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Raumschiff Promet - Von Stern zu Stern 03: Dunkle Energie

von Vanessa Busse (Autor:in)
160 Seiten

Zusammenfassung

Durch den Angriff des unbekannten Kugelraumers gerät die Crew der Promet in Lebensgefahr. Arn Borul und Peet Orell kämpfen um das Leben ihrer Freunde. Unterdessen geschehen eigenartige Dinge auf dem Frachtraumer der HTO. Die Printausgabe umfasst 160 Buchseiten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Für einen Moment verharrte Arn Borul auf der Stelle. Das Dunkel des Kugelraumers schwieg. Doch es wurde lebendig. Er fühlte die Bewegungen. Das dunkelrote Metall, das sich durch das Licht der Scheinwerfer spiegelte, gab nichts davon wieder. Es glänzte kalt. Wie eine Unmenge toter Augen starrte es dem Moraner entgegen. Dennoch, es war nicht zu leugnen. Weiterhin. Er bildete es sich nicht ein. Bei den Cegiren, das Beben … es wird stärker! Es drängte sich inzwischen deutlich durch die Magnetschuhe des Raumanzuges. Eine weitere Nachricht der Promet riss ihn abrupt aus der Konzentration. „Arn, Peet, könnt ihr uns hören! Dieses Auge bündelt gerade eine monströse Menge an Energie. Schaut sofort, dass ihr da rauskommt!“

Der Moraner spürte, wie sein Atmen sich beschleunigte. Obwohl er erst seit Kurzem ein Teil der Promet war, wusste er genau, dass dieser Tonfall für einen ruhigen Charakter wie den Jörn Callaghans nichts Gutes verhieß.

„Szer, Tak, lasst die Promet an Abstand gewinnen. Gus, gib der HTO-234 Bescheid. Es könnte sich um einen Angriffsmechanismus handeln.“ Peet Orell, in dessen Begleitung der Moraner war, hatte schnell gehandelt. Wenn es darauf ankam, war er sich seiner Rolle als Captain der Promet vollkommen bewusst.

„Peet, was wird aus euch? Das Leuchten. Es wird stärker!“ Vivien Raids Stimme überschlug sich beinahe.

Es war dem Moraner klar, dass sie etwas tun mussten. Die schockgrünen Augen hasteten zu seinem Freund. Und dessen Blau blitzte dem Moraner entschlossen durch den Helm entgegen. Die langen Schatten trafen sich im Dunkel.

„Arn, denkst du dasselbe wie ich?“ Peet Orells Stimme zitterte kaum merklich. Doch er schien einen Plan zu haben.

Genau genommen hatten sie beide einen. Arn Borul umgriff das Metall in seinen Handschuhen fester. Diese Strahlwaffe hatte ihm kürzlich schon einmal wertvolle Dienste geleistet. Sie würde es hoffentlich ein zweites Mal tun, selbst wenn er sich nicht darüber im Klaren war, wie sie funktionierte. Kurz nickte er Peet zu. Er wusste mehr als schmerzlich, was auf dem Spiel stand.

„Achtung, wir kommen nicht auf die Promet! Wir finden dieses Auge und werden es …“ Peet Orell verstummte. Eine erdbebenartige Erschütterung erfasste ihn.

„Es strahlt ab! Peet!“ Ein wildes Stimmengewirr zerrte sich durch den Helm, vermischte sich mit dem Takt des moranischen Herzschlags. „Peet. Man muss uns die Koordinaten dieses Auges geben. Wir müssen es zerstören.“ Arn versuchte, Ruhe zu bewahren. Er spürte die aufkommende Nervosität seines sonst so gelassenen Begleiters. Schreie durchdrangen den Helm.

„Vivien, Jörn, könnt ihr uns hören! Wir befinden uns auf dem zweiten Deck von unten. Gebt uns die ungefähre Lage des Auges! So genau ihr könnt! Beeilt euch!“ Mehrfach rief Peet Orell dieselben Sätze. Das Licht seines Strahlers durchflackerte panisch das Schwarz.

Dann verstummte das Stimmengewirr abrupt. Ein erneutes Beben! Eines, das länger, wesentlich tieffrequenter wirkte als alles zuvor. Wie eine Welle flutete es das Material unter ihren Füßen.

 

*

 

Auf der Promet war die Hölle ausgebrochen. Das tiefe Dunkel des Auges glänzte nun grell, leuchtete erfüllt von Dunkelrot. Wandelte sich in immer heller werdendes Violett. Eine Masse fluoreszierender Energie hatte sich in seinem Inneren atemberaubend schnell manifestiert, war größer geworden, so mächtig, dass es blitzförmig fast schon von selbst nach außen trat. Und noch während der Kommunikation mit dem Raumer hatte es sich entladen. Ein gebündelter Strahl. Das Violett schoss ins Schwarz. Wie Sekunden eines schrecklichen Albtraums zog das gleißende Licht meilenweit an der Promet vorbei – nur um sich unmittelbar danach wie ein Fächer zu öffnen. Jörn Callaghan ging zu Boden. Er hielt sich den Arm vor die Augen. Viviens Schreie stachen sich durch sein Gehör. Das Schiff bebte heftig. Die Triebwerke wollten automatisch gegensteuern. Ruckartig zerrte sich die Raumjacht zur Seite. Doch weder die Promet noch die HTO-234 hatten auch nur einen Atemzug an Zeit bekommen, um dem Angriff zu entkommen. Das Violett flutete jede Ecke des Kontrollraums, biss sich fast zur Blindheit in die Sehnerven. Kurz verstummten jegliche Laute.

„Abblenden!“, befahl Callaghan mehr instinktiv als alles andere. Er rang nach Atem, traute sich nicht, die Augen zu öffnen. Tränen rannen ihm über die Wangen.

Die Scheiben der Kommandozentrale verdunkelten sich. Viviens Wimmern war wieder hörbar, wurde dann leiser. Erneut durchzog die Promet eine schwere Erschütterung. Ein tieffrequentes Geräusch durchdrang dumpf den Schiffskörper. Jörn krampfte die Finger in das Kontrollpult, zog sich nach oben.

„Das Ding will uns reinziehen, Jörn. Und die verdammten Triebwerke laufen heiß, wenn das so weitergeht!“, gellte es durch die Lautsprecher. Es war das erste Mal, dass der Finne Pino Tak laut fluchte.

Peets Stimme dröhnte über die Hauptfrequenz. „… gebt uns die ungefähre Lage des Auges! So genau ihr könnt! Beeilt euch!“

Es war Viviens zierliche Hand, die Jörn Callaghan zurück auf die Beine zog. In Sekundenschnelle versuchte er, die Situation zu erfassen. Die dunkle Schicht auf den Sichtscheiben ließ das helle Licht wie toxischen Nebel erscheinen, hielt die grellen Blitze erträglich. Wie ein Netz umschlangen sie die Promet, rissen sie Richtung Zentrum, schüttelten das Schiff ruckartig durch den Raum. Und dessen Antrieb wehrte sich mit voller Kraft. Er stürzte einen Schritt zur Seite. Pino Tak hatte recht! Wenn das so weiterging, würden die Triebwerke überhitzen. Das wäre ihr aller Ende. Ein heftiger Ruck ließ die dunkelhaarige Frau laut fluchen. Sie fand an einem der Geräte Gleichgewicht. Und nicht nur die Promet war es, die sich nicht entziehen konnte. Auch die HTO-234 war in dem Energiestrom gefangen, und deren Außenwände rückten denen der Promet konstant näher! Im Zentrum des Lichts verglühten derweil erste Gesteinsbrocken und Trümmer. Jörns Blick haftete an dem brach liegenden Beiboot der 234. Dessen ausgefallene Systeme konnten nichts tun. Der Gleiter schleuderte hilflos durch das Violett. Immer weiter. Zum Mittelpunkt der Quelle.

