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Tot aber feurig

Schwiegerdrachen inklusive

von Alisha Bionda (Autor:in) Tanya Carpenter (Autor:in)
272 Seiten
Reihe: Funtasy, Band 2

Zusammenfassung

Ein Drache und eine Vampirin in trauter Ehe sind schon ungewöhnlich genug. Wenn dann noch ein Butler mit dunklem Geheimnis eine durchgeknallte Reporterin und allerhand Geistervölkchen hinzukommen, die sich im Schlosshotel der besonderen Art tummeln, ist Chaos noch das Harmloseste, was passieren kann.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Alisha Bionda

 

Manchmal kommt man zu einer Serie, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kinde.

So auch in diesem Fall.

Als Tanya Carpenter und Melanie Stone die Idee zu „Tot aber feurig“ hatten und sie mir vortrugen, war ich im wahrsten Sinne sofort „Feuer und Flamme“.

Ich wollte diese Serie unbedingt auf LITERRA bringen, hegte aber auch sofort den Wunsch, diese turbulenten, phantasievollen und höchst amüsanten Texte darüber hinaus sowohl als eBook als auch in Print dem Leser anzubieten.

Gesagt, getan.

Mittlerweile wurde aus dem Dreierteam ein Zweierteam und Tanya und ich haben die Grundidee zu Ende gebracht und umgesetzt.

Doch genug geplaudert – nun übergebe ich das Wort an Tanya Carpenter, die Ihnen verraten wird, wie alles begann.

 

Alisha Bionda, Dezember 2020

 

Wie es zu der Idee kam

 

Im Sommer 2009 besuchte mich Melanie für ein Schreib- und Plot-Wochenende. Es war herrliches Wetter, weshalb wir den ganzen Tag mit unseren Laptops im Garten verbrachten. Und wie das so ist, wenn zwei kreative Köpfe aufeinandertreffen, ergab fast jeder Satz, den man aussprach, irgendeine Idee.

Melanie arbeitete damals gerade an einem Romanprojekt, ich an mehreren Kurzgeschichten für Anthologie-Projekte von Alisha Bionda. Und da Mel und ich uns so wunderbar ergänzten, fragte ich Alisha, ob wir nicht eine der geplanten Kurzgeschichten zusammen schreiben könnten.

Das ging zwar aus unterschiedlichen Gründen nicht so einfach, doch als Alternative schlug Alisha vor, wenn wir so viel Spaß am gemeinsamen Plotten hätten, könnten wir eine Online-Serie für LITERRA zusammen bestreiten. Die Idee gefiel uns. Es galt, an dem Wochenende ein grobes Gerüst für Handlung und Personen zu erstellen und vielleicht die erste Geschichte anzufangen.

Doch es kam anders.

Vier Stunden später gehörten Lucy und Gil, Gerard und Waldemar, Mortica und Penelopee (mit zwei e!) praktisch zur Familie und die erste Folge war fertig geschrieben, überarbeitet und – was leider am wichtigsten war – gekürzt. Die Folgen sollten nämlich maximal um die zwanzigtausend Zeichen haben. Wir hatten in unserem Eifer über dreißigtausend geschrieben.

Ich erinnere mich, dass wir die Folge in vier Parts aufteilten, die wir unabhängig voneinander schreiben und dann aufeinander anpassen wollten.

Doch als wir unsere Abschnitte aneinanderreihten, passte es bereits wie aus einem Guss.

Mel und ich hatten auch schon Ideen für die nächsten Folgen und so sprudelte die Geschichte von Mort M’ardent Folge für Folge aus uns heraus. Ab Folge 6 klinkte sich dann auch Alisha mit ihrer Lisa ins Geschehen ein, die für ordentlich zusätzlichen Wirbel im neu gegründeten Schlosshotel sorgte.

Bedingt durch ihr Mutterglück hat sich Melanie dann 2012 aus der Serie zurückgezogen, aber das Herzblut, das sie bis dahin in jede Folge gelegt hat, bleibt.

 

Tanya Carpenter, Dezember 2020

 

 

 

 

 

 

Einführung

 

In dem idyllisch gelegenen Château Mort M’ardent im Herzen der Champagne, umgeben von Wiesen, Wäldern und Weinbergen, lebt das Ehepaar Lucretia und Gilnaro von Pyromenika zu Alabast. Zwei Liebende, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Lucy, die dem altehrwürdigen Blutsauger-Geschlecht derer zu Alabast entspringt und es mit ihrer zarten sonnensensiblen Haut vorzieht, des Nachts als Fledermaus durch die Wälder zu flattern und von dem ein oder anderen verirrten Wanderer einen kleinen Umtrunk zu nehmen. Und Gil, Stammhalter der hochangesehenen Drachenfamilie von Pyromenika, der sich mit seinem feurigen Atem im schlosseigenen Wald das Hirschfilet auch gern mal direkt am Stück grillt. Doch die beiden verbindet eine innige Liebe, die durch nichts zu erschüttern ist und in der Geburt ihres Sohnes die Krönung findet. Der kleine Waldemar, seines Zeichens die bisher einzige Drachenfledermaus auf diesem Planeten, ist der ganze Stolz des Hauses und hat das komplette Schloss nebst Bewohnern und Gästen fest im Griff seiner kleinen Klauen.

Der Familie zur Seite steht Gerard, Butler aus Leidenschaft, ein Multitalent in allen Lebenslagen, der Mann für alle Fälle. Von der Kinderentbindung über die Organisation des Tagesablaufes, große und kleine Renovierungsarbeiten, kreative Gartengestaltung, Säuglingspflege bis zum Fluglotsendienst für den Besuch der Drachenverwandtschaft – er ist bestens vorbereitet. Doch selbst wenn der seltene Fall eintritt und sich Gerard ausnahmsweise nicht mit einem Thema auskennen sollte, weiß er sich zu helfen. Er wird sich umgehend mit einschlägiger Literatur eindecken, Kurse besuchen oder Do-it-yourself-Videos streamen.

Schließlich ist er der MacGyver unter den Butlern, wenn es um das Wohl seiner Herrschaften geht. Und er verliert nie! – wirklich niemals! – die Contenance.

Unterstützt wird er von dem zahlreichen Schlosspersonal, das sich neuerdings nicht nur um die Familie, sondern auch um das paranormale und nicht-paranormale Klientel des jüngst ins Leben gerufenen Schlosshotels kümmert.

Mit den Zwergen der benachbarten Weinberge lag man viele Jahre im Clinch, aber seit Eröffnung des Schlosshotels sind die Führungen durch ihre Weinstein-Stollen das Highlight eines jeden Schlossbesuches.

Welcher Zwerg würde nicht großzügig über jeden Streit hinwegsehen, wenn es in seinem Beutel verführerisch klingelt?

Der dem Schloss angrenzende Sumpf wurde in eine exklusive Moorbadelandschaft für Wellness-Behandlungen umgewandelt. Dabei war es eine nicht unerhebliche Herausforderung für Gerard, den darin lebenden Saugmoränen eine fundierte Crash-Erziehung zuteilwerden zu lassen, damit sie den Gästen nicht das Leben, sondern nur die leidlichen Wehwehchen nehmen. Doch auch hier hat der Butler ganze Arbeit geleistet, sodass die Zahl der Kurgäste inzwischen deutlich angestiegen ist.

Der Irrgarten rechts des Haupthauses ist ein beliebter Kinderspielplatz, in dem man die Kleinen auch mal für einige Stunden vergessen kann. Wortwörtlich, denn der Clou des Labyrinths ist, dass der Ausgang hin und wieder verschwindet und sich die Kinder somit ganztägig beschäftigen können. Durch die zahlreich installierten Falltüren ist das Wiederfinden allerdings kein Problem. Einmal durch die Bodenklappen ins Burgverlies gefallen, können Eltern ihre Sprösslinge rechtzeitig zum Dinner wieder aus den einzelnen Kerkerzellen abholen. Beaufsichtigt werden die Kinder von dem hauseigenen Gespenst Dr. Blow, das mit seinen unkontrollierten Ektoplasmaexplosionen für die richtige Unterhaltung der Kleinen sorgt.

Wesentlich problematischer hingegen sind die Wirren des Internets, da sich die Grenzen zwischen dem WWW (World-Wide-Web) für die menschlichen Gäste und dem AAA (Astral-Allied-Area) für die paranormalen Gäste gelegentlich verschieben. So kann es zuweilen trotz des Engagement von IT-Spezialist Gabriel Engel (seines Zeichens Erzengel inkognito auf Erholungsurlaub vom Himmel und aufgrund der Stressanfälligkeit meist sehr spontan in der Mauser) zu Fehlbuchungen im jeweils anderen Schlossbereich und damit verbundenen Zwischenfällen kommen, bei denen vor allem die menschlichen Gäste dazu neigen, ihre mentale Stabilität in Frage zu stellen. Doch wozu hat man einen Gerard, der solche Kleinigkeiten stets fabulös löst und einen Spezialtarif mit einem ortsansässigen Therapeuten verhandelt hat?

Zu guter Letzt runden die beiden extra eingestellten Köche das Hotel-Ensemble ab. Bei Trollkoch Horst Schlamm darf man sich auf eine eher deftige Küche für den paranormalen Gaumen freuen. Getreu dem Motto: „Schätzelein, isch mach aus allem einen Eintopf, weiste Bescheid“. Hingegen ist der Elf O’dol Grün Vegetarier aus Überzeugung und eine kulinarische Erleuchtung für den menschlichen Gästebereich.

Château Mort M’ardent ist eine absolute Empfehlung für jeden Gast, der das besondere Urlaubserlebnis sucht.

 

Middeath Crisis

 

„Ich bin hässlich!“, jammerte Lucretia nun zum siebzehnten Mal an diesem Morgen und schob angewidert das Frühstück von sich.

