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Die schwarze Fledermaus 03: Angriff der schwarzen Fledermaus

von G. W. Jones (Autor:in)
192 Seiten
Reihe: Die schwarze Fledermaus, Band 3

Zusammenfassung

Bei einer illegalen Exhumierung werden drei Männer erschossen, darunter ein junger Bezirksstaatsanwalt. Lieutenant McGrath verdächtigt die Schwarze Fledermaus und startet eine gnadenlose Jagd auf den Maskierten. Quinn braucht Unterstützung, doch sein Freund und Gehilfe Silk versinkt gerade, mit schweren Eisenketten gefesselt, in den Fluten des Lake Michigan. Die Kult-Reihe aus den USA! Die Printausgabe umfasst 192 Seiten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Kapitel I - Mord auf dem Friedhof

 

Um zehn Minuten nach ein Uhr, also mitten in der Nacht, fuhr ein Wagen am Friedhof vor. Zwei Männer stiegen aus, die hohe Stiefel trugen. Sie traten vor das Tor in der Friedhofsmauer und einer von ihnen sperrte mit einem Schlüssel aus seiner Tasche auf. Der Fahrer ließ das Auto hindurchrollen, wonach seine beiden Mitfahrer das Gittertor hinter sich zuzogen und es absperrten. Der Wagen nahm mehrere Abzweigungen auf dem mäanderförmigen Pfad zwischen den Gräbern. Dann strahlte der Fahrer eine Reihe nebeneinanderstehender Steine mit den Scheinwerfern an, allerdings nur kurz, denn im gleichen Moment, als er sah, was er suchte, blendete er ab.

Lew Scott, der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt, gehörte zu den dreien, die diesen seltsamen Nachtausflug machten. Nachdem sie mehrere Schaufeln und Hacken ausgeladen hatten, nahm er jeweils eine Schaufel und eine Hacke zur Hand. Er war noch jung und strotzte vor Ehrgeiz, erfreute sich jedoch nicht zuletzt aufgrund seiner Ehrlichkeit eines ausgezeichneten Rufes. Einem seiner Gefährten, der kleiner und schlanker war, vor allem aber viel nervöser, wandte er sich zu.

„Zum letzten Mal“, begann er leise, weil die Umgebung Diskretion gebot. „Sind Sie sich ganz sicher? Wir machen uns zum Gespött der ganzen Stadt, wenn Sie sich irren, ganz zu schweigen von der saftigen Klage, die wir uns damit einhandeln können.“

Der Angesprochene hieß Jim Fisher und fuhr sich nun mit der Zunge über die Lippen. Während er seinen Kragen aufknöpfte, kam der dritte Mann zu ihnen, und Fisher konnte nicht antworten. Dawson, so hieß der assistierende Gerichtsmediziner, war genauso blutjung und auf der Hut wie Scott. Das Trio schien also trotz Heimlichtuerei mit gutem Recht graben zu dürfen.

„Ich habe die unterschriebene Genehmigung, das Grab ausheben zu dürfen, in der Tasche. Worauf warten wir also?“, fragte Dawson. „Sobald Sie den Sarg öffnen, werde ich eine rasche Autopsie vor Ort durchführen, und das ohne große Schwierigkeiten, weil der Leichnam erst vor zwei Tagen bestattet wurde. Ohnehin brauche ich nur Haar- und Nagelproben sowie einen Abstrich der Magenschleimhaut. Was meine Aufgabe bei diesem Unternehmen betrifft, benötige ich wohl kaum länger als eine Viertelstunde.“

Jim Fisher ging zum Auto zurück und ließ sich auf dem Trittbrett nieder, ehe er Scott versicherte: „Ich irre mich definitiv nicht.“ Sein düsterer Tonfall hatte etwas Endgültiges. „Ralph Galvin liegt tot in diesem Grab. Der Arzt glaubt zu wissen, er sei an einem chronischen Magenleiden gestorben. Wie gesagt, ich war nicht in der Stadt, doch als ich nach meiner Rückkehr davon erfuhr, ahnte ich, dass etwas nicht stimmte. Galvin hatte nie Probleme mit seinem Magen; er brüstete sich sogar andauernd mit seiner gesunden Verdauung.“

Lew Scott nickte. „Ja, ja. Das haben Sie uns schon oft genug erzählt, aber mir geht es vor allem um den Brief, den Sie von ihm erhalten haben. Denken Sie daran, dass Sie ihn vernichtet haben. Sie besitzen kein schriftliches Beweisstück.“

Fisher zuckte mit den Schultern. „Ralph erwähnte, er habe etwas über eine Lebensversicherung erfahren, von der er bis dato überhaupt nichts gewusst hatte. Sie belief sich auf zweihundertfünfzigtausend Dollar, obwohl er sich eine so teure Police niemals hätte leisten können. Zudem wäre er nicht umhingekommen, sich einer Untersuchung zu unterziehen, um sie über einen solch hohen Betrag abzuschließen. Ich dachte mir nichts weiter dabei, bis ich zurückkehrte und von seinem Tod erfuhr. Er ist zu unvermittelt gestorben, weshalb ich glaube, dass, wer auch immer Galvin lebensversichert hat, ohne dass er davon wusste, auch ein medizinisches Gutachten fälschte, ehe er ihn ermordete, um das Geld einzukassieren.“

Der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt schälte sich aus seinem Mantel und zog das Jackett darunter ebenfalls aus. „Dann ist die Situation für mich sonnenklar, und wir tun nichts Falsches, ihn zu exhumieren. Vermutlich hätte ich die Angehörigen zuerst verständigen sollen, doch falls Ihre Vermutungen berechtigt sind, Fisher, wäre das ein kapitaler Fehler. Offensichtlich geht das Geld an jemanden aus Galvins Familie, und falls wir gegen diese Person vorgehen wollen, müssen wir zuerst vollkommen sicher sein, dass er keines natürlichen Todes starb. An die Schaufeln, meine Herren! Wir graben die Leiche aus und geben Ihnen, Doktor Dawson, Zeit zur Untersuchung. Hinterher bestatten wir Galvin erneut. Aber wie gesagt, Mister Fisher: Falls Sie richtig liegen, müssen wir seine Grabesruhe morgen ganz offiziell zum zweiten Mal stören. Bringen wir es hinter uns.“

Alle drei legten sich ins Zeug, die frisch angehäufte Erde auszuheben. Fast zwei Stunden zermürbender Anstrengung kostete es, bis sie auf das Metall des Sargdeckels stießen. Scott kroch aus dem Loch heraus, eilte zum geparkten Wagen und nahm eine Benzinlötlampe aus dem Kofferraum. Damit sprang er zurück ins Grab, betätigte die Luftzufuhr und hielt ein Streichholz vor den Kolben. So brannte er ein Loch in die Außenhülle, die den Sarg luftdicht verschloss. Die beiden anderen Männer stemmten den verkupferten Kasten auf, bis sich der Deckel aus dem Loch hieven ließ. Als Nächstes warfen sie Fisher Seile zu, die er unter dem Sarg durchführte. Nachdem sie ihn behutsam hochgezogen hatten, stellten sie ihn auf ebenem Grund ab.

Scott öffnete den Sarg mit einem Schraubenschlüssel und klappte den Deckel auf. Beim Anblick der Leiche schauderte es Fisher, und er musste sich schnell abwenden. Nur Dawson war solch unappetitliche Arbeit von Berufswegen her gewohnt, weshalb er sie völlig ungezwungen erledigte, nachdem er das dazu notwendige Werkzeug aus seinem Arztkoffer genommen hatte. Zuerst schnitt er dem Toten eine Haarsträhne ab, steckte sie in einen Umschlag und klebte diesen zu. Das Gleiche tat er mit mehreren Fingernagelsplittern, die ebenfalls später analysiert werden sollten.

Der Wind hatte während ihrer Bemühungen aufgefrischt und wehte nun den Umschlag mit den Haaren gut ein Dutzend Fuß über die Grasfläche. Scott lief hinterher und schnappte ihn gerade noch, als er in ein anderes offenes Grab zu segeln drohte. Damit er nicht wieder davonflog, legte er das Beweisstück in einen zerbrochenen Blumentopf, den er dazu aus dem Boden zog. Um ganz sicherzugehen, stellte er ihn auf den Kopf. „So kommt die Probe nicht abhanden, bis wir aufbrechen“, bemerkte er dazu. „Nun, Doktor, wenn Sie gestatten, werde ich mich weiter mit Fisher unterhalten, während Sie den Eingriff vornehmen.“

Dawson nickte und sah sich bereits nach dem Chirurgenbesteck um. Während er seine Routinearbeit zügig durchführte, bemühte sich Jim Fisher am Wagen, sein Schlottern zu unterdrücken. „Ich bin kein Feigling“, behauptete er, „aber diese Sache zerrt an meinen Nerven. Wenn ich den Mann nicht gekannt hätte, wäre es nicht so schlimm, aber Ralph und ich, wir waren Freunde seit der ersten Grundschulklasse. Ich sage es Ihnen noch einmal: Er ist keines natürlichen Todes gestorben! Einen Unfall, Lungenentzündung oder irgendeine Infektionskrankheit würde ich fraglos hinnehmen, aber ein chronisches Magenleiden? Guter Gott, das ist schlichtweg unmöglich.“

Der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt stellte den Kragen seines Hemdes hoch. In kaum zwei Stunden sollte die Sonne aufgehen, doch die Nacht zeigte sich nun von ihrer ungemütlichen Seite.

