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Die schwarze Fledermaus 15: Stadt in Angst

von G. W. Jones (Autor:in)
174 Seiten
Reihe: Die schwarze Fledermaus, Band 15

Zusammenfassung

Aus dem Amerikanischen von Harald Gehlen. Drei brutale Verbrechen ereignen sich fast zeitgleich in Chicago. Tony Quinn ist überzeugt, dass es eine Verbindung zwischen den drei Ereignissen gibt. Doch all dies ist nur das Vorspiel zu einer beispiellosen und grausamen Verbrechensserie, wie sie Chicago noch nicht erlebt hat. Die Printausgabe umfasst 230 Buchseiten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis




Kapitel 1 – Ein Verbrechen kündigt sich an

In einer einzigen Nacht, in einem Zeitraum von zwei Stunden, schlug der Tod gleich an drei Ecken der Stadt zu, die nicht weiter voneinander entfernt hätten sein können. In zwei von den drei Fällen gab es keinen erkennbaren Grund dafür, dass unschuldiges Blut vergossen wurde. Das Genie eines Mannes, die unerschütterliche Loyalität seiner Helfer, das Donnern einer Schießerei und das furchterregende Flüstern von schwarzen Schwingen in der Nacht waren die Zutaten für die Lösung des Falls und für die Enthüllung, welche Verbindung zwischen den Morden bestand und welcher verbrecherische Plan die Stadt in Atem hielt.

Im Carron Hospital, dem größten und besten Krankenhaus der Stadt, begann die Nachtschicht. Der letzte Besucher war gegangen, die Patienten mit einer letzten Runde warmer Milch oder Fruchtsaft versorgt und die leeren Gläser eingesammelt worden, zum letzten Mal für diesen Tag wurden Temperatur und Puls gemessen und in den Patientenakten notiert. Assistenzärzte in weißen Kitteln, Schwesternschülerinnen in gestreifter Tracht, Schwestern in strahlend weißer Uniform, alle bereiteten sich auf eine ruhige Nacht vor, in der sie zwischen ihren Runden lesen, sich miteinander unterhalten oder rauchen konnten.

Plötzlich zerriss die Stille. Telefone surrten leise auf den Schreibtischen. In jedem Flur drang eine klare Stimme aus den Lautsprechern:

„Achtung! Eine Blinddarm-Not-OP auf der chirurgischen Station. Dr. Bacon, Dr. Korwitz, Dr. Lundeen, melden Sie sich in Chirurgie B. Die Schwestern Adams, ­Olson, Fredericks, Cantor melden sich ebenfalls in ­Chirurgie B. Eine Blinddarm-Not-OP.“

Schwester Olson, blond und kess, eilte ins Schwesternzimmer, als sie ihren Namen hörte, und trat an den Schreibtisch, an dem sich die Stationsschwester über das Telefon beugte.

„Wer ist es?“, fragte Schwester Olson, während sie nach ihrer Instrumentenliste griff. „Der alte Blunt?“

Die Stationsschwester nickte, ohne die rasche Folge von Anweisungen zu unterbrechen, die sie übers Telefon erhielt. Schwester Olson trat raus auf den Flur und schloss zu einem Assistenzarzt im weißen Kittel auf, der dasselbe Ziel hatte.

„Wissen Sie“, meinte sie, als sie auf den Fahrstuhl warteten, „das Leben ist schon komisch. Der alte Jonas Blunt, vierzig Millionen Dollar und ein paar Gequetschte schwer, an der Hälfte aller Geschäfte in der gesamten Stadt beteiligt, und trotzdem kann sein Appendix genauso platzen wie Ihrer oder meiner.“

Der Assistenzarzt nickte zustimmend. „Und einer Bauchfellentzündung ist es piep egal, ob Blunt neunundvierzig Prozent der Ausstattung des Krankenhauses gehören.“ Nach kurzem Zögern ergänzte er: „Aber er wird schon durchkommen. Der Chefarzt persönlich wird ihn operieren, und er hat noch nie eine OP verpatzt.“

Der Assistenzarzt wäre wohl weniger optimistisch gewesen, wenn er in diesem Moment einen Blick ins Büro des Chefarztes im Erdgeschoss geworfen hätte. Dr. Andrew Aker, Chefarzt des Carron Hospital und einer der begabtesten Chirurgen der Welt, hatte den Telefonhörer am Ohr. Die maschinengleiche Ruhe, die den Chirurgen sonst stets umwehte, bevor er sich dem Tod im offenen Zweikampf stellte, war wie weggeblasen.

Dr. Akers silbergraues Haar wirkte zerzaust, wie von nervösen Fingern durchwühlt, sein großes Gesicht war blass und unter der Haut seiner Kinnpartie zeichnete sich eine Hügelkette aus angespannten Muskeln ab. Die Hand, die den Telefonhörer hielt, zitterte merklich.

„Und Sie sind sicher, dass niemand auf meine Kleinanzeige geantwortet hat? Dann bringen Sie sie noch mal. Bringen Sie sie in jeder Ausgabe, bis ich Sie bitte aufzuhören. Und wenn jemand anderes eine Anzeige schaltet, die sich auf meine beziehen könnte, rufen Sie mich sofort an.“

Seine Hand umkrampfte den Telefonhörer, sein Kopf zitterte und seine lebensschenkenden Hände ballten sich zu Fäusten.

„Ich verstehe es nicht“, flüsterte er. „Sicher wird er doch einen Weg finden, auf meine Anzeige zu antworten.“

Das Telefon klingelte schrill. Es war die Stimme von Oberarzt Dr. Kyle.

„Der Patient in Chirurgie B ist so weit, Doktor. Seine Leukozytenzahl liegt über 14.000 und die Diagnosen haben sich bestätigt.“

„Bin gleich da“, antwortete Dr. Aker knapp.

Als er vom Schreibtisch aufstand, waren alle Spuren seiner Aufregung verschwunden. Sein Gesicht strahlte Ruhe aus, seine Hände zitterten nicht mehr. Die Kontrolle seiner Nerven, eine Eigenschaft, die er sein Leben lang trainiert hat, hatte ihn wieder einmal in die reibungslos funktionierende Chirurgiemaschine verwandelt, deren fähigen Händen man bedenkenlos ein menschliches Leben anvertrauen konnte.

Er trat in Chirurgie B und nahm unterbewusst wahr, dass seine Mitarbeiter bereit waren, dass die Instrumente frisch aus dem Sterilisator bereitlagen und eine Schwester mit seinem Kittel und seiner Maske auf ihn wartete. Dr. Kyle, dessen Gesichtszüge komplett von seiner ­Chirurgenmaske verdeckt wurden, nickte den anderen zu. Einen Moment später waren sie mitten in der Operation.

Ein geschickter Schnitt wurde vorgenommen, die Assistenzärzte arretierten mit Hilfe von Wundklammern die Muskelfasern. Dr. Aker streckte seine Hand aus, fühlte, wie man ihm ein frisches Skalpell reichte, führte den Einschnitt ins Bauchfell durch und griff nach der Gefäßklemme. Sein ganzes Denken konzentrierte sich auf die schwierige Aufgabe.

Nur am Rande seines Bewusstseins nahm er wahr, wie Dr. Kyle sich unbequem nah an ihn presste und dadurch die Bewegungsfreiheit seiner rechten Hand einschränkte. Aker zog die Stirn in Falten. Dr. Kyle sollte es eigentlich besser wissen. Niemals zuvor hatte er ihn bei einer OP so bedrängt.

Der Chefarzt drehte sich herum, um eine kostbare Sekunde zu verschenken und Dr. Kyle zu ermahnen. Sein Mund öffnete sich hinter der Maske und blieb so stehen, um einen klagenden Seufzer tiefster Qual auszustoßen.

Ein scharfer, unerträglicher Schmerz schoss ihm ins Herz. Dr. Aker versuchte, sich zu bewegen, zu schreien. Seine Muskeln versagten ihren Dienst und ein roter Nebel breitete sich vor seinen Augen aus. Er fühlte, wie er auf die hilflose Gestalt auf dem OP-Tisch zufiel, fühlte das Skalpell in seiner Hand, das in ungeschütztes Fleisch schnitt. Dann umspülte ihn komplette Finsternis, als das Leben seinen Körper verließ.

Der plötzliche Zusammenbruch von Dr. Aker in der Mitte einer schwierigen Operation lähmte alle Anwesenden für einen Moment. Und dann, in einer Geschwindigkeit, die von jahrelangem Training in Notfallsituationen zeugte, hechteten die Assistenzärzte heran, um die beiden bewusstlosen Körper voneinander zu trennen – Arzt und Patient. Eine Schwester in Weiß, die Panik ins Gesicht geschrieben, verließ den OP, um Hilfe zu holen. Blitzschnell drangen chirurgische Mitarbeiter in den OP.

„Er muss einen Herzinfarkt erlitten haben“, meinte eine Schwester.

„Einen Infarkt? Quatsch!“, blaffte ein Arzt, der sich über den Körper seines Chefs beugte. „Ein Skalpell wurde bis zum Griff in seine Brust gerammt. Dr. Aker ist erstochen worden. Es war Mord!“

Ein anderer Arzt wandte sich von der reglosen Gestalt auf dem Operationstisch ab, sein Gesicht leichenblass.

„Doppelmord“, korrigierte er. „Jonas Blunt ist ebenfalls tot.“

„Wo ist Dr. Kyle?“, fragte jemand.

Dr. Kyle war verschwunden.


*


Während sich die furchtbare Neuigkeit wie ein Lauffeuer in den Fluren des Carron Hospital verbreitete, bereitete sich der Tod darauf vor, ein weiteres Mal zuzuschlagen, zehn Meilen südlich vom Krankenhaus, wo starker Verkehr von der Autobahn in die Stadt strömte.

