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Lycanic Moon

von Tanya Carpenter (Autor:in)
376 Seiten
Reihe: Sommermond, Band 2

Zusammenfassung

Paranormale Romance Livia und Asgard sind durch das Zeittor gereist, um die Intrige gegen Roga und Santuin aufzuhalten. Während sich Asgard der Häscher-Garde von Sacre Nuit anschließt, wird Livia in den Kreis des Lykaner-Clans MacFist auf Drumrig Castle aufgenommen. Beide müssen erkennen, dass Seelenbande oft stärker sind als Zeit und Raum und Intrigen an jeder Ecke lauern. Freund und Feind sind kaum mehr voneinander zu unterscheiden. Dabei läuft ihnen allmählich die Zeit davon, denn die Hitze des Sommermondes ist nah und ihre Gegner haben längst noch nicht alle Trümpfe ausgespielt. Kann ihre Liebe stärker sein als alle Widrigkeiten und am Ende selbst den Tod überwinden?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Rückkehr

 

Januar 1707, Sacre Nuit, Schottland

Der Wind zerrte an ihrer Kleidung, als wolle er ihnen diese vom Leib reißen. Die Burg war von einer dicken Schicht Eis und Frost überzogen und die Luft roch nach Schnee. Die Wälder ringsherum, soweit Livia es durch ihre zusammengekniffenen Augen erkennen konnte, waren kahl und weiß. Wenigstens hatte der Zeittunnel ihnen nicht das Bewusstsein genommen. Angenehm war aber weder die Reise noch die Ankunft.

Diese Passage hatte sie nicht in die Sicherheit der Höhlen unter der Burg gebracht, sondern direkt auf ihre Zinnen. Nicht in die Hitzeperiode kurz vor dem Sommermond, sondern in eine gefühlte Eishölle. Livia musste zugeben, dass ihr Baumwollshirt hier nicht geeignet gewesen wäre. So ungewohnt das schottische Kleid und der wollene Umhang auch waren, diese Kleidungsstücke trotzten immerhin halbwegs erfolgreich der beißenden Kälte. Sie wusste nur nicht, wie lange das so sein würde. Außerdem sah der Plan vor, möglichst rasch das Innere der Burg aufzusuchen und dort einen passenden Platz zu finden, um sich in die Ereignisse einzufügen.

„Die Winterstürme“, rief Asgard gegen die Böen an. „Sie sind rau und hart. Aber immerhin verschafft uns das ein recht großes Zeitfenster.“

Genau genommen spielte ihnen dieses Wetter gleich mehrfach in die Hände, denn niemand – nicht einmal die Wachen – befand sich draußen auf den Burgzinnen oder auch nur im Innenhof. Alle hatten sich vor dem scheußlichen Wetter ins Innere von Sacre Nuit verzogen. So fiel ihre Ankunft nicht auf und sie konnten sich ungesehen in die Burg schleichen.

Asgards Kenntnis der Anlage kam ihnen auch dieses Mal zugute. Mit gesenkten Köpfen, damit ihnen der beißende Wind nicht den Atem nahm, kämpften sie sich voran, benutzen eine uralte Treppe, die sichtlich in Vergessenheit geraten war, um an eine kleine Holztür zu gelangen, durch die sie einen ruhigen Abschnitt der Burg betreten konnten. Livia atmete auf, als Asgard die Tür schloss und damit Eis und Sturm aussperrte. Er musste sich mit aller Kraft gegen die Naturgewalt stemmen, die mit dem morschen Holz umging, als sei es nur ein Stück Papier. Aber endlich gelang es ihm, den Riegel vorzuschieben und sie waren fürs Erste im Trockenen. Kalt war es dennoch. Livia zitterte und rieb sich über die Arme. Ihre Zähne klapperten aufeinander.

„Niemand benutzt diesen Zugang mehr. Darum sind hier keine Fackeln. Und die Wärme der Kaminfeuer dringt nicht bis hierher.“ Asgard verzog entschuldigend das Gesicht. „Ich fürchte jedoch, dass dir auch in den anderen Bereichen der Burg kalt sein wird, denn die Mauern speichern kaum Wärme und man ist sparsam mit dem Feuerholz. Mit der behaglichen Wärme moderner Zentralheizungen ist es leider nicht zu vergleichen.“

Das hatte sie auch nicht erwartet. Dennoch graute es ihr bereits, wenn sie daran dachte, wie lang der Winter womöglich noch anhielt. Der wollene Umhang, den Nyxara ihr mit dem Kleid überreicht hatte, wärmte nur spärlich, und noch immer kämpfte Livia mit den Nachwehen der Vergiftung. Aber sie biss die Zähne zusammen und bemühte sich um ein tapferes Lächeln. Sie wollte Asgard nicht auch noch mit ihrem Unbehagen belasten, wenn man daran sowieso nichts ändern konnte.

„Es geht schon.“

Er küsste sie innig und zog sie fest an sich. Einen Augenblick wärmten sie einander, ehe Asgard sie weiter in die Burg führte. Gottlob wurde es tatsächlich wärmer, als sie in die mit Fackeln erhellten Bereiche kamen.

An einem Treppenaufgang blieb er schließlich stehen und fasste sie bei den Schultern. Sein Blick war ernst, Livia spürte einen Kloß in ihrer Kehle, obwohl – oder gerade, weil – sie ahnte, was jetzt kam.

„Auch wenn ich verstehen kann, dass du nach der letzten Erfahrung garantiert nicht sehr begeistert davon bist, werden wir uns wieder trennen müssen.“

Sie wollte widersprechen, doch er legte ihr einen Finger an die Lippen und lächelte ermutigend.

„Zweifle nicht an dir. Du hast es das letzte Mal sehr gut gemacht. Für das, was im Festsaal geschehen ist, trägst du keine Schuld. Wir dürfen nicht zu eng beisammenbleiben, wenn wir keinen Verdacht erregen wollen. Vergiss nicht, dass es hier und heute ungewöhnlich ist, wenn ein Vampir und eine Werwölfin wie ein Paar auftreten.“

„Das ist es in unserer Zeit erst recht.“

Er lächelte und strich ihr das Haar zurück. „Ich weiß. Aber dort sind wir sowieso Ausgestoßene. Hier dürfen wir kein Misstrauen erwecken, sonst gefährden wir unser Vorhaben.“

„Ich finde mich ohne dich aber nicht zurecht“, wandte sie ein und klang selbst in ihren eigenen Ohren jämmerlich. Sie hatte Angst, mehr denn je.

„Das musst du auch nicht. Keiner der Werwölfe kennt sich in Sacre Nuit besonders gut aus. Du fällst also in deiner Unwissenheit nicht auf und kannst dich unbesorgt durchfragen, wenn du irgendwohin willst. Als Gäste waren die Lykaner zum jetzigen Zeitpunkt nicht selten. Und als Frau wird man dir glauben, dass du lediglich deinen Mann oder deinen Vater begleitet und dich dann in der Burg verlaufen hast, während er hier seinen Geschäften nachging. Wenn du in eine Situation gerätst, wo es gefährlich wird, dich durchzufragen, musst du dich eben auf deine gute Nase verlassen.“ Er tippte ihr neckend an selbige. „Hab keine Angst. Es wird schon alles gut gehen. Sobald wir uns einen Überblick verschafft haben, finde ich dich. Und ich versuche, ein geeignetes Versteck für uns zu finden. Die Zeremonie ist erst in einigen Monaten. Bis dahin droht dir kaum Gefahr. Wir sollten versuchen, so viel wie möglich herauszufinden. Jedes Detail kann wichtig sein.“

Sie wusste, dass er nach wie vor Cordova verdächtigte, aber bei allen Argumenten, die Asgard vorbrachte, konnte sich Livia das nicht vorstellen. Er würde doch nicht seine eigene Familie derart in Gefahr bringen. Nur kam ihr ein anderer Täter bisher auch nicht in den Sinn. Sie musste an den jungen, verwirrten Vampir denken, der sie zum Festsaal gebracht hatte. Vielleicht fand sie ihn ja wieder und konnte ihn behutsam ausfragen. Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass er mehr wusste, als er preisgegeben hatte.

Auch wenn es ihr schwerfiel, ließ sie Asgard schließlich gehen. Unschlüssig blieb Livia stehen, blickte sehnsüchtig in die Richtung, in der Asgard verschwunden war und in die entgegengesetzte. Schließlich atmete sie tief durch und nahm all ihren Mut zusammen.

Es war leichter als erwartet. Auch wenn sie sich mit der Sprache nach wie vor schwertat, begegneten ihr sowohl Vampire als auch Lykaner mit weniger Misstrauen als beim letzten Mal. Vielleicht lag es an ihrer Einstellung. An ihrer Haltung, die – jetzt in angemessener Kleidung und nicht länger genötigt, ihre Weiblichkeit zu verbergen – aufrecht und souverän wirkte. Wie es in ihr aussah, ahnte ja niemand.

Livia fühlte sich unsicher ohne Asgard an ihrer Seite. Das gesamte Gemäuer jagte ihr Furcht ein. War Feindesland. Noch dazu weit entfernt von dem Zeitalter, in dem sie sich auskannte. Dreihundert Jahre weit entfernt. Sie fühlte, wie ihr Herz bei diesem Gedanken zu rasen begann. Das Bewusstsein, dass sie hier in diesem Jahrhundert noch nicht bis aufs Blut mit den Vampiren verfeindet war, nutzte ihr wenig. Zu tief saß ihre Ausbildung, der jahrelange Drill und die eingepflanzten Dogmen. Sie spürte die Blicke der Vampire, die ihr begegneten, wie Pfeile, glaubte jedes Mal einer Prüfung unterzogen zu werden und fürchtete, man könne sie einfach gefangen nehmen und einsperren. Oder Schlimmeres. Die äußere Fassade von Ruhe und Gelassenheit aufrechtzuerhalten, kostete sie mehr Kraft, als gut für sie war.

Die wenigen Lykaner, die ihr über den Weg liefen, grüßten sie freundlich, aber zu ihrem Glück verwickelte sie niemand in ein Gespräch. Egal, was man sie fragen oder was man sagen würde, Livia sah sich außerstande zu antworten, ohne Zweifel bei ihrem Gegenüber zu erwecken, da sie ja keinerlei Wissen über das Leben hier besaß.

Auch die Gerüche machten sie wahnsinnig. Sie war den scharfen Gestank nach Urin und Exkrementen nicht gewohnt. Den sauren Schweiß, der davon zeugte, dass es hier keine luxuriösen Badewannen mit wohlriechenden Zusätzen gab. Die Steine waren feucht, das Stroh, mit dem man die Gänge ausgelegt hatte, stank nach Ratten und deren Hinterlassenschaften. Aus der Küche drangen Essensgerüche herauf, die dieses Mal alles andere als appetitlich waren. Am Tag der Hochzeit war alles sauber und ordentlich gewesen. Vermutlich frisch gereinigt wegen der vielen Gäste und der Feierlichkeit an sich. Aber dies hier war Alltag und Livia bekam einen deutlichen Eindruck davon, dass das Leben Anfang des 18. Jahrhunderts schmutzig und alles andere als keimfrei war.

An einigen Stellen kämpfte sie mit aufsteigendem Brechreiz. Sie begriff, dass sie sich dann jeweils in der Nähe eines Aborts befand. Gerade als sie wieder solch einen Bereich passierte und sich den Ärmel ihres Kleides vor Mund und Nase hielt, um sich nicht an Ort und Stelle zu übergeben, rannte sie einem Mann in die Arme.

Erschrocken taumelte Livia zurück und rang nach Luft, was sie sogleich bereute, da eine weitere Welle der Übelkeit sie überrollte. Sie murmelte eine Entschuldigung und verfluchte sich dafür, dass sie nicht aufgepasst hatte, wo sie hinlief. Doch zu ihrer Überraschung, fing der Fremde ob ihrer Verlegenheit an zu lachen.

Sie hob den Blick und ihre Augen wurden groß. Es war ein Lykaner, mit dem sie zusammengestoßen war. Doch nicht irgendeiner. Ihr Herz setzte einen Schlag aus.

„Oh verzeiht, Mylady“, entschuldigte er sich für sein unhöfliches Benehmen. „Da bringe ich Euch in Verlegenheit und vergesse doch tatsächlich, mich vorzustellen. Ich bin Santuin MacFist, aus dem Fürstengeschlecht der MacFist.“

„Ich weiß.“ Die Worte waren ausgesprochen, ehe Livia hatte nachdenken können. Sie biss sich auf die Lippen, als ihr klar wurde, welchen Fehler sie damit begangen hatte. Santuin runzelte augenblicklich die Stirn. Verständlich, denn da er sie nicht kannte, musste es für ihn sehr verwunderlich sein, dass sie wusste, wer er war.

„Ich glaube, ich muss Euch erneut um Verzeihung bitten, Mylady, denn wenn wir einander bereits vorgestellt wurden, dann gestehe ich zu meiner Schande ein, dass ich Euren Namen vergessen habe.“

Livia räusperte sich und überlegte fieberhaft, wie sie sich herausreden sollte. Schließlich entschied sie sich für eine Halbwahrheit, die hoffentlich auch einiges andere erklären konnte.

„Wir sind einander noch nicht vorgestellt worden, da kann ich Euch beruhigen. Ihr seid mir lediglich von einem Bild bekannt. Ich bin erst vor wenigen Tagen hier angekommen. Meine Reise führte mich über den Ozean.“

Freudige Überraschung machte sich auf Santuins Miene breit. „Ihr kommt aus den Kolonien? Seid Ihr zur Hochzeit angereist?“

Erleichtert griff Livia den Faden sofort auf. „Ja. Stellvertretend für unsere Familie.“

Er grinste breit. „Dann weiß ich auch, von welchem Bild Ihr sprecht. Dieses unsägliche Porträt von mir und meiner Braut. Mein Onkel bestand darauf, obwohl ich es völlig unsinnig fand. Und meine arme Schwester hat sich dafür die Finger wund malen müssen.“

Sie fiel in sein Lachen mit ein und war dankbar, dass ihre Lüge aufgegangen war.

„Nun ja, immerhin seid Ihr gut getroffen, sonst hätte ich Euch nicht sogleich erkannt.“

Ein schelmisches Zwinkern war seine Antwort. „Dass Ihr zu meiner Familie gehört, hätte ich mir gleich denken können. Und Eure ungewöhnliche Sprache erklärt sich nun auch, wenn ihr aus Amerika angereist seid. Aber sagt, ist es nicht recht ungewöhnlich und riskant, dass eine Frau allein diese weite Reise antritt? Oder sind Euer Gatte oder Vater hier irgendwo in der Burg?“

Sie hob beschwichtigend die Hände. „Ich muss Euch Recht geben, üblich ist es sicher nicht. Und in der Tat bin ich allein gereist. Doch in der neuen Welt sind wir Frauen weitaus selbstständiger. Und es ließ sich nicht anders regeln. Mein Vater ist leider kürzlich verstorben und meine Mutter von kränklicher Natur, weshalb sie die lange Reise nicht antreten konnte. Unsere finanziellen Mittel sind begrenzt, daher ist es mir unmöglich, einen Diener oder eine Zofe als Begleitung zu entlohnen.“

Die Worte kamen mit einem Mal erfreulich leicht über ihre Lippen. Die altertümlichen Worte gingen ihr schneller als gedacht in Fleisch und Blut über.

Mit ihrer erwählten Lüge erklärte sich ihre Unwissenheit ebenso wie ihr Akzent. Dann musste sie nicht länger fürchten, deswegen anzuecken. Santuin sprach nicht in diesem seltsamen Singsang, den man, wie Asgard ihr erklärt hatte, Gälisch nannte. Das war ihr schon im Wald aufgefallen. So war es leichter für sie, sich mit ihm zu unterhalten. Nach dem ersten Schock der Begegnung mit dem Lykanerprinzen wagte sie zu hoffen, dass diese womöglich ein Glücksfall für sie wurde, wenn sie jetzt keinen Fehler mehr machte.

„Es tut mir sehr leid für Euch und für Eure werte Frau Mutter. Bitte erlaubt mir, Euch meine Dienste anzubieten. Es soll Euch an nichts fehlen, solange Ihr hier seid.“

Livia errötete. Dieses Angebot durfte sie wohl kaum ablehnen. Doch wie sollte sie dann hier in Sacre Nuit bleiben, wenn Santuin wieder auf seine eigene Burg zurückkehrte?