„Ich weiß“, versicherte er Fisher mit gedämpfter Stimme. „Deshalb habe ich diese Exhumierung auch insgeheim in die Wege geleitet. Falls wir falschliegen, findet es niemand heraus, aber wenn sich Ihr Verdacht bestätigt, stecken wir mitten in einem üblen Mordfall. Niemand weiß von unserer Aktion, weil weder ich noch Dawson jemandem davon erzählt haben, und Sie auch nicht, wie ich wohl annehmen darf. Gewisse Anzeichen an der Leiche lassen den Doktor bereits jetzt darauf schließen, dass Galvin mit Arsen vergiftet wurde. Die Aufnahme des Giftes geht mit Symptomen einher, die denen einer dauerhaften Magenkrankheit nicht unähnlich sind, besonders wenn sie über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgt, wie es bei Versicherungsbetrug mit Mordabsicht häufig der Fall ist. Die Proben, die Dawson entnimmt, werden uns definitiv Aufschluss geben.“ Er hielt inne. „Haben Sie das gehört, Fisher?“

Der Mann nickte. „Dort oben in den Büschen; jemand beobachtet uns.“

Scott rief den Gerichtsmediziner mit gedämpfter Stimme. „Doc, kommen Sie her.“

Dawson schlenderte locker zu den beiden hinüber und grinste breit, als sie ihn wissen ließen, man werde beobachtet. „Unsinn. Sie sind bloß nervös, und die Umgebung tut ihr Übriges. Wer außer drei Untoten würde zu nachtschlafender Zeit auf einem Friedhof herumschnüffeln, wie wir es gerade tun?“ Er lachte noch einmal laut, bevor er zum offenen Grab zurückkehrte. Plötzlich schnellte seine Hand zur Brust hoch, und ein gequältes Ächzen kam über seine Lippen. Zwei Schritte taumelte er noch, allerdings eher aus dem Schwung heraus und nicht mehr aus eigener Kraft, bevor er sich halb umdrehte, als wolle er seinen beiden Begleitern noch etwas sagen, und schließlich zusammenbrach.

Scott sprang vom Trittbrett des Wagens auf und eilte zu Dawson hinüber. Fisher sah starr vor Entsetzen, wie der Staatsanwalt im Lauf stehen blieb und wie in Zeitlupe zehn Fuß vor dem Doktor ebenfalls zu Boden ging. Der Verbliebene stieß einen gellenden Schrei aus. Nichts hatte er gehört, und doch waren die beiden Männer gefallen, als sei ein stummes Gespenst über sie gekommen und habe ihnen ihr Leben genommen. Fisher flog geradezu über mehrere Erdhaufen hinweg, sprang über einen Grabstein und blieb an einem Blumenkübel hängen. Panisch glucksend raffte er sich auf und hastete weiter. Auf einmal ließ irgendetwas neben ihm die Erde aufstieben, weshalb er noch schneller rannte, doch dann wurde er zwischen die Schulterblätter getroffen, und ein überwältigender Schmerz durchdrang seinen ganzen Körper. Nach wenigen Stolperschritten sackte auch er zusammen. Es gelang ihm unter großen Mühen, wieder auf die Beine zu kommen, indem er sich an einem Stein hochzog. Er drehte den Kopf und starrte ins Dunkel.

Gut fünfzig Fuß hinter ihm stand jemand, den er nur als schwarzen Klecks erkannte. Der Mann hielt ein Gewehr im Anschlag, und obwohl es keinen Knall abgab, bohrte sich eine weitere Kugel in Fishers Fleisch. Sie durchlöcherte seinen linken Lungenflügel und traf ihn ins Herz. Er war auf der Stelle tot und hing über den Grabstein gebeugt wie in einer spukhaften Albtraumszene.

Der Mörder schritt indessen ruhig zu Dr. Dawson und tippte ihn mit dem Fuß an. Als er sah, dass Blut aus einer Wunde direkt über dem Herzen quoll, schürzte er verächtlich die Lippen. Dann schaute er sich den Bezirksstaatsanwalt an, der alle Glieder von sich streckte, aber noch zuckte; sein Leben war noch nicht vollends verwirkt. Als sei es ein ganz alltäglicher Handgriff, hob der Unbekannte seine Waffe ein Stück weit an und verpasste dem Liegenden einen Kopfschuss.

Nachdem er seine grauen Handschuhe ausgezogen hatte, schraubte der Killer den Schalldämpfer ab und steckte ihn in seine Tasche, klemmte das Gewehr unter den Arm und ging hinüber zu der ausgegrabenen Leiche. Dort nahm er den Umschlag an sich, den Dawson hinterlegt hatte, begutachtete ihn kurz, um ihn letztlich ebenfalls einzustecken. Zwanzig Minuten brauchte er, um den Boden in der Umgebung sorgfältig nach selbst winzigen Spuren abzusuchen, die ihn verraten konnten. Hinterher kehrte er zügig zur Gruppe niedriger Bäume zurück, die den Friedhofsweg säumten, und die Nacht verschlang ihn, als sei er nie da gewesen. Nur die vier Leichen deuteten darauf hin, eine längst kalt im ewigen Schlaf, die übrigen noch warm in ihrem Blut liegend.

Niemand konnte die Tat bezeugen. Allein die Toten klagten den Attentäter an, der ein beinahe perfektes Verbrechen begangen hatte.

Ein einziges Detail jedoch ließ er zurück, ohne es zu wissen.

Kapitel II - Phantome der Nacht

 

In einem großen Haus in einer der vornehmeren Gegenden der Stadt saß ein Mann vor seinem Kamin. Er trug eine Anzugjacke und hielt einen Gehstock zwischen den Knien fest. Seine Augen waren leer wie die eines Blinden und von hässlichen Narben umsäumt, die von Verätzung herrührten. Er hatte die dreißig überschritten und wirkte – abgesehen von dieser Verunstaltung – nicht unansehnlich, besaß ein markant geschnittenes Kinn und konnte warmherzig lächeln, obwohl er allzu oft verbittert dreinschaute.

Tony Quinn verharrte viele Stunden in dieser Haltung, denn er war, soweit man wusste, tatsächlich blind. Ein Dutzend kompetenter Ärzte hatte sich dafür verbürgt und ihm keine Hoffnung auf Heilung gelassen. Damals, als er noch ein aufstrebender Staatsanwalt gewesen war, hatte er in einem Gerichtssaal sein Leben zur Verteidigung von wichtigen Beweisstücken aufs Spiel gesetzt, wobei ihm von einem Gangster Säure ins Gesicht geschüttet worden war. Und wie gesagt: Nie wieder würde er sein Augenlicht zurückerhalten, so man den Fachleuten glaubte, die er konsultiert hatte.

In Wirklichkeit war Tony Quinn aber nicht blind.

Diese ausdruckslosen Augen sahen wahrscheinlich besser als jedes andere Paar auf der Welt. Dank eines kranken Mannes, der ebenfalls im Kampf gegen das Verbrechen in Mitleidenschaft gezogen worden war, hatte Tony Quinn gelernt, sie wieder zu gebrauchen. Die dazu nötige Operation war in aller Heimlichkeit durchgeführt worden, und außer dem ausführenden Arzt, der die Wundertat vollbracht hatte, die andere Chirurgen scheuten, sowie drei weiteren Menschen, wusste niemand davon.