Jörn entsann sich. Der Mann, der noch Minuten zuvor versucht hatte, dessen Antriebe in Ordnung zu bekommen! „Jackson …“, sprach er zu sich selbst.

 

*

 

Peet Orell und Arn Borul stürzten in weiser Voraussicht zurück Richtung Antigrav-Schacht. Das metallische Rot der Wände traf auf Licht, zerriss ihre Konturen schattenhaft. Eine unendliche Schwärze tat sich wenige Meter vor ihnen auf wie ein gieriger Schlund und ließ sie wissen, erneut die Mitte des Kugelraumers erreicht zu haben. Immer wieder hatte Peet nach der Lage des Auges gefragt – bis die Verzweiflung einer Antwort wich. Eines der oberen Decks. Jörn hatte sie hörbar von unten herauf durchgezählt. Das unübersehbar große Loch, das einst eine unbekannte Macht in den Raumer gerissen hatte, kam ihm dabei zu Hilfe, legte einen Großteil der Raumer- und Deckstruktur offen. Vermutlich das sechste oder siebte, so Jörns fieberhafte Schätzung. Sie mussten sich links halten. Links. Jörns Stimme zu hören – es hatte ihn noch nie so beruhigt wie in diesem Augenblick. Peet atmete flach. Der Sauerstoff roch nach Kunststoff. Und in seinen Schläfen pochte es heiß. Wenn der Moraner nicht bei ihm wäre, würde die Angst ihn auffressen. Es war nicht die Furcht vor dem Tod. Es war die um seine Freunde. Sie lähmte ihn nahezu. Aber genau deshalb wusste Peet Orell, dass er stark bleiben musste. Sie mussten dieses Ding finden, bevor es zu spät war. Durch jede Dunkelheit hindurch in der Kälte dieser verfluchten Kugel. Das Schockgrün zweier moranischer Augen funkelte ihm entgegen.

„Peet. Weiter!“, rief Arn.

Noch im Absprung spürte Peet, wie eine erneute Welle an Beben seinen Körper erfasste. Im freien Fall betätigte er das Antigrav-Triebwerk seines Gürtels, ließ sich nach oben reißen, folgte dem Moraner, der nur wenige Meter voraus war. Ihre Scheinwerfer strahlten von Deck zu Deck. Das Einzige, das mit der vollkommenen Dunkelheit brach. Und es war Peets schneller Atem, der das Grauen begleitete. Vier, fünf, sechs… hier! Hier muss es sein!, schrie es in ihm durch die Stille.

Kurz fand der Moraner mit den Füßen Halt auf der mächtigen Kante der Metallwand. „Warte hier, Peet!“ Er hob rasch ab, schwebte weiter nach oben, ließ Peet Orell alleine im Schwarz zurück. Auf Deck sechs, dort, wo die Erschütterungen spürbarer wurden denn je.

Arn, wo bleibst du! Vivien. Jörn. Am. Wir müssen dieses Auge finden. Wir müssen …

Es hatte nur eine Minute gedauert, ehe Arn Borul wieder neben ihm stand. „Es ist auf diesem Deck“, sagte er ruhig, er schien völlig sicher.

Peet sah ihn fragend an. Jeder Irrtum könnte tödlich sein!

„Die Vibrationen … sie sind hier stärker als oben.“ Erneut ließ sich der Moraner auf dem Boden ab, verharrte wenige Sekunden. „Ihr Ursprung liegt auf diesem Deck.“

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, rannten sie los. Die Atemzüge, so künstlich sie jedes Mal aufs Neue in einem Raumhelm klangen und sich in Lautstärke und Intensität steigerten, nahm Peet Orell in diesem Moment nicht mehr wahr. Sie mussten vorwärts, finden, was sie suchten, bevor es zu spät war. Die Helmfrequenz verriet, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb. Die HTO-234 schien der Promet aus der Entfernung gefährlich nahe zu kommen, das Zentrum der Energie war beinahe greifbar, die Triebwerke … sie mussten weiter! Weiter durch das Schwarz. Durch einen Gang, der scheinbar ins Unendliche lief, bis …

„Verdammt!“ Peet bremste sich. Erbarmungslos glänzte ihm Metall entgegen. Eine Schleuse. Sie versperrte den Weg. Es war unmöglich, dass dieser Weg hier im Nichts enden sollte.

Ohne zu zögern, hielt der Moraner seinen Begleiter neben sich zurück, richtete die Strahlwaffe auf die Wand. Es dauerte nur wenige Sekunden. Grellgelbes Licht flackerte durch das Dunkel, blitzte auf, ließ ihre Schatten wirken wie das, was sich im Inneren Peet Orells abspielte. Energie fraß sich durch das Material, schmolz es. Wie flüssiges Wachs tropfte es durch den Raum, erstarrte nahezu sofort. Geräuschlos. Peet fühlte in diesem Augenblick deutlich, dass Arn Borul sogar den ganzen Kugelraumer wegschmelzen würde, wenn es sein müsste.

Immer wieder trafen sich ihre Blicke. Sie irrten weiter. Tiefer ins Unbekannte. Die Beben, sie wurden stärker. Kurz zog es Peet den Boden unter den Füßen weg. Er spürte den Schmerz nicht. Stille. Tote Wände. Die Leere. Sie war übermächtig. Er durfte nicht aufgeben. Er wollte seine Freunde retten. Es waren Arns überlegte Ruhe, die Stimmen seiner Gefährten, die ihn beharrlich begleiteten, die ihn an das glauben ließen, was wichtig war. Es würde nicht auf diesem Raumer enden.

Vater. Er würde es nicht verkraften …

Ihre Schritte glitten förmlich über den Boden. Das Körpergewicht halbiert. Die starken Bewegungen führten dennoch zu Verzögerungen im Temperaturausgleich des Raumanzugs. Trotz der Kälte des Alls, die ihn in Sekunden zu Eis erstarren lassen könnte, schwitzte Peet Orell. Nasse Perlen bildeten sich auf seiner Haut, ließen seinen Helm leicht anlaufen. Er schluckte trocken.

Dann stoppte der Moraner abrupt.

 

*

 

Bei allen Göttern Morans, dahinter ist es! Arn Borul umkrampfte die Waffe so fest, dass seine Finger schmerzten. Und das Herz des Moraners brannte. Neben ihm stand Peet. Er schwieg.

„Arn, Peet! Beeilt euch. Bitte …“ Die zerrenden Stimmkompressoren konnten die Verzweiflung Viviens nicht verbergen, die durch die Helme schallte.