Dennoch nickte sie. „Das ist sehr freundlich von Euch.“ Immerhin war der langfristige Plan ohnehin gewesen, sie zur Burg der Lykaner zu bringen.

Santuins Lächeln war voller Wärme und Freundlichkeit. „Es ist mir eine Ehre. Nachdem Ihr solche Mühen auf Euch genommen habt, um an meinem glücklichsten Tag zugegen zu sein.“

Plötzlich runzelte er die Stirn, was Livia sofort wieder alarmierte.

Dann fragte er jedoch nur. „Bevor ich eine dritte Unhöflichkeit begehe, wärt Ihr so freundlich, mir Euren Namen zu nennen?“

Nun musste Livia lachen. „Ich denke, die Unhöflichkeit liegt in diesem Fall wohl eher auf meiner Seite. Ich bin Livia. Livia Duprés.“

Diesen Namen hatte sie in Kanada schon einmal angenommen. Die erdachte Geschichte dahinter ließ sich leicht in die jetzige Zeit übertragen.

„Ich kann nur wiederholen, es ist mir eine Ehre Lady Livia.“

Er verbeugte sich galant und Livia machte einen höflichen Knicks, auch wenn sie nicht wusste, ob das tatsächlich so üblich war. Santuin bot ihr seinen Arm und nachdem sich Livia untergehakt hatte, setzte Santuin seinen Weg gemeinsam mit ihr fort.

„Ich war gerade auf dem Weg zum Speisesaal. Wolltet Ihr auch etwas essen?“

Essen klang verlockend, daher nickte Livia rasch.

„Ich nehme an, Ihr seid wegen des Sturmes auf Sacre Nuit eingekehrt, statt direkt nach Drumrig Castle zu reiten. Wo hat Lord Darwin Euch vorübergehend untergebracht?“

Es durchzuckte Livia wie ein Schlag, dass sie nicht bedacht hatte, hier kein Zimmer für die Übernachtung zu haben. Hastig grübelte sie, wie sie sich herausreden konnte.

„Oh, ich habe noch kein Zimmer, ich … ich bin erst heute Morgen angekommen.“

Hoffentlich tobte der Sturm nicht schon seit mehreren Tagen derart heftig.

„Sagtet Ihr nicht eben, ihr wäret vor einigen Tagen angekommen.“

Dieses Mal schaltete sie schneller. „Ja, das sagte ich. Damit meinte ich, hier in Schottland. Sacre Nuit erreichte ich heute und suchte hier Zuflucht vor dem Wetter. Ich hatte jedoch gehofft, rasch weiterreisen zu können und kein Zimmer zu benötigen.“

„Ja, der Sturm ist scheußlich. Obwohl er seit gestern schon milder geworden ist. Die Tage zuvor waren die reinste Winterhölle. Nun, ich würde fast sagen, dann ist es wohl Schicksal, dass wir uns begegnet sind. Denn eigentlich wollten wir schon gestern abreisen, dieser entsetzliche Sturm hat uns hier festgehalten. Nun wird es mir eine Ehre sein, Euch nach Drumrig Castle zu geleiten, Lady Livia, sobald das Wetter es zulässt.“

 

 

Asgard kämpfte mit seinem schlechten Gewissen, weil er Livia erneut sich selbst überließ. Es war nicht so, dass er ihr nicht zutraute, ohne ihn zurechtzukommen, aber sie war gesundheitlich immer noch geschwächt. Er musste unbedingt ein gutes Versteck finden. Vielleicht konnte sie dann dort bleiben, während er sich umhörte. Sie musste ja nicht sofort nach Drumrig Castle. In ein paar Tagen fühlte sie sich bestimmt sicherer. Weniger besorgt, Fehler zu machen.

Die Sache mit dem verrückten Jungen ging ihm nicht aus dem Kopf. Er war so lange auf Sacre Nuit gewesen, aber ihm war keiner begegnet, den man als verwirrt oder irre bezeichnet hätte. Verärgert gestand er sich ein, dass er Livia nach dem Aussehen dieses Burschen hätte fragen müssen. Vielleicht wäre ihm dann jemand eingefallen, auf den die Beschreibung passte. Das musste er umgehend nachholen.

Jetzt aber war es wichtig, dass er selbst einen Platz in der Burg fand, den er für die nächsten Wochen ohne Risiko einnehmen konnte. Die Garde war am Naheliegendsten, nicht nur, weil Nyxara ihm die entsprechende Kleidung gegeben hatte. Sich als Gregario auszugeben, hatte schon einmal funktioniert, und damit erhielt er auch fast überall ungehindert Zugang. Außerdem redeten die Soldaten untereinander viel über das, was innerhalb der Mauern vor sich ging oder was sie in den umliegenden Wirtshäusern aufschnappten. Solche Informationen konnten nützlich sein.

Asgard entschied, sich am Haupttor zu melden. Ganz so, als sei er frisch der Wache zugeteilt worden und warte nun auf seine Order.

Auf seinem Weg durch die Burg konnte er sich gut vorstellen, wie diese Welt auf Livia wirken musste, die ihr ganzes Leben in wesentlich zivilisierteren und vor allem saubereren Verhältnissen zugebracht hatte. Er selbst hatte fast vergessen, wie es hier roch. Wie viel Getier und Ungeziefer durch die Gänge huschte. Und wie schmutzig es war. Ein trockenes Lachen entschlüpfte seiner Kehle. Fließendes Wasser war eben ein unschätzbarer Luxus. Aber wenn es ihnen nicht gelang, das Unheil aufzuhalten, das sich hier anbahnte, würde genau das für die Lykaner zur Todesfalle werden.

Als er das Eingangstor erreichte, das hinaus auf den Innenhof führte, zog sich Asgard die Kapuze seines Umhangs über den Kopf, um gegen den gerade wieder einsetzenden Eisregen gewappnet zu sein. Es dauerte nur Sekunden und die dichte Wolle hing schwer und nass von seinen Schultern herab. Ein solches Unwetter hatte er hier noch nie erlebt. Hagelkörner wehten ihm ins Gesicht und kratzen über seine Wangen. Durch den dichten Vorhang aus Eis, Schnee und Hagel war kaum etwas zu erkennen. Der Boden unter seinen Füßen war tückisch und schlüpfrig, die Pfützen an einigen Stellen so tief wie ein kleiner Tümpel. Es war kaum jemand zu sehen. Nur ein paar Stallknechte, eine Handvoll Krieger und eine Magd, die gerade vom Hühnerstall zurückkehrte und sich bemühte, mit ihrer Schürze voller Eier nicht auszugleiten und die kostbare Fracht zu verlieren.

Asgard erreichte das Haupttor, ohne von jemandem angesprochen oder gar aufgehalten worden zu sein. Erst als er unter dem steinernen Bogen Schutz gefunden hatte, schob er seine Kapuze wieder herunter. Seine Haare darunter waren dennoch feucht und klebten ihm an Kopf und Wangen fest.

„Dia daoibh!“, begrüßte er die Wachmänner, die in der kleinen Stube neben dem Tor um ein Feuer herum saßen, auf Gälisch.

„Tráthnóna maìth a garsún“, antwortete der Älteste der Gruppe, ein breitschultriger Kerl mit roten, zotteligen Haaren und einem ebensolchen Bart, der bereits deutlich ergraut war. Er hatte den Rang eines Immuno und war somit derjenige, der das Kommando dieser Wache innehatte.

„Ich soll mich hier zum Dienst melden“, erklärte Asgard.

Ein zustimmendes Raunen ging durch die Reihe. „Mhm!“, machte der Rothaarige. „Gesagt hat man mir nichts, aber einen guten Mann können wir immer gebrauchen.“

Er spuckte ins Feuer und nahm danach einen tiefen Schluck von seinem heißen Tee, der ein verdächtiges Aroma nach Whiskey verströmte.

„Teufel auch, die einzigen Informationen, die hier noch zuverlässig weitergegeben werden, drehen sich um diese verdammte Hochzeit.“ Er lachte herzhaft. „Aber wenn wir diesen Pakt gegen den mit den Sassenachs eintauschen können, soll’s mir recht sein.“

Asgard hob unmerklich eine Braue. Auch auf Seiten der Vampire war man also nicht so angetan von den politischen Entwicklungen und dem Act of Union. Eigentlich hätte es ihm klar sein müssen, doch so, wie sich die Dinge entwickelt hatten, hatte er sich darüber nie Gedanken gemacht. Schließlich gingen auf Sacre Nuit auch regelmäßig Engländer ein und aus.

„Ich bin Corvin.“ Der Immuno reichte Asgard seine prankenartige Hand. Sein Griff war fest, die Handflächen rau. „Hast ein echt grausiges Wetter erwischt für deinen ersten Dienst, mo cara.“

Asgard zuckte die Schultern. „In der Stube ist es warm und trocken. Bei dem Wetter wird kaum jemand kommen, auf den wir ein Auge haben müssten.“

Der Alte lachte erneut und klopfte ihm auf die Schulter. „Da hast du wohl recht.“ Er erhob sich ächzend, nahm einen leeren Becher aus einem Regal und füllte ihn mit dem Tee, den sie alle tranken. Asgard hoffte, dass der Whiskey ihn nicht gleich aus den Schuhen warf, und nahm den Becher dankend entgegen. Nachdem er sich gesetzt hatte, grüßten auch alle anderen am Tisch ein weiteres Mal und prosteten ihm zu.

„Ist momentan echt nur mit dem Zeug zu ertragen. Sonst friert man sich den Arsch ab. Oben auf den Zinnen ist es besonders schlimm“, maulte ein jüngerer Soldat mit einer Narbe auf der Wange und kurzem braunen Haar.

„Ah Dan, beschwer dich nicht. Wir könnten’s schlimmer haben.“

Der junge Mann, der das gesagt hatte, erinnerte Asgard an jemanden. Vielleicht hatte er ihn während seiner Zeit auf Sacre Nuit einmal gesehen. Er lächelte ihm freundlich zu und machte eine vage Geste in Richtung des Narbigen, mit der er wohl andeuten wollte, dass Dan sowieso immer schlechte Laune hatte. Egal bei welchem Wetter.

„Ich bin Milan“, stellte er sich vor. „Und selbst erst seit ein paar Wochen bei diesem verrückten Haufen.“

Milan! Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Der Centurio seiner Sucherschule, Darwins Vertrauter in gut hundert Jahren, der Mann, der Livia im Wald mit dieser neuartigen Munition angeschossen hatte. Ihm wurde heiß und kalt zugleich.

„Aye!“, sagte der Rothaarige. „Aber noch nicht lange genug, um so vorlaut zu sein.“ Er gab Milan einen derben Knuff in die Seite, lachte aber dabei.

„Wo hast du vorher Dienst getan?“, fragte Milan neugierig.

Beinah hätte sich Asgard verplappert und eine Sucher-Schule benannt. Im letzten Moment mahnte er sich selbst, dass es diese in der Form ja noch nicht gab.

„Patrouillenritte“, sagte er stattdessen. „Meine Ausbildung ist noch nicht lange abgeschlossen.“

„Na“, meinte Corvin, „dann wundert es mich nicht, dass du es hier drin gemütlich findest. Besser als bei Sturm und Schnee durch die Wälder zu reiten ist es allemal.“

Asgard nickte und nahm einen Schluck von dem alkoholisierten Tee. Er musste an sich halten, um nicht sofort loszuprusten. Das Zeug bestand aus mehr Whiskey denn Tee und brannte in seiner Kehle wie Feuer. Verstohlen blickte er zu Milan hinüber.

„Wo bist du ausgebildet worden?“, wollte Dan wissen.

„Bei Lord Aleridge“, log Asgard. Es war die einzige Burg, die ihm auf die Schnelle einfiel, die zu dieser Zeit ebenfalls über ein Ausbildungscamp für Häscher verfügte und weit genug weg lag, dass er nicht sofort befürchten musste, aufzufliegen.

„Der alte Seumas.“ Corvin lachte. „Dieser Halsabschneider ist selbst schon ein halber Engländer, so tief kriecht er denen in den Arsch. Kannst froh sein, von da wegzukommen. Der gibt seinen Leuten Pisse zu saufen und Dreck zu fressen und macht sich selbst die Taschen voll. Lord Darwin täte gut daran, dem einen Riegel vorzuschieben, solange er noch kann. Einer wie Aleridge wird schnell zum Verräter, wenn es sich für ihn lohnt.“

Offenbar war seine Wahl wohl doch nicht die Beste gewesen, stellte Asgard fest. Doch nun war es zu spät, also hieb er selbst in die gleiche Kerbe wie seine neuen Kameraden und ließ an dem Lord kein gutes Haar. Er war froh, als sich die Themen schließlich um weniger verfängliche Dinge drehten. Schließlich war die Nachtwache vorbei und ihre Ablösung kam gerade rechtzeitig, um mit ihnen zusammen warmen brochan – ein Haferbrei so zäh, dass er am Gaumen klebte – als Frühstück zu verspeisen. Danach zogen sie sich in ihre Quartiere zurück und überließen den Neuankömmlingen die Stube.

„Hast du schon ein Quartier?“, fragte Milan.

Asgard presste kurz die Lippen aufeinander. Eine weitere heikle Frage. Es war unglaubwürdig zu sagen, dass er gestern erst angekommen sei. Dann hätte Milan ihn während der Wache sehen müssen. Aber er konnte auch nicht sagen, dass er bereits eine Kammer hatte. Wenn Milan ihn dort besuchen wollte, würde er ebenso zwangsläufig auffliegen.

„Ich bin ja erst ein paar Tage da und tue mich schwer, Kontakte zu knüpfen.“ Er lächelte gequält. „Darum hab ich erst mal im Stall geschlafen. Ich wusste nicht, wen ich fragen sollte und bei Aleridge hab ich auch eine Kammer über den Pferden gehabt.“

Seine Hoffnung, dass Milan nicht weiter fragen würde, erfüllte sich zum Glück. Mehr noch, der junge Mann bot ihm sogar an, seine Kammer mit ihm zu teilen. Es löste gemischte Gefühle in Asgard aus, doch das Lächeln des jungen Gregario war so herzlich und offen, dass sich seine Sorge schließlich verflüchtigte.

„Die meisten Soldaten teilen sich eine Kammer. Ich bewohne meine bisher allein. Ich könnte auch weiterhin bei meinen Eltern leben, aber mein Vater meint, zu einem richtigen Soldaten gehört auch, dass er in den Quartieren seiner Kameraden schläft.“

Jetzt dämmerte Asgard etwas. Hatte Lord Darwin am Abend der Hochzeit nicht mit einem Centurio gesprochen und dessen Sohn Milan gelobt? Was für eine Laune des Schicksals. Während er darüber grübelte, merkte er, dass Milan noch immer dastand und ihn fragend ansah, weil er auf eine Antwort wartete.

„Oh, ja, entschuldige, ich war gerade in Gedanken. Ja, es wäre schön, hier einen Freund und Kameraden zu haben. Das Stroh ist nicht sehr gemütlich. Aber nur, wenn es dir wirklich nichts ausmacht.“

Milan grinste breit. „Absolut nicht. Dann ist es nicht mehr so einsam. Mir fällt zuweilen fast die Decke auf den Kopf.“

Zusammen gingen sie an den Wirtschaftsräumen und der Küche vorbei zu den Quartieren der Garde. Milan blieb vor einer kleinen Kammer stehen. Die Tür war so niedrig, dass sich Asgard bücken musste, um einzutreten. Doch das Innere sah durchaus gemütlich aus. Zwei schmale Pritschenbetten, ein Schrank, ein Tisch mit drei Stühlen, seitlich ein Vorhang, der zu einem kleinen Abort führte. Ein regelrechter Luxus in dieser Zeit.

Auf einer Anrichte direkt neben der Tür stand ein Krug Wasser und eine Schale. Milan wusch sich Gesicht und Arme, Asgard tat es ihm gleich.

„Ich werde dir noch eine zweite Decke besorgen, es wird recht kalt hier drinnen, obwohl die Küche nicht so weit entfernt ist. Die hinteren Kammern sind ungemütlicher.“

„Ich komme schon klar“, gab Asgard zurück und zog sich die Stiefel aus. Er wollte in Ruhe nachdenken, wie es jetzt weitergehen sollte und wie er möglichst wenig Gefahr lief, sich zu verraten. Daher hoffte er, wenn er sich sofort zum Schlafen niederlegte, würde Milan dasselbe tun und ihn mit Fragen vorerst verschonen.