Einer der Eingeweihten saß in einem Sessel mit gerader Rückenlehne neben Quinn. Am Boden vor seinen Füßen lagen eine Menge Zeitungen. Er hieß Norton Kirby und hatte sich unter dem Namen Silk als Trickbetrüger betätigt, bis er bei Tony Quinn eingebrochen und durch schicksalhafte Fügung zu seinem Freund geworden war. Er trug den unauffälligen Anzug eines Hausdieners. „Ein ganz schöner Schlamassel, nicht wahr?“, fragte er. „Man stelle sich so etwas vor: Scott, unser stellvertretender Bezirksstaatsanwalt, der rechtsmedizinische Angestellte Dawson und ein gewisser Jim Fisher liegen ermordet auf dem Friedhof, daneben die ausgegrabene Leiche eines kürzlich Verstorbenen. Klingt gespenstisch, Sir. Sie kannten den jungen Scott doch.“

Quinn nickte betrübt. „Er fing in meinem Büro an, als ich noch amtierender Bezirksstaatsanwalt war. Ein netter Mensch, Silk, und intelligent dazu. Er sah einer glänzenden Zukunft entgegen, doch jetzt ist er tot. Warum? Weder die Polizei noch sonst jemand weiß sich einen Reim darauf zu machen. Rache kann es nicht gewesen sein, denn dann wären weder Dawson noch dieser Fisher mit ihm ermordet worden. Silk, die drei folgten einer Spur und haben Ralph Galvins Leichnam nicht einfach so ausgegraben. Jemand brachte sie für immer zum Schweigen, damit sie nicht offenlegten, was sie herausgefunden hatten, und wenn jemand die Schuld für drei kaltblütige Hinrichtungen auf sich nimmt, muss es sich um eine schwerwiegende Angelegenheit handeln. Lesen Sie mir diesen einen Abschnitt vor, in dem es über die Mutmaßungen der Behörden geht.“

Silk räusperte sich und setzte dort wieder an, wo er sich zuvor selbst unterbrochen hatte: „Commissioner Warner leitet die Ermittlungen im Fall der drei grausamen Morde auf dem Stadtfriedhof, die die Bevölkerung erschüttern. Laut Polizei gibt es noch keinerlei Hinweise, doch gründliche Untersuchungen sollen schon bald für Klarheit sorgen. Ralph Galvins Leichnam, den die drei Ermordeten exhumiert haben, befindet sich zu diesem Zweck im pathologischen Institut Stanley. Bisher geht man davon aus, eines der Opfer namens Jim Fisher, der zu den Freunden des Verstorbenen zählte, habe Galvins natürlichen Tod angezweifelt. Der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt Scott führte eine Genehmigung zur Exhumierung der Leiche mit sich und begleitete die beiden vermutlich, um Fishers Andeutungen unverzüglich auf den Grund zu gehen. Ralph Galvins Körper wurde einer Autopsie unterzogen, doch bereits zuvor hatte Gerichtsmediziner Williams versichert, es gebe keine Hinweise darauf, dass er gewaltsam gestorben oder vergiftet worden sei. Man ist einhelliger Meinung, dass Scott und Dawson den Toten vergeblich auf Indizien hin untersuchten.“

Tony Quinn hob die Hand. „Es genügt. Silk, dahinter steckt mehr, als es oberflächlich gesehen den Anschein hat. Wie gesagt, ich kannte Lew Scott. Er wäre nicht vorschnell auf eine verrückte Geschichte angesprungen, die ihm ein Wildfremder unterbreitete. Dass man keinen Missbrauch mit bereits Begrabenen treibt, war ihm völlig bewusst.“ Einen Moment lang hielt er andächtig inne. „Ich glaube, wir sollten uns die Leiche in der Pathologie anschauen, Silk, und dem Friedhof müssen wir ebenfalls einen Besuch abstatten. Die Polizei steckt bisweilen zu tief in ihrer Routine; vielleicht hat sie dort draußen etwas übersehen.“

Silk antwortete nicht, sondern stand auf, ging zum Fenster und zog die Vorhänge zu. Dann vergewisserte er sich, dass die Türen geschlossen waren und löschte das Licht im Zimmer.

„Bereit, Sir“, sagte er schlicht, woraufhin sich Tony Quinn erhob, auf seinen Stock stützte und rasch vor die Westmauer des Raumes trat. Während sich Silk vorsichtig durch die für seine Augen beinahe undurchdringliche Dunkelheit tasten musste, tat Quinn so, als sei alles hell erleuchtet. Dafür gab es einen Grund: Er sah im Dunkeln fast genauso gut wie im Hellen; manchmal schien es ihm gar, als sähe er im Dunkeln noch besser. Jene Augenoperation hatte ihm schärfere Sicht beschert, mit der er der Lichtlosigkeit trotzen konnte.

Ein Teil der Wand gab inwendig nach, und Quinn schlüpfte mit Silk in einen weiß gefliesten Raum, dessen Regale und Schränke vor Chemikalien, Untersuchungsgeräten und die gesamte Kriminalgeschichte abdeckenden Büchern fast zusammenbrachen. Der ehemalige Staatsanwalt gedachte nämlich, sich mit allen verbrecherischen Elementen anzulegen, die die Unterwelt beherbergte, genauso wie er korrupten Männern und Frauen der vermeintlich hohen Gesellschaft das Handwerk legen wollte.

Aus einem Tresor nahm er nun einen schwarzen Anzug, dazu passende Handschuhe und Stiefel mit Gummisohlen, nicht zu vergessen seine charakteristische Haube. Die streifte er sich über, als er sich umgezogen hatte, was er in Eile tat. Der Stoff reichte bis über die Schultern und ließ sich an den Armen befestigen, sodass er gerippten Flügeln ähnelte, wenn er sie ausbreitete. Sein Schatten an der weißen Wand mutete eigenartig an, eben wie der einer großen Fledermaus. Nach dem Flattertier gab er sich den Namen und verwendete die Fledermaus als Erkennungszeichen, weil man diese Nachttiere im Volksmund als blind bezeichnete, nicht zu vergessen wegen ihrer ausschließlichen Aktivität im Dunkeln.

Einmal noch schaute er unter der Maske hervor. „Sie bleiben besser hier“, mahnte er Silk. „Commissioner Warner schaut üblicherweise vorbei, wenn er Kopfschmerzen wegen eines solchen Falles bekommt. Falls er nach mir verlangt, sagen Sie ihm, ich würde schlafen und wolle nicht geweckt werden, zumal ich andauernd deprimiert sei wegen meiner Blindheit und seit Tagen keine Ruhe gefunden hätte. Das wird ihn hinhalten, bis ich zurück bin.“

In Silks Antwort schwang leichtes Bedauern mit: „Gut, Sir, aber ich dachte, Sie würden mich vielleicht mitnehmen, da wir bis zuletzt die Hände in den Schoß gelegt haben ...“

Quinn zog die Haube schließlich wieder ganz vom Kopf und steckte sie grinsend in eine Tasche. „Silk, Sie unverwüstliches Schlachtross, ich müsste schon arg falschliegen, wenn es in naher Zukunft nicht ausreichend für Sie zu tun gäbe. Ich fische nicht gern im Trüben, ahne aber, dass der Mann oder die Bande, die für diese Morde verantwortlich zeichnen, noch lange nicht fertig sind. Halten Sie die Stellung; ich brauche nur ein paar Stunden.“

Quinn setzte einen Hut mit breiter Krempe auf und verbarg seine vernarbten Züge darunter. Nachdem er mehrere Hebel an der Wand gezogen hatte, gab ein Teil des Fußbodens nach und offenbarte eine Leiter, die in einen von Hand gegrabenen Tunnel führte. Er winkte Silk, kletterte hinab und schlich hindurch. In einer geschlossenen Gartenlaube weit an der hinteren Grenze des Grundstücks kam er heraus; dies war der perfekte Weg für die Fledermaus, um auf die Jagd zu gehen beziehungsweise wieder heimzukehren. Beim Verlassen des Geländes durch das Gartentor schaute er sich zu beiden Seiten auf der ruhigen Straße um. Niemand war unterwegs, also trat er hervor und hielt sich dicht an der hohen Mauer, wobei ihn seine schwarzen Kleider in der Dunkelheit praktisch unsichtbar machten.

Als er um die Ecke bog, sah er einen Sportwagen am Gehsteig vor einem Wohngebäude stehen. Der parkte immer dort für Bedarfsfälle wie diesen und war auf einen gewissen Jack O’Leary registriert, den die Schwarze Fledermaus als Butch kannte. Er gehörte zum Trio der Eingeweihten, die um Quinns Identität wussten. Er schloss das Auto auf und nahm hinter dem Lenkrad Platz. Während er langsam die nächste Kreuzung überquerte, zog er den Hut noch tiefer ins Gesicht, denn gleich lenkte er den Wagen in eine helle Straße hinein. Ihn kribbelte es unter seiner Haut. Falls man ihn – warum auch immer – anhielt und in diesem Aufzug sah, würde dies Fragen aufwerfen. Nahezu jeder Polizist in der Stadt kannte Quinn und nahm fest an, er sei auf ewig zur Blindheit verdammt. Wenn man ihn nun einen Wagen fahren sah ...

Tony Quinn verdrängte den Gedanken an die sich daraus ergebenden Konsequenzen.

Umso vorsichtiger schlug er sich durch die Stadt, beachtete die Straßenschilder und hielt sich an die vorgegebene Geschwindigkeit. So gelangte er weit in den Norden, wo er das Coupé in einer finsteren Seitengasse abstellte. Nachdem er sich einmal mehr umgesehen hatte, stieg er aus, nahm den Hut ab und warf ihn auf den Sitz, um hastig die Maske überzustülpen.