Wie ein Schleier bedeckten die Worte Arn Boruls Gedanken. Er ging einen Schritt nach vorne. Zu auf das, was vor ihnen lag. Es war bei Weitem nicht nur rötliches Metall. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, an das schmale Licht der Scheinwerfer, die nie das Ende der Kugelraumers zu erreichen schienen. Diese Intelligenz, die hier einst existierte – sie hatte die Leitfähigkeit des unbekannten Materials in Vollkommenheit genutzt. Wie es früher auf Moran, lange vor seiner Zeit, ähnlich gewesen war. Ströme aus Energie, rote Lebensadern, schimmerten großflächig durch die hohe Wand. Es musste einfach hier sein. Und sie würden es vernichten! Für Moran. Es gab kein Zurück. Hinter den schockgrünen Augen manifestierte sich all die Entschlossenheit, all die Verzweiflung, die in jeder weiteren Nachricht der Promet unerbittlich mitklang. Ein heller Lichtstrahl durchbrach das Dunkel. Und während Peet Orell einen kurzen Schritt nach hinten tat, drängte sich der Moraner dichter an die Wand, die Strahlenwaffe fest umgriffen. Sie begann zu glühen, Energieströme flossen und gaben den Weg frei auf das, was selbst ihm die Sprache verschlug.

 

*

 

„Captain. Antrieb Temperaturstufe A.“

„Verstanden. Kein Abbruch.“ Captain Eric Worner fuhr sich über das kurze Haar, wandte den Blick erneut ab vom Interkom-Monitor, der aus dem Maschinenraum sendete. Seine Stirn war feucht. Seine Gedanken waren bei Jackson. Er sah, wie der Gleiter immer weiter davongezerrt wurde. Unaufhaltsam. Richtung Licht. Und ich kann verdammt noch mal nichts dagegen tun … Er presste die Lippen aneinander. Die HTO-234 war noch nicht lange unter seinem Befehl. Nicht lange genug jedenfalls, um sie zu verlieren. Oder einen seiner Männer. Er wusste, dass er sich auf seine Crew verlassen konnte. Sie arbeitete schnell und professionell. Als die Strahlen die 234 eingenommen hatten, gab es minimale Panik. Nach ein paar Minuten hatten sich alle wieder zusammengenommen. Sie mussten es schaffen. Nur wie?

Ein erneuter Stoß riss die 234 zur Seite. Eric Worner fiel in den Steuersitz zurück. Er blickte auf die Schirme vor ihm. Es waren nur seine Finger, die sich leicht zitternd in die Lehne pressten und somit zeigten, wie angespannt er im Inneren war. Das Beiboot vor der Promet drehte sich einmal um sich selbst, schleuderte weiter nach vorne. Und die schweren Vibrationen, die sich durch das gesamte Schiffsgehäuse der 234 schoben, verrieten, dass die Antriebe längst an ihre Grenzen kamen. Das helle Licht, abgedunkelt durch den Abblendmodus, spie blitzartige Funken gegen die Scheiben. Das dumpfe Grollen der Triebwerke, die leisen Flüche des Offiziers dicht hinter ihm, waren die einzigen Unterbrechungen zwischen jeder einzelnen Erschütterung.

Seine Augen hafteten auf dem Zentrum der Energie, die sie in sich reißen wollte. Dann wanderten sie zur Promet. Die kleine Raumjacht schlenkerte unkontrolliert zu allen Seiten, zerrte sich zurück, nur um kurz darauf wieder machtlos weggezogen zu werden. Die Kommunikation war seit der ersten Energiewelle abgebrochen. Doch er brauchte keine Worte, um sich vorzustellen, was momentan auf der Promet ablief. Auch er war sich bewusst, dass der Captain dieses Schiffs und der Moraner noch auf dem Raumer waren. Ob sie am Leben waren, ob es Verletzte gab, das konnte er nur erahnen.

„Captain. Sollen wir das Raumboot und die Rettungskapseln trotz allem bereitmachen?“ Murdock, im Rang des stellvertretenden Captains, hatte leise gesprochen. Nahezu vorsichtig. Er stockte nun, musste sich am Kommandositz festhalten. Die Erschütterungen waren heftig. Doch er schien es genauso wie Worner zu wissen: Es war die letzte Möglichkeit, die eigentlich keine war. Denn weder die Antriebe der Kapseln noch die der Evakuierungsschiffe, könnten dieser Energie standhalten. Genauso wenig wie die HTO-234. Vielleicht beruhigte es die Männer, gab Hoffnung. Diese Option wahrzunehmen hieße letztendlich, die HTO-234 aufzugeben. So, wie es auch bedeutete, jeden einzelnen Menschen, der an Bord verblieb, seinem grausamen Schicksal zu überlassen. Und das würde darin bestehen, im Inneren des Auges zu verglühen, vorab von der Explosion der Triebwerke zerfetzt zu werden oder im Aufprall mit der Außenwand der Promet zeitgleich mit ihr unterzugehen. Im Grunde genommen waren sie verloren. Er atmete flach, wollte eine Lösung finden. Noch einmal sah er in die Weiten des Alls. Unweigerlich erbebte das Schiff erneut und schenkeldicke Strahlen überzogen gleißend den Sichtschirm.

Eine letzte Entscheidung… Dann sprach Worner aus, was er niemals sagen wollte. Das kurze Nicken Murdocks sollte ein Abschied sein. Hektisch verließ er die Brücke.

Worner ließ sich tiefer in den Formsitz sinken. Seinem Ingenieur, einem der besten der HTO, gab er den Befehl, die Triebwerke auf höchster Stufe zu belassen, die Gegensteuerautomatik vollständig zu aktivieren und eine Evakuierung einzuleiten. Es war schade um diesen Mann.

Worner wurde klar, dass er sich nie bewusst mit dem Tod auseinandergesetzt hatte. Obwohl es mehr als einmal schwierige Situationen in seinem Leben gegeben hatte, war es nicht nötig gewesen. Immer hatte er einen kühlen Kopf bewahrt, seine Gefühle abgeschaltet. Wie mechanisch konnte er funktionieren, wenn es darauf ankam. Und selbst jetzt, im Angesicht dieses Augenblicks. Ob ihm noch Zeit bleiben würde, darüber nachzudenken? Falls er das wollte?

Gesteinsbrocken, umherirrende Trümmer. Sie verglühten wie kleine Sterne in diesem Auge, das ihr Untergang sein würde. Ließen es noch strahlender wirken. Fast unwirklich schön. Worner lächelte bitter. Über die Monitore sah er zu, wie seine Crew die Rettungskapseln einsatzbereit schaltete. Er würde nicht alleine sterben. Selbst wenn er es wollte. Und es würde nicht mehr lange dauern, bis ein Kontakt zustande kam. Ob es zuerst mit der Promet war oder mit dem Auge … da müsste er sich überraschen lassen. Der Abstand wurde ruckartig geringer. Zu beidem.

 

*

 

Die Promet war noch genau zwei Schiffslängen vom glühenden Zentrum des Energiestrahls entfernt. Wie ein Stecknadelkopf müsste sie aus Sicht des Kugelraumers wirken. Pino Tak fuhr sich über den fast kahlen Schädel. „Ihr hättet vorher ruhig erwähnen können, dass wir alle dabei draufgehen!“ Das Schelmische, das seine kristallblauen Augen normalerweise umspielte, war längst verschwunden.

Szer Ekka seufzte, blickte nach unten und fluchte. Auf dem Boden der Kommandozentrale lagen weitläufig alle Dinge zerstreut, die nicht festgenietet waren. Das Schiff wurde durchgeschüttelt wie im Schleudergang einer wild gewordenen Waschrobotik.