„Aber nein, Schatz. Du bist die bezauberndste Schwangere, die es gibt“, versuchte Gil seine Frau zu trösten und hauchte zärtliche Küsse auf ihre bleichen Wangen. Seit sie die Frucht seiner Lenden in sich trug, liebte er sie mehr denn je.

„Ich bin fett!“, widersprach sie und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Du bist schwanger.“

„Ich sehe aus, wie ein überfressener Troll.“

„Nein, Schatz. Nein, wirklich nicht. Wie Cousin Florewig siehst du nicht aus.“

Es war gut gemeint, aber der Vergleich ließ Lucy in Tränen ausbrechen. „Ich erinnere dich an Flo. Oh, ich bin noch fetter, als ich dachte.“

Was auch immer er jetzt sagte, wäre falsch. Lucy litt nach fünf Jahren Schwangerschaft sehr unter Depressionen. Welche Frau würde das nicht? Aber Drachen brüteten nun mal zwischen zehn und fünfzehn Jahren.

Angesichts der sensiblen Stimmung seiner Liebsten entschied Gil, lieber das Thema zu wechseln. „Die Party heute Abend wird bestimmt ein voller Erfolg. Auch Mama muss dir zugestehen, dass du beeindruckend schnell den Stammhalter unseres Hauses unter dem Herzen trägst.“

Er nahm seine Frau in die Arme und mit einem Schmollmund kuschelte sich Lucy an seine Seite.

„Ja“, schniefte sie. „Ich hab Penelopee diesmal auch mit zwei ‚e’ geschrieben.“

Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Man musste es ihr hoch anrechnen, dass sie diesem Fest zugestimmt hatte. Die Beziehung zwischen seiner Frau und seiner Mutter war nicht die beste. Penelopee wollte nicht verstehen, warum ihr Sohn eine Vampirin geheiratet hatte, wo doch so viele junge Drachenmädchen im wahrsten Sinne des Wortes Feuer und Flamme für ihn waren, und er darüber hinaus in Kauf nahm, überwiegend in menschlicher Gestalt herumzulaufen. Lucys Bemühen, ihre Schwiegermutter zu versöhnen, war leider gescheitert. Dabei hatte sie versucht, alles auf die angeheiratete Drachenfamilie abzustimmen. Vom Nobel-XXL-Grill bis hin zu den geräumigen Schlafhöhlen mit automatischer Wärmeregulierung und Dampfabzugshaube. Die besondere Würdigung bei der Ankunft – das Willkommensbanner – war dann aber gründlich in die Hose gegangen. Obwohl Lucy keine Mühen gescheut und es eigenhändig aus in der Sonne glühendem Lavagarn geklöppelt hatte, war ihr der entscheidende Fehler unterlaufen, Penelope mit einem ‚e’ am Ende zu schreiben, wo diese doch so viel Wert auf das zweite ‚e’ in ihrem Namen legte. Seitdem hatte der Satz, ei-nen echten Drachen als Schwiegermama zu haben, eine besondere Bedeutung.

„Es wird schon alles gut gehen“, versuchte Gil seine Frau zu ermutigen. „Und jetzt trink brav dein sedatives Plasma, das Gerard dir heute früh frisch von der Blutbank geholt hat. Das beruhigt die Nerven, dann geht es dir gleich wieder besser.“

 

 

Gerard, Butler des Hauses von Pyromenika zu Alabast, hatte in diesem Moment gänzlich andere Sorgen als den labilen Seelenzustand seiner Herrin. In einem hochherrschaftlichen Hause dienen zu dürfen, war die größte Ehre, die einem Butler zuteilwerden konnte. Mit Stolz erfüllte er diese Rolle, hielt sich diskret im Hintergrund und war stets zur Stelle, wenn er gebraucht wurde. Bei der Erinnerung an diese Einleitungssätze des Studienleiters auf der Butlerschule fragte sich Gerard hin und wieder, welch verworrene Schicksalsfäden ihn wohl in das Haus derer von Pyromenika zu Alabast geführt hatten. Aber ja, er war stolz und willens, jede neue Herausforderung zu bewältigen, die diese Stellung mit sich brachte. Und an solchen mangelte es hier nun wirklich nicht.

Ein letztes Mal kontrollierte er alles, pflückte imaginäre Fussel von seinem Frack und zupfte an der Fliege, bis sie den perfekten Winkel in Relation zu seinem Hemdkragen hatte. Er fuhr sich mit der Hand über das kurze, graumelierte Haar und vergewisserte sich, dass die Pomade einwandfrei hielt. Die hohen Herrschaften von Pyromenika würden bald eintreffen, und so nutzte er die letzte Gelegenheit, seine Fluglotsenkellen zu kontrollieren. Nachdem sein Gesicht mühelos von der hochglanzpolierten Oberfläche widergespiegelt wurde, stellte er sich auf seine Position in der frisch angelegten Einflugschneise, um dafür zu sorgen, dass die Drachen ordnungsgemäß landeten.

Das A und O eines Staatsempfanges war die umfassende Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Gäste. Gut, das Eintreffen der Familie seiner Herrschaft war mit dem Besuch eines Staatsoberhauptes nicht gleichzusetzen, aber Lady Penelopee konnte es, was das Wichtignehmen ihrer eigenen Person anging, mit jedem Staatsoberhaupt der Welt aufnehmen. Und davon abgesehen nahm Gerard, was er kriegen konnte, um seine Qualitäten und Flexibilität ins rechte Licht zu rücken. Immerhin hatte er einen Ruf zu verlieren.

Wie unzählige Male zuvor verdrängte er den Gedanken, welcher Trubel in dem Schloss ausbrechen würde, wenn der Nachwuchs auf der Welt war. Wenigstens blieben noch mindestens fünf Jahre, bis das Chaos endgültig über ihn hereinbrach. Er musste unbedingt den Vorrat an Asbestdecken aufstocken und sich informieren, wie er die antiken Möbel feuerfest bekam. Ehe er Gelegenheit hatte, an seinem Brand-schutzübungsplan weiterzuarbeiten, tauchten am Horizont kleine Punkte auf, die schnell näher kamen.

Es war soweit. Die Drachen – und das meinte er keineswegs abfällig, sondern voller Respekt – schwebten zur Babyparty heran.

Nun ja, schweben war angesichts der Ausmaße und der Auswirkungen der sieben Flugkörper wohl geschmeichelt. Umso wichtiger, eine sichere und zielgenaue Landung zu gewährleisten. Der Schaden an Château und Umgebung wäre sonst kaum abzuschätzen. Ganz zu schweigen davon, wenn es erneut zu Erschütterungen und Einstürzen in den benachbarten Zwergenstollen käme. Das kleine Volk war da äußerst sensibel und das Nachbarschaftsverhältnis seit dem letzten Landeunfall von Lord Gils Verwandtschaft ohnehin angespannt.

Sich der Verantwortung auf seinen Schultern also bewusst, hielt Gerard die Kellen über seinen Kopf und begann zu wedeln. Es dauerte nicht lange, bis die Drachen nahe genug waren, um ihre Gestalten zu erkennen. Die drei Vordersten mit der stattlichen Größe eines Einfamilienhauses, dahinter vier kleinere Jungdrachen, die sich im Flug gegenseitig ihre Hinterläufe in die Seiten rammten und hin und wieder Feuer spuckten. Gerard hob eine Augenbraue und beschleunigte seine Winkbewegungen, um den Herrschaften den perfekten Einflugwinkel zu zeigen. Die Ankömmlinge klappten ihre Flügel ein und setzten zum Sturzflug an.

Ihm traten Schweißperlen auf die Stirn. Mit einem raschen Seitenblick schätzte er ab, in welche Richtung er sich am schnellsten retten konnte, da sausten die ersten Drachen an ihm vorbei. Eine Sturmwelle wirbelte ihn herum, löste seine Frisur in Wohlgefallen auf und drehte die Fliege um neunzig Grad. Konfus wollte er reflexartig das Haar glatt streichen und knallte sich dabei die Kellen an die Stirn. Bei der nächsten Böe wirbelte er mit einem „Oi!“ abermals herum und blieb schwankend stehen, gerade rechtzeitig, um der Nachhut ins Auge zu blicken, die – noch immer mit ihren Keilereien beschäftigt – in Knäuelformation flog. Entsetzt riss Gerard die Augen auf, wollte sich mit einem Hechtsprung aus der Gefahrenzone bringen, da war es schon zu spät. Die Flegel flitzten an ihm vorbei, trafen ihn hier mit einem Flügel, dort mit einer Schuppe und ließen ihn wie einen Kreisel trudeln.

Ihm war speiübel, als er endlich zum Stehen kam und sein brennendes Hosenbein löschte. Während er begleitet von leisem Donnergrollen aus den Zwergenstollen zum Haus zurücktorkelte, die Kellen unter die Arme geklemmt, dachte er nur: Das kann ja heiter werden.

 

 

Erneut den Tränen nah fächelte sich Lucy Luft zu. Anstatt sich mit ihnen über den Nachwuchs zu freuen, äußerte Penelopee seit ihrer Ankunft nur Kritik und Bedenken. Warum das Kinderzimmer nicht angefangen sei. Wieso sie nicht zur Schwangerschaftsgymnastik ging. Und ob sie sich das in ihrem Alter auch gut überlegt hätte. Sie sei ja nicht mehr die Jüngste im Vergleich zu Gil, der praktisch gerade erst der Pubertät entwachsen war. Ein Drachenbaby wäre alles andere als pflegeleicht, wie man an Gils jüngeren Geschwistern sehen könne.

Peinlich waren auch die Geschenke. Schnuller mit Schwefelgeschmack, hitzebeständige Babyflaschen, Strampler mit per Klettverschluss variablen zwei oder vier Beinen. Es blieb ja noch abzuwarten, wie das Baby aussah. Und eine Wagenladung an Windeln, die vermutlich bis zur Geburt mottenzerfressen war. Alles reine Schikane. Wirklich sinnvoll und darüber hinaus extrem haltbar war nur der Laufstall aus feuerfestem Stahl mit Asbestummantelung und nicht schmelzendem Sicherheitsglas.