Das Leichenhaus des Privatunternehmens, in dem der exhumierte Tote vom Friedhof verwahrt wurde, befand sich gleich um die Ecke. Beim Durchqueren des angrenzenden Hofraumes umging er Hindernisse, über die jeder normal Sehende gestolpert wäre. Selbst die dünnen Drähte zweier Krocket-Tore standen ihm so deutlich vor Augen, als handele es sich vielmehr um welche fürs Fußballspiel.

Das Gebäude, hinter dem er herauskam, besaß kein Obergeschoss. Nachts hatte niemand Dienst, denn wer sollte zu dieser Zeit schon ein Leichenschauhaus aufsuchen? Zwar war der ausgegrabene Leichnam im Zusammenhang mit jenem dreifachen Mord extrem wichtig, aber die Autopsie hatte man abgeschlossen und die Ergebnisse eingereicht. Der Tote harrte also nur noch seiner neuerlichen Beerdigung. Die Fledermaus trippelte verstohlen vor das Gebäude, und nachdem er kurz die Art des Türschlosses begutachtet hatte, brauchte er kaum drei Minuten, um es zu knacken. Das Öffnen solcher Vorrichtungen gehörte zu den zahlreichen faszinierenden Bereichen der Kriminologie, die Quinn ausgiebig studiert hatte. Er machte leise hinter sich zu. Eine Taschenlampe führte er nicht mit sich, denn sie wäre überflüssig gewesen, weil er alles sah. Der Leichnam ruhte zugedeckt in einem der engen Untersuchungsräume. Er zog das Laken weg und beschäftigte sich zehn Minuten lang mit dem Körper, gab jedoch letztlich auf. Keine neuen Erkenntnisse. Falls es sich wirklich um Ralph Galvin handelte, denn als dieser war er identifiziert worden, hatte Lew Scott einen Fehler begangen, ihn zu exhumieren.

Nachdem die Fledermaus das Gebäude verlassen hatte und zum Wagen zurückgekehrt war, fuhr er schnurstracks zum Friedhof. Er kletterte über den hohen Zaun und ließ sich drinnen leise auf die Erde fallen, ehe er den Platz suchte, an dem die drei Männer den Tod gefunden hatten, was nicht schwierig war, da man das geöffnete Grab nicht wieder zugeschaufelt hatte.

Nach Fußspuren brauchte er erst gar nicht zu suchen, weil Polizei und Friedhofspersonal den ohnehin schlammigen Boden zertreten hatten. Er baute sich neben dem Grab auf und drehte sich langsam um. Seine Augen streiften den Boden ab; ihnen entging nichts. Auf einem anderen Grab in etwa zwanzig Fuß Entfernung stand umgedreht ein zerbrochener Tontopf. Ansonsten war die Erde dort eben, das Blumenbukett vor dem Stein bereits seit Tagen ausgedörrt. Dies deutete allerdings darauf hin, dass sich jemand um das Grab kümmerte und zumindest einigermaßen regelmäßig herkam. Deshalb kam das kaputte Gefäß Quinn suspekt vor, also schaute er es sich näher an. Der Topf war anderswo weggenommen, richtiggehend aus der Erde gerissen worden, worauf die Erde schließen ließ, die noch an ihm haftete. Als er ihn umdrehte, entdeckte er halb im Dreck verborgen einen schmutzig weißen Umschlag. Schnell zog er ihn heraus, schnitt die verklebte Lasche auf und fand eine Haarsträhne darin.

Er steckte sie ein und konnte sich dabei eines aufregenden Kribbelns nicht erwehren. Jemand hatte dem Toten Haare abgeschnitten, höchstwahrscheinlich Dr. Dawson, denn um Gifte nachzuweisen, behalf man sich nicht selten solcher Proben. Die Fledermaus erinnerte sich jedoch genau daran, dass die Frisur der mutmaßlichen Leiche von Ralph Galvin im Beinhaus unberührt geblieben war. Er hatte den Körper zu ausgiebig untersucht, um daran zu zweifeln. Andererseits war keine Haaranalyse notwendig, wenn man sich im Rahmen einer gründlichen Autopsie professioneller Hilfsmittel bedienen konnte, wie die Pathologie sie verwendete. Die Leiche musste also ausgewechselt worden sein. Der aufgebahrte Tote war nicht derjenige, den Dawson ausgegraben hatte, aber wie konnte das passieren? Familie Galvin gehörte zum rechtschaffenen Bürgertum und galt als ehrlich in allen Belangen. Ganz bestimmt hätten sie niemanden ihres Clans versichert und umgebracht, um seine Police auszulösen und dann noch drei Männer zu beseitigen, damit ihr Schwindel nicht aufflog. Nichtsdestoweniger stand für Quinn fest, dass Galvins Leichnam – aus welchen finsteren Gründen auch immer – gestohlen worden war.

Er kehrte vor das offene Grab zurück und schaute hinein. Mit einem leisen Knall platzte der Boden unter ihm auseinander, und er schaute hinab. Hier war der Sand trockener und staubte. Ruckartig hechtete er zur Seite und ging hinter einem hohen Grabstein in die Hocke. Zwar geschah vorerst nichts weiter, doch die Fledermaus war niemand, der auf einen Angriff wartete. Er glaubte an das Überraschungsmoment, wenn es darum ging, Gegner zu überwinden, also rannte er gebückt, aber dennoch leichten Schrittes über die Wiese fort. Die Richtung, aus der man auf ihn geschossen hatte, konnte er genau abschätzen. Er umlief die Stelle im Halbkreis, ehe er zwei Männer geduckt an der Wand einer Gruft stehen sah. Sie versuchten, ihr vermummtes Ziel im Dunkeln zu finden.

Einer flüsterte heiser, doch die Fledermaus besaß überaus hellhörige Ohren und hörte es: „Ich sag’s dir, ich hab den Typen genau gesehen. Er trägt ‘ne Maske, ansonsten hätte ich seine Visage erkannt, oder? Dorkey, ich rieche, dass es dieser Fledermausmann ist. Wenn du mich fragst, sollten wir verschwinden, solange wir noch können.“

Sein Kumpan konterte: „Dieser Fledermausmann, wie du ihn nennst, kocht auch nur mit Wasser. Was soll der auf dem Kasten haben, wogegen wir nicht anstinken können? Ich hoffe sogar, dass er es wirklich ist, denn jetzt muss er sich zeigen, und dann hängt er ruck, zuck mit ‘ner Überdosis Blei in den Seilen.“

Kapitel III - Double im Tod

 

Die Schwarze Fledermaus grinste angespannt und schlich weiter voran. Wenige Yards trennten ihn von den beiden Männern, als der Ängstliche glaubte, er müsse etwas gegen seine Befangenheit unternehmen. Deshalb schaltete er seine Taschenlampe ein und richtete sie auf das offene Grab. Sein Komplize herrschte ihn an und langte nach dem Gerät, das dabei auf den Boden fiel. Der Lichtkegel schien nun genau auf die Fledermaus.

Er schoss aus der Hüfte und traf die Linse, woraufhin sich ein umso dunklerer Schleier über den Friedhof senkte. Allerdings genügte das kurze Aufflackern der Lampe bereits, und dem Maskierten sausten zwei Kugeln um die Ohren. Dies wiederum quittierte er mit einer Doppelsalve, die fast wie ein einzelner Schuss klang, da er rasch hintereinander abdrückte. Der stämmigere der zwei Männer ging zu Boden, als seien all seine Gelenke und Muskeln mit einem Mal zu Weichwachs geworden. Der andere nahm panisch schreiend Reißaus, doch die Fledermaus folgte ihm auf den Fuß. Der Flüchtende rannte zum Zaun hin und streckte sich bereits nach dem Gitterdraht aus, um sich hochzuziehen, als eine stählern wirkende Hand seinen Knöchel packte und ihn wieder nach unten zwang. Ihr Kampf dauerte nicht lange. Ein versuchter Kinnhaken ging ins Leere, und stattdessen traf den versuchten Killer eine Faust in den Magen, sodass er vor Schmerz grunzte und sich krümmte. Mit beiden Armen musste er sich gegen den Zaun drücken lassen, und als er aufschaute, bestätigten sich seine schlimmsten Befürchtungen: Das Gesicht seines Fängers verhüllte eine finstere Haube, und der flügelartige Umhang warf einen unheimlichen Schatten – den Schatten der Fledermaus. „Verschone mich“, wimmerte er. „Ich kann nicht mehr, bitte.“

„Deinen Namen will ich hören, und woher kommst du?“, verlangte Quinn. „Raus mit der Sprache, und zwar schnell. Die Schießerei ruft gewiss Streifen auf den Plan, also halt mich nicht hin.“