„Wenn wir sie wenigstens erreichen könnten, verdammt!“, schrie Gus Yonker. Die Geräusche der überlasteten Triebwerke und das stetige Verziehen der Außenhaut waren laut und dumpf. Zu laut für normale Worte.

„Niemand wird hier sterben! Ich vertraue auf Arn und Peet.“ Jörn Callaghan versuchte immer noch, Ruhe zu bewahren. Er hoffte inständig, die beiden Freunde könnten es schaffen. Zum Zentrum hin nahm die allesverschlingende Energie zu, sie hatte jeglichen Kontakt beendet. Jörn war nervös.

„Wir geben die Promet nicht auf! Ist das klar!“, brüllte Vivien die Männer an. Tiefe Entschlossenheit lag in ihrem Blick. Und Trotz.

„Ach ja, sag das der 234!“, konnte Tak noch aufschreien, bevor eine Erschütterung die Promet traf, die nicht nur Callaghan von seinem Sitz schleuderte, sondern jedes der Crewmitglieder zu Boden riss.

„Schleusen schließen!“ Jörns Stimme überschlug sich. Er spürte einen warmen Fluss auf seiner Stirn. Blut.

Tak versuchte, das Gleichgewicht zu halten und drückte wie ein Irrer auf die Tasten des Kommandopults. „Schließen! Schließen! Schließen!“, rief er wie im Wahn.

Es war der erste Aufprall der HTO-234 an die Außenwandung der Promet. Sie hatte sich notdürftig zurück zur Seite gezerrt, hatte sie lediglich gestreift. Die Außenhülle des Riesenschiffs war angekratzt – die der Promet eingerissen. Das Medodeck, es verlor Sauerstoff! Ein schneller Verschluss der Schleusen verhinderte das Schlimmste. Jede weitere Kollision könnte das Ende der Promet bedeuten. Und aller Besatzungsmitglieder an Bord.

„Verdammt… Peet, Arn, helft uns.“ Viviens Überzeugung war leisem Gemurmel gewichen.

In einer gewaltigen Energiewelle verglühte das Beiboot grell im Zentrum des Auges.

 

*

 

Arn Borul wich erschrocken nach hinten, hielt sich den Arm vors Gesicht, schützte sich vor dem blanken Weiß, das innerhalb von Sekunden alles flutete. Er blinzelte. Es erlosch. Langsam kehrte das Dunkel zurück, gab die Sicht erneut frei. Harry, wenn dein Sohn stirbt, ist es meine Schuld. Meine Schuld. Ich habe dir versprochen, dass ihm nichts passiert. Und Junici. Dir habe ich gesagt, ich kehre wieder. Ich werde dich nicht vergessen. Vergiss du mich auch nie, Junici. Moran … Seine Augen hafteten an einer unglaublichen Maschinerie. Unmittelbar vor ihnen. Wie ein strahlender Berg erfüllte sie den gewaltigen Raum, den er freigeschmolzen hatte. Die Strahlwaffe hing schlaff in seinen Händen. Er realisierte, was er sah. Und der Mut, er verließ ihn im selben Moment. Die Druckwelle wird uns beide mitnehmen, sagte eine leise Stimme. Die Zerstörung dieses Aggregats könnte eine so mächtige Energie freisetzen, die Peet und ihn zerfetzen würde wie wertlose Insekten. Es wäre einfach vorbei. Moran verloren. Junici verloren. Peet Orell verloren. Sein Freund. Seine Liebe. Seine Heimat. Die schockgrünen Augen zogen sich zusammen.

„Verdammt, Arn“, flüsterte es durch die Helmfrequenz. Peet Orell stand dicht hinter ihm.

Durch eine Scheibe aus etwas, das Glas zu gleichen schien, konnte man hindurchsehen. In das All. Auf Gestein, das immer wieder die Sicht nahm, indem es im Licht verglühte und noch mehr Licht schuf. Das Aggregat davor, es bündelte rote Energie, wandelte sie zu Violett. Aus den Wänden, sichtbar wie Adern. Wie ein Herz zog es sie an und pumpte sie in das Glas. Ein gebündelter Strahl, der mindestens so breit sein musste wie die Promet hoch. Er verteilte sich in die Weiten.

„Die Promet!“ Peet Orell rannte auf einmal in den Raum, war nicht mehr zu bremsen. Milchig verzerrt war sie zu sehen. Direkt neben der HTO-234. Ihr Trudeln verriet, wie ernst die Lage war. Die Schiffe waren kurz vor dem Zusammenstoß, verloren die Kontrolle.

„Jörn, kannst du mich hören!“, schrie Peet.

Arn schüttelte unmerklich den Kopf. Die Kommunikation war schon seit Minuten tot. Es war hoffnungslos. Er musste es tun. Sein ganzes Inneres verkrampfte sich, wollte sich sträuben. Seine Finger wollten die Waffe fallen lassen. Er wollte weglaufen. Doch er durfte nicht. Nicht als der Moraner, auf dem all diese Hoffnung lastete. Nicht als Moraner, der sie enttäuschen würde. Wenigstens in Ehre würde er gehen. Die Menschen, die ihn als Artgenossen aufgenommen hatten, retten. Auch, wenn er Schedo damit aufgab. Würde er es nicht tun, würden er und sein Freund hier verenden. Bis man sie ohne das Wissen der Transition fand, wäre ihr Sauerstoff längst aufgebraucht. Es gab keinen Ausweg, kein Zurück. Er sah Peet Orell an. Ein letzter Blick. Worte des Abschieds, sie blieben ihm in der Kehle stecken. Noch als sich Peet wieder zu ihm drehen wollte, richtete er die Waffe auf das Aggregat, schloss die Augen. Sie funktioniert nicht! Warum nicht? Warum nicht!

„Arn! Du musst es tun. Die Promet – sie wird gleich verglühen! Du musst!“, schrie Peet Orell. Er schien sich bewusst zu sein, was hier passierte, was im Kopf des Moraners vorging.

„Peet… es geht nicht, es geht nicht…“ Arn Borul spürte eine Verzweiflung, wie er sie nie zuvor gefühlt hatte. Er schüttelte die Waffe, er wollte es doch! Warum ging es nicht?

Durch das Auge wurde die Promet größer. Kam noch näher. Er wollte nicht, dass alles zu Ende war.

„Es ist okay, Arn. Wir tun es für sie. Bitte …“

Die Worte hallten leise durch Arn Boruls Helm. Sein Herz schlug schnell. Peet, sein Freund. Er hatte recht. Nur die Hülle würde gehen. Thosro Ghinu hatte es ihn gelehrt. Ihre Seelen würden für immer bestehen. Daran glaubten auch die Menschen. Arn Borul besann sich. Er fühlte, wie Ruhe ihn einnahm. Eine seltsame Ruhe. Alles wurde leicht. Er ging nach hinten, aus dem Raum, Peet Orell nah neben ihm. Selbst wenn Moran verloren wäre – es wäre nicht umsonst. Die dort draußen würden für sie weiterleben. Und vielleicht Moran finden. Eines Tages …

Die Strahlenwaffe brachte abrupt die Erlösung. Wie im Zeitraffer nahmen Arn Boruls Sinne wahr, was geschah. Ein Leuchten, so gleißend weiß, dass er glaubte, es brannte ihm die Augen aus. Die Bewegung seines Körpers. Schnell. Schmerz. Ein Druck, der tausend Faustschlägen glich. Implosionen. Das harte Metall, das auf Knochen traf. Hell, so hell. Schwarz.