„Sie meint es gut, Liebling“, tröstete Gil und strich ihr liebevoll eine schwarze Locke aus der Stirn. Die Worte waren noch nicht zu Ende gesprochen, da setzte seine Mutter auch schon zur nächsten Spitze an.

„Es gehört schon Mut dazu, mit 751 Jahren den Bund der Ehe mit einem Jungspund wie meinem Sohn einzugehen. Wenn Gil ein ausgewachsener Bulle in vollem Saft ist, musst du dir Creme gegen Totenflecke holen. So was sollte man nie außer Acht lassen, wenn man in die Jahre kommt. Ich kenne einen guten Schönheitschirurgen. Vielleicht sollte ich schon einen Termin vereinbaren, er ist immer auf Jahre ausgebucht und die Zeichen der Zeit können zuweilen sehr plötzlich kommen.“

Gil verfügte trotz seines jugendlichen Drachenalters von 602 Jahren über den Verstand zu erkennen, dass die Depression seiner Frau bei jedem weiteren Wort seiner Mutter zu einer ausgemachten Middeath-Crisis anschwoll, was bei Vampiren zu dramatischen Reaktionen führte. Sie hatten das Schloss gerade erst von den Spuren ihrer heftigen Flitterjahre befreit. Einige Räume von Grund auf saniert. Rein aus finanzieller Sicht – und im Hinblick auf Gerard, der sich endlich von all den Strapazen erholt hatte – wollte Gil einen neuerlichen Totalausfall von Lucys Gefühlskontrolle nicht riskieren. Also stand er wie ein Fels zu seiner Frau. Selbst die heißeste Lava seiner Mutter konnte ihn nicht zum Schmelzen bringen. Nachdem Penelopee dies mit ihrer Auffassungsgabe – nicht minder scharf wie ihre Zunge – erkannte, gab sie sich geschlagen und mischte sich unter die übrigen Gäste.

„Schätzchen, was für ein drolliges dickes Bäuchlein du hast“, säuselte Lucys Mama und tätschelte die runde Kugel, was den Wasserstand in den Augen ihrer Tochter bedenklich hob.

Auch ein Indiz für Middeath-Crisis, weshalb Gil Lady Mortica zu Alabast ins Ohr flüsterte: „Sie ist grad sehr sensibel, was ihre Figur angeht.“

Mortica schaltete sofort: „Wenn das mal nicht ne stattliche Fledermaus wird.“

Der Pegel sank. „Danke, Mama, aber wir hoffen, es wird ein Drache.“

„Die Schwangerschaft deutet darauf hin“, ergänzte Gil. „Drachen brauchen einfach länger als Fledermäuse.“

„Er kann die Schlafstange ja zu Turnübungen verwenden oder – sobald er Feuer speit – ein Kunstwerk für sein Jugendzimmer basteln. Er wird bestimmt ein kreativer Kopf. Das liegt bei uns in der Familie.“

„Mama!“

„Die Stange ist immer noch sinnvoller als der rosa Schnuller mit Schwefelüberzug. Welch modischer Fauxpas, wenn es ein Junge wird. Und es wird ein Junge, davon bin ich fest überzeugt.“

Lucy warf einen Blick auf besagten Schnuller, ihre Unterlippe zitterte, da war auch schon Gerard zur Stelle und entfernte mit galanter Verbeugung den Stein des Anstoßes aus dem Blickfeld seiner Herrin.

 

 

Gil und Lucy begaben sich Arm in Arm auf eine Runde durch den Festsaal. Die Gespräche mit ihren Freunden machten Lucy ruhiger und Gil zuversichtlicher, dass das Fest doch nicht die schlechteste Idee gewesen war, und er sein Heim nicht aus Schutt und Asche neu erbauen musste, wenn dieser Abend vorüber war.

Zwischen den Alabasters und Pyromenikas herrschte ein angespannter, aber beständiger Frieden. Gils jüngere Geschwister sengten nur leicht die Garderobe ihrer bluttrinkenden Verwandten an, und die Gegenwehr endete in eher oberflächlichen Bisswunden, die Gerard pflichtschuldigst sofort mit Pflastern versorgte, die er erfahrungsbedingt inzwischen immer bei sich trug, wenn Mitglieder beider Familien zeitgleich im Schloss zugegen waren.

Die übrigen Gäste genossen zufrieden die Köstlichkeiten von dem Büffet nebst reichhaltiger Getränkeauswahl und scherzten munter über die potentielle Artenvielfalt des zukünftigen Juniors.

Alles war in bester Ordnung, bis ausgerechnet die beiden problematischsten Vertreter beider Seiten aufeinandertreffen mussten. Als wäre der Festsaal nicht groß genug, um sich aus dem Weg zu gehen. Aber nein, so viel Rücksicht konnte man auf Lucys Zustand nun doch nicht nehmen. Nicht, wenn man Penelopee von Pyromenika oder Vladi Dracul zu Alabast hieß.

Lucy vermochte kaum zu sagen, auf wen sie dabei wütender war. Den Großneffen, der mit Beginn seines Reggae-Daseins auf Jamaika, wo er sich vor den Van Helsings dieser Welt versteckte, wohl seinen Verstand gönnerhaft unter den Armen verteilt hatte. Oder Schwiegermama, die sich wie eine hungrige Werwölfin auf den ihr dargebotenen Happen stürzte.

„Boah, das ist total abgedreht. Das Zeug haut endlich voll rein. Überall buntschillernde Farben.“ Dabei starrte Vladi mit einem Joint zwischen den Lippen auf Penelopees perlmuttfarben geschuppten Schwanz, den sie zur Feier des Tages auf Hochglanz poliert hatte und welchen sie aus Prinzip nur in Gegenwart von Menschen mittransformierte. Ihr Satz: „Hoffentlich ist der Geisteszustand nicht erblich. Mein armes Enkelkind“, gab Lucy den Rest. Schwangerschaftsdepri hin, Middeath-Crisis her, sie ließ ihre Familie doch nicht von einer dahergelaufenen Eidechse beleidigen, die vor lauter Übereifer 825 v. Chr. eine ganze Stadt abgefackelt hatte, nur um sich vor ihrem kleinen Bruder aufzuspielen.

Gut, es war nicht die feine englische Art, bei einer Familienfeier auf dem einzig wunden Punkt von Penelopee herumzureiten, aber schließlich waren sie ja auch in Frankreich, nicht in England.

Es folgte ein verbaler Schlagabtausch über Krötenfüße, Stachelschweinimplantate und Leguangesicht auf der Seite von Lucy sowie alternder Diva, Kalksteinfassade und depressivem Fossil auf der von Penelopee.

Gils Vater Rufus lehnte sich behaglich in seinem Sessel zurück, schnappte sich von den umhereilenden Kellnern, die bemüht waren, trotz der Debatte den Anschein einer normalen Feier aufrechtzuerhalten, ab und an ein alkoholisches Getränk und genoss die dargebotene Show wie ein großartiges Theaterstück.

Gil dagegen bemühte sich, die Situation noch irgendwie zu entschärfen, während der Rest der anwesenden Gesellschaft bereits erkannt hatte, dass diese Chance längst verpasst war. Somit verhallten seine beschwichtigende Versuche: „Wir sind doch eine glückliche Familie“ und „Das hat sie jetzt aber wirklich nicht so gemeint“ (wobei aufgrund der Schnelligkeit, mit der sich die beiden Frauen Beleidigungen an den Kopf warfen, nicht klar war, wen er damit meinte) ungehört. Auch der hilfesuchende Blick zu Gerard, der in Hab-Acht-Stellung darauf wartete, eventuelle Spätfolgen zu beseitigen, wenn die beiden Damen fertig waren, prallte an der Wand aus mit 155 Dezibel hin- und hergeworfenen Worten ab. Als dann noch Lucys Mutter ihrer Tochter zu Hilfe kam, indem sie Penelopee einen ziegengesichtigen Triceratops mit dem Verstand einer Kaulquappe und dem Anstand eines dementen T-Rex nannte, sah auch Gil ein, dass er das Fest nicht mehr retten konnte und kalkulierte im Kopf schon mal die Kosten für den Wiederaufbau des Schlosses bis ein lautes Platsch! alle im Raum verstummen ließ. Es herrschte eine Stille, in der man den Schweißtropfen von Gerards Stirn zu Boden hätte fallen hören, wäre nicht Rufus‘ begeisterter Applaus gewesen.

Gerards entgeisterter Blick verließ den Beifall spendenden und Bravo rufenden Schwiegerpapa seiner Brotgeberin und glitt zum Boden zwischen Lucys Füßen, wo sich der Beweis dessen manifestierte, was gerade geschehen war.

Er erfasste die gesamte Tragweite der Tragödie 0,2 Millisekunden bevor Lady Lucy es in drei Worten auf den Punkt brachte: „Das Baby kommt!“

 

 

Gerards gesamter Zeitplan ging den Bach runter. Wie konnte Lady Lucy ihm das nur antun? Das Kinderzimmer glich einer Ruine, die einzigen Babyartikel im Haus waren von der Party und das Buch „Drachenentbindungen for Dummies“ lag unberührt auf seinem Nachttisch. Jetzt half nur noch Improvisation! Endlich zahlten sich die Arztserien aus, die er seit Langem heimlich im Fernsehen verfolgte. Was würde Dr. Lovebone, der Arzt aus Leidenschaft von Kanal 1, dem Gott in Weiß, dem die Frauen vertrauen, jetzt tun? Natürlich! Ruhe bewahren und Wasser kochen. Geschwind befüllte er den größten Topf, den er finden konnte und beförderte ihn auf den Herd, ehe er zum Wäscheschrank eilte, sich einen Arm voll Handtücher schnappte und damit zum Gemach der Herrschaft stürmte.

