich besser Vi.«

Mein Mund suchte seinen. »Lass uns das im Bett klären.« Er lachte und ich stupste ihn in den Bauch. »Was denn? Ich will dir nur beweisen, dass ich dich liebe.«

»Ja klar!« Lachend hob er mich hoch und trug mich zum Auto, ohne dass wir die Lippen voneinander lösten.

Im Auto fragte ich atemlos. »Wie weit gingen die Sitze nach hinten?«

Als er sich elegant rüber schwang und meinen Sitz spielend leicht bis zum Anschlag nach unten verstellte, brauchte ich meine ganze Selbstbeherrschung, um mir nicht sofort die Kleider vom Leib zu reißen. Ich konnte einfach nie genug von ihm bekommen. Mit einem schiefen Lächeln und wissenden Augen quittierte er meine Ungeduld, während er sich langsam mit dem Gesicht zu mir runterließ und mich leidenschaftlich küsste. Er hing quasi in Liegestütze über mir, die Hände auf die Rückenlehne gestützt und küsste mich auf diese verzehrende Art, die mich schier wahnsinnig machte. Geschickt verlagerte er sein Gewicht und lehnte sich leicht seitwärts. Das Einzige, worauf ich mich konzentrierte war seinen Mund nicht zu verlieren und meinen Händen möglichst viel seiner Haut zu bieten.

Erst als meine Hose bereits auf war, begriff ich, was er tat und schon glitten seine Finger an meine empfindlichste Stelle. Ich gab einen unartigen, hohen Laut von mir, der mit weiteren sinnlichen Küssen belohnt wurde. Seine Hand bewegte sich in kreisenden Bewegungen. Im Auto, hier, das war nicht unbedingt das, was ich mir gewünscht hatte, aber mittlerweile war mein Verstand so unbeständig wie der Sand in meinen Schuhen. Schnell spürte ich, wie sich die Spannung in mir aufbaute. Viel schneller als es hier möglich sein sollte. Frei sichtbar für jeden, der vorbeikam. Aber auch der letzte Widerstand an Anstand und Gewissen brach unter seiner berauschenden Nähe.

Mit seiner tiefen, vibrierenden Stimme flüsterte er mir ins Ohr. »Wenn wir zu Hause sind, werde ich in dich eindringen, Vi und zustoßen, dass du vor Wonne schreist.«

Das gab mir den Rest und ich schrie hier auf diesem Autositz, zuckte unter der Spannung, die ihren Höhepunkt fand. Kurz sackte ich danach leicht zusammen, nur um sofort gieriger nach ihm zu greifen und ihn noch fordernder zu küssen.

Ich spürte, wie er grinste. »Kriegt man dich irgendwie befriedigt?«

Nein, nicht wenn es um in ging. Nicht mit diesem Ablaufdatum im Nacken. Vollkommen außer mir raunte ich ihm ins Ohr. »Bis jetzt hat es keiner geschafft, aber gestern warst du nah dran.«

Er lachte und schwang sich von mir runter auf den Fahrersitz. »Schnall dich an Babe, ich denke, dafür brauch ich ein Bett.« Mein Herz raste und dieses animalische Verlangen zog heftig an mir.

Keine Ahnung, wie wir es so gesittet ins Haus und nach oben schafften, aber kaum war die Tür hinter uns zu, fing er an, mich genüsslich auszuziehen. Und ich ließ mich vollkommen fallen, überließ mich seiner Führung.

Diesmal lagen wir lange aneinandergeschmiegt im Bett, erkundeten uns gegenseitig, unsere Beine verwoben sich, strichen übereinander. Unsere Hände wanderten über unsere Körper, streichelten, liebten, fühlten und dann begann ich meine Reise über seinen Körper mit meinem Mund. Küsste endlich diese Kuhle in seiner Leiste. Knabberte an seinen Hüftknochen. Wanderte mit Händen und Lippen über die Beine und den Bauch, die Schultern. Dann lange wieder nur küssend Körper an Körper. »Sherlock. Dreh dich um.« Als er gehorchte, setzte ich mich rittlings auf seine Hinterseite und küsste die Narbe auf der Schulter. »Woher hast du die Narbe?«

Er drehte sich leicht zu mir und antwortet nur knapp. »Mein Vater mit dem Schürhaken.«

Sofort landete mein Mund auf seinem. Ich wollte ihn alles vergessen lassen, wollte das er frei und glücklich war. Mit mir!

Langsam legte ich mich flach auf seinen Rücken und schob meine Hände unter seinen Bauch. Kehlig und dunkel lachte er in die Matratze. »Deine Brüste fühlen sich interessant an.«

Gleich fühlt sich noch mehr interessant an, dachte ich und ließ die Finger links und rechts an seinem besten Stück runter gleiten. Ich spürte, wie seine Muskeln sich spannten und seine Brust sich schwer hob. Meine Zeigefinger fuhren über seinen Hoden mit Blick weiter auf seine Reaktionen. Ich genoss es, wie viel Macht ich in diesem Moment hatte, als er zuckte und stöhnte. Ich umschloss ihn mit einer Hand und die andere kümmerte sich weiter um den Rest. Automatisch hatte er leicht seinen Po gehoben, um mir den Zugang zu erleichtern. Seinen schönen festen Hintern. Meine Hand bewegte sich langsam, aber mit dem richtigen Druck während er keuchte und die Finger in das Kissen über ihm grub.

Er versuchte, sich umzudrehen, aber ich hielt ihn mit meinem Körper Gewicht unten und stoppte die Bewegung meiner Hände. Bedächtig zog ich sie hervor und griff damit fest seinen Hintern, schob sie dann weiter über den Rücken gefolgt von meinen Brüsten und biss ihm spielerisch in den Nacken, was ihn verlangend knurren ließ.

»Ok Babe, Vorspiel ist vorbei. Jetzt kann ich nicht mehr warten.« Geschickt drehte er sich unter mir. Sein Blick war so wild und so gierig, wie nie zuvor und kaum das ich wusste, wie mir geschah, packte er mich an der Hüfte und hob mich auf sich drauf.

Und verdammt ich schrie wie versprochen vor Wonne, als er so in mich eindrang.

Er schloss die Augen und bog sich mir entgegen. Langsam, aber dennoch kräftig und intensiv gab er den Rhythmus vor. Seine Hände waren es die mich bewegten, hochhoben und wieder runterzogen. Ich hatte keinen Einfluss mehr und stöhnte nur noch vor Lust und Hingabe.

Der Orgasmus kam viel schneller als erwartet und ich ließ mich schwer auf ihn fallen, umarmte ihn, umklammerte ihn, während er uns gemeinsam drehte und mich nun seinerseits erkundete. Genau wie ich ihn vorher, mit seinen Händen, seinem Mund und dann mit seiner Zunge.

Meine Augen flogen auf, als er zwischen meinen Schenkeln ankam. Meine Hände flogen um seinem Kopf und wollten ihn vor Scham wegdrücken, aber er nahm sie sanft in seine, hielt sie fest und ließ seinen Mund wieder auf meinen empfindlichsten Punkt sinken.

Ich verlor den Verstand, eindeutig. Das Gefühl, dieses unbändige Zerren war kaum zu ertragen und der Höhepunkt, der auch diesmal viel zu schnell kam, war so anders, so intensiv, dass es fast weh tat. Während ich noch explodierte, schob er zwei Finger in mich und ich starb geradezu vor Lust. Ich stöhnte auf und schrie, als die nächste Welle über mir zusammenbrach.

Zum Abschluss küsste er sanft meinen Oberschenkel. »Jetzt bist du dran Babe, dreh dich um.« Ich gehorchte nur zu gern. Seine Hände packten fest meinen Hintern und drückten zu. »Oh Vi, ich liebe dein Hinterteil. Vielleicht sollte ich mir ein Bild davon auf den Schreibtisch stellen.«

Ich lachte stockend, noch völlig atemlos. Ein frecher Gedanke schoss mir durch den Kopf, aber er war schon bei meinem Rücken angelangt und fuhr sanft mit den Fingerspitzen und seinem Mund über die Schulterblätter und die Wirbelsäule wieder runter bis zum Steißbein.

Da er nur locker über meinen Beinen hockte, hatte ich genug Bewegungsfreiheit, um meinen bösen Gedanken in die Tat umzusetzen. Schließlich wollte ich ihm die gleiche Befriedigung schenken, die er mir nun bereits mehrfach gewährt hatte. Als er gerade den Finger über meinen Hintern weiter Richtung Beine lenkte, hob ich den Po und kippte ihm mein Becken auffordernd entgegen. Ich spürte, wie er kurz innehielt, hörte ein leises Knurren tief aus seiner Kehle kommend und schob mich ihm noch ein Stück stöhnend entgegen.

Seine Hände griffen mich besitzergreifend und zogen mich ganz auf die Knie. Ich spürte, wie er sein Gewicht verlagerte und im nächsten Moment war er bereits in mir. Wieder konnte ich nur dieses seltsame Geräusch von mir geben. Ich hörte ihn Stöhnen, lang, tief und voller Verlangen, bevor er das Tempo erhöhte, worauf ich gierig einging. Völlig hemmungslos und wild bewegte er sich und jeder Stoß ging mir durch bis in die tiefsten Winkel meines Körpers.

Sein Griff verstärkte sich. Ich hörte ihn dunkel knurren, als er seinen Höhepunkt erreichte. Hingebungsvoll stöhnte er meinen Namen und keuchte abgehackt, zuckte, verlor Körperspannung, grub seine Nägel in meine Haut und dann sackte er auf mich. Er fiel regelrecht in sich zusammen.

In mir regte sich Hoffnung, denn das hier war mehr als nur Sex, aber ich drückte sie schnell wieder von mir.Schwer lag er einen Moment auf mir, bevor er sich auf die Seite rollte und mich in seine Arme zog. Sein Blick löste wieder eine Welle von Gefühlen in mir aus, die ich kaum bewältigen konnte. So viel Sehnsucht, wie konnte ich nur immer noch nicht genug von ihm haben.

Völlig atemlos küsste er mich kurz und mein Mund suchte direkt mehr, aber er ließ mich verhungern. »Babe, ich hatte gerade den wahnsinnigsten, erfülltesten, besten, exorbitalsten Orgasmus in der Geschichte der Menschheit, lass mich atmen.«

Glücklich grinste ich ihn an und strich ihm die Haare aus der Stirn. Ok, ich war stolz darauf. Ich hatte ihn ja quasi besiegt.

»Kleines? Darf ich dich behalten?« Mein Herz zersprang vor Glück und Angst gleichzeitig. »Vi, sieh mich an.« Meine Augen hatten sich unweigerlich geschlossen. »Victoria sag mir doch endlich, was los ist.«

Langsam öffnete ich die Augen, ohne ihm ins Gesicht zu sehen, sondern konzentrierte mich auf seine Brust, auf der meine Hand kreisende Bewegungen vollführte.

»Ich werde keine andere mehr anrühren. Ich will nie wieder jemand anderen als dich.«

Mein größter Wunsch und jetzt tat es so weh, weil er bestimmt nicht blieb, wenn ich ihm die Wahrheit sagte. Ich kuschelte mich in seinen Arm. »Dann sag es den anderen, wenn wir wieder in London sind. Sag es Edward und Henry, dass du mich liebst, dann lass es uns versuchen, richtig!«

Sein Körper versteifte sich. »Nein!« Er stieg fluchtartig aus dem Bett. »Eins nach dem anderen, Vi, verlang das nicht von mir. Sperr mich nicht ein.«

War unser Baby nicht auch nur ein Gefängnis für ihn? Ich ging auf ihn zu, sah in dieses entschlossene kampfbereite Gesicht. »Das ist nur mein Wunsch. Ich verlange nichts Sher. Nur ein Wunsch, und ich weiß, dass nicht alle Wünsche erfüllt werden.« Traurig seufzte ich und verdammt mir taten die Brüste weh, aber so fies schmerzhaft, dass ich automatisch hin griff.

»Was ist los?«

»Mir tun die Brustwarzen weh. Fast wie ein Krampf. Bestimmt zu kalt geworden.« Wieder durfte ich mich in seinem Arm kuscheln, um Trost zu finden.

»Kleines noch ein bisschen Zeit, bitte.«

»Ok, aber ich darf sagen, was ich mir wünsche.«

»Ja, das darfst du. Ich fürchte wir müssen uns anziehen, sonst kommen wir zu spät.«

Innig küsste ich ihn. »Leider. Stundenlang ohne deine Haut auf meiner.«

Seine Augen funkelten frech. »Da gibt es diese Kammer bei ihnen im Haus, da könnten wir uns treffen.«

Entrüstet schlug ich ihm auf die Brust. »Nein, ganz bestimmt nicht. Ich bin eine ehrbare Frau.«

Gespielt empört stolzierte ich Richtung Bad und kassierte einen spielerischen Schlag auf den Hintern. »Meine ehrbare Frau.«

Grinsend schloss ich die Tür hinter mir, ohne mich nochmal umzudrehen. Für diesen einen Moment war ich ausnahmslos glücklich.

Kapitel 3

 

Dass uns eine Sache fehlt, sollte uns nicht davon abhalten, alles andere zu genießen.

Jane Austen

 

Gekleidet in ein teures dunkelgrünes Kleid, das bodenlang elegant meinen Körper hinunterfloss, saß ich neben Sherlock im Aston Martin und wurde zunehmend nervös. So viele Menschen, die ich nicht kannte. So viele Regeln, die ich in meinem unterprivilegierten Leben nie gelernt hatte.

Sherlock griff nach meiner Hand. »Alles wird gut Kleines, du siehst wunderschön aus. Deine Augen sind wieder grün. Das fasziniert mich, am Meer waren sie blau.«

»Im Regen sind sie grau, das liegt daran, dass ich ein Wechselbalg bin, deswegen hab ich auch keinen Vater.«

Er drückte sanft meine Hand und ging souverän über meine bissige Bemerkung hinweg. »Du trägst meinen Ring.«

Der schöne Saphir Ring, den Sherlock mir gekauft hatte, passte gut zu den anderen Ringen, die ich zu dem Kleid gewählt hatte. Aber natürlich war er mir der Liebste. »Darf ich dir auch einen schenken? Oder wäre dir das ... zu viel?«

»Kommt drauf an, was er aussagt.«

Ich strich nochmal mein Kleid ab und suchte nach Fusseln, die nicht da waren. »Du weißt schon, nur das Übliche. Wenn du ihn ins Feuer wirfst, erscheint so eine Schrift: Ihn zu knechten, zu unterwerfen.«

Sherlock lachte aufrichtig. »Na dann, hab ich ja nichts zu befürchten.«

»Nein, absolut nicht. Ich bin so nervös.«

Wieder drückte er meine Hand. »Edward ist ja auch noch da.«

Entsetzt rief ich. »Was?«

Nervös sah er zu mir rüber. »Wusstest du nicht, dass er auch kommt? Er war schließlich eingeladen, genau wie ich.«

»Ich hatte keine Ahnung. Er musste doch zu einer Fortbildung oder so, aber ist eigentlich auch ganz gut, dann kenn ich wenigstens einen außer dir.«

Er räusperte sich. »Das mit der Fortbildung hat er verschoben, für Becca. Und dann kommen noch die Hunters.« Ich schlug die Hände vors Gesicht. »Tut mir leid. Ich hab überhaupt nicht darüber nachgedacht, dass du das nicht weißt.«

Ich drückte meinen Kopf gegen das kalte Fenster. »Das heißt Susan, Nathan und David?« Er nickte »Warum kommt Henry nicht?«

Er zog eine Augenbraue hoch. »Vi, so lang sind sie noch nicht zusammen. Schwule Paare sind immer noch eine Attraktion in solchen Kreisen. Das kostet Kraft.«

Eine Zeitlang fuhren wir still durch die Landschaft, bis ich in der Ferne ein rotes Backsteinhaus ausmachen konnte. Ziemlich groß und herrschaftlich und wahrscheinlich um einiges älter als Blackhill Manor. Ich würde auf Tudorzeit tippen.
Empfang und die ersten Bekanntschaften meisterte ich mit Bravour. Sher hielt die meiste Zeit eine Hand an meinem Rücken oder ließ elegant meinen Arm auf seinem und führte mich von einem zum anderen. Wobei ich merkte, dass keiner mich für seine echte Verabredung hielt. Was mir doch zu denken gab. Neugierig wurde ich von oben bis unten gemustert, ausgefragt und bewertet.

Interessanterweise hatte ich später beim Sektempfang nach der Trauung schon die ersten Heiratskandidaten, die teilweise von ihren Müttern vorgeführt wurden. Sher amüsierte sich königlich, was ich nur an seinen Augen erkannte, vor einigen Wochen hätte ich keine Regung in seinem Gesicht gesehen.

Als wir kurz etwas abseits allein standen, bemerkte ich: »Anscheinend bin ich eine gute Partie.«

Er schmunzelte. »Reich und einen Titel, was will man mehr Vi.«

»Ich denke, du bist reicher, oder?«

Er trank einen Schluck und musterte mich. »Allerdings und ich hab den Titel tatsächlich inne, du gibst ihn nur an deinen Sohn weiter.«

Automatisch fasste ich an meinen Bauch. »Was hast du eigentlich für einen Titel?« »Earl of Sundrington.«

Ich pfiff leise. »Nicht schlecht, komisch, dass ich nie drüber nachgedacht habe.«

Er strich mir über den Arm. »Dir sind andere Dinge wichtiger.«

Absolut!

Anscheinend kam jetzt wieder Bewegung in die Gesellschaft. Sherlock hielt mir den Arm hin und los ging es zum Festsaal und Kuchenbuffet. Weitere zwei Stunden vergingen mit Kuchen und Kaffee und vielen Gesprächen über das Wetter und witzigerweise das Empire. Sherlock diskutierte mit einem älteren Mann, einem Lord Mac Neil über die Geschichte des Empires und die Indienpolitik. Während ich gesittet daneben stand und bei den richtigen Stellen angemessen lächelte oder betroffen das Gesicht verzog. Ganz die vorbildliche zurückhaltende Begleitung. Bei den grausigen Geschichten über Indien hörte ich eher weg, solche Dinge waren für mich schwer zu verkraften. Irgendwann gesellte sich noch ein Mann in den Dreißigern zu uns irgendein Duke und ein Mann um die 50 mit seiner Frau, die allerdings vor allem daran interessiert war, die anderen Damen zu begutachten und sich auf kein Gespräch einließ. Nicht mal über das Wetter.