Pete Cratty, ein junger Mitarbeiter eines Supermarktes, genoss seinen freien Tag. Mit seiner Freundin hatte er den Tag am Strand verbracht und kehrte nun mit ihr in die Stadt zurück, müde, aber glücklich. Der Verkehr bewegte sich stetig voran und Pete Cratty gab seinem Ford, Model A, die Sporen, um seine Position zwischen größeren Autos mit mehr PS zu halten. Über den Tod dachte in diesem Moment keiner von beiden nach, weder der junge Cratty noch seine Freundin.

Und doch wartete der Tod auf die beiden, nur knapp hundert Meter vor ihnen, als sie über einen kleinen Hügel fuhren. Zwei Männer, die in der Dunkelheit nicht mehr als schwarze, formlose Schatten waren, kauerten im Unterholz am Straßenrand, das zu einem Ausläufer des nahe gelegenen Waldes gehörte. Hin und wieder richtete einer der Männer den dünnen Strahl seiner Taschenlampe auf die Zeiger seiner Uhr. Sein Begleiter zappelte unruhig umher und fummelte am Kolben eines Gewehrs, das auf seinen Knien lag.

„Okay, Keule.“ Der Mann mit der Armbanduhr gab nach einem letzten Blick auf die Uhr ein heiseres Knurren von sich. „Es geht los. Siehst du die gelblichen Scheinwerfer, das zweite Auto auf der linken Spur, die alte Schrottkarre da? Das sollte ein gutes Ziel sein. Schieß nicht daneben.“

„Red kein Blech, Alter“, knurrte der Schütze zurück und ließ sich auf ein Knie nieder. „Ich schieß nie daneben und bei so einer grellbunten Karre ist es erst recht ein Kinderspiel. Auf geht’s!“

Der Ford A mit Pete Cratty und seinem Mädchen an Bord war nun genau auf Höhe des Unterholzes. Aus dem Dunkel der Sträucher blitze eine orangefarbene Flamme kurz auf, begleitet vom scharfen Knall eines Schusses. Es war fraglich, ob Pete Cratty das Geräusch überhaupt wahrnahm, da die kleine Kugel, die sich in seinen Schädel bohrte, ihm in Sekundenbruchteilen das Leben nahm.

Der Ford begann plötzlich zu schlingern, als tote Hände vom Lenkrad abrutschten. Mit quietschenden Reifen brach das Auto zur Seite aus, direkt in den Weg einer schweren Limousine, die mit einhundert Stundenkilometern aus der entgegengesetzten Richtung heranraste. Ein Schrei verwandelte sich in Totenstille und ein fürchterliches Scheppern wurde meilenweit durch die Nachtluft getragen. Dann hörte man nur noch das Quietschen geschundener Reifen, als weitere Autos bremsten, um nicht in das Knäuel der Autowracks zu donnern, begleitet vom Geschrei hysterischer Stimmen.

„Guter Schuss, Keule“, bemerkte der Mann mit der Armbanduhr eiskalt. „Nun gib mir das Gewehr und kümmere dich um deinen Auftrag, wie der Boss es befohlen hat.“

„Mach ich“, versprach Keule und richtete sich auf. „Junge, der Boss ist echt ein helles Köpfchen, sich so einen Plan zu überlegen. Wir sehen uns im Hauptquartier, Alter. Gib Fersengeld!“

Der Mörder ließ seinen Begleiter mit dem Gewehr zurück, lief auf die Straße und mischte sich unter die entsetzte Menschenmenge, die sich um das Knäuel aus Stahl und Holz gebildet hatte. Er wühlte sich seinen Weg bis zur Mitte des Pulks, wo zitternde Hände zwei verstümmelte Leichen aus dem Wrack gezogen hatten, und rief laut:

„Wie grauenhaft! Warum eilt keiner zur Farm und ruft einen Krankenwagen? Ruft das Carron Hospital an. Das liegt am nächsten und sie haben die schnellsten Krankenwagen der Stadt. Schnell, noch gibt es eine Chance, ein Leben zu retten.“


*


Nur eine Meile westlich bereitete der Tod sich auf einen dritten Besuch vor. Hinter den trostlosen grauen Mauern des Pennville-Gefängnisses standen zwei gehetzte Wärter vor dem Schreibtisch von Warden Baume.

„Weg!“, sagte einer von ihnen aufgeregt. „Einfach so! Drei unserer härtesten Gefangenen haben heute Abend den Speisesaal verlassen und sich einfach in Luft aufgelöst.“

„Haben Sie den Versammlungssaal überprüft, die Werkstatt, die Wäscherei?“, fragte Warden Baume und fuhr sich mit den Fingern durch sein lichtes Haar. „Wir wissen, dass sie sich immer noch innerhalb der Mauern des Gefängnisses befinden müssen, weil wir alle Lichter eingeschaltet, die Wachen verdoppelt und das Tor verriegelt haben, seit sie verschwunden sind.“

„Wir haben einmal das komplette Gefängnis durchsucht, Mister Baume. Nun versammeln wir uns, um die möglichen Verstecke noch einmal intensiv zu durchkämmen.“

„Ich hab schon seit Tagen das Gefühl, dass uns ein Ausbruch bevorsteht“, sagte der zweite Wärter. „Nach vierzehn Jahren in dem Job habe ich gelernt, Ärger zu wittern. Coyne, Bronson und Wolcot haben mir Sorgen gemacht, weil sie sich plötzlich so gut benommen haben. Ich bin immer misstrauisch, wenn harte Kerle anfangen, sich wie Engel zu benehmen und sich grinsend hinter deinem Rücken rumdrücken.“

„Da stimmte etwas nicht“, entgegnete der erste Wärter. „Coyne, der Maschinenpistolen-Fachmann, Bronson, der Safeknacker und Wolcot, der Kidnapp-Mörder, waren bis vor einer Woche erbitterte Feinde. Und plötzlich gingen sie so vertraut miteinander um wie Brüder. Ich wünschte, ich wüsste, welche Teufelssuppe sich hier zusammenbraut.“

„Ich wünschte, ich wüsste, was sich draußen zusammenbraut“, blaffte Warden Baume nervös. „Im vergangenen Monat wurden vier gefährliche Kriminelle von hier entlassen, weil sie ihre Zeit abgesessen hatten und alle vier sind verschwunden. Keiner von ihnen ist in seinen alten Jagdgründen aufgetaucht oder irgendwo sonst. Und die Polizei sagt, dass überall eine Menge Gauner verschwunden sind. Es fühlt sich an wie die Ruhe vor dem Sturm ...“

Das Telefon unterbrach seine düstere Tirade. Er hörte einen Moment zu, bellte eine Anweisung und erhob sich.

„Die Suchtrupps haben die verschwundenen Gefangenen noch nicht gefunden, aber die Wärter haben direkt vor der Südmauer etwas entdeckt, das wie ein Haufen frische Erde aussieht. Wir schauen uns das mal an. Es könnte sein, dass sie sich einen Tunnel graben.“

Die drei Männer eilten auf den Gefängnishof, wo die Nacht zum Tag gemacht wurde, indem mit Hilfe von Flutlicht der Hof abgesucht wurde. Warden Baume, landesweit als der beste Freund seiner Gefangenen bekannt, führte die beiden Männer über die Treppe zur Spitze des Turms und an der Wand vorbei zu einer Stelle, an der zwei Wärter nach unten schauten.

„Genau hier unten, Sir“, sagte einer der bewaffneten Wärter. „Jacobson hat es gerade entdeckt und es sieht wie frisch ausgehobene Erde aus. Wir sind noch nicht runter, da Sie die Anweisung gegeben haben, das Tor keinesfalls zu öffnen.“

„Gut.“

Die fünf Männer standen nah beieinander und folgten mit ihren Blicken dem Suchscheinwerfer, der auf den geheimnisvollen Hügel nach unten gerichtet war. So standen sie auf der Gefängnismauer, als ein Flammenteppich, begleitet von lautem Donnern, aus dem Hügel hervorbrach und die gesamte Seite der Gefängnismauer in die Luft jagte. Vermischt mit Fragmenten von zerbrochenen Steinen und Mörtel flogen andere Kleinteile auf gefährlichen Flugbahnen durch die Luft und vergossen einen blutroten Regen über die Ruinen des Gefängnisses.

In der beklemmenden Todesstille, die der Explosion folgte, waren die Wärter, die der Zerstörung entkommen waren, zu perplex, um die drei grinsenden Gefangenen zu entdecken. Wie drei graue Geister stürmten sie aus dem Schatten eines Geräteschuppens, liefen durch das Loch in der Wand und verschwanden in der Nacht. Sie befanden sich bereits tief im Schutz der Bäume, liefen leichtfüßig und zielstrebig durch den Wald, als das erste Aufheulen der Schluchzenden Sophia, die Gefängnissirene, die gebeutelte Luft durchschnitt.

Dreimal innerhalb von zwei Stunden hatte der Tod zugeschlagen, grausam und brutal. Und zweimal davon ohne erkennbaren Grund.



Kapitel 2 – Blind wie eine Fledermaus

Tony Quinn, einstmals bekannt als erfolgreicher Bezirksstaatsanwalt, stellte die Tasse mit seinem Frühstückskaffee lautstark auf den Tisch und seine starken Hände zerknitterten unbewusst heftig die Morgenzeitung, die vor ihm lag.

„Elf, Silk“, stieß er schroff hervor. „Elf der grausamsten und sinnlosesten Morde, die die Stadt je gesehen hat. Wie gerne ich die Teufel in die Hände bekommen möchte, die für dieses Blutvergießen verantwortlich sind!“

„Vielleicht werden Sie das, Sir“, sagte sein Diener ­Norton Kirby ruhig.

Er sah, wie sich Tony Quinns einst attraktives Gesicht anspannte, bis das Netz aus Narbengewebe rund um seine Augen zu glitzern begann. Diese Narben waren Andenken an einen Tag, als eine Flasche mit Säure, die ein Gangster auf einen Stapel Beweismaterial geworfen hatte, das Gesicht des Bezirksstaatsanwaltes getroffen hatte. Vom Gipfel seines Erfolges aus fiel Tony Quinn in einem einzigen Moment in die Tiefe eines Lebens in hilfloser Blindheit. Sein Rücktritt wurde von der Welt als die Tat eines einsamen, frustrierten, verbitterten blinden Mannes gesehen.