Es tat ihm ein wenig leid, als er sah, wie der junge Mann, der ihn so freundlich aufgenommen hatte, verloren in der Mitte des Raumes stehen blieb. Sicher hatte er auf kurzweilige Gespräche gehofft, aber im Augenblick war Asgard das Risiko zu groß. Schließlich legte sich auch Milan nieder und bald darauf war es in der Kammer still. Nur der gleichmäßige Atem der beiden Männer war zu hören.

Asgard schloss die Augen und dachte an Livia. Hoffentlich fühlte sie sich nicht allzu verloren. Es war ihr bisher nichts passiert, das hätte er gespürt. Sein Versprechen, sie später aufzusuchen, konnte er nun nicht einlösen, denn Milan hätte es sicher bemerkt, wenn er sich aus der Kammer schleichen wollte. Und was sollte er dann als Grund nennen?

Vielleicht am Nachmittag. Es würde sich schon eine Möglichkeit finden, sich für einige Stunden zu entfernen. Ansonsten morgen. Mit diesen Gedanken ließ er sich in den Schlaf gleiten. Er brauchte seine Kräfte und einen wachen Verstand. Womöglich war dies die einzige Chance, die ihnen noch blieb. Sie durften kein weiteres Mal versagen.

 

 

„Ich denke, jetzt können wir es wagen. Das Wetter sollte nicht mehr schlechter werden und so weit ist der Ritt nach Drumrig Castle nicht.“

Seit sich Livia und Asgard getrennt hatten, waren nur vier Tage vergangen. Einmal hatte sie Asgard von Weitem gesehen, wie er mit anderen Häschern hinüber zur Wachstube ging. Offenbar hatte er sich einen Platz in der Garde erworben, was sicher nicht die schlechteste Idee war. Doch es zerrte an ihren Nerven, dass sie nicht mehr miteinander gesprochen hatten und sie beinah das Gefühl hatte, dass er ihr sogar aus dem Weg ging. Vielleicht zu ihrer beider Sicherheit, doch der leise Stich im Herzen blieb.

Santuin hatte sich in den letzten Tagen rührend um Livia gekümmert und war seit ihrer Begegnung nicht mehr von ihrer Seite gewichen. Es war ihr unangenehm. Vor allem Roga gegenüber, doch die Vampirin war die Freundlichkeit in Person und behandelte Livia bereits wie eine gute Freundin. Den ersten Abend hatte sie ihr Fragen über Amerika gestellt, was sehr anstrengend für Livia gewesen war, da sie sich immer wieder in Erinnerung rufen musste, nicht von Dingen zu sprechen, die es in dieser Zeit noch nicht geben durfte. Spät in der Nacht waren sie zu Bett gegangen und Livia bekam die Kammer direkt neben Roga. Sie war versucht gewesen, noch einmal nach draußen zu schleichen, um Asgard zu suchen, aber die Müdigkeit hatte sie schließlich überwältigt. Bei jedem Mann, der den großen Saal betrat, hatte sie gehofft und war jedes Mal enttäuscht worden. Auch am folgenden Morgen hatte sie ihren Geliebten nirgendwo entdecken können.

Zwei weitere Tage waren so verstrichen, bis sie Asgard am gestrigen Abend flüchtig bei seinen neuen Kameraden gesehen hatte. Aber ein Kontakt war dennoch nicht möglich gewesen. Sie konnte wohl kaum zur Wachstube gehen und um ein Gespräch unter vier Augen bitten.

Santuins Verkündung, in Kürze aufzubrechen, rief Unruhe in ihr hervor. Wie sollte sie Asgard finden oder er sie, wenn sie auf unterschiedlichen Burgen untergebracht waren? Außerdem schlich sich Sorge in ihr Herz, dass ihm etwas zustoßen könne und sie ihn womöglich nie wiedersehen würde. Was sollte dann aus ihr werden? Würde sie für immer in dieser Zeit festsitzen? Ohne Einfluss auf das, was sich in wenigen Monaten ereignete?

Sie durfte nicht zu sehr darüber nachgrübeln, sonst verlor sie noch den Verstand.

„Was für ein Pferd reitest du? Dann lasse ich es von einem der Stallknechte satteln.“

Livia zuckte unter Santuins Worten zusammen. Ein Pferd? Ein Pferd! Verflucht, daran hatte sie bis jetzt nicht gedacht. Es gab kein Pferd. Sie konnte auch nicht reiten. Aber zu Fuß konnte sie wohl kaum hierhergekommen sein. Sie musste Santuin wohl oder übel eine weitere Lüge präsentieren und beten, dass sie halbwegs glaubhaft war und er sie ihr abnahm. Zumindest die hochroten Wangen waren nicht gespielt. Sie hoffte, dass er darin nicht ihre Scham erkannte, sondern Verlegenheit.

„Ich … ich habe kein Pferd. Ich meine … ich hatte zwar eines, aber es gehörte mir nicht. Ein Händler hat mich vom Hafen aus mitgenommen und mir eines seiner Pferde geliehen. Aber er ist sofort weitergeritten, als ich hier um Unterschlupf bitten wollte.“

Die Geschichte klang sogar in ihren eigenen Ohren unglaubwürdig. Aber jetzt war es zu spät, sich etwas Besseres zu überlegen.

Santuin runzelte die Stirn, weshalb Livia schon damit rechnete, dass er fragte, ob sie ihn für dumm verkaufen wolle. Doch stattdessen wunderte er sich nur über den Händler.

„Der Kerl war wohl nicht recht bei Trost. Und seine Manieren halte ich ebenfalls für äußerst fragwürdig. Dich erst durch dieses Unwetter reiten zu lassen und dich dann mutterseelenallein hier abzusetzen. Hoffentlich hat ihm der Eisregen das Fell gegerbt. Ein Wahnsinn, in einem solchen Unwetter weiterzureiten. Und eine Schande, eine junge, hilflose Frau im Stich zu lassen.“

Livia hätte beinah aufgeseufzt vor Erleichterung, dass Santuin ihr ohne Zögern glaubte. Doch ein Problem blieb. Ohne Pferd würde es schwierig werden, nach Drumrig Castle zu gelangen. Zum Laufen war der Weg zu weit. Dann würden sie nicht vor Einbruch der Dunkelheit ankommen.

„Ich sehe mich im Stall nach einem geeigneten Pferd für dich um. Lord Darwin hat so viele Pferde, dass er sicherlich eines entbehren kann.“

Sie biss sich auf die Lippen. „Das ist sehr nett von dir, Santuin, aber ich fürchte, das geht nicht. Ich habe kein Geld mehr. Ich könnte es nicht bezahlen.“

Er lächelte sie nachsichtig an. „Aber Livia. Du gehörst zu meiner Familie. Und nach der Hochzeit sogar zu Darwins. Da wirst du sicherlich nicht zu Fuß laufen müssen, nur weil die lange Reise, die du auf dich genommen hast, deine Ersparnisse aufgezehrt hat.“

Santuin gab Livia keine Gelegenheit mehr für Gegenworte oder Einwände. Ihr wurde heiß und kalt. Sie würde sich bis auf die Knochen blamieren, wenn man sie zwang, sich auf ein Pferd zu setzen. Da sie das nicht sagen konnte, fehlten ihr jegliche Argumente dagegen.

Nachdem Santuin Roga von dem unmöglichen Händler und Livias Not erzählt hatte, stand für Lord Darwins Tochter sofort fest, dass Livia eines ihrer Pferde als Geschenk annehmen musste. Auch das kleinlaute Geständnis, dass sie keine allzu geübte Reiterin sei, änderte daran nichts. Im Gegenteil, Roga beruhigte Livia, dass sie gewiss ein ruhiges, braves Pferd für sie finden würden. Sie nahm Livia bei der Hand, hakte sich bei Santuin unter und zu dritt suchten sie in den Stallungen von Sacre Nuit nach einem geeigneten Reittier.

Wenn es nach Livia gegangen wäre, hätte es eines der Ponys getan. Da kam der Fall wenigstens nicht allzu tief. Doch Roga riet ihr davon ab, da die Ponys stur und oft schwierig im Charakter seien. Livia brauche ein Pferd, auf das sie sich verlassen könne, das auf seine Reiterin achtete und gleichzeitig selbstständig genug war, um deren Schwächen auszugleichen. Schließlich hielten sie vor einer Box, in der ein mächtiger brauner Wallach stand.

„Das ist Aldir“, sagte Roga, drehte sich lächelnd zu Livia um und wies voller Stolz auf das riesige Tier.

Livia schluckte und machte große Augen vor Ehrfurcht. „Ich … wie soll ich da hochkommen?“

Roga lachte. Ein kameradschaftliches Lachen. „Keine Sorge, wir bekommen dich schon hinauf. Die Hauptsache ist, dass Aldir eine Seele von Pferd ist. Er wird keinen falschen Schritt machen und dich mit all seiner Kraft schützen, wenn es nötig wird. Er ist ein guter Bursche.“

Sie schob den Riegel vor der Box beiseite und öffnete die Tür. Unvermittelt machte Livia einen Schritt zurück. Das Tier war ihr nicht geheuer.

„Keine Angst“, sagte Roga mit sanfter Stimme und hielt Aldir ihre Hand hin, damit er daran schnuppern konnte. Das Pferd gab ein tiefes Brummeln von sich und stupste Roga mit seinen weichen Nüstern an. Als sie ihm über die dichte schwarze Mähne strich, senkte er den Kopf und schloss halb die Augen.

„Komm, streichle ihn, damit er dich kennenlernen kann.“

Livias Hilfe suchender Blick zu Santuin wurde nur mit einem ermutigenden Nicken beantwortet. Zögernd trat sie näher an den Wallach heran, der daraufhin seine Nase vorreckte, die Ohren aufstellte und sie aufmerksam betrachtete.

„Ich glaube, er mag dich“, meinte Roga. In ihrem Blick war so viel Liebe, dass sich Livia fragte, ob die Vampirbaroness ihr eines ihrer Lieblingspferde zum Geschenk machte. Ihre Kehle wurde eng vor Verlegenheit. Sie fühlte sich schuldiger denn je für ihre Taten als Jägerin.

 

Eine gute Stunde später brachen sie bereits auf. Noch immer hatte sie nicht das leiseste Zeichen von Asgard erhalten.

Roga half ihr in den Sattel und erklärte ihr, wie sie am leichtesten mit Aldir zurechtkommen würde. Livia nahm ihre Worte nur unbewusst wahr. Die innere Unruhe, die sie quälte, war zu stark. Immer wieder wanderte ihr Blick unstet über den Hof und an den Burgmauern empor, ob sie Asgard irgendwo entdecken konnte. Vergeblich.

Der Wallach spürte die Anspannung seiner Reiterin und tänzelte einige Schritte zur Seite. Sofort griff Livia reflexartig in die Zügel, aber Roga beruhigte sie.

„Das ist nicht nötig. Er wird dir keine Schwierigkeiten machen. Sei einfach entspannt. Aldir spürt deine Unerfahrenheit. Er wird alles richtig machen. Wenn du ihm vertraust, wird alles gut gehen.“

Sie lächelte Livia ermutigend zu.

„Wenn du das sagst.“ Ihr Lächeln fiel gequält aus.

Viel mehr Zeit zum Überlegen blieb ihr ohnehin nicht, denn schon gab einer der Lykaner-Soldaten das Zeichen zum Aufbruch.

Santuin deute Livia, vor ihm herzureiten. „Ich passe auf dich auf. Hab keine Angst.“

Er beugte sich noch einmal zu Roga hinab und gab ihr einen flüchtigen Kuss, dann reihte er sich hinter Livia ein und sie verließen die Sicherheit der Burgmauern.

Oh Asgard, wo steckst du nur?, dachte Livia und hoffte inständig, dass er ihre Gedanken vernahm.

 

 

Trennung

 

Asgard hatte am Turmfenster gestanden und ihnen nachgesehen, wie sie durch das Tor verschwanden. Es versetzte seinem Herzen einen Stich, Livia mit Santuin davonreiten zu sehen, obwohl er wusste, dass dies die beste Lösung war und Murdock auch dazu geraten hatte, Livia auf die andere Seite des Tales in die Burg der MacFists zu bringen. Dort konnte sie sich frei bewegen und kam leicht an Informationen. Er hingegen fiel hier auf Sacre Nuit am wenigsten auf. Sie hatten ein knappes halbes Jahr Zeit, um das Vertrauen von Santuin, Roga und deren engstem Kreis zu gewinnen und der Intrige auf die Spur zu kommen, die zu dem Unglück führen würde. Er hoffte, dass Livias Angst nicht zu groß war. Dass die Gegenwart ihrer eigenen Art ihr Kraft und Mut schenken würde. Von Zeit zu Zeit würde er Vorwände finden, um ebenfalls auf die andere Seite des Tals zu reiten und mit ihr zu sprechen. In den vier Tagen, seit sie hier angekommen waren, war ihm dies leider nicht gelungen.

Seine neue Stellung vereinnahmte ihn stark. Meist wurden er und Milan zur Nachtwache eingeteilt. In den frühen Morgenstunden krochen sie dann nach dem üblichen Frühstück müde in ihre Betten und standen erst gegen Mittag wieder auf.

Asgard hatte noch nie in seinem Leben so viel Schlaf gebraucht. Vermutlich, so gestand er sich ein, lag das auch am Alkohol, der in rauen Mengen floss und den er nicht gewohnt war. Darüber hinaus verspürte er eine vertraute Schwäche. Es wurde Zeit, zu trinken. Er musste auf die Jagd. Aber irgendwie wurde er Milan kaum länger als ein paar Minuten los. Der junge Mann schien einen Narren an ihm gefressen zu haben, warum auch immer. Sie verstanden sich gut, keine Frage, doch auch er war einer der Gründe, warum Asgard nicht mehr mit Livia hatte sprechen können, und nun war sie fort. Der Himmel wusste, wann er die Gelegenheit bekam, sie wiederzusehen.

„Asgard?“ Milans Stimme schallte den Gang hinunter. Stöhnend schloss Asgard die Augen. Jetzt nicht. Er hatte keinen Nerv für seinen neuen Freund. In seinem Kopf schwirrten tausend Gedanken, seit Livia seinen Blicken entschwunden war. Er brauchte Zeit für sich – und Ruhe.

Auch wenn es wenig kameradschaftlich war, antwortete Asgard Milan nicht. Stattdessen schlich er sich lautlos nach draußen. Vielleicht konnte er die Burg unbemerkt verlassen und seinen Durst stillen. Oder einfach irgendwo ein stilles Örtchen suchen, um in sich zu gehen. Dass er Milan auswich, hatte nichts mit dem Schuss auf Livia zu tun, obwohl er anfangs noch darüber nachgedacht hatte. Doch zwischen seinem Kameraden und dem Centurio, der die Waffe abfeuerte, lagen Welten – und ein Ereignis, das zu verhindern ihn hierhergeführt hatte. Er konnte ihm das nicht vorwerfen – und er tat es auch nicht.

Im Innenhof herrschte wie immer reges Treiben. Jetzt, wo der Wintersturm vorübergezogen war und das Wetter einige Tage Sonnenschein versprach, drängten sich hier Bauern und Händler, um ihre Waren feilzubieten. Neben den Gerüchen von sauer eingelegtem Gemüse und geräuchertem Fleisch, von Lederwaren und dem Metall der Schwerter vernahm Asgard überdeutlich den Blutduft der Menschen, die sich hier tummelten. Er musste hier raus. Es erschien ihm unvorstellbar, innerhalb der Burgmauern zu jagen, obwohl er nicht zu sagen vermochte, ob man dies als normal ansehen würde oder nicht.

Seltsamerweise konnte er nahezu keine Hybriden entdecken. Zwei oder drei waren ihm vereinzelt aufgefallen. Aber bei Weitem nicht die Menge, die sich in seiner Zeit hier tummeln würde.

Wie konnte das sein? Wandelte sich das Verhalten, die Regeln der Vampire, derart schnell? In nur hundert Jahren würde eine andere Mentalität herrschen – gegenüber den Lykanern ebenso wie gegenüber den Menschen. Selbst bei den Vampiren untereinander.