Das Thema wendete sich den größten Schlachten der Engländer zu. Waterloo war dabei und Sewastopol. Militärisch war ich gar nicht bewandert, also hielt ich mich stark zurück, begnügte mich mit geheucheltem Interesse. Der Duke versuchte allerdings wiederholt, mich mit einzubeziehen. Mittlerweile stand er mir ziemlich nah und fragte nun. »Lady Pendrake, welche Schlacht in der englischen Geschichte würden sie denn als die wichtigste oder einschneidendste betrachten?«

Da gab es für mich eigentlich nicht viel zu überlegen. »Es gibt eigentlich zwei.« Aufmunternd sah er mich an, wenn auch ein wenig herablassend. »Wobei die eine, keine einzelne Schlacht ist, die Eroberung durch Wilhelm, da sich dadurch natürlich alles in eine neue Richtung lenkte. Aber für mich ist das schlimmste, bedeutendste und auch furchtbarste Culloden. Tatsächlich denke ich, wäre es wünschenswert, dass sie so nie stattgefunden hätte.«

Arrogant sah er auf mich herab. »Dann hätten sie Schottland nicht befrieden wollen, diese ganzen Clankämpfe stoppen?«

Da musste ich tief durchatmen. »Verstehen sie mich nicht falsch. Frieden ist immer wünschenswert, aber nicht auf Kosten einer ganzen Kultur, die wundervoll und frei war. Ein System, das meiner Meinung nach funktioniert hat.« An seinem Blick sah ich, dass ihm missfiel, was ich sagte, deswegen lachte ich beschwichtigend. »Verzeihen Sie mir. Als Viertel Schottin ergreife ich Partei für die Seite meiner Großmutter.«

Nun begutachteten mich Sherlock und dieser Mac Neil, der sicherlich auch Schotte war. Sherlock fragte verwundert. »Deine Großmutter war Schottin?«

»Ja natürlich. Anne Mac Gilles.«

Sher schmunzelte. »Na jetzt wundert mich nichts mehr.« Feixend wandte er sich an Mac Neill. »Sie trinkt Whiskey wie eine Engländerin Tee.«

»Sherlock ich bitte dich.«

Er zog die Augenbrauen hoch. »Und dann stibitzt sie mir die Flasche, die ich Ihnen abgekauft hatte, und erklärt mir er wäre scheußlich.«

Mac Neill lachte lautstark mit Sher. »Wie sagst du immer so schön zum Islay. Torf Moor Rauch Zeug.« Etwas verlegen drehte ich den Ring um meinen Finger.

Mac Neill sagte: »Nicht jeder weiß einen guten Islay zu schätzen. Was bevorzugen sie?«

»Sherry Fass da bin ich wahrscheinlich typisch Frau und Port Fass.«

Er nickte. »Ich schicke Ihnen von beidem eine Flasche, die sie probieren sollten. Der eine ist aus dem Geburtsjahr meines Sohnes. Wirklich einer der besten die ich je gebrannt habe. Der andere ist erst 14 Jahre alt, aber ungemein angenehm. Etwas für den Sommerabend.«

Ich freute mich sehr darüber und bedankte mich.

Kurz danach löste sich die Runde auf, da bald schon wieder das Dinner erwartet wurde. Wir gingen zu unserem vorbereiteten Tisch. Logischerweise erwarteten uns durch die geplante Sitzordnung dort Edward und Rebecca.

Edward suchte direkt meinen Blick, als er höflich aufstand. »Victoria, darf ich dir Rebecca vorstellen.« Und deutete ziemlich nervös auf seine Tischnachbarin.

Natürlich war sie eine Schönheit, stilvoll elegant, perfekte Figur, schöne Apfelbrüste, nicht zu große hängende, wie meine, schmale Taille und Wahnsinns Beine, die sie durch diesen in Streifen geschnitten Rock perfekt zur Geltung brachte. Da konnte ich mit meinen Stampfern nicht mithalten. Zwar war sie etwas kleiner als ich, aber auch dünner, sportlicher und ihre Haare ein Traum aus glatter hellbrauner Seide. Das Leben war so ungerecht. Rein äußerlich war sie mir eindeutig haushoch überlegen. Dieses symmetrische Gesicht mit den großen braungrünen Augen sah mich jetzt schüchtern freundlich an. Mein Gesicht war wahrscheinlich eine klare abschätzende Maske, als ich ihr höflich zunickte. »Guten Tag, ich bin Victoria Pendrake.« Steif setzte ich mich und hoffte, erhaben zu wirken auf den Stuhl, den Sherlock mir bot und würdigte sie keines Blickes mehr.

Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie Edward mich irritiert musterte und Rebecca etwas zu flüsterte. Daraufhin gab sie ihm einen Kuss auf die Schläfe und zwinkerte. Nicht besonders damenhaft überlegte ich, ihr eins dieser bezaubernden Silbermesser entgegenzuschleudern.

Woher kam nur diese Eifersucht? Schließlich hatte ich die schönste Zeit hier mit Sherlock. Der mich jetzt von der Seite leise ansprach. »Kleines, wie geht’s dir damit?«

Um einen neutralen Gesichtsausdruck bemüht, sah ich in an und raunte ihm ins Ohr. »Ich denke, man sieht mir an, dass ich nicht ganz glücklich bin.«

Noch leiser als vorher antwortete Sherlock. »Du bist gerade die geborene Lady, man weiß nicht, was du denkst. Könnte das morgige Mittagessen sein, Sex oder der Tod deiner Katze.«

Meine Augen weiteten sich ein bisschen, das hätte ich nicht gedacht, aber jahrelange Übung meine Gefühle zu verstecken, mussten sich auch mal auszahlen.

Rebecca schien auf den richtigen Moment zu warten, gut irgendwann musste ich ja mit ihr sprechen, also sah ich aufmunternd zurück. »Edward hat erzählt, du studierst?«

Ich nickte lächelnd, dachte aber blöde Kuh, wo hat er das erzählt im Bett?

»Gefällt es dir, zu studieren?«

»Nein, nicht besonders. Im Moment fehle ich einfach zu oft. Ich denke nicht, dass ich weitermachen werde.«

Sherlocks Kopf drehte sich ruckartig zu mir und auch Edward sah mich erstaunt an. Gleichzeitig fingen sie an zu reden. »Wieso?«

»Was bitte soll das denn?«

Warum sollte ich mich jetzt noch aufs Studium konzentrieren, bald würde ich in erster Linie Mutter sein. »Vielleicht, in ein, zwei Jahren wieder. Jetzt denke ich, möchte ich erstmal einen anderen Weg gehen.«

Rebecca kniff kurz die Augen zusammen und sah auf meine Hand, die gedankenverloren meinen Bauch streichelte. Schnell zog ich sie weg.

Sherlock bekam diesen harten Prof Blick. »Und was bitte schön ist dein Plan?«

Ich seufzte, denn bisher hatte ich noch mit keinem darüber geredet. »Matthew verkauft die Buchhandlung, er ist finanziell nicht besonders gut dran. Der Plan ist sie zu kaufen und weiter zu führen. Außerdem geh ich bei ihm in die Lehre. Restauration und Geschäftsführung.«

Entgeistert sah er mich an. »Interessant! Das ist schon ziemlich konkret für vielleicht. Wann bitte schön ist dieser Plan entstanden? Warum hast du nicht mit mir darüber geredet?«

»Ich hab letzte Woche öfter mit ihm telefoniert und mit Angus, dem ja ein Teil des Geschäfts gehört.«

Seine Kiefermuskeln traten deutlich hervor. »Angus, natürlich! Ich wusste nicht, dass du nochmal Kontakt zu ihm hattest.«

In dem Moment landete eine Hand fest auf Sherlocks Schulter. »So Schwesterchen, ich hab deinen Mann gefunden und unseren Tisch.«

Nathan Hunter, der jetzt an Sherlock vorbei zu mir trat und das Namensschild neben mir hochnahm, anscheinend gefiel ihm nicht, was drauf stand und er tauschte mit dem daneben und ließ sich nieder. »Hey Zuckerschnute, hab gehört du bist wieder Single?« Er grinste Edward süffisant an. »Selbst schuld! Wie kann man diesen Körper gehen lassen.«

Er hatte meinen Körper nie gesehen, zumindest nicht ohne Klamotten. Witzigerweise hatte ich jetzt zwei Crofts mit verbissenen Kiefer, was mich zum Grinsen brachte. Das war alles so lächerlich, wie im Kindergarten. Zwei eifersüchtige Männer. Der eine hatte mich betrogen und für sie verlassen und der andere konnte nur hinter geschlossenen Türen zugeben, dass er mich wollte.

Ich war immer noch mein eigener Herr, also legte ich Nathan die Hand auf den Oberschenkel, stützte mich betont drauf ab und kam ihm etwas näher. »Des einen Leid ist des anderen Freud, nicht wahr?« Wir sahen uns schwer und eindeutig lächelnd zu lang in die Augen.

Dann flüsterte er mir ins Ohr. »Ich wüsste da eine Kammer, in der wir uns später treffen könnten.«

Ich musste augenblicklich lachen, so sehr ich mich auch bemühte, mich zu beherrschen. Nathan grinste mich an und machte eine unverständige Geste und ich winkte kichernd ab. »Lass uns später nochmal reden, in Ruhe.«

Ich spürte regelrecht, wie Sherlock noch gerader neben mir wurde und dann hörte ich meine Lieblingsstimme ... Susan! »Victoria wärst du so lieb, dich auf die andere Seite zu setzen?«

Ich sah über meine Schulter, aber Sherlock antwortete für mich. »Nein Susan! Sie ist meine offizielle Begleitung, also sitzt sie neben mir und du neben David.«

Er hatte sie nicht mal richtig angesehen, dafür wurde ich jetzt von diesen kalten blauen Augen erdolcht. »Natürlich, Sherlock.« Und schon ging sie brav zur anderen Seite des Tisches.

Ich hätte ihm zumindest verbal die Augen ausgekratzt, bei dem Ton. Aber gut das würde sie bestimmt dafür bei mir tun.

Das Gespräch während des Essens verlief erwartungsgemäß recht schleppend. Sherlock war sauer auf mich, Susan auf Sherlock, ich auf Edward und Rebecca. David stocherte gedankenverloren in seinem Essen und Nathan schien das alles nicht zu stören und checkte die Frauen ab.

Aber selbst Nathans gute Laune ging langsam die Puste aus und er versuchte krampfhaft, mit jemandem ein Gespräch anzufangen. »Wie geht’s Sarah?«

Erstaunt sah ich ihn an. »Ich hätte gedacht, du hättest im Moment mehr Kontakt zu ihr als ich?«

Etwas verlegen wackelte er mit dem Kopf. »Na ja, eigentlich hab ich sie nicht mehr so richtig angerufen oder bin ans Telefon gegangen. Sie war etwas arg anhänglich.«

Ich sah einmal in die Runde und sagte etwas zu laut, um nicht gehört zu werden. »Ich bin von Arschlöchern umgeben.« Alle sahen hoch. »David natürlich ausgeschlossen.«

»Sagt die kleine Hure«, hörte ich Susan.

Sherlock setzte schon zu einer Erwiderung an, aber ich stoppte ihn mit einem Blick und meiner Hand auf seinem Arm. Ironisch lächelte ich sie an. »Unter Gleichgesinnten erkennt man sich, nicht wahr?«

Sie schnappte empört nach Luft, mir blieb aber die Antwort erstmal erspart, da der Kellner mit dem Hauptgang kam. Etwas ratlos besah ich mir meinen Teller, aufgeschnittenes zu Rosa gegartes Rinderfilet mit Rosmarin Kartoffeln und Bohnen mit Speck. Gut, blieben Kartoffeln und Speck. Eventuell noch eine Bohne.

»Lass dir von ihr nicht den Appetit verderben.« Sherlock legte mir kurz die Hand auf den Oberarm, nicht ohne Susans Inspektion der Lage.

Überhaupt fühlte ich mich wie unter Bewachung. Vielleicht hätte ich mir die Bemerkung verkneifen sollen, aber manchmal musste gesagt werden, was mir durch den Kopf ging. Wenigstens fingen alle an sich auf das Essen zu konzentrieren. Die Kartoffeln waren gut, aber Pizza wäre besser. Susan und Nathan tuschelten und lachten. Anscheinend versprühte sie ihr Gift jetzt gegen andere im Saal. David schien mir irgendwie traurig und ich fragte ihn stumm, ob alles ok wäre? Er nickte und zuckte mit den Achseln, schaffte aber kaum ein Lächeln. Seltsam! Leise wandte ich mich an Sherlock. »Weißt du, was mit David los ist? Er kommt mir so bedrückt vor.«

Kurz sah er zu ihm rüber und schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, aber du hast recht, ich frag ihn gleich mal. Isst du kein Fleisch?« Ich verneinte stumm. Mit gerunzelter Stirn sah er mich an. »Du hast vor einer Woche viel Blut verloren, Rindfleisch ist gut für dich. Viel Eisen!«

Jetzt mischte sich auch noch Edward ein. »Auf jeden Fall, iss dein Fleisch.«

Das bescherte mir nun den zusammengepressten Kiefer. Demonstrativ aß ich ein Stück Bohne mit Speck. »Nein, danke!«

Edward legte sein Besteck hin. »Sei nicht so unvernünftig. Was soll das denn bitte?«

Susan lächelte süffisant. »Edward, sie ist halt nur ein Kind.«

Interessanterweise war es Rebecca, die sie scharf ansah. »Halt den Mund Susan, wenigstens so lange, bis du etwas Intelligentes zu sagen hast. Das könnte allerdings etwas dauern, wie ich dich kenne.«

Wieder schnappte sie so nett affektiert nach Luft.

Ich kniff mühsam die Lippen zusammen, um mir mein Lachen zu verkneifen.

Rebecca besah sich Susan und grinste mich dann offen an. »Nett, wie sie das macht, oder? Wie einer dieser Kussfische.« Dann machte sie das übertrieben nach und ich prustete los.

Empört stand Susan auf und ging hoheitsvoll aus dem Raum.

Sherlock neben mir seufzte auf, warf seine Serviette auf den Tisch und ging ihr mit einem. »Na toll!«, hinterher.

»Und doch kümmert er sich wie immer um Königin Susan.« David sah mich mitleidig an und hatte genau das ausgesprochen, was ich dachte.

Ich ignorierte den Stich, den mir das versetzte und Gott sei Dank wurde der Gang abgeräumt und ich war das Blut vor mir los.

Die nächste Zeit beäugten Rebecca und ich uns immer wieder und fingen sogar an, uns anzulächeln. Edward schien dadurch fast noch nervöser zu werden.

Es dauerte bis zum Nachtisch, bis Sherlock wieder auftauchte. Genervt setzte er sich und trank ein halbes Glas Wein in einem Zug. »Ich brauche dringend einen Whisky. Gut, dass das Dinner bald vorbei ist. An alle, die es interessiert. Susan sitzt knatschig im Damensalon und wartet, bis man sich mit gesitteteren Menschen unterhalten kann. Nathan, vielleicht siehst du gleich mal nach ihr? Sie ist ziemlich eingeschnappt. Und Becca, es wäre schön, wenn du ein wenig Benehmen zeigen könntest. Wir sind hier schließlich nicht im Pub unter gewöhnlichen Leuten.«

Edward und Becca wirkten beide empört. Zu Recht, wie ich fand.

Ich lächelte ihn falsch an. »Danke Herr Professor für die Analyse und danke Lord Croft, dass sie uns erklären, wo wir in der Hierarchie hingehören.«

Arrogant sah er mich an. »Mach dich nicht lächerlich, du gehörst genauso dazu wie ich. Lady Pendrake

»Du vergisst, dass ich nur ein adoptierter Bastard bin, der den Titel lediglich vererbt, aber nicht selbst innehat.«

Er schnalzte mit der Zunge. »Haarspalterei.«

Automatisch lag meine Hand wieder auf meinem Bauch und diesmal waren es David und Rebecca, die mich nachdenklich musterten. Ich griff sauer nach meinem Weinglas, nur um im letzten Moment zu registrieren, was ich da tat und es gegen Wasser austauschte.

»Stimmt was nicht mit dem Wein?« Sherlock hatte immer noch diese furchtbare überhebliche Art an sich.

»Danke, alles bestens.« Besser ich konzentrierte mich auf den Nachtisch, der wahnsinnig toll war. Italienische Dessert Auswahl. Panna cotta mit Beeren, Profiterole, Schokoladeneis und Tiramisu, das ich natürlich nicht aß. Dafür aber Nathan, der sich glücklich drauf stürzte, als er merkte, dass ich es über gelassen hatte.

Dankbar ging ich Richtung Terrasse, als das Dinner endlich aufgehoben wurde. David war mir gefolgt und stellte sich nun neben mich. »Victoria, ich muss dich was fragen.«

»Dann tu es.« Er sah so bedrückt aus und ich hoffte, ihm helfen zu können.

»Was verheimlicht Henry mir? Hat es was mit dir zu tun?«

Also hatte er ihn nicht eingeweiht. Beruhigend legte ich meine Hand auf seinen Arm. »Ja David, zu hundert Prozent. Ich bin mir sicher, dass es nur das ist. Sei mir und ihm nicht böse. Er wahrt nur die ärztliche Schweigepflicht.«

»Aber du könntest es mir sagen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«

Er seufzte. »Also ist alles in Ordnung zwischen mir und Henry?«

Wie leid mir das tat. »Mit Sicherheit David. Er ist einfach ein miserabler Lügner.«

David lachte etwas erleichtert auf. »Allerdings. Er kann mir kaum in die Augen sehen.«

Gleichzeitig kamen Edward Rebecca und Sherlock auf uns zu. Sherlock drückte mir einen Whisky in die Hand und David bekam einen von Edward. »Du siehst aus, als könntest du einen gebrauchen, Kleines. Außerdem wird gleich getanzt, also trink dir schon mal etwas Mut an.« Sein schiefes Lächeln erschien und aller Ärger war vergessen. Wie so oft entstand dieser stille Austausch zwischen uns und wir hielten viel zu lang den Blickkontakt.

Erst als Edward mich ansprach, lösten wir uns schwerfällig voneinander. »Wie gefällt dir Blackhill Manor?«

Abweisend antwortete ich. »Ich denke, es ist angemessen für einen Earl, oder nicht?«

Leicht gekränkt sah er mich an. »Süße, ich dachte, wir könnten wieder normal miteinander umgehen.«

Rebecca sah ihn leicht pikiert an. Und fürs Erste herrschte Stille.

Nach ein paar Minuten startete er den nächsten Versuch. »Du siehst besser aus, erholt. Der Ausflug scheint dir zu bekommen.«

Ich starrte demonstrativ aus dem Fenster, ich wusste selbst nicht, warum ich so stur und verbockt war.
Sherlock übernahm für mich. »Wir waren am Meer, das Wasser ist allerdings recht kalt.«

Ich war so unvernünftig sauer. Dieser Wutball musste einfach raus. »Ja das war schön und danach er hat mich ordentlich durchgevögelt, mehrmals, das war sehr entspannend.« Ich sagte das ganz sachlich und neutral, so als würde ich mir einen Kaffee bestellen.

Rebecca grinste in ihr Whisky Glas. »Der hat gesessen. Edward, du hast recht, ich mag sie.«

Edward allerdings schien nicht mehr atmen zu können und Sherlock mahlte mal wieder mit dem Kiefer.

Ich lenkte ein. »Entspannt euch Jungs. Tut mir leid Edward, aber ich bin echt sauer auf dich. Und dass sie hier ist, schuldige Rebecca, macht es gerade nicht besser.«

Edward ging aggressiv ein Stück auf mich zu. »Wer bitte teilt denn hier ständig unter der Gürtellinie aus? Erst erklärst du mir, du hättest mir alles im Bett nur vorgespielt und jetzt versuchst du, mir mit Sherlock eins auszuwischen? Lächerlich. Als würde ich dir glauben, dass er dich anfasst. Mal abgesehen von der Tatsache, dass du im Grunde am ersten Tag unsere Beziehung mit Nathan im Atelier gevögelt hast. Denkst du wirklich, du hättest ein Recht, mir Vorhaltungen zu machen?«

Mein Magen drehte sich um und mir wurde eiskalt. »Was?«

»Tu nicht so. Susan hat mir alles erzählt, wie dumm ich war, zu glauben, dir hätte was an mir gelegen.«

Meine Sicht verschwamm und mir wurde schwindelig. Ich kippte den Whisky in einem Zug runter.

Sherlock griff fest meinen Arm. »Stimmt das?« Seine Stimme war eiskalt.

Ich starrte das leere Glas in meiner Hand an. Gott, hochprozentiger Alkohol, mein armes Baby.

