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Die schwarze Fledermaus 10: Der Sieg der Schwarzen Fledermaus

von G. W. Jones (Autor:in)
204 Seiten
Reihe: Die schwarze Fledermaus, Band 10

Zusammenfassung

Eine ungewöhnliche Einbruchserie erschüttert die gehobenen Kreise Chicagos. Auffällig dabei ist, dass alle Einbrecher bereits wissen, wann die Polizei am Tatort erscheint. Und dass alle einen Buckel haben ... Die Printausgabe umfasst 204 Buchseiten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis




Kapitel 1 - Bucklige Killer

Es war weit nach Mitternacht. Peitschender Regen trommelte gegen die Fenster von Grant Hollis’ vornehmem Herrenhaus. Im Haus flackerte das Kaminfeuer fröhlich vor sich hin und Hollis hatte es sich in einem gemütlichen Sessel bequem gemacht. Er war ein Mann um die fünfzig und wirkte zwischen all den Jagdtrophäen an den Wänden gut aufgehoben.

Ein Grizzlybär aus Alaska, ein Leopard aus dem afrikanischen Dschungel, ein riesiger Elchkopf, ein gigantischer Eber aus Indien.

Grant Hollis war sein Leben lang gereist und dabei zahllosen Überraschungen begegnet, aber keine davon war annähernd so ungeheuerlich wie das, was ihm gerade durch den Kopf ging.

Er nahm den Regen vor dem Fenster schon gar nicht mehr wahr, hätte aber sicher im Traum nicht gedacht, dass in dieser ungemütlichen Nacht ein paar seltsame Gestalten um sein Haus schlichen. Und doch, hätte in diesem Moment ein Beobachter mit guten Augen die Rückseite von Hollis’ Haus beobachtet, ihm wären zwei unheimlich aussehende Gestalten aufgefallen, die von einem pitschnassen Busch zum nächsten flitzten, ohne dabei den Schutz der Dunkelheit aufzugeben.

Hätte dieser Beobachter die beiden im Profil betrachtet, wäre ihm ein überraschendes Detail aufgefallen: Beide Gestalten hatten einen Buckel. Sie trugen Hüte mit breiten Krempen, von denen der Regen in Bächen herunterfloss. Ihre Gesichter wurden durch schwarze Schals verdeckt, die sie eng um ihre Köpfe gewickelt hatten und hinter denen nur ihre listigen Augenpaare hervorschauten.

Einer der beiden gab seinem Kumpan Zeichen, in Deckung zu bleiben. Dann schlich er näher ans Haus heran, kletterte auf eine niedrige Brüstung und bewegte sich vorsichtig seitwärts, bis er durch die Terrassentür gucken konnte. Seine behandschuhten Finger tasteten nach der Klinke, aber die Tür war verriegelt.

Seine Hand fuhr in seine Hosentasche, fand ein schlankes Werkzeug darin und steckte dies so vorsichtig ins Schloss, dass der Mann am Kamin keinen Schimmer haben konnte von der nahenden Gefahr. Das leise Klicken wurde vom prasselnden Regen verschluckt. Aus dem Dunkeln näherte sich der zweite Bucklige, mit gezogener Waffe.

Hollis fühlte den kalten Windhauch an seinem Hinterkopf und nahm das Geräusch des Regens nun stärker als zuvor wahr. Schnell erhob er sich und wandte sich der Terrassentür zu.

Dann blieb er stehen. Seine Augen verengten sich zu dünnen Schlitzen, seine Lippen verhärteten sich. Hollis war kein Feigling. Sogar diese beiden unheimlichen Gestalten, die ihm mit gezogenen Waffen gegenüberstanden, ließen sein Herz nur leicht schneller schlagen.

„Einbrecher, eh“, sagte er kalt. „Okay, was wollen Sie?“

„Setzen Sie sich“, befahl einer der Männer barsch. „Seien Sie klug und Ihnen passiert nichts. Wenn Sie irgendwelche Tricks versuchen, blasen wir Ihnen die Birne weg.“

Hollis wich langsam zurück, vorbei an zwei oder drei Sesseln, bis er am Drehstuhl hinter seinem Schreibtisch angekommen war. Wenn die beiden ihn an einen Stuhl fesseln sollten, sollte es dieser sein. In Hollis’ Kopf arbeitete es blitzschnell. Ihm war nicht entgangen, dass beide Eindringlinge einen Buckel hatten und er kalkulierte mit kühlem Kopf, dass gleich zwei Einbrecher mit einem solchen Gebrechen einen fast zu großen Zufall darstellten. Vor allem, da es sich um einen so offensichtlichen Makel handelte.

Sie benutzten die seidenen Bänder, mit denen die Vorhänge arretiert werden, um ihn zu fesseln, und leisteten dabei ganze Arbeit. Einen Knebel verpassten sie ihm nicht. Einer der Einbrecher berührte mit der Mündung seiner Waffe Hollis’ Schläfe.

„Verraten Sie uns die Kombination Ihres Safes, Bruder, und wo er sich versteckt.“

Hollis verriet ihnen die Kombination und zeigte in die Richtung, wo sie den Safe finden würden. Er sah ihnen beim Öffnen zu, wie sie den Schrank ausräumten und einen samtenen Sack mit Aktienscheinen, Bargeld und Schmuck füllten.

Die gesamte Beute belief sich wahrscheinlich auf 10.000 Dollar, alles versichert. Hollis beging nicht den Fehler, zu versuchen, nach Hilfe zu rufen. Etwas am Auftreten der beiden Männer verriet ihm, dass er es mit geborenen Killern zu tun hatte, mit nicht einmal einem Quäntchen Erbarmen hinter ihrem vermummten Äußeren.

„Hier muss noch mehr zu holen sein“, sagte einer der beiden. „Lass uns das ganze Haus durchsuchen. Pass auf, dass der Typ gut verschnürt ist.“

Hollis hätte den beiden bestätigen können, dass sie ihn perfekt verschnürt hatten. Aber sie überprüften seine Fesseln sowieso, und als sie sich von deren festem Sitz überzeugt hatten, nahmen sie die erste Etage des Hauses in Augenschein, auf der Suche nach noch mehr Beute. Nach einigen Minuten kehrten sie zurück, mit wertvollen Souvenirs in den Händen, die Hollis von seinen Reisen mitgebracht hatte. Er zuckte zusammen, als die Andenken im Samtsack verschwanden.

Daraufhin machten sich beide Männer auf den Weg in den ersten Stock. Sie schienen sich ihrer Sache so sicher zu sein, dass Hollis klar wurde, dass sie sich sein Haus nicht zufällig ausgesucht hatten. Die beiden wussten genau, dass an diesem Abend keine Diener da waren und Hollis sich alleine im Haus aufhielt. Dieser Raub war genau geplant. Er hörte ihre Schritte im Flur der oberen Etage und wartete keine Sekunde länger.

Er drehte seinen Stuhl, bis seine Hände die oberste Schublade des Schreibtisches erreichen konnten. Er zog die Schublade leise auf. Ein Telefon kam zum Vorschein. Als pingeliger Mensch hasste Hollis es, wenn das Telefon auf seinem Schreibtisch herumstand, und hatte es deshalb in die Schublade eingebaut. Er lehnte sich mit dem Stuhl nach vorne und nahm einen Bleistift mit den Zähnen auf. Dann lehnte er sich wieder zurück, bewegte sich mit dem Drehstuhl in Richtung Telefon und balancierte den Bleistift in die Löcher der Wählscheibe.

Er hatte das Gerät bereits aus seiner Halterung entfernt und drückte es nun gegen die Seitenwand der Schublade. Es war schmerzhaft, die Fesseln waren eng und er musste seinen ganzen Körper dagegen anspannen, wobei die Blutzufuhr zu seinen Gliedern abgeschnitten wurde.

Er wählte die letzte Nummer und vernahm eine Stimme durch den Hörer:

„Polizeihauptquartier.“

„Geben Sie mir Commissioner Warner, schnell“, flüsterte Hollis.

Er hörte ein Klicken und dann war Commissioner Warner an der Strippe.

„Hier spricht Grant Hollis“, flüsterte das Einbruchsopfer. „Zwei bewaffnete Diebe sind in mein Haus eingedrungen. Schicken Sie Hilfe, aber bitte leise. Die beiden wissen nichts von dem Anruf. Ihre Männer können mein Haus umstellen und sie dingfest machen, wenn sie rauskommen. Beeilen Sie sich!“

„Ich schicke Ihnen die Funkstreife mit ausgeschalteten Sirenen“, teilte Warner mit. „Halten Sie durch, Hollis. Hilfe wird in vier bis fünf Minuten eintreffen.“

Grant Hollis entfuhr ein langer Seufzer der Erleichterung. Da hörte er, wie die Männer die Treppe runterkamen. Er schob die oberste Schublade zurück, bis sie nur noch zwei, drei Zentimeter offenstand. Als die Diebe ins Zimmer zurückkehrten, saß er aufrecht im Stuhl und beäugte die beiden mit offener Verachtung.