Asgard wurde sich in diesem Moment bewusst, dass er keine Ahnung hatte, welche Regeln hier galten. Wie die Versorgung mit Blut sichergestellt wurde, das sie zum Überleben brauchten. Wie viel die Menschen überhaupt wussten, über die Natur des vampirischen und lykanischen Adels. Er verfluchte sich im Stillen. All dies hätte er wissen müssen. Als Sucher dürfte er eine solche Wissenslücke nicht haben. Doch dies hatte für Lord Darwin keine Rolle gespielt. Solche Schriften waren den Suchern nicht zum Studium gereicht worden. Wie sehr doch der Wille und die Besessenheit eines Einzelnen Einfluss darauf haben konnten, was andere erfuhren oder nicht.

Es half nichts, wenn er keine Fehler machen wollte, musste er sich ein sehr genaues Bild davon machen, wie er sich zu verhalten hatte, und zunächst äußerst vorsichtig vorgehen, wenn er seinen Hunger stillte.

Auf den ersten Blick lebten die Vampire auf Sacre Nuit ein völlig normales Leben und waren von Menschen nicht zu unterscheiden. Sie aßen, tranken, schliefen, sie gingen ihrer Arbeit nach, pflegten Kontakte und unterhielten sowohl freundschaftliche wie auch sinnliche Beziehungen. Dennoch waren sie anders. Alterten kaum, besaßen körperliche und geistige Kräfte, die für einen Menschen schier unvorstellbar waren. Konnten die Menschen das tatsächlich übersehen?

„Sie wissen nichts“, erklang eine sanfte Stimme hinter ihm. Er drehte sich um und wäre beinah vor Schreck zurückgewichen. Vor ihm stand Roga. „Du hast seltsame Gedanken, Gregario.“ Er hörte ihre Stimme, doch ihre Lippen bewegten sich kaum. Sie wollte nicht, dass irgendjemand ihrem Gespräch lauschen konnte. „Warum haderst du damit, dass sie unwissend sind? Es ist nicht ihr Schaden, es ist zu ihrem Schutz. Sie könnten es nicht begreifen. Es würde sie ängstigen. Doch wozu? Unter unserer Obhut geschieht ihnen kein Leid. Es geht ihnen gut. Wir sind streng aber gerecht. Und wenn wir trinken, dann im Verborgenen und nur so wenig, dass es für den Spender keinerlei Bedeutung hat.

Sie trat langsam an seine Seite und blickte ebenfalls über die Vampire und Menschen im Hof. „Wir nähren sie, ohne dass sie es bemerken. Das gibt ihnen Kraft. So können sie ihre harte Arbeit besser verrichten, was auch uns zum Vorteil gereicht. Jeder gewinnt bei diesem Arrangement. Es gibt keinen Grund, daran etwas zu ändern oder mehr preiszugeben.“

„Was ist mit den Hybriden? Ich sehe sie leiden. Und sie verstehen es nicht.“

Rogas Blick war aufmerksam, aber gleichzeitig seltsam kühl. „Sie sind ein Versehen. Etwas, das selten geschieht, obwohl es eigentlich nicht geschehen sollte. Eine Laune der Natur. Wir kümmern uns um sie. Sie sind unsere Fehler und wir lassen sie nicht im Stich. Aber mehr können wir nicht tun und dafür besteht auch kein Grund. Ich verstehe, dass du Mitleid mit ihnen hast, doch andere Menschenkinder können ebenfalls mit einem Leiden zur Welt kommen. Nicht nur die Mischlinge. Es ist ihr Schicksal. Manch eine Seele bekommt ihre Prüfung in diesem Leben. Die Gründe dafür kennt Gott allein.“

Sie wandte ihm ihr Gesicht zu und sah ihn lange an. Asgard schluckte. Er fühlte Angst, dass sie in seinen Gedanken las. Dass sie bereits alles gesehen hatte, was ihm in den letzten Minuten durch den Kopf gegangen war. Wie würde sie darüber denken? Was würde sie tun?

Es vergingen quälende Sekunden, in denen er um die Antwort auf diese Fragen bangte, noch mehr aber darum, weiter im Ungewissen zu bleiben. Fast hätte er erleichtert aufgeatmet, als sie lauter sagte: „Du musst noch sehr jung sein, so unerfahren, wie du bist. Aber es gibt keinen besseren Ort, zu lernen, als hier.“

Ihr Lächeln war echt. Die Röte ihrer Wangen mochte nicht allein von der Kälte herrühren.

„Ich bin bereit. Wenn Ihr mich lehren wollt, werde ich ein offenes Gefäß sein, in das Ihr Euer Wissen ausgießen könnt.“

Es war vermessen, was er da sagte, doch die Worte waren bereits gesprochen, ehe er sich darüber im Klaren war. Zu seinem Glück belustigte es Roga lediglich; sie nahm es ihm nicht übel.

„Asgard!“

Rogas Kopf ruckte bei dem Ruf herum. Asgard brauchte nur den Blick zu heben, um den Urheber zu entdecken. Milan kam winkend und über das ganze Gesicht strahlend auf sie zu. Offenbar war er froh, ihn endlich gefunden zu haben. Obwohl er Milan mochte und seine Freundlichkeit schätzte, fand Asgard ihn gerade jetzt besonders störend. Mehr noch als vorhin, wo er praktisch vor ihm geflohen war.

„Hier bist du. Ich habe dich schon überall gesucht. Ich dachte fast, du hättest dich in Luft aufgelöst.“

„Wie schade, dass das nicht geht“, murmelte Asgard kaum hörbar.

Neben sich hörte er Roga kichern, kam aber nicht mehr dazu, sie zu fragen, was so lustig sei. Er hoffte nur, sie hatte seine Worte nicht gehört. Milan erreichte sie und machte eine weitere Unterhaltung unmöglich. Als der junge Gregario jedoch erkannte, mit wem Asgard gesprochen hatte, wurde er puterrot im Gesicht und geriet ins Stottern.

„Oh … ich … ich hatte nicht gesehen … ich meine … Lady Roga … verzeiht … ich … seid gegrüßt, Mylady.“

So unsicher hatte Asgard seinen Zimmerkameraden noch nie erlebt, was ihn aber nicht weiter wunderte. Im Grunde war eher sein eigenes Verhalten ungewöhnlich, indem er mit Roga – der Tochter ihres höchsten Lords – sprach, als seien sie einander ebenbürtig. Doch genau das empfand er. Er fühlte sich Roga nah, ihr verbunden. Vielleicht, weil er so oft in Santuins Haut geschlüpft war, wenn er in dessen Aufzeichnungen las, und ein Teil seines Herzens mit dem Lykanerprinzen fühlte.

„Es tut mir leid, aber du wirst einige Stunden auf deinen Freund verzichten müssen, Gregario“, erklärte Roga frei heraus und überraschte damit Asgard nicht minder als Milan. „Ich habe ihn gerade darum gebeten, mich auf einen Ausritt zu begleiten. Als Beschützer.“

Ungläubig und mit offenem Mund starrte Milan zwischen den beiden hin und her. Asgard überkam das ungute Gefühl, dass es mehr als ungewöhnlich war, wenn ein Gregario spontan zur Leibgarde der Baroness erhoben wurde. Aber es wäre wohl ein noch größerer und vor allem unverzeihlicher Fehler gewesen, diese Ehre abzulehnen.

Verlegen trat Asgard von einem Fuß auf den anderen. Er wusste nicht, was er sagen sollte, weder zu Roga noch zu Milan. Zumindest dem ging es ähnlich. Roga hingegen schien regelrecht Spaß daran zu haben, dass es den beiden jungen Gardisten die Sprache verschlug.

„Nun komm schon. Wenn wir uns beeilen, können wir Prinz Santuin vom Hügel aus noch sehen. Ich möchte meinem Verlobten gern zum Abschied winken.“

Sie fasste Asgard an der Hand und zog ihn mit sich fort. Milan blieb verdattert zurück. Entschuldigend zuckte Asgard die Achseln und stolperte hinter der lachenden Roga her.

Im Stall war es dämmrig. Leises Schnauben erklang aus den Boxen. Im hinteren Bereich waren zwei Burschen damit beschäftigt, die Boxen zu säubern. Der Stallmeister kam aus der Futterkammer und schob eine Karre mit Hafer vor sich her, um die Pferde zu füttern. Als er die Baroness erblickte, stutzte er.

„Alec, sattle bitte Brega für mich und für meine Leibgarde Usar.“

Der Mann nickte, musterte Asgard kurz skeptisch und raunte dann: „Aye, Mylady. Usar, ja?“

Rogas Grinsen hätte Asgard warnen sollen.

„Du kannst doch reiten, Gregario, oder?“, fragte sie herausfordernd.

„Aye!“, antwortete er gedehnt und hob fragend die Braue, ohne dass er eine Erklärung erhalten hätte.

Das ungute Gefühl in Asgards Bauch verstärkte sich noch, als der Stallmeister einen tänzelnden Apfelschimmel heranführte. Das Tier war sehr groß und massig und dabei sichtlich nervös. Für einen kurzen Moment hoffte Asgard noch, dass dies Rogas Pferd war, mit dem sie vermutlich auch bestens zurechtkam, doch da trat die Baroness bereits an eine andere Box heran und streichelte einer Fuchsstute über die Stirn.

„Na, mein Liebling. Es ist schon viel zu lange her, nicht wahr?“

Die Stute schnaubte leise und stieß ihre Nase gegen Rogas Schulter. Asgard schluckte. Also war der verrückte Schimmel tatsächlich für ihn gedacht. Warum tat die Baroness ihm das an?

Er war durchaus schon oft geritten, aber in den letzten Jahren nicht mehr. Und ein derart unruhiges Pferd hatte er noch nicht unter dem Sattel gehabt. Dennoch war er nicht bereit, die Wahl der Baroness infrage zu stellen oder sich herauszureden. Das ließ sein Stolz nicht zu. Er würde sich keine Blöße geben, und irgendwie war auch diesem Ross beizukommen. Vor allem aber wollte er nicht die Gelegenheit verpassen, herauszufinden, warum Roga ihn mit zu diesem Ausritt nahm. Sie schien irgendetwas zu bezwecken. Vielleicht war es ein Test. Vielleicht machte sie sich lediglich einen Spaß auf seine Kosten. Dann wollte er ihr gern beweisen, dass er sich nicht so leicht zum Hofnarren machen ließ.

Beim Satteln und Trensen benahm sich der Schimmel zumindest manierlich, was sicherlich auch daran lag, dass der alte Alec wusste, was er tat und wie er mit dem Burschen umzugehen hatte. Geduldig wartete der Graue an seinem Anbindeplatz, bis auch Rogas Stute Brega gesattelt und gezäumt in der Stallgasse stand. Die Ruhe vor dem Sturm.

„Komm. Wir müssen uns beeilen“, drängte Roga.

Sie sprang noch im Stall in den Sattel und trabte auf den Hof hinaus. Asgard nahm den schnaubenden Usar von dem Stallmeister entgegen und zweifelte mit einem Mal, ob er überhaupt in den Sattel kommen würde, geschweige denn, sich oben halten.

„Lass ihm nichts durchgehen. Er will nur sehen, wer der Herr ist. Wenn du ihn einmal im Griff hast, wird er sanft wie ein Lamm.“

Falls die Worte ihm Mut machen sollten, so musste Asgard Alec leider enttäuschen. Der Alte hielt den Hengst fest, bis sich Asgard in den Sattel gezogen hatte, doch kaum, dass er oben war, rannte der Schimmel schon nach draußen. Mit flauem Magen sah Asgard, dass Roga das Tor bereits hatte öffnen lassen und vor seinen Augen hinausgaloppierte. Das blieb auch Usar nicht verborgen. Er richtete sich auf die Hinterbeine auf und schoss im nächsten Moment hinter Brega und Roga her, als wäre der Teufel hinter ihm her. Sein Glück, dass Asgard damit gerechnet hatte.

„So viel also dazu, dir zu zeigen, wer der Herr ist“, raunte er und musste sich beherrschen, die Beine nicht fest gegen den Pferdeleib zu drücken. Auch wenn ihm das mehr Halt gegeben hätte, wäre es für diesen Dämon von einem Pferd sicher nur weiterer Antrieb gewesen.

Er packte die Zügel fester, lehnte sich weit über den Pferdehals und ließ den Schimmel erst einmal rennen.

Dann kühle dein Gemüt, sprach er ihm gedanklich zu. Wer weiß, wie lange man dich schon eingesperrt und deinen Freiheitsdrang unterdrückt hat.

Das Tier nahm seine Worte für bare Münze und legte noch an Tempo zu. Der Versuch, seinen Reiter loszuwerden, blieb aus. Statt an den Zügeln zu reißen, versuchte Asgard mit einigen gälischen Worten, die er sich von einem Schmied angeeignet hatte, Usars Temperament unter Kontrolle zu bekommen.

Roga war indes bereits ein beachtliches Stück vor ihnen, eine Wolke aus Eis und Schnee hinter sich aufwirbelnd. Sie ritt nicht auf den Wald zu, sondern Richtung Berge. Gefährliches Terrain. Ein falscher Schritt und ein Pferd stürzte mitsamt seinem Reiter in den Abgrund. Von der Gebirgskuppe aus konnte man in ein kleines Tal blicken, das die Schar um Santuin passieren würde, sobald sie aus dem Wald herausritten. Asgard hoffte inständig, dass Roga ihr Tempo drosselte, sobald sie felsiges Gebiet erreichten. Er wusste nicht, ob er seinen Schimmel über dieses schwierige Gelände lenken konnte. Auf jeden Fall konnte er dort nicht ausdiskutieren, wer das Sagen hatte. Der Boden würde viel zu tückisch und rutschig sein. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als diese Sache hier und jetzt zu klären. Schluss mit der Geduld.

Er traf die Entscheidung aus der Verzweiflung heraus, unsicher, ob es ihm wirklich gelingen würde, da dieses Pferd offenbar nicht mit ihm kommunizieren wollte. Entschlossen brachte er sein Gewicht in den Sattel und nahm die Zügel an.

„Hooooah!“, rief er energisch.

Usar war absolut nicht einverstanden damit, stehen zu bleiben, wenn das andere Pferd wie von Furien gehetzt über die Ebene preschte. Er versuchte dagegenzuhalten, woraufhin Asgard ihn noch härter zügelte. Der Hengst kam in einem Wirbel aus Eiskristallen zum Stehen, als er die Hufe in den Boden rammte, begehrte ein letztes Mal gegen die Hand seines Reiters auf, indem er sich auf die Hinterbeine stellte. Trotz klopfendem Herzen ließ sich Asgard davon nicht beeindrucken und gab nicht nach. Nachdem das Tier schnaubend und tänzelnd zumindest an Ort und Stelle blieb, lenkte Asgard es einige Male im Kreis, und raunte weiter die gälischen Zauberworte des Schmiedes, deren Bedeutung er nur im Groben verstand. Sie zeigten Wirkung. Usar machte einige kraftvolle Schritte vorwärts, bei denen er seine Hufe tief in den weichen Pulverschnee hieb. Sein Atem malte Nebelwolken in die Landschaft.

„So ist es brav. Ich bin nicht dein Feind. Wenn du willst, verschaffe ich dir die Bewegung, die du haben willst und wir können gute Freunde werden.“

Der Schimmel nickte, als habe er verstanden, blieb aber weiter still. Nicht jedes Tier kommunizierte auf die gleiche Weise mit ihm. Sachmet hatte es auch nicht getan und ihn dennoch verstanden.

Als die Bilder der Hündin und ihres Opfertodes vor seinem inneren Auge vorbeizogen, drehte der Hengst seinen Kopf halb zu ihm um. Er verharrte regungslos, nur die Ohren zuckten. Asgard sah das Feuer in dem dunklen Auge – sanft und wild zugleich. Usar nickte langsam. Gleich darauf fühlte Asgard, wie die Anspannung aus seinen Muskeln wich und er unter ihm weich und nachgiebig wurde.

„Guter Junge“, lobte Asgard leise und klopfte dem Tier den Hals, ehe er es wieder antraben ließ. Er war so sehr auf sein Tun konzentriert, dass er nicht bemerkte, wie Roga am Fuß der Hügel anhielt und auf ihn wartete.

„Großartig. Ich hätte nicht gedacht, dass du ihn bezwingst“, begrüßte sie ihn, als er den zuvor noch störrischen Hengst neben ihr zügelte.

„Ihr wolltet wohl, dass ich mir den Hals breche“, gab er gespielt gekränkt zurück.