»Victoria, es wäre schön, wenn du mir eine Antwort geben würdest.«

Alles lief irgendwie an mir vorbei, nur atmen zählte und Henry fragen wegen des Whiskys.

»Sherlock, sie war locker eine halbe Stunde mit ihm da drin, bei abgeschlossener Tür. Mir kam das gleich komisch vor. Susan hat sie gehört und Nathan hat’s ihr bestätigt.«

Mein Baby, ich musste den Whisky wieder loswerden. Fassungslos begriff ich, was er da erzählte. »Nathan hat was?«

»Victoria, ich bitte dich, keiner nimmt dir die Unschuld vom Lande noch ab.«

Langsam krochen die Tränen in mir hoch. »Entschuldigt mich bitte.« Ich reichte Sherlock das leere Glas und setzte mich mechanisch in Bewegung Richtung Toilette.

»Victoria warte!«

Nein das würde ich nicht. Zielstrebig schleuste ich mich durch die Menge Richtung Toilette, während Sherlock immer wieder aufgehalten wurde.

Als der Whisky wieder draußen war, fühlte ich mich etwas besser, aber trotzdem fiel dieses Gefühl in einem Albtraum zu stecken nicht von mir ab. Ich wusch mir notdürftig das Gesicht und spülte den Mund aus, wenigstens war ich allein hier. Minutenlang starrte ich in den Spiegel.

Nach einiger Zeit klopfte es an der Tür. »Victoria?« Rebecca, was machte sie denn hier? »Darf ich rein?« Wieder musste ich gegen die Tränen arbeiten. »Sherlock hat sich Susan vorgeknöpft, weil er es nicht glauben konnte. Er hat dich eisern verteidigt. Sie hat zugegeben gelogen zu haben. Edward sucht jetzt nach Nathan. Sei ihm nicht böse. Für ihn ist es auch nicht leicht.«

Ich schloss die Tür auf und sie schlüpfte schnell durch und schloss wieder ab. Dann nahm sie mich in den Arm, zuerst versteifte ich mich, aber dann ließ ich es zu und entspannte. »Hast du dich übergeben?« Ich nickte. »Bist du schwanger?«

Der Schock war mir mit Sicherheit ins Gesicht geschrieben.

Sie atmete tief durch und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ist es von Edward?«

Fassungslos starrte ich sie an und schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht schwanger.« Auch in meinen Ohren klang meine Stimme mehr als dürftig.

»Du brauchst mich nicht anlügen. Du isst kein blutiges Fleisch, ständig liegt deine Hand auf deinem Bauch. Du hast keinen Schluck Wein getrunken und rennst zum Klo, weil du den Whisky wieder loswerden willst.«

Wie sollte ich das erklären. »Nein, das ist nur Zufall.«

Abgeklärt begutachtete sie mich. »Victoria ich arbeite seit fast einem Jahr beim Frauenarzt und meine Schwester ist im 6 Monat, aber gut dann bist du eben nicht schwanger, sag mir nur bitte.« Ihre Stimme zitterte. »Wenn wäre Edward der Vater?«

Ich verstand nur zu gut, dass sie litt, aber konnte ich gegenüber einer Fremden zugeben, was los war?

»Victoria dein Gesicht sagt alles. Ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich es keinem sage, das ist deine Entscheidung, aber ich bitte dich, ich muss das wissen?« Sie war kurz davor zu weinen und ich gab nach.

»Er ist nicht der Vater, ganz sicher Rebecca. Wir haben immer verhütet und ich war vorher schon … ich wusste es nur nicht. Aber es weiß keiner und das soll bitte so bleiben. Erst muss ich es dem Vater sagen, das ist nicht fair sonst.«

Erleichtert atmete sie tief durch. »Ja natürlich, weißt du, wer es ist?«

Entsetzt rief ich. »So viel Auswahl gibt’s da nicht.«

Sie schlug sich die Hand vor den Mund. »O Gott, es ist Sherlock.«

Ich schwankte, wahrscheinlich war ich augenblicklich kreidebleich. »Nein, nein, Becca, nein.«

Ernst musterte sie mich. »Verdammt, ich glaube, ich könnte es ihm auch nicht sagen.«

Bei der resignierten Art, die sie dabei hatte, kamen mir sofort die Tränen. Verzweifelt schlug ich die Hände vors Gesicht. »Einmal Becca! Nur einmal denk ich nicht nach und direkt passiert mir sowas.«

Wieder nahm sie mich in den Arm. »Wir alle denken mal nicht nach oder verlieren irgendwie unser Urteilsvermögen, so wie Edward und ich an dem Abend. Das tut mir wahnsinnig leid. Alles! Ich wollte dir nicht den Freund stehlen, aber ...«

Sie schluckte und ich sprach für sie weiter. »Du liebst ihn mehr als jeden anderen.« Sie nickte traurig. »Becca ist schon in Ordnung. Nur das mit dem Betrügen ist bei mir ein ziemlich rotes Tuch. Ich kann nicht versprechen, dass ich ihm das nicht noch ein bisschen vorhalte.«

Sie grinste verschwörerisch. »Höchstens die nächsten 40-50 Jahre?«

Kichernd zog ich eine Grimasse. »Absehbar. Lass nicht zu, dass ich auf eurer Hochzeit eine Rede halte. Das wäre sicher lustig, aber nicht jugendfrei.«

Wir kicherten und alberten rum, sammelten schon mal Ideen für böse Reden und sie fing an, mein Make-up in Ordnung zu bringen. »Edward hatte recht, du bist cool.«

Ich betrachtete mich im Spiegel. »Danke. Du bist auch in Ordnung und eine echte Schönheit, allein dafür muss ich dich hassen.«

Sie wurde knallrot. »Na ja, ich weiß, dass ich ganz hübsch bin, aber dir guckt jeder Mann hinterher. Du hast diese selbstbewusste erotische Ausstrahlung.«

Resigniert sah ich sie durch den Spiegel an. »Tja, mich will man flachlegen, dich heiraten. Keine Frage was ich mir wünschen würde.«

Unsicher packte sie ihre Utensilien wieder in die Handtasche. »Würdest du das? Ihn heiraten?«

Die letzten Haare waren auch wieder geglättet. »Wen?« Ich schürzte die Lippen und begutachtete den Lippenstift.

»Sherlock.« Uff, Mist. »Oh Gott du würdest! Du bist in ihn verliebt, oder?«

Ich sah sie so genervt an, wie ich es hinbekam. »Nein!«

Sie zeigte mit dem Finger auf mich. »Ach komm, ich bitte dich. Dann sag es ihm.«

Das wurde mir hier zu ernst. »Lass uns gehen und ...« Ich baute mich vor ihr auf mit drohendem Gesicht. »Kein Wort zu niemandem, sonst na ja sonst muss ich Susan fragen, wie man jemanden fertig macht.«

Sie grinste kurz. »Keine Sorge. Ich sag nichts, auch wenn ich Edward nicht gerne anlüge, aber wenn er das nachher nicht versteht, kann er eh gehen, schließlich steht es mir nicht zu.«

Ich hoffte wirklich, ich könnte ihr vertrauen, aber mir blieb ja doch nichts anderes mehr übrig. »Danke! Noch eins. Im Gegenzug bekomm ich als erster Bescheid, wenn du schwanger bist, noch vor Edward.« Ich zwinkerte ihr zu und sie lachte nur.

»Lass uns wieder in den Jahrmarkt der Eitelkeiten eintauchen.« Sie hakte sich bei mir unter und wir gingen tuschelnd und kichernd in den Ballsaal.

Ziemlich perplex standen Edward und Sherlock da und sahen uns zu, wie wir zu ihnen wie beste Freundinnen rüber wanderten. Becca gab Edward einen Kuss und schob sich etwas zwischen uns. »Ehrlich gesagt, hab ich ein bisschen Sorge, dass du ihm eine reinhaust, das würde hier nicht so gut ankommen.«

Böse starrte ich Edward an. »Du kannst ihn nicht ewig beschützen.«

Sanft spürte ich Sherlocks Hand in meinem Rücken. »Susan hat zugegeben gelogen zu haben und Nathan hatte keine Ahnung. Also Edward glaubt dir, ich sowieso. Es wäre schön, wenn wir das Ganze begraben könnten.«

Wütend funkelte ich Edward an. »Ja lassen wir das hinter uns und begraben jemanden.«

Leise erklärte Edward. »Es tut mir leid. Ich hab rot gesehen, aber ich hätte es besser wissen müssen. Du machst nur immer so ein Geheimnis draus, wenn man dich nach deinen Erfahrungen fragt.«

Sherlock sah mich eindringlich an. »Edward, das wird dir nicht gefallen, aber du warst erst der zweite, mit dem sie geschlafen hat, also sieh sie als so unschuldig, wie wir es am Anfang schon mal vermutet hatten.«

Ungläubig starrte er mich an und Becca formte ein, o mein Gott mit den Lippen und fixierte dann Sherlock. Dann fiel auch die Erkenntnis bei Edward. »Verfluchte Scheiße.«

Unsanft stieß er Sherlock von sich und dampfte ab. Becca entschuldigte sich und eilte ihm hinterher.

Unschlüssig verfolgte ich die beiden mit meinem Blick. »Musste das sein?«

Sherlock führte mich mit der Hand am Rücken sanft, aber bestimmt hinter einen Vorhang. »Ich finde, das hat er verdient. Geht’s dir gut Kleines?« Er zog den Vorhang noch ein Stück weiter zu und zog mich an der Taille zu sich. »Keine Sorge, uns sieht keiner.«

Mir war das egal. Ihm nicht!

Aber ich würde mich nicht beschweren, denn ich bekam tatsächlich einen Kuss. »Du schlägst dich fantastisch Babe.«

»Sher? Becca sagt, du hast mich verteidigt?«

Wieder landete sein Mund auf meinem. »Natürlich mein Schatz.«

Meine Hände wanderten seine Brust hoch. »Vielleicht sollten wir uns diese Kammer doch genauer ansehen.«

Schief grinsend löste er sich von mir. »Nein, ich denke, das klären wir zu Hause.« Das hörte ich nur zu gern und der Sturm brach unverzüglich in mir aus. »Jetzt Victoria gehen wir erstmal tanzen.«

Tanzen war herrlich, unbeschwert und fröhlich. Sherlock war ein hervorragender Tänzer und machte meine Unsicherheiten leicht wett. Der Abend und die angehende Nacht waren noch recht amüsant geworden, was auch dem Umstand zu verdanken war, dass David mit Susan zeitig gegangen war.

Becca war mir in vielen Dingen ähnlich und wir hatten viel Spaß miteinander und erzählten uns einiges aus unserem Leben. Nie hätte ich erwartet, dass ich in der Frau, die ich am liebsten gelyncht hätte, eine Freundin finden würde.

Edward beruhigte sich im Laufe des Abends, was vielleicht ein wenig dem Whisky zu verdanken war, den er mit Sher in rauen Mengen kippte. Die beiden waren ein Bild für die Götter. Das eingeschworene Geschwisterpaar gegen den Rest der Welt. Becca und ich waren gleichermaßen gerührt davon.

Gegen Mitternacht wurde ich allerdings zusehends müder und hoffte nur noch auf baldige Heimfahrt. Becca und Nathan diskutierten gerade mit mir über meinen zukünftigen Ehemann.

Nathan hatte sich auf diesen arroganten Duke eingeschworen, den ich so brüskiert hatte. »Er starrt dir ständig auf den Hintern, was ich verstehen kann.«

»Was habt ihr nur alle mit meinem Hintern?«

Sherlock zog mich von hinten an sich ran. »Ich kanns ja gut verstehen, wie du weißt.« Dann gab er mir einen Kuss auf die Schläfe und war auch schon wieder verschwunden. Wenn er so weiter machte, würde er den Bogen überspannen und jedem im Raum wäre klar das, was zwischen uns lief. Er war anscheinend betrunkener, als ich erwartet hatte.

Becca sah mich vieldeutig an. »Kann es sein, dass wir die beiden besser nach Hause bringen?«

Ich stimmte ihr auf jeden Fall zu. »Wo übernachtet ihr?«

Unsicher antwortete sie. »Blackhill Manor, wir sind direkt aus London hierher und haben das Gepäck im Auto.«

Das konnte kompliziert werden, wenn Sherlock sich weiter so verhielt oder gar schlimmer wurde und wie bitte sollte ich erklären, dass ich bei ihm schlief? »Dann kann ich vielleicht hinter dir herfahren. Ich kenn mich überhaupt nicht aus und den Kerl lass ich bestimmt nicht ans Steuer.« Ich deutete auf den mit Edward und ein paar anderen dreckig lachenden Sherlock.

»Nein, sicher nicht! Was wären sie nur ohne uns. Na, komm, wir erklären Ihnen, dass sie nach Hause möchten.« Lachend ging sie zu der Gruppe, nahm Edward in den Arm und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sherlock grinste und zwinkerte mir zu.

Wenig später saßen wir auch schon im Aston Martin. Sher lag allerdings eher, so wie er sich hingefläzt hatte. Er war natürlich souverän und erstaunlich unauffällig aus dem Gebäude gekommen, hatte sich standesgemäß verabschiedet, nicht einmal geschwankt oder gelallt. Jetzt sah er aber aus, als hätte er nicht nur ein Glas zu viel, sondern eher eine ganze Flasche. »Denkst du, du schaffst es, mich wenigstens ein wenig zu navigieren?«

Er lachte unterdrückt und bekam sich gar nicht ein »Schuldigung«

O Mann, das konnte ja heiter werden. Wenigstens fuhr Becca mit uns zurück. »Sherlock? Wenn du kotzen musst, sag mir Bescheid. Martin hat nicht verdient, bespuckt zu werden.«

Seine Augen waren geschlossen und ich dachte schon, er wäre weg genickt. »Liebst du mein Auto mehr als mich?«

Aufgrund seiner Stimmlage war mir klar, dass er keine dummen Scherze vertragen würde und sagte die Wahrheit. »Nein, mein Großer keine Sorge.«

Wieder dauerte es einige Zeit, bis er was sagte. Das allerdings recht undeutlich. »Weißt du, ich hab eigentlich nie jemanden wirklich geliebt außer Edward. Edward schon und dann Henry irgendwie, na ja Mum auch, aber so wie dich, nie.« Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »So seltsam, dieses Gefühl, wenn du bei mir bist, so schön und wenn nicht so … ich glaub, ich muss kotzen.« Wie romantisch.

Ich hielt am Straßenrand und Sher schwang die Tür auf und fiel fast aus dem Auto. Schnell packte ich ihn hinten an der Jacke und zog ihn zurück. Lachend plumpste er wieder auf den Sitz. »Falscher Alarm.«

Mist, dafür hatte ich Becca verloren. Sie hatte mir zwar den Weg erklärt, aber lieber wäre mir gewesen, sie zu verfolgen.

»Du magst Becca gern. Ich wusste, dass du sie mögen würdest.« Er lag seitwärts auf dem Sitz.

»Sherlock! Schnall dich an, sonst mach ich mir Sorgen.«

»Warum denn? Du fährst doch gar nicht.«

Natürlich fuhr ich. »Schnall dich an.«

»Nur wenn ich dich gleich ficken darf.«

Da musste sogar ich schwer schlucken. So krass hatte ich ihn noch nie erlebt. Ich war mir nicht sicher, ob mir das besonders gefiel. »Dir ist schon klar das Edward und Becca auch dort sind?«

Er runzelte die Stirn. »Warum?«

»Na weil sie in Blackhill übernachten.« Er brummte nur. Seine Augen waren wieder zugefallen. »Sherlock? Ist es das, was du hauptsächlich willst? Sex mit mir?« Mein Herz war unter höchster Anspannung.

»Ich bin so scharf auf dich, dauernd, ich könnte dich ständig flachlegen. Das ist mein Problem mit dir, wenn ich dich nicht so sexy fände, könnte ich mich besser fernhalten.« Verdammt, das tat weh. »Victoria, es wäre so einfach, wenn ich dich lieben könnte, ohne dass ich deinen Körper an meinem spüren wollte, deine Haut ist so weich und du riechst so gut.« Er seufzte. »Und du bist so süß und witzig.«

Das war doch schon etwas besser, aber ich fragte. »Und wenn ich das nicht mehr wollte? Mit dir schlafen?«

Er schlug die Augen auf und beobachtete mich. »Babe ist alles in Ordnung zwischen uns?«

»Ja sicher, aber was würdest du tun, wenn ich nicht mehr …?«

»Nicht mehr mit mir schlafen? Oder mich nicht mehr lieben mit jemand anderem zusammen wärst?« Ich zuckte mit den Achseln. Leise nuschelte er »Angus, oder? Vi, ich will doch nur, dass du glücklich bist und ich weiß, dass ich dich nicht glücklich machen kann. Nicht langfristig. Ich glaub, ich hab zu viel getrunken.«

Ich lächelte abwesend, sicher sogar, aber was er sagte, hinterließ einen schalen Geschmack. Mir wurde bewusst, wie sehr ich mir wünschte, dass er um mich kämpfen würde, damit ich glauben konnte, dass er mich wirklich liebte. Selbst, wenn es nur im Geheimen war.
Diesmal war ich mir sicher, dass er eingeschlafen war. Nach 5 Minuten fing er allerdings wieder an zu reden. »Ich wollte immer gelbe Gummistiefel. In meinem Bilderbuch war ein Mädchen mit rotem Regenmantel und gelben Gummistiefeln. Sie ist dann im hohen Bogen in die Pfütze gesprungen. Das ist doch bestimmt lustig, Patsch.«

Diesmal viel es mir nicht schwer zu lächeln. Der kleine Sherlock war eine so süße Vorstellung. »Ja, das ist es. Bist du noch nie in eine Pfütze gesprungen?«

Er sah aus dem Fenster. »Nein, Richard, also mein Vater hats verboten. Einmal hab ich mit einem Fuß leicht reingetreten. Er hat’s vom Fenster aus gesehen.« Sein Gesicht gefiel mir ganz und gar nicht. So viel Spannung und Schmerz.

Zögernd fragte ich. »Was ist passiert?«

Er drehte sich zu mir. »Hat mein Gesicht ins Wasser gedrückt, damit ich weiß, wie ein Gossenkind sich fühlt. Ich hab die halbe Pfütze geschluckt und eingeatmet.«

Das war furchtbar grausam, wie konnte man seinem Kind sowas antun?

»Ich war 8. Danach hab ich angefangen zu trainieren. Witzigerweise fand er das toll und war stolz auf mich, wie gut ich bald war.« Unter zynischem Lachen fuhr er fort. »Und ich hab nur so verbissen trainiert, um ihm töten zu können.«

Ich griff nach seiner Hand. »O Gott Sherlock.«

Er küsste meine Finger. »Wenn wir Kinder haben, kriegen alle gelbe Gummistiefel und dann spring ich mit ihnen von Pfütze zu Pfütze, bis wir klitschnass und dreckig sind. Machst du mit?«

Die Vorstellung war so süß. Er hatte gesagt, wenn wir Kinder haben. Mehrere. Keine Frage, sondern eine Feststellung. So sicher, als wäre das der einzige Weg für uns.

Unter Tränen bejahte ich ihm die Frage. Plötzlich wollte ich unbedingt, dass er es wusste, aber wie sollte ich ihm das sagen. Zaghaft warf ich ihm einen Blick zu. Wüsste er es morgen überhaupt noch, so betrunken wie er war? Egal ich würde es sagen. Sofort! Bevor ich unter diesem Geheimnis zerbrach.