 

*

 

„Worner! Captain! Das Auge!“

Es war auf einen Schlag düster geworden in der Kommandozentrale der 234. Eric Worner musste erst begreifen, was um ihn herum geschah. „Abblendschirm deaktivieren.“ Er hörte seine eigenen Worte, als spräche sie jemand anders für ihn. Dann sahen seine Augen – nichts. Das Dunkel des Alls. Die Energiewand, die sie umgab, sie war verschwunden. Ein Glimmen im Zentrum des Todes. Es entwich langsam. Wie das Leben aus einem Sterbenden. Habt ihr es tatsächlich geschafft… Er merkte, wie intensive Erleichterung ihn einnahm, jede erdrückende Last verschwand.

„Sofort Kontakt zur Promet herstellen. Schadensbericht der 234 erstellen.“ Er war wieder er selbst. Und es war das erste Mal, dass er fühlte, wie das Lächeln, das die Gesichter der Männer umspielte, ihn tief berührte.

 

*

 

„Arn, wach auf. Wach auf! Wach auf!“ Peet wiederholte die Worte, lauter, verzweifelter. Die Augen des Moraners blieben geschlossen. Er rüttelte fester an ihm. Dass ihm dabei jede Faser seines Körpers schmerzte, ignorierte er. Alles, was zählte, war das Leben seines Freundes. Äußerlich sah man den dunklen Abrieb der Druckwelle an den Anzügen. Die Finger Arns krampften an der Waffe. Wie einen besonderen Schatz hielt er sie an sich gedrückt, lag an die Wand gedrängt, wohin der Druck ihn geschleudert hatte. Für Peet war es ein Wunder, dass sie überlebt hatten. Ein Wunder. Dass das Schott nicht vollständig geöffnet war, sondern sie nur durch diese aufgeschmolzene Öffnung Zugang gehabt hatten, dürfte ihnen das Leben gerettet haben. Das Metall vor ihm war aufgerissen. Trümmer waren an ihm vorbeigerauscht, ganz nah am Körper, wie Schatten im Licht. Die Kraft der Im- und Explosionen hatte sie beiseite gepresst. An den Rand. In eine Nische, in der die Energie sie nur gestreift, doch nicht erreicht hatte. Peet Orell spürte warme Tränen auf seinen Wangen. Arn hatte sich bewegt. Gott, er lebte. Er lebte! Sie hatten es geschafft. Kraftlos ergriff dessen Hand Peets Arm. Und durch den angeschwärzten Helm des Moraners sah er – ein leichtes Lächeln. Peet half seinem Gefährten nach oben. Zusammen taumelten sie zum Antigrav-Schacht. Er freute sich auf die Stimmen seiner Freunde.

Durch die Dunkelheit hindurch ließen Peet und Arn das rötliche Metall unter den Füßen hinter sich. Die Schwerelosigkeit des Alls fing sie einen Augenblick, bevor sie die Düsen der Antigrav-Gürtel zurück Richtung Promet trugen. Der Schaden an der Außenhülle war deutlich sichtbar. Kurz seufzend nahm Peet Orell es zur Kenntnis. Es war zumindest nichts, was man nicht wieder beheben konnte. Was ihn viel mehr beschäftigte war der Kugelraumer selbst. Und dass sie es geschafft hatten! Er spürte noch das pochende Adrenalin in den Schlafen. Und die Euphorie, dass sie sich lebend aus dieser Höllensituation gerettet hatten. Dieses Material, das Auge, die Energie – unglaubliches Wissen musste auf diesem Raumer vorhanden sein. Wer auch immer ihn gebaut hatte, war der Erde um Lichtjahre voraus. Es schmerzte ihn mehr als jeder seiner Muskeln, kein Lebenszeichen, nicht den geringsten Anhaltspunkt auf den Ursprung und die Zivilisation hinter all dem gefunden zu haben… Abgesehen davon, dass sie Wahnsinnsaggregate bauen können …, fuhr es ihm fasziniert durch den Kopf und er grinste.

Arn hingegen schien nachdenklich. Die Helmfrequenz blieb still.

 

*

 

Arn Borul verspürte augenblicklich tiefe Erleichterung, als er sich aus dem Raumanzug zwängte. Es war für ihn das Zeichen, dass die Gefahr vorüber war. Er konnte sich wieder bewegen, ohne jeden seiner Sinne auf kleinste Details gerichtet zu haben. Dass er diverse Blessuren davongetragen hatte, kümmerte ihn nicht. Sie würden heilen. Das künstliche Licht seiner Kabine erschien ihm freundlicher als je zuvor. Auch wenn es nur der blaue Schein Kyls war, der ihn je vollkommen glücklich machen könnte. Gedankenversunken griffen seine Hände nach der Waffe, die er aus dem Raumer mitgenommen hatte. Eine Verbindung, ich spüre sie… Im Angesicht der Verzweiflung, als seine Finger dieses dunkle Metall umgriffen hatten, bis es schmerzte, da waren die Erinnerungen zurückgekehrt. Er hatte es gesehen, in seinem Herzen. Alte Aufzeichnungen Ghinus. Form, Farbe, Funktion. Diese Waffe, sie hatte ihre Ursprünge auf Moran. Sie musste es. Lange vor seiner Zeit. Ein Relikt seiner Welt. Der spirituellen Vergangenheit, die umwoben war von Kräften aus dem Inneren. War es ein technischer Defekt, als sie vor dem Aggregat nicht funktioniert hatte? Gedanken waren es, die in Morans Geschichte viel Macht besaßen. Gedanken, die dieser Waffe Energie geben konnten. So musste es sein, schlussfolgerte der Moraner im Stillen. Wie kam sie auf diesen Raumer? Arn Borul strich über das glatte, blaurote Metall. Es würde ihm keine Antwort geben. Noch nicht. Er verstaute die Waffe achtsam in seinem Spind. Nur er kannte die Kombination. Hier könnte sie zumindest keine falschen Gedankengänge auslösen. Dann beschloss er, sich besser zu beeilen. Nachdem Vivien und Jörn ihm vor Freude überschwänglich um den Hals gefallen waren – eine Geste, die ihm auf Moran nur von Paaren und Familienmitgliedern vertraut war – wollte er weder sie noch die übrigen Crewmitglieder warten lassen. Wenn er jetzt doch nur einen Augenblick bei Junici sein könnte …

Schon als der Moraner die Kommandozentrale betrat, bemerkte er allerdings, dass das Lachen in den Gesichtern verschwunden war. Während sich Gus Yonker, Szer Ekka und Pino Tak schon wieder auf ihre Positionen begeben zu haben schienen, hatte sich ein anderer Mann zu seinen Freunden gesellt. Er war Arn unbekannt. Und er sah nicht so aus, als wäre er sonderlich amüsiert.

„Das kommt gar nicht in Frage, so sehr ich Sie schätze, Peet“, sagte er bestimmt.