Er keuchte vor Anstrengung, wagte noch nicht, seine Wachsamkeit hinsichtlich des Schimmels schleifen zu lassen, auch wenn dieser nun in der Tat sanft wie ein Lamm schien.

„So schnell bricht man sich nicht den Hals. Aber Usar hat schon einige Reiter das Fürchten gelehrt. Für gewöhnlich kommt nur mein Vater mit ihm zurecht“, entgegnete sie mit verschmitztem Grinsen.

Nun blieb Asgard der Mund offen stehen. „Wollt Ihr damit sagen, ich reite gerade das Pferd von Lord Darwin.“

Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend über sein schockiertes Gesicht.

„Keine Sorge. Er wird dich dafür nicht zur Rechenschaft ziehen. Schließlich habe ich befohlen, ihn zu satteln.“

Ohne ein weiteres Wort trieb sie ihre Stute den Berg hinauf. Asgard folgte sprachlos. Soviel dazu, dass er dem Hengst versprochen hatte, ihm Bewegung zu verschaffen. Der Lord wäre sicher nicht erbaut darüber, wenn ein einfacher Gregario sein wertvolles Reittier über Feld und Wiese rennen ließ.

Im Augenblick hatte er andere Sorgen. Loses Geröll, vereiste Flächen und von Schnee bedeckte Unebenheiten machten das Vorankommen mühsam. Einige Male rutschten die Pferde wieder mehrere Meter in die Tiefe, doch alle Ermahnungen, bei diesen Witterungsverhältnissen lieber auf den Gruß an den Liebsten zu verzichten, fruchteten bei Roga nicht. Da war Usar nachgiebiger als dieses sture Weib. Stattdessen zog sie Asgard auf, dass es ihm an Courage fehle.

„Wenn Ihr Euch den Hals brecht, wird mir Euer Vater den meinen brechen“, gab er zu bedenken.

„Und wenn wir nicht rechtzeitig oben ankommen, um Santuin zu sehen, werde ich dich mit der Reitpeitsche strafen.“

Ihre Entschlossenheit war nicht zu übertreffen. Es blieb ihm keine Wahl. Insgeheim bewunderte er ihren Mut und ihre Unbeschwertheit.

Dennoch war er erleichtert, als sie endlich oben ankamen und Roga aus dem Sattel sprang. Asgard verzichtete darauf, abzusteigen. Er war sich nicht sicher, ob dieser graue Teufel ihn noch einmal aufsitzen ließ. Bis sie endgültig Freundschaft schlossen, waren noch ein paar Ritte nötig. Roga ging gefährlich nahe an den Rand der Hügelkuppe. Bevor er ihr eine Warnung zurufen konnte, winkte sie bereits ab.

„Ich mache das nicht zum ersten Mal. Sei unbesorgt. Ich weiß genau, wie weit ich gehen kann. Ich kenne hier jeden Stein.“

Ihre Augen leuchteten, während sie zum Waldrand blickte.

„Euch ist schon bewusst, dass Steine zuweilen die Angewohnheit haben, ihren Platz zu wechseln?“

Sie antwortete nicht.

Der Wind war eisig und zerrte an seiner Kleidung.

Wäre er auf diesen Ausritt vorbereitet gewesen, hätte er einen wärmenden Umhang übergeworfen. Allerdings trug auch die Baroness keine wärmere Kleidung als er und ihr schien die Kälte nichts auszumachen.

„Ihr nehmt sehr viel auf Euch, nur um Eurem Liebsten noch einmal zu winken.“

„Santuin ist es wert. Seit ich wieder auf Sacre Nuit lebe, habe ich es nicht einmal versäumt, ihm einen letzten Gruß zu schenken, wenn er den Wald verlässt.“

Ihr Lächeln war verträumt und Asgard konnte die aufrichtige Liebe in ihren Augen lesen. Erwartungsvoll stand sie da und blickte in die Ferne. Auch er sah nach unten zum Waldrand. Dabei verschleierten immer wieder Tränen seinen Blick, weil die Kälte ihm in den Augen schmerzte. Endlich tauchten die ersten Reiter zwischen den Bäumen auf. Vier ritten vorweg, ehe Santuins Rappe die schneebedeckte Ebene betrat. An seiner Seite Livia. Asgards Herz übersprang einen Schlag. Sie wirkte so anmutig auf ihrem Braunen, fast als wäre sie selbst eine Adlige. Entweder spielte sie ihre Rolle gut, oder sie besaß einfach diese Erhabenheit, ohne sich darüber im Klaren zu sein. In ihrer Welt war das nicht so recht zum Ausdruck gekommen. Aber hier, unter diesen Bedingungen, war sie für Asgard die wahre Prinzessin.

Santuin drehte den Kopf in ihre Richtung und hob die Hand zum Gruß. Roga winkte zurück und warf ihm eine Kusshand zu. Sie strahlte über das ganze Gesicht. Zu gern hätte Asgard auch Livia gewunken, wagte es jedoch nicht. Wie hätte er das erklären sollen? Einige Minuten dauerte es, dann war der Tross hinter einer Biegung ihren Blicken entschwunden.

„So, jetzt können wir zurückreiten. Und keine Angst, auf dem Rückweg haben wir Zeit.“

Behände sprang sie wieder auf den Rücken ihrer Stute und lenkte das Tier einen schmalen Pfad seitlich des Hügels hinunter. Asgard folgte seinem Verlauf und sah, dass sie auch auf diesem Pfad den Berg hätten erklimmen können. Es wäre wesentlich sicherer gewesen. Doch es hätte auch länger gedauert und vermutlich hätten sie dann Santuin und sein Gefolge verpasst.

„Was sagen denn Eure Eltern dazu, dass Ihr Euer Leben riskiert, um Eurem Verlobten einen Gruß vom Hügel hinabzuschicken?“

Roga zuckte gleichgültig die Achseln. „Sie wissen es nicht. Sie denken, ich reite aus, mehr nicht. Wenn meine Mutter ahnen würde, was ich treibe, würde sie einen Ohnmachtsanfall bekommen. Mein Vater würde vermutlich nur lachen und mich ein Teufelsweib nennen. Das hat er schon oft getan, weil ich mich so gar nicht wie die Baroness der Vampire benehmen will. Aber ich habe das Gefühl, er ist sehr stolz auf mich.“

Das dachte Asgard ebenfalls. Er erinnerte sich an Lord Darwins Gesichtsausdruck, als er ihm am Hochzeitsabend die Ehre zugewiesen hatte, Roga in den Festsaal zu bringen. Ein weiteres Mal konnte er nicht begreifen, wie aus diesem Mann solch ein kaltes, rachsüchtiges Wesen geworden war. Dem Wahnsinn verfallen. Wann war das geschehen? Am Abend der Hochzeit, als Roga vor seinen Augen starb? Oder kurz danach, als sich Lady Lätitia das Leben genommen hatte, weil sie den Verlust ihrer Tochter nicht verwand?

„Ah, es tut so gut, diesen Klostermauern endlich entkommen zu sein.“ Roga seufzte und lenkte seine Gedanken ins Hier und Jetzt zurück. Sie schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und gab sich den Bewegungen ihres Reittieres hin.

„Sacreu hat nicht den Ruf, ein Gefängnis zu sein. Und es gibt keine erstrebenswertere Schule für Töchter aus hohem Haus, als das Kloster.“

Sie sah ihn von der Seite an. „Ja, natürlich. Ich sage auch nicht, dass die Jahre dort schlecht waren. Aber ständig diese Regeln, die strenge Bewachung, das viele Beten.“

Vor allem Letzteres äußerte sie mit deutlichem Missfallen.

„Man scheint Euch auch mit allen Gebeten keine rechte Gottesfurcht gelehrt zu haben.“

Er sagte das mit mildem Spott. Hier draußen war niemand, der ihn für sein respektloses Verhalten rügen könnte. Sie würde es sicher nicht tun. Der Blick, den sie ihm von der Seite zuwarf, reizte ihn beinah noch, ihr unter die Nase zu reiben, dass auch die strenge Bewachung bei ihr mehr als einmal versagt hatte. Und dass sie der Zeit im Kloster wohl auch einiges hatte abgewinnen können, lag es doch unweit der Lykanerburg. Doch da er von ihren heimlichen Treffen mit Santuin nichts wissen durfte, verkniff er sich die Anspielung.

„Darf ich dich etwas fragen, Gregario?“

„Natürlich. Aber es wäre mir lieber, wenn Ihr mich Asgard nennen würdet und nicht ständig nur bei meinem Rang.“

Sie schmunzelte kurz, dann wurde sie wieder ernst. „Hast du schon einmal geliebt? So sehr, dass der andere dein Leben und dein Tod ist?“

Er biss sich auf die Lippen, weil er allzu gut nachfühlen konnte, was sie meinte. Er dachte an Livia. Die Sehnsucht nach ihr schwappte in einer schmerzvollen Woge über ihm zusammen, denn er würde sie nun für eine sehr lange Zeit nicht sehen.

Seine Kehle war eng, die Stimme rau, als er antwortete. „Ja, Mylady. Ich weiß genau, was Ihr meint und was Ihr fühlt.“

Darauf antwortete Roga nicht mehr. Schweigend ritten sie nach Sacre Nuit zurück.

 

 

Januar 1707, auf dem Weg nach Drumrig Castle

In ihrem ganzen Leben hatte Livia noch nie auf einem Pferd gesessen. Das mächtige Tier machte ihr Angst, seine kraftvollen Bewegungen unter ihr fühlten sich fremd an und verunsicherten sie in einer Weise, die ihr nicht gefiel. Dabei lief der Braune ruhig und brav neben Santuins Rappen und trug seine ungeübte Reiterin ohne Murren.

Es war kalt, doch nachdem sie eine Weile geritten waren, erwärmten sich Livias Muskeln durch die beständigen Bewegungen des Pferdes unter ihr und dessen warmen Leib. Es fiel ihr zusehends leichter, das Gleichgewicht zu halten und den Wallach durch Verlagerung ihres Gewichtes oder leichtes Anlegen ihrer Schenkel zu lenken. Reiten war nicht so schwer, wie sie befürchtet hatte.

Die Pferde stapften ruhig und sicher durch den kniehohen Schnee, ihr Atem stieg in weißen Wölkchen aus den Nüstern empor.

Über ihnen verzogen sich die Wolken zusehends und machten einem strahlend blauen Himmel Platz. Die Luft war rein, anders als in der stickigen Burg von Sacre Nuit. Und auch deutlich sauberer als sie es aus ihrer eigenen Zeit kannte. Livia spürte, wie sich in ihrem Herzen ein seltsamer Friede ausbreitete. Die drohende Gefahr des Krieges – beider Kriege – war weit fort. In diesem Moment, mit dem glitzernden Schnee zu Füßen, dem leuchtenden Azur über ihren Köpfen, den warmen Sonnenstrahlen auf der Haut und der belebend-klaren Luft in den Lungen fühlte sich Livia zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich daheim. Seltsam, war sie doch dem, was einem Zuhause nahekam, nie ferner gewesen als jetzt.

Gedankenverloren strich sie Aldir über den Hals. Der Braune quittierte dies mit einem sanften Schnauben, das ihr ein verträumtes Lächeln auf das Gesicht zauberte.

Santuin lenkte sein Pferd nah an Aldir heran und nickte Livia aufmunternd zu. „Du schlägst dich sehr tapfer. Aber zuhause reitest du nicht oft, oder?“

Ertappt biss sich Livia auf die Unterlippe und ihre gelöste Stimmung schwand in Sekundenschnelle dahin. „Ich … nein … wir … haben nicht genug Geld für ein Pferd“, log sie und hoffte, er fragte nicht weiter nach.

„Es tut mir leid, dass euer Leben drüben in der neuen Welt schwierig und von Entbehrungen geprägt ist. Wenn ich etwas tun kann, um dies zu lindern, so lass es mich bitte wissen. Auf deiner Heimreise wird für dich gesorgt sein, das verspreche ich dir.“

Heiße Röte schoss Livia in die Wangen. Santuin war so großzügig und freundlich zu ihr, obwohl sie sich kaum kannten. Und sie tischte ihm nichts als Lügen auf.

„Ich wusste gleich, als ich dich sah, dass du zu unserer Familie gehörst“, erklärte er und ließ im Vorbeireiten einige Zweige durch seine behandschuhten Finger gleiten. Schnee – glitzernd wie tausend Diamanten – rieselte zu Boden.

„Ja? Wa… warum?“, fragte Livia und blickte dem weißen Eiswirbel hinterher.

Santuins Augenzwinkern verunsicherte sie ebenso sehr wie seine Worte.

„Wenn wir auf Drumrig Castle ankommen, zeige ich es dir. Du wirst schon sehen.“

Sie näherten sich dem Ende des Waldes. Wenn sie den Schnee auf dem breiten Weg und zwischen den Bäumen schon als rein und märchenhaft bezeichnet hatte, wurde sie von dem strahlenden Weiß auf der weiten Ebene vor ihnen fast geblendet. Hier wurde das Weiterkommen schwieriger, da sich die weiße Pracht hoch auftürmte. An einigen Stellen reichten die Schneeverwehungen den Pferden bis zur Brust. Die Tiere schnaubten und arbeiteten sich kraftvoll durch die eisigen Massen. Plötzlich hob Santuin den Kopf und winkte jemandem, der auf der Spitze eines Berges zu ihrer Linken stand.

„Das ist Roga!“, erklärte er. „Diese verrückte, kleine Hexe. Jedes Mal, wenn ich nach Hause reite, jagt sie wie eine Wahnsinnige mit ihrer Stute den Berg hinauf, um mir noch einmal zu winken. Ich hätte gedacht, dass sie es zumindest bei diesem Wetter lassen würde. Das war sehr leichtsinnig und gefährlich. Aber ich liebe sie dafür.“

Er sagte das mit so viel Wärme in der Stimme, dass Livias Kehle eng wurde. Sie fühlte mit den beiden, und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sie zusammen alt werden durften.

„Ah, ich sehe, sie hat wenigstens jemand zu ihrem Schutz mitgenommen. Ich könnte fast glauben, ihren Vater, aber Darwin würde solch eine Narretei niemals dulden. Trotzdem sieht das Pferd ihres Begleiters seinem Hengst sehr ähnlich.“

Wenig später bogen sie um eine Kurve und ritten in einen weiteren Wald hinein. Von dem Berg und Roga war nichts mehr zu sehen.

„Wo habt ihr einander kennengelernt?“, fragte Livia, um das Gespräch weiterhin auf Santuin und Roga zu lenken. Irgendwo musste sie anfangen, Informationen zu sammeln.

Verlegen blickte Santuin auf den Hals seines Rappen. „Es war … recht unkonventionell“, gestand er. „Wir sind einander nicht vorgestellt worden, obwohl unsere Familien häufig Kontakt zueinander hatten. Aber das erste Mal sah ich Roga bei einem nächtlichen Ausflug. Einem verbotenen Ausflug. Für uns beide. Es war wohl Schicksal, dass wir einander begegnet sind. Und sie ist mir nie mehr aus dem Sinn gegangen.“ Sein Blick wurde verträumt.

Livia konzentrierte sich wieder auf das Reiten und überließ Santuin seinen Gedanken. In den nächsten Tagen gab es sicher mehr als genug Gelegenheiten, mit ihm zu reden.

 

 

Januar 1707, Drumrig Castle

Als sie einige Stunden später aus dem Wald herausritten, raubte der Anblick Livia für einen Moment den Atem. Die Burg der MacFists hatte nichts von der Düsternis Sacre Nuits an sich, obwohl sie bei ihrer Ankunft im Nebel lag, der sich in völligem Widerspruch zur Winterkälte wabernd ausbreitete. Das Gemäuer schmiegte sich tief in das Tal hinein, nackte Ranken wucherten am Gestein empor und auf der Spitze des höchsten Turmes flatterte die grüne Fahne mit dem Wappen – der Eule und dem Distelzweig.

Hatte man Burgen nicht eigentlich immer auf Hügeln gebaut, damit man sie gut verteidigen konnte? Ein eisiger Kloß bildete sich in ihrem Magen, als ihr der Gedanke kam, dass genau dieser Schwachpunkt vielleicht zum Untergang der Familie MacFist führen würde.

Bereits während sie sich näherten, wurde die Zugbrücke heruntergelassen. Jetzt erst erkannte Livia, dass die Burg von einem breiten Graben umgeben war. Diesen Schutz zumindest hatten sie, aber er würde ihnen nicht viel nutzen.