Ich öffnete schon den Mund, als er mir zuvorkam. »Gut, dass du nicht schwanger bist. Das wäre wirklich nicht der richtige Zeitpunkt. Eigentlich wäre es sogar das Allerschlechteste überhaupt.« Und schon hatte sich die Sache wieder erledigt. Ich würde noch durchdrehen. »Schatz du musst da vorne links.« Gesagt, getan. Etwas schläfrig fragte er. »Was hast du dir schon immer gewünscht?«

Ich überlegte. »Schon immer? Das ist schwer. Es gibt ein paar Leute, mit denen würde ich gerne mal einen Tag verbringen und mich mit ihnen unterhalten.«

Er grinste mich an. »Lass mich raten Shakespeare? Jane Austen? Bertolt Brecht? Queen Elisabeth, also die Erste …«

»Nein falsch, nicht Elizabeth. Ich denke nicht, dass ich viel aus ihr rausbrächte, Eleonore von Aquitanien. Aber erst als alte Frau. Dann kann ich sie über ihre Kinder ausquetschen. Du weißt schon Richard Löwenherz, Johann ohne Land und ganz, ganz wichtig Albert Einstein.«

Er brummte irgendwie mehr ein Lachen und war schon wieder weggetreten. In der Ferne sah ich Becca, somit war ich wohl richtig gefahren. Nicht mehr lange und wir standen vor dem Vordereingang. Edward schälte sich mühsam aus dem Auto und Becca schien etwas genervt. »Er ist so besoffen.« Sie stöhnte herzerweichend. »Dass er auch immer mit Sher mithalten will. Er verträgt bei weitem nicht so viel.«

Das war allerdings schon amüsant, wie er versuchte, die Eingangstür aufzumachen, auf der falschen Seite. Becca und ich sahen uns das Schauspiel an und lachten lauthals los.

Sher hängte sich schwer auf meine Schultern. »Der arme Kerl, könnt ihr ihn nicht filmen? Das hätte ich gern für besondere Gelegenheiten aufgehoben.« Dann machte er sich auf den Weg, half dem armen Edward rein und schleppte ihn danach halb nach oben.

Langsam ging ich mit Becca hinterher. »Gerade im Auto hatte ich Sorge, dass ich ihn nicht mehr in sein Bett bekomme.« Oben auf der Treppe angekommen sah Becca mich lange an. Da herrschte so eine gewisse Spannung in ihrem Gesicht.

Erst als Sher aus wahrscheinlich Edwards Zimmer zurückkam, wendete sie sich ab. »So Becca, ausziehen musst du ihn. Ich kann mich kaum selber ausziehen.« Dann kam er zu mir und legte wieder einen Arm um meine Schulter und ließ sich hängen »Hilfst du mir Kleines?«

Beccas Augen weiteten sich. »Ich bring ihn mal ins Bett.«

Langsam ging sie an uns vorbei und sagte gedehnt. »Ooooookaaayyyy.«

Kaum war die Tür hinter uns zu, fing er an, mich auszuziehen. Der Reißverschluss war schon auf, bevor er mich überhaupt geküsst hatte. Heftig knallte ich mit dem Rücken gegen die Tür, so stürmisch küsste er mich. Ich riss die Arme hoch und drückte ihn sanft an der Brust zurück, aber anscheinend nahm er nichts mehr wahr. Mein Hals wurde geradezu gefressen und eine Hand krallte sich in meinen Hintern.

Ich bekam Panik und krächzte. »Sherlock, hör auf, bitte.«

Sofort ließ er mich komplett los und starrte mich entsetzt an. Völlig atemlos vor Erregung. »Du meintest das ernst! Du willst nicht mehr mit mir schlafen. Dann geh ich eben duschen und tut mir leid.« Beim Sprechen war er langsam rückwärts gelaufen. Seine Hände waren krampfhaft auf und zu gegangen. Er sah so Elend aus, das mir das Herz brach.

»Warte Sher, du bist nur etwas stürmisch und betrunken.« Vorsichtig stieg ich aus meinem Kleid, das an mir runtergeglitten war und ging auf ihn zu.

Sein Blick suchend und fragend, voller Sehnsucht, aber er fasste mich nicht an. Seine Hände waren jetzt zu Fäusten gepresst und er mühsam darauf bedacht Abstand zu halten. »Kleines, nicht böse sein, aber ich bin gerade etwas unter Druck. Ich geh duschen okay und mich erleichtern.« Er starrte mir auf den Mund und sein schiefes Grinsen erschien.

Langsam und sinnlich ließ ich meine Hände über seine Brust nach oben streichen. Dann schob ich meine Arme über seine Schulter hinter den Kopf, bis ich meinen ganzen Körper an ihn schmiegen konnte.

Seine Brust hob sich schwer, sein Atem tief und zittrig. »Babe, bitte quäl mich nicht. Lass mich gehen.« Seine Nase und sein Mund fuhren über meinen Hals und meine Wange, aber er nahm mich nicht hin den Arm.

Ein Hochgefühl und eine Freiheit breiteten sich in mir aus. Ich konnte ihm absolut vertrauen. Selbst jetzt betrunken und gespannt vor Erregung wartete er auf mein Einverständnis. Und mir war egal, ob uns jemand hören würde oder er nicht ganz klar im Kopf war. Wieder übernahm diese Macht, dieses Verlangen die Kontrolle. »Sher, ich liebe dich.« Und dann küsste ich ihn so, dass er genau wusste, was ich wollte.

Die Sache war wild und ungezähmt abgelaufen, pures Verlangen, unsere restlichen Kleider lagen immer noch zerstreut im Arbeitszimmer. Sie waren schneller gefallen, als wir bis zur Schlafzimmer Tür brauchten, die wir nicht mal mehr hinter uns geschlossen hatten. Quer auf dem Bett, waren wir schnell und heftig übereinander hergefallen. Wobei Sher mir ständig erklärt hatte, wie sehr er ich mich liebte. Danach hatte ich kaum Zeit gehabt, mich notdürftig abzuwischen. Besitzergreifend hatte er mich ans sich gezogen und uns in die Decke eingerollt und war fast augenblicklich eingeschlafen. Fest in seinem Arm war auch ich kurz darauf in tiefen Schlaf gefallen.

 

Nackt aufzuwachen war eine völlig neue Erfahrung für mich, jeder Zentimeter Haut schien von der Decke oder seiner Haut stimuliert. Als würde man von 1000 Händen gleichzeitig gestreichelt.

Mittlerweile lag ich mit dem Rücken an seinem Bauch und sein Arm wog schwer auf meiner Taille. Die Tatsache, wie ich hier lag, beide komplett nackt und die Erinnerung, wie wir übereinander hergefallen waren, ließ mich vor Scham rot werden. Im Grunde war ich immer noch ein recht prüdes, unschuldiges Mädchen, auch wenn mir das selbst schwerfiel zu glauben. Dennoch genoss ich seine Körperwärme und seinen Geruch ungemein. Mein zu Hause war in seinem Arm.

Wehmütig schob ich seine Hand mit meiner auf meinen Unterleib, auf unser Baby. Daddy ist hier mein Schatz. Er wird dich beschützen. Ja das würde er ganz sicher, immer. Der Gedanke war schön und schmerzhaft zugleich. Doch bevor ich mich weiter in Vorstellungen verstricken konnte, spürte ich, wie seine Fingerspitzen über meine Haut kreisten und weiter nach unten wanderten. Direkt bog sich mein Körper durch und er atmete schwer an meinem Hals. Das war eindeutig nicht normal, wie wir es nicht mal 5 Sekunden schafften die Finger voneinander zu lassen.

Seine Morgenlatte war nun fest spürbar an mich gepresst und als seine Finger zwischen meine Schenkel glitt, stöhnte ich laut auf und er mit. »Babe, du machst mich wahnsinnig.«

Mein Körper machte sich selbständig und ich fing an, seine Hand zu reiten, schneller und immer schneller. Ich würde jeden Moment vor Sehnsucht nach ihm sterben, dass hier war immer zu wenig. Blitzschnell zog ich seinem Arm zurück und drehte mich zu ihm um. Seine Hand flog in meinen Nacken und während sein Mund meinen fand, drang er schon tief in mich ein und ich schrie in den Kuss hinein, vor Glück, Erfüllung und stoppte. Ich liebte diesen Moment, wenn er atemlos von Sinnen fest und tief in mir war.

Sein Mund verzog sich an meinem zu einem Grinsen. »Du liebst es, mich zu spüren, oder?«

Ich keuchte. »Ja, als wären wir eins.« Als könnte man dich mir nie wieder wegnehmen, aber das sagte ich nicht laut.

Er zog mich noch fester zu sich. »Ja Babe, für immer.« Und stieß zu.

Für immer ... hallte es in mir nach.

Diesmal ließen wir uns Zeit. Verschmolzen miteinander, unsere Münder ständig aufeinander. Klammerten uns fest, fühlten uns und unsere Nähe. Als wir es für uns beide zum Ende gebracht hatten, blieben wir eng umschlungen liegen. Beide vergruben wir unser Gesicht am Hals des anderen, küssten hier, streichelten dort, aber kaum einen Zentimeter Platz zwischen unseren Körpern. Das Ganze war wunderschön und so viel befriedigender als alles andere, aber dennoch versuchte ich mich nach einiger Zeit zu lösen, weil mir bewusst wurde, dass die Schlafzimmer Tür offen stand und Edward auch im Haus war.

»Geh nicht, bleib in meinem Arm«, murmelte er an meinem Hals. »Lass uns das ein letztes Mal genießen, bevor wir losmüssen.«

Ein stechender Schmerz fuhr mir in die Eingeweide. Ein letztes Mal? Für immer war wohl nur ein Produkt der Erregung gewesen. Mir schnürte sich die Kehle zu. Er seufzte traurig, und ich dachte, nein, bitte, ich will nicht ohne ihn leben. Die Tränen lauerten so nah an der Oberfläche, dass ich nichts mehr sagen konnte, ohne zu weinen.

»Victoria, das hier ist ein Traum, ein wunderschöner Traum.«

Das Atmen viel mir schwer und ich versuchte wieder, mich freizumachen, mein Herz würde das hier nicht mehr lange überleben.

»Vi bitte noch kurz, bleib noch kurz in meinem Arm. Ich will mir dich einprägen.«

Konnte er es noch schlimmer machen? Ich schluchzte leise und die Tränen waren kaum mehr zu halten.

Jetzt sah er mir ins Gesicht. »Was ist los?« Sanft küsste er mich mit einem völlig zerrissenen Blick. Die Dämme brachen, leise, aber unaufhaltsam. »Kleines? Was ist denn?«

Natürlich war für ihn klar gewesen, dass es in London wieder anders läuft. Ich dumme Kuh, ich dümmliche naive Kuh. Ich stieß mich von ihm ab und ging ins Badezimmer, wie immer unter die heiße Dusche. Damit das Wasser mich beruhigen, mich Erden konnte. Es war doch eh nur eine Frage der Zeit.

Er berührte mich sanft am Arm.

Meine Augen flogen auf und ich stieß ihn weg und schrie. »Hau ab, geh raus hier, sofort.« Ich prügelte geradezu auf ihn ein.

Verständnislos stand er da, wehrte sich aber nicht, hob nicht mal einen Arm. Schnell war bei mir die Luft raus. Ich stellte mich einfach wieder unter das heiße Wasser und ließ die Tränen laufen. Atmen war wichtig. Mein Baby war wichtig. Ich hatte ab jetzt für immer einen Teil von ihm, das zählte.

»Victoria, was hab ich gemacht?«

Ich schluckte. »Nichts! Ich war nur dumm Sher, zu viel Hoffnung.« Mir brach die Stimme.

Leise fragte er. »Worauf?«

Ich sah ihn an, aber kein Ton kam mehr raus, so zu waren meine Kehle und mein Herz, so in dieser Kralle. Also sah ich ihn einfach an, wie er da stand, groß und stark und schön, seine grünen Augen, die nach Antworten suchten. Gänsehaut am ganzen Körper. Ich streckte ihm meine Hand entgegen und als er sie nahm, zog ich ihn unter das heiße Wasser und in meinen Arm.

Er hielt mich fest und holte stockend Luft. »Worauf Kleines?«

Mühsam presste ich hervor. »Dass du mich auch nicht mehr loslassen willst. Zumindest im Geheimen. Auch nicht in London.«

Er umschloss mich beschützend mit den Armen. »Oh Kleines, Schatz so meinte ich das nicht. Es wird nur komplizierter, denn ich kann das nicht vor den anderen. Ich muss mich noch dran gewöhnen, meine Freiheit aufzugeben.«

Ich nahm sein Gesicht zwischen meine Hände. »Dann kommst du zu mir? Nachts?«

Er nickte. »Wann immer es geht, bin ich bei dir Vi.«

Ich atmete tief durch. Eine Riesenlast fiel von meinen Schultern. »Sherlock, du wirst immer frei sein genau wie ich. Wenn ich das nicht so empfinde, bin ich nicht glücklich und dann geh ich. Ich denke, das musst du begreifen und lernen. Zusammen, aus freier Entscheidung, nicht einer gehört dem anderen.«

Er küsste mich tief. Dann schob er seinen Kopf wieder an meinen Hals. »Spätestens Weihnachten, Kleines. Wenn sich bis dahin nichts zwischen uns ändert. Das verspreche ich dir. Weihnachten stell ich mich zu dir und sag es allen offiziell. Auf dem Weihnachtsball bis du meine Partnerin, meine Freundin nicht nur meine Begleitung.«

Ich zog ihn fest an mich. Ich wusste, ich musste etwas sagen, aber Gott ich wollte nicht. Dieser Augenblick gehörte mir und ich wollte glücklich sein und nur für einen Moment davon träumen.

Kapitel 4

 

Erwartung ist die Wurzel allen Kummers.

William Shakespeare

 

»Kommt Edward schon mal unangemeldet in dein Zimmer?« Wir standen immer noch unter der Dusche.

Sher war aber fast fertig damit sich zu waschen, während ich gerade mal die Haare schamponierte. »Sicher, als kleiner Bruder.«

Ich ließ ihn kurz unters Wasser, um den Rest Schaum loszuwerden, bevor er anfing, sich abzutrocknen.

»Dann sollten wir vielleicht die Klamotten einsammeln und die Schlafzimmertür schließen.«

Augenblicklich stoppte er sein Handtuch mitten am Bein. »Was?«

Da mir gerade Schaum übers Gesicht lief, viel es mir schwer zu antworten, langsam trocknete er sich weiter ab, um dann loszuspringen. »Shit, er ist hier!«

Als ich aus dem Bad kam mit Turban auf dem Kopf und Handtuch um den Körper, grinste er mich an. »Wir waren gestern etwas stürmisch, dein BH lag auf dem Schreibtisch.«

Breit grinsend legte ich mich in seine Arme. »DU! Junger Mann warst stürmisch. Eine Naturgewalt! Ich wurde nur mitgerissen.«

Wieder fing er an, mich zu küssen. »Ich fürchte wir müssen gleich mal runter.«

Ich schlang ein Bein um ihn, wodurch das Handtuch zu Boden ging und fragte heiser. »Getrennt oder zusammen?«

Er hob mich hoch und legte mich aufs Bett. Zwei Sekunden später waren meine Beine fest um ihn geschlungen und unsere Gedanken völlig woanders. Hätte er nicht bereits Shorts und T-Shirt angehabt, ich hätte für nichts garantiert.

In dem Moment, in dem meine Hände seine Rücken fordernder bearbeiteten und meine Zunge mit seiner spielte, klopfte es an der Tür. »Sher? Bist du wach?«

Vor Schreck zuckte ich zusammen.

Er sprang aus dem Bett und grinste mich mit den Händen wedelnd an.

Schnell sprintete ich ins Bad. Keine Sekunde zu spät. Kaum war meine Tür zu, ging seine auf und ich hörte Edward. »Morgen, hast du eine Kopfschmerztablette?«

Sherlock lachte leicht schadenfroh. »Ja, warte ich brauch auch eine. Wir haben’s etwas übertrieben.«

Ich sah wie die Klinke runtergedrückt würde. »Ähm Ed, Vi ist im Bad, duschen. Ich bring dir gleich eine mit runter.« Die Klinke ging wieder hoch und plötzlich herrschte eine bedrohliche Stille im Zimmer nebenan.

Ich fing an, mir langsam die Haare zu bürsten, und lauschte.

»Warum ist sie in deinem Bad? Sher, hat sie etwa hier geschlafen?«

Ich sah vor mir, wie er jetzt würdevoll vor ihm stand, als wäre es lächerlich so etwas seltsam zu finden. »Natürlich, Edward. Fremdes Haus, fremdes Zimmer. Da kann ich sie nicht allein lassen.«

Mit einer seltsam belegten Stimme fragte Edward. »Schläfst du mit ihr?«

Ich hielt den Atem an, aber Sherlock war ein Meister im Ausweichen. »Hast du jemals einen ihrer Albträume erlebt? Einen von den Schlimmen?«

Das hatte Edward nicht, zweimal nur hatte ich ihn geweckt, durch meine Bewegung und die Geräusche, aber keinen großen Anfall.

»Edward, seit dem Angriff ist es schlimm. Vorletzte Nacht hat sie an der Wand gekauert, geschrien, nach mir getreten. Sie war fest davon überzeugt, ich wäre Markus. Soll ich sie damit alleine lassen? In London haben Henry und ich letzte Woche den Fehler gemacht zu glauben, ihr zu glauben, alles wäre in Ordnung, aber anscheinend hat sie kaum geschlafen.«

Wieder Stille bis auf eine Schranktür, dann antwortete Edward betroffen. »Ich hab gar nicht wirklich drüber nachgedacht, mich voll auf die äußeren Verletzungen konzentriert. Ich hätte mich besser um sie kümmern sollen. Das wäre meine Aufgabe gewesen, schließlich waren wir …«

In dem Moment startete ich den Föhn. Das wollte ich gar nicht mehr hören, darüber hatte ich genug nachgedacht. Als ich fertig war, lauschte ich kurz an der Tür und sah vorsichtig durch einen Spalt ins Schlafzimmer und erschrak furchtbar, wie Sher direkt davor stand und Buh rief. »Ich bring dich um du fieser Kerl.«

Lachend fing er mich ab. Keine Chance an ihn ran zu kommen, außer vielleicht und zack hatte ich die Kronjuwelen fest in meiner Hand und drückte leicht zu.

»VI! Vorsicht sonst war’s das mit dem Geschlecht der Crofts.«

Überheblich schob ich mein Gesicht vor seins. »Edward macht das schon.«

Er schnappte nach meinem Mund und knurrte. »Aber nicht mit dir.«

Ich ließ die empfindlichen Teile los und ließ mich von ihm nochmal ausgiebig küssen. »Dein nackter Körper hilft mir nicht, vernünftig zu sein, aber wir sollten langsam mal runtergehen.« Einen festen Kuss noch und dann zog ich mich unter seinen Blicken an. »Wer hätte gedacht, dass ich es mal genießen würde, einer Frau beim Anziehen zu zusehen.«

Ich nahm seine Hand. »Na dann los.«

Natürlich gingen wir nicht Hand in Hand sondern gesittet nebeneinander runter. Rebecca umarmte mich kurz. »Wie geht’s dir?«

»Alles gut.«

Die Jungs schluckten ihre Tabletten und wir Mädels machten uns einen Spaß daraus, aus Versehen mit Besteck an Geschirr zu schlagen. Edward zuckte jedes Mal zusammen und fasste sich an den Kopf, aber auch Sher war dadurch recht in Mitleidenschaft gezogen.