„Ich will doch nur helfen!“, zeterte Lady Penelopee aufgebracht und konnte nur schwer daran gehindert werden, das Schlafzimmer zu entern.

„Du bist uns nur im Weg!“ Lord Gil verweigerte seiner Mutter mit verschränkten Armen den Zugang. Hinter ihm schrie Lady Lucy so schrill unter einer erneuten Wehe, dass Gerard für die nächsten Tage ein Pfeifen in den Ohren haben würde. Wenn Vampire die Kontrolle über ihre Kräfte verloren, dann gründlich! In Gedanken machte er sich eine Notiz, außer Reichweite ihrer Hände zu bleiben, um bei der nächsten Wehe kein lebenswichtiges Organ einzubüßen.

Er schob sich an Lady Penelopee vorbei und hörte kurz darauf, wie die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.

„Wissen Sie, was Sie tun?“ Lord Gil warf dem Butler einen stirnrunzelnden Blick zu.

„Ja, Sir. Ruhe bewahren und Wasser kochen“, zitierte Gerard und verteilte die Handtücher auf dem Bett.

„Um Himmels willen, wir wollen ein Baby entbinden und keinen Kaffee kochen!“ Lord Gil raufte sich die Haare.

„Genau dafür brauchen wir ...“, setzte Gerard an, wurde aber von Lady Lucy niedergebrüllt.

„Es kommt! Tut doch irgendwas!“

„Gerard!“ Der Lord ergriff den Butler bei den Schultern und schüttelte ihn panisch. „Tun Sie irgendwas!“

„I-ich t-tue jaa sch-schon m-mein B-Bestes!“ Gerards Zäh-ne schlugen aufeinander, als der Lord ihn losließ und er wie ein gefällter Baum zu Boden ging.

„Herrgott! Jetzt ist nicht die Zeit zum Ausruhen!“ Ein Arm packte ihn am Kragen und beförderte ihn trotz des benommenen Zustandes wieder auf die Füße.

„Es kooommt!“ Lady Lucys Kreischen besaß nun eine Oktave, bei der das Fensterglas empfindlich zitterte.

„Ja, Mylady. Bin da“, stammelte Gerard und sank vor dem Bett auf die Knie. Wenn er jetzt nicht Dr. Lovebone in sich entfesselte, dann nie! Er warf einen professionellen Arztserien-Blick zwischen die angewinkelten Beine und schaffte es gerade noch „Nanu?“ zu murmeln, als ihm auch schon etwas Hartes gegen den Kopf flog und er von der Wucht erneut zu Boden geworfen wurde.

„Himmel, Sie haben es geschafft!“ Das Gesicht des Lords tauchte über dem Butler auf. Er streckte die Arme aus und klaubte ein weißes Ei von Gerards Brust, ehe er sich an seine Liebste wandte. „Schatz! Unser Baby!“

„Schaut nur, es schlüpft schon!“, hauchte Lucy erschöpft.

„Gerard, Sie sind ein Genie!“

„Schtets tschu Dienschten, Schir!“ Gerard zappelte wie ein Maikäfer auf dem Rücken, um sich schließlich mühsam wieder aufzusetzen. Es war ihm nicht ganz transparent, was er gerade getan hatte, ehe ihn jemand – oder etwas – kurzzeitig ausgeknockt hatte, aber wenn es geklappt hatte, war alles in Ordnung.

Er blinzelte, bis seine Sicht wieder klar wurde, und sah wie der weiße Ball zwischen den Herrschaften knirschend aufbrach. Ein kleines, rotes Wesen kämpfte sich heraus und begann augenblicklich zu quäken.

„Mein Waldemar!“, schluchzte Lady Lucy, pflückte das Baby aus den Eierschalen und drückte es gegen ihre Brust.

„Mein Stammhalter!“ Die Augen des Lords schimmerten verdächtig, als er den Scheitel seiner Frau mit Küssen bedeckte.

„Er ist einfach … perfekt!“ Die frisch gebackene Mutter kitzelte das Baby unterm Kinn und wog es in ihren Armen. „Es kommt ganz nach seinem Papa!“

„Papa!“, quietschte das Kleine und schnappte nach dem Finger seiner Mama.

„Gib ihn mir für einen Moment. Ich möchte ihn der Familie zeigen!“

Nur widerwillig ließ Lucy ihren Schatz aus den Armen und verzog zusehends das Gesicht, als sich ihr Mann der Tür näherte. „Gil? Vielleicht solltest du ...“

„Lass mich nur machen, Liebling! Sie werden begeistert sein!“ Er griff nach der Klinke.

„Ja, aber unser Sohn ...“

„... ist bezaubernd!“ Bevor sie noch etwas sagen konnte, riss ihr Mann schon die Tür auf.

„Mein Enkel!“ Lady Penelopees Stimme stand Lucys Wehenschrei in nichts nach. „Komm zu Oma Penelopee!“

Gerard zog eine Augenbraue in die Höhe, als er sah, wie versteinert die Lady die Szene verfolgte.

„Oma Pepe!“, hickste das Baby, wodurch das Oberhemd seines Vaters Feuer fing.

„Ein Naturtalent!“ Der Lord lachte und klopfte die Flammen aus. In der nächsten Sekunde wurde ihm das Kleine aus den Händen gerissen und an den Busen der stolzen Oma gedrückt. „Ein Prachtbursche! Ganz der Vater.“

Lucy verdrehte die Augen und ließ sich in die Kissen sinken. Gerards Mundwinkel zuckten, als er sie murmeln hörte: „Na, ein Glück, dass sie die Fledermausflügel nicht gesehen hat.“

 

Ein neuer Anstrich

Die Oktobersonne strahlte durch die hohen Fenster von Mort M’ardent. Während sich Gil und Lucy nach dem Brunch mit Mortica in den Salon zurückzogen, blieb es Gerard überlassen, auch dem jüngsten Familienmitglied sein Frühstück zu bringen. Aus diesem Grund eilte er durch die große Vorhalle zum Kinderzimmer. Seine Aufmachung hatte jedoch nichts damit zu tun, dass er befürchtete, der eingangs erwähnte Himmelskörper könne sich in eine Supernova verwandeln. Nein, Schweißerhelm und Asbesthandschuhe gehörten wie die feuerfeste Schürze mehrmals täglich zu seiner Berufskleidung, über die sich auch niemand mehr wunderte, denn Gerard hatte die Versorgung von Waldemar inzwischen soweit perfektioniert, dass dabei niemandem mehr eine ernsthafte Gefahr drohte.

Er und Gil waren sich schnell einig geworden, dass es für Lucy mit ihrer angeborenen Hitzeempfindlichkeit bekömmlicher wäre, Waldi erst dann selbst das Fläschchen zu geben, wenn der beim Bäuerchen seine 3627°C heiße Stichflamme unter Kontrolle halten konnte. Gerard hatte die Temperatur gemessen und die Widerstandsfähigkeit der Schutzkleidung exakt darauf abgestimmt.

Er hätte den kleinen Wonneproppen nicht mehr lieben können, wenn es sein eigen Fleisch und Blut gewesen wäre. Dennoch war allen klar, dass Gerard nicht dauerhaft als Nan-ny agieren konnte. Der englische Rasen brauchte dringend wieder einen Schnitt, was voraussetzte, dass der Butler sein Sortiment von 314 Nagelscheren schärfte, mit denen er jeden Grashalm einzeln auf die perfekte Länge kürzte. Das Porzellan für fünfhundert Gäste musste dringend wieder poliert und die in vier vom Boden bis zur Decke reichenden Wandregalen sorgfältig angeordnete Büchersammlung entstaubt werden. Aber für nichts blieb Zeit, Waldi war einfach wichtiger.

Ein letztes Mal kontrollierte Gerard die Temperatur des Fläschchens, roch an dem Schwefelschnuller, ob er auch noch schmackhaft genug war und klappte das Visier herunter, ehe er das Zimmer der kleinen Drachenfledermaus betrat.

„Rarrrr!“, machte Waldemar in seinem Laufställchen aus feuerfestem Stahl, als er die vertraute Gestalt erkannte.

Gerard wurde warm ums Herz, denn mit Rarrrr meinte Waldi ihn. „Bin schon da, kleiner Lord“, flötete er und hob das Drachenkind auf seinen Arm, das mit fröhlichen Gluckslauten antwortete. Nur Augenblicke später nuckelte Waldemar selig an seinem Fläschchen, als plötzlich ein markerschütternder Schrei die Grundmauern des Châteaus erzittern ließ. Beinah hätte Gerard das Baby fallen lassen, das sich ebenfalls erschreckte und ihn in einen Feuerstrahl hüllte, der jedem handelsüblichen Flammenwerfer Ehre gemacht hätte. Schnell setzte er den protestierenden Waldi wieder in sein Gehege und eilte Richtung Salon, denn ihm war klar, seine Lordschaft brauchte Hilfe.

 

 

Minuten zuvor hatte sich Gil noch im Ohrensessel zurückgelehnt und genüsslich eine Zigarre gepafft, während er seiner Gattin nur mit halbem Ohr zuhörte, gelegentlich ein zustimmendes „Mhm“ brummte und feststellte, dass es in letzter Zeit richtig gut lief. Sein Stammhalter war ein Quell der Freude. Die Zwerge im nahegelegenen Weinsteinstollen hatten schon lange nicht mehr den Garten mit ihren Gängen unterhöhlt, in die das Personal ständig einbrach und wochenlang verschwunden blieb. Zwischen Lucy und seiner Mutter herrschte höflicher Waffenstillstand und den nervigen Neffen Vladi hatten sie zurück nach Jamaica geschickt. Gils Leben war perfekt … gewesen, denn soeben hatte Lucy drei unverzeihliche Worte in einem Satz vereint: Flokatiteppich, Rosa und Plüschsalon.

Als visuell veranlagtem Drachen drehte es Gil bei diesen Worten schlicht den Magen um.