Der Tunichtgut keuchte: „Joe Hudson. Komm aus Frisco, ehrlich. Ich und Dorkey sollten jeden kaltmachen, der heute Nacht hier am Grab aufkreuzt. Jeder von uns hat ‘nen Tausender fürs Schmiere stehen gekriegt, aber von wem, weiß ich nicht. Auf der Carmen Avenue gibt es diesen Pfandleiher. Bishop heißt er. Man meinte zu uns, er sei okay, also haben wir uns bei ihm mit Knarren eingedeckt. Er war es auch, der uns den Job gab. Das ist die Wahrheit, kein Scheiß. Würde dich nie belügen.“

„Das glaube ich dir sofort“, erwiderte die Fledermaus leise. „Falls doch, wird es dir leidtun. Ich binde dich hier fest, und wenn dieser Bishop ein Hirngespinst ist, wirst du singen, sobald ich zurückkehre, und zwar ganze Arien. Stell dich gegen das Gitter, Arme und Beine weit ausstrecken. So ist‘s brav.“ Die Fledermaus zog ein dünnes Seil aus der Tasche und band sowohl Hudsons Handgelenke als auch seine Füße am Zaun fest. Einen Knebel sparte er sich. „Du verhältst dich vorerst ruhig. Ich sehe nach, ob mit deinem Freund noch etwas anzufangen ist.“

Er musste den Mann, den der andere Dorkey genannt hatte, nicht lange untersuchen, denn eine Kugel hatte sein Herz getroffen. So kehrte die Fledermaus zu Hudson zurück und vergewisserte sich, dass die Fesseln hielten, damit er nicht ausbüxte. Zuletzt klebte er ihm sein Zeichen an die Stirn: die Umrisse einer schwarzen Fledermaus mit gespreizten Schwingen.

„Das soll den Mann, der euch angeheuert hat, daran erinnern, dass ihm jemand im Nacken sitzt“, bemerkte er verheißungsvoll. „Zudem wird es dir dabei helfen, der Polizei zu erklären, wie dein Begleiter zu Tode gekommen ist. Und merk dir vor allem eines: Wenn du aus dem Knast kommst, verschwindest du schnurstracks zurück an die Küste, denn falls du mir wieder über den Weg läufst, binde ich dich nicht mehr fest, sondern pumpe dich mit Blei voll.“

Im Nu hatte er den Zaun überklettert und lief zu seinem Wagen.

Einer bestechenden Tatsache war er sich ohnehin bewusst: Dr. Dawson hatte bereits mit der Untersuchung des Leichnams begonnen und ihm Haare abgeschnitten. Diese Strähne steckte nun in seiner Tasche. Jetzt musste er sich diesen Pfandleiher Bishop vorknöpfen und herausfinden, weshalb Galvin einen Doppelgänger als Verwandten identifiziert hatte.

Hinter dem Steuer streifte er sich die Haube vom Kopf. Bis jetzt deutete nichts darauf hin, dass jemand den Schusswechsel auf dem Friedhof gehört hatte. Das Gelände war weit abgelegen, und die Polizei hatte niemanden zur Wache abgestellt.

Monty Bishops zwielichtiges Geschäft befand sich zwischen schäbigen Restaurants und Antiquitätenläden. Nachts war es natürlich geschlossen, und über dem Rolltor brannte eine Lampe. Die Fledermaus parkte in der Nähe, sah sich nach etwaigen Beobachtern um und überquerte die Straße, um in eine Gasse neben dem Geschäft zu schlüpfen. Dort entdeckte er, dass der Inhaber im Gebäude dahinter wohnte. In zwei Fenstern brannte Licht. Nachdem er sich die Haube tief ins Gesicht gezogen hatte, schlich er an eine Scheibe heran und lugte durch die schmutzigen Vorhänge. Was er sah, zwang ihn unverzüglich zur Handlung: Auf dem Bett lag ein bleicher Mann mit ausgestreckten Armen, der scheinbar Höllenqualen ausstand. So verschwendete er keine Zeit, um die Tür aufzubrechen, sondern holte mit dem Griff seiner Pistole aus und zerschlug das Glas, langte hinein und öffnete das Fenster. Schnell schwang er sich übers Sims und trat vors Bett. Indem er den Mann in den Arm nahm, wurde ihm schnell klar, dass er im Sterben lag, wohl weil er vergiftet worden war. Angestautes Blut färbte sein Gesicht dunkelrot, die Lippen blau. Seine Augen waren hervorgetreten, und als er versuchte, etwas zu sagen, kam kein Ton aus seinem offenen Mund. Einzelne Körperfunktionen setzten also bereits aus. Der Fledermaus waren sprichwörtlich die Hände gebunden, denn zur Verabreichung eines Gegenmittels war es zu spät, zumal er nicht wusste, ob es sich um eine tödliche Dosis alkalischen oder metallischen Giftes handelte.

Bishop starb nach drei Minuten. Der Mörder hatte verblüffend schnell gehandelt, um den Mann verstummen zu lassen, noch ehe die Fledermaus ihn erreichte. Seufzend ließ er nun von ihm ab. Seine heiße Spur war dahin. Wer auch immer hinter diesem Verbrechen steckte, der ging äußerst gerissen vor, schaute weit voraus und schreckte vor keinem Mord zurück.

Ein üppiges Abendessen auf dem Tisch war nunmehr erkaltet. Bishops Henkersmahlzeit bestand unter anderem aus einer kräftigen Suppe, von der die Fledermaus einen Löffel abschöpfte und in ein Fläschchen träufelte, ehe er die Wohnung durchsuchte. Da er nicht erwartete, etwas zu finden, enttäuschte ihn die vergebliche Suche am Ende nicht. Bishops Essen mochte Stunden zuvor vergiftet worden sein, gewiss von einem angeblichen Freund, der ihm mit gutem Grund einen Besuch abgestattet hatte.

Als der Rächer zur Tür gehen wollte, stockte er. Ein Schatten war am Fenster vorbeigehuscht, zwar nur im Bruchteil einer Sekunde, doch er hatte es bemerkt. Indem er seine Waffe zückte, fuhr er herum, und schon flog die Tür vorne im Geschäft auf. Er hörte lautes Trappeln auf sich zukommen, während der Wohnungsausgang bereits bewacht wurde. So unverhohlen, wie der Einmarsch vonstattenging, konnte es sich nur um die Polizei handeln.

Die Fledermaus zögerte nicht länger und schoss die Deckenbeleuchtung aus. Nun war es stockdunkel. Der Mann vor der Wohnung trat die Tür ein, und als Quinn ihn sah, fluchte er innerlich, denn wieder einmal hatte er es mit Detective Lieutenant McGrath zu tun. Dieser Mann hatte geschworen, die Fledermaus tot oder lebendig zu schnappen. Jemand musste ihm einen Hinweis gegeben und demnach gewusst haben, dass Quinn Bishop aufsuchte, ihn tot vorfand und somit in eine heikle Lage geriet.

McGrath stand schussbereit im Raum. „Hab dich, Fledermaus“, rief er überlegen. „Diesmal entkommst du mir nicht. Zeig dich, oder ich mach dir Beine.“

Da sauste ein Schemen durch den Raum und wurde deutlicher erkennbar, als er im Gegenlicht von draußen vor dem Fenster stand, aber McGrath drückte nicht ab. Er wollte ihn doch lebend, wollte diese verfluchte Haube von seinem Kopf reißen und dadurch Tony Quinn entlarven. Der Lieutenant hätte nämlich seinen letzten Cent darauf verwettet, dass der ehemalige Anwalt unter der Maske steckte, wenngleich selbst seine Untergebenen sich darüber lustig machten. Wie konnte ein Blinder zu den Taten fähig sein, mit denen sich die Fledermaus rühmte? Trotz aller Widerrede ließ sich McGrath vor lauter Sturheit nicht von seiner Meinung abbringen. Mit erhobener Waffe stürmte er auf den Schatten zu und fuhr mit dem Arm herunter. Als er merkte, dass er eine verwundbare Stelle getroffen hatte, tat sein Herz einen freudigen Sprung. Der andere fiel unsanft zu Boden und regte sich nicht mehr.

„Schafft mir eine Lampe her!“, brüllte McGrath. „Die Luft ist rein, Jungs. Die Fledermaus hat das Licht zerschossen, aber ich hab ihn. Geht’s vielleicht heute noch? Macht, dass es hell hier drin wird. Kommt her, das ist die Nacht der Nächte!“

Jemand kam mit einer Taschenlampe herein und leuchtete den Raum aus. McGrath hatte die Waffe nicht heruntergenommen, weil er wusste, wie tückisch die Fledermaus war. Er ging auf die Knie und drehte den schlaffen Körper um. Bevor er am Zipfel der Maske zog, atmete er tief durch. Der große Augenblick stand bevor. Die Schwarze Fledermaus sollte enthüllt werden, und der Lieutenant würde all jenen, die seine Theorien als Hirngespinste abgetan hatten, eine lange Nase drehen.