Nach dem Frühstück planten Rebecca und ich einen Spaziergang, während die Jungs was für den Weihnachtsball planen mussten. Kurz bevor wie raus gingen, nahm Sherlock mich auf die Seite. »Kleines, ich muss unter anderem die Gästezimmer planen. Du bekommst das gegenüber von meinem, aber nur zur Sicherheit, falls irgendwas sein sollte. Also nicht falsch verstehen, ich rechne fest damit, dass du die Nacht in meinem Bett, neben mir verbringst.« Ich nickte und strich ihm über die Wange und er küsste meine Hand … flüchtig. »Bis gleich.« Und verschwunden war er.

Wenige Stunden später waren wir schon wieder in London angekommen und Sher schleppte unsere Koffer ins Haus, während ich nach Henry Ausschau hielt, den ich letztendlich im Wintergarten fand mit Buch und Tee. »Hi, Henry, alles gut?«

Ich bekam nur einen knappen eingeschnappten Blick. »Nein, David ist zwar etwas beruhigter aber trotzdem. Hast du mit Sherlock geredet? Ach verdammt! Dein Blick sagt alles.« Er schüttelte den Kopf und las weiter.

»Henry, ich hab zwischendurch Brustschmerzen, ziemlich heftig.«

Er seufzte und stand auf. »Höchstwahrscheinlich nur die Hormone, das passiert öfter, vor allem die Brustwarzen? Als wäre es zu kalt?« Ich nickte. »Dann ist es bestimmt hormonell, aber ich taste dich nochmal ab. Was machen die Unterleibsschmerzen?«

»Sind so gut wie gar nicht mehr aufgetreten.« Ich zeigte ihm, wo es gezogen hatte. »Victoria, mach dir keine Sorgen, ich denke, das ist nur Magnesium Mangel, aber ich hab dich schon morgen früh als Termin eingetragen.« Er nahm mich in den Arm, etwas, was er früher eigentlich nie gemacht hatte, nicht so intensiv. »Vi, ich weiß, es ist nicht leicht, aber du schaffst das und ich bin überzeugt, dass er dir helfen könnte.«

Mir blieb eine Antwort erspart, weil Sherlock genau da in den Wintergarten eintrat. »Hi hast du schon gegessen? Mir wäre nach Pizza, Vi was ist mit dir?« Wir beschlossen Pizza zu bestellen und ich aß meine komplett. Was mir einige Bemerkungen von Sher und Henry einbrachte. Sie lachten sich scheckig über mich, so dass ich gespielt beleidigt abzog. Eigentlich war ich todmüde. Darum machte ich mich auch schon Bett fertig und war froh, wieder auf meinem eigenen Kissen schlafen zu können, wofür es aber definitiv zu früh war. Also machte ich den Fernseher an, suchte mir einen Film aus und ließ mich berieseln.

Irgendwann klopfte es und Sherlocks Kopf erschien in einem Spalt an der Tür. »Hi du, soll ich zu dir kommen oder magst du allein sein?«

Ich klopfte auffordernd neben mir aufs Bett und grinste. Sherlock schob sich rein, schloss gemütlich die Tür und sprang dann förmlich neben mir aufs Bett. Nur Sekunden später lag ich schon in seinen Armen. »Kleines, wie lange hab ich dich nicht geküsst? 3 Wochen?«

Ich lachte. »Wo ist Henry?«

»Unten im Wohnzimmer, ich hab ihm erzählt, dass du bei mir geschlafen hast und wie schlecht es dir ging. War das ok?« Ich nickte. Schuldbewusst gestand er. »Ich weiß das ist eine blöde Ausrede, aber ich hab ihm gesagt, das ich vielleicht bei dir bleibe, nachts, eine Zeitlang, wenn Al nicht hier ist.«

Ich küsste ihn. »Und wenn Alistair hier ist, hat er Vorrecht?«

Seine Nasenflügel bebten und seine Kiefermuskeln arbeiteten zusehends. »Hab ich eine Wahl? Ja hab ich, aber nicht wenn ich nichts sagen will. Vi würdest du mit einem anderen was anfangen? Ich mein du darfst natürlich, aber es wäre schön, zu wissen …« und ich fand es ganz nett ihm zu zeigen, was die Konsequenzen waren, wenn man sich auf niemanden einließ.

»Du fändest es schön? Wenn ich mit einem anderen Sex hätte?«

Sein Gesicht verfinsterte sich. »Sehr witzig.«

Ich musste trotzdem kichern und haute auf die wunde Stelle drauf. »Um Alistair brauchst du dir keine Sorgen machen. Aber du hast recht, Angus gefällt mir. Er wäre dann wohl eher der Kandidat.«

Schmale Schlitze sahen mir entgegen und seine Lippen waren nur noch ein wütender Strich. »Ich wusste es, wie du ihn angeguckt hast.«

Ich nahm sein Gesicht in meine Hände und zog ihn zu mir, diesen beleidigten eifersüchtigen Jungen. »Liebling nur dich, ich will dich doch nur ärgern. Soll ich dir ein Geheimnis verraten? Aber bitte nichts erzählen, ich bin nicht gerade stolz drauf.«

Er zog mich wieder fester an sich ran und streichelte meinen Arm. »Alle Geheimnisse.«

Ich sah kurz zu ihm hoch. »Immer wenn ich mit Edward geschlafen habe, hab ich ihn mit dir verglichen. Nicht, dass ich ihn nicht begehrt hätte, aber du warst nie weg. Ich konnte mich noch so sehr bemühen, früher oder später warst du immer da.«

Ich schob ihm die Hand unters T-Shirt und fing an, mich halb auf ihn zu schieben.

»Kleines? Ich hab auch immer an dich gedacht, wenn ich mit einer anderen ... Immer wollte ich eigentlich dich.«

Dann waren wir wieder nicht wirklich zu halten und küssten uns ewig, bis ich beschloss den Fernseher auszumachen.

Sherlock sah mich nachdenklich an. »Müde?«

Meine Antwort bestand darin, dass ich mir den Zeigefinger vor den Mund hielt als Zeichen, das er leise sein sollte. Dann schlüpfte ich aus meiner Unterhose, hielt sie hoch und ließ sie neben dem Bett fallen. Sherlock spannte sich augenblicklich. Seine Zunge fuhr ihm über die Lippen. Dann machte ich mit einem frechen Grinsen das Licht aus und setzte mich rittlings auf ihn. Leise aber wahnsinnig liebevoll schliefen wir miteinander, als ich meinen Höhepunkt erreichte, biss ich ins Kissen, worüber sich Sherlock herrlich amüsierte. Glücklich schlief ich kurz drauf in seinem Arm ein und wünschte mir nichts mehr, als dass es für immer so sein könnte.

 

»Aufstehen, die Uni wartet« Ich wurde ja prinzipiell gerne von Sher geweckt, aber nicht so.

»Heute nicht, ich hab einen Arzttermin.«

Er stockte kurz und besah mich nachdenklich. »Dann komm danach.«

Mein eines Auge wagte einen Versuch, sich ganz zu öffnen. »Bist du schon angezogen? Rieche ich Kaffee? Du bist eklig.«

Pfeifend kam er zu mir. »Nein glücklich. Komm bitte zur Uni, hör nicht auf zu studieren, du bist so gut.«

Mein anderes Auge wagte auch einen Blick. »Wo ist der Kaffee?«

Das Bett wackelte und sein Bein tauchte neben mir auf. »Gott Sher du bist echt schon im Anzug.« Leise fuhr ich fort. »Zieh die goldene Brille auf, die ist sexy, dann werden wir schnell nochmal unzüchtig, bevor du losmusst.«

»Kleines benimm dich, ich bin dein Prof. Kommst du nach?«

Ich seufzte und setzte mich auf, kurzentschlossen schob ich mich auf seinen Schoss und umklammerte ihn. »Mein Großer. Da musst du heute alleine durch. Heute muss ich erstmal zu Henry und dann ins Antiquariat und nein nicht wegen Angus, sondern Matthew. Wir müssen ein paar Dinge besprechen.«

Besorgt und ernst sah er mich an. »Lass mich teilhaben an deinem Leben. Sag mir endlich, was los ist. Bitte Vi. Wenn das funktionieren soll, musst du auch zu mir ehrlich sein.«

Traurig sah ich ihn an und rutschte von ihm runter und blaffte. »Sher, im Moment gibt es nicht wirklich etwas, was funktionieren könnte, oder?«

Kerzengerade stellte er sich vor mich. »Interessant! Dann denke ich, lassen wir es ab jetzt besser ganz. Ich hab mit mir schon genug zu tun, wenn dir das Ganze nichts wert ist, muss ich mich nicht quälen.« Sture Hornochsen. Wir beide! Er machte Anstalten das Zimmer zu verlassen.

In mir zog sich alles vor Angst zusammen. »Sherlock.« Verzweifelt hielt ich ihn am Arm fest. »Ich sag’s dir, versprochen, spätestens nach dem Jane Austen Ball.«

Seine Hand fuhr ihm durch seine Haare. »Warum erst dann, Vi. Warum nicht jetzt?«

Ich legte meine Stirn auf seine. »Weil ich Angst habe, ich habe wahnsinnige Angst vor deiner Reaktion.«

Er gab mir einen Kuss. »Gott Vi. Was kann denn so schlimm sein? Dass du das Studium schmeißt, ist schon schlimm genug.«

»Ich schmeiße es nicht. Ich schiebe es nur vielleicht 1, 2 Jahre auf.«

Wütend ging er ein Stück zurück. »Ach bitte natürlich schmeißt du’s. Du fängst sicher nie wieder an, das macht keiner.«

»Vielleicht bin ich anders, als du denkst, Sher, vielleicht brauche ich einfach erst was Handfesteres.«

Mittlerweile war ich laut geworden und er donnerte jetzt. »Wie Angus?«

Ich warf die Hände in die Luft. »Fängst du jetzt wieder damit an, kannst du mir nicht einmal vertrauen? Ich will ihn nicht, verdammt.«

Zornig schrie er mich an. »Wie soll ich dir denn vertrauen, wenn du eindeutig Geheimnisse hast. Wenn Henry ständig mit dir streitet, weil du mir was sagen sollst. Verdammt Victoria. Meine Fantasie gaukelt mir die schlimmsten Dinge vor.«

Ruckartig zog er mich an sich und ich drückte mich fest gegen ihn. »Sher, bitte, immer wenn ich es sagen will, selbst jetzt, schnürt sich alles zu. Vielleicht muss ich diese Entscheidung erstmal allein treffen, damit ich mir sicher bin. Keine Ahnung, aber eins ist hundertprozentig sicher. Du wirst immer ein Teil meiner Zukunft sein, wenn du es dann noch möchtest. Wenn ich dir alles erzählt habe, verstehst du es besser, hoffe ich zumindest.«

»Dann erkläre es mir, jetzt sofort!«

Kurz haderte ich mit mir, sollte ich … »Sher ich, ich ...«

Eine lange Pause entstand, in der er abwartete. »Victoria, du kannst mir alles sagen. Das Schlimmste haben wir ja schließlich ausgeschlossen, schwanger bist du schonmal nicht.«

Ich fiel innerlich in mich zusammen und flüsterte kratzig. »Nach dem Ball, ob ich will oder nicht, versprochen.«

Er schob mir seine Hand an den Hinterkopf. »Ich warte und ich nerv dich nicht weiter, wenn du ab morgen wieder zur Uni gehst.«

Meine Bedürfnisse wurden allerdings anderweitig geweckt, so nah wie sein Gesicht meinem jetzt war.

»Kleines hör auf mich ständig küssen zu wollen und antworte schlicht und einfach mit, ja ich will.«

Natürlich küsste ich ihn trotzdem und mitten im Kuss sagte ich. »Ja, ich will!«

Er grinste und vertiefte den Kuss. »Noch eins, lass uns morgen ins Britische Museum. Ich möchte dir was zeigen. Eigentlich will ich dir dort viel zeigen, aber vor allem für unsere Arbeit über London. Hast du Zeit?«

Wieder klebte ich mich an seinen Mund. »Ja ich will.«

Er lachte und flüsterte dann. »Soll ich mich schnell nochmal ausziehen und wir sehen nach wie schnell wir es schaffen dich zum Quieken zu bringen?«

Empört erwiderte ich »Ich quieke nicht.«

Sein Mund wanderte meinen Hals lang. »Manchmal schon, soll ich dir zeigen wann?«

Ich grinste. »Ja ich will!«

Und dann gab’s wieder dieses Feuerwerk in meiner Brust, während er mich küsste, als gäbe es kein Morgen mehr. Gestoppt wurden wir von Henry, der nach mir rief, damit ich in 20 min mit ihm loskonnte.

Widerwillig löste ich mich von ihm. »Bis nachher. Wann kommst du zurück?«

»Spätestens 6 Uhr bin ich hier. Pass auf dich auf Kleines.« Wenn sich das mal, nicht schon nach Beziehung anfühlte.

Die Untersuchung verlief einwandfrei, alles war so weit in Ordnung und Henry gab mir schon mal Magnesiumtabletten mit. Danach war ich auf dem Weg ins Antiquariat. Was nicht gerade leicht für mich war. Extra nahm ich einen anderen Weg, um nicht an der Hausecke lang zu müssen, an der Markus mich überfallen hatte. Dennoch zitterte ich die ganze Zeit unterschwellig und traute mich kaum, mir die Umgebung richtig anzusehen. Genauso wenig wollte ich aber blind in die Falle laufen. Noch war es hell, noch waren viele Leute unterwegs und ich musste doch raus und leben.

Gerade war ich an einem Schaufenster nur drei Läden vor meinem Ziel stehen geblieben. Einem Spielzeugladen und besah mir die Auslage. Unwillkürlich musste ich lächeln, bald würde ich hier einkaufen können, in der Mittagspause. Eins der Stofftiere hatte es mir jetzt schon angetan und ich überlegte, es mitzunehmen. Ein kleiner zotteliger Löwe mit Stoffaugen, also Baby geeignet.

»Suchst du dir was Neues zum Spielen aus?« Diese scharfe, giftige Stimme konnte nur zu Susan gehören. Ein sarkastisches Lachen erklang in meinem Rücken. »Süß, wie er dich beschützt. Die kleine Schwester, die er sich immer gewünscht hat. Denk ja nicht, das du mehr für ihn bist oder werden könntest.«

Wenn du wüsstest Miststück. Sie stand jetzt gefährlich nah hinter mir und ihr Atem an meinem Ohr verursachte mir Gänsehaut.

»Leg dich nicht mit mir an KLEINES. Er gehört mir und ich werde alles dafür tun, dass das so bleibt.«

In mir ballte sich die Wut, aber irgendwie kam sogar eine Spur Mitleid hinzu und das dämpfte mich ab. »Susan, vielleicht solltest du einfach aufhören an etwas zu glauben, was nicht da ist.« Langsam drehte ich mich um und sah in ein durch und durch fröhlich böses Gesicht. Wie konnte man so gemein und glücklich gleichzeitig aussehen.

»Ach Victoria, arme kleine Victoria, du hast doch keine Ahnung. Bald wird sich alles ändern. Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, was ich tun muss. Diesmal bin ich am Ziel.« Dann verwandelte sich hier Gesicht in eine böse Fratze. »Für dich ist auch gesorgt, also halt dich besser zurück.«

Ironisch verzog ich meinen Mund und lachte sie aus. »Sicher Susan, sieh nur, welche Angst ich vor dir habe.«

Sie zwang mich an den Schultern haltend zurück bis an die Scheibe und spie mir ins Gesicht. »Aber vor ihm hast du Angst, also benimm dich, sonst wird das nächste Mal schlimmer ausgehen.« Dann stieß sie mich ruckartig gegen die Scheibe und stolzierte hoch erhobenen Hauptes davon.

Entgeistert sah ich ihr nach. Sie konnte doch unmöglich Markus meinen. Ich verfolgte sie, bis sie am Ende der Straße in ein Taxi stieg. Langsam entspannte ich mich. Ich würde jetzt ins Antiquariat gehen und mich ablenken. Was sollte sie denn schon tun? Sie war nur eine eifersüchtige Frau, die absolut nichts hatte außer Drohungen. Erschöpft rieb ich mir mein Gesicht und stieß mich von dem Glas hinter mir ab. Mein Blick fiel auf die andere Straßenseite ... direkt in Markus Gesicht.

Dort stand er mit dem Baseballcap, dass ich ihm damals zu Weihnachten geschenkt hatte und lächelte mich an, bevor er sich umdrehte und lässig, mit den Händen in den Hosentaschen in der Menge verschwand.

Ziemlich aufgelöst kam ich in der Buchhandlung an. Kaum war ich durch die Tür, stolperte ich geradezu in Angus Arme. Er sah mich besorgt an. »Victoria, alles in Ordnung, du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«

Völlig durch den Wind sagte ich automatisch die Wahrheit. »Markus, der Mann, der mich angegriffen hat, stand gerade auf der anderen Straßenseite und hat mich beobachtet.«

Sofort kam Bewegung in Angus. »Wo? Zeig ihn mir. Vielleicht krieg ich ihn noch.«

Ich schüttelte apathisch den Kopf. »Er ist schon weg.«

Jetzt kam auch Sarah zu uns, fragte mich aus und bemutterte mich. Kurz darauf saß ich in Matthews Büro in seinem Lieblingssessel und trank Tee. Meine Hände zitterten immer noch, aber diese beständige Ruhe die Angus und Matthew ausstrahlten, färbte auf mich ab und ich fing an, mich etwas zu entspannen. Sarah hingegen war mal wieder ein Flummi, der mit zu viel Schwung durchs Zimmer schnellte. Sie brabbelte in einer Tour und entwarf hirnrissige Strategien, ihn zu überführen, bis Angus sie mit brüderlicher Erfahrung raus navigierte und endlich Frieden herrschte im Büro.

Matthew war bei mir geblieben und arbeitete an seinem Schreibtisch. »Du solltest nicht alleine zurück nach Hause. Angus kann dich bringen oder vielleicht rufst du jemanden an, der dich holen kann.«

Eisern hielt ich mich an meiner Teetasse fest. »Sherlock ist in der Uni, vielleicht kann er rumkommen.« Ich griff mir mein Telefon und wählte, aber er nahm nicht ab. Wahrscheinlich war er in einer Besprechung. Der Unterricht war eigentlich schon vorbei. Ich probierte es nochmal, nicht mal die Mailbox sprang an. Resigniert legte ich das Telefon weg. »Vielleicht ruft er gleich zurück.«

Matthew musterte mich aufmerksam. »Bestimmt Mädchen, was bedrückt dich sonst noch? Du wirkst seit ein paar Tagen völlig zerrissen.« Er war ein sehr netter Mann, ruhig, gebildet und natürlich mit einigem an Lebenserfahrung. Von Anfang an hatte ich mich bei ihm wohl gefühlt und jetzt wollte ich sogar in sein Geschäft einsteigen.