„Die HTO-234 untersteht im Grunde genommen auch meinem Kommando … Sie müssen doch sehen, dass …“

Der Mann ließ Peet nicht aussprechen. Er kniff die Augen zusammen. „Und über allem steht Harry T. Orell. Mein oberster Vorgesetzter. Und Ihr Vater, falls Ihnen das entfallen sein sollte. Ich werde mich hüten, gegen seine Order zu handeln.“

„Wir können uns diese Chance nicht einfach entgehen lassen!“ Peet wurde langsam aufbrausend. „Die HTO hat diesen Raumer zuerst entdeckt und wir werden nicht schnurstracks zurück zur Erde fliegen und diese Möglichkeiten auf sich beruhen lassen.“

„Reicht Ihnen Jacksons Tod noch nicht? Von mir aus bringen Sie sich selbst in Gefahr. Aber ich werde nicht zulassen, dass Sie meine Männer mit hineinziehen. Zumindest nicht, ohne ausdrückliche Bestätigung Ihres Vaters. Ich schätze, das Gespräch ist damit beendet.“ Nahezu unterkühlt nickte der Mann den Beiwohnenden zu, bevor er den Kommandoraum verlassen wollte. Vor Arn Borul jedoch hielt er kurz inne. „Eric Worner, Captain der HTO-234. Freundschaft hin oder her. Verhelfen Sie Peet zurück auf den Boden. Sie wissen, wie gefährlich das alles ist. Ich hoffe auf Ihre Vernunft, Arn Borul.“ Dass er dabei zum ersten Mal in seinem Leben einem Außerirdischen, einem Moraner, ins Gesicht blickte, schien seine Meinung nicht im Geringsten zu beeinflussen. Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum.

„Ganz wohl ist mir bei der Sache auch nicht, Peet. Mir reicht es noch von dem Auge …“ Vivien Raid lehnte sich ans Kommandopult und sah Peet Orell ernst an.

„Ich finde, Peet hat recht. Man sollte sich auf dem Raumer mal umsehen.“ Mechanisch, doch ergebnislos suchte Jörn Callaghan nach seiner Pfeife. Der Angriff des Auges hatte sie auf den Boden katapultiert und in zwei Teile gebrochen. Bis er das allerdings realisiert hätte, würde es seine Zeit dauern.

„Pino hat das Medodeck zwar notdürftig zusammengeflickt, nur nutzen können wir es nicht mehr, vergesst das nicht.“ Vivien seufzte. „Aber das war mir sowieso klar. Das Team Orell-Callaghan ist nicht zu bremsen, was.“ Sie zog skeptisch eine Augenbraue nach oben. „Von mir aus. Was gibt es schon zu verlieren, außer dem Leben. Alles für die Wissenschaft!“ Sie stieß sich vom Pult ab und beinahe wirkte es, als hätte eine plötzliche Abenteuerlust jeden Zweifel besiegt.

„Was meinst du, Arn?“, fragte Peet. „Ich möchte ein Expeditionsteam zusammenstellen. Wir zwei und ein paar der besten Männer der 234. Wir sollten diesen Kugelraumer genauer untersuchen. Vielleicht können wir rausfinden, woher er kommt. Und welche Technik dahintersteht.“

Arn spürte die erwartungsvollen Blicke. Einerseits konnte er Eric Worner sehr gut verstehen. Es war nicht nur der Angriff des Auges, es war auch das, was ihnen dort begegnet war – Technik und Energie, die Leben zerstören konnten. Und dass es in diesem Raumer nur Angriffsmechanismen nach außen hin gab, wollte der Moraner nicht glauben. Vielleicht gab es genauso dementsprechende Verteidigungsstrategien im Inneren. Dennoch konnte selbst er nicht leugnen, mehr über das Geheimnis dieses Schiffs erfahren zu wollen. Eine Spur, die nach Moran führte, hatte er bereits entdeckt – die Strahlwaffe. Er verspürte einen stillen Drang nach Gewissheit: nichts übersehen, nichts unversucht gelassen zu haben, seine Heimat zu finden. Aber nicht um jeden Preis. „Peet, auch ich würde mir wünschen, dass du dir das Einverständnis deines Vaters holst. Ich befürchte nämlich, er hat sich schon mehr als genug Sorgen gemacht. Nur so könnte ich es gutheißen. Ich persönlich würde selbst gerne mehr über den Kugelraumer erfahren.“

Peet nickte entschlossen. „Gut, dann werde ich das mit meinem Vater klären.“

 

*

 

Harry T. Orell saß alleine in seinem nobel eingerichteten Büro. Er hatte sich einen Whisky eingeschenkt. Doch statt den rauchig-erdigen Geschmack auf dem Gaumen zu spüren, schwenkte er das Glas, beobachtete die braune Flüssigkeit, wie sie sich in dem Gefäß bewegte. Als die Nachricht eingetroffen war, dass sein Sohn mit ihm sprechen wolle, hatte er die Vorstandssitzung unverzüglich beendet. Nach Eric Worners Ausführungen war er mehr als besorgt um Peets Gesundheitszustand. Und wenn etwas ihn, der bereits genug in seinen zweiundsechzig Jahren miterlebt hatte, noch erschüttern konnte, dann war es die Sorge um seinen Sohn. Harry T. Orell fuhr sich durch das ergraute Haar. Insgeheim wusste er, dass Peet recht hatte. Er selbst hatte es in Betracht gezogen, darüber nachgedacht. Wäre es nicht sein Sohn – sein einziger – hätte er dessen Haltung mehr als begrüßt. Dieser Raumer könnte Technik beherbergen, die für die HTO mehr als lukrativ wäre. Entwicklungen, die sämtliche Errungenschaften der HTO für alle Zeiten revolutionieren könnten. Peet hätte für immer ausgesorgt, sein Erbe wäre gesichert. Auch der Gedanke, vielleicht auf Möglichkeiten zu stoßen, die Arn Borul einen Schritt weiter nach Moran führen könnten, hätte von ihm selbst sein können. Einmal mehr merkte er, wie sehr sein Sohn ihm schon ähnelte.

Harry T. Orell erinnerte sich genau daran, wie er in Peets Alter gewesen war. Damals, als die HTO noch in den Sternen stand und er bei seinem Vater in einer Werkstatt für Raumfahrzeuge arbeitete. Seine Familie war früher nicht vermögend gewesen, ganz im Gegenteil. In seiner freien Zeit konzipierte er jeden Tag an einem neuen Triebwerk, dessen Reichweite die gängigen Modelle in der Theorie um Längen schlagen konnte. Sein Vater George war es gewesen, der es ihm ständig ausreden wollte, der ihm tagtäglich sagte, dass er den Ruf des Unternehmens ruinierte. Vater, der zwar keinen Einfluss darauf hatte, durch welche Gelegenheitsjobs sein Sohn letztendlich das Geld für diese Entwicklungen zusammenbekam, wohl aber über den Schlüssel der Werkstatt. Den versteckte er jede Nacht an anderer Stelle, sodass der kleine Raumgleiter mit dem besonderen Triebwerk nicht heimlich getestet werden konnte. Harry T. Orell trank einen Schluck. Hätte er damals auf seinen Vater gehört… dann gäbe es die HTO heute nicht. Eines Tages hatte er wild entschlossen das Schlüsselversteck entdeckt und den Flug unerlaubterweise durchgeführt. Es war ihm nun klar, wie leichtsinnig das gewesen war, wie wagemutig – und welche Sorgen er seinem alten Vater damit bereitet hatte. Der Glaube seines Vaters hätte ihm dennoch mehr als gutgetan. Und hätte er diesen Flug nicht absolviert, hätte ihn das ewig gereut – denn wie Harry T. Orell lange Zeit später erfuhr, hatte auch die altbewährte Space Rockets Company, inzwischen kleiner, aber ungeachtet dessen seine schärfste Konkurrenz, ebenfalls an einem solchen Triebwerk gearbeitet. Nur, als deren Techniker noch mit der Entwicklung gehadert hatten, war er schon einen Testflug weiter gewesen und hatte das Patent angemeldet. Und in der Nacht, in der er seinen Erfolg gefeiert hatte, war ihm Priscilla begegnet… Dass Peet nun die Möglichkeit einer neuen Errungenschaft nicht einfach aufgeben wollte, konnte er nachvollziehen. Und auch, dass er dem Moraner helfen wollte. Er hätte genauso gehandelt. Und sein eigener Vater hätte genauso dagegen gewettert, wie er es selbst nun beim letzten Kontakt getan hatte. Vielleicht war es an der Zeit, seinem Sohn Freiraum zu geben. Mut und der Hang zum Risiko lagen ihnen beiden im Blut. Obgleich er sich wünschte, er wäre in dieser Hinsicht ein schlechteres Vorbild gewesen.