„Sie sind ein kluger Kerl“, sagte einer der Buckligen. „Also, haben Sie noch irgendwo Knete im Haus – oder Schmuck? Verdammt, Mister, Sie sind doch komplett versichert. Sie können uns das Leben wirklich erleichtern, damit wir es Ihnen auch leichter machen. Sie haben doch nichts zu verlieren, daher ...“

Plötzlich blieben beide Einbrecher wie angewurzelt stehen, als hätte ihnen jemand ein unsichtbares Zeichen gegeben. Für eine geschlagene halbe Minute bewegten sie sich nicht. Dann stieß einer der beiden einen Fluch aus.

„Sie haben also die Bullen gewarnt, heh? Die schicken Hilfe, nicht wahr? Nun denn, Mister, das bedeutet Gute Nacht für Sie.“

Der zweite Bucklige eilte zur Couch, ergriff ein dickes Kissen und drückte seine Waffe tief hinein. Hollis’ Augen weiteten sich vor Schrecken, als der Killer auf ihn zu trat und das Kissen an seinen Kopf drückte. Durch den Stoff hindurch konnte er die Mündung der Waffe spüren und wusste, was die beiden vorhatten. Das Kissen sollte den Lärm des Schusses dämpfen. Hollis bäumte sich entsetzt auf.

„Das ist Mord! Dafür werdet ihr hingerichtet, ihr Idioten! Wenn ihr jetzt abhaut, könnt ihr euch noch retten.“

„Wir haben noch zwei Minuten, bevor die Funkstreife hier ist“, schnauzte einer der Männer. „Sie werden nur noch Ihre Leiche finden. Verstehen Sie, wir machen das nicht nur, weil Sie die Bullen alarmiert haben. Wir hatten das sowieso vor. Mach’s gut, Trottel.“

Hollis schrie noch ein letztes Wort:

„Kranz!“

Dann ging die Waffe los. Hollis hörte den Schuss gar nicht mehr, die Kugel hatte bereits seine Sinne ausgeschaltet, bevor das Donnern der Kanone seine Trommelfelle zerplatzen ließ. Der Mörder trat zurück und warf das Kissen auf den Boden. Sein Komplize ergriff noch schnell mehrere wertvolle Einrichtungsgegenstände und verstaute sie im Samtsack. Dann warf er ihn sich auf den Rücken und die beiden Männer rannten zur Tür.

Sie sprangen über das niedrige Geländer und versuchten, mit schnellen Schritten das Anwesen hinter sich zu lassen. Das Scheinwerferlicht eines Streifenwagens bewegte sich um die Ecke und hüllte die beiden Gestalten in einen hellen Schein. Ein Schuss fiel. Die beiden Buckligen wirbelten herum, zielten mit ihren eigenen Waffen und bedachten die Funkstreife mit einem tödlichen Bleihagel.

Ein Mann schrie. Die Tür des Polizeiautos öffnete sich. Ein uniformierter Polizist sprang heraus und richtete seine Waffe auf die Diebe. Er kam noch dazu, zwei Schüsse abzufeuern, bis ein ganzer Batzen überraschend gut gezielten Bleis seine Brust perforierte. Sein Körper erschlaffte und fiel in die vom Regen angeschwollene Gosse.

Für ein paar Sekunden herrschte betroffenes Schweigen. Dann schrillte eine Polizeipfeife durch die Stille und jemand bellte Befehle für einen schnellen Angriff auf die beiden Killer.

Lieutenant McGrath, klein, untersetzt, glatzköpfig und pitschnass, leitete den Einsatz. Er gab seine Befehle und eilte daraufhin ins Haus. McGrath verzog das Gesicht beim Anblick dessen, was er auf dem Drehstuhl vorfand. Seine Augen entdeckten die halb offene Schublade und das Telefon darin. Er nahm den Hörer und stellte fest, dass Commissioner Warner immer noch in der Leitung war.

„Hollis ist tot, Sir“, berichtete McGrath. „Schuss in den Kopf von zwei miesen, kaltblütigen Mördern, während er an seinen Stuhl gefesselt war. Aber die kriegen wir. Ich habe jede Menge Männer um den Häuserblock herum postiert und Sergeant Wolfe gibt Anweisungen über das Funkgerät in seinem Wagen. Funkstreifen kommen aus allen Richtungen dazu. Wir haben die beiden Täter gesehen – beide hatten Buckel. Ja, ich sagte: Buckel. Zwei unserer Männer sind verletzt, einer ziemlich schwer.“

McGrath legte auf und begab sich zurück nach draußen in den Regen, um weitere Anweisungen zu geben. Aber eine halbe Stunde später musste er feststellen, dass die beiden Killer seinem Einsatzkommando entkommen und geflüchtet waren. Eine weitere halbe Stunde verbrachte er damit, das Haus zu durchsuchen, fand jedoch nichts. Die Spurensicherung untersuchte die naheliegenden Stellen im Haus, aber entdeckte keine auffälligen Fingerabdrücke.

McGrath dämmerte der Gedanke, dass die beiden Mörder genauso clever wie skrupellos vorgegangen waren. Seine einzige Chance bestand darin, zu überprüfen, was gestohlen worden war und alle Pfandhäuser und Hehler zu überwachen.

In diesem Moment kehrten zwei von Hollis’ Dienern zurück. Nachdem sie sich vom Schock erholt hatten, ihren Arbeitgeber tot vorzufinden, fingen sie an zu reden. ­Mc­Grath erstellte eine Liste der Sachen, die fehlten.

„Beute im Gesamtwert von zwölf Riesen“, rechnete er laut vor.



Kapitel 2 - Der Blinde ist keine große Hilfe


Am frühen Abend des nächsten Tages parkte Commissioner Warner sein Auto vor einem großen Haus, das von der Straße durch eine hohe, majestätische Baumreihe und clever gepflanzte Sträucher abgeschirmt wurde. Am Tor war ein Namensschild aus Messing befestigt. Darauf stand:


Tony Quinn


Warner öffnete das Tor und schritt einen Pfad entlang, bis er die Eingangstür erreichte. Er klingelte und rasch wurde die Tür geöffnet, von einem schlanken, beinahe glatzköpfigen Mann, der Warner kritisch beäugte. Norton Kirby, besser bekannt als Silk, war Tony Quinns Butler, Kammerdiener und schlicht Mädchen für alles. Einst stand er im Konflikt mit dem Gesetz und betrachtete alle Gesetzeshüter mit einem Rest dieser alten Feindseligkeit.

„Guten Abend, Silk“, sagte der Commissioner freundlich. „Ich hoffe, Tony ist zuhause?“

Silk ließ ein ehrliches Lächeln aufblitzen. Er mochte diesen angenehmen, freundlichen Polizeibeamten.

„Ja, Sir, und ich bin mir fast sicher, dass er sich sehr über Ihren Besuch freut. Für einen Blinden ist das Leben oft sehr langweilig.“

Warner nickte und trat in die weiträumige Bibliothek. Er konnte den Rücken eines großen, komfortablen Sessels erkennen und eine Rauchsäule, die langsam über dem Sitzmöbel aufstieg. Eine sanfte Stimme begrüßte ihn.

„Kommen Sie rein, Commissioner. Ich freue mich über Ihre Gesellschaft.“

Warner nahm sich einen Sessel und für einen Moment starrte er schweigend die Person an, die da am Kamin saß. Er erblickte einen gut gebauten Mann, in zerknitterte Tweedhosen und ein Smokingjackett gekleidet. Der Mann hatte eine gut gestopfte Pfeife zwischen den Zähnen und hielt den Blick in die lodernden Flammen des Kamins gerichtet, ohne mit der Wimper zu zucken.

Flammen hatten keine Bedeutung für diesen Mann, dessen Augen die komplette Regungslosigkeit eines vollkommen blinden Menschen besaßen. Sein Gesicht, direkt unter den Augen, war grauenhaft entstellt und die Narben auf seiner Haut glänzten im Widerschein des Feuers, bis sich das Gesicht Commissioner Warners durch den Anblick zu einer Grimasse verzog.

Er wusste, wie Tony Quinn erblindet war. Quinn war einst ein überzeugter, entschlossener Staatsanwalt, der das Verbrechen mit allen Mitteln bekämpfte. Doch dann hatten Gangster eines Tages mitten in einer Gerichtsverhandlung versucht, Beweismittel mit Hilfe von Säure zu zerstören. Quinn wollte das verhindern und bekam einen Teil der Säure ab, mitten ins Gesicht. Die Verätzungen reichten tief und die besten Augenärzte der Welt stempelten Tony Quinn zu einem hoffnungslosen Fall ab.