„Ah! Da ist mein Onkel.“ Santuin richtete sich in den Steigbügeln auf und winkte jemandem, der auf den Zinnen über der Brücke stand. Livia wandte ihren Blick dorthin und erstarrte. Die Unruhe, die augenblicklich in ihr aufstieg, übertrug sich sogar auf den bisher so ruhigen Aldir, sodass der Wallach scheute. Santuin griff in die Zügel und verhinderte, dass Livia abgeworfen wurde. Erschrocken klammerte sie sich am Sattel fest und brauchte einen Augenblick, um sich wieder zu fangen.

„Alles in Ordnung?“, fragte Santuin. In seiner Stimme klang echte Sorge mit.

„Ja. Ja, alles in Ordnung. Mir ist nur … schwindlig geworden, als ich nach oben geschaut habe.“

Er lächelte mitfühlend. „Du bist sicher erschöpft von der langen Reise. Die Überfahrt mit dem Schiff über das Meer muss schrecklich gewesen sein. Und dann der Ritt durch das Unwetter. Bei aller Liebe zu Roga muss ich auch sagen, dass Sacre Nuit nicht gerade dazu angetan ist, einem Erholung zu bescheren. Du wirst den Komfort von Drumrig Castle schätzen.“

Livia nickte fahrig. Ihre Lippen fühlten sich taub an und sie zitterte. Hoffentlich konnte sie bald von diesem riesigen Tier absteigen, denn im Augenblick fürchtete sie, nicht mehr lange die Kraft aufzubringen, um sich oben zu halten.

Die nächste Bewährungsprobe erwartete sie schon im Innenhof, denn Santuins Onkel war zu ihrer Begrüßung in den Burghof geeilt. Livia konnte ihm kaum ins Gesicht sehen. Fürst Cordova! Santuins Onkel! Herr der Lykaner in einer nicht allzu fernen Zukunft. In ihrem Kopf drehte sich alles.

Behände sprang der junge Lykanerprinz von seinem Rappen und umarmte seinen Onkel herzlich. Dieser klopfte ihm auf die Schulter und blickte dann neugierig zu Livia empor. Sie fühlte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich, obwohl sie in Cordovas Augen kein Anzeichen von Erkennen sah. Wie auch? Trotzdem wollte das Unbehagen nicht weichen.

Die nahezu schwarze Iris und das pechschwarze Haar, das in diesen Tagen noch nicht so viele graue Strähnen aufwies, ähnelten seinem Alter Ego aus der Zukunft zu sehr. Selbst der schmale Bart, der seine Lippen umrahmte, war derselbe.

„Wen hast du uns denn da mitgebracht, mein Neffe? Eine lykanische Schönheit. Du wirst dich doch in letzter Minute nicht noch anders entscheiden?“

Es war nicht ernst gemeint, doch Livia schluckte und leckte sich nervös über die Lippen. Santuin hingegen lachte über den Scherz seines Onkels und half seinem Gast vom Pferd.

„Onkel, darf ich dir Livia Duprés vorstellen? Sie ist eine entfernte Verwandte und hat die lange Reise von Amerika auf sich genommen, um dem denkwürdigen Ereignis meiner Vermählung mit Baroness Roga beizuwohnen. Unglaublich, nicht wahr? Ich wusste nicht einmal, dass unsere Familie Verwandte in Übersee hat.“

Fürst Cordova hob fasziniert eine Augenbraue. „In der Tat, Santuin. Das wusste ich auch nicht.“ Und an Livia gewandt. „Lady Livia, es ist mir eine Ehre, Eure Bekanntschaft zu machen.“

Er ergriff ihre Hand – das Leder seiner Handschuhe war weich aber kalt – und hauchte einen Kuss auf ihre Fingerknöchel. Es kostete Livia all ihre Selbstbeherrschung, ihm die Hand nicht augenblicklich zu entreißen.

Santuin hingegen schmunzelte. „Mein Onkel ist in Paris aufgewachsen“, erklärte er.

„Mit spanischen Wurzeln“, ergänzte Cordova sofort.

Ein spitzbübisches Grinsen umspielte die Lippen des Prinzen. „Ob am spanischen Hof oder in den Gärten von Versailles. Mein Onkel kennt das höfische Protokoll und ist noch immer stolz auf all die Manieren, die er dort gelernt hat. Und die wir wilden Highlander natürlich nicht verstehen.“

„Oh, das ist nur deine Meinung, Santuin. Dein Großvater wusste all diese Höflichkeiten sehr wohl zu schätzen und damit um die Gunst der Damen zu werben. Sonst wäre meine Mutter ihm sicher nicht so schnell verfallen.“

Sein Lächeln weckte in Livia Unbehagen. „Ihr müsst wissen, Lady Livia, Santuins Vater Ruthgar und ich sind lediglich Halbbrüder. Aber natürlich spielt das keine Rolle. Blut ist Blut. Und unsere Mutter, Gott habe sie selig, hat uns stets gleichbehandelt.“

„Was auch für meinen Großvater gilt“, erinnerte Santuin mit dem Hauch einer Warnung in der Stimme. „Er fiel im Krieg gegen Schottland. Seitdem führt mein Vater die Lykaner-Familien an“, ergänzte er an Livia gewandt.

Lag darin ein Motiv für Verrat, fragte sie sich. Weil sich Cordova, als der Ältere in der Erbfolge übergangen fühlte?

„Ich … ich würde mich gern ein wenig ausruhen“, bat sie, weil die Flut an Informationen und Emotionen, sie zu überrollen drohte.

„Natürlich. Entschuldige. Ich werde sofort veranlassen, dass ein Zimmer für dich hergerichtet wird“, versprach Santuin. „Sicher wirst du nach dem langen Ritt durch die Kälte ein heißes Bad zu schätzen wissen.“

„Ich kümmere mich darum“, bot sich Cordova an. „Dein Vater möchte dich umgehend nach deiner Ankunft sehen. Du solltest ihn nicht warten lassen. Unserem Gast wird es an nichts fehlen.“

Er reichte Livia galant seinen Arm, was sie trotz ihres inneren Widerwillens annahm, um kein Misstrauen zu wecken. Wenn Cordova ein falsches Spiel trieb, durfte er nicht denken, dass sie ihm misstraute, sonst verlor sie die Chance, dies herauszufinden.

Santuin küsste sie auf die Stirn. „Wir sehen uns beim Abendessen. Danach zeige ich dir, wovon ich heute Nachmittag sprach.“

Livia schlug das Herz bis zum Hals. Sie traute Fürst Cordova nicht über den Weg. Er war gerissen und ließ sich nicht so leicht hinters Licht führen. Das wusste sie noch allzu gut. Wenn er sie durchschaute, konnte es verdammt brenzlig für sie werden.

Gott, vor ein paar Tagen war ich noch fest davon überzeugt, dass Cordova nichts mit dem Verrat zu tun haben kann, dachte sie, aber jetzt …

Livias Instinkt reagierte völlig paradox. Sie fand keine Erklärung dafür. Vielleicht war es die Übermüdung, vielleicht ihre angespannten Nerven. Oder Asgards geäußerter Verdacht. Es spielte keine Rolle. Sie hatte im Augenblick keine andere Wahl, als sich hier der Situation und Cordova zu stellen. Egal, ob er etwas mit dem Ereignis während des Sommermondes zu tun hatte oder nicht. Egal, welche Erinnerungen sie mit ihm und seinen Jägerinnen-Rudeln verband.

Sie musste die Zeit hier nutzen und herausfinden, wer dem Bündnis wohlwollend entgegensah und wer mit Skepsis. Wer Santuins Entscheidung unterstützte und wer dagegen intervenierte. Vor allem aber auch, wie Santuin derart manipuliert wurde, dass er in Raserei verfiel und Roga angriff.

Wenn Cordova hinter all dem steckte, dann würde er die Sache selbst in die Hand nehmen. Das war das Einzige, dessen sie sich im Augenblick völlig sicher war. Er überließ nie etwas dem Zufall und vertraute nur wenigen. Vor allem gab er entscheidende Dinge nicht aus der Hand, sondern erledigte sie selbst. Das war immer so gewesen. Das würde auch hier in der Vergangenheit nicht anders sein.

Livia war Fürst Cordova das erste Mal begegnet, als man sie mit fünf Jahren ins Ausbildungslager brachte. Danach noch viele weitere Male, von denen sie einige aus ihrer Erinnerung gestrichen hatte. All diese Augenblicke lauerten in diesem Moment unter der Oberfläche. Sie durfte sie nicht an sich heranlassen.

 

 

Januar 1707, Sacre Nuit

„Du hast heute Mittag ja das große Los gezogen.“

Milan lag auf seiner Pritsche, als Asgard von dem Ausritt zurückkam. Er schenkte dem jungen Gregario nur einen kurzen Blick und holte dann frische – vor allem warme – Kleidung aus dem Schrank. Auf dem Rückweg hatten sie sich viel Zeit gelassen, so war ihm die Kälte tief in die Glieder gekrochen. Roga würde sich sicherlich in einem Zuber mit heißem Badewasser aufwärmen. Er hingegen durfte nicht auf diesen Luxus hoffen. Entsprechend mürrisch war er gerade, da wollte er nicht auch noch Milans Laune oder Neugier ertragen müssen.

„Ich weiß nicht, was du meinst. Ein Ritt durch diese Eiseskälte ist nicht gerade das, was ich mir wünschen würde, wenn ich die Wahl hätte. Beim nächsten Mal können wir gerne tauschen.“

„Na ja, aber eine Ehre ist es schon – vor allem für einen Gregario – der Tochter des Lords auf einem Ausritt Geleitschutz zu geben.“

„Wie gesagt, Ehre hin oder her, es war kalt, ich bin durchgefroren bis auf die Knochen und will jetzt nur noch aus der klammen, eisigen Kleidung raus, damit ich sie gegen wärmere tauschen kann. Danach versuche ich, die Köchin zu bezirzen, damit ich einen Teller heiße Suppe und am besten einen Krug heißen Wein bekomme. Es sei denn, du kannst mir einen Badezuber mit heißem Wasser besorgen, dann nehme ich ersatzweise auch gerne den.“

Betreten sah Milan zu Boden. Sofort taten Asgard die schroffen Worte leid.

„Findest … findest du sie … hübsch?“

Bei dieser Frage dämmerte es Asgard langsam und er hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, dass er darauf nicht gleich gekommen war. Dabei hatte es auf der Hand gelegen. Milans Nervosität, als er Roga heute Morgen erkannte. Sein perplexer Blick, weil sie Asgard um die Begleitung beim Ausritt bat. Und jetzt der leicht bittere Unterton in seiner Stimme, als er zurückkam, gleich gefolgt von der erneuten Unsicherheit bei der Frage, wie Asgard über die Baroness dachte. Natürlich! Milan schwärmte für Roga, war vielleicht sogar ein wenig verliebt. Wen wunderte es? Sie war wunderschön, gebildet, liebreizend – und geheimnisvoll, weil unerreichbar.

„Baroness Roga ist eine attraktive junge Dame“, gestand Asgard und legte Milan kameradschaftlich die Hand auf die Schulter. „Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass ihre Schönheit mich nicht berührt. Doch ich versichere dir, mein Herz ist bereits vergeben.“

Erleichterung und Freude malten sich auf Milans Gesicht ab, direkt gefolgt von beschämter Röte, weil Asgard ihn durchschaut hatte. Aber Asgard lachte freundschaftlich und gab Milan einen Knuff. „Es ist keine Schande, die schönste Frau der Burg zu lieben. Solange du nicht vergisst, dass sie einem anderen gehört, wird es auch nicht zum Problem.“

Eifrig nickte Milan. „Ja, das weiß ich. Und das ist auch in Ordnung. Ich würde nie so vermessen sein, zu denken, dass sie jemandem wie mir ihr Herz schenken könnte. Aber sie ist … sie ist einfach …“ Er seufzte nur liebestrunken, weil ihm kein Wort einfallen wollte, das ihrer gerecht wurde. Asgard verstand auch so. „Aye. Das ist sie. Und ich denke nicht, dass es der Rang ist, der für sie ausschlaggebend wäre. Es ist Liebe. Sie liebt Santuin wahrhaftig, daran gibt es keinen Zweifel. Ich habe es heute Nachmittag selbst gesehen. In ihren Augen, als sie ihm einen Abschiedgruß in die Ebene hinabgeschickt hat.

Jetzt war Milan sofort auf den Beinen. „Ihr wart auf dem Berg? Bei diesem Wetter? War das nicht zu gefährlich?“

Erneut musste Asgard lachen und schüttelte jetzt selbst den Kopf über diesen Leichtsinn. Er hätte sie wirklich davon abhalten müssen. Aber Roga konnte man wohl nicht von etwas abhalten, das sie sich in den Kopf gesetzt hatte.

„Es ist ja nichts passiert. Ich denke, die Baroness weiß genau, was sie tut. Auch wenn es zuweilen leichtsinnig ist.“

„Ja.“ Sofort kehrte der verträumte Blick in Milans Augen zurück.

„Ich bin sicher, dass sie irgendwann auch dich um Geleitschutz bittet“, versuchte er Milan zu trösten. „Oder wer weiß, vielleicht wird dir sogar die Ehre zuteil, sie in der Hochzeitsnacht von ihrem Gemach zur Kapelle und dann zur Trauungszeremonie zu führen.“

Er erinnerte sich daran, dass Lord Darwin mit Milans Vater gesprochen hatte, als die Männer kurz vor der Trauung aus dem Thronsaal gekommen waren. Es war purer Zufall gewesen, dass er beim letzten Mal vor ihnen gestanden und so mit dieser Aufgabe betraut worden war. Wenn der Tag gekommen war, würde er dafür sorgen, dass Milan an derselben Stelle stand. Er wusste, diesen Augenblick würde der Gregario für den Rest seines Lebens nicht vergessen. Sein Lächeln bei diesem Gedanken wurde sogleich von finsterer Sorge vertrieben. Hoffentlich blieb er Milan nicht als Anfang einer Tragödie in Erinnerung.

 

 

 

Geheimnisse

 

Januar 1707, Drumrig Castle

Fürst Cordova hatte Livia jeden nur erdenklichen Luxus zuteilwerden lassen. Es war ihr fast schon unangenehm, denn als sie gestehen musste, dass sie kaum Kleider besaß, außer den wenigen, die Roga ihr geschenkt hatte, ließ Cordova sofort einige Näherinnen kommen und holte Stoffbahnen heran. Er duldete keinen Widerspruch, als Livia höflich, aber beschämt ablehnen wollte.

„Unsinn. Diese Stoffe liegen seit Ewigkeiten nur herum. Es wird höchste Zeit, dass sie getragen werden. Sie werden Eure Schönheit unterstreichen und Ihr werdet ihnen erst den rechten Glanz verleihen.“

Auch ein Badezuber wurde herangeschafft, das heiße Wasser mit kostbaren Ölen und Kräutern versetzt und der „kleine Imbiss“, den er für sie in der Küche orderte, hätte vermutlich ihren gesamten Reisetrupp satt gemacht.

Als er sich von ihr verabschiedete und sie einem Dutzend Zofen, Näherinnen und Schneiderinnen überließ, fühlte sich Livia seltsam schuldig und Cordova auf eine Art verpflichtet, die ihr mehr als unangenehm war.

Sie wusste ihn nicht einzuordnen. Einerseits ähnelte er dem Cordova, den sie kannte, andererseits auch wieder nicht. Aber sie wurde den Eindruck nicht los, dass er ihr irgendwann eine Rechnung für diese Vergünstigungen präsentieren würde. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie diese gern begleichen würde. Obwohl man ihm seine Attraktivität und Ausstrahlung schwerlich absprechen konnte, schauderte es sie bei der Vorstellung, ihm gefällig sein zu müssen.

Nachdem die Näherinnen wieder fort waren, um eifrig zumindest eines der Kleider für den heutigen Abend fertigzustellen, schickte Livia auch die beiden Zofen hinaus, um einen Augenblick für sich zu sein. In ihrem Kopf drehte sich alles. Sie wollte allein sein, zur Ruhe kommen und die Eindrücke, die sie hier auf Drumrig Castle regelrecht überrollt hatten, verarbeiten.