Der Firmenchef seufzte. Was Priscilla dazu sagen würde … wenn er ihm erlauben würde … Andererseits wusste Harry T. Orell mehr als genau, welche Bürde Peet in sich trug. Irgendwann musste er es ihm sagen. Doch nicht jetzt. Nicht jetzt. Harry T. Orell verdrängte den Gedanken. Dann betätigte er die Direktverbindung zu seinem Com-Operator. Er sollte der Promet und Captain Eric Worner über eine verschlüsselte Frequenz eine Bestätigung zukommen lassen. Der Firmenmagnat schenkte sich noch mal nach, um kurz darauf Vivien Raids Vater zu informieren, dass seine einzige Tochter zwar, wie gehabt, wohlauf sei, sich ihre Rückreise jedoch noch bis auf Weiteres verspäten würde. Das Gespräch war nicht sonderlich angenehm und Harry T. Orell wusste sehr wohl, warum.

 

*

 

„Das ist ein echter Oldie, Moraner. Bei uns hat man in Urzeiten dazu abgerockt. Und die Stille … die treibt mich sonst zum Wahnsinn, verstehst du.“ Der bullige Mann, der von Worner zähneknirschend als Topingenieur angepriesen worden war, drückte Arn Borul den Ellbogen in die Seite.

Inzwischen verstand Arn genug der Sprachen dieses Planeten. Er hoffte nicht, dass derjenige, der diese seltsamen Töne komponiert hatte, von ihrem Schicksal sang: einem Highway to Hell. Verstört drehte er die Frequenz des vollbärtigen Riesen namens Steve Batista auf lautlos, lächelte höflich, wie er es auf der Erde gelernt hatte, und nickte stumm.

Dabei musterte Batista ihn einmal mehr von oben nach unten. Es war offensichtlich, dass ihn die Tatsache, wahrhaftig einem nichtmenschlichen Wesen gegenüberzustehen, auch nach all den unzähligen Blicken zuvor, immer noch eine Mischung aus Faszination und ungläubigem Amüsement entlockte – genauso, wie es bereits bei sämtlichen weiteren neuen Teamkollegen mehr als genug der Fall gewesen war. Der Moraner seufzte leise und war froh, dass sich die Aufregung um seine Person inzwischen zumindest ins Erträgliche gelegt hatte.

Peet, er und vier Crewmitglieder der HTO-234, die laut Worner angeblich freiwillig auf diese Expedition mitkommen wollten, setzten vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Durch das Dunkel leuchteten ihnen nur die Frontscheinwerfer ihrer Raumanzüge den Weg. Die langen Schatten umspielten flackernd die Wände. Es war totenstill um Arn Borul. Und er spürte, wie auch Peet Orell von einer inneren Anspannung und Neugier immer weiter durch den toten Raum getrieben wurde. Neben Steve Batista war noch eine Wissenschaftlerin, Erin Seuer, im Team, zusätzlich ein Mediziner, dessen Namen keiner aussprechen, geschweige denn sich merken konnte und ein – wie Worner es bezeichnet hatte – Mann für alle Fälle, der für jeden Angriff die passende Gegenwehr parat hatte. Es war jedenfalls kein Mann großer Worte. Er hatte sich nicht einmal vorgestellt, schien aber Augen und Ohren durchgehend offen zu halten. Eine seltsame Zusammensetzung an Menschen, dachte sich Arn Borul und ignorierte wie der Rest der Truppe das lautstarke Mitsingen des haarigen Ingenieurs über die Helmfrequenz.

Ziel ihres heutigen Ausflugs war die Erkundung des untersten, ersten Decks. Sie hatten den Plan gefasst, sich systematisch von unten nach oben vorzuarbeiten. Zusammen mit Miss Seuer steckte Peet an jeder Abzweigung einen stecknadelgroßen Peilsender ab. Diese Sender würden später ausreichend Signale an die Promet abgeben, um damit eine äußerst genaue, digitale Kartografie des Raumers zu ermöglichen. Sie wollten sicherstellen, nichts übersehen zu haben und, wie Seuer betonte, ließen sich daraus auch Rückschlüsse auf die Lebensformen ziehen, die diesen Fremdraumer vor langer Zeit einmal bewohnt haben mussten.

„Mister Orell, ich möchte hier einige Proben entnehmen. Wenn Sie sich bitte einen Augenblick gedulden könnten.“ Aus ihrem Funktionsgürtel zog die Wissenschaftlerin ein Spezialwerkzeug. Es war nicht größer als ein Kugelschreiber und gab einen bläulichen Laser aus. Damit schien sie dem rötlichen Metall nur minimalste Partikel herauszubrennen, wie Arn fasziniert beobachtete. An die Brennstelle hielt sie einen kleinen Auffangbehälter, ein Röhrchen, das sie nach wenigen Sekunden sorgfältig verschloss. „Das war’s auch schon, meine Herren.“ Lässig setzte sie sich wieder in Bewegung.

Peet hatte Arn kurz vor ihrem Aufbruch erzählt, dass Erin Seuer mit diesen Proben das ungefähre Alter des Raumers bestimmen konnte. Und der Moraner brannte darauf, zu erfahren, seit wann die Kugel aus dem gänzlich unbekannten Material existierte – obgleich er wusste, dass die Methoden der Menschen, ihre sogenannte C-14-Analyse, eine Radiokohlenstoffdatierung, nicht unumstritten war. Mitunter konnten die Ergebnisse um Jahrzehnte schwanken.

„Mister Orell, als Sie diesen Angriffsmechanismus gestoppt hatten, da waren Sie also auf einem der oberen Decks.“ Eine nasale Stimme drang zischelnd durch den Helm. Der stumme Mann für alle Fälle hatte gesprochen.

„Ja, waren wir. Wieso? Haben Sie Fragen?“ Peet Orell klang misstrauisch, doch interessiert.

„Diese Leere – wie kann es sein, dass hier nichts ist. Keinerlei Reste von Leben. Keine Überbleibsel? Konnten Sie das auch weiter oben beobachten?“

„Ja, bis auf das große Aggregat, das wohl als Konverter die Energie des Auges, wie wir es nennen, durch das unbekannte Material des Schiffs zapfte, konnten wir keinerlei Rückstände einer vorherigen Intelligenz feststellen.“

Der Mann schwieg wieder.