»Matthew mit dem Laden, ich bin mir nicht sicher, wie viel ich anfangs mitarbeiten kann.«

Er lächelte. »Sherlock hat dir die Hölle heiß gemacht wegen deines Studiums, nicht wahr? Er hat recht Victoria, du solltest es nicht aufgeben. Wenn du hier arbeiten möchtest, schaffen wir beides.«

Verlegen sah ich auf meine Tasse. »Aber ich fürchte, ich schaffe nicht alle drei Dinge.«

Er zog seine Augenbrauen zusammen. »Was meinst du? Was möchtest du sonst noch machen?«

Unsicher sah ich ihn an. »Mutter sein.«

Es dauerte einen Moment, bis er vollends begriff, was ich gesagt hatte. Ungläubig sah er mich an. »Du bist schwanger?«

Ich nickte. »Erst zweiter Monat, also noch sehr früh, aber es kommt für mich nur in Frage das Kind zu behalten. Der Vater weiß es aber nicht, eigentlich weiß es niemand. Deswegen bitte behalt es erstmal für dich. Ich dachte nur, du solltest es wissen, schließlich ist deine Zukunft auch betroffen.«

Freudig nahm er mich in den Arm. »Dann erstmal herzlichen Glückwunsch! Du wirst das prima machen und mit dem Laden klappt das doch einwandfrei. Ich denke, darauf stoßen wir an.« Er kramte in einem Schrank und förderte eine Flasche Port zutage. Ich winkte direkt ab. »Natürlich nicht, aber ich. Fast kommt es mir so, vor als würde ich nochmal Großvater.«

Kein Entsetzen, kein Hände über dem Kopf zusammen schlagen, einfach nur Freude. Das, was ich mir die ganze Zeit nicht richtig eingestehen wollte, weil ich das Gefühl hatte kein Recht darauf zu haben. Und ich brach in Tränen aus.

»Mädchen? Das wird schon, ist es wegen des Vaters?«
Nach einer Stunde wusste Matthew meine komplette Lebensgeschichte, auch das Sherlock der Vater war, ich es ihm aber irgendwie nicht sagen konnte und wie es entstanden war. Sogar unsere heimliche Beziehung beichtete ich ihm. Nicht zu vergessen meine ständige Angst vor Markus. Diese Geschichte fiel mir am schwersten, aber am Ende war ich froh, wenigstens einen Menschen zu haben, der alles wusste. Denn ich war mir sicher, dass er mein Vertrauen nicht missbrauchen würde.

Zum Schluss riet er mir, Sarah erstmal nichts zu erzählen, weil sie zwar ein liebes Mädchen, aber doch recht schwatzhaft sei. Was mich zum Lachen brachte. Helfen könnte er mir nicht, denn die Entscheidung sollte ich allein treffen.

Dass er es so sagte und nicht wie Henry und Alistair mir erklärte, was zu tun sei, war eine Wohltat. Denn so konnte ich die Dinge mit ihm sachlich besprechen, ohne das Gefühl zu haben mich auch noch rechtfertigen oder wehren zu müssen. Letztendlich schien sich das Chaos in mir ein wenig zu ordnen und ich fühlte mich wieder gefestigter und vertraute endlich wieder darauf einen Weg zu finden.

Spät nachmittags rief ich nochmal Sherlock an, aber immer noch nichts, auch keine Mail box. Henry war auf der Arbeit und ich wollte ihn nicht stören. Kurzentschlossen nahm ich Angus Angebot an, mich nach Hause zu bringen, denn mittlerweile war ich ziemlich erschöpft von dem Tag und wollte nur noch gehen.

Seine Gesellschaft war erstaunlich angenehm. Wir unterhielten uns gut auf dem Weg nach Hause. Als wir ankamen, erzählte er mir gerade von Edinburgh, wo er aufgewachsen war und ich, als Schottland Fan hörte begeistert zu. Als ich ihm anbot, noch zu bleiben, kam er gern mit rein. Ich machte uns erstmal Tee und fing an zu kochen, während er an der Kücheninsel saß und mir Geschichten aus den Highlands erzählte.

»Was kochst du?«

Ich war gerade dabei Zucchini zu schneiden. »Nichts mit Hamel oder Schaf oder so, da versagen die schottischen Gene.«

Er lachte. »Ich bin Vegetarier.«

Perplex starrte ich ihn an. »Tatsächlich? Wie wird man so ein Bär, wenn man Vegetarier ist? Na perfekt, ich mach nur Nudeln mit Gemüse. Mein Standardessen für den Alltag.«

Er schnappte sich eine rohe Zucchini, direkt machte mein Herz einen Hüpfer bei der Erinnerung an Sherlock.

Kauend fragte er. »Wieso schottische Gene?«

»Meine Großmutter war Schottin Anne Mac Gilles. Leider hab ich sie nie kennengelernt. Meine Mutter hat sich mit ihr überworfen, als sie mit mir schwanger war. Sie war recht jung und ich ein Unfall. Das gab einen Skandal im Hause Mac Gilles / Winter. Mein Großvater ist kurz drauf gestorben. Mum meinte, meine Gran wäre zurück nach Schottland, aber keine Ahnung.« Mittlerweile war das Gemüse in der Pfanne und die Nudeln im Topf.

Angus schien unschlüssig, ob er gehen oder bleiben sollte. »Angus, du kannst gern zum Essen bleiben, wenn du möchtest.«

»Mir wäre es lieb, wenn du nicht allein bist. Nicht das ich mich dir aufdrängen will oder dir Angst machen. Nur zur Sicherheit.«

Dafür war ich aufrichtig dankbar. Die Begegnung mit Markus hatte mich ganz schön durcheinandergebracht und die Vorstellung, hier allein in diesem Haus zu sein war schlichtweg beängstigend.

Nach dem Essen setzten wir uns ins Wohnzimmer und unterhielten uns weiter. Er war gerade dabei, mir unter viel Gelächter ein paar Worte gälisch beizubringen als Sherlock in der Tür stand und uns misstrauisch beäugte.

Ich versuchte ihn, auf Schottisch zu begrüßen, woraufhin Angus einen weiteren Lachanfall bekam. »Ich fürchte das müssen wir nochmal üben Angus. So kann ich nicht mit in die Highlands.«

Sherlock zog die Augenbrauen hoch »Highlands?«

Angus merkte anscheinend, dass etwas im Busch war und stand auf, um sich zu verabschieden. »Jetzt bist du ja nicht mehr allein. Also Sherlock, war schön, dich wieder zu sehen. Victoria, wir sehen uns ja bestimmt bald wieder im Laden. Danke fürs Essen.«

Unter Sherlocks arrogantem abweisenden Blick brachte ich Angus zur Tür und bedankte mich ein weiteres Mal dafür, dass er mich nach Hause gebracht hatte.

Auf dem Rückweg in die Küche ahnte ich schon, dass Sherlock ungenießbar sein würde, aber was mich dann erwartete, schoss meilenweit über alles hinaus.
Da stand er, mit dem Rücken zu mir am Fenster und ich konnte sehen, wie es in ihm arbeitete. Seine Hand ging krampfhaft auf und zu, wie ich es schon oft beobachtet hatte, wenn er mit etwas kämpfte. Verstehen konnte ich ihn allerdings nicht.

»Sher, wo warst du? Ich hab versucht, dich anzurufen.« Ich bekam keine Antwort. Unschlüssig begann ich unser Geschirr aufzuräumen. »Hast du Hunger? Ich hab für dich mitgekocht.« Jetzt fuhr er sich mit den Händen durch die Haare. Ich stellte alles wieder ab und ging auf ihn zu, wollte ihn von hinten in den Arm nehmen, aber kaum hatte ich ihn berührt, drehte er sich weg und ging ein Stück zur Seite. »Sherlock! Er hat mich nur nach Hause gebracht und wollte mich nicht allein lassen. Ich hab dich angerufen bestimmt 10-mal, aber …« Weiter kam ich nicht, bevor meine Welt mal wieder in tausend Stücke sprang.

»Susan ist schwanger ... von mir.« Mir wurde schwarz vor Augen. Das war es also, womit sie am Ziel war. »Victoria, ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte, aber sie schwört, dass ich der Vater bin.« Ich musste atmen, immer atmen. »Babe, es tut mir so leid.«

Ich stütze mich auf der Arbeitsfläche ab. Mein Blick verschwamm. Das konnte doch nur ein Traum sein, ein perverser Albtraum. Einfach weiteratmen, bloß nicht weinen. Jetzt verfluchte ich mich dafür, dass ich es ihm nicht früher gesagt hatte. »Wie weit ist sie?« Wieder schaffte ich es, völlig fest und neutral zu sprechen. Bloß keine Gefühle zulassen. Überrascht drehte er sich um und sah zu mir. Ich hatte mich nun wieder vollständig im Griff und schaffte es, unbewegt auszusehen. Somit hatte er meinen kleinen Zusammenbruch verpasst.

Ganz Lord Croft wurde auch er, nachdem kurz ein Schwall von Gefühlen über sein Gesicht lief Herr der Lage und antwortete ruhig und neutral. »3. Monat, 10 Woche, um genau zu sein. Sie war erst Freitag beim Arzt, weil sie selbst nicht damit gerechnet hat.«

Wir standen jeder an einem Ende des Raumes, aber es hätten auch Galaxien sein können. »Sherlock, was genau erwartest du jetzt von mir?«

Verwirrt runzelte er die Stirn. »Von dir? Nichts! Ich bin völlig überfordert Victoria.«

Auf einmal war in mir nur noch Härte und Wut. »Das ist doch lächerlich, wenn du mit jemandem schläfst, musst du doch damit rechnen. Jedes Verhütungsmittel versagt mal.«

Verletzt sah er mich an. »Victoria, was sagst du denn da? Natürlich, aber mein Problem bist du.«

Bitter lachte ich sarkastisch. »Ich? Was hab ich denn damit zu tun? Das ist doch nicht mein Kind.« Das war gar nicht ich, die da redete. Ich war irgendwo verloren, schreiend und wimmernd. Irgendwo schrie ich vor Schmerz und Einsamkeit, das war jemand anderes, eine Fassade, die ich über Jahre aufgebaut hatte, um mit der Angst verlassen zu werden, klar zu kommen.

Sprachlos stand er da und sah mich so verletzt an, dass ich es kaum ertragen konnte. Also schlug ich zu. Besser ich stieß ihn brutal von mir, als hören zu müssen, dass ich nur sein PROBLEM war. Reiner Selbstschutz und unendlicher Schmerz brachten mich zu dieser Reaktion. »Sher ich denke, das Beste ist, du kümmerst dich um sie und das Kind und nicht um mich. Wie du gesagt hast. Das mit uns war nur ein Traum, keine Realität. Ich pass nicht in dein Leben und du nicht in meins. Also endet es besser jetzt und hier.«

Er stand einfach da, keine Regung, wie erstarrt. Vielleicht hätte in diesem Moment ein Wort, ein Zeichen etwas an meiner starren Panik geändert, aber von ihm kam nichts.

»Ich mein Sher du hast ja recht mit Angus, er ist klasse und passt gut zu mir und verdammt er ist sowas von scharf.« Besser ich beendete es, als dass er mir sagte, er würde gehen. Das würde ich nicht ertragen. So konnte ich so tun, als hätte ich es selbst entschieden. »Die Zeit mit dir war toll, aber ich denke, ich sollte jetzt weitergehen. Vor allem wird mir das zu kompliziert. Das ist es mir nicht wert.«

Sein Gesicht verzog sich und auf einmal sagte er ganz ruhig. »Gut, dann weiß ich Bescheid. Dann brauche ich mir ja keine Gedanken darum machen, dass ich dich damit verletze. Susan und ich werden heiraten, das ist die sinnvollste Lösung.«

Mein Herz zerriss. Ich würde sterben auf der Stelle, aber vorher lächelte ich ihn an. »Herzlichen Glückwunsch. Das ist schön. Dann seid ihr bald eine richtige Familie.« Ja, das war sarkastischer rausgekommen als beabsichtigt, aber meine Grenze war überschritten. »Wenn du was essen möchtest, nimm dir einfach, ich bin hundemüde, war ein langer Tag.« An der Tür drehte ich mich nochmal um. Er stand immer noch an derselben Stelle und starrte mich fassungslos an. »Sher, versteht sich von selbst, dass ich ab jetzt wieder nachts alleine schlafe, nicht wahr? Das wäre Susan gegenüber nicht fair. Gute Nacht.« Nach außen ruhig und gelassen ging ich weiter. Auf dem Weg nach oben, rückte ich im Flur sogar ein Bild gerade.

Kaum war die Tür zu meinem Schlafzimmer geschlossen, sprintete ich zum Klo und übergab mich, solange bis nur noch Galle kam. Dann blieb ich einfach sitzen. Ewigkeiten, keine Träne, nichts. Ich saß einfach da vor dem Klo auf dem Boden und wünschte mir, zu sterben. Einfach hier und jetzt sollte mein Herz aufhören zu schlagen. Es war ein Wunder, das es überhaupt weiter schlug. Völlig unverständlich, aber dann war mir klar warum, weil mein Baby leben musste. Mein Teil von Sherlock, der nur mir gehörte für immer. Den mir keiner mehr nehmen konnte. Niemand! Auch er nicht. Und die Tränen kamen.

Kapitel 5

 

Leichte Sorge redet, schwere verstummt.

Lucius Annaeus Seneca

 

Mitten in der Nacht wachte ich eiskalt auf dem Badezimmerboden auf. Steif erhob ich mich langsam und spürte jeden Knochen in meinen Körper. Meine Verletzungen brannten höllisch. Mechanisch ging ich unter die heiße Dusche und wie so oft beruhigte mich das Wasser, während es gleichmäßig an mir herunterströmte.

Sherlock! Wieder kamen mir die Tränen, aber ich wollte nicht mehr weinen, nie wieder. Gestern wusste ich noch, was Glück war, heute konnte ich mich kaum daran erinnern, wie es sich angefühlt hatte. Alistair, ich könnte Alistair anrufen, aber was sollte ich ihm sagen? Eigentlich wollte ich gar nicht reden, nie wieder. Victoria, reiß dich zusammen, wie dumm von dir zu denken, alles würde schon gut werden. Kindisch, lächerlich, wie oft musste das Leben mir noch beweisen, dass kein Platz für mich auf der Sonnenseite war. Aber ich hatte mein Baby und verdammt dafür wollte ich leben. Ich würde kämpfen um mein Glück, auch wenn es nur wir zwei wären. Sonst brauchte ich niemanden, zumindest nicht so. Nur meine kleine Familie. Alistair, Henry und mein Baby. Erschöpft kroch ich in mein Bett und doch nach langem Zögern zog ich mir sein Kissen rüber, atmete seinen Geruch ein und schlief so in seinem Arm.

Am nächsten Morgen stand ich bestimmt 10 Minuten vor meiner Tür, bis ich mich so gefestigt fühlte, dass ich runtergehen konnte. In der Küche stand er da, Buch, Brille, Tee in der Hand und meine Beine sackten mir kurz weg vor Schmerz.

Henry saß müde am Tisch. Er schien gerade erst von der Nachtschicht gekommen zu sein.

»Guten Morgen Jungs.«

Henry schnaubte. »Eher gute Nacht. Ich muss ins Bett. War das ein Mist letzte Nacht.«

Ich drückte ihm mitfühlend die Schulter. Mir war nur zu bewusst, dass Sherlock mich über den Rand seiner Brille beobachtete. Als wäre es der normalste Tag der Welt, ging ich zur Kaffeemaschine und versagte, meine Hand zitterte so, dass ich es kaum schaffte, den Knopf zu drücken. Sherlock sah mich kurz an und runzelte die Stirn, sagte aber nichts, sondern las direkt weiter. Meine Tasse in der Hand fühlte ich mich schon etwas sicherer und fragte: »Sherlock, wann wolltest du ins Museum? Treffen wir uns dort?« Einfach weitermachen, als wäre gestern nicht meine Welt mal wieder in tausend Stücke geflogen. Ich konnte sehen, wie er tief durchatmete.

»Tut mir leid. Susan und ich fahren heute zu ihren Eltern. Ein andermal.«

Ich schluckte und trank schnell einen Schluck Kaffee.

Henry war hellhörig geworden. »Was machst du bitte unter der Woche ohne Grund mit Susan bei ihren Eltern?«

Und ich lachte, völlig irre, warum auch immer, aber gerade war mir klar geworden, dass der Mann, der mir nur Tage zuvor erklärt hatte, dass er sich niemals einsperren lassen würde, eine Leine verpasst bekam. Das war absolut nicht lustig und eigentlich hätte ich ihm eine runterhauen sollen und ihm klar machen, dass es keinen Grund gab sie zu heiraten. Aber im Moment war alles einfach schräg und verkehrt und ich musste überleben. Sherlock warf mir einen recht verstörten Blick zu, sagte aber kein Wort.

Henry dagegen fragte ärgerlich: »Ernsthaft was ist hier los?«

Irre kichernd antwortete ich. »Susan ist schwanger und die beiden heiraten jetzt natürlich. Mummy und Daddy werden sich so freuen.« Dann trank ich lächelnd weiter meinen Kaffee. Ich flippte jeden Moment komplett aus.

Sherlock hatte sein, ich bin nicht hier Gesicht aufgesetzt und Henry entfuhr leise. »Ach du scheiße.«

Vor mich hin summend suchte ich nach einem Müsliriegel. Ich hatte Hunger, kein Wunder, nachdem ich gestern alles wieder ausgekotzt hatte. Ich war mir sicher welche gekauft zu haben. Immer energischer wühlte ich im Vorratsschrank. »Hat jemand die Müsliriegel gesehen? Ich hab wirklich Hunger.«

Henry nahm mich am Arm und zog mich ein Stück vom Schrank weg. »Hast du?« Natürlich war mir sofort klar, was er meinte. Ob ich Sherlock von unserem Baby erzählt hätte. Ich schüttelte den Kopf. »Victoria du musst.«

Wieder schüttelte ich den Kopf. Vorsichtig sah ich zur Seite, er war nicht mehr da. Sherlock war gegangen. Verzweifelt sah ich Henry an und ganz leise erklärte ich. »Wenn ich das jetzt sage, dann denkt er, ich will mich wichtigmachen oder ihn irgendwie unter Druck setzten. Henry, zwing mich nicht, bitte.«

Überraschenderweise nickte er und schloss mich in die Arme. »Wie kann ein einzelner Mensch nur so viel Mist anziehen.«

Ich legte mich schwer in seinen Arm und genoss die Geborgenheit. »Henry, du hilfst mir, oder?«

Er drückte mich noch etwas fester an sich. »Natürlich, aber bitte lass es mich David erklären.«

Ich nickte. »Aber nur wenn du sicher bist, dass er dichthält.«

»Das wird er sicher.«

Auf einmal fiel mir ein. »Henry. Becca hat’s erraten. Alles! Sie ist ein verdammter Spion. Ich hatte keine Chance.«

Er seufzte. »Hoffentlich bricht das nicht alles über uns zusammen. Du solltest es ihm irgendwann sagen. Wir haben schließlich Beweise.«

»Ja, irgendwann. Ich muss los zur Uni. Ich will erstmal normal weitermachen, sonst dreh ich durch.« Und schon machte ich Anstalten zu gehen. Henry griff an mir vorbei in den Schrank und hielt mir einen Müsliriegel hin. Schweigend nahm ich ihn entgegen und machte mich auf den Weg.

Was hätte ich sonst tun sollen? Die nächsten Tage ging ich zur Uni, danach ins Antiquariat, verbrachte meine Zeit mit Sarah und Angus, die mich nach Hause brachten, wo Henry schon auf mich wartete. Irgendwann kurz bevor Henry losmusste, hörte ich, wie Sherlock kam. Die beiden sprachen miteinander, einmal stritten sie lautstark, aber ich drehte den Fernseher auf, denn ich wollte nichts hören und schon gar nicht nachdenken. Wenn ich erst nachdachte, war der Schmerz unkontrolliert. Zwischendurch rief ich Alistair an, der sich größte Mühe gab mich abzulenken. Beim ersten Mal hatte er noch mit mir diskutiert, aber er kannte mich zu gut und wusste, dass es im Moment keinen Sinn hatte.