Er musste aus dem Dienst ausscheiden und wurde zum Einsiedler. Durch seinen Reichtum unabhängig, konnte er sich ein sehr komfortables Leben leisten, aber seine toten Augen und sein entstelltes Gesicht zeigten seither die Bitterkeit eines Mannes, der bereits in frühen Jahren vom Leben besiegt worden war.

Commissioner Warner versorgte sich selbst mit einer Pfeife voll Quinns aromatischem Tabak, steckte sie sich an und lehnte sich im Sessel zurück.

„Tony, ich stecke mal wieder in einer Sackgasse fest. Es hilft mir sehr, wenn ich solche Fälle mit Ihnen besprechen kann. Ihre juristische Erfahrung nützt mir enorm und ich weiß, dass ich Ihnen vertrauen kann. Sie haben sicher vom Mord an Grant Hollis in der vergangenen Nacht gelesen?“

Quinn nickte. „Silk hat mir davon aus der Zeitung vorgelesen. Hollis war ein guter Mann. Ich hoffe, Sie schnappen die Teufel, die ihn umgebracht haben. Aber warum ist der Fall so etwas Besonderes? Nach dem, was ich gehört habe, hat Hollis versucht, Sie zu verständigen und die Männer haben ihn deswegen umgelegt. Sie haben sein Haus ausgeraubt. Das ist doch nichts Außergewöhnliches.“

„Da liegen Sie falsch“, sagte Warner angespannt. „Hollis hat mich angerufen. Ich habe Streifenwagen rausgeschickt und Anweisung gegeben, sich besonders leise dem Haus zu nähern und es zu umstellen. Die Verbindung zwischen meinem und Hollis’ Telefon blieb offen. So konnte ich hören, wie die beiden Räuber sich unterhielten. Und dann sagten die beiden ihm plötzlich, dass sie darüber Bescheid wissen, dass er die Polizei alarmiert hat und Streifenwagen auf dem Weg sind. Wenn Hollis recht hatte, konnten sie davon gar nichts wissen. Und trotzdem wussten sie es – und nicht nur das. Sie wussten sogar, wie viel Zeit ihnen blieb, bis die Streifenwagen eintreffen würden.

Einer von ihnen sagte zu Hollis, dass er nicht nur deshalb sterben muss, weil er die Polizei gewarnt hat. Für seinen Tod gab es wohl einen anderen Grund, den er aber nicht nannte. Und dann schrie Hollis noch ein letztes Wort und dabei habe ich mich auch nicht verhört.

Er schrie dieses eine Wort – Kranz. Ich habe in Hollis’ Freundeskreis geforscht, aber ich kann niemanden finden, der so heißt. Auch in unseren Akten ist kein Gauner mit diesem Namen verzeichnet.“

Tony Quinn zog langsam an seiner Pfeife.

„Und da ist noch was, Commissioner. Das höre ich am Tonfall Ihrer Stimme. Blinde können sich auf ihre verbleibenden Sinne besonders gut verlassen, wie Sie wissen, und meine Ohren sind besonders gut.“

„Daran müssen Sie mich nicht erinnern“, sagte Warner. „Das habe ich schon am eigenen Leibe feststellen dürfen. Ja, Sie haben recht, Tony: Da ist noch was.

Vor neunzig Minuten sind die Mörder bei Robert Kilpatrick, dem Bankier, aufgetaucht. Sie haben ihn gefesselt, sein Haus ausgeräumt, bis einer seiner Diener überraschend nach Hause kam. Zufällig warf der Diener einen Blick durchs Fenster, bevor er das Haus betrat, sah den gefesselten Hausherrn und eilte zum nächsten Telefon, um das Hauptquartier anzurufen.

Als meine Männer eintrafen, war Kilpatrick tot, die Mörder verschwunden und 7.000 Dollar in Edelsteinen, Bargeld und Einrichtungsgegenständen geklaut. Die Männer haben Hals über Kopf das Haus verlassen, ohne den Job zu Ende zu bringen, und dabei ein teures Silberservice aus Kilpatricks Besitz einfach zurückgelassen. Irgendwie waren sie gewarnt, dass die Polizei im Anmarsch war. Wie in Gottes Namen konnten sie in beiden Fällen davon wissen?“

„Woher wissen Sie, dass es sich um das gleiche Diebespaar handelte?“, fragte Quinn ruhig.

An der Oberfläche ließ er sich keinerlei Emotionen anmerken, aber in ihm drin brodelte es. Um die beiden Morde rankte sich ein Geheimnis. Wie hatten die beiden Killer von der Gefahr erfahren? Dahinter musste ein brillantes Gehirn stecken, ein kluger Kopf, der seine Agenten steuerte und vor einer Gefangennahme beschützte.

„Das ist leicht“, antwortete Warner. „In beiden Fällen wurden die Mörder gesehen. Sie waren ähnlich gekleidet und alle hatten einen Buckel. Und das ist noch nicht alles. Fünf weitere Häuser wurden diese Nacht ausgeraubt. In zwei Fällen wurden die Räuber gesehen. Es waren Bucklige.“

Quinn schürzte seine Lippen und pfiff leise.

„Das klingt interessant. Natürlich haben sie keine Hinweise zurückgelassen. Aber, Commissioner, wie kann ich Ihnen helfen? Ich bin blind! So hilflos wie ein zehn Minuten altes Kätzchen. Sparen Sie sich Ihre Antwort. Ich kenne den Grund. Sie sind so freundlich, mich zu besuchen, damit ich etwas habe, über das ich nachdenken kann.

Bei vergangenen Fällen habe ich ein paar Ideen beisteuern können, größtenteils, weil ich nichts anderes zu tun habe, als darüber zu brüten. Aber diesmal ist es anders. Diesmal muss man zur Lösung des Falles aktiv werden und ich, nun ja, bin dazu nicht in der Lage.“

„Ja, ich weiß.“ Warner paffte gedankenverloren an seiner Pfeife. „Dies ist einer der Fälle, bei dem ich mir die Hilfe der Schwarzen Fledermaus wünschen würde. Lachen Sie nicht. Ich weiß, Lieutenant McGrath glaubt, dass Sie die Schwarze Fledermaus sind. Ich weiß, Sie gehen davon aus, dass ich das Gleiche denke. Vielleicht tue ich das, vielleicht auch nicht. Das macht keinen Unterschied.

Ich mache nur einer sehr vagen Hoffnung Luft. Obwohl die Schwarze Fledermaus Methoden anwendet, die nicht ganz mit dem Gesetz dieses Landes im Einklang sind, so gibt es doch Zeiten, in denen diese Art von Einsatz benötigt wird.

Verdammt, Tony, wenn ich sicher wäre, dass Sie die Schwarze Fledermaus sind, ich würde Sie bitten, sich darum zu kümmern und den Fall auf Ihre Weise zu lösen. Aber ich bin mir eben nicht sicher. Es ist nur eine Hoffnung, und zwar eine verzweifelte, denn wie um alles in der Welt könnten Sie die Schwarze Fledermaus sein? Ich habe doch mitbekommen, wie viele Untersuchungen Sie hinter sich haben. Jeder Arzt hat Sie als hoffnungslosen Fall diagnostiziert und als komplett blind. Lieutenant McGrath hat das überprüft, bis die Ärzte von seinen Besuchen komplett genervt waren.“

Quinn warf seinen Kopf zurück und lachte laut auf.

„Armer McGrath. Er hat immer mal wieder versucht, mich auszutricksen. Ich konnte es nicht sehen, aber fühlen. Einmal hat er ein Streichholz entzündet und es so nah an meine Augen gehalten, dass er beinahe meine Nasenspitze angekokelt hat.

Nein, Commissioner, Sie liegen falsch. Wie Sie schon sagten, ich kann nicht die Schwarze Fledermaus sein, auch wenn ich meine Seele verkaufen würde, um in seiner Haut zu stecken – oder in seinem Umhang. Möchten Sie einen Drink?“

Warner stand auf. „Nein danke. Ein Päckchen Aspirin wäre mir jetzt viel lieber als Alkohol. Danke trotzdem, Tony. Ich werfe heute noch mal einen letzten Blick auf die Häuser der beiden ermordeten Männer. Dann werde ich die Wachen abziehen, die ich da platziert habe. Ihre Anwesenheit dort macht keinen Sinn, wenn es nicht mal den Hauch einer Spur gibt. Danke nochmals.“

Silk beobachtete den Commissioner, bis er weggefahren war. Dann eilte er in die Bibliothek und zog hastig die Vorhänge vor die Fenster. Tony Quinn hatte sich nicht bewegt, aber sein Gesicht hatte sich verändert. Seine toten Augen waren plötzlich voller Leben.

„Diesmal wollte er Sie reinlegen, Sir“, sagte Silk.