Nur drei weitere Personen wussten von dem chirurgischen Wunder, das nicht nur Tony Quinn sein Augenlicht zurückbrachte, sondern ihm zusätzlich noch einen Superblick bescherte, der ihn in finsterster Nacht die klare Sicht einer Fledermaus verlieh.

Einer von diesen dreien war Norton Kirby. Sein Spitzname Silk stammte aus einer Zeit, als er der gerissenste Schwindler war, der seine ahnungslosen, reichen Opfer mit Leichtigkeit übers Ohr haute. Bis zu einer schicksalhaften Nacht, als er vom Hunger getrieben außerhalb seiner üblichen Jagdgründe unterwegs und im Schutz der Dunkelheit in Tony Quinns Haus eingebrochen war, einem schändlichen Plan folgend. Quinn hatte ihn dabei erwischt, und nach einem langen Gespräch mit dem blinden Ex-Anwalt war Silk bei ihm geblieben.

Seine Vergangenheit als Gauner hatte Quinn ihm verziehen und ihn als Diener, Butler und Freund an seiner Seite angenommen. Als ein chirurgisches Wunder die Schwarze Fledermaus, den Angstgegner des Verbrechens, aus dem menschlichen Wrack namens Tony Quinn erschaffen hatte, wurde Silk zu seinem eifrigen Hilfssheriff.

„Übrigens, Sir.“ Silk nickte mit seinem fast kahlen Kopf in Richtung Anzeigenteil der Morgenzeitung. „Die Kleinanzeige ist heute erneut in der Zeitung.“

„Wirklich?“ Quinns Augen weiteten sich. „Hat sich etwas am Wortlaut geändert?“

„Nicht ein Buchstabe, Sir. Der Anzeigentext lautet: Schwarze Fledermaus, muss umgehend mit Ihnen sprechen, irgendwie. Sie alleine sind vielleicht in der Lage, furchtbare Verbrechen zu verhindern. Menschenleben hängen davon ab, dass Sie umgehend mit mir Kontakt aufnehmen. Senden Sie Anweisungen an Postfach 29 A. Das ist sogar die gleiche Nummer, Sir.“

„Mmmmmh“, grummelte Quinn. „Das ist das erste Mal, dass jemand auf diesem Weg die Schwarze Fledermaus kontaktiert. Mittlerweile sollte, wer auch immer dahintersteckt, meine Antwort erhalten haben.“

„Ihre Antwort, Sir?“ Silk staunte. „Aber, wir dachten doch ...“

„Sie dachten“, korrigierte Quinn ihn, „dass es ein Trick war, um mir eine Falle zu stellen. Ich konnte den Aufruf nicht ignorieren, Silk, daher habe ich mich letzte Nacht, nachdem Sie zu Bett gegangen waren, rausgeschlichen und eine Antwort verschickt.“

„Aber wie konnten Sie antworten, ohne Ihre wahre Identität preiszugeben, Sir? Sie wissen, dass wir erst vor zwei Tagen erfahren haben, dass die Unterwelt den Preis für den Kopf der Schwarzen Fledermaus auf 75.000 Dollar raufgesetzt hat. Wenn jemand geahnt hätte, dass Sie ...“

„Hören Sie auf, sich Sorgen um mich zu machen. Sie sind nicht meine Großmutter.“ Quinn kicherte freundlich. „Ich habe in bester Gangstermanier einen Mittelsmann eingesetzt. Jemand, der die Identität des Inserenten für mich herausfinden sollte, sodass ich auf meine Art mit ihm in Kontakt treten kann.“

„Ei-einen Mittelsmann, Sir?“

„Ein Mann von hohen Ansehen und unbestrittener Integrität. Captain McGrath, Silk.“

Für eine Sekunde herrschte verdutztes Schweigen, das von aufbrausendem, lauten Lachen durchbrochen wurde, in das Quinns sanfte Stimme herzlich mit einstimmte. Es klang tatsächlich wie ein Witz. Während es keinen ehrlicheren Polizeibeamten als den hartnäckigen, untersetzten, leicht reizbaren McGrath gab, so gab es auch niemanden, der so fest entschlossen war, die Schwarze Fledermaus zu fassen.

Nicht aufgrund persönlicher Feindschaft. Die selbstlose Hilfe durch die Schwarze Fledermaus hatte ­McGrath bei seiner Beförderung vom Sergeant zum Captain geholfen. Aber für McGrath war das Gesetz nicht dehnbar, und trotz aller Erfolge, welche die Schwarze Fledermaus erzielt hatte, operierte er außerhalb und sogar gegen das Gesetz. Daher war er ein Krimineller, den es zu eliminieren galt. McGrath machte sich Gedanken über die wahre Identität der Schwarzen Fledermaus und diese liefen stets auf Tony Quinn hinaus.

„McGrath!“ Silk schüttelte sich vor Lachen. „Das ist absurd.“

„Und gleichzeitig genial“, entgegnete Quinn. „Wenn der Unbekannte McGrath kontaktiert, werde ich es mit Sicherheit erfahren. McGrath wird seine große Chance wittern, mir eine Falle zu stellen. Und dann wird er ...“

Er ließ den Satz unvollendet, als die Türglocke schrillte.

„Wenn man vom Teufel spricht“, murmelte Quinn, während Silk hastig die Zeitungen wegräumte. „Niemand außer McGrath und Commissioner Warner würde mich so früh am Tag besuchen. Bitten Sie sie herein, Silk.“

Als Silk zur Tür ging, fand bei Tony Quinn eine erstaunliche Verwandlung statt. Seine funkelnden Augen waren plötzlich vollkommen leblos. Er ergriff seinen Gehstock, mit dem er vorsichtig, klack-klack, seinem Besucher entgegen schlich. Sein leerer Blick war starr geradeaus gerichtet. Die Jahre echter, qualvoller Blindheit hatten ihn darauf vorbereitet, diesen Part erschreckend realistisch verkörpern zu können.

Bevor Silk den Besucher anmelden konnte, drückte McGrath den Diener zur Seite und stürmte auf Quinn zu, wobei er wütend mit einem Brief wedelte.

„Sie ... Sie ...“, rief er wütend. „Ich bin also der Mittelsmann für diese mordende Bestie, die Schwarze Fledermaus? Teilen Sie McGrath Ihren Namen mit, wenn Sie Kontakt zur Schwarzen Fledermaus suchen, heh? Hören Sie zu, Sie verlogener blinder Mann, diesmal krieg ich Sie dran. Ich werde beweisen ...“

„McGrath!“, bellte Commissioner Warner wütend. „Wenn Sie nicht damit aufhören, Tony in Ihrem törichten Glauben, er sei die Schwarze Fledermaus, zu belästigen, werde ich persönlich für Ihre Degradierung sorgen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Tony, ich entschuldige mich für sein Verhalten.“

„Es ist schon in Ordnung, Commissioner. Heimlich erfreut es mich sogar, dass jemand meinen hilflosen Zustand anzweifelt. Aber ich fürchte, der Grund für den Wutausbruch erschließt sich mir nicht. Hat es etwas mit der Zeitung zu tun, die ich rascheln höre?“

„Das hat es.“ Warner schmunzelte und führte Quinn zu seinem Sessel. „Jemand hat gestern Abend per Anzeige nach der Schwarzen Fledermaus gesucht. McGrath hat der Schwarzen Fledermaus am Anzeigenschalter eine Falle gestellt, stattdessen aber einen Brief abgefangen, der ihn als Kontaktmann nennt. Das hat ihn auf die Palme gebracht.“

Quinn kicherte zustimmend und drehte sein Gesicht bewusst einem leeren Stuhl zu, der in einiger Entfernung von dem Platz stand, an dem McGrath saß.

„Silk hat mir die Anzeige vorgelesen, Captain, und auf die geschärften Sinne eines blinden Mannes wirkte sie ernst. Riskieren Sie nicht Menschenleben, wenn Sie den Brief zurückhalten? Letztlich hat die Schwarze Fledermaus, soweit ich das beurteilen kann, schon einigen Menschen das Leben gerettet.“

„Keine Sorge.“ McGrath klang bei seiner Antwort peinlich berührt. „Ich habe den Anzeigenkunden überprüft. Er wartet auf keine Antwort. Er ist tot!“

„Tot?“ Quinns eiserne Disziplin und Selbstkontrolle schienen für einen Moment ins Wanken zu geraten.

„Mmh-mh. Die Anzeige wurde von Dr. Conrad Aker aufgegeben, der gestern Abend während einer Operation im Carron Hospital ermordet wurde.“

Quinns Kinnpartie verspannte sich und seine Hände ballten sich zu Fäusten.

„Was für ein ruchloser Mord! Gott weiß, wie viele unschuldige Menschen in der Zukunft sterben müssen, weil die Welt um so einen großartigen Chirurgen und Heiler beraubt wurde. Kennen Sie schon das Motiv für den Mord? Wissen Sie, was das Opfer von der Schwarzen Fledermaus wollte?“

„Wir haben noch keine Spur.“ Warners Worte klangen bitter. „Und wir sind schon die ganze Nacht an dem Fall dran. Akers Vergangenheit war makellos, er hatte sich unseres Wissens nach nie Feinde gemacht. Wir waren überzeugt, dass sein Kollege Dr. Kyle den Mord begangen hatte, bis wir ihn bewusstlos in der Wäschekammer fanden. Der Mörder hat ihn dort reingestoßen, ihm Kittel und Maske gestohlen und frech seinen Platz im OP eingenommen, bis er die Chance bekam, Aker zu erstechen. Dann hat er den Raum seelenruhig verlassen und ist verschwunden.“

„Ich frage mich“, grübelte Quinn laut, „ob der Tod von Jonas Blunt, dem Millionär auf dem OP-Tisch, ein Zufall oder Teil des Plans war.“

„Die Frage haben wir uns auch gestellt.“ Warner seufzte. „Als Aker nach vorne fiel, hat er das Skalpell ­unabsichtlich in Blunts Brust gerammt, aber die Unter­brechung der OP war der eigentliche Grund für Blunts Tod. Ich glaube, Blunt war ein Kollateralschaden, wenngleich es für ein Mordkomplott gegen ihn mehr Motive gibt: Er stand an der Spitze eines großen Wirtschaftsimperiums.“

„Und was hat es mit dem Unfall im Süden der Stadt auf sich?“

Warner fluchte herzhaft. „Was für eine teuflische, skrupellose Tat! Es gibt auch nicht den Hauch eines Motivs, den jungen Cratty zu töten. Außer jemand wollte absichtlich einen fürchterlichen Unfall verursachen, der drei unschuldigen Menschen das Leben nimmt.“

„Könnte der Unfall in irgendeinem Zusammenhang mit dem Gefängnisausbruch stehen, der sich in der Nähe ereignet hat?“, fragte Quinn.

„Wir konnten keine Verbindung herstellen“, gestand Warner. „Der Unfall ereignete sich zwanzig Minuten vor dem Ausbruch und fast zwei Kilometer davon entfernt. Alle Verkehrsteilnehmer rund um den Unfallort wurden von der Autobahnpolizei überprüft. Keine Spur von den drei entflohenen Ratten. Die Ausbrecher hatten sich in Luft aufgelöst.“

„Ich verstehe“, sagte Quinn ruhig, „sich in Luft aufzulösen scheint bei Ganoven momentan in Mode zu sein.“

McGrath sprang auf, seine Gesichtsfarbe spielte ins Purpurne.

„Jetzt hab ich Sie!“, bellte er. „Diesmal haben Sie sich verraten, Mister Schwarze Fledermaus! Niemand von außerhalb der Polizei kann davon wissen, außer einer der Ganoven selbst. Es ist ein Geheimnis, dass ...“

„Oh je!“, Quinn lachte. „Ich hasse es, Sie zu enttäuschen, Captain, aber ich fürchte, ich muss es tun. Sehen Sie, Silk und ich machen jeden Tag lange Spaziergänge und überall, wo wir hingehen, sprechen wir mit alten Freunden aus dem Polizeidienst. Sie wären überrascht, wie viele Dienstgeheimnisse ich kenne, Captain.“

„Bei Ihnen nisten Fledermäuse im Oberstübchen, McGrath“, fuhr Warner ihn an. „Tony, genau darüber wollte ich mit Ihnen sprechen. Es macht mich krank, auf den großen Knall warten zu müssen, der sich ankündigt. Alle unsere schlimmsten Verbrecher sind verschwunden, Tony ... einfach über Nacht aus ihren Schlupfwinkeln verschwunden. Nicht einmal unsere Spitzel wissen, wohin sie verschwunden sind. Aber das Verbrechen ist auf dem Vormarsch. Das Merkwürdige daran ist, dass die Verbrechen scheinbar von einer Bande Fremder begangen werden, die niemand wiedererkennt. Die Beschreibungen passen auch nicht auf Phantombilder von Verbrechern aus anderen Städten. Ich bin überzeugt, Tony, dass ein neuer Gangsterboss unsere Unterwelt übernommen hat und einen neuen Plan verfolgt, und ich bin ebenso überzeugt, dass der Ausbruch letzte Nacht auf sein Konto geht.“

Tony Quinn wirkte gedankenverloren, bevor er eine Frage stellte.

„Haben Sie eine Ahnung, was sich da zusammenbraut?“

„Eine leise Ahnung“, antwortete Warner grimmig. „Sie wissen offensichtlich noch nicht, was vor weniger als einer Stunde in der Stadt passiert ist.“

„Nein“, gab Quinn zu. „Ich muss gestehen, ich habe lange geschlafen und Silk war auch im Haus, um mir mein Frühstück zu bereiten. Was, zum Teufel, ist denn passiert, Commissioner?“

„John Bradney, der Geschäftsführer vom Arzneimittel­großhandel Bradney, ist verschwunden. Es hat gestern Abend sein Büro verlassen und ist nie zuhause angekommen. Niemand weiß, ob er entführt wurde, sein Gedächtnis verloren hat oder abgehauen ist.“

„Großer Gott!“, rief Quinn überrascht aus. „Ist es nicht gerade mal eine Woche her, dass die Aktionäre von ­Arzneimittel Bradney eine Betriebsprüfung des Unternehmens verlangt haben? Sein Verschwinden bedeutet, dass die Bradney-Aktie abstürzen wird.“

„Und wie sie abstürzen wird!“, rief Warner aufgeregt. „Die Finanzabteilung des Unternehmens dreht komplett durch. Wir haben versucht, Bradneys Verschwinden geheim zu halten, aber irgendein anonymer Unruhestifter hat den Zeitungen etwas gesteckt und die hatten eine Sonderausgabe raus, bevor wir irgendwas machen konnten. Jetzt liegt das Kind im Brunnen.“

Er stand schwerfällig auf und durchschritt das Zimmer, um eine Hand auf Tony Quinns Schulter zu legen.

„Wir müssen aufbrechen, Tony. Der Himmel weiß, welche neuen Hiobsbotschaften eingetroffen sind, seit wir das Revier verlassen haben. Ich weiß, dass Sie gerne mit uns zusammensitzen und über diese Probleme grübeln, Tony, und ich weiß, dass ihr geübter Verstand mir regelmäßig hilft, wenn ich mich in kniffligen Problemen verheddert habe. Wenn Sie einen Sonnenstrahl in all diesem Kuddelmuddel finden können, werde ich Ihnen ewig dankbar sein.“

„Ich werde mein Bestes geben“, versprach Quinn und stand aus seinem Sessel auf. „Halten Sie mich über die Entwicklungen auf dem Laufenden, Commissioner, okay? Und Sie, Captain, viel Glück bei Ihrer Jagd nach der Schwarzen Fledermaus.“

McGrath grunzte unverständlich und begab sich zur Tür. Commissioner Warner wartete, bis der Captain außer Hörweite war, und wandte sich nochmals an Quinn.

„Tony“, sagte er und Quinn verstand den Unterton, da er wusste, dass der Commissioner sich selbst so seine Gedanken über die Identität der Schwarzen Fledermaus machte, die er jedoch für sich behielt. „Noch nie in meinem Leben habe ich mir so gewünscht, dass McGrath recht hat und Sie die Schwarze Fledermaus sind. Ich könnte die Hilfe der Schwarzen Fledermaus gebrauchen, eine ganze Menge davon.“

„Commissioner“, sagte der ehemalige Bezirksstaatsanwalt nüchtern und in seinem Tonfall schwang etwas mit, das man möglicherweise als ein Versprechen hätte deuten können. „Ich habe mir auch noch nie sehnlicher gewünscht, dass McGrath mit seiner Vermutung recht hat. Wie gerne ich die Schurken, die für die Ereignisse der letzten Nacht verantwortlich sind, zur Rechenschaft ziehen würde!“




Kapitel 3 – Schwarze Schwingen nehmen die Fährte auf

Silks Gesicht hatte sich verfinstert, als er zurückkehrte, nachdem er die beiden Männer zur Tür gebracht hatte. Tony Quinn warf seinen Stock auf einen Stuhl. Kalte Wut stand ihm in den Augen.

„Was für eine fürchterliche, sinnlose Sauerei“, machte Silk seinem Frust Luft. „Commissioner Warner tut mir leid: erst diese Morde gestern Abend und dann kam noch das Verschwinden von Mister Bradney zu seinen Sorgen hinzu. Ich könnte mir vorstellen, er weiß gar nicht, welchem Fall er sich zuerst widmen soll.“

„Es gibt nur einen Fall“, entgegnete Quinn zerknirscht.

„Sie meinen ...“

„Ich meine, wenn nicht alle Ereignisse, von den entwischten Knackis bis zum Mord an dem Supermarkt­angestellten, Teil eines grausamen Plans sind, will ich für den Rest meines Lebens McGraths Zigarettenmarke rauchen. Und das ist die größte Strafe, die ich mir für meinen Irrtum vorstellen könnte.“

„Dann wird sich die Schwarze Fledermaus wieder in die Lüfte erheben, Sir?“

„Die Schwarze Fledermaus wird sich definitiv wieder in die Lüfte erheben, Silk. Rufen Sie sofort Carol und Butch an. Es gibt Arbeit.“

Er fuhr mit seinen dünnen Fingern unter den Kaminsims und berührte eine Geheimtaste. Die komplette Ziegelfront fuhr geräuschlos zur Seite. Ein geheimer Raum kam zum Vorschein, eingerichtet als ein Labor mit allen modernen Mitteln der Verbrechensbekämpfung und als Kleider- und Waffenkammer für die Schwarze Fledermaus.

Silk betrat den Geheimraum und bewegte sich schnurstracks auf ein Telefon in einer kleinen Kabine zu, das über einen ungelisteten Anschluss verfügte. In seinen Augen lagen der Glanz wilder Entschlossenheit und die gespannte Erwartung von Gefahr und Abenteuer, als er den Hörer abhob.

Eine halbe Stunde später erklärte Tony Quinn die Details der neuen Verbrechensserie seinen beiden anderen Helfern – Carol Baldwin und Jack Butch O’Leary.

Es war die blonde, attraktive Carol Baldwin, die für die Erschaffung der Schwarzen Fledermaus verantwortlich war. Ihr Vater, der in einem Bandenkrieg angeschossen wurde, hatte Tony Quinn seine Augen vermacht, unter der Bedingung, dass sie genutzt wurden, um seinen unermüdlichen Kampf gegen das Verbrechen fortzusetzen. Ein geheimnisvoller Arzt aus dem Mittleren Westen hatte die Operation durchgeführt und die Augen des sterbenden Mannes Tony Quinn eingesetzt.

Erst nach der Operation erkannte Quinn das größte Wunder. Mit seinen neuen Augen konnte er genauso gut in der Dunkelheit wie bei Tageslicht sehen! Dieser Clou und Carols Plan hatten zur Entstehung dieses ikonischen und geheimnisvollen Wesens geführt – der Schwarzen ­Fledermaus.

Butch O’Leary, der Vierte im Bunde, war eher direkt als geheimnisvoll. Was dem Ex-Boxer an geistiger Mobilität fehlte, machte er durch Kraft, Mut und unerschütterliche Loyalität mehr als wett. Mit keiner Folter der Welt hätte man das Geheimnis um die wahre Identität der Schwarzen Fledermaus aus ihm rausquetschen können.

Nach Tony Quinns Vortrag entstand eine Pause, bis Butch schließlich die nachdenkliche Stille unterbrach.

„Sagen Sie, Boss“, sagte er, seine Stirn in Falten. „Ich bin einhundertprozentig bei Ihnen, dass wir uns schnappen sollen, wer auch immer all diese Menschen getötet hat. Aber da gibt es eine Sache, die ich nicht versteh. Wie kommen Sie auf die Idee, dass all diese Dinge Teil eines großen Plans sind? Vielleicht steh ich ja auf der Leitung, aber ein begabter Doc, ein Angestellter im Supermarkt und ein Gefängnisdirektor wollen in meinem Kopf nicht zusammenpassen.“

„Ich glaube, ich steh auf der gleichen Leitung wie Butch“, sagte Carol. „Ich sehe auch nicht, wo da die Verbindung besteht, Tony.“

„Es ist eine Art Eingebung“, sagte Quinn langsam. „Aber meine Eingebungen beruhen gewöhnlich auf kleinen, scheinbar unbedeutenden Aspekten, welche die meisten Menschen übersehen. Zum Ersten sind sich alle drei Verbrechen ähnlich in ihrer skrupellosen Gleichgültigkeit gegenüber unschuldigen Leben. Bei allen Taten sind unbeteiligte Dritte zu Schaden gekommen. Etwas, was Verbrecher normalerweise vermeiden, weil dadurch die Anteilnahme durch die Öffentlichkeit enorm ansteigt. Zum Zweiten wurde offensichtlich großer Aufwand betrieben, um jede Tat wie ein willkürliches und sinnloses Abschlachten wirken zu lassen. Ich gebe zu, das ist eine ziemlich dünne Argumentation, aber ich bin überzeugt, dass ein Gehirn sich alle drei ausgedacht hat.“

„Und was ist mit dem Verschwinden von Bradney, dem Medikamenten-Mogul?“, fragte Silk. „Das haben Sie noch nicht einbezogen.“

„Ich glaube, diese anderen Verbrechen waren nur die Vorbereitung einer ganzen Mordserie. Und das Verschwinden von Bradney könnte der erste Hinweis darauf sein, worauf die Verbrecher es abgesehen haben. Aber das ist nur eine Mutmaßung, denn es gibt eigentlich keinen Grund, ihn mit den Morden in Verbindung zu bringen. Vielleicht ergibt sich diese Verbindung später.“

„Ich bin überzeugt.“ Carol lächelte und erhob sich. „Wie können wir nun unseren Gegenangriff in Gang bringen, Tony?“

„Es gibt für uns alle etwas zu tun“, sagte Quinn. „Es ist nur schade, dass die Schwarze Fledermaus bis zum Einbruch der Dunkelheit in ihrer Höhle bleiben muss. Carol, du darfst heute eine Zeitungsreporterin spielen. Dein Job ist es, den Mord an dem Supermarktangestellten zu untersuchen. Besorg dir die Namen aller Zeugen, die am Unfall­ort angehalten haben, die Polizei wird eine Liste davon haben, und befrage sie alle. Halte die Augen offen für verdächtige Details, die die Polizei übersehen haben könnte.“

„Aye, aye, Kapitän.“ Carol salutierte grinsend.

„Silk, Sie kennen sich doch mit Börsengeschäften aus und besitzen außerdem eine Verkleidung, in der Sie so perfekt das Aussehen eines Bankers annehmen, dass jeder echte Banker vor Neid erblassen würde. Ihr Job ist es, die Börse zu besuchen und zu beobachten, wie sich die Aktien von Arzneimittel Bradney verhalten und auch die Aktien der Unternehmen, bei denen Jonas Blunt mitgemischt hat. Wenn ein Einzelner eine große Menge dieser Aktien kauft, finden Sie alles über diese Person heraus. Halten Sie außerdem die Ohren offen wegen der Bonität anderer Unternehmen. Ein Versuch, das Vertrauen in die Aktien eines anderen Unternehmens zu untergraben, könnte uns auch auf die richtige Fährte führen.“

„Was ist mit mir, Boss?“, mischte Butch sich ungeduldig ein. „Bekomme ich keine Chance, mich nützlich zu machen?“

„Sie, Butch O’Leary“, Tony Quinn wandte sich zu ihm und sprach gespielt bedeutungsvoll, „Sie wandern in den Knast.“

Butchs Kinnlade fiel herab und er schaute sich entsetzt um.

„In den Knast?“, brach es aus ihm hervor. „Aber, hey, Moment mal, was ...“

„Nur für einen Besuch, das hoffe ich zumindest“, kicherte Quinn. „Ist nicht einer Ihrer alten Freunde, äh, Gast in Pennville?“

„Ich habe keine Freunde im Knast“, brummte Butch grimmig. „Okay, da gibt es einen Kleinkriminellen namens Kieffer, der immer in Conways Fitnessstudio rumgehangen hat, bis er im Frühjahr eingebuchtet wurde, weil er Koks vertickt hat, aber ...“

„Heute ist Besuchstag im Gefängnis“, sagte Quinn nachdenklich. „Trotz der Explosion kann ich mir kaum vorstellen, dass die Gefangenen, die nichts mit dem Ausbruch zu tun hatten, ihrer Privilegien beraubt werden. Ich möchte, dass Sie Kieffer einen Besuch abstatten. Erzählen Sie ihm, dass Sie einen großen Fang an der Angel haben und seinen Rat benötigen, wer Ihnen beim Verticken helfen kann. Versuchen Sie ihm etwas über den Ausbruch gestern Abend zu entlocken. Ich bin mir sicher, dass die Insassen zumindest eine Ahnung haben, wer dahintersteckt und wer die Aktion ausgeheckt hat.“

„Junge, das ist ne Aufgabe für mich“, prahlte Butch grinsend. „Ich weiß, wie man mit einer Ratte wie Kieffer umgeht, Boss.“

„Gut. Wir treffen uns heute Abend alle hier wieder, um unsere Erkenntnisse zu vergleichen. Und seid vorsichtig. Eure Aufgaben klingen vielleicht nicht gefährlich, aber jederzeit könnte einer von euch den Mördern in die Quere kommen. Seid stets auf der Hut.“

Carol hatte seine Mimik in den letzten Minuten ausgiebig studiert.

„Tony“, sagte sie ruhig, „du planst doch etwas.“

Quinn lachte beruhigend. „Mach dir keine Sorgen. Die Schwarze Fledermaus kann bei Tageslicht nicht fliegen, so sehr er sich das wünscht. Aber kein Gesetz der Welt verbietet es Tony Quinn, das Carron Hospital zu besuchen, um sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Dr. Robbins praktiziert dort und war einer der Ärzte, die mich untersucht haben, nachdem die Säure meine Augen weggeätzt hatte.

Außerdem habe ich in der Zeitung gelesen, dass Dr. Robbins der Mann war, der auf den Alarm reagiert hat, in den OP gerannt ist und das Skalpell vorfand, das in Dr. Akers Brust steckte. Diesen Zufall möchte ich mir zunutze machen. Ich hoffe, dass er mich der alten Zeiten willen empfängt und wir ein wenig über den Mord tratschen können.“

Er gab Carol einen dezenten Kuss und beobachtete, wie sie Butch in den Tunnel folgte, der zu einem unauffälligen Gartenhaus auf der Hinterseite des Anwesens führte. Als er sich abwandte, war seine Miene verhärtet.


*


Ein Taxi brachte Tony Quinn eine Stunde später zum ­Carron Hospital. Der Fahrer brachte seinen Fahrgast zum Empfang und begab sich danach zu seinem Wagen zurück, um auf Quinns Rückkehr zu warten.

Äußerlich lief im Carron Hospital alles seinen gewohnten Gang. Aber seinen scheinbar toten Augen zum Trotz entging es Quinns scharfem Blick nicht, dass den Mitarbeitern des Krankenhauses der Schock über den brutalen Mord in ihre angespannten Gesichter und geröteten Augen geschrieben war. Ein dünner Mann mit einem hageren Gesicht und einem Verband, der um sein schwarzes Haar gewickelt war, sprach kurz mit der Dame am Empfang, bevor er sich zu seinem Büro begab. Quinn war sich sicher, schon bevor er hörte, wie die Empfangsdame ihn mit Namen ansprach, dass es sich um Dr. Kyle handelte, den der Mörder überwältigt hatte, um sich als Arzt auszugeben.

Wie Quinn schon vermutet hatte, war es beinahe unmöglich, einen der angestellten Ärzte zu besuchen, wenn es sich nicht gerade um einen Notfall handelte. Nicht einmal die quengelige Beharrlichkeit eines frustrierten blinden Mannes, ein Verhalten, das Tony Quinn zutiefst verabscheute, brachte ihm einen Gesprächstermin mit Dr. Robbins ein. Der Verzweiflung nahe, führte die Dame ein paar Telefongespräche und überbrachte schließlich die Nachricht, dass Dr. Wetherell ein paar Minuten für ihn erübrigen könne. Quinn verbarg seine Freude hinter einer mürrischen Bemerkung, dass er eigentlich auf ein Gespräch mit Dr. Robbins gehofft hatte.


*


„Es tut mir leid, dass ich Sie zu so einer Zeit stören muss, Doktor“, entschuldigte Quinn sich, als er dem rotblonden Dr. Wetherell die Hand schüttelte, „aber ich habe eine große Angst vor Blinddarmentzündungen und meine Bauchschmerzen machen mich krank vor Sorge.“

„Wir werden sehen, was wir zu Ihrer Beruhigung tun können, so oder so“, sagte Wetherell mit einer professio­nellen Leichtigkeit, die allerdings die Sorge in seiner Stimme nicht verdecken konnte. „Hier, ich führe Sie zum Stuhl.“

Während der Untersuchung streute Quinn eine Vielzahl von erfundenen Symptomen ins Gespräch und stellte dazwischen geschickte Fragen, um dem Arzt Krankenhaustratsch über den Mord zu entlocken. So eng, wie das Personal in einem Krankenhaus zusammenarbeitete, blieb wenig Raum für Geheimnisse.

„Aber das ist doch unmöglich“, protestierte Quinn nach vergeblichen Versuchen, etwas über interne Streitigkeiten und berufliche Eifersüchteleien zu erfahren, die zu dem Mord geführt haben könnten, „dass ein Fremder sich unter all die Ärzte und Schwestern im OP mischen kann, ohne aufzufallen.“

„Ganz und gar nicht, Mister Quinn“, antwortete Wetherell gedankenverloren. „Jeder im OP trägt eine Maske, die das gesamte Gesicht verdeckt, und auch Handschuhe. Solange der Fremde seine Aufgaben reibungslos erfüllte, ohne die eingespielte Routine der Operation zu stören, hätte niemand Verdacht geschöpft.“

Quinn zuckte unabsichtlich.

„Sie meinen, dass der Mörder Dr. Kyles Platz bei der Operation eingenommen hat, ohne Verdacht zu erregen? Das deutet darauf hin, dass auch er ein studierter Mediziner war!“

„Meine Untersuchung ist beendet“, unterbrach Dr. Wetherell ihn. „Ich kann Ihnen versichern, Mister Quinn, dass Ihr Blinddarm vollkommen in Ordnung ist. Ihre Schmerzen rührten wahrscheinlich von einer Verdauungsstörung her. Wenn Sie mich nun entschuldigen wollen. Ich bitte die Schwester, Sie zu Ihrem Taxi zu bringen.“

Während er sich vorgeblich für seine Hartnäckigkeit entschuldigte, kribbelte es in Quinns Innerem vor ­Aufregung. Zu erfahren, dass der Mörder von Dr. Aker ein anderer Mediziner gewesen sein musste, war ein klarer Schritt vorwärts.

Als die Schwester Quinn nach draußen brachte und die Treppenstufe vor dem Krankenhaus hinunterführte, sprang der Fahrer aus dem parkenden Taxi und kam die Stufen heraufgeeilt, um seinen Fahrgast in Empfang zu nehmen. Quinn versteifte sich und ein verhärmtes Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Sein Jagdausflug schien mehr Beute gebracht zu haben, als er gehofft hatte.

Das parkende Taxi war das gleiche, das ihn hingebracht hatte, aber der Schlägertyp mit dem ausgemergelten Gesicht und dem kalten Blick in der Chauffeursuniform war nicht der freundliche Fahrer, der hier auf ihn warten wollte. Quinns Nerven vibrierten, als der Mann seinen Arm nahm und ihn zum parkenden Taxi führte.

„Sagen Sie mir“, fragte Quinn mürrisch, „was hier los ist? Sie klingen nicht wie der Fahrer, der mich hierher gebracht hat.“

„Ich bin’s aber.“ Der Fahrer grinste, unwissend, dass sein blinder Fahrgast jeden Gesichtsausdruck sehen konnte. „Ich hab eine Halsentzündung, die mir manchmal auf die Stimme schlägt, das ist alles.“

Quinn kniff seine Augen unter der schwarzen Brille zusammen, als der falsche Fahrer zwei anderen, gefährlich aussehenden Typen zuwinkte, die in einem Auto auf der anderen Straßenseite warteten. Einer der beiden grinste daraufhin und fuhr bedeutungsvoll mit einem Finger über seinen Hals.

Ein Schauer lief Quinn über den Nacken. Die mörderische Absicht des grobschlächtigen Trios war offensichtlich. Aber er war unbewaffnet und zwang sich, seine Tarnung blinder Hilflosigkeit um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Seine einzige Hoffnung lag darin, ruhig zu bleiben und den passenden Moment abzuwarten. Auf diese Weise konnte er zumindest in Erfahrung bringen, warum ein hilfloser blinder Mann bei einem unschuldigen Arztbesuch plötzlich zum Ziel eines ausgeklügelten Entführungskomplotts werden konnte.

„Fahrer, bringen Sie mich nach Hause“, sagte er unwirsch. „Ich bin sehr müde.“

„Lehnen Sie sich zurück, mein Freund.“ Der Fahrer grinste bedeutungsvoll in sich hinein. „In Kürze machen Sie ein schönes, langes Nickerchen.“



Kapitel 4 – Gefährliche Neugier

Beinahe im selben Moment, als das Taxi sich mit einem Ruck in Gang setzte, nahm Quinn das Aufheulen eines weiteren Motors wahr und das Quietschen von Reifen, als das Auto von der anderen Straßenseite wendete, um ihnen zu folgen. Als das Taxi eine Richtung einschlug, die nicht Tony Quinns Heimweg entsprach, sagte er nichts, presste aber seine Lippen fest aufeinander. Seine einzige Waffe war nun das Überraschungsmoment, und wenn der Zeitpunkt kam, würde er dieses bis zum Äußersten ausnutzen.

Er grübelte über mögliche Gründe für die überraschende Entführung nach, als das Taxi plötzlich auf eine schmale Auffahrt abbog und in eine baufällige Autowerkstatt fuhr. Ein Mann mit steinerner Miene und einem fettverschmierten Overall trat ans Auto und wies mit seinem Daumen hinter sich. Das Taxi knatterte in einem niedrigen Gang los und rollte in einen Fahrstuhl, der sich sofort zu einer oberen Etage in Bewegung setzte. Hinter ihnen war das Verfolgerfahrzeug in die Werkstatt gefahren. Die beiden Insassen stiegen aus.

„Was, was“, rief Quinn aufgeregt „Was geht hier vor? Das ist nicht mein Heimweg. Wer sind Sie?“

Der Fahrer drehte sich zu ihm um und beförderte seinen Passagier mit einem wohl platzierten Schlag in die Polster zurück.

„Halt die Klappe, Maulwurf. Du erfährst schon früh genug, was los ist.“

Der Fahrstuhl kam in Höhe der ersten Etage zum Stehen und die Taxitür wurde mit einem Ruck aufgerissen. Quinn sah die anderen beiden Ganoven, die offensichtlich eine Treppe heraufgelaufen waren, nachdem sie ihr Auto verlassen hatten.

„Raus mit Ihnen, Schnüffler“, befahl einer von ihnen, eine Hand an Quinns Mantel. „Und spielen Sie nicht die Mimose, Quinn. Wir wissen, dass Sie ein harter Hund sind.“

Tony Quinn zuckte mit den Schultern und stieg aus dem Auto. Er erkannte sein Gegenüber als den roten ­Wallis. Ein kleiner Fisch, den er mal in den Knast gebracht hatte. Die anderen beiden Verbrecher kannte er nicht.

„Okay“, sagte er ruhig. „Ihr Jungs fühlt euch mutig, wenn ihr zu dritt einen blinden Mann angreift. Was habt ihr vor – Lösegelderpressung?“

Der rote Wallis fluchte wild. „So viel Knete gibt es gar nicht, um Sie freizukaufen, Quinn.“

Waffen tauchten in allen drei rechten Händen der Verbrecher auf und ihre Mündungen schubsten Quinn über den unbeleuchteten Gang zu einem kleinen Kabuff in einer dunklen Ecke, das als Büro diente. Er trat über die Schwelle und hätte sich beinahe durch einen Anflug von großer Verwunderung verraten.

Ein Mann saß an dem schmalen Schreibtisch und wartete offensichtlich auf sie. Es war ein großer, dicker Mann mit klobigen, breiten Schultern. Im krassen Gegensatz zu seinem Körperbau war sein Gesicht weich, rosa und zart, wie das einer Frau, trotz seiner Größe. Milchgesicht war das Wort, das Tony Quinn spontan in den Kopf schoss.

„Gute Arbeit, Jungs“, sagte das Milchgesicht, ohne eine Spur Gefühl auf seinen seltsamen Gesichtszügen. „So, das ist der einst so erfolgreiche Staatsanwalt, heh? Okay, Quinn, erzählen Sie uns, wer Sie geschickt hat, um Robbins zum Mord an Aker auszuhorchen.“

„Niemand“, stritt Quinn ab, mit einem Anflug von verletzter Unschuld. „Das untätige Rumsitzen in der Dunkelheit wird auf die Dauer langweilig, daher tüftele ich an der Lösung von Verbrechen herum. Ich dachte, Dr. ...“

„Das kauf ich Ihnen nicht ab, Quinn“, unterbrach das Milchgesicht ihn unbeeindruckt. „Sie wissen doch was! Warum hätten Sie sonst darauf bestanden, mit Doc ­Robbins zu sprechen anstatt mit einem seiner Kollegen?“

Dieser überraschende Einwurf machte Quinn sprachlos. Sein beharrlicher Wunsch, mit Dr. Robbins zu sprechen, hatte die Ganoven davon überzeugt, dass er etwas über die Verbrechen wusste. Warum? Was war Robbins’ Part in dem grausamen Verbrechen? Steckte er hinter dem Mord an Dr. Aker?

Das Milchgesicht knurrte unvermittelt. „Ich hab auch nicht erwartet, dass Sie reden. Aber ich versichere Ihnen, dass Sie auch niemals wieder mit irgendjemand anderem reden werden. Haltet ihn fest, Jungs.“

Ein Messer mit einer langen Klinge glitt in seine große Hand. Er stand auf und trat auf Quinn zu, sein unheimliches Gesicht ausdruckslos, Mordlust in seinen Augen. Der rote Wallis und der falsche Taxifahrer hielten Quinns Arme fest. Das Milchgesicht erhob das Messer und hielt es wie ein Schwert.

Tony Quinn trat so ruckartig in Aktion, dass es einer Explosion gleichkam. Ein wohl platzierter Tritt ließ den roten Wallis zurücktaumeln und befreite einen seiner Arme für einen harten Kinnhaken für den Taxifahrer. Der dritte Gauner hob seine Waffe.

„Nicht schießen, du Pfeife!“, brüllte das Milchgesicht. „Willst du, dass es hier gleich von Polizisten wimmelt? Nimm den Griff der Waffe! Schlag ihn k.o.!“

Aber weder der Waffengriff, der sich auf ihn zubewegte, noch die glänzende Messerklinge erwischten Tony Quinn. Dennoch wirkte jede Bewegung von ihm vollkommen blind und desorientiert. Er schien in der Gegend umher zu taumeln, zu straucheln und zu stolpern, und schlug und trat ziellos mit der Wut der Verzweiflung um sich.

Es wirkte wie purer Zufall, dass einer dieser Schläge irgendwie den Kiefer vom roten Wallis traf oder das der blinde Tony Quinn auf die Waffe des Taxifahrers trat, als er über seinen bewusstlosen Körper stieg. Die anderen hielten instinktiv inne, als er die Waffe auf sie richtete.

„Auf ihn, ihr Trottel!“, schrie das Milchgesicht. „Er sieht doch nichts, wie soll er euch treffen?“

Es war ein heikler Moment für Tony Quinn. Wenn er in Selbstverteidigung feuerte, musste er der Polizei nachher erklären, wie ein blinder Mann einen Schusswechsel mit vier gefährlichen Gangstern gewinnen konnte. Wenn ihn aber das Messer aufschlitzte oder der Pistolengriff auf ihn niedersauste, bedeutete das sein sicheres Ende.

„Ich hab das perfekte Gehör eines blinden Mannes!“, warnte Quinn. „Ich schieße beim ersten Geräusch.“

Da hörte er von unten das schrille Geräusch einer Polizeipfeife, laute Schreie und stampfende Füße. Diese Klänge, in Kombination mit dem Lauf der Waffe, der auf sie gerichtet war, waren zu viel für die Ganoven. Mit beinahe lächerlicher Vorsicht schlichen sie auf Zehenspitzen zur Tür und flohen aus dem Kabuff, nur Sekunden, bevor man die Schritte der Polizisten im Treppenhaus hörte.

„Bleibt stehen, ihr schmutzigen Gangster!“, schrie Quinn, verlieh seiner Stimme ein hysterisches Zittern und richtete die Pistole in seiner Hand auf einen Punkt, der mehrere Meter von der Treppe entfernt war. „Ich bin zwar blind, aber ich werde bei jedem Geräusch von euch schießen.“

„Das ist Tony Quinn!“, rief einer der Polizisten. „Hey, nehmen Sie die Kanone runter, Tony. Wir sind’s: Sergeant Glisson und die Polizei.“

„Quinn!“, bellte die unverwechselbare Stimme von Captain McGrath. „Bei Gott, ich hätte mir denken können, dass er in die Sache verwickelt ist. Wo ist er? Dieses Mal erwarte ich ein paar klare Antworten von ihm.“

McGraths klobige Gestalt eilte in das kleine Kabuff und blieb abrupt stehen. Sein lautes Gebrüll verwandelte sich in einen Schwall von Flüchen als er auf die armselige, zusammengekauerte Person zu seinen Füßen schaute.

Dem armen, blinden Tony Quinn hatte die Aufregung und die Erkenntnis, um Haaresbreite mit dem Leben davongekommen zu sein, übermannt und er war in Ohnmacht gefallen.


*


Die Sonne verschwand gerade hinter dem Horizont, als Tony Quinn die letzte Tasse von Silks wohlschmeckendem Kaffee leerte und in seinem Stuhl vom Tisch wegrückte, um seinen drei Freunden zuzulächeln. Sein Blick war freundlich und er zeigte keine Nachwirkungen mehr von der Begegnung mit den Ganoven, bei der er dem Tod so gerade noch mal ein Schnippchen geschlagen hatte.

„Junge, Junge!“ Butch kicherte und schob schweren Herzens einen leeren Teller von sich weg. „Ich hätte eine Million dafür gegeben, McGraths Gesicht zu sehen, als Sie eine Ohnmacht vorgetäuscht haben, um seine Fragen nicht beantworten zu müssen. Ich wette, er hat vor Wut gekocht, als all diese Polizisten um Sie herumgeschwirrt sind und darauf bestanden haben, Sie schnurstracks nach Hause zu bringen.“

„McGrath hat ein ausgeglichenes Gemüt.“ Quinn grinste. „Er ist konstant schlecht gelaunt. Aber es hat ihn nicht davon abgehalten, die Werkstatt intensiv nach den anderen drei Gangstern abzusuchen. Sie hatten sich aber schon aus dem Staub gemacht, über eine geheime Treppe.“

„Ich kann nicht aufhören, darüber nachzudenken, wie knapp du ihnen entkommen bist.“ Carol erschauderte. „Aber, Tony, kann die Polizei den roten Wallis nicht dazu bringen, über den Rest der Bande auszupacken?“

„Ich bezweifle es“, sagte Quinn. „So wie ich mich an Wallis aus meiner Zeit als Ankläger erinnere, werden ihn selbst die härtesten Verhöre nicht dazu bringen auszupacken. Außerdem ist er wahrscheinlich so ein kleiner Zahn in einem so großen Rad des Verbrechens, dass er ohnehin nicht viel weiß. Es war nicht gelogen, als ich ­Commissioner Warner erzählt habe, dass ich keinen Schimmer habe, warum ich entführt wurde. Ich weiß es wirklich nicht. Aber erzählt mir von euren Ermittlungen. Carol, was hast du herausgefunden?“

„So gut wie nichts“, sagte Carol enttäuscht. „Ich habe alle Zeugen gefunden und mit ihnen gesprochen – alle bis auf einen. Sie alle waren sich darüber einig, dass ­Crattys Auto außer Kontrolle geraten und in das andere Auto gekracht ist, ohne Grund und ohne Vorwarnung. Niemandem ist etwas Verdächtiges aufgefallen, weder vor noch nach dem Unfall.“

„Du sagst, du hast mit allen Zeugen bis auf einen gesprochen?“, fragte Quinn nach.

„Ja, und vielleicht hat das etwas zu bedeuten. Alle erinnerten sich daran, dass sich direkt nach dem Unfall ein Mann durch die Menge gewühlt hat und nach einem Blick auf die beiden Autos geschrien hat, jemand solle einen Krankenwagen rufen. Danach ist er wieder verschwunden und die Polizei, die jedes Auto nach den entflohenen Sträflingen durchsucht hat, hat keine Aufzeichnungen darü­ber, wie er den Unfallort verlassen hat. Alles, woran die Leute sich erinnern konnten, war seine kleine, dünne Statur und sein seltsames Gesicht. Leer und ausdruckslos, so haben sie es beschrieben. Klingelt es da bei dir, Tony?“

„Es klingelt so laut, dass mein Kopf davon schmerzt“, brummte Quinn. „Deine Beschreibung des Gesichts des Verdächtigen klingt so, als hätte Milchgesicht einen kleinen Bruder. Zwei Männer mit ausdruckslosen Gesichtern in einem Fall, das muss mehr als ein Zufall sein. Aber wenn dein verschwundener Zeuge mit Milchgesicht in Verbindung steht, ist er der Hauptverdächtige für die Ermittlung des Unfallverursachers. Andererseits, wenn er der Täter war, der für den Unfall verantwortlich ist, warum sollte er Kopf und Kragen riskieren, beim Wrack aufzutauchen und einen Krankenwagen zu bestellen? Das ergibt keinen Sinn, zumindest nach unserem aktuellen Wissensstand.“

Quinn wandte sich einem anderen seiner drei Mitstreiter zu.

„Butch“, fragte er, „was haben Sie heute herausgefunden?“

„Größtenteils Gerüchte, Boss. Ich hab Kieffer besucht und ihm erzählt, dass ich auf der Suche nach einem Dealer bin, um eine große Ladung Koks zu verticken, aber er hat abgewinkt. Sagte, er hätte mit seinen Verbrecherkumpels gebrochen. Ich habe aber rausgefunden, dass es eine neue, große Nummer im Untergrund gibt, der eine Bande um sich rumschart. Aber niemand weiß, wer das ist und was er vorhat, und er nimmt keinen, der auf seinem Gebiet nicht top ist. Er hat sogar ein paar kleine Fische verjagt, die sich in seine Bande reinmogeln wollten. Er steckt wohl hinter dem Ausbruch. Alle Insassen wissen das, aber auch nicht viel mehr. Nur, dass es nicht gesund ist, darüber zu reden.“

„Das ist doch zumindest schon mal etwas. Silk, waren Sie erfolgreich?“

„Das kann man sagen, Sir“, sagte Silk stolz. „Wie Sie schon erwartet hatten, hat der Aktienmarkt verrückt gespielt und die Bradney-Aktie war im Keller. Ein Mann namens Kroner, neu in der Stadt, hat scheinbar die meisten Aktien aufgekauft. Jonas Blunts Aktien sind auch etwas abgesackt und der gleiche Kroner hat gewinnbringend in sie investiert.“

Quinn hob seine Augenbrauen. „Nun, dieses Aktien­genie sollten wir mal persönlich treffen. Vielleicht können wir aus seinem Erfolg etwas lernen. Noch etwas, Silk?“

„Ja, Sir. Das Gerücht, dass es Arzneimittel Bradney nicht gut geht, hat sich als falsch erwiesen. Eine Untersuchung, die vom Aufsichtsrat rasch in Auftrag gegeben wurde, hat die finanzielle Struktur der Firma als ausgezeichnet eingestuft. Natürlich stiegen daraufhin die Kurse direkt wieder an. Nun gibt es ein Gerücht, das besagt, dass Morgan Öl ein wenig wacklig ist.“

Quinn schnipste mit seinen Fingern.

„Silk, Sie haben quasi den Jackpot geknackt. Zusammen mit dem, was Carol, Butch und ich rausgefunden haben, können wir das Pferd aus beiden Richtungen aufzäumen. Jetzt bin ich mir noch sicherer, dass alles zusammenpasst. Es ist Flugzeit für Fledermäuse und ich bin froh, dass ich so zuverlässige Freunde und Helfer habe.“

„Haben Sie was für uns zu tun, Boss?“, fragte Butch hoffnungsvoll. „Vielleicht das ein oder andere Kinn, dem ich einen Haken verpassen kann?“

„Jede Menge Kinne, die einen Haken verdient haben.“ Quinn lachte. „Aber dafür ist es noch zu früh. Erst einmal möchte ich, dass Sie ein Auge auf das Haus von Phil Morgan von Morgan Öl werfen. Ich bin mir sicher, dass er heute Abend zu Hause ist, denn ich habe in der Zeitung gelesen, dass seine Frau heute Gäste empfängt. Verhalten Sie sich unauffällig, Butch, aber halten Sie die Augen offen, ob jemand versucht, Morgan zu entführen. Ich stoße später zu Ihnen. Carol, du versuchst alles über den cleveren Mister Kroner herauszufinden. Silk bleibt hier, um Anrufe entgegenzunehmen und um McGrath abzuwimmeln, wenn er kommt, um mich zu kneifen, um zu sehen, ob ich echt bin.“

Während Carol pflichtbewusst das Zimmer verließ, legte Quinn rasch dunkle Kleidung an, von den schwarzen Schuhsohlen bis hin zum schwarzen Hemd. Über seinen Kopf zog er eine enge schwarze Maske, die den oberen Teil seines Gesichts verdeckte und die verräterischen Spuren der Säureverbrennungen verbarg.

Zuletzt warf er sich einen schwarzen Spezialumhang über, mit längs verlaufenden Falten, der sich wie die Flügel einer Fledermaus öffnete, wenn er seine Arme ausstreckte. Nun war die Verkleidung perfekt und die Schwarze ­Fledermaus bereit, sich wieder einmal im Kampf gegen das Verbrechen in die Lüfte zu erheben. Ein Paar schwerer Automatikwaffen vom Kaliber .45 verstaute er gerade unter seinen Armen, als Carol zurück ins Zimmer kam.

„Bereit?“ Die Schwarze Fledermaus lächelte sie an. „Ihr beiden verlasst am besten zuerst das Haus und nehmt euch Taxis. Ich brauche das Coupé. Diese Nacht bewege ich mich quer durch die Stadt, aber als Allererstes werde ich herausfinden, warum eine Unterhaltung mit Dr. ­Robbins genauso gut wie eine im Voraus bezahlte Beerdigung ist.“

„Glaubst du, dass er Dr. Aker ermordet hat?“, fragte Carol.

„Ich weiß noch nicht, was ich glauben soll, Carol. Das Milchgesicht und seine Mörderbande könnten im Auftrag von Robbins gearbeitet haben, als sie versuchten, mich um die Ecke zu bringen. Sie könnten aber genauso gut von jemandem angeheuert worden sein, um Leute von ­Robbins fernzuhalten, bis man ihn endgültig mundtot gemacht hat. Aus dem Gespräch mit ihnen konnte ich keinen Hinweis ziehen, welche der beiden Theorien stimmt, aber eine Verbindung gibt es auf jeden Fall zwischen Robbins und dem Mord.

Aus dem gleichen Grund interessiere ich mich auch für Dr. Wetherell. Er könnte jemandem etwas gesteckt haben, dass Tony Quinn ihn zu dem Mord befragt hat. Er war plötzlich verschlossen wie eine Muschel, nachdem er versehentlich die Information ausgeplaudert hatte, dass Akers Mörder ein studierter Mediziner gewesen sein muss. Er könnte sich auf seine Berufsethik besonnen oder auch versucht haben, sein Wissen über den Mord vor mir zu verbergen, als er mich so schnell hinausgescheucht hat. Genau genommen gibt es eine Menge möglicher Gründe für sein Handeln, die untersucht werden sollten.“

„Sei vorsichtig, Tony“, flüsterte Carol.

Sie stand vor ihm auf Zehenspitzen, küsste ihn sanft und verschwand.

Nur ein paar Sekunden später sprang die Fledermaus in den Tunnel und lief davon; durch sein übermenschliches Sehvermögen fand er sich problemlos in der tintenschwarzen Dunkelheit zurecht. Das war der Moment für die Unterwelt, um zu erzittern und sich in ihre Rattenlöcher zurückzuziehen. Der Schatten der entfalteten, schwarzen Schwingen fiel ein weiteres Mal auf die Stadt.




Kapitel 5 – Ein Mord misslingt

Dr. Lawrence Robbins war offensichtlich geistesabwesend und fühlte sich alles andere als wohl in seiner Haut. Er lief mit abgehackten Bewegungen hin und her, an den vollgepackten Bücherregalen seiner Bibliothek entlang und hielt von Zeit zu Zeit inne, um aus dem Fenster hinaus in die Dunkelheit zu starren. Er war ein Mann von großer Statur, aber heute Abend waren seine breiten Schultern in sich zusammengesunken, er wirkte gebeugt und angespannt, sein großes Gesicht von Sorgenfalten durchzogen und seine Augen rot unterlaufen.

Unvermittelt schienen seine Gedankengänge in einer folgenschweren Entscheidung zu münden. Mit grimmiger Miene schlug er mit seiner Faust entschlossen in die andere Handfläche.

Er wirbelte herum, ließ sich in den Stuhl hinter dem Schreibtisch fallen und griff nach dem Telefon in der Ecke des Schreibtischs. Bevor seine Hand jedoch ihr Ziel erreichte, klingelte das Gerät. Dr. Robbins knurrte verärgert und zog seine Hand zurück. Das Telefon klingelte erneut, schrill und beharrlich. Widerstrebend nahm er den Hörer ab.

„Ich hatte mir gedacht, dass ich Sie zu Hause erwische, Lawrence“, wurde er von einer angespannten Stimme begrüßt. „Wie sieht’s aus? Sie hatten zwischenzeitlich genug Gelegenheit, über die Sache nachzudenken. Sie wissen, was Sie dem Ruf des Krankenhauses und ihrer eigenen Reputation antun, wenn Sie reden. Sie möchten sicher nicht beides aufs Spiel setzen, nicht wahr?“

„Ich habe meine Entscheidung getroffen“, antwortete Robbins kalt, „und Nichts, was Sie sagen, wird etwas daran ändern. Ich ziehe das durch – meine Entscheidung ist endgültig!“

„Sie sind nichts weiter als ein Egomane mit einem Diktatorkomplex!“, schrie die Stimme, zitternd vor Wut. „Sie erwarten von jedem, dass er vor ihnen zu Kreuze kriecht und sich in die kleine Gussform ihrer überzogenen Erwartungen quetschen lässt. Und sie trauen sich tatsächlich, sich als großherziger, selbstloser Heiler aufzuspielen. Wie können ...“

Ein wütendes, unartikuliertes Gebrüll ausstoßend, unterbrach Dr. Lawrence Robbins die Tirade am anderen Ende der Leitung, indem er den Hörer lautstark auf die Gabel krachen ließ. Schwer atmend riss er eine Schublade an seinem Schreibtisch auf und fischte eine gefährlich aussehende Pistole aus gebläutem Stahl unter ein paar Papieren hervor. Ein Blick in das Magazin verriet ihm, dass die Waffe geladen war. Er verstaute die Automatik in einer seiner Gesäß­taschen und schritt entschlossen zur Tür.

„Auf ein Wort, Doktor.“ Eine ruhige Stimme sprach ihn aus den dunklen Schatten am anderen Ende der Bibliothek an. „Ich möchte kurz mit Ihnen sprechen, bevor Sie auf Ihre makabre Mission gehen.“

Dr. Robbins fuhr herum, seine Kinnlade klappte herun­ter. Ein großer schwarzer Schatten, wie die Schwingen einer flatternden Fledermaus, legte sich auf die ­aneinandergereihten Bücher und bewegte sich unnachgiebig auf ihn zu. Dann sah er, wer diesen Schatten warf: ein Mann, gekleidet komplett in schwarz, von der schwarzen Maske bis zu den schwarzen Schuhen, mit einem längs gefalteten schwarzen Umhang, der an die angelegten Flügel einer riesigen Fledermaus ­erinnerte.

Einen Moment lang war Dr. Robbins vor Schreck wie gelähmt, dann blitzte es in seinen Augen und seine Hand fuhr in Richtung Hosentasche.

„Tun Sie das nicht“, warnte die Schwarze Fledermaus ihn barsch und bewegte seine Hand zu seiner Hüfte, sodass das Licht auf seine schwere Automatikwaffe fiel. „Das Ding in meiner Hand ist kein Spielzeug, auch wenn ich nicht vorhabe, es zu benutzen, solange Sie mich nicht dazu zwingen.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783957190154
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Kult Klassiker Krimi Spannung

Autor

  • G. W. Jones (Autor:in)

G. Wayman Jones – hinter diesem Pseudonym verbirgt sich meistens der amerikanische Autor Norman A. Daniels, so auch beim vorliegenden Roman.
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Titel: Die schwarze Fledermaus 15: Stadt in Angst