„Schöner Mist ist das“, brummte Steve Batista monoton.

Trotzdem sie den Antigrav-Schacht inzwischen weitläufig passiert und bereits eine ganze Weile in Richtung Ende des Raumers unterwegs waren, fand das Licht, das ihnen den Weg wies, immer noch keinen Endpunkt. Vor ihnen lag nichts weiter als dieser unglaublich großflächige, breite und stockfinstere Gang ins Nichts. Und absolute Leere.

 

*

 

„Nennen Sie mir einen vernünftigen Grund, weshalb Harry T. Orell eines seiner besten Schiffe, die HTO-234 grundlos ins Nichts schicken sollte! Dieser verdammte alte Mann.“ Mit verbissener Gewalt drückte Dex Coleman die Reste seiner Zigarette in den Aschenbecher, bis selbst das letzte Wölkchen Rauch wie ein Hauch von Leben aus ihnen gewichen war. Er schob das Glasschälchen von sich, sodass es geräuschvoll ein paar Meter über den langen Tisch im achtzehnten Stock des Hautgebäudes der Space Rockets Company glitt.

Wusste Orell etwas? Dex Coleman erhob sich mit einer fahrigen Geste, zündete sich eine weitere Zigarette an und sog tief ein. Robert Coleman, sein Vater und Chef der Company, war vor drei Monaten gestorben. Sein Tod war nie an die Öffentlichkeit gedrungen. Gerade jetzt durfte ihr Image nicht leiden. Wie Phönix aus der Asche wollte Dex, sein Sohn, das Unternehmen zu neuen Höhen treiben. Als böse Überraschung für jegliche Konkurrenten. Die Suche nach Marson, eine kostspielige Investition – diese gesamte Pressekonferenz war nur ein Bluff gewesen. Eine große Farce. Um zu zeigen, dass die Space Rockets Company es sich noch leisten konnte, wenn sie wollte. Dass die HTO nun scheinbar selbst etwas plante, brachte ihn zur Weißglut. Ungeduldig hörte er sich über die Holo-Com-Verbindung an, was John Pohl, engster Vertrauter seines Vaters und wichtigster Manager des Unternehmens, zu berichten hatte. Die Projektion Pohls flatterte nervös.

„Die Raumjacht seines Sohnes wäre verschollen? Wollen Sie mich verarschen! In dem Radius, in dem sich eines dieser Schiffe bewegt, hätten sie längst zurück sein müssen. Und warum hat er dessen Verschwinden nicht bei der Space Police angezeigt?“, antwortete Dex ungehalten.

„Sie meinen …“ Der ergraute Pohl erstickte in einem gedrungenen Räuspern.

„Natürlich meine ich … wir greifen zu Plan B. Ich weiß, dass Vater Skrupel hatte, diesen Weg zu gehen, aber jetzt bin ich der Boss, Pohl. Und damit weht hier ein anderer Wind. Von diesem alten Bastard Orell lasse ich mir das Leben nicht länger zur Hölle machen – so wie er meinem Vater seit Jahrzehnten ins Handwerk gepfuscht hat. Ich werde die HTO auseinandernehmen. Stück für Stück. Und während Orell nicht im Geringsten ahnt, wie ihm geschieht, wird die HTO immer mehr Geschichte sein.“

 

*

 

„Ich verstehe das einfach nicht, Arn. Hinter dieser Fläche muss es noch Unmengen an Raum geben. Aber wie gelangt man dorthin?“ Langsam machte sich Unzufriedenheit bei Peet Orell breit. Missmutig befestigte er einen weiteren Sensor wenige Zentimeter über dem rötlichen Metall, das nahtlos vom Boden zur Wand überging.

„Ich kann es selbst nicht nachvollziehen, Peet.“ Der Moraner starrte konzentriert auf das Ende des Dunkels vor ihm. Sie konnten doch nicht seit zwei Stunden einen leeren Großtunnel entlanggegangen sein, der nun abrupt vor ihnen abschließen sollte. Es musste in dieser Schwärze etwas geben. Etwas, das verriet, wie man dahinter gelangen konnte.

Auch Batista schien dieser Ansicht zu sein. Mit den geballten Fäusten schlug er wahllos gegen das Metall. „Das gibt’s doch nicht, verdammt“, fauchte er gereizt.

„Mister Batista, Ihren Elan in Ehren, aber ich schätze nicht, dass Sie hier eine Geräuschentwicklung wahrnehmen können, zumal ich annehme, dass das Material dieser Wände selbst für Ihre groben Hände einen Tick zu stabil sein könnte“, kommentierte Seuer fast schnippisch.

„Wo sie recht hat, hat sie recht“, murmelte der Mann, der sich inzwischen als Franco Rubinstheyn vorgestellt hatte.

„Wir sollten vorerst umkehren. Es scheint hier nichts zu geben.“ Der Mediziner asiatischer Abstammung war schon den gesamten Weg über mehr als schweigsam gewesen. Seine Enttäuschung war ihm deutlich anzuhören.

Peet stützte sich seufzend an die Wand vor ihnen. „Ich kann Sie vollkommen verstehen. Aber es muss …“ Nur den Bruchteil einer Sekunde hatte es gedauert und das rötlich schimmernde Metall hatte Peet Orell verschluckt. Wie von Geisterhand hatte der Widerstand nachgegeben, sich vor ihm aufgetan, und während er noch fiel, unmittelbar hinter ihm verschlossen.

Für einen Augenblick verblieben die Menschen und Arn Borul in Unwissenheit, dann verbreitete sich Unruhe.

„Hey! Heeeey!“, brüllte Batista wie ein Tier und hämmerte erneut mit den raumhandschuhverpackten Fäusten auf das metallische Dunkel ein.

Das Gehirn des Moraners arbeitete auf Hochtouren. Peet. Peet! Vielleicht kann die Strahlwaffe…

„Hören Sie doch auf, Mann, das hält man ja nicht aus.“ Der Asiate schob den lauten Riesen forsch beiseite. Begleitet von dessen Flüchen begann er vorsichtig, die glatte Wand vor ihnen abzutasten. Keine Fuge, keine Verschweißung. Nichts ließ darauf schließen, dass sich dahinter etwas befinden könnte.

Erin Seuer redete in Stummschaltung in ihren Helm und es war nicht klar, ob sie gerade die 234 informierte oder sich wissenschaftliche Sprachnotizen zu dem Vorfall machte. Rubinstheyn stand unbeteiligt hinter ihr.

„Ich werde ihn befreien.“ Alles andere würde nichts bringen, da war sich der Moraner sicher. Er nahm die Strahlwaffe nach oben, inständig hoffend, dass sie diesmal funktionierte. Doch ehe er seine Begleiter warnen konnte, schrie der kleinere Mann erschrocken auf – und war ebenfalls im Nichts verschwunden.

„Verdammt, brennen Sie es auf, Borul!“ Es war die schrille Stimme Seuers, die sich nun bemerkbar machte. Wie aus jeglicher Konzentration gerissen, starrte sie ihn mit aufgebrachtem Blick an.

Jedoch etwas anderes war Arn aufgefallen. Während der Mediziner die Wand betastet hatte – das musste es sein! „Würde es Ihnen etwas ausmachen, für einen