„Nein, Silk. Warner vermutet, ich sei die Schwarze Fledermaus, aber er hat genauso wenige Beweise dafür wie Lieutenant McGrath. Und trotzdem möchte Warner, dass die Schwarze Fledermaus sich in den Fall einmischt. Er hat versucht, die Geschichte besonders spannend zu erzählen, damit, falls ich die Schwarze Fledermaus bin, im ganz großen Stil in den Fall einsteige – und genau das werde ich auch tun.

Diese Morde könnten von einem Verbrecherring begangen worden sein, aber das glaube ich nicht. Sie waren kaltblütig und vorsätzlich so geplant. Bedenken Sie, bei fünf anderen Diebstählen wurde niemand getötet. Hollis und Kilpatrick mussten nicht sterben, einfach nur, weil die Polizei unterwegs war. Für die Mörder sollte jede Sekunde gezählt haben, die sie zur Flucht hätten nutzen können. Lange genug zu bleiben, um einen Mord zu begehen, ist der Beweis, dass es von vornherein so geplant war.

Mich interessiert, wie sie um alles in der Welt wissen konnten, dass die Polizei auf dem Weg war? Und warum haben die Mörder allesamt Buckel? Menschen, die auf diese Art entstellt sind, sind normalerweise kränklich und schwach. Nur sehr wenige haben das Zeug zu ruchlosen Killern oder auch nur Dieben. Silk, wenn Warner die Schwarze Fledermaus auf den Fall neugierig machen wollte, ist ihm das absolut gelungen. Rufen Sie Butch und Carol an. Lassen Sie sie rüberkommen, sofort. Wir legen los, solange die Fährte noch frisch ist.“

Silk nickte eifrig.

Er war mehr als heiß darauf, seinen scharfen Verstand zu nutzen, um den Mördern auf die Schliche zu kommen. Silk war einst ein Schwindler und später sogar ein Dieb. Seitdem er Quinns Leben gerettet hatte, indem er seine eigene Freiheit aufs Spiel setzte, waren die beiden zu engen Freunden und Verbündeten geworden.

Als er Carol Baldwins Nummer wählte, dachte er an die Zeit zurück, als Tony Quinn wirklich blind war. Und dann kam sie, blond und bezaubernd, mit der einzigen Lösung, ihm sein Augenlicht wiederzugeben. Ihr Vater war ein Ordnungshüter und starb an der Kugel eines Schurken. Er vermachte seine Augen an Tony Quinn, damit der Kampf gegen das Verbrechen weitergehen konnte.

Ein geschickter und kaum bekannter Landarzt hatte die Operation durchgeführt und Tony Quinn konnte wieder sehen. Eine Operation, die komplett geheim gehalten wurde.

Neben Carol und Silk wusste nur eine weitere Person, dass Tony Quinn sehen konnte und die Schwarze Fledermaus war. Dieser Mann war Jack O’Leary, besser bekannt als Butch, aufgrund seiner enormen Größe. Er war kein Schnelldenker, aber absolut loyal, und wenn die Fledermaus Muskelkraft benötigte, war Butch ein wirklich nützlicher Verbündeter.

Dreißig Minuten später waren alle vier in Tony Quinns Labor zusammengekommen, das geschickt hinter den Wänden seines Arbeitszimmers versteckt war. Hier stand Quinn jedes wissenschaftliche Gerät zur Verbrechensbekämpfung zur Verfügung. Große Wälzer über Verbrechenspsychologie, Toxikologie, mikroskopische Analyse und die nötige Ausrüstung, um das gebündelte Wissen dann auch in die Praxis umsetzen zu können und Schurken damit das Handwerk zu legen.

Quinn saß neben Carol und hielt eine ihrer Hände in seinen eigenen. Ein Gefühl, das über Freundschaft hinausging, hatte sich zwischen den beiden entwickelt. Aber nun waren alle gespannt, was Quinn zu berichten hatte.

„Wir müssen hart und schnell zuschlagen. Silk, Sie müssen hier bleiben und die Verbindung zu uns halten. Entschuldigen Sie, aber Sie müssen von hier aus meine Anweisungen empfangen und weitergeben, wenn ich Hilfe brauche. Carol, du beginnst sofort mit deinen Ermittlungen bezüglich Grant Hollis und Robert Kilpatrick.

Tauch ein in die Leben der beiden, sprich mit Menschen, die etwas über Freunde und Feinde der beiden zu berichten wissen, ihren Frauen. Wer profitiert vom Tod der beiden? Halte dich nur von ihren Häusern fern, da werde ich Untersuchungen anstellen. Commissioner Warner hat der Schwarzen Fledermaus freundlicherweise eine offene Einladung ausgesprochen, beide Häuser nach Spuren zu durchsuchen. Er sagte mir, dass er alle Wachen abziehen möchte. Untersuche dann die anderen fünf Opfer. Die Namen findest du in den Zeitungen.“

„Was ist mit mir, Boss?“ Butchs donnernde Stimme mischte sich ein. „Darf ich jemanden was auf die Schnauze geben?“

„Vielleicht.“ Quinn grinste. „Eigentlich kann ich es sogar garantieren. Hören Sie sich trotzdem erst mal in der Unterwelt um. Schauen Sie, ob Sie etwas über zwei bucklige Gauner herausfinden können, die sich gut miteinander verstehen. Hören Sie sich um, was über die beiden Morde erzählt wird – und halten Sie sich Ärger vom Leib.“

Quinn öffnete eine Falltür im Boden und holte ein paar ordentlich gefaltete Kleidungsstücke hervor. Carol lächelte ihn an, drehte sich um und schaute die Wand an, während Quinn aus seiner Tweedhose schlüpfte und das Smokingjackett ablegte. Er zog eine schwarze Hose an, ein schwarzes Seidenshirt, schwarze Schuhe und schwarze Handschuhe, die so eng anlagen, als wären sie aus Gummi gemacht.

Zuletzt zog er eine Maske über seinen Kopf. Sie verdeckte sein Gesicht und verbarg die grauenhaften Narben, die die Säure in sein Gesicht gebrannt hatte. Ein Umhang vervollständigte seine Aufmachung. Es war ein besonderer Umhang; er hatte Falten wie die Flügel einer Fledermaus, und wenn er seine Arme ausbreitete, sah er für die Welt aus wie eines dieser nachtaktiven Tiere im Flug.

Das Klicken zweier schwerer automatischer Waffen, Kaliber .45, brachte Carol auf den Plan. Sie trat an seine Seite, berührte vorsichtig seinen Arm und schaute ihm in die Augen.

„Tony, ich weiß, du musst das tun. Aber sei vorsichtig. Ich – ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn dir etwas zustößt. Ich weiß es wirklich nicht.“

Er tätschelte ihre Wange und lächelte.

„Man hat schon jedes bekannte Mittel versucht, um mich von der Erdoberfläche zu tilgen, Liebling. Aber ich lebe immer noch und das wird auch so bleiben. Die Schwarze Fledermaus hebt nun ab. Denk dran, dich alle fünfzehn Minuten bei Silk zu melden. Es könnte sein, dass ich alle Hilfe brauche, die ich kriegen kann.“

Die Schwarze Fledermaus rutschte die Leiter hinunter und verschwand.

Wenn die Unterwelt diese Szene hätte sehen können, hätten die Beobachter gezittert und sich in ihre verschiedenen Rattenlöcher verkrochen. Sie alle kannten und fürchteten nämlich die Schwarze Fledermaus.



Kapitel 3 - Die Todesfalle


Logan, dem Kammerdiener von Grant Hollis, gefiel es nicht, dass die Polizisten so plötzlich abgezogen wurden. Alle anderen Diener hatten das Haus verlassen und er war alleine in dem großen Anwesen, das vor nur so kurzer Zeit Schauplatz eines so gewaltvollen Todes war. Er war nervös und fühlte sich überhaupt nicht wohl in seiner Haut. Was, wenn die beiden buckligen Killer zurückkommen würden? Welche Chance hätte er gegen sie?

Er stand auf und machte sich einen Drink. Seine Hände zitterten bedenklich und er setzte sich wieder hin, wurde aber von jedem Knarren, welches das riesige Haus von sich gab, wieder aufgeschreckt. Doch nun schreckte Lo­gan nicht hoch – er blieb wie versteinert sitzen. Selbst der hochprozentige Whiskey, der durch seinen Körper floss, ließ ihn nicht zucken. Eine Hand hatte sich auf seine Schulter gelegt.

„Keine Angst“, sagte eine ruhige Stimme. „Ich bin nicht hier, um Ihnen etwas zu tun, Logan. Stehen Sie auf und schauen Sie mich an.“

Logan stand sehr langsam auf. Er machte große Augen, als er die dunkle Gestalt der Schwarzen Fledermaus sah, die hinter seinem Stuhl stand. Logan war der Schwarzen Fledermaus noch nie begegnet, aber er hatte von ihr gehört, und etwas an diesem durchdringenden Blick, der ihm durch die Schlitze der Maske hindurch begegnete, beruhigte ihn.