„Schätzchen …“, setzte er vorsichtig an, um Lucy nicht durch unbedachte Äußerungen in eine zweite Middeath-Crisis zu stürzen.

„Und einen Kronleuchter. Wie wären dazu gelbe Vorhänge?“

„Schatz!“ Er musste wohl deutlicher werden.

„Dazu würde das alte Zebrafell passen!“

„SCHATZ!“ Gils Selbstkontrolle brach an dieser Stelle zusammen. Fast zeitgleich flogen die großen Flügeltüren auf und Lady Mortica stürzte mit einem Kandelaber bewaffnet, den sie energisch über ihrem Kopf schwenkte, herein. Ihr auf dem Fuß sprang Gerard mit einem Schürhaken in der Hand in den Raum, rollte sich auf dem Parkett ab und kam in makelloser Fechthaltung auf die Beine. Lucy runzelte die Stirn, während Gil mit offenem Mund in die Runde starrte.

Mortica ließ den Kandelaber sinken und stemmte eine Hand in die Hüfte. „Wo sind denn die Angreifer? Ich habe doch jemanden schreien hören!“

Lucy lachte und deutete auf ihren Mann. „Das kam von ihm. Er fühlte sich von einem Flokatiteppich bedroht.“

„Und von Kronleuchtern, Zebrafellen und rosa Plüschsalons“, murmelte Gil und nippte an seinem Wein.

Gerard hüstelte leise, putzte den Schürhaken mit einem Taschentuch und stellte ihn zum Kaminbesteck, wo er beiläufig das Staubkornaufkommen kontrollierte.

Mortica schürzte die Lippen und betrachtete ihre Tochter, bis ihre Mundwinkel amüsiert zuckten. Sie stellte den Kerzenständer beiseite und setzte sich auf die Lehne von Gils Sessel. „Mein Lieber, es gibt drei Gründe, warum Frauen renovieren wollen. Erstens: Sie haben gerade eine Beziehung hinter sich und wollen nicht an ihren Verflossenen erinnert werden. Zweitens: Sie passen ihren Wohnstil den finanziellen Möglichkeiten an. Und drittens: Ihnen ist furchtbar langweilig. Welcher der drei Gründe trifft wohl auf meine Tochter zu?“

Gil ergriff zaghaft die Hand seiner Frau. „Schatz, ist das wahr? Warum hast du nichts gesagt?“

Lucy blies die Wangen auf. „Was hätte ich denn sagen sollen? Dass mein Sohn zu pflegeleicht ist? Mein Leben zu perfekt? Ich bin dankbar für die wundervolle Ewigkeit, die du mir bereitest. Es ist nur … wenn ich nicht schon tot wäre, würde ich vor Langeweile sterben!“ Schnaufend sank sie tiefer ins Polster und pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Gil schmunzelte. „Das muss ich natürlich um jeden Preis verhindern, damit du mich nicht weiter mit solch abstrusen Renovierungsplänen folterst.“ Ihre zitternde Unterlippe ignorierte er entschlossen und beeilte sich, eine Alternative zu schaffen, um ihren Gemütszustand nicht zu überfordern. Ob er damit das kleinere Übel wählte, sei dahingestellt, jedenfalls fiel im auf die Schnelle leider nichts Besseres ein. Weshalb er hastig fragte: „Erinnerst du dich daran, als wir das Schloss gekauft haben?“

„Natürlich! Wir dachten damals, es wäre zu groß für uns und dass man …“ Lucy stockte kurz und ein Leuchten erhellte ihr Gesicht.

„Genau, Liebes, ein Hotel daraus machen könnte!“

Begeistert klatschte Lucy in die Hände. „Oh, welch wundervolle Idee!“ Wie ein geölter Blitz fiel sie über ihren Mann her und bedeckte sein Gesicht mit Küssen, ehe sie sich dem Butler zuwandte. „Gerard, wir müssen eine Versammlung mit den Schlossgeistern einberufen! Es gibt ja so viel zu tun! Danke, Liebling! Ich liebe dich!“

In der nächsten Sekunde war nur noch der Saum ihres Kleides zu sehen, der durch die Tür flatterte, dicht gefolgt von einem Frackfetzen, der mitgeschleift wurde.

 

 

Keine zwei Stunden später stand Gerard wie ein Fels, mit ebenso versteinerter Miene, neben seiner Herrin und unterstützte sie bei der Verteilung der künftigen Aufgaben.

„Unelegant! Einfach nur unelegant!“ Der Einsame Nudist schwebte einen halben Meter über dem Boden und zerrte voller Verachtung an dem Bettlaken herum, das Lucy ihm übergeworfen hatte. Seit hunderten von Jahren verlieh er seinem Protest durch die Verweigerung von Kleidungsstücken Ausdruck, wobei sich jedoch niemand – er selbst eingeschlossen – erinnern konnte, wogegen er protestierte. Als Gerard diese Frage nun höflich formulierte, gab er dem Geist sozusagen die Munition direkt in die Hand.

„Gegen dieses abscheuliche Ding! Wie sieht das denn aus? Null Esprit, keine Form! Nicht mal ein Muster! Und diese Farbe! Grau!“

„Das ist ein elegantes Wollweiß.“ Gerards Einwand prallte schlichtweg ab.

„Es ist grau! Mein Teint sieht darunter leblos aus!“

„Kein Wunder!“, konterte Gerard und entzog dem Nudisten kurzerhand seine Aufmerksamkeit. Zumindest Albert, der Kopfkegler, war begeistert von seiner neuen Aufgabe als Page, kannte er doch das Schloss in- und auswendig, mit und ohne Kopf, welchen er vor lauter Freude auch sogleich wieder mal verlor. Zum Glück war seine Frau Seraphim nicht weit, die es prinzipiell nicht sehen konnte, wenn etwas unmotiviert herumlag. Besonders, wenn es sich dabei um den Kopf ihres Mannes handelte, der allzu gern den Damen unter den Rock schielte. Als Zimmermädchen war sie somit prädestiniert.

Lucy war in ihrem Redefluss und ihrer Arbeitsverteilung fast nicht zu bremsen, als ein lauter Knall ihr das Wort abschnitt. Grüner Schleim besprenkelte die Anwesenden und ein kleinlautes: „Tschuldigung!“ erklang.

Die Vampirin wischte sich die glibberige Masse aus dem Gesicht und verzog angewidert den Mund.

„Ferdinand! Wirst du dein Ektoplasma jemals kontrollieren können? Das ist der reinste Kindergarten mit dir!“ Sie schüttelte ihre verklebte Hand und hielt plötzlich inne. „Das ist es! Kinder spielen mit den unappetitlichsten Dingen. Außerdem lieben sie Feuerwerke. Als Doktor Blow bist du der perfekte Betreuer für die Kinder der Hotelgäste!“

„Aber …“ Ferdinands zaghafter Protest wurde sofort von Lucy unterbrochen.

„Du hast die Wahl: Kinderbetreuung oder Rückenschrubben im ektoplasmischen Thermalbad!“

Ferdinand riss die Augen auf und räusperte sich. „Ich kann gar nicht genug von den kleinen Rackern kriegen!“

Selbst Gerard konnte sich bei dem widersprüchlichen Gesichtsausdruck ein Grinsen nicht verkneifen.

Das Scheppern einer Ritterrüstung machte auf den letzten verbliebenen Delinquenten aufmerksam. Das antike Stück zerfiel in seine Einzelteile, schnitt dabei den Wandteppich in Fetzen und perforierte ein Porträt von Gils Großtante. Zurück blieb ein betreten dreinschauender Poltergeist. „Poldi. Jemand der so tollpatschig ist, sollte sein Talent in der Entertainmentbranche gebrauchen. Wenn die Gäste das Spukabenteuer buchen, bist du unser Mann … Geist … also, du weißt schon. Du kannst doch noch Blut in floralen Mustern die Wände hinabfließen lassen, oder?“

Ein Ruck ging durch das schüchterne Gespenst. „Meine preisgekrönte Spezialität! Wurde 1789 und 1834 von der Royalen Akademie Astraler Angelegenheiten zur Spukattraktion des Jahres gewählt!“

„Fein, somit ist alles geklärt. Wenn ihr noch Fragen habt, wendet euch an Gerard. Er wird euren Einsatzplan erarbeiten, an den ihr euch unbedingt halten müsst, damit sich auch sensible Gäste wie zum Beispiel Werwölfe bei uns wohlfühlen.“

 

 

Werwölfe. Seine Oma hatte früher einen bissigen Dackel, aber das war wohl nicht dasselbe. Gerard tauchte den Malerpinsel in die Farbe und fuhr fort, dem Restaurant den gewünschten roséfarbenen Anstrich zu verpassen, wobei seine Gedanken um die zukünftigen Gäste kreisten und das, was er bis zu deren Ankunft noch lernen musste. Über Werwölfe wusste er nur, wie man sie am effektivsten um die Ecke brachte. Nicht unbedingt das erklärte Ziel eines Hotels. Er musste die skandalösen Wissenslücken schleunigst schließen und herausfinden, wie die Bedürfnisse der haarigen Gesellen befriedigt werden konnten. Zuerst würde er einen Begleithundekurs buchen, um grundsätzliche Wesensfragen zu beantworten. Ob er mit dem örtlichen Tierarzt eine Wurmkurflatrate aushandeln konnte? Gut wäre auch, wenn der Hundefriseur ins Schloss kommen würde. Gerard sah wehmütig aus dem Fenster auf den pflegebedürftigen Rasen und schätzte ab, wie viele Hundehütten wohl nötig wären. Ob Häufchen zu einem Problem werden könnten?

„Hey, Pinguinanwärter!“ Das Nuscheln des Einsamen Nudisten riss Gerard aus den Gedanken. „Da du hier unser Vortänzer wirst, bist du auch mein Ansprechpartner für Beschwerden.“

„Das Laken, wie ich vermute?“ Es war Gerard unerklärlich, wie sich ein Nudist über einen Mangel an Haute Couture beschweren konnte, dennoch fügte er sich seufzend in sein Schicksal.