Sie streifte ihre Reisekleidung ab und glitt mit einem seligen Seufzen in die heißen Fluten des Badewassers. Sofort spürte sie, wie sich ihre Muskeln entspannten. Der lange Ritt hatte ihr doch mehr zugesetzt, als sie gedacht hatte. Die Kälte war eine zusätzliche Strapaze gewesen.

Livias Gedanken schweiften ab, während sie sich träge der schwerelosen Wärme hingab und den sinnlich-süßen Duft atmete, der mit dem Dampf aufstieg und sie einnebelte. Es fiel ihr immer noch schwer, zu begreifen, dass sie dreihundert Jahre in die Vergangenheit gereist war. Aber andererseits gab es hier Dinge, die ihr vertraut erschienen und die sie jetzt schon bedauerte, wieder aufgeben zu müssen, wenn sie in ihre Zeit zurückkehrte. Falls sie zurückkehrten.

Sie vermisste den Lärm und den Gestank der Abgase kein bisschen. Auch die elektronischen Errungenschaften der modernen Welt fehlten ihr nicht. Kein Summen in der Luft, das man aus Gewohnheit kaum mehr wahrnahm. Erst hier war ihr aufgefallen, wie wohltuend Stille sein konnte – oder die schlichten Geräusche der Natur.

Die Unsicherheit, die sie anfangs noch verspürt hatte, war an Santuins Seite einer ruhigen Zuversicht gewichen. Sie mochte den Lykanerprinzen sehr und wünschte sich, dass er glücklich werden durfte.

Santuins Eltern hatte sie bisher noch nicht gesehen. Dabei fiel ihr auf, dass auch bei der Hochzeit nur sein Vater und Cordova in Erscheinung getreten waren. Allerdings hatte Livia an diesem Abend auch kaum auf etwas geachtet. Zu sehr hatten sie ihre Ängste und ihre Unsicherheit überrollt. Vielleicht, wenn ich da schon konzentrierter gewesen wäre, hätte ich das Unglück verhindern können, schoss es ihr durch den Kopf.

Es blieben noch einige Monate, bis der Tag wiederkehren würde. Zeit genug also, herauszufinden, was zu diesem schrecklichen Ereignis führte und wer seine Finger dabei im Spiel hatte. Cordova war einer derjenigen, die sie im Auge behalten musste. Nach aller Aufmerksamkeit, die er ihr heute angedeihen ließ, durfte das ihr geringstes Problem sein. Wer kam noch infrage? Santuins Eltern? Freunde? Weitere Vertraute? Gab es einen Leibarzt der Familie, oder wie man das hier nannte? Oder einfach jemanden, der mit den Engländern sympathisierte und die große Allianz verhindern wollte? Derjenige musste dann aber auf jeden Fall auch über die Natur der Lykaner und Vampire Bescheid wissen. Da die Werwölfe auf Seiten Schottlands standen, wäre solch eine Person eher auf Sacre Nuit zu suchen.

Das Wasser wurde allmählich kalt und erinnerte Livia daran, dass sie nicht ewig im Zuber liegen und ihren Gedanken nachhängen konnte. Rasch stieg sie aus dem Wasser, trocknete sich mit dem bereitliegenden Leinentuch ab und schlüpfte in den samtenen Morgenrock, den Cordova ihr auf das Bett gelegt hatte. Er war ihr viel zu groß und roch herb nach Leder und wilden Kräutern. Sie erschauerte bei der Erkenntnis, dass es wohl sein eigener sein mochte. Fast war ihr so, als würden mit dem weichen Stoff auch seine Finger über ihre Haut gleiten. Am liebsten hätten sie ihn wieder ausgezogen, doch in diesem Moment klopfte es an der Tür und auf ihr Herein betraten zwei der Näherinnen ihr Zimmer und legten ein Kleid aus dunkelblauem Brokat auf die Kleidertruhe, das ein Muster von weißen Disteln trug.

„Wenn Ihr Hilfe beim Ankleiden wünscht, Mylady …“

Livia presste die Lippen zusammen und schüttelte dann den Kopf.

„Vielen Dank, aber ich komme zurecht.“

Im Zweifel konnte sie immer noch eine Zofe rufen.

Die Näherinnen wirkten etwas verunsichert über diese Abweisung, zogen sich jedoch gehorsam zurück. Livia betrachtete das Kleid nachdenklich. Es war kunstvoller genäht als diejenigen, die sie von Roga bekommen hatte. An Ärmeln und Kragen mit teurer Spitze verziert. Sie fragte sich, wie man etwas Derartiges in solch kurzer Zeit fertigen konnte.

Das Kleid ließ sich deutlich schwerer anziehen, als Livia gedacht hatte. Mit Rogas Kleidern war sie meist allein zurechtgekommen oder hatte die Baroness gebeten, noch die eine oder andere Kleinigkeit zu richten. Hier stieß Livia an ihre Grenzen, sodass sie schließlich doch nach der Zofe rufen musste. Erstaunlich flink hatte das junge Mädchen die vielen Ösen und Schnüre verschlossen und das Kleid saß wie angegossen.

„Wenn es recht ist, Mylady, dann lasse ich den Zuber entfernen und bringe Euch für morgen früh eine Schale mit frischem Wasser.“

„Ja danke!“, antwortete Livia freundlich. Ihr lag noch die Frage auf den Lippen, wohin sie zum Abendessen gehen musste, doch da klopfte es bereits erneut an ihre Tür. Sie hielt den Atem an und hoffte, dass es nicht Cordova war, der sie zu Tisch geleiten würde. Zu Livias Erleichterung war es Santuin, der – ebenfalls gewaschen und in frischer Kleidung – lächelnd seinen Kopf zur Tür hereinstreckte.

„Bist du so weit? Ich wollte dir doch vor dem Abendessen noch etwas zeigen.“

Dankbar, für den Moment abgelenkt zu werden und auch vor Cordova sicher zu sein, ließ sich Livia von Santuin durch Drumrig Castle führen. Die Burg war ihr deutlich angenehmer als Sacre Nuit, auch wenn sie sich dort ebenfalls zusehends besser zurechtgefunden hatte.

Drumrig war nicht so verwinkelt und wirkte insgesamt freundlicher und heller.

Santuin zeigte ihr, wie sie zu einem der Aborte kam, welche Treppe auf die Burgzinnen und welche in den Innenhof führte. Außerdem wo die Küche und die Gesinderäume lagen und wie sie zu seinem Zimmer fand. Der Raum war schlicht, stellte Livia überrascht fest. Ausgestattet mit vielen Büchern und einem Schreibtisch. Ansonsten nahmen ein hoher Schrank und ein Bett den meisten Platz ein. Der Boden war mit frischem Stroh ausgelegt. Vom Fenster aus konnte man auf einen kleinen Garten hinter der Burg hinabschauen, an den ein von einer Steinmauer eingefasster Platz anschloss, auf dem Santuin häufig mit seinem Vater oder Onkel Schwertübungen und Bogenschießen praktizierte, wie er ihr erklärte.

„Ich denke, ich bin etwas aus der Art geschlagen“, gestand Santuin lächelnd.

„Weshalb?“

„Na ja, mein Onkel legt großen Wert auf diese Kampfübungen. Er reitet häufig mit seiner persönlichen Garde fort, um zu trainieren. Und mein Vater ist ebenso wie mein Großvater ein erfahrener Krieger. Ich hingegen sehe es eher als notwendiges Übel. Ich bin den musischen Künsten mehr verschrieben denn der Waffenkunst.“

Livia lächelte, obwohl dieses Geständnis ihr einen leisen Stich versetzte. Er war Asgard sehr ähnlich und weckte die bittere Erinnerung in ihr, dass sie von ihrem Liebsten auf unbestimmte Zeit getrennt war.

Als sie sich weiter in dem Zimmer umsah, um nicht länger an Asgard zu denken und am Ende in Tränen auszubrechen, fiel ihr Blick auf ein kleines Tablett mit Essen. Deutlich bescheidener als das Mahl, das Cordova ihr hatte bringen lassen, aber auch hier lagen neben der Weinkaraffe, einem kleinen Laib Brot und Käse einige Scheiben Fleisch auf dem Teller. Livia ging darauf zu und wies mit der Hand auf den kalten Braten. „Ich habe das vorhin schon in meinem Zimmer bemerkt. Dieses Fleisch … ich will nicht unhöflich erscheinen, aber es ist Menschenfleisch, nicht wahr?“

Natürlich wusste sie, dass auch in dieser Zeit der Verzehr von menschlichem Fleisch unabdingbar für das Überleben eines Lykaners war. Jedoch war das Mädchen, das ihr vorhin Essen auf das Zimmer gebracht hat, weder Lykanerin noch Vampirin gewesen. Und einem Menschen konnte man wohl kaum jemanden seiner Art zum Kochen reichen. Kannibalismus war in den Highlands nicht verbreitet, soweit sie wusste.

Santuin wurde ernst, aber es schien ihm nicht unangenehm zu sein, darüber zu sprechen. „Ich weiß nicht, wie ihr in der neuen Welt an Fleisch gelangt, aber hier ist es seit Jahr und Tag üblich, unseren recht geringen Bedarf an Menschenfleisch, das meist nur an besonderen Tagen oder wenn wir – wie heute – Gäste haben serviert wird, mit den zum Tode Verurteilten zu decken. Wir haben unsere Leute, die den Totengräbern solche Körper abkaufen, für die niemand ein Begräbnis ausrichten will. Es werden selten Fragen gestellt, solange es im Beutel klingelt. Und wenn doch, sind sie für medizinische Studien und Erweise gedacht. Was die Zubereitung angeht … nun ja, gehäutet und zerlegt unterscheidet einen Menschen wenig von einem Stück Vieh.“

Livia war darüber nicht geschockt, sondern eher irritiert. Wenn sie bedachte, wie man in ihrer Zeit an Menschenfleisch gelangte und wie simpel es hier vonstattenging. Ob es überall so war, oder nur auf Drumrig Castle galt? Jedenfalls wurde ihr klar, dass der Fortschritt der Zivilisation die Dinge nicht immer nur vereinfachte.

Als sie Santuins Zimmer verließen, deutete er auf die Tür gegenüber.

„Dort schläft meine kleine Schwester. Wir stehen uns sehr nah, daher wollten wir unsere Räume beieinander haben, obwohl es ungewöhnlich ist. Wenn sie älter ist, wird sie sicher in den anderen Trakt ziehen. Es ziemt sich für eine junge Lady nicht, ein Zimmer unter Männern zu bewohnen. Aber Leya ist, von den Bediensteten abgesehen, die einzige Frau hier und man kann ihr kaum einen Wunsch abschlagen. Du wirst sie sicher mögen.“

Wie auf ein Stichwort trat die junge Lykanerprinzessin aus ihrem Zimmer, stockte kurz als sie Livia und Santuin bemerkte und schenkte den beiden ein herzliches Lächeln.

„Du musst Livia sein“, sagte sie und trat zu ihnen. „Santuin hat mir schon von dir erzählt. Ich freue mich, dich hier auf Drumrig Castle begrüßen zu dürfen.“

Livia hob staunend die Brauen. Leyas Wortwahl überraschte angesichts dessen, dass sie gerade einmal wie ein zwölf- oder dreizehnjähriges Mädchen aussah, mit langen blonden Puppenlocken und dunkelblauen Augen, die nach außen hin ins Violett übergingen.

„Ich wollte Livia noch das Bild zeigen. Magst du uns begleiten?“, fragte Santuin seine Schwester, doch Leya schüttelte den Kopf.

„Ich gehe schon zu Vater in den großen Saal.“ Sie wandte sich Livia zu. „Wir haben überraschend viele Gäste heute. Eine Reihe von Clans-Oberhäuptern. Ich glaube, es geht um diese Vereinbarung, die man mit England unterzeichnen will. Vater ist nicht sehr glücklich darüber und hofft, die anderen von seinem Standpunkt überzeugen zu können, damit es erst gar nicht dazu kommt.“

Der Act of Union! Er würde in diesem Jahr unterzeichnet werden, was den Widerstand im schottischen Volk nur weiter anheizte, auch wenn es noch einige Jahre dauerte, bis es wieder zu ernsten Kämpfen zwischen Schotten und Engländern kam.

Livia biss sich auf die Lippen, sagte aber nichts, aus Angst, sich mit einer unbedachten Äußerung zu verraten.

„Ich denke nicht, dass Livia weiß, wovon du sprichst. In Amerika dürfte man wenig von den aktuellen politischen Ereignissen hier vor Ort wissen.“

Leya zuckte nur die Schultern und verabschiedete sich von den beiden.

Santuin machte ein entschuldigendes Gesicht. „Leya ist durch und durch Schottin und sie klebt Vater an den Lippen, wenn es um seine politischen Ansichten geht. Ich weiß nicht, wie viel du über die aktuelle Lage hier in den Highlands weißt. Im Augenblick steht ein Gesetzesentwurf im Raum, den beide Parlamente verabschieden sollen, damit es nicht zu neueren Streitigkeiten oder gar kriegerischen Handlungen kommt. Ich fürchte jedoch, dass ein solches Pamphlet nichts ändern wird, sondern die Lage nur noch verschlimmert. Der schottische Adel, der es mitträgt, wird von vielen als Verräter angesehen. Es könnte Schottland im Falle eines Krieges weiter schwächen.“

„Strebst du deshalb die Hochzeit mit Roga an? Weil das Haus Sacre Nuit einen hohen Einfluss hat und auch mit England enge Beziehungen pflegt?“

Er trat nervös von einem Bein auf das andere. „Für eine Frau, noch dazu aus Amerika, weißt du erstaunlich gut Bescheid.“

Nun war es an Livia rasch den Blick zu senken. Verdammt, sie musste besser aufpassen, was sie sagte.

„Ich lebe in einem anderen Land, nicht auf einem fernen Stern.“

Santuin nickte und gab sich mit dieser Antwort zufrieden. „Ich denke in der Tat, dass eine friedliche Einigung der bessere Weg wäre und dass wir durch Lord Darwins Kontakte gute Chancen dafür hätten. Aber mit meinen Gefühlen für Roga hat das nichts zu tun. Ich liebe sie aus tiefstem Herzen und will sie um ihrer selbst willen zu meiner Frau nehmen. Die Möglichkeiten, die sich für uns daraus ergeben, sehe ich als nützliche Dreingabe.“

Seine Miene verdüsterte sich als er weitersprach. „Leider verspricht sich mein Vater sehr viel mehr davon. Er denkt, dass wir durch die Hochzeit eine Allianz mit Lord Darwin bilden können, der sich die anderen Lords und Clanführer ebenfalls anschließen, um England endlich die Stirn zu bieten, wenngleich er eine gewisse Sorge hat, Darwin könne sich zu sehr von England einspannen lassen, weil er Freundschaften mit etlichen britischen Lords unterhält. Ich hingegen sehe diese Verbindungen positiv, da wir durch sie auch einige von ihnen von den Belangen Schottlands überzeugen können. Sie sind nicht alle gegen uns und auch bereit, ihren Einfluss in einigen Punkten zu unseren Gunsten geltend zu machen. Das sieht mein Vater einfach nicht. Für ihn sind alle Engländer gleich und er ist überzeugt, dass wir am Ende doch wieder um unser Recht kämpfen müssen. In einem solchen Fall wäre Darwins Häscher-Garde natürlich von großem Vorteil für uns, weil es ausgezeichnete Kämpfer sind. Da können wir nicht mithalten.“

Wenn du wüsstest, dachte Livia. In einigen Jahren werden wir sie mit unseren Jägerinnen überrennen.

„Ich sehe im Fall eines Krieges jedoch wenig Hoffnung auf einen schottischen Sieg. Egal ob mit oder ohne Darwins Häscher. Da baue ich schon eher auf sein Verhandlungstalent und seine guten Beziehungen. Im Kampf gibt es meiner Meinung nach immer nur Verlierer. Und zu viel Elend für beide Seiten.“

Livia konnte Santuins Sorge um die Zukunft seiner Heimat und seines Volkes spüren. Ein Schatten, der über dem Glück der bevorstehenden Hochzeit lag.

Sie griff nach seiner Hand und lächelte ihn zögernd an. „Zeigst du mir jetzt dieses Bild?“

Es war eher der Versuch, ihn abzulenken, als dass sie wirklich interessiert gewesen wäre, was an dem Bild so Besonderes war. Dies änderte sich schlagartig, als Santuin sie in einen kleinen, behaglichen Raum führte, der an allen vier Wänden mit kunstvollen Bildern geschmückt war und ansonsten nur drei hohe Sessel und einen kleinen Tisch vor einem Kamin beinhaltete.

„Ich sitze hier oft mit Vater und meinem Onkel beisammen, um zu reden. Dieser Raum hat eine besondere Atmosphäre und in der Vergangenheit sind hier viele wichtige Entscheidungen getroffen worden.“

Zielstrebig führte Santuin sie an der Sitzgruppe vorbei zur hinteren Wand. Dort deutete er mit ausladender Geste auf ein bestimmtes Porträt. Als Livia einen Blick darauf warf, war ihr, als habe ihr jemand eine Faust in den Magen gestoßen.

„Oh mein Gott!“, entfuhr es ihr.

Sie zuckte zusammen, als Santuin ihre Hand ergriff.

„Es ist unglaublich, nicht wahr? Verstehst du jetzt, was ich meinte? Du siehst ihr einfach unglaublich ähnlich.“

In der Tat war die Ähnlichkeit des Gemäldes mit Livia gespenstisch. Die Frau darauf war älter und ihr Haar von deutlich hellerem Blond, wenngleich der dezente Rotstich nicht zu übersehen war. Vor allen Dingen aber besaß sie die gleichen lavendelfarbenen Augen, die leicht schräg standen und von langen dichten Wimpern umrahmt wurden. Ein seltenes Phänomen, diese ungewöhnliche Farbe der Iris, das Livia in all den Jahren bei niemandem sonst gesehen hatte.

Sie streckte ihre freie Hand aus, als wolle sie die Konturen des Gesichtes der fremden Frau nachfahren, wagte dann jedoch nicht, das Bild zu berühren.

„Wer ist das?“, flüsterte sie.

Santuin schwieg, nur der Griff um ihre Finger wurde kaum merklich fester. Als sie ihn fragend ansah, trat ein wehmütiges Lächeln auf seine Züge.

„Meine Mutter. Lady Rosaly. Eine echte Rose der Highlands. Mutig, stolz und schön. Sie starb bei Leyas Geburt.“

Er machte eine lange Pause, ehe er weitersprach.

„Deine Augen … das war fast wie ein Déjà-vu, als du auf Sacre Nuit in meine Arme gestolpert bist. Ich denke, du könntest vielleicht eine entfernte Cousine oder Großnichte von ihr sein. Einige Mitglieder ihrer Familie sind im letzten Krieg geflohen – auf das Festland, aber auch in Richtung Neuer Welt.“

Livia war sprachlos und starrte weiterhin auf das Bild. Sie konnte selbst keine Erklärung dafür finden. Von ihren Eltern wusste sie nichts, aber es war unmöglich, dass sie mit dem Fürstenhaus der MacFists verwandt war. So jemand wäre wohl kaum auf der Straße aufgewachsen, sondern wohlbehütet und umsorgt. Aber wenn sie das Bild von Rosaly MacFist betrachtete, war es ihr, als blicke sie in den Spiegel einer fernen Zukunft. Sie zitterte leicht und wandte sich schließlich ab.

„Es … es ist ein wenig unheimlich.“ Ihr Lächeln fiel gezwungen aus. „Lass uns bitte gehen.“

Er kam ihrem Wunsch ohne Fragen nach. Auf dem Weg zur großen Halle jedoch sagte er nachdenklich. „Ich bin sehr gespannt, was Vater sagen wird, wenn er dich sieht. Er kannte einige von Mutters Verwandten. Vielleicht kann er sogar sagen, welche verwandtschaftlichen Bande zwischen euch bestehen.“

Die Worte trugen nicht gerade zu Livias Beruhigung bei. Sie hatte eher Angst vor der Begegnung mit Fürst Ruthgar MacFist. Welche Erklärung sollte sie finden, wenn er offenbarte, dass kein Familienmitglied seiner Frau nach Amerika geflüchtet war, das von Alter oder Aussehen her als Livias Vater oder Mutter infrage kam?

Mit wackligen Knien betrat sie an Santuins Seite die Haupthalle, in der ein langer Eichentisch als Tafel diente. Ein Gewirr aus Stimmen empfing sie. Alle männlich. Livia blickte die Stuhlreihen entlang und musste feststellen, dass sie und Leya die einzigen Frauen bei diesem Abendessen sein würden. Keiner der Clanoberhäupter – egal ob Mensch oder Werwolf – hatte seine Gefährtin mitgebracht.

Die Gespräche verstummten nur kurz, als man auf sie aufmerksam wurde. Leya zog freudestrahlend einen der beiden Stühle neben sich zurück und nickte Livia zu. Während sie und Santuin Platz nahmen, diskutierten die Männer bereits wieder aufgebracht über die aktuelle politische Lage und ein Für und Wider des neuen Vereinigungsgesetzes.

Für den Moment brauchte sich Livia keine Gedanken über Santuins Vater zu machen, auch wenn er bei ihrem Eintreten irritiert die Stirn in Falten gelegt und den Mund geöffnet hatte, als wolle er etwas zu ihr sagen. Aber jetzt war er bereits wieder in die Diskussionen vertieft und beachtete sie vorerst nicht. Es war eine kurze Galgenfrist, das wusste Livia. Dennoch war sie dankbar dafür.

Dabei entging ihr nicht der Blick von Cordova, den er ihr von der gegenüberliegenden Seite der Tafel zuwarf. Ausgesprochen nachdenklich, aber auch irgendwie listig. Er prostete ihr mit seinem Becher zu und nickte anerkennend. Ob er damit das Kleid meinte, oder irgendetwas anderes, wusste sie nicht zu sagen. Sie verschluckte sich vor Anspannung an ihrem Wein und senkte hastig den Kopf.

„Diese verdammten Engländer“, donnerte Fürst Ruthgar. „Sie halten sich für die Krone der Schöpfung und werden nicht müde, sich Land unter den Nagel zu reißen, das ihnen nicht gehört. Dieses Vereinigungsgesetz ist nichts anderes als legalisierter Diebstahl. Sie scheren sich einen Dreck um die Belange unseres Volkes und werden jeden einzelnen Schotten bluten lassen, bis er nichts mehr hat, was sie sich holen könnten. Wenn ihr mich fragt, haben die Rotröcke keinen Funken Ehre im Leib.“ Santuins Vater hatte sich regelrecht in Rage geredet. Er jagte Livia Angst ein mit seinem zerfurchten, wettergegerbten Gesicht, das vor Zorn rot angelaufen war, und dem buschigen Bart. Als er seine Faust auf den Tisch niedersausen ließ, zuckte sie zusammen. „Und Darwin hockt auf seinem Thron, lächelt milde und tut nichts. Als ob er seine Wurzeln vergessen hat. Ich kann es nicht fassen. Es wird noch so weit kommen, dass sein Blut nicht länger die Geschicke lenkt, sondern zur Marionette der Sassenachs wird.“

Livia schluckte. Das klang nicht danach, als habe Ruthgar eine hohe Meinung von Lord Darwin und seiner Familie.

Santuin nahm den Ausbruch seines Vaters überraschend gelassen und legte ihm die Hand auf den Arm. „Vater, beruhige dich. Ich bin sicher, Darwin wird keinesfalls eine Marionette von irgendjemandem werden. Unser Rat hatte stets Gewicht für ihn. Außerdem ist er genauso gegen viele Punkte des Vereinigungsgesetzes wie wir, aber er weiß auch um die Gefahr eines neuen Krieges, wenn sich Schottland gänzlich dagegen stellt. Die Gespräche, die er mit Mitgliedern des englischen Unter- und Oberhauses führt, sollen dazu dienen, das Vereinigungsgesetz auch für Schottland respektabel und vorteilhaft zu gestalten. Außerdem denken nicht alle Engländer schlecht und abfällig über die Schotten. Ich bin auch dieses Mal wieder einigen von ihnen auf Sacre Nuit begegnet, die genau wie wir der Meinung sind, dass Schottland und England gleichberechtigt nebeneinander existierten können und auch sollten. Sie sind es, die wir auf unsere Seite ziehen müssen. Mit ihrem Einfluss im Oberhaus können wir das Blatt auf unblutige Weise wenden. Und sie schätzen Darwin sehr.“

Fürst Ruthgar schnaubte. „Lass dir doch nichts vormachen. Die ersten Artikel sind bereits beschlossen und in weniger als zwei Wochen soll über den gesamten Vertrag abgestimmt werden. Denkst du, da ist jetzt noch etwas dran zu ändern?“

„Es sind einige Dinge bereits zugunsten Schottlands geändert worden“, gab Santuin zu bedenken.

„Ja sicher. Brotkrumen, um uns ruhigzustellen. Und einen Haufen Gelder, um sich die Stimmen schottischer Lords zu erkaufen. Sei nicht blind, mein Sohn. Wir können und müssen unser Recht mit eiserner Hand durchsetzen, wenn wir nicht unter englische Fahne gestellt werden wollen. Im Zweifel auch wieder mit dem Schwert.“

Livia hörte Santuin neben sich tief Luft holen und glaubte schon, dass er seinem Vater vor allen Anwesenden Kontra bieten würde, doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen griff Leya den Faden auf.

„Genau!“, bekräftigte sie. „Die schottischen Clansmänner sind Krieger und keine Huren, die sich von England für ein Almosen kaufen lassen.“

„Leya!“, zischte Santuin warnend und warf seiner Schwester einen drohenden Blick zu. „Du vergreifst dich in deiner Wortwahl. Ich glaube, du liest zu viele Bücher und noch dazu die falschen.“

„Was soll man denn sonst den ganzen Tag tun, außer lesen und malen? Ich sterbe noch vor Langeweile.“

„Es geziemt sich nicht für eine Lady, sich in politische Dinge einzumischen und flammende Reden zu schwingen.“

„Wieso“, fragte sie herausfordernd und reckte ihr Kinn vor. „Darf man in deinen Augen etwa nicht stolz darauf sein, wenn man Schotte ist?“

„Stolz ist sicher erstrebenswert“, ergriff Cordova das Wort. „Doch falscher Stolz ist Hochmut und kann rasch zu einem tiefen Fall führen. Ich stimme Santuin zu und hoffe doch sehr, dass sich ein Krieg vermeiden lässt. Wie auch immer, Schottland wird durch die baldige Verbindung des Hauses MacFist mit dem Hause Sacre Nuit in jedem Fall Vorteile gewinnen, sei es, um uns politisch zu stärken oder im Kampf. Wir werden gerüstet sein. Auf unsere Art.“

Er leerte seinen Becher in einem Zug und wies einen der umstehenden Diener an, ihn wieder zu füllen.

„Aber lasst uns doch jetzt von angenehmeren Dingen sprechen. Immerhin haben wir zwei zauberhafte Damen an unserer Tafel, die uns Gesellschaft leisten. Wir sollten sie nicht den ganzen Abend mit Politik langweilen oder einer imaginären Gefahr ängstigen.“

Er wandte sich Livia zu, erhob sich von seinem Stuhl und reckte den Becher in die Höhe. „Einen Toast auf Lady Livia, die den weiten Weg von Amerika auf sich genommen hat, um der Vermählung von Prinz Santuin und Baroness Roga beizuwohnen. Mylady, Ihr seht bezaubernd aus. Das Kleid ist wie für Euch geschaffen.“

Heiße Röte stieg Livia in die Wangen. „Vielen Dank!“, murmelte sie und wagte niemanden anzuschauen, während sich eine Totenstille am Tisch ausbreitete.

„Dieses Kleid“, raunte Fürst Ruthgar. „Rosaly trug ein solches Kleid. Damals, als ... an dem Abend vor Leyas Geburt.“

Seine Stimme stockte, Livias Kopf ruckte hoch. Sie sah von Ruthgar zu Cordova, Letzterer verbarg ein wissendes Lächeln hinter seinem Weinbecher. Sie presste die Lippen zusammen. Es war keineswegs ein Zufall, dass die Näherinnen ausgerechnet dieses Kleid fertiggestellt hatten. Und Ruthgars Blick hatte womöglich schon zu Anfang nicht ihrem Gesicht, sondern diesem Kleid gegolten.

Als ein Stuhl über den Boden geschoben wurde, realisierte Livia, dass Leya, die eben noch ihrem Bruder etwas zugeflüstert hatte, abrupt verstummt war. Die junge Prinzessin erhob sich mit bleichem Gesicht und zitternden Lippen. Livia sah Tränen in ihren Augen schimmern und es zerriss ihr fast das Herz. Am liebsten wäre sie ihr gefolgt, als sie eiligen Schrittes den Raum verließ. Alle anderen am Tisch waren stumm. Nur Santuin räusperte sich. „Das … das war wohl nur ein dummer Zufall. Livia hat leider nur wenig Garderobe aus den Staaten mitgebracht und mein Onkel wollte sicher, dass sie angemessen gekleidet ist, wenn so viele Clanoberhäupter hier versammelt sind. Mutters Tod liegt schon lange zurück. Wer, außer meinem Vater, könnte sich nach all diesen Jahren noch daran erinnern, welches Kleid sie am Tag ihres Todes trug?“

Es blieb still. Livia ertrug Ruthgars Blick kaum und hätte Cordova am liebsten die Augen ausgekratzt. Warum tat er das?

„Du siehst meiner Frau sehr ähnlich“, sagte der Fürst nun milde und schenkte Livia ein müdes Lächeln. „Ich muss dich um Verzeihung bitten, mein Kind. Es ist nicht deine Schuld. Aber für einen Moment, als du diesen Raum betreten hast, dachte ich … es sah so aus … als wäre sie zurückgekehrt.“

Santuin erhob sich leise und trat hinter seinen Vater. Er legte ihm die Hände auf die Schultern. „Ja, Vater. Sie sieht ihr sehr ähnlich. Es sind die Augen, denke ich. Wir hatten überlegt, da Livia aus Amerika kommt, dass du vielleicht weißt, wer von Mutters Familie dorthin ins Exil ging.“

Lord Ruthgar seufzte laut. Bedauernd schüttelte er den Kopf. „Tut mir leid, mein Kind. Ich weiß es nicht. Es geschah vor sehr langer Zeit. Wir waren noch nicht lange vermählt. Aus ihrer nahen Verwandtschaft sind die meisten Männer gefallen. Die Frauen blieben hier. Aber einige wenige, wir kannten sie kaum, sollen in die Neue Welt gegangen sein. Vielleicht …“

Er hob seine Hand in einer vagen Geste.

„Also ich finde nicht, dass sie Rosaly sehr ähnlich sieht. Ihr Haar, das Gesicht, ihre Figur. Sie sind doch sehr verschieden“, widersprach Cordova. Livia blitzte ihn wütend an. Ihr machte er nichts vor.

„Es sind nur die Augen. Ja, da stimme ich euch zu, die sind sehr ungewöhnlich. Das hatte ich fast vergessen. Und das Kleid – ich muss dich um Vergebung bitten, Bruder. Der Stoff lag zusammen mit anderen in Rosalys altem Nähzimmer. Es ist seit Jahren keiner mehr dort gewesen und ich fand es schade um die Stoffe. Aber ich hätte bedenken müssen, dass Rosaly aus einigen dieser Stoffe bereits Kleider für sich geschneidert hatte.“

Er machte ein betretenes Gesicht.

Ruthgar nickte und winkte ab. „Du hattest Recht, Cordova, sie wieder einer Verwendung zuzuführen. Rosaly hätte es so gewollt. Es war gut, eine der Unseren damit einzukleiden. Wäre sie noch hier, ich bin sicher, sie hätte dir selbst wundervolle Kleider daraus genäht.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783948592066
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Werwolf Kanada Dark Romance Fantasy Schottland Liebe Mystik Vampir düster dark Liebesroman

Autor

  • Tanya Carpenter (Autor:in)

Die Autorin wurde am 17. März 1975 in Mittelhessen geboren, wo sie auch heute noch in ländlichem Idyll lebt und arbeitet. Ihr erster Roman „Tochter der Dunkelheit“ erschien im Herbst 2007 im Sieben-Verlag als Auftakt der „Ruf des Blutes-Serie. Sie ist in diversen Anthologien, die neben Dark Fantasy auch Crime, Humor, Sci-Fi, Erotik, Romance und Steampunk umfassen, vertreten und hat zahlreiche Roman in verschiedenen Genres in Klein- und Großverlagen veröffentlicht.
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Titel: Lycanic Moon