Dann jeden Abend hörte ich Henry gehen und wusste, ich war mit Sher allein. Jeden Abend saß ich da und versuchte den Schmerz nicht zuzulassen. Immer kam ich an den Punkt, an dem ich runtergehen wollte. Mit ihm reden. Ihm alles sagen oder einfach nur schreien. Oder ihn anflehen, sie nicht zu heiraten, bei mir zu bleiben. Dann machte ich den Fernseher und das Licht aus, nahm sein Kissen in den Arm und lauschte auf die Geräusche, die er machte. Immer wieder erwischte ich mich dabei mir zu wünschen, er würde wider Erwarten zu mir kommen und alles wäre gut. Meine Hand auf dem Bauch und mein Gesicht in sein Kissen gepresst, sein Geruch in meiner Nase schlief ich dann irgendwann ein, jeden Abend.

Bis heute Freitag hatte ich ihn nur in der Uni gesehen, wo er mich manchmal verstohlen ansah und ich jedes Mal hart zurückstarrte. Selbst morgens ging er mir konsequent aus dem Weg. Susan hatte gewonnen. Ich hatte ihn verloren. Morgen war Samstag, keine Uni, keine Flucht Möglichkeit.

Lange lag ich abends im Bett, bis ich vor Hunger nicht mehr konnte. Ich musste mir dringend einen Vorrat im Schlafzimmer anlegen. Henry schlief schon, seine letzte Schicht war eine dieser 24 Std. Schichten gewesen und er war noch nicht lange zu Hause. Kurz überlegte ich, mich ordentlich anzuziehen, aber warum? Das war mein Haus, also schlüpfte ich lediglich in eine Jogginghose, ließ mein Schlafshirt an und ging nach unten.

Auf dem Weg in die Küche hörte ich Sherlock im Arbeitszimmer poltern, als wäre etwas umgefallen. Ohne groß darüber nachzudenken, ging ich weiter, trank in Seelenruhe meinen Tee und aß meinen Jogurt. Sherlocks Telefon lag auf den Tisch und klingelte bereits zum dritten Mal, Susan, wer denn sonst. Langsam fing es an zu nerven.

Als ich dabei war mir einen Vorrat an Keksen und Schokolade zusammenzusuchen, klingelte es wieder. Diesmal war es Edward und ich ging dran. »Hi Ed ich bin es Vi.«

Etwas stockend kam die Antwort. »Hi Süße, wo ist Sher? Ich muss dringend mit ihm reden.«

»Ich glaube im Arbeitszimmer. Er hat sein Handy in der Küche liegen lassen. Susan ruft gefühlt alle fünf Minuten an.« Man konnte die Spannung in der Leitung geradezu spüren. »Ed, weißt du Bescheid?«

Er schien irgendwo gegen zu schlagen. »Verdammt ja. Er hat mir erst heute Nachmittag geschrieben und ich bin nicht einverstanden. In der heutigen Zeit muss man doch nicht heiraten. Wenn ich mir vorstelle, ich muss ab jetzt Weihnachten mit ihr feiern, kommt mir das Essen hoch.«

»Na ja, Pendrake Hall gehört immer noch mir. Da errichte ich eine Susan Sperrzone.«

Er seufzte. »Das ist auch keine Lösung, zumindest nicht für mich. Ich will Sher schließlich nicht verlieren. Gibst du ihn mir mal? Ich hab das Bedürfnis, ihn anzuschreien.«

Das brachte mich zum Schmunzeln. »Ich bring dich zu ihm.« Beim Arbeitszimmer angekommen klopfte ich und wartete, aber nichts geschah. Unschlüssig stand ich da und klopfte nochmal.

»Vi, geh einfach rein. Vielleicht ist er im Schlafzimmer.«

Im Grunde hatte er recht und ich drückte die Tür auf.

Der Anblick, der sich mir dann bot, war einer der Schlimmsten, die ich je gesehen hatte. Ich flog panisch zu Sherlock, der scheinbar bewusstlos vor der Couch lag. In seinem Erbrochenen. Aber was mir den Boden unter den Füßen wegzog, war die verdammte Nadel in seinem Arm. »Edward, o Gott Edward.«

»Vi was ist los?«

Ich stellte ihn auf Lautsprecher und legte das Telefon auf den Tisch, neben dem ich nun vor Sherlock kniete. »Er liegt bewusstlos auf dem Boden.« Ich musste Ruhe bewahren. Erstmal den Puls und die Atmung checken. Beides schwach aber da. Diese Nadel, ich hasste Nadeln. »Edward kann ich einfach eine Nadel aus dem Arm ziehen oder muss ich irgendwie aufpassen?«

Ein Keuchen. »Scheiße! Pass auf …« und er erklärte mir ruhig und sachlich, wie ich die Nadel entfernen sollte und ihn in die stabile Seitenlage verfrachten musste. »Victoria, siehst du, was er genommen hat?«

Ich sah mich um. »Nein nichts, aber es riecht nach Alkohol. Edward, sein Puls flattert, ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, aber erst normal und dann kurz holprig schnell und dazwischen ziemlich flach.«

Angespannt aber sachlich antwortete er. »Vi geh hoch und hol Henry. Becca hat versucht, ihn anzurufen, erreicht ihn aber nicht. Hörst du! Du musst Sher kurz allein lassen und Henry holen.« Ich war in einer Art Schockstarre gefangen.

»Schnell, geh jetzt«, rief er laut durchs Telefon und ich löste mich mit einem Ruck vom Boden. Rannte die Treppe hoch und stürmte an Henrys Bett. Schrie, rüttelte, völlig verstört sah er mich an.

»Was ist denn los?«

Panisch haspelte ich. »Sherlock liegt unten, sein Puls ist seltsam und er hatte eine Nadel im Arm.«

Sofort sprang er auf und rannte mit seiner Tasche los. Angekommen arbeitete er routiniert und sicher. Ich hätte ihn sofort holen sollen. »Edward? Henry ist jetzt hier.« Ich hörte ihn am anderen Ende aufatmen.

Henry erklärte Edward, was von Kreislauf stabilisieren, während er was spritzte und Alkoholvergiftung. Er besah sich die Pupillen, die geweitet waren an und verbesserte seine Lage. Dann sagte er zu Edward. »Könnte Heroin sein, aber er scheint einigermaßen stabil.«

Ich sackte zusammen und setzte mich auf die Couch. Warum zum Teufel hatte er das getan? Nachdem ich ein paar Mal tief durchgeatmet hatte, stand ich auf und holte warmes Wasser, Waschlappen und Handtücher. Henry saß da und hielt sein Handgelenk, um den Puls zu überwachen. Ich kniete mich einfach vor ihn und fing an, um ihn rum sauber zu machen. Dann legte ich ihm ein Handtuch unter sein Gesicht und versuchte, ihn so gut es ging, abzuwaschen. Ich strich ihm zärtlich durch die Haare.

Dieser Anblick, wie er da lag, berührte mich so tief und ließ mich an allem Zweifeln. Ich hätte ihn verlieren können. Nicht nur an eine andere Frau. Er hätte sterben können. »Warum verdammt Henry hat er das getan?«

Henry sah mich lange schweigend an, bevor er antwortete: »Ich denke, dass er nicht mit der Situation klarkommt. Er will das Richtige tun, aber …«

»Er fühlt sich eingesperrt und das erträgt er nicht.«

Überrascht antworte Henry. »Ja, genau.«

Wieder fuhr ich mit meiner Hand durch seine Haare. »Denkst du, er wollte sich was antun?« Meine Stimme zitterte.

»Nein, Vi, dann wäre sein Zustand schlechter. Ich bin mir nicht mal sicher, was er genommen hat. Dafür müsste ich sein Blut checken. Dass er erbrochen hat, liegt eher am Alkohol.«

Ich legte meine Hand an seinen Kopf den Daumen vor dem Ohr und streichelte ihn sanft an der Schläfe.

Seine Augen blinzelten und er krächzte. »Kokain gespritzt.«

Henry schien etwas aufzuatmen. »Ok Sher, dann bleib erstmal liegen, wir kümmern uns um dich.«

Sein Mund verzog sich zu einem stillen ironischen Kichern und er hustete sofort. Wieder hielt ich seinen Kopf und fuhr ihm mit der anderen Hand durch die Haare. Seine Augen waren nicht aufgegangen und er stöhnte. »Ich fürchte, ich hab mir den Kopf angeschlagen.«

Henry erwiderte abgeklärt. »Das oder zu viel gesoffen.«

Wieder kicherte Sher so schräg. »Das sicher.«

Mir tat mein Herz so weh bei seinem Anblick. Wenn ich ihn verloren hätte … Mir wurde wieder bewusst, wie stark meine Gefühle für ihn waren.

Erneut stöhnte er auf. »Hoffentlich bekommt Vi nichts mit.«

Henry und ich sahen uns an. Dann meinte Henry scherzhaft. »Was glaubst du, wer dich so nett streichelt und deinen Kopf hält, ich bestimmt nicht, dafür bin ich zu sauer auf dich.«

Shers Augen flogen auf und fixierten meine. »Kleines?«

Seine grünen Augen sahen stumpf aus. »Hi Großer.« Nur mit größter Mühe hielt ich die Tränen zurück und schaffte ein Lächeln.

Wieder fing er an zu husten und dann zu würgen. Schnell half Henry, mir ihn so hochzubekommen, dass er sich gefahrlos übergeben konnte, ohne sich zu verschlucken. Danach sackte er wieder erschöpft zusammen.

Henry hörte ihn ab. Und ich entsorgte das vollgekotzte Handtuch und musste feststellen, das er mich auch erwischt hatte. Schwer schluckte ich den Würgereiz runter, der mich direkt überkam. »Ich zieh mich eben um und hole frisches Wasser und Waschlappen.« Henry nickte.

»Kommst du wieder?«, krächzte Sher ziemlich erbärmlich.

»Bin gleich wieder da.« Sein Gesicht verzog sich kurz, als würde er gleich anfangen, zu weinen und nickte dann.

Im Badezimmer schluchzte ich erstmal auf und ließ kurz alles an Gefühlen zu, nur um dann meine Kräfte wieder zu bündeln und zurückzugehen. Sherlock lehnte mittlerweile mit dem Rücken an der Couch. Seine Augen öffneten sich leicht, als ich zu ihm kam und wieder anfing, ihn zu waschen.

»Kleines, lass, ich geh gleich ins Bad, du brauchst das nicht tun.« Seine Stimme war unsicher und gebrochen. Aber ich wusch ihm trotzdem das Schlimmste weg und knöpfte ihm das verdreckte Hemd auf. Dabei ließ er mich keine Sekunde aus den Augen.

»Komm Sher, hilf mir kurz, das auszuziehen.«

Wir schafften es zusammen, ihn davon zu befreien. Henry telefonierte unterdessen mit Edward. Sher sah mich seltsam an und sein Blick flackerte, dann kippte er einfach zur Seite. Ich schaffte es gerade noch, seinen Kopf aufzufangen, damit er nicht auf den Boden knallte. Panisch rief ich. »Henry.«

Sofort war er bei ihm. Sherlock allerdings lallte. »Mir ist nur schwindelig, ich muss schlafen.«

Henry seufzte. »Wo er recht hat, hat er recht. Denkst du, wir kriegen ihn zusammen ins Bett? Ich trage ihn natürlich größtenteils.«

Sherlock raffte sich schon auf und Henry legte ihn sich schwer auf seine Schultern. Am Bett zog ich ihm schnell die Hose aus, damit er sich nicht direkt alles versaute und wir bugsierten ihn hinein, wo er fast augenblicklich einschlief. Hin und her gerissen stand ich vor ihm, bis Henry fragte. »Kannst du kurz bei ihm bleiben, ich muss mich auch umziehen.«

»Henry, ist er jetzt stabil? Kann noch was passieren?«

Henry drückte mir den Arm. »Du brauchst dir keine großen Sorgen machen, Kokain gespritzt geht schnell ins Blut, hält aber nicht lange an. Sein Kreislauf dürfte jetzt stabil bleiben.«

Ich rieb mir die Augen. »Dann leg dich hin, du bist völlig übermüdet und ich bleib bei ihm. Vielleicht lässt du die Tür auf?«

Erschöpft versicherte er sich. »Wirklich Vi?«

»Ich könnte jetzt eh nicht schlafen.«

Dankbar drückte er meinen Arm. »Ok, dann leg ich mir mein Handy ans Ohr. Danke, ich bin wirklich vollkommen ausgelaugt. Edward ist auch auf dem Weg, aber das kann noch etwas dauern.«

»Geh schlafen Henry.« Er gab mir einen Kuss auf die Wange und verschwand.

Ich setzte mich auf die Bettkante und nahm Shers Hand. Seine wundervollen langen Finger. Von Anfang an war ich verliebt in diese starken eleganten Hände.

»Victoria«, murmelte er im Halbschlaf, griff nach meiner Taille und ich ließ mich in seinen Arm ziehen. Bestimmt eine Stunde oder länger lag ich so neben ihm, sah wehmütig jeder Bewegung in seinem Gesicht zu, verfolgte seine Atmung und fühlte immer mal wieder seinen Puls.

Auf einmal wurde er immer unruhiger und fing an, undeutlich im Schlaf zu sprechen. Er schien zu streiten, zu rufen, dann raunte er eindringlich. »Ed versteck dich unter der Treppe, er darf dich nicht finden.« Wie auf Kommando kam Edward ins Zimmer. Sherlock wurde immer unruhiger, schien fast schon zu kämpfen und murmelte leise. »Edward! Lauf, versteck dich, lauf!«

In dem Moment packte Edward mich und zog mich aus dem Bett. Sherlock schrie fast gleichzeitig auf und schlug um sich. Edward war direkt wieder bei ihm, hielt ihn an den Armen fest und rief. »Sherlock wach auf.«

Sher riss sich brutal los, stierte wild vor sich hin und schrie verzweifelt auf. Kampfbereit und schwer atmend saß er danach im Bett. Man merkte, wie schwer es ihm fiel, sich zu orientieren und zurückzufinden. Ich nahm meinen Platz auf dem Bett wieder ein und strich ihm über die Haare, ruckartig sah er mich verständnislos an. Seine ganze Haltung war, aufs äußerte gespannt und zeigte, dass er noch völlig gefangen in seinem Traum war.

»Sherlock, ich bin es, Victoria sieh mich an, alles ist gut. Edward ist in Sicherheit.«

Sein Blick wurde ruhiger. »Vi? Kleines?«

»Ssh, ich bin hier, alles gut, leg dich wieder hin.« Ich nahm ihn in den Arm und legte seinen Kopf auf meine Brust.

Leise murmelte er. »Geh nicht weg, bitte Vi, nie mehr.« Dann legte er sich aufs Kissen und schlief wieder ein, als wäre nichts passiert.

Edward starrte uns an. »Victoria, wie hast du das geschafft?«

»Ich denke er vertraut mir, vielleicht weil er mich genauso vor mir selbst gerettet hat. Wovon hat er geträumt?«

Edward war immer noch verwirrt. »Hast du die Narbe an der Schulter mal gesehen?«

»Ja. Er hat mir erzählt, euer Vater hätte sie ihm mit dem Schürhaken zugefügt.«

Erstaunt weiteten sich seine Augen. »Das hat er dir erzählt? Er erzählt eigentlich nie jemandem von unseren Eltern, höchstens Henry.« Er sammelte sich. »Hat er dir denn die Einzelheiten auch erzählt?« Ich schüttelte den Kopf. »Er hat mich beschützt, mich versteckt, unser Vater war sauer auf mich. Ich hatte ein ziemlich mieses Zeugnis, was bedeutet nicht alle Punkte in allen Fächern. Sher hat für mich die Prügel bezogen, wie so oft. Er hat mich oft versteckt und mich erst wieder geholt, wenn die Luft rein war. Ich hab keine Ahnung, was er alles für mich eingesteckt hat.«

Ich gab Sher einen Kuss auf die Stirn. »Wir müssen ihm helfen, irgendwie Edward.«

Beruhigend strich Edward mir über den Kopf. »Das denke ich auch. Irgendwie müssen wir Susan kleinkriegen. Vor allem müssen wir rausbekommen, wie sie ihn dazu gebracht hat sich mit ihr zu verloben.«

Nachdenklich fragte ich. »Denkst du nicht, es ist von ihm ausgegangen? Er hat mal gemeint, er würde wollen, dass sein Kind seinen Namen trägt.«

Bitter meinte Edward. »Nein, das kann man auch anders regeln, wenn es überhaupt sein Kind ist.« Der Gedanke war mir noch gar nicht gekommen.

Sher murmelte jetzt wieder irgendetwas und drehte sich dann um und ließ mich dabei aus seiner Umklammerung. Vorsichtig schälte ich mich aus dem Bett. Eigentlich wollte ich ihn nicht verlassen, aber ich war hungrig und musste auf Klo und vor allem war ich emotional überfordert. »Ed, bleibst du bei ihm?«

»Mach ich. Becca wartet in der Küche. Denkst du, wir können hier übernachten?«

Ich nickte abwesend. In Gedanken immer noch bei Sher. »Das Gästezimmer ist frisch bezogen. Ich bring Becca hin.«

Wie ein Roboter hatte ich gegessen, Becca das Zimmer gezeigt und war dann in mein Bett gefallen, wo ich den Rest der Nacht damit verbracht hatte von Sher zu träumen. Gute Träume, in seinem Arm nah und zärtlich, wild und leidenschaftlich.

Innerlich völlig wund und hohl wachte ich auf. Immer, wie jeden Morgen war Sherlock mein erster Gedanke, diesmal mischte sich die Sorge um ihn dazu. Schnell zog ich mich an und ging nach unten, wo ich Sherlock schlafend im Bett vorfand, vor ihm im Sessel der schlafende Edward. Also verzog ich mich in die Küche und machte mir Kaffee. Mein Magen beschwerte sich lautstark. Im Moment war ich eine neunköpfige Raupe.

Ich hatte gerade angefangen, meinen Porridge zu kochen, als Becca gähnend und mit zerzausten Haaren, die sie notdürftig in einem Zopf gebunden hatte, in die Küche kam. »Morgen Becca. Porridge?«

Angewidert sah sie mich an. »Versteh mich nicht falsch, aber bäh.«

Ich schüttete mir etwas in eine Schüssel. »Ich denke, bäh ist eindeutig.« Dann fing ich an, Tee zu kochen. Becca hing am Tisch sitzend auf ihren Arm. »Nicht gut geschlafen?«

»Nein, nicht besonders. Ich war völlig überdreht und du?«

Vorsichtig nahm ich einen Löffel Porridge und entschied, dass ich heute mehr Zucker brauchte. »Komischerweise schlafe ich in den letzten Tagen ziemlich gut, obwohl die Tage furchtbar waren.«

Edward erschien, anscheinend völlig steif vom Sessel. Er streckte und dehnte sich. »Sher ist wach und sobald es ihm besser geht, bring ich ihn um.«

Becca erhob sich und fiel ihm um den Hals. Sie küssten sich lang und verliebt. Der Schmerz in meiner Brust bestand aber aus Sehnsucht nach Sher nicht aus Eifersucht. Erstaunt stellte ich fest, dass ich mit Edward in der Hinsicht, ohne es zu merken, abgeschlossen hatte. Trotzdem sahen die beiden mich jetzt verlegen und entschuldigend an. »Ist schon in Ordnung. Ich komm klar. Liebet und mehret euch. Das Zweite bitte nicht in der Küche. Generell nicht wenn ich dabei bin.« Becca grinste mich an.