„Das Ding geht nicht mal als Vintage-Look durch! Kann man das vielleicht färben? Oder umnähen? Pailletten? Sticker? Bügelbilder? Ich nehme alles!“

Der Butler wollte zu einer Erwiderung ansetzen, als eine junge Frau den Raum betrat. Trotz ihrer kraftvollen Bewegungen wirkte sie anmutig und feminin. Eine geheimnisvolle Aura ging von ihr aus. Gerard musste schlucken. Sie blieb vor ihm stehen, warf einen knappen Seitenblick auf den nörgelnden Geist und deutete ein höfliches Nicken an. „Verzeihen Sie bitte, wenn ich störe. Ich wurde zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Wären Sie so freundlich, mir zu sagen, wo ich Lady Lucretia von Pyromenika zu Alabast finde?“

„Selbstverständlich“, krächzte Gerard mit hoher Stimme, räusperte sich und setzte erneut an. „Selbstverständlich. Im ersten Stock die dritte Tür links. Wenn ich Ihnen noch behilflich sein kann, stehe ich gern zur Verfügung. Fragen Sie nach Gerard.“

Ihr Lächeln enthüllte zauberhafte Grübchen. „Das werde ich, vielen Dank.“ Damit setzte sie sich wieder in Bewegung und war im nächsten Augenblick verschwunden.

„Wie unhöflich, sich in ein Gespräch zu drängen! Zurück zu meinem grauen Alptraum.“ Der Einsame Nudist zerrte an seinem Überwurf, doch Gerard starrte wie hypnotisiert zur Tür.

„Hallo? Astralebene an Butler?“ Der Geist schnippte vor dem Gesicht des versteinerten Mannes, bis endlich wieder Leben in ihn kam.

„Stets zu Diensten!“ Mit einer schnellen Drehung widmete Gerard dem Geist nicht nur seine Aufmerksamkeit, sondern dem Laken auch ein paar rosa Farbspritzer.

„Pass doch auf, wo du mit deinem Pinsel wedelst! Jetzt hast du mich bekleckert!“ Angewidert wich der Einsame Nudist zurück und betrachtete die moderne Kunst auf dem Stoff.

Der Butler hob eine Augenbraue. „Nun, Sir, wie gewünscht tragen Sie jetzt Muster und Farbe.“

 

 

Lucy empfing im Arbeitszimmer einen Bewerber nach dem anderen, obwohl sie sich viel lieber an den Umgestaltungsarbeiten beteiligt hätte. Aber Gil und Gerard hatten ihr versichert, dass nur sie das richtige Händchen für die Personalfrage besaß. Das konnte sie bei der anwesenden Bewerberin für den Posten der künftigen Restaurantleitung auch gut gebrauchen. Nicht, dass sie etwas gegen Medusen gehabt hätte, doch versteinerte Gäste gaben nun mal leider keine guten Referenzen ab. Man könnte ihnen vielleicht als Vorsichts-maßnahme die Augen verbinden. Im Geist rechnete Lucy die Anschaffungskosten für Schlafbrillen, zusätzliche Reinigungsarbeiten und Versicherungsleistungen sowie ein Mäuse-Abo für die Schlangenfütterung durch und entschied, dass eine Medusa unwirtschaftlich war. Zudem konnte sie sich nicht mit dem Kochduo aus Troll und Elf anfreunden. Dabei hatte sie mit Horst Schlamm und O‘dol Grün wirklich einen erstklassigen Griff getan. Im Zweifelsfall konnte man immer noch eine Trennwand einziehen, wenn sich die beiden gegenseitig in die Suppe spuckten.

„Tut mir leid, Sie sind zu teuer“, erklärte sie daher Mademoiselle Natterkopf.

„Aber wir haben über das Gehalt doch noch gar nicht gesprochen?“ Die grasgrüne Gesichtsfarbe wurde erst Tannendunkel und dann Pastelllind. Lucy merkte sofort auf – diese Farbe war wie geschaffen für das Restaurant. Ob Gil eine erneute Farbänderung sehr verärgern würde?

Sie zückte ihre Farbkarte und verglich die Grünpalette mit dem Kopf der Bewerberin um den passenden Ton zu finden und umgehend die Bestellung beim örtlichen Baumarkt aufzugeben. Dass die Medusa daraufhin verärgert das Weite suchte, war nicht beabsichtigt gewesen, machte das Hinauskomplimentieren jedoch deutlich einfacher.

Als letzte Bewerberin trat eine junge Dame ein, die Lucy auf den ersten Blick an eine strenge Bibliothekarin erinnerte. Eine Brille mit schwarzem Drahtgestell thronte auf der kleinen, leicht nach oben geschwungenen Nase, die goldblonden Haare waren streng im Nacken zu einem Knoten geschlungen. Khakifarbene Hosen im Reiterstil und eine weiße Bluse rundeten das Bild ab. Ordentlich und souverän, dachte Lucy und wies auf den freien Stuhl.

„Natascha Gems?“

Die Bewerberin nickte lächelnd. „Es freut mich, dass meine Bewerbung Ihr Interesse geweckt hat. Es wäre mir eine große Ehre, im künftigen Schlosshotel Mort M’ardent arbeiten zu dürfen.“

Ihre Stimme klang recht tief für eine Frau, aber durchaus angenehm. Lucy warf einen Blick in die Unterlagen. „Sie haben bezüglich Ihrer Herkunft keine Angaben gemacht, meine Liebe.“

Nataschas scheuer Blick zu Boden weckte sofort Muttergefühle bei der Herrin des Hauses.

„Wenn das unbedingt wichtig ist …“

„Ist es nicht“, versicherte Lucy. Natascha war wie geschaffen für die Leitung der Restaurants. „Können Sie sich vorstellen, mit einem Troll- und einem Elfenkoch zusammenzuarbeiten? Ich weiß, ungewöhnliche Konstellation.“

„Oder ein besonderer Reiz bei der Menü-Zusammenstellung. Ich finde die Idee fantastisch.“

Ein weiterer Pluspunkt für die Bewerberin.

„Die Leitung von Château und Hotel hat unser Butler Gerard, inne. Mit ihm müssten Sie eng zusammenarbeiten, er ist das Herz des Hauses. Vielleicht haben Sie ihn schon gesehen, er schwingt hier irgendwo im Haus seinen rosa Pinsel.“

Nataschas Wangen überzog ein sanfter Hauch, der Lucy bereits wieder auf die Farbpalette schielen ließ.

„Das wird kein Problem sein, Lady ...“

„Nennen Sie mich einfach Lucy. Willkommen im Team.“

 

 

Nachdem noch Gabriel Engel als Glücksgriff in letzter Minute eingestellt worden war (eigentlich um die EDV im Hotel zu betreuen, aber da Waldemar sofort einen Narren an ihm gefressen hatte, agierte er nun auch als Kindermädchen und verschaffte Gerard Luft für dessen eigentliche Aufgaben) stand der Eröffnung des Hotels nichts mehr im Wege.

Die Gäste konnten kommen.

 

 

 

Schaschlikspieße und andere Katastrophen

 

„Schätzelein, ich habe schon für den König von Atlantis gekocht, da bist du noch mit der Windel um den Farn gerannt! Darum zum letzten Mal: Schneckeneintopf!“

„Wegen deines fetten Fraßes ist die Insel auch untergegangen! Ich werde nicht zulassen, dass du mit deinen terroristischen Kochanschlägen auch noch dieses Adelsgeschlecht ausrottest! Daher: Meerschaum Soupé!“

Dialoge dieser Art führten die beiden Köche Horst und O’dol bereits seit Stunden. Ihnen war von Lucy aufgetragen worden, das Buffet für die bevorstehende Halloweenparty zu planen, und die Vorstellungen des Trolls und des Elfen lagen so weit auseinander, dass die Abstimmung eine tagesfüllen-de Aufgabe war.

Dabei waren sie erst bei der Suppe.

Nicht auszudenken, wenn sie bei der Vorspeise, dem Zwischengang, dem ersten und zweiten Hauptgericht, dem Dessert und schließlich der Kuchentafel angekommen wären. Ein Glück, dass zumindest die Getränke in Gabriel Engels Verantwortung lagen. Seine Cocktails waren himmlisch. Verdursten würden die Gäste also auf jeden Fall nicht. Das Risiko des Verhungerns war da schon größer. Die beiden Köche hatten sich so in ihren Disput hineingesteigert, dass sie Penelopee nicht bemerkten, die mit gerunzelter Stirn in der Tür stand.

„Contenance, meine Herren! Bei diesem unprofessionellen Geschrei stehen mir ja die Schuppen zu Berge!“ Mit geübtem Griff überprüfte sie ihre haarlackversiegelte Frisur und trippelte zu dem riesigen Kühlschrank. Ein geschulter Blick auf den Inhalt genügte und schon balancierte sie eine Lammhaxe, einen Schweinebraten und zwei Rinderrouladen – alles roh – auf ihren Armen. Unter den fragenden Blicken der Köche schnappte sie sich einen Schürhaken, spießte die „kleine Zwischenmahlzeit“ auf und warf sie auf den Tisch. Seufzend schloss sie die Augen und rieb sie sich die Schläfen, wobei sie etwas von Migräne und unfähiger Kalkleiche nuschelte. Als sie im nächsten Moment unvermittelt lospolterte, sprang der Elf seinem Kollegen vor Schreck auf den Arm.