Dann zog er die Haube mit einem Ruck über den Kopf des Liegenden.

Sein Kiefer klappte hinunter. Er blinzelte zuerst, hielt die Augen dann aber bewusst eine halbe Minute lang geschlossen, musste aber einsehen, als er sie wieder öffnete, dass sie ihm keinen Streich spielten. Das Gesicht unter dem Stoff war das von Bishop, dem Pfandleiher.

McGrath schluckte schwer und stieß Verwünschungen aus. Der Mann konnte nicht die Fledermaus sein, das stand außer Frage, aber soweit er wusste, war sonst niemand im Raum gewesen. Schon wollte er Bishops Wange tätscheln, um ihn aufzuwecken, da hielt er abrupt inne und beugte sich nach vorn, um gleich laut zu wettern: „Der Kerl ist mausetot. Nie im Leben war er die Fledermaus!“

Ein junger, übereifriger Streifenbeamter im ersten Dienstjahr drängelte sich vor. „So ist es, Lieutenant. Also, wenn Sie mich fragen, war die Fledermaus hier und zog dem Toten die Maske über, um Sie abzulenken, während er durch die Hintertür entwischte. Ein cleverer Bursche.“

Der Mann plapperte vor Aufregung, und McGrath brauste wütend auf: „Wer hat Sie aufgefordert, Weisheiten zum Besten zu geben? Was steht ihr alle hier herum wie ein Haufen Idioten? Ruft die Forensik, die Jungs von der Spurensicherung und das Morddezernat herbei. Ich hab den Kerl nicht kaltgemacht; er war schon tot, als ich zuschlug. Oh, ich kriege diese Fledermaus, und wenn es den Rest meines Lebens dauert! Ewig windet er sich nicht heraus, nicht mit solchen Tricks. Wehe dem, der mir den Hinweis gab, das Schwein sei heute Nacht hier. Ich habe noch gar nicht richtig angefangen, mich ins Zeug zu legen.“

„Dafür aber ordentlich eins auf die Fresse bekommen“, murmelte ein Beamter im Umdrehen, jedoch leise genug, damit sein Vorgesetzter ihn nicht hörte.

Kapitel IV - Die Fledermaus bohrt tiefer

 

Eine halbe Stunde später, als er zum Einsatzwagen zurückkehrte, musste McGrath einen weiteren Schock verwinden, denn am Rückspiegel klebte das Logo der Fledermaus. Beim Losfahren ließ er das Getriebe gehörig knirschen. Schlimm genug, gelinkt worden zu sein, aber dann auch noch vor versammelter Mannschaft! Konnte es schlimmer kommen? Er nahm sich vor, beim nächsten Mal sofort zu schießen, sobald er den Maskierten sah. Auf dem Rückweg zum Hauptquartier hatte er Zeit genug, sich zu beruhigen. Am besten ließ er die Sache auf sich beruhen, ohne den Zorn hervorzukehren, der in ihm schwelte.

Der diensthabende Telefonist schien bereits Wind davon bekommen zu haben, denn als McGrath eintrat, kicherte er. „Lieutenant“, sagte er feixend. „Commissioner Warner will mit Ihnen reden.“

Der Angesprochene geriet gleich wieder in Fahrt: „Ach ja? Das ist alles, was die Leute wollen. Reden, reden, reden. Ich bin der Einzige, der sich die Mühe macht, die Schwarze Fledermaus zu jagen, und womit dankt man es mir? Sagen Sie‘s schon. Wie eine Horde Volltrottel lacht ihr euch ‘nen Ast ab, aber eines Tages werdet ihr in die Röhre schauen, denn dann schleife ich den Kerl hier herein vors Ressort. Vor allem aber dürft ihr, wenn ihr seine Daten aufnehmt, den Namen Tony Quinn niederschreiben.“

Damit stapfte McGrath zu Warners Büro, nahm sich jedoch zusammen, bevor er den Türknauf umdrehte. Er hatte ein mulmiges Gefühl, weil Commissioner Warner es bestens verstand, Breitseiten abzufeuern, wenn jemand Mist baute. Dem Lieutenant stand also eine saftige Standpauke bevor.

Warner saß am Schreibtisch und kaute auf einer kalten Zigarre herum. Sorgenfalten durchfurchten sein Gesicht, und er schien vor sich hin zu grübeln. Als er aufblickte, sah er hundemüde aus. „Treten Sie ein, Lieutenant, und setzen Sie sich. Was ist bei Bishop vorgefallen?“

McGrath schluckte. „Nun, die Schwarze Fledermaus war dort. Daran besteht kein Zweifel. Er schoss die Lampe aus und warf mir einen Toten in die Arme. Es war Bishop, dem er seine verflixte Kapuze übergezogen hatte. Wie sollte ich das wissen? Na ja, jedenfalls ist er entkommen. Was Bishop betrifft, wird er sich schwerlich herausreden können, denn der verkommene Geschäftemacher ist derart mit Gift vollgepumpt, dass es ‘nen Elefanten umgehauen hätte. Ob Sie es glauben oder nicht: Der Typ hat sich diesmal des Mordes schuldig gemacht, wie ich es schon lange voraussagte. Irgendwann werden diese Affen, die sich für Robin Hood halten, zu übermütig, und was passiert? Sie kriegen ‘nen nervösen Zeigefinger, bloß nicht aus Notwehr. Verstehe nur nicht, warum er Bishop vergiftet hat, statt ihn einfach umzulegen.“

Warner nickte verdrossen. „Ich fürchte, da liegen Sie richtig, Lieutenant. Der Eindruck verhärtet sich, denn vor knapp einer halben Stunde entdeckte jemand einen gefesselten Mann am Zaun des gleichen Friedhofs, auf dem der dreifache Mord begangen worden war. Dabei handelt es sich um einen Kleinganoven aus San Francisco. An seiner Stirn prangte das Zeichen der Fledermaus. Man hat ihm ein Messer in den Hals gerammt, und ein zweiter Toter lag mit einer .45er-Kugel in der Brust nicht weit davon entfernt. Die Schwarze Fledermaus verwendet dieses Kaliber. Sieht so aus, als habe er die Seiten gewechselt. Ich hätte nie gedacht, dass er einmal jemanden an ein Gitter binden und gnadenlos hinrichten würde.“

 

*

 

Zur gleichen Zeit, da der Commissioner zugab, Detective Lieutenant McGraths Prophezeiungen könnten wahr geworden sein, hatte sich die Fledermaus wieder in Tony Quinn verwandelt, doch den Anschein des Blinden musste er sich nicht geben, während er in seinem weiß gefliesten Labor Vorkehrungen für einen Marsh-Test zum Nachweis von Arsen traf. Dabei unterhielt er sich mit seinem Butler. „Ich begreife es nicht, Silk. Diese Männer hielten auf dem Friedhof Wache, um Schnüffler kaltzustellen. Also weiß der Killer, der sie dort aufgestellt hat, dass der Polizei trotz gründlicher Suche etwas entgangen ist. Ich schätze, genau das habe ich in diesem Umschlag hier.“ Silk schaute hinein und zeigte sich überrascht. „Haare?“

Quinn nickte. „Genau. Meine Theorie sieht folgendermaßen aus: Der gerichtsmedizinische Mitarbeiter schnitt Galvin, den auszugraben er mitgeholfen hatte, diese Strähne ab. Aus Gründen, die wir wohl nie erfahren werden, steckte er den Umschlag in einen zerbrochenen Blumentopf, den er noch dazu auf den Kopf stellte. Logischerweise sah sich der Mörder Galvins Leiche genauer an, nachdem er die drei umgebracht hatte, und bemerkte wohl, dass Haare fehlten, die er suchte und nicht fand. Immerhin hätte die Polizei damit ein wichtiges Indiz sichergestellt, also beschloss er, rasch einen anderen Leichnam zu beschaffen und Galvins Leiche zu verstecken.“

„Aber Haare, Sir. Was bringen die Ihnen?“ Silk zeigte sich eher interessiert als skeptisch. „Ich dachte, Sie würden Magenabstriche untersuchen.“

Tony Quinn schüttelte lächelnd den Kopf. „Nicht, wenn es um Arsen geht. Gelangt es in den Blutkreislauf, lagert es sich unter der Kopfhaut und damit auch in den Haaren ab. Wir werden es bald genau wissen.“

Silk schlug die Beine übereinander und lehnte sich zurück, indem er an die Decke schaute. „Ich hätte ein Jahresgehalt dafür gegeben, McGraths Gesicht in dem Moment zu sehen, als er merkte, dass Sie ihm einen Toten zugeschoben haben.“