Als der Tee fertig war, nahm ich einen Becher und eine zweite Schüssel Porridge und ging zu Sherlock. »Guten Morgen Junkie.«

Er sah furchtbar aus, völlig gerädert und bedrückt. »Vi, tut mir leid, dass ich dich damit reingezogen habe.«

Ich setzte mich ihm gegenüber aufs Bett. »Wäre ich nicht an dein Telefon gegangen …« Ich schüttelte den Kopf und seufzte. »Ich bin froh, dass ich dich gefunden habe.«

Er nahm meine Hand und verschränkte unser Finger. »Danke Kleines, für alles. Für´s Kotze wegwischen und da sein. Ed hat mir erzählt, wie cool du warst. Das mit der Spritze tut mir am meisten Leid.«

Ich zog meine Hand aus seiner. Die Berührung war zu viel für mich. Dann drückte ich ihm den Tee in die Hand »Porridge? Mit Apfel, Birne, Vanille und Mandeln.« Sein Blick war kaum zu ertragen. Er sah mich an, als würde er in mich reinkriechen wollen.

Er nickte, aber er hatte sichtlich Mühe, überhaupt die Tasse zu halten und ich nahm sie ihm vorsichtig wieder ab. Seine Hände zitterten. »Mein Kreislauf ist nicht so berauschend, alle Muskeln fühlen sich an, als hätte ich Baumstämme geworfen. Also halten wir fest, sich hoffnungslos zu betrinken und dann Kokain spritzen, ist keine besonders gute Idee.«

Ich hielt ihm einen Löffel Porridge vor den Mund und er ließ sich füttern. »Warum hast du es dann gemacht?«, fragte ich zittrig. Der nächste Löffel landete bei ihm und gedankenverloren steckte ich mir den nächsten in den Mund. Ich hätte vorher richtig essen sollen.

»Ich wusste es nicht, Vi. Ich mein eigentlich war das logisch, aber ich hatte mir erst einmal vorher Koks gespritzt. Keine Ahnung was mich gestern geritten hat. Warum ich getrunken habe weiß ich, aber der Rest war im wahrsten Sinne des Worts eine Schnapsidee.« Wieder gelangte ein Löffel in seinem Mund und der nächste in meinem. Ganz sanft fragte er. »Hast du Hunger mein Schatz?«

Das zog schmerzhaft durch meine Brust und ich schloss kurz die Augen. »Ja, im Moment habe ich immer Hunger, tut mir leid.« Wieder hielt ich ihm den Löffel hin.

»Iss nur mit, fast als würde ich dich küssen.«

Das war wie ein Dolchstoß tief ins Herz, ich konnte das hier nicht. Er hatte sich gegen mich entschieden und jetzt? Spielte er mit mir? Abrupt stellte ich die Schüssel ab und verließ hastig den Raum, ich hörte noch, wie er nach mir rief, aber ich würde nicht umdrehen. In der Küche sahen Edward und Becca mich seltsam an. »Könnt ihr nach ihm sehen? Ich muss mich kurz ausruhen.«

Becca sprang sofort auf. »Ja sicher.« Dann nahm ich meinen Porridge und flüchtete nach oben.

Kapitel 6

 

Du wirst immer lieben und du wirst immer geliebt werden.

Oscar Wilde

Die nächsten Stunden verbrachte ich in meinem Zimmern. Um die Mittagszeit klopfte es an meiner Tür und mein Herz blieb kurz stehen. Als Edward reinkam, war ich enttäuscht und erleichtert gleichzeitig. »Hi Ed, alles klar?«

Er setzte sich zu mir auf Bett. »Sherlock schläft schon seit Stunden. Unruhig, aber er schläft. Becca und ich wollten ins Hotel wegen unserer Sachen. Sollen wir heute Nacht dortbleiben oder hier?«

Ich war ein bisschen überfordert. »Keine Ahnung, wie ihr wollt.«

Er griff nach meiner Hand. Was hatten sie nur immer alle das Bedürfnis, meine Hand zu halten. »Mir wäre es lieber, hierzubleiben, dann hab ich ein Auge auf Sher und ehrlich gesagt, gefällst du mir auch nicht. Was ist los Süße? Ist es wegen dem, was gestern passiert ist? Du hast das wirklich toll gemanagt, aber ich weiß, wie es einem zusetzt ihn so zu sehen, überhaupt jemanden so zu sehen.«

Was sollte ich denn jetzt sagen, mein Herz ist gebrochen. Ich bin schwanger von deinem Bruder. Also sagte ich nur irgendetwas Beschwichtigendes und er sah wohl ein, dass es keinen Zweck hatte mich weiter zu bedrängen.

Nach einer kurzen Pause, in der er nachdenklich aus dem Fenster starrte, atmete er tief durch und fragte. »Kommst du denn heute Abend? Ich muss diese Ansprache halten, wäre schön, wenn du da wärst.«

Der Mediziner Spenden Ball, Gala, was auch immer. Die Frage hatte ich mir schon die ganze Woche gestellt. Schließlich wollte Sherlock mich ursprünglich begleiten. Aber klar, ich war erwachsen und eingeladen. Sogar Erbin dieser Stiftung. Auch, wenn ich keine Ahnung hatte, was das bedeutete. Vor allem! Ich hatte ein Hammer Kleid dafür gekauft. Sherlock würden die Augen ausfallen und wenn nicht, bestimmt ließ sich jemand finden, der mein Selbstwertgefühl wieder aufbaute.

Überzeugt und sicher antwortete ich ihm deswegen: »Ja ich komme, ich hoffe, wir sitzen an einem Tisch. Ich hab sowas von überhaupt keine Ahnung und Sher fällt ja als Begleitung aus.«

Zufrieden lächelte er und stand auf. »Sicher sitzen wir zusammen, aber ich denke schon, dass er dich begleitet. Schließlich bist du seine Heldin und kommen muss er auf jeden Fall. Das lässt sein Pflichtgefühl gar nicht anders zu. Er verschiebt noch seinen Todestag nur, um seinen Ansprüchen zu genügen. Gott sei Dank bin ich nur der Zweitgeborene.«

Überrascht sah ich ihn an. »Wirklich so schlimm?«

Edward lachte bitter, während er schon raus ging. »Oh ja Süße, er hätte wahrscheinlich früher im Kronrat gesessen. Der geborene Lord. Kannst du gleich mal nach ihm sehen? Spätestens um 5 Uhr sind wir wieder hier. Dann fahren wir nachher gemeinsam hin, ok?«

Er war schon auf der Treppe, schnell sprang ich hinterher. »Ed?« Fragend sah er mich von unten an. »Ich muss dich noch was Wichtiges fragen, wegen Becca.« Sein Gesicht verzog sich etwas und er sah nervös zu mir hoch. »Denkst du, sie kann mir bei den Haaren helfen?« Erleichtert grinste er von einem Ohr zum anderen.

Aus dem Flur hörte ich Becca schon. »Ich hab 3 Schwestern, das ist meine Spezialität, hochstecken?« Da stand sie schon am Fuß der Treppe und lächelte mich an.

Dankbar nickte ich. »Vielleicht schon, sieh dir erst das Kleid an, dann entscheiden wir.«

Sie klatschte freudig in die Hände und hüpfte los, aber Edward schnappte sie um die Taille und zog sie zurück. »Wir müssen los.«

Sie machte einen süßen spitzen Mund und verteilte kleine Küsse auf seinem Gesicht. »Nur ganz kurz, bitte, vielleicht muss ich noch Haarnadeln kaufen oder so.«

Er hielt sie eisern aber grinsend fest und zog sie weiter. »Nein, ich weiß, wie das endet, zack los jetzt.«

Sie hielt sich am Treppenpfosten fest. »Hilf mir Vi, er entführt mich.«

Lachend ließ sie sich in seine Arme fallen. Ich winkte ihnen zum Abschied. Es war schön sie so zu sehen, aber es war auch nicht leicht. Die Gedanken kamen automatisch. Ich könnte es sein. Ich könnte jetzt glücklich sein. Aber direkt die Ernüchterung, nicht mit ihm. So lieb ich ihn hatte. Wieder war der Krater da, der mich zu verschlucken drohte. Dieses Loch aus Dunkelheit. Leer und einsam. Vielleicht war es noch tiefer und dunkler, jetzt wo ich wusste, was es hieß, glücklich zu sein.

Ich taperte zurück in mein Zimmer, schnappte mir eins der Bücher, die Sherlock mir für die Studie gegeben hatte, das letzte der drei, und fing an zu arbeiten. Die Woche hatte ich im Antiquariat und in den Pausen einiges geschafft, und jetzt blieb nur noch ein Rest nachzuarbeiten. Ob er es überhaupt verwenden wollte, war die andere Frage, aber pflichtbewusst war ich auch. Abgesehen davon interessierte mich das Thema. Es war eine gute Ablenkung und ich konnte wenigstens so mit ihm zusammen sein.

Eine ganze Zeitlang arbeitete ich konzentriert daran, meine Stichpunkte durchzugehen und zu ordnen. Schrieb abschließend ein paar Randbemerkungen. Jetzt war er dran und musste entscheiden, was für seine Arbeit relevant sein könnte, bevor ich weiter forschte. Seufzend erhob ich mich aus dem Bett. Es war eh Zeit nach ihm zu sehen, schließlich hatte Edward mich drum gebeten. Was für eine wunderbare Ausrede für mich, zu ihm zu gehen. Ich hievte mir meine ganzen Unterlagen und die Bücher auf den Arm und machte mich auf den Weg in sein Arbeitszimmer, nicht ohne einen dicken Klumpen in meinem Bauch. Das würde kein leichter Weg werden, wenn ich versuchen wollte, wieder auf ein normales freundschaftliches Verhältnis zu ihm zurückzufinden. Aber wenn ich ehrlich zu mir war, die Vorstellung, er wäre nicht mehr in meinem Leben war kaum zu ertragen. Mein Kind sollte seinen Vater kennen, wenigstens darin war ich mir sicher und an mir sollte es nicht liegen.

Nachdem ich meine Last auf seinen Schreibtisch gelegt hatte, klopfte ich an seine Tür und trat kurz darauf ein. Halb aufgerichtet mit Brille auf der Nase war er über seinem Buch wieder eingedöst. Innerlich schrie ich vor Schmerz auf. Genau das Bild, das ich mir erträumt hatte, er an meiner Seite. Kontrolliert atmete ich gegen die ansteigenden Tränen, bevor ich vorsichtig mich daran versuchte ihm die Brille abzunehmen. Mit etwas Mühe schaffte ich es und legte sie auf den kleinen Schrank neben seinem Bett. Das Buch rutschte ihm schon halb vom Schoß, also griff ich danach, aber er wachte auf und griff nun seinerseits nach meiner Hand.

Rau wisperte er. »Kleines?«

Schnell schaffte ich wieder Abstand zwischen uns. »Wie geht es dir, Sher?«

Er sah aus, als wären in seinem Kopf tausend Sachen, die er loswerden wollte. Aber alles was er rausbrachte holpernd und mit gebrochener Stimme war. »Ich hab versucht zu lesen, aber alles verschwimmt mir vor den Augen.« Ein normales unverfängliches Gespräch.

»Was hast du denn gelesen?« Ich griff nach dem Buch, Shakespeares Sonette, und besah mir die Seite, auf der er war.

Leise sagte er » 47.« Vielleicht hätte ich es besser wissen sollen, aber dummerweise las ich laut:

 

Nun ist der Friede wieder eingekehrt,
Und Herz und Auge haben sich vertragen:
Wenn sich mein Aug‹ um einen Blick verzehrt,
Und wenn das Herz erstickt in seinen Klagen,
So schwelgt mein Aug‹ in deinem süßen Bild
Und lädt das Herz zum farbenfrohen Fest,
Bald dass mein Herz die Gastfreundschaft vergilt
Und sein Gefühl das Auge teilen lässt.
So bleibst du nah, magst du auch ferne weilen,
Sei es im Bilde oder Liebe mir,
Denn den Gedanken kannst du nicht enteilen,
Und ihnen folg‹ ich immer wie sie dir;
Und schlafen sie, so weckt in meiner Brust
Dein Bild das Herz zu Herz- und Augenlust.

 

Schnell blinzelte ich die verräterische Träne weg und klappte dann das Buch zu. Stark sein, einfach stark sein und da durch gehen, selbstbestimmt, unabhängig. »Hast du Hunger? Ich wollte mir nur eine Suppe machen, damit ich heute Abend beim Dinner zuschlagen kann. Aber du kannst gerne mitessen.« Gott wie schaffte ich das nur immer, wenn ich am schlimmsten dran war so gleichgültig zu klingen.

Er vergrub sein Gesicht in den Händen und rieb fest darüber, fuhr sich durch die Haare und seufzte tief, bevor er mich wieder ansah. So gequälte Augen, fast schon gebrochen. »Denkst du nicht, wir sollten endlich mal darüber reden, über uns?«

Ich wollte mit ihm reden, ihn anschreien, weinen. Ihm erklären, wie ich mich fühlte, wie sehr ich in vermisste, ihn liebte, wie viel Angst ich hatte. Wollte ihm von der Sache mit Susan und Markus erzählen. Wollte ihm alles erzählen, dass ich schwanger war, dass ich mir nichts mehr wünschte, als dass er sich für mich, für uns entscheiden würde. Und ich wünschte mir, in seinem Arm zu liegen. So beschützt und sicher. Mich von ihm trösten zu lassen. All das ging mir durch den Kopf, während er mich mit diesem flehenden Blick ansah, aber ich konnte nicht.

Es war so leicht für ihn gewesen, sich für sie zu entscheiden. Kein Zögern, sofort für sie, nicht ein Wort, nicht ein Gespräch mit Edward oder Henry oder mir. Sofort war für ihn klar gewesen, dass er sie heiraten würde. Was sollte ich denn noch sagen, ohne mich selbst noch mehr zu verletzten. Ich wollte keine Erklärungen hören, denn alles war bereits von ihm eindeutig dargelegt. Mich musste man verstecken. Sie konnte man sofort heiraten. »Nein, Sherlock, es gibt kein uns und hat es nie gegeben. Erspar mir und dir deine Rechtfertigung. Ich hab sie nicht nötig. Alles, was wir sind, sind Freunde, die miteinander im Bett waren. Also ist die Sache doch ganz einfach. Nun sind wir wieder nur Freunde. Simpel zu lösen. Alles andere ist für mich erledigt.«

Sein ganzes Gesicht sah aus wie ein unterdrückter Schrei. Seine Lippen ein Strich, sein Kiefer fest aufeinandergepresst, genau wie seine Augen. Nur ein kurzer Augenblick, dann war er wieder gleichgültig, erhaben, arrogant, Lord Croft. »Gut. Ein Problem weniger.« Er stand auf und ging an mir vorbei.

Was hatte ich denn erwartet? Trotzdem war ich so wütend. »Als wäre ich jemals mehr für dich gewesen als ein Problem.«

Ärgerlich starrte er mich an. »Du weißt genau, dass das nicht stimmt.«

»Woher bitte schön denn?« Ich äffte ihn übertrieben nach. »Ich kanns keinem sagen, nicht mal meinem besten Freund. Ich kann mich nicht binden. So eine Scheiße. Bei Susan ist das kein Problem, oder? Da kann man direkt heiraten.« Ich versuchte, an ihm vorbei zu kommen, aber er schob sich vor mich.

»Victoria, sie ist schwanger von mir, in dieser Gesellschaftsschicht ist Ehre noch was wert. Mir ist das was wert. Wer bin ich denn, wenn ich sie dem Spott der anderen ausliefern würde.« Er war zu nah, viel zu nah.

»Du weißt schon, in welchem Jahrhundert wir leben?«

»Kleines, wer weiß, ob ich sonst irgendwann Kinder habe, mein Titel sollte rechtlich einwandfrei vererbt werden.«

Ich konnte nicht fassen, was ich da hörte. Er würde sie deswegen heiraten und er hatte nicht mal nach einer anderen Lösung gesucht, um ein Leben mit mir gekämpft? Hatte sich nicht mal vorstellen können, mit mir irgendwann Kinder zu haben, mit mir zusammenzuleben. So wenig war ich also für ihn.

In mir überschlugen sich Wut und Schmerz und ich schrie ihn an: »Mit mir! Sherlock! Mit mir hättest du Kinder haben können!«

Sherlock sah mich betroffen und irgendwie ratlos an. »Kleines. Dir ist es nicht so gleichgültig, wie du die ganze Zeit tust.«

Mein Blick wurde wieder hart und kalt. »Bild dir nichts ein. Und lass in Zukunft diesen Mist mich anzumachen. Weder reden wir von küssen, noch nimmst du meine Hand, verstanden?«

Langsam ging er einen Schritt zurück. »Wenn ich dir so egal bin, warum hast du dich dann um mich gekümmert. Warum machst du mir Porridge, Vi. Warum sagst du dann das ich mit dir …«

»Gott Sherlock, du bist mir doch nicht egal, für Henry oder Edward hätte ich das Gleiche getan. Ihr seid meine Familie.«

Unschlüssig stand er da. Ich konnte den Kampf in seinen Augen sehen, wie er etwas in meinen suchte, aber ich hatte mich wieder völlig gefangen, zumindest äußerlich. Da war nichts mehr zu finden außer Gleichgültigkeit. »Ja natürlich.«

Entschlossen ging ich an ihm vorbei in die Küche und machte mir einen Kaffee. Normalität war wichtig. Meine Hände wollten nicht aufhören zu zittern. Aber irgendwie war auch endlich etwas von diesem Wutklumpen weg. Ich musste dringend mit ihm normal umgehen können. Es musste einen Weg geben. Dieses Gefühlschaos konnte nicht gut sein für mein Baby. Direkt wurde es hart in mir, mein Baby, er hatte kein Recht darauf und zum ersten Mal dachte ich tatsächlich, trotzig und gekränkt: Er wird es nie erfahren.

Nach dem Kaffee machte ich mich an die Suppe. Schnippelte Gemüse. Das gab meinen Finger etwas zu tun und ich wollte unbedingt vernünftig essen. Alles richtig machen. Versunken in ein Buch über Ernährung in der Schwangerschaft, dass ich mir auf mein Tablet geladen hatte, stand ich neben dem Suppentopf und rührte nebenbei um.

»Riecht gut, was liest du da? Schwangerschaftsernährung?« Sherlock hatte sich mal wieder angeschlichen.

Natürlich zuckte ich vor Schreck wieder zusammen. »Ernsthaft irgendwann bring ich dich noch um. Mach das bloß nie, wenn ich ein Messer in der Hand habe.«

Er machte sich einen Kaffee. Sherlock trank mittags Kaffee. Seltsam. »Warum liest du das?« Er massierte sich die Schläfen.

Das Erste was mir einfiel, nahm ich als Ausrede. »Ich hab einen Kurs in Ernährungsberatung.« Seine Augen weiteten sich. »Tatsächlich?«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752141498
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
Lord Leidenschaft Romance Thrill Freundschaft Sucht Earl Victoria London Depression Liebe Dark Romance Liebesroman Erotik Erotischer Liebesroman

Autor

  • Gabby Zrenner (Autor:in)

Gabby Zrenner wohnt mit ihrem Mann und zwei Kindern am Niederrhein. Seit sie lesen kann, zieht es sie zu Büchern, die sich in ihren Regalen auch gern mal zweireihig und übereinander ansiedeln. Mindestens genauso lange schreibt sie. Von anfänglich kleinen Geschichten und Gedichten bis hin zu dem Entschluss wenigstens eine der tausend Geschichten und Figuren in ihrem Kopf zum Leben zu erwecken. Aus einem Buch wurde mittlerweile eine Sammlung, die stetig wächst.