„Von Anfang an habe ich meiner Schwiegertochter gesagt, eine erfolgreiche Party muss minutiös geplant werden! Das ist nichts für Drachenwelpen. Aber hat sie auf mich gehört? Nein! Und nun haben wir den Salat. Oder eben nicht.“ Mit funkelnden Augen verschränkte sie die Arme vor dem bebenden Dekolleté. „Da muss jetzt ein Profi ran. Die Schwefelbäder kann ich abhaken, aber was tut man nicht alles für die Familie. Ihr zwei, Ohren gespitzt und Mund gehalten!“ Wie ein General marschierte Penelopee auf und ab, wobei sie den beiden Köchen das Buffet in die Feder diktierte. O’dol überschlug den Fettgehalt und fiel bei den geschätzten zwei Millionen Kalorien beinahe in Ohnmacht. Das Gesicht des Trollkochs hingegen glich einem einzigen Fragezeichen, während er den stakkatoartigen Ausführungen der Drachin zu folgen versuchte. Als sie endlich fertig war, starrte Horst, sonst ein Paradebeispiel der Unerschütterlichkeit, die Liste fassungslos an.

„Und was sollen Dämonen, Nymphen, Zombies und Vampire speisen? Die mögen kein Menschenessen.“

„Herrje, ein saftiges Wildgulasch hat noch niemandem geschadet. Machen Sie ein paar Stücke schön blutig, dann geht das schon. Und wenn Sie Honig mit frischem Quellwasser strecken, sollte es frischem Maiglöckchentau schon recht nahe kommen. Ein bisschen Aas wird sich wohl auch noch auftreiben lassen, aber tun Sie ordentlich Knoblauch dran. Das desinfiziert, übertüncht den Geruch und sorgt gleichzeitig dafür, dass die Vampire nicht versehentlich davon naschen. Tote Sachen lösen bei denen ja immer so schnell Sodbrennen aus. Wie kann man nur so empfindlich sein. Der Rest soll sich nicht so haben. Ich kann schließlich nicht jedem Gast sein individuelles Gourmet-Dinner organisieren. Da hätte meine Schwiegertochter eher dran denken und mich fragen müssen, wenn sie so hoffnungslos überfordert mit einer kleinen Einstandsfeier ist.“

Damit schnappte sie sich ihren Schaschlikspieß-à-la-Penelopee, legte ihn sich auf die Schulter und fuchtelte mit dem Zeigefinger vor den Köchen herum. „Wenn das Buffet nicht perfekt wird, erfahren Sie am eigenen Leib, warum ich in Griechenland lebenslanges Einreiseverbot habe! Und nun – an die Arbeit!“

 

 

Es lag nicht an Natascha, dass Gerard ein Höchstmaß an Konzentration benötigte, um auf der wackligen Leiter in vier Meter Höhe die Balance zu halten, die künstlichen Spinnenweben dabei nicht fallen zu lassen und auch noch eine passable Haltung zu wahren.

Schuld an seiner Not war das plötzliche Erdbeben, das die Leiter beinah zum Einsturz brachte und drohte, damit beide ins Verderben zu reißen. Natascha, die ihm beim Aufhängen der künstlichen Netze half und auf der anderen Seite der Leiter stand, rutschte von ihrer Stufe und schrie erschrocken auf, doch er ergriff mit pantherhafter Agilität ihren Arm und zog sie an sich. Der Duft von Honig und Harz stieg ihm in die Nase und vernebelte für einen Moment seinen Geist – was vermutlich auch der Grund dafür war, warum er glaubte, aus den Augenwinkeln etwas am Ende ihres Rückens wackeln gesehen zu haben. Oder musste er der allabendlichen Kirschwasserpraline abschwören, die er gern vorm Schlafengehen naschte? Nataschas leises Räuspern brachte ihn ins Hier und Jetzt zurück.

Nachdem sie wieder Stand gefunden hatte, schob sie sich, leicht errötet, von ihm, murmelte einige Dankesfloskeln und sah verschämt hinunter, als sich ihre Augenbrauen plötzlich zusammenzogen.

Vorsichtig folgte Gerard ihrem Blick und sah gerade noch, wie sich Lady Penelopee mit einem monströsen Kebab auf der Schulter aus den Leiterstufen befreite. Kaum war das gelungen, ebbte das Erdbeben ab und der Butler atmete erleichtert auf. Allerdings nur so lange, bis er anhand der feinen Rauchkringel, die aus ihren Nasenlöchern aufstiegen, den aufgebrachten Gemütszustand der Drachin ableiten konnte und sich dezent nach dem Feuerlöscher umsah, um im Notfall ihre Explosion einzudämmen. Wenn sie das wenigstens vor der Tür machen würde, dann hätten sie sich den Pyrotechniker sparen können.

Alarmiert beobachtete er, wie Lady Penelopees verächtlicher Blick von Natascha zu ihm huschte und schließlich an den bereits befestigten Netzen hängenblieb. Bevor er jedoch beschwichtigende Worte fand, brach das verbale Donnerwetter auch schon über ihn herein.

„Wo ich auch hinsehe, überall herrscht Chaos! Nennen Sie das etwa ordentliche Spinnenweben? Das muss viel weiter nach links. In der Ecke sieht das doch keiner! Hängt gleich noch ein zweites daneben. Klotzen, nicht kleckern! Und ein bisschen Beeilung, wenn ich bitten darf! Sonst sind die Spinnennetze echt! Hach, wenn man nicht alles selber macht. Das Skelett im Eingangsbereich ist nicht mal ansatzweise knochig genug, den Kürbisfratzen fehlt jegliche Symmetrie und die Vogelspinnen müssen dringend gekämmt werden. Und ich verwette meinen Drachenschwanz, dass der Folterkeller noch nicht poliert ist und sich niemand um das Unterhaltungsprogramm gekümmert hat. Hat mal jemand bei diesem netten englischen Schulchor junger Hexen und Zauberer nachgefragt? Na, vermutlich ist der Zug eh schon abgefahren. Vielleicht kann Gil ein paar Stücke auf der Heimorgel spielen. Wozu habe ich ihn schließlich zum Musikunterricht geschickt? Er ist ein begnadeter Musiker, auch wenn sein Talent in den letzten Jahrhunderten garantiert verkümmert ist.“

Gerard hatte bis zu dem Zeitpunkt nicht gewusst, dass Drachen so lange auf Sauerstoff verzichten konnten, ohne dabei an Stimmvolumen einzubüßen. Er hatte zwar keine Ahnung, wovon Lady Penelopee sprach, als sie jedoch mit einem: „Ich muss augenblicklich mit Lucy sprechen“ erstaunlich behände davonschwirrte, überkam ihn Mitleid mit seiner Herrin – und die tiefgreifende Sorge, dass er nicht genug Pflaster und Panthenolspray im Erste-Hilfe-Koffer hatte, um die beiden Opponenten nachher wieder zusammenzuflicken.

 

 

Bevor Lucy „Herein“ rufen konnte, stand ihre Schwiegermutter schon wie eine Dampflok schnaufend vor ihrem Schreibtisch. Stirnrunzelnd betrachtete Lucy das Mitbringsel auf Penelopees Schulter.

„Nettes Accessoire. Habe wohl mal wieder einen Trend verpasst.“

„Ich will mit dir nicht über meine leichte Zwischenmahlzeit sprechen.“ Pikiert warf der Schwiegerdrachen den Spieß auf die Mahagoniplatte und stemmte ihre Hände in die Hüften. „Ist dir klar, dass im Schloss das blanke Durcheinander herrscht? Wo ich hinkomme, begegnen mir nur Dilettanten! Die Köche können nicht zwischen einer Garnele und einer Heuschrecke unterscheiden, die Dekoration wird eklatant vernachlässigt und …“

„Halt!“ Lucy unterbrach Penelopees Redefluss mit erhobener Hand. „Wolltest du nicht schon längst zu einem Kurztrip in die Schwefelbäder aufgebrochen sein? Warum kann ich dich dann noch sehen?“ Ihr spöttisches Lächeln täuschte nicht über ihre wahren Gedanken hinweg.

„Weil diese Party eine Katastrophe wird, wenn sich niemand auf professionellem Niveau darum kümmert! Denkst du, ich setze den Ruf meines Sohnes – meiner ganzen Familie! – aufs Spiel? Ich werde hier umgehend Ordnung schaffen.“ Eine erste, zarte Flamme stieg aus Penelopees Nase.

Lucy zog ihre Augenbraue derart in die Höhe, dass sie fast im Haaransatz verschwand. „Was? Moment! Ich bin durchaus in der Lage, eine Feier zu organisieren. Gils fünfhundertsten Geburtstag habe ich auch vorbereitet und es hat sich niemand beschwert!“

„Weil die Leute zu anständig sind! Das „Steck dem Drachen den Schwanz an“ grenzte an einen Affront und gekühlte Getränke waren Mangelware.“

„Na, wie denn auch ohne Eis? Und wer hat das geschmolzen?“ Lucys Stimme überschlug sich fast, als sie mit beiden Händen auf die Tischplatte klatschte und von ihrem Stuhl sprang, der polternd umfiel.

„Darauf hättest du vorbereitet sein müssen! Ich werde nicht zulassen, dass sich so etwas wiederholt. Ich vermute, es gibt keinen Zeitplan? Ressourceneinteilung? Nein? Ich hätte auch wirklich keine Minute später kommen dürfen.“ Nun stieg bereits feiner Rauch aus Penelopees Ohren, ihre Augen funkelten und zeigten schmale Längsschlitze – das letzte Warnsignal vor der endgültigen Detonation. Lucy wusste, dass sie direkt im Epizentrum stand, wenn ihre Schwiegermutter explodierte. Alles, was dann noch von ihr übrig blieb, würde Gerard morgen früh ordentlich aufkehren.

Die Vampirin ließ die Schultern sinken. „Aber …“, setzte sie halbherzig an, obwohl sie bereits wusste, dass sie den Kampf verloren hatte.

„Du kannst mir später danken. Und nun entschuldige mich, ich muss meinen Snack grillen und eine Party vorbereiten.“ Damit verschwand Penelopee in einer weißen Dampfwolke und Lucys Unterlippe begann verdächtig zu zittern.