Quinn lachte leise. „Ich sah es auch nicht. Ich erkannte aber sogleich, dass ich in der Falle saß, zog die Haube herunter und stülpte sie Bishop über. Als McGrath zuschlug, konnte ich die Leiche gerade noch vor mich halten, ehe ich geduckt durch die Tür lief, ohne dass er mich bemerkte. Er war zu sehr damit beschäftigt, sich über seinen Fang zu freuen.“

Jetzt zündete Quinn einen Bunsenbrenner an und hielt ihn unter eine Retorte. Die Hälfte des Haares gab er in eine Lösung, ehe er ein langes Röhrchen befestigte. Binnen weniger Augenblicke hatte sich sichtbares Gas entwickelt. Sobald er ein Streichholz an die schmale Öffnung des Kolbens hielt, flackerte eine hellblaue Flamme auf, und je mehr Gas er ausließ, desto konstanter brannte sie, zuletzt beinahe farblos. Nachdem er vorsichtig ein dünnes Plättchen aus Porzellan abgeputzt hatte, hielt er es an die Flamme und wartete, bis sich Ruß daran bildete. Dann stellte er den Brenner ab und sagte dabei zu Silk: „Das ist der Beweis. Arsen ohne den geringsten Zweifel, und zwar hoch dosiert. Ralph Galvins Körper war geradezu verseucht. Er mochte tatsächlich unter chronischen Magenbeschwerden gelitten haben, allerdings nur, weil er über einen längeren Zeitraum hinweg vergiftet wurde.“

„Aber ich dachte, man hätte den Leichnam genauestens untersucht“, erinnerte Silk, woraufhin Quinn den Kopf schüttelte. „Galvin wurde weggeschafft. Sie bekamen einen anderen Leichnam zur Untersuchung, und kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Einwand, die Angehörigen hätten seine Identität bestätigt. Das weiß ich, aber entweder logen sie vorsätzlich, um sich selbst zu schützen, oder sie wurden dazu gezwungen. Herauszufinden, was sie zur Unwahrheit bewogen hat, ist nun Ihre Aufgabe, Silk.“

Dieser erhob sich voller Tatendrang. „Sofort, Sir. Eine meiner alten Verkleidungen sollte dazu genügen.“

Quinn runzelte die Stirn. „Sie müssen Vorsicht walten lassen, denn falls Galvins Familie bedroht wird, dürfen wir sie nicht in Gefahr bringen. Tun Sie, was ich Ihnen sage, Silk: Zuerst bringen Sie den Namen der Versicherungsgesellschaft in Erfahrung, die Galvin betreute. Geben Sie sich seinem Vater gegenüber als Agent aus und wahren Sie nüchterne Distanz. Falls er nachhakt, sagen Sie ihm, Sie arbeiten unabhängig, und die Firma bestünde auf zwei verschiedene Berichte. So beugen Sie vor für den Fall, dass Ihnen ein anderer Versicherungsangestellter zuvorgekommen ist.“

Silk trat auf die Tür zu, die ins Wohnzimmer führte, blieb jedoch kurzerhand stehen, als ein rotes Licht aufblinkte. Sofort schlüpfte Quinn in seine Anzugjacke und lief mit seinem Gehstock hinaus. Schnell erreichte er den Kamin und nahm in seinem angestammten Sessel Platz.

Silk glättete sein Oberteil und ging absichtlich träge zur Haustür, öffnete diese und musste sich sogleich von Commissioner Warner zur Seite stoßen lassen. Er war allein gekommen, doch sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. Sobald er ins Zimmer getreten war und vor Quinn stand, wirkte er jedoch betreten.

„Weshalb die Aufregung, Commissioner?“, fragte der Hausherr zaghaft. „Stimmt etwas nicht? Setzen Sie sich doch, bitte.“

Warner ließ sich ihm gegenüber nieder, legte die Hände auf die Oberschenkel und beugte sich nach vorn. Als er in Quinns leere Augen starrte, schalt er sich selbst einen unerträglichen Narren. Der Mann war blind! Hatte nicht ein ganzer Ärztestab diagnostiziert, seine Augen seien unheilbar?

„Mit Verlaub, Tony, ich bin ein Hornochse“, gestand er, „weil ich mit gehörigem Frust Ihretwegen herkam. Sie wissen ja, dass Lieutenant McGrath Sie für die Fledermaus hält, und auch wenn ich bisweilen geneigt war, ihm zuzustimmen, zwang ich mich stets zur Besinnung, denn der dunkle Flattermann hat sich mir und dem Department gegenüber so weit als große Hilfe erwiesen. Heute Nacht aber, Tony, tötete er drei Menschen aufs Heimtückischste. Gut, sagen wir zwei, denn beim Letzten bin ich mir noch nicht sicher. Eines seiner Opfer war am Zaun eines Friedhofs festgebunden und mit dem Zeichen der Fledermaus an der Stirn versehen worden. In seiner Kehle steckte ein Messer.“

Während Warner die letzten Worte sprach, kniff er die Augen zusammen; falls Quinn hinter der Maske steckte, musste er unruhig werden. Der Commissioner rechnete mit Muskelzuckungen und fahrigen Fingern, die auf den Armlehnen des Sessels trommelten, entspannte sich selbst jedoch schließlich mit einem Seufzen. Quinns Züge waren kein Haarbreit entglitten, seine Hände ruhten auf den Polstern, und der hohle Blick ging knapp über Warners rechter Schulter vorbei.

Seine Worte klangen entsprechend gediegen: „Es betrübt mich, das zu hören. Natürlich interessiere ich mich für McGraths Bestrebungen, da ich weiß, dass er mich gewisser Machenschaften bezichtigt. Finden Sie dessen ungeachtet nicht, es bereite einem Blinden arge Mühen, jemanden an einen Zaun zu fesseln und ihn zu erstechen? Man sollte meinen, es sei unmöglich für einen Menschen ohne Augenlicht, einen Mord zu begehen oder überhaupt nachts durch die Stadt zu streunen, wie es diese Fledermaus tut.“

Warner verzog das Gesicht. „Ich weiß, dass ich danebenliege. Sie können nicht sehen, und zuzugeben, dass ich in der Vergangenheit durchaus große Stücke auf diesen Kerl hielt, macht mir nichts aus. Ich hoffte sogar manchmal, Sie seien es, Tony. Im Grunde genommen bin ich aber froh, dass es unmöglich ist. Mord ist ein einseitiges Spiel, in dem die Polizei alle Karten in der Hand hält, und von nun an wird das Feuer eröffnet, sobald die Fledermaus irgendwo auftaucht. Jedem meiner Männer obliegt dieser Befehl.“

Tony Quinn zuckte nicht einmal mit der Wimper, sondern brummte bloß: „Zu dumm, aber wie Sie schon sagten, Commissioner: Mord ist Mord, und niemand hat das Recht, jemandes Leben zu nehmen, es sei denn zur Selbstverteidigung. Davon abgesehen sind Sie aber ziemlich geschlaucht. Diese Tat auf dem Friedhof nagt an Ihnen. Ich merke das.“

„Ist das ein Wunder?“, fragte Warner. „Ein stellvertretender Bezirksstaatsanwalt, ein Forensiker sowie ein junger Mann von hohem Renommee wurden inmitten der Gräber geradezu abgeschlachtet, und der einzige Zeuge ist eine Leiche, die sie zuvor ausgebuddelt hatten. Was bedeutet das alles? Weshalb taten sie es? Warum wurden sie umgebracht? Diesen ganz gewöhnlichen Toten zu exhumieren war genauso unnötig wie der Mord. Fürwahr, Tony, hiermit stoße ich an meine Grenzen. Ich kann einfach keinen Zusammenhang herstellen, weil nichts davon fassbar ist. Es gibt keine Verdächtigen und nicht einmal irgendwelche anonymen Anrufer. Wir stecken in einer Sackgasse, sowohl ich, als auch jeder andere von meinen Leuten, selbst die abgeklärten Profis.“ Warner setzte seinen Hut auf und klopfte ihn fest. „Tut mir leid, Sie gestört zu haben. Ich bin stets der Erste, wenn es darum geht, Fehler einzugestehen. Falls diese Plage McGrath hier aufkreuzt, werfen Sie ihn hinaus.“

Silk begleitete den Commissioner zur Tür. Als der seinen Wagen erreicht hatte, atmete er geräuschvoll aus. „Wenn das mal keine Hiobsbotschaft ist!“

Quinn regte sich nicht, als sein Freund die Vorhänge öffnete. Schließlich konnte man nicht wissen, wer das Haus beobachtete. Seine erste Pflicht bestand darin, nicht die leiseste Ahnung aufkommen zu lassen, dass er sehen konnte.

„Das können Sie laut sagen, Silk“, antwortete er ihm endlich. „Dieser schmutzige Gauner Joe Hudson war noch am Leben, als ich ihn allein am Zaun stehen ließ. Ich habe ihm das Zeichen an die Stirn geheftet, weil jeder erfahren sollte, dass die Schwarze Fledermaus wieder umgeht, aber ich brachte ihn nicht um. Derjenige, der Hudson und seinen Mordbruder beauftragte, muss den Friedhof nach mir aufgesucht, Hudson wehrlos vorgefunden und es getan haben. Er wusste genau, dass man es mir anhängen würde, presste Hudson jedoch zuvor die Information ab, dass ich Bishop aufsuchen würde, und kam mir zuvor. Wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen, Silk, und zwar mit äußerster Vorsicht, denn unser Freund Lieutenant McGrath wird ein Auge auf mich werfen.“

„Soll ich nicht Butch und Carol vorwarnen?“, fragte Silk. „Auch sie müssen aufpassen.“

Quinn nickte. „Sie sollen sich bereithalten. Nehmen Sie den Tunnel und suchen Sie Butch persönlich auf. Gut möglich, dass man unser Telefon abhört. Er muss die Nachricht an Carol weitergeben. Und sehen Sie zu, dass niemand Sie beobachtet. Bis Sie zurückkehren, steht mein Plan fest.“

Silk verschwand durch die Geheimtür, derweil sich Quinn in den Sessel fallen ließ und weiterhin stur vor sich hin glotzte. Sein Geist hingegen wälzte Fakten, markierte Einzelheiten und speicherte sie für die Zukunft.

Kapitel V - Silk in Gefahr

 

Eines wusste Tony Quinn mit Bestimmtheit: Was Warner und seine Mannen für eine Serie ratlos machender Morde hielten, war in Wirklichkeit bloß die Spitze eines Eisberges. Die Unterwelt, der Gestalten wie die drei anderen Toten angehörten, Joe Hudson und sein Kumpan Dorkey sowie der Pfandleiher Bishop, ließ sich nicht ohne Weiteres unterwandern. Vielmehr waren selbst hoch angesehene Familien wie die von Ralph Galvin darin verstrickt, und über allem thronte ein Pate, ein durchtriebenes Monstrum, das über Leichen ging. Ein hinterlistiges Wesen, das anderer Leute Elend zu seinem Vorteil missbrauchte. Als die Schwarze Fledermaus seinen angeheuerten Möchtegernkiller überwältigte, zögerte er nicht lange und hängte dem Rächer einen Mord an. Quinn kam nicht umhin, allmählich widerwillige Hochachtung vor diesem Menschen zu empfinden. Sein heller Kopf ersann einen Plan, in dem er seine Wissenslücken mit Vermutungen ausstaffierte. Dieses Spiel auf Leben und Tod beanspruchte all seine Geisteskräfte. Silk dagegen war wohl der beste Mann, wenn es darum ging, sich in Galvins Familie einzuschleusen, da er sich im Umgang mit solchen Menschen entsprechend aalglatt und vornehm geben konnte.

Dann dachte Quinn an Butch O’Leary, einem Bär von einem Kerl mit ebensolcher Körperstärke, obwohl er vielleicht ein wenig behäbig im Oberstübchen war. Kam er aber erst einmal in Fahrt, hielt niemand ihn auf. Und dann gab es natürlich noch Carol, die auf mysteriöse Weise in sein Leben getreten war, um ihm die Sehkraft zurückzugeben. Tony ließ die Vergangenheit Revue passieren, was ihm sehr leichtfiel. Auf Carols Bitte hin war er heimlich in eine Kleinstadt weit weg von der großen Stadt gereist, um sich einer Operation zu unterziehen, die ihm weltbekannte Chirurgen verweigert hatten. Carols Vater, ein Police Officer, war während seiner Dienstzeit in den Rücken und den Kopf geschossen worden, was ihn lähmte und erblinden ließ, ehe er langsam dahinsiechte. Er war es gewesen, der seine unbrauchbaren, aber heilen Augen gespendet hatte, damit Quinn wieder sehen konnte. Die Kugel in seinem Schädel hatte den Sehnerv getroffen, nicht aber die Glaskörper. Durch eine seltsame Laune der Natur ermöglichten die implantierten Teile Quinn, im Dunkeln wie im Hellen praktisch gleich gut zu sehen. Dieses Phänomen ließ sich nicht erklären, wollte man es nicht der Natur zuerkennen, die Quinn vielleicht für die Monate entschädigte, die er blind durchleben musste.

Nachdem Carols Vater gestorben war, hatte sie darum gebeten, sich Quinns Feldzug gegen das Verbrechen anschließen zu dürfen. Ihre schnelle Auffassungsgabe machte sie zu einer wertvollen Gehilfin, und die innige Freundschaft zwischen ihnen beiden hatte sich mittlerweile zu echter Liebe ausgewachsen. Silk, Butch und sie allein wussten um Quinns Geheimnis, und sie würden es mit ins Grab nehmen.

 

*

 

Als Silk am späten Morgen des folgenden Tages aus einem Mietwagen stieg, hätten seine Freunde ihn nicht wiedererkannt, denn Tony Quinns schweigsamer, trockener Zuarbeiter war zu einem rotbackigen Angeber mit auffälligen Kleidern geworden. So stolzierte er über den Gehsteig ein Stück weit bis zum Anwesen der Galvins. Dort nahm er den Finger nicht eher vom Klingelknopf, bis ihm ein hübsches Mädchen öffnete. „Ich bin Versicherungsreisender“, gab er an, „und muss mit der Familie sprechen. Es ist unheimlich wichtig.“

Aus einem Zimmer trat ein weißhaariger Mann mit grämlichem, müdem Blick. Silk erkannte ihn sofort: Peter Galvin, der Vater des Verstorbenen und Bankier in Rente. Er schob das Mädchen zur Seite. „Sie kommen von der Gesellschaft?“, fragte er Silk argwöhnisch. „Eigentlich nahm ich an, alles sei erledigt. Ihr Kollege, der mich gestern Nachmittag besuchte, versicherte mir, die Auszahlung erfolge unverzüglich.“

„Doppelt prüfen ist stets besser“, erwiderte Silk im Ton eines Mannes, der keinen Widerspruch duldete. „Ich muss die Angehörigen sprechen, jeden Einzelnen.“

Peter Galvin nickte schwermütig und führte Silk in ein geräumiges Wohnzimmer, ehe er die Familie zusammenrief. Während sie nacheinander eintraten, schien sich der vermeintliche Angestellte in eine Reihe Akten zu vertiefen. In Wirklichkeit aber musterte er sie alle. Sie waren zu viert: Galvins Frau, ihre Mutter, sein jüngster Sohn sowie eine Tochter, die noch keine zwanzig war. Nicht zu vergessen das hübsche Mädchen, das die Tür geöffnet hatte.

„Fehlt da nicht jemand?“, merkte Silk mit einem Mal auf. „Ich dachte ...“

Galvin ließ sich trotz seiner Nervosität nieder. „Ich begreife diesen Aufwand nicht“, beschwerte er sich. „Meine Tochter Elaine fehlt. Sie konnte den ganzen Rummel nicht ertragen und fuhr zu ihrer Tante, um Ruhe zu finden. Was wünschen Sie also?“

„Einen Augenblick“, dröhnte da eine Männerstimme.

Silk drehte sich um. Im Türrahmen stand ein korpulenter Mann mit im Vergleich zu seinen buschigen Brauen schmalen Augen. Zwar trug er edlen Zwirn, doch Kleidung allein genügte nicht, um ihn der Unterwelt zu entheben, der er ganz offensichtlich angehörte. Eine Hand steckte fest in seiner Jackentasche, wo er, wie Silk stark vermutete, eine Waffe auf ihn richtete.

„Wer ist dieser Kerl?“, fragte der Neuankömmling. „Bevor wir ihm irgendetwas erzählen, rufen wir lieber die Versicherungsgesellschaft an. Ich ahne, wir haben es hier mit einem Hochstapler zu tun. Peter, erledigen Sie das, und machen Sie schnell.“

Wie Galvin aufsprang, wirkte er derart hörig, dass Silk der Gedanke kam, er und seine Sippe ließen sich völlig von diesem finster dreinschauenden Schergen vereinnahmen. Tony Quinns Gedankengang war also keineswegs abwegig.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783957190031
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Kult Klassiker Krimi Spannung

Autor

  • G. W. Jones (Autor:in)

G. Wayman Jones – hinter diesem Pseudonym verbirgt sich meistens der amerikanische Autor Norman A. Daniels, so auch beim vorliegenden Roman.
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Titel: Die schwarze Fledermaus 03: Angriff der schwarzen Fledermaus