„Äh, ja, Sir!“ Er schluckte. „Sie sind die Schwarze Fledermaus. Ich werde a-alles tun, um Ihnen zu helfen.“

„Gut“, sagte die dunkle Gestalt. „Dann erzählen Sie mir, was alles gestohlen wurde. Das Geld und der Schmuck interessieren mich nicht, sondern die anderen Sache, Dinge von persönlichem Wert und Kuriositäten.“

Logan deutete in Richtung des Kaminsimses.

„Dort standen vier Gegenstände, die in erster Linie den Sims verschönern sollten. Sie waren aber nicht viel wert. Es waren eine Vase, eine Statue, ein handgemaltes Porträt auf einer kleinen Staffelei und eine lackierte Schmuckschatulle, die Mr. Hollis vor ein paar Jahren aus Nordafrika mitgebracht hatte. Alles in allem waren diese Dinge wohl fünfzig Dollar pro Stück wert.“

Plötzlich trat die Schwarze Fledermaus zurück und löschte alle Lichter im Raum.

„Hollis war ein eifriger Jäger, nicht wahr? Der Kopf des Ebers, wo hat er den erlegt?“

Logan klappte die Kinnlade herunter. „Was zum Teufel, wie können Sie im Dunkeln sehen? Mr. Hollis hat das Biest in Bahawal erlegt, ein kleiner unabhängiger Staat zwischen Indien und Tibet. Das war vor drei oder vier Jahren. Aber ich verstehe nicht, wie sie das im Dunkeln sehen können.“

Die Lippen der Schwarzen Fledermaus formten ein Lächeln. Viele andere Personen hatten sich über diese Fähigkeit schon gewundert und nur die Schwarze Fledermaus selbst und seine drei Verbündeten kannten die Antwort.

Nach der Operation an seinen Augen hatte Tony Quinn einen super-sensiblen Blick entwickelt, der es ihm erlaubte, beinahe genauso deutlich in der Dunkelheit wie im hellen Licht zu sehen. Sogar Farben konnte er in ihrem richtigen Ton wahrnehmen. Und er hatte noch weitere Eigenschaften erlangt, die einen regelrechten Superhelden aus ihm machten. Die Monate als blinder Mann hatten seinen Gehör- und seinen Tastsinn auf ein erstaunliches Niveau angehoben.

„Entschuldigen Sie, dass wir unser kleines Gespräch im Dunkeln fortführen müssen, Logan, aber wenn jemand aus Zufall durchs Fenster blickt, möchte ich nicht unbedingt gesehen werden. Und nun beschreiben Sie mir die Gegenstände vom Kaminsims noch mal ganz genau.“

Logan wünschte sich, dass sein Whiskyglas noch nicht leer war.

„Es war nichts Besonderes an den Sachen, Sir. Aber jetzt, wo ich nachdenke, fällt mir etwas anderes ein. Mr. Hollis war sehr aufgeregt an dem Tag vor seiner Ermordung. Er befand sich gerade in diesem Raum, als er plötzlich etwas rief, nach seinem Hut griff und raus zu seinem Auto lief. Kurz darauf rief er mich an, sagte, dass er in seinem Büro sei und dass er auswärts zu Abend essen wollte. Aber, was die Gegenstände auf dem Kaminsims betrifft, wie schon gesagt, die waren weder von hoher Wichtigkeit noch von großem Wert.“

„Hollis ist also in großer Eile zu seinem Büro gefahren.“ Die Bemerkung der Schwarzen Fledermaus kam aus dem Dunkeln. „Logan, kannte Hollis Roland Kilpatrick, der vor ein paar Stunden ermordet wurde?“

Logan runzelte die Stirn und die Schwarze Fledermaus starrte in die Dunkelheit, um die Veränderung in der Mimik des Dieners zu beobachten.

Er seufzte, bevor er sprach.

„Nun, Sir, die Sache mit Mr. Kilpatrick ist echt seltsam. Die beiden kannten sich nicht, trotzdem kam Mr. Kilpatrick am frühen Nachmittag, um sein Beileid auszusprechen. Er war richtig aufdringlich, wollte unbedingt ins Haus und schritt zielstrebig auf diesen Raum zu, in dem wir uns gerade befinden. Er sah sich um und eilte dann wieder nach draußen.“

Logan erwartete weitere Fragen, die jedoch ausblieben. Er versuchte auszumachen, wo die Schwarze Fledermaus stand, aber es war einfach zu dunkel. Zwei Minuten verstrichen, bis Logans angeschlagene Nerven es nicht mehr aushalten konnten.

„Sagen Sie doch etwas, Sir. Ich fühle mich unwohl in der Dunkelheit. Ich ertrage das nicht. Ich will auch gerne versuchen, Ihnen noch mehr über die gestohlenen Gegenstände zu erzählen. Soll ich?“

Die Antwort blieb aus. Mit einem erstickten Schrei rannte Logan zur nächsten Lampe und schaltete sie ein. Der Raum war leer.

„Verschwunden! Ohne das leiseste Geräusch zu machen.“ Logan keuchte. „Ich bin froh, dass er nicht mir auf den Fersen ist.“

Die Schwarze Fledermaus war leise wie ein Gespenst durch die Tür rausgeschlichen. Kilpatricks Anwesen war nur zehn Blocks entfernt. Er sprang über eine Hecke, überquerte den Bürgersteig wie ein Schatten und stieg in ein kleines Coupé, das er in der Nähe von Hollis’ Anwesen geparkt hatte.

Während er zu Kilpatricks Haus fuhr, ging er mit seinem scharfen Verstand die Details durch. Kilpatrick hatte Hollis Diener keinen Besuch abgestattet, um sein Beileid auszusprechen. Dieser Besuch galt lediglich dem Anlass, seine Neugier zu befriedigen. Aber worum ging es ihm?

Wenn die beiden Männer nicht befreundet waren, woher wusste Kilpatrick, dass Hollis etwas besaß, das für ihn von Interesse war? Und was bedeutete Hollis’ plötzlicher Ausruf, woraufhin er direkt in sein Büro fuhr, in der obersten Etage eines Hochhauses im Zentrum der Stadt, das seinen Namen trug? Mehr und mehr wurde der Fledermaus etwas klar: Obwohl dieser Fall aussah wie die Tat von plumpen Einbrechern, steckte noch etwas anderes dahinter.

Das Kilpatrick-Anwesen ähnelte Hollis’ Haus. Es lag im Mittelpunkt eines Wohnviertels. Im gesamten Erdgeschoss brannte Licht. Die Schwarze Fledermaus parkte sein Coupé, betrat das Grundstück und eilte zur Rückseite des Hauses.

Er kauerte sich unter einen Fenstersims, riskierte einen kurzen Blick in ein leeres Zimmer und wiederholte den Vorgang, bis er das Arbeitszimmer entdeckte, in dem ein grauhaariger Mann hinter einem Schreibtisch saß und einen Stapel Dokumente untersuchte, der sich vor ihm auftürmte.

Die Schwarze Fledermaus kannte den Mann. Er war Anwalt, sogar ein guter, mit zwei Spezialbereichen, die so weit auseinanderlagen wie Nord- und Südpol. Er war ein Experte für Grundstücke und der cleverste Kriminalverteidiger des Landes. Jay Fenner war alles andere als ein Dummkopf.

Die Schwarze Fledermaus schaute auf zum ersten Stock. Ein Fenster lockte einladend. Er kletterte einen Baum hinauf, krabbelte über einen dicken Ast und stand eine Minute später in einem Schlafzimmer. Er trat hinaus in den Flur und lauschte. In dem gesamten großen Haus war kein Laut zu hören. Offensichtlich war Jay Fenner die einzige anwesende Person.

Die Schwarze Fledermaus bewegte sich die Treppe hinab, zog eine Waffe und betrat leise den Raum, bis er direkt vor dem Schreibtisch stand, an dem Jay Fenner mit seiner Arbeit beschäftigt war. Der Anwalt spürte die Anwesenheit des Besuchers mehr, als dass er ihn sah. Er schaute auf, stieß einen überraschten Laut aus und sprang auf seine Füße. Sein Stuhl flog nach hinten.

„Entschuldigen Sie, wenn ich Sie so überfalle“, sprach die Schwarze Fledermaus ruhig. „Bitte, heben Sie Ihren Stuhl auf und setzen Sie sich wieder hin, Mr. Fenner. Entschuldigen Sie die Waffe in meiner Hand. Es handelt sich lediglich um ein Zeichen, dass ich die Oberhand habe.“

Fenner fand schnell seine Fassung wieder. Er stellte den Stuhl wieder gerade und setzte sich.

„Die Schwarze Fledermaus“, rief er aus. „Sie interessieren sich also für den Fall. Warum? Da ist doch nichts dran, außer einfachem Einbruch und Mord.“

Die Schwarze Fledermaus ignorierte die Frage. Er winkte mit seiner Pistole in Richtung der Dokumente, die über den Schreibtisch verteilt lagen.

„Haben Sie etwas Interessantes aus Kilpatricks Papieren erfahren, Fenner? Wer erbt übrigens sein Vermögen?“

„Sein Vetter, James Downing, bekommt alles. Kennen Sie Downing, den Polospieler und Großwildjäger?“

„Ich kenne Downing“, antwortete die Schwarze Fledermaus. „Haben Sie eine Liste der Dinge, die aus diesem Haus gestohlen wurden?“

Fenner schaute in die stählernen Augen, die ihm durch die Maske hindurch entgegenblickten. Er schauderte und wusste, dass er von jetzt an nie wieder über die krummen Jungs unter seinen Klienten spotten würde, wenn sie ehrfürchtig den Namen des Erzfeindes allen Verbrechens flüsterten. Er wühlte in den Papieren und fand, was er suchte.

„Schmuck im Wert von dreitausend Dollar, zweitausend Dollar in bar und dreitausend Dollar in Wertpapieren. Eine beachtliche Ausbeute! Es wurden noch ein paar andere Dinge gestohlen, belangloses Zeug. Eine Buchstütze, zum Beispiel. Sie haben eine gestohlen und die andere zurückgelassen. Eine emaillierte Zigarrenbox, ungefähr fünf Dollar wert, eine kleine Schreibtischuhr.

Sieht für mich so aus, als hätten die Einbrecher einfach alles von Kilpatricks Schreibtisch in einen Sack geschaufelt. Das waren Teufel! Wussten Sie, dass sie Kilpatrick gefoltert haben, bevor sie ihm eine Kugel durch den Schädel jagten? Sie verbrannten seine Finger in einer entsetzlichen Weise.“

Der Blick der Schwarzen Fledermaus strich durch das weiträumige Zimmer. Es war mehr eine Trophäenausstellung als ein Arbeitszimmer.

Genau wie Hollis war Kilpatrick ein bekannter Großwildjäger. Die üblichen Tiertrophäen reihten sich an der Wand aneinander. Eine der Trophäen hatte es der Schwarzen Fledermaus besonders angetan. Es war eine Kobra, die von einem professionellen Präparator ausgestopft und auf eine Spule aufgewickelt war. Unter dem Exponat hing eine Messingplakette. Die Schwarze Fledermaus las die Worte auf eine Entfernung, in der ein durchschnittlicher Mensch die Buchstaben niemals hätte entziffern können:


1939 – Bahawal Kobra


Die Schwarze Fledermaus verneigte sich in Richtung von Anwalt Fenner.

„Ich danke Ihnen. Die Zusammenarbeit war sogar noch besser, als ich es erwartet hätte, von einem Kriminalverteidiger, dessen Klienten meine Feinde sind.“

Fenner lachte. „Ich tue es fürs Geld. Ich sehe die Ratten, die ich verteidige, nicht als meine Freunde an.“

Als Fenner den Satz beendete, ging das Licht aus. Er fluchte, stand aber nicht auf, um das Licht wieder anzuschalten, bis ganze fünf Minuten verstrichen waren.

„Verdammter unverschämter Teufel“, murmelte er zu sich selbst. „Hätte ich nur eine Waffe gehabt ...“

Fenner traf eine schnelle Entscheidung. Er griff zum Telefon und wählte mit schnellen Fingern.

„Hallo Downing“, sagte er. „Hier spricht Fenner. Ich hab Neuigkeiten für Sie. Die Schwarze Fledermaus war hier. Er hat Informationen aus mir rausgeholt, die Sie mit dem Fall in Verbindung bringen. Es kann sein, dass er auf dem Weg zu Ihnen ist.

Besorgen Sie sich eine Waffe, verstecken Sie sie gut und, wenn Sie die Chance haben, erschießen sie den Kerl. Wie, warum? Nun, warum nicht? Der Mann ist doch eine Krankheit. Die Polizei sucht ihn. Und, Downing, zufälligerweise habe ich gehört, dass die Unterwelt demjenigen 50.000 Dollar bietet, der die Schwarze Fledermaus kalt macht. Das interessiert Sie doch sicherlich, oder? Gut, ich leg jetzt auf. Wenn Sie die Fledermaus sehen, schießen Sie, direkt und schnell.“



Kapitel 4 - Pistolenfeuer


Der Nachtwächter im Hollis-Gebäude hatte auf seiner Patrouille das hinterste Ende des Flurs im oberen Stockwerk erreicht. Er schritt an einem Büro vorbei, das den Namen Grant Hollis und den Hinweis Privat trug. Der Nachtwächter schauderte. Er mochte es nicht, sich in der Nähe von Orten aufzuhalten, die mit gewaltvollem Tod in Verbindung standen – noch nicht einmal in einem leeren Bürogebäude.

Er schritt an der Tür zu einem verdunkelten Büro vorbei und hatte keinen Schimmer, dass die Tür zum Büro sich öffnete, nachdem er an ihr vorbeigegangen war. Seine erste Ahnung einer drohenden Gefahr kam mit voller Wucht.

Etwas donnerte mit einem gewaltigen Schlag gegen seinen Schädel. Er taumelte ein paar Schritte und sank dann gegen die Wand. Als er in Richtung Boden rutschte, fragte er sich, ob sein Tod schon eingetreten sei und er sich bereits auf dem Weg ins Jenseits befand. Vier – nein, fünf seltsame Kreaturen bewegten sich auf ihn zu. Sie trugen alle schwarze Klamotten und breitkrempige Hüte, die sie tief in die Stirn gezogen hatten. Schwarze Schals verdeckten ihre Gesichter. Und – jeder von ihnen hatte einen Buckel.

Einer der Buckligen beugte sich über ihn. Seine Augen funkelten böse. Die glänzende Klinge eines Messers erhob sich. Der Bogen, den die Klinge beim Niedersausen beschrieb, bewies, dass der Messerstecher kein Amateur in Sachen Mord war. Für den Wächter wurde die Welt schwarz. Die Klinge, die sein Herz perforierte, hatte ihm das Licht ausgeknipst.

„Beeilt euch“, brummte einer der Buckligen. „Tragt den Wächter in eines der Büros und wischt das Blut auf. Matt, kümmer dich um die Tür von Hollis’ Büro. Mac, roll den Gastank hier rauf. Macht nicht mehr Krach als nötig. Ich werde für den Wächter seine Ringe in meine Obhut nehmen. Legt los!“

Jeder der Buckligen schien genau zu wissen, welcher Teil der Arbeit ihm zugedacht war. Aus dem Lastenaufzug wurde ein Schweißbrenner samt Gastank gerollt. Der Bucklige namens Matt hatte die Bürotür geknackt und der Gastank wurde hineinmanövriert.

Zugeklebte Taschenlampen ließen nur einen kleinen Spalt frei. Der Raum wurde mit diesem dünnen Lichtstrahl durchsucht, der schließlich auf einem großen, modernen Safe ruhen blieb. Einer der Einbrecher zog seinen Schal ein wenig tiefer, setzte eine blaue Brille auf und nahm den Schweißbrenner in Betrieb.

Draußen im Gang, nahe des Liftschachts, standen zwei weitere Bucklige Wache, ihre Waffen gezogen. Keiner von ihnen hörte oder sah, wie sich ein paar Meter den Flur runter eine Bürotür öffnete. Wenn es Ärger geben sollte, würde dieser aus der Richtung des Fahrstuhls oder der Treppen kommen. Die Büroräume waren allesamt leer. Einer der Buckligen drehte den Blick nach links. Er schaute auf und erhob seine Waffe.

„Die Schwarze Fledermaus!“, erklang sein heiserer Schrei.

Aus seiner Waffe löste sich ein Schuss und der Knall fand sein Echo in der 45er Automatik in der Faust der Schwarzen Fledermaus. Die zweite Wache begann, um Hilfe zu rufen und wie von der Tarantel gestochen in Richtung Treppe zu laufen.

Kurz bevor er am Treppenhaus ankam, hielt er lange genug inne, um einen Verzweiflungsschuss auf die unheimliche Gestalt abzufeuern, die in der Mitte des Flurs stand. Doch die Kugel durchlöcherte nur die Decke, denn als sein Finger den Abzug betätigte, schoss die Schwarze Fledermaus erneut und verwandelte die Hand des Buckligen in einen blutigen Brei.

Er schrie vor Schmerz, stolperte und fiel die Treppen hinunter.

Die Tür zu Grant Hollis’ Büro öffnete sich und drei Männer rannten heraus. Die Schwarze Fledermaus stand mit gezogener Waffe bereit. Drei Paar Arme erhoben sich in die Luft.

„Bleibt genau, wo ihr seid“, warnte sie die Schwarze Fledermaus. „Eure Freunde waren töricht und haben die Rechnung dafür bezahlt. Bewegt euch zur Seite, bis ihr das Ende des Korridors erreicht habt, dann dreht euch um, Gesichter zur Wand.“

Die Männer bewegten sich, wie man es ihnen befohlen hatte. Die dunkle Gestalt beobachtete sie konzentriert dabei. Er hatte nicht erwartet, diesen Kampf so leicht zu gewinnen und spürte, dass sich noch immer ein beachtliches Potenzial an Gefahr im Gebäude befand. Seine wachen Augen sahen, wie sich die Mimik der drei Buckligen veränderte.

Mit einer Waffe zielte er weiterhin auf die drei, drehte sich halb herum und sah, wie sich zwei weitere der merkwürdigen Geschöpfe auf ihn zubewegten. Er feuerte zweimal. Einer der Männer fiel zu Boden und fasste sich dabei an die Schulter. Der andere wich aus und trat einen schnellen Rückzug an.

Aber da waren noch mehr! Aus Hollis’ Büro kamen noch zwei andere und drei weitere das Treppenhaus hoch.

„Das ist die Schwarze Fledermaus!“, schrie einer der Männer, der das obere Ende des Treppenhauses erreicht hatte. „Holt ihn euch! Knallt ihn nieder! Er kann uns nicht entkommen. Wir habe alle Ausgänge verstellt.“

Die Schwarze Fledermaus feuerte aus beiden Waffen und stürzte sich in eine stürmische Attacke. Die Männer im Treppenhaus zogen sich hastig zurück, aber die anderen, die vor der Wand Aufstellung genommen hatten, traten nun in Aktion.

Eine Kugel traf die Backsteinwand hinter der Schwarzen Fledermaus, streifte gefährlich nahe an ihm vorbei und machte ihm deutlich, dass seine Gegner zu viele für ihn allein waren. Seine Schritte hatten ihn direkt vor die Tür des Büros geführt, durch das er sich Zutritt zum Gebäude verschafft hatte. Er drückte mit dem Rücken die Tür auf – und war verschwunden.

Einer der Buckligen ließ einen Triumphschrei ertönen.

„Wir haben ihn umzingelt. Jemand soll Mac Bescheid geben, dass er sich mit dem Safe beeilt. Die Polizei wird bald von der Schießerei erfahren. Aber bevor wir gehen, soll die Schwarze Fledermaus erfahren, wie heißes Blei schmeckt. Richtet die Waffen auf dieses Büro. Ich schieß das Schloss auf, und sobald sich die Tür öffnet, füllt ihr den Raum mit Blei – aber schnell.“

Der Killer bewegte sich vorsichtig durch den Flur, mit dem Rücken zur Wand, bis er nahe an der Tür war, durch welche die Schwarze Fledermaus verschwunden war. Er richtete die Waffe darauf und gab drei schnelle Schüsse ab. Das Schloss zerfiel in seine Einzelteile. Er trat gegen die Tür, die sich durch die Wucht des Tritts weit öffnete. Innendrin war nichts außer Dunkelheit und es fand sich kein flammender Lauf einer Waffe, der die Anwesenheit der Schwarzen Fledermaus verriet.

„Okay“, brummte der Bucklige auffordernd. „Er muss da drin sein. Sicher versteckt er sich, bis wir reinkommen. Wir befinden uns 33 Etagen über dem Boden. Die einzige Fluchtmöglichkeit ist durch das Fenster. Also, wenn die Fledermaus nicht wirklich fliegen kann, muss sie noch drin sein. Seid bereit, wir kriegen ihn.“

Der Mann, der unter den Gaunern den Ton angab, wedelte mit der Waffe und stürmte durch die Tür.

Nichts passierte. Der Anführer fand den Schalter und schaltete das Licht an. Sein Blick bewegte sich durch das kleine Büro, sein Mund stand weit offen. Es gab keine anderen Türen. Das Fenster war fest verschlossen – und kein Zeichen von der Schwarzen Fledermaus.

„Aber er ist hier reingegangen“, rief der Bucklige aus. „Wir haben ihn alle gesehen. Vielleicht hat er eine Strickleiter dabei und ist aufs Dach.“

Schnell wurde das Fenster geöffnet, aber keine Strickleiter war draußen zu sehen. Der Bucklige starrte direkt runter zur Straße und schauderte. Er hob den Blick und schaute über die Dächer der benachbarten Gebäude, als würde er erwarten, die Schwingen der Schwarzen Fledermaus vor dem Nachthimmel zu entdecken.

Mit einem Knall schloss er das Fenster, fluchte laut und trat mit aller Wucht gegen einen Stuhl.

„Okay“, knurrte er. „Durchsucht jedes verdammte Büro auf dieser Etage. Macht ein bisschen zackig, denn die Bullen können jede Sekunde hierher kommen. Findet die Schwarze Fledermaus, habt ihr mich verstanden? Findet ihn und durchlöchert sein Fell. Ich geh zurück und schau, wie Mac vorankommt.“

Der Bucklige sah seinen Männern dabei zu, wie sie sich auf der Etage verteilten und die Büros durchsuchten. Schnellen Schrittes bewegte er sich zu Hollis’ Privatzimmer, aber warf dabei immer wieder einen Blick über seine Schulter.

Verdammte Schwarze Fledermaus! Er erschien einfach aus dem Nichts und verschwand so spurlos wie Rauchschwaden. Jeden Moment konnte die finstere Gestalt vor ihm auftauchen, mit seiner Waffe im Anschlag. Der Gauner schauderte, steckte eine Hand in seine Jackentasche und zog eine Granate hervor.

Er hatte bisher gezögert, sie zu benutzen, wegen des Lärms, den so ein Ding verursacht. Aber wenn die Schwarze Fledermaus nun auftauchen sollte, würde er den Stift ziehen und ihm das Ding verpassen. Er steckte seinen Finger in den Ring und hielt die Granate halb versteckt hinter seinem Rücken.

Er hörte das beruhigende Zischen von Macs Brenner und trat mutig in das Büro. Etwas drückte sich in seine linke Seite. Er erstarrte. Mac, vor dem Safe kniend, arbeitete schnell, während Schweiß seine Wangen runterlief. In seinen Augen, hinter den farbigen Gläsern der Brille, spiegelte sich nackte Angst.

Der Anführer der Buckligen riskierte einen Blick nach links und zuckte zusammen. Die Schwarze Fledermaus war wieder aufgetaucht.

„Bleib einfach ganz ruhig stehen“, warnte der schwarze Schatten, „bis dein Freund den Safe geöffnet hat. Ich interessiere mich sehr dafür, was Hollis da versteckt hat und warum ihr so heiß darauf seid.“

In seiner inneren Zerrissenheit entschied der Bucklige sich für eine kühne Tat. Die Schwarze Fledermaus hatte die Granate nicht bemerkt. Er zog ganz langsam den Sicherheitsbolzen heraus. Das Schloss des Safes fiel mit einem dumpfen Knall zu Boden. Mac sah über seine Schulter und die Schwarze Fledermaus gestikulierte mit der Waffe. Mac zog die schwere Tür weit auf.

„Beweg dich“, befahl die Schwarze Fledermaus dem Buckligen. „Hol alles aus dem Safe, worauf ihr es abgesehen habt.“

Das einzige Licht im Raum war die blaue Flamme des Schweißbrenners, den Mac in seiner zittrigen Hand hielt. Der Anführer der Buckligen riss den Stift heraus und warf die Granate in die gegenüberliegende Ecke des Büros. Dann stieß er einen wilden Schrei aus, stieß die Schwarze Fledermaus brutal von sich weg, sprang aus der Tür und knallte sie hinter sich zu.

Die Augen der Schwarzen Fledermaus suchten die Richtung ab, aus der der dumpfe Aufprall der Granate zu hören war. Er sah, wie sie langsam auf die Wand zurollte.

„Bring dich in Sicherheit!“, rief er zu Mac. „Das ist eine Granate!“

Er hechtete zu Hollis’ großem Stahlschreibtisch und warf das große Möbelstück um, um darunter Deckung zu finden. Mac stieß einen Schreckensschrei aus und lief in Richtung Tür.

Dann ging die Granate los. Die Explosion erschütterte den gesamten oberen Teil des Gebäudes. Die Bürowände fielen in sich zusammen, die Fenster wurden komplett rausgeblasen.

Mac, der von der vollen, tödlichen Wucht der Explosion erwischt wurde, starb in der gleichen Sekunde. Große Stücke vom Putz fielen auf den Stahlschreibtisch. Darunter war keinerlei Bewegung wahrzunehmen.

Draußen im Flur stieß der Anführer der Buckligen einen Triumphschrei aus und bewegte sich auf das Büro zu.

„Wenn ihn das nicht erledigt hat, ist er unzerstörbar“, bemerkte er erfreut. „Dieses eine Mal hat die Schwarze Fledermaus einen Gegner mit Köpfchen erwischt. Ich ...“

Er hörte auf zu sprechen und schien die Ohren zu spitzen.

„Rein ins Büro“, befahl er seinen Männern. „Kümmert euch um Nichts außer dem Safe. Räumt ihn aus und macht schnell. Hundert Funkstreifen sind auf dem Weg hierher, wir müssen das hier schnell zu Ende bringen.“

Als sie die Tür öffneten, schauderte selbst der abgestumpfte Anführer beim Anblick der Zerstörung, der sich ihnen bot. Er sah Macs leblosen Körper auf dem Boden, stieg über ihn hinweg und ging direkt zum Safe.

Er wühlte darin herum, zog etwas heraus und steckte es in seine Tasche. Dann warf er einen Blick in die andere Ecke des Raumes. Hollis’ Schreibtisch war umgestoßen und er konnte ein Paar Beine sehen, die darunter hervorschauten.

„Schaut euch an, Jungs, was von der Schwarzen Fledermaus übrig geblieben ist!“, frohlockte er. „Und nun nichts wie raus hier. Ich würde gerne rausfinden, wer hinter der Maske steckt, aber die Bullen sind gerade eingetroffen. Wir nehmen den Lastenaufzug, fahren runter, und wenn wir die Bullen im Keller treffen, verpassen wir ihnen eine Ladung.“



Kapitel 5 - Sturz in die Ewigkeit


Die Männer liefen zurück durch den Flur, ihr Anführer mit großem Abstand vorneweg. Ein Mann – der letzte, der dabei war, das verwüstete Büro zu verlassen, übersah Macs Leiche auf dem Boden. Er stolperte und fiel flach aufs Gesicht. Benommen vom Aufprall auf den Boden brauchte er ein paar Sekunden und als er den Kopf wieder hob, erkannte er, dass er in der Falle saß. Mehrere Streifenpolizisten mit gezogenen Waffen eilten durch den Flur auf ihn zu.

Der Schurke stand auf, hastig nach einer Fluchtmöglichkeit suchend. Sein Blick streifte über den umgekippten Schreibtisch. Die beiden Füße waren nicht mehr zu sehen. Er fühlte einen kalten Luftzug und blickte automatisch in Richtung Fenster. Es stand weit offen und ein Seil bewegte sich draußen. Für ihn gab es keinen anderen Ausweg.

Er rannte zum Fenster, ergriff das Seil und kletterte auf das Fenstersims. Er traute sich nicht, hinunter in den Abgrund zu blicken, der ihm so tief wie die Ewigkeit erschien. Er zog sich langsam herauf, darum betend, dass die Polizei das Seil nicht entdecken würde, das da vorm Fenster baumelte.

Er hatte beinahe das Dach erreicht. Aber nun rächte sich das leichte Leben, das er führte. Seit Jahren war seine schwerste Aufgabe, mit einem Knüppel auf die Schädel unschuldiger Opfer einzuschlagen. Seine Muskeln begannen, müde zu werden und ein Angstschrei kam über seine Lippen. Doch da hörte er eine ruhige Stimme vom Dach.

„Halt durch. Ich zieh dich rauf.“

Er wusste, dass die Stimme nur einer Person gehören konnte – der Schwarzen Fledermaus. Doch selbst die Begegnung mit dieser berüchtigten Gestalt war besser, als über dreißig Etagen tief in den sicheren Tod zu stürzen. Seine Finger verkrampften sich am Seil. Dann spürte er, wie er langsam nach oben gezogen wurde. Starke Arme packten ihn an den Schultern und zogen ihn aufs Dach. Er plumpste zu Boden, nicht in der Lage, sich zu bewegen. Seine Gedanken überschlugen sich, seine Sinne waren durch die Begegnung mit dem Tod vernebelt.

Die Schwarze Fledermaus warf das Seil aufs Dach und eilte zum Rand. Er blickte nach unten. Funkstreifen näherten sich aus allen Richtungen. Er saß wieder in der Falle, genauso wie in Hollis’ Büro, als der Anführer der Buckligen die Granate warf.

Seine Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengezogen. Jeden Moment würde eine ganze Horde Streifenpolizisten aufs Dach steigen.

Der Bucklige, den die Schwarze Fledermaus gerettet hatte, kauerte nun auf seinen Knien und fischte nach seiner Waffe. Gedanken an die 50.000 Dollar Belohnung, die auf den Kopf der Schwarzen Fledermaus ausgesetzt waren, trübten sein kleines Gehirn. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, dass er sich in derselben tödlichen Falle wie sein ausgemachtes Opfer befand und dass die Bullen ihn kriegen würden.

Er hob die Waffe, aber seine Hand zitterte gewaltig von der Anstrengung, der er seine Muskeln ausgesetzt hatte. Er drückte den Abzug, aber verfehlte sein Ziel um fast einen halben Meter. Die Schwarze Fledermaus wirbelte herum und zog seine eigenen Waffen. Der Ganove stieß einen Angstschrei aus und warf seine Waffe von sich weg. Er hob die Hände und ergab sich schluchzend.

Die Schwarze Fledermaus hatte weder Zeit, den Buckligen zu befragen, noch, ihn zu durchsuchen. Dieser eine Schuss würde jeden einzelnen Bullen aufs Dach locken. Er wickelte das Seil auf, das er benutzt hatte, um sich in Hollis’ Büro einzuschleichen und anschließend wieder zurück aufs Dach zu klettern. Es war mit einem dicken Haken versehen.

Er rannte zur Rückseite des Gebäudes, befestigte den Haken und fluchte leise, als er den Buckligen sah, der in der Dunkelheit nach seiner Waffe suchte. Die Schwarze Fledermaus hätte ihn töten können, aber er machte sich nicht die Mühe, nach seinen Waffen zu greifen. Die waren ausschließlich zur Selbstverteidigung gedacht.

Einen Moment später stürzten vier Streifenpolizisten aufs Dach. Weitere Bullen waren ihnen dicht auf den Fersen. Einer erhob den Finger. Nah des Dachrandes kauerte eine Gestalt, in schwarz gehüllt, und sie schien einen Umhang zu tragen, der vom Wind aufgeblasen wurde.

„Die Schwarze Fledermaus!“, rief einer der Männer. „Holt ihn euch! Lebendig!“

Sie bewegten sich vorwärts. Die Gestalt saß komplett in der Falle. Sie hob eine Waffe und eröffnete das Feuer. Einer der Polizisten fiel gegen ein Rohr und blieb auf dem Dach liegen. Die anderen hielten die Waffen bereit und zögerten nicht länger. Ein Bleihagel prasselte auf sie ein.

Die schwarz gekleidete Gestalt richtete sich auf, stolperte einen Schritt zurück und traf auf die Brüstung. Sie schwankte und fiel über das Geländer. Ein lang gezogener Schrei verfolgte ihren Fall. Einer der Polizisten drehte sich weg und verdeckte die Augen.

„Das war die Schwarze Fledermaus“, sagte er langsam. „Und auch wenn er mit einem Fuß auf der falschen Seite des Gesetzes war: Er hat noch nie einen Polizisten angegriffen und uns dafür oft geholfen.“

„Das stimmt“, sagte ein anderer Polizist. „Aber er musste es tun. Ich denke, er wollte lieber auf diese Weise draufgehen, als demaskiert zu werden. Da kommt Lieutenant McGrath. Er wird sich freuen, der alte Esel!“

McGrath hörte die Geschichte aus dem Mund der aufgeregten Polizisten. Er trat zum Rand des Dachs und schaute nach unten. Als er sich umdrehte, war sein Blick hart, aber seine Augen feucht.

„Und es war ganz sicher die Schwarze Fledermaus?“, fragte er.

„Wer sonst?“, sagte ein Polizist herausfordernd. „Wir konnten ihn deutlich sehen. Komplett in schwarz gekleidet mit einer Art Umhang über den Schultern. Es kann nur die Fledermaus gewesen sein.“

McGrath schluckte. Er konnte seinen eigenen Männern nicht in die Augen sehen. Nun, da es wirklich so weit gekommen und die Schwarze Fledermaus wirklich tot war, sah alles anders aus. Die Frechheiten, die sich der Typ erlaubt hatte, seine Aufkleber in Form einer Fledermaus, die an allen Tatorten klebten, an denen er aufgetaucht war, waren plötzlich unwichtig. McGrath fühlte sich fast, als hätte er einen unersetzlichen Freund verloren.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783957190109
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Kult Klassiker Krimi Spannung

Autor

  • G. W. Jones (Autor:in)

G. Wayman Jones – hinter diesem Pseudonym verbirgt sich meistens der amerikanische Autor Norman A. Daniels, so auch beim vorliegenden Roman.
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Titel: Die schwarze Fledermaus 10: Der Sieg der Schwarzen Fledermaus