 

 

Das Knallen des Deckels, nachdem sich Lucy laut eigenen Worten für die nächsten fünftausend Jahre (in etwa die restliche Lebenserwartung ihrer Schwiegermutter) in ihren Sarg zurückgezogen hatte, verursachte das zweite Erdbeben an diesem Tag, das diesmal sogar zwei Weinsteinstollen einstürzen ließ. Zum Glück waren diese jedoch stillgelegt und es kam niemand zu Schaden, weshalb neuer Ärger mit der zwergischen Nachbarschaft nicht zu befürchten stand. Aber die geplante Feier drohte angesichts der verfahrenen Situation zu platzen.

Lucy war von Penelopees Einmischung derart beleidigt gewesen, dass es Gil all seine Überredungskünste gekostet hatte, sie wieder einigermaßen milde zu stimmen und dazu zu bewegen, an der großen Halloween-Eröffnungsparty teilzunehmen. Seinen dezenten Hinweis, dass die Feier nicht ohne Schlossherrin stattfinden könne, hatte sie mit einem scharfen: „Dann nimm doch deine Mutter!“ abgebügelt. Erst als er ihr versprach, noch mal ein ernstes Wort mit Penelopee zu wechseln und Lucy das Totenkopfcollier aus lupenreinen Diamanten zu schenken, das sie sich schon seit Monaten wünschte, öffnete sie langsam den Sargdeckel und erhob sich aus ihrer Totenstarre in eine sitzende Position. Für ihr endgültiges Einlenken war aber noch das passende Armband nötig, sowie die sofortige Bestellung von beidem über den Onlineshop des Juweliers.

 

 

Ein Eilbote brachte die Schmuckstücke zehn Minuten vor Beginn des festlichen Abends. Lucy trug voller Stolz das Versöhnungsgeschenk zum bodenlangen schwarzen Abendkleid und strahlte mit den Edelsteinen um die Wette.

Gerards Skepsis, ob normale und paranormale Gäste harmonieren würden, legte sich allmählich. Dennoch huschte er, getarnt mit einem Tablett voller Cocktails, zwischen den Anwesenden umher, damit er im Zweifelsfall schnell eingreifen und eventuelle Eskalationen vermeiden konnte.

Tatsächlich ergriff ihn die erste Anspannung, als Monsieur Blouchard, ein reicher Industrieller, zu Herrn Tröpfchen, der gerade über seinen Job beim Finanzamt sprach, meinte, dass er alle Steuerbeamten für reine Blutsauger halte. Doch die Schweißperlen auf seiner Stirn trockneten augenblicklich, als der Vampir verlegen abwinkte: „Hach, Sie alter Charmeur!“

Der rotgesichtige Gesprächspartner vom Zollamtsvorsitzenden Glock hatte seine Dämonenhörner geschickt mit einem Heiligenschein getarnt und dazu passende Engelsflügel umgeschnallt, die Gerard bei jedem Vorbeigehen mit einem dezenten Stoß aus dem Sodasprüher vorm Kokeln bewahrte. Herr Glock beteuerte immer wieder, dass ihm noch nie ein derart verständnisvoller Mensch begegnet sei, was den Butler irritiert die Brauen heben ließ.

„Wenn diese großen Reisetrupps ankommen, das ist die reinste Hölle.“

Der Dämon nickte mitfühlend und nippte an seinem Heavens Taste Sweet (Gabriels Spezialcocktail). „Wem sagen Sie das, mein Freund. Aber fragt uns einer danach, was das für eine Arbeit ist, wenn man die so richtig in die Mangel nimmt?“

„Pah! So was kümmert die dicken Bosse in ihren Luxus-Sesseln nicht. Die haben ja keine Ahnung.“

„Genau, aber wehe, wenn wir nicht jede Sünde aus denen herausprügeln.“ Der tiefe Seufzer verbreitete für Sekunden einen leichten Schwefelgeruch im Raum und Herr Glock stellte vorsichtig seinen Crazy Demon beiseite. Da hatte der Barkeeper es wohl zu wörtlich genommen.

Erleichtert stellte Gerard fest, dass Lady Lucy offenbar Recht hatte und beide Seiten füreinander bereit waren. Mit diesem Gedanken hatte er den Teufel buchstäblich heraufbeschworen, der es offenbar persönlich nahm, nicht eingeladen worden zu sein und daher gleich doppelt zuschlug.

Lady Penelopee unterhielt sich mit dem selbsternannten Drachenflugexperten, Lord Furney, was bereits eine sehr heikle Situation darstellte. Zeitgleich kam der Pudel eines italienischen Modemachers einem Werwolf zu nahe. Wo nun zuerst eingreifen? Hektisch schaute Gerard von Penelopee zum Werwolf. Er war sich bewusst, dass eine empörte Drachenschwiegermutter den größeren Schaden anrichten konnte, vertraute aber auf ihre gute Erziehung, die der Pudel offenbar nicht genossen hatte. Schließlich waren gefletschte Zähne eine völlige Überreaktion auf das noch höflich geflüsterte: „Zieh Leine, du Tunte.“

Also näherte er sich, wie im Begleithundekurs gelernt, scheinbar desinteressiert den Kontrahenten, um sie in Sicherheit zu wiegen. Just in dem Moment, als beide aufeinander losspringen wollten, warf er die metallenen Trainingsscheiben dazwischen. Das laute Klirren ließ den Pudel winselnd davonspringen, den Werwolf irritiert nach links und rechts schauen. Ein leises Knacken vom Buffet ging dabei völlig unter. Die übrigen Gäste verstummten und starrten den Butler an, als Natascha mit einem: „Entschuldigung!“ die Aufmerksamkeit auf sich zog und Tellerscherben aufkehrte. Ihr Zwinkern in Gerards Richtung beantwortete dessen unausgesprochene Frage. Die Situation schien gerettet, da äußerte sich Lord Furney über die Unfähigkeit weiblicher Drachenflieger. Penelopee lief hochrot an, erste Dampfwölkchen stiegen aus ihren Nasenlöchern. Hier würden die Trainingsscheiben nicht mehr helfen. Bestenfalls würde das Metall im Drachenatem zu einem hübschen Schmuckstück schmelzen. Gerard kannte diesen Ausdruck in Penelopees Augen, der den Countdown bis zur totalen Hysterie einläutete. Ein drittes Erdbeben an diesem Tag würde das Château nicht verkraften. Sollten sie diese Katastrophe überstehen, würde er einen Statiker kommen lassen, der das Gemäuer drachentauglich machte. Im Moment sah es jedoch nicht danach aus, da ihm jegliche Möglichkeit des Eingreifens durch den Werwolf genommen wurde, der den Pudel bereits wieder ins Visier nahm.

Was, außer Pudelfilet in medium rosa, könnte nach dem Geschmack des Werwolfs sein? Gerards Hirn arbeitete trotz Vernebelung von Penelopees Rauchschwaden auf Hochtouren.

„Aber mein lieber Lord Furney“, vernahm er da die sonore Stimme von Natascha. „Wissen Sie nicht, mit wem Sie es hier zu tun haben? Sie sprechen mit Lady Penelopee von Pyromenika. Die Familie von Pyromenika hat eine jahrhundertelange Tradition im Drachenfliegen. Alle Angehörigen beginnen schon in jüngsten Jahren damit und gerade Lady Penelopee ist besonders begabt. Sie sollten einmal sehen, mit welcher Grazie sie über den Himmel gleitet, wie wagemutig ihre Flugmanöver sind.“

Mit jedem Wort wurde Penelopee zusehends milder gestimmt und schaute sogar leicht verlegen zu Boden. Die Augen von Sir Furney wurden so groß, dass ihm das Monokel herunterfiel. Voller Inbrunst ergriff er die Hand der Drachin und entschuldigte sich beschämt für seinen unverzeihlichen Fauxpas.

„Meine allerliebste Penelopee. Ich hatte ja keine Ahnung. Wenn ich gewusst hätte, mit welcher Koryphäe ich hier über dieses Thema ...“ Der Rest ging in schmatzenden Handküssen unter.

Gils Mutter war geschmeichelt und wandte sich diskret zur Restaurantleiterin. „Sie Goldkind!“

„Stets zu Diensten, Lady von Pyromenika.“

„Ach, nennen Sie mich einfach Penelopee.“

Natascha lächelte gequält, antwortete aber höflich: „Gern. Für Sie: Natascha.“ Damit suchte sie vor ihrer neuen Busenfreundin eilends das Weite.

Gerard schaute ihr voller Bewunderung nach und reichte dem Werwolf einer inneren Eingebung folgend spontan eine Bloody Mary. „Eine Empfehlung des Hauses. Am Büfett gibt es Hirsch, heute Morgen frisch erlegt.“

Das ließ den Wolf die Ohren spitzen und das Wasser lief ihm im Maul zusammen. Vergessen war der rosa Designerpudel. Vermutlich hätte ihm das Fell bei der ganzen Chemie ohnehin nur schwer im Magen gelegen.

Eine schmale Hand streckte dem Butler ein weißes Taschentuch entgegen. „Die Schweißperlen passen nicht zum Nadelstreifenanzug“, flüsterte Natascha neckend und war sogleich verschwunden.

Zum Glück blieben dies die einzigen Zwischenfälle. Man feierte fröhlich bis in die frühen Morgenstunden und Penelopee hatte fortan einen heißen Verehrer.

 

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783948592325
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
Drache Schwiegermutter Fantasy Schloss Vampir Hotel Humor

Autoren

  • Alisha Bionda (Autor:in)

  • Tanya Carpenter (Autor:in)

Alisha Bionda wurde in Düsseldorf geboren und lebt seit 1999 auf den Balearen. Seit 2009 gibt sie 18 Reihen in verschiedenen Verlagen heraus. Tanya Carpenter wurde in Mittelhessen geboren, wo sie auch heute noch in ländlichem Idyll lebt und arbeitet. Sie ist in diversen Anthologien, vertreten und hat zahlreiche Roman in verschiedenen Genres in Klein- und Großverlagen veröffentlicht.
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Titel: Tot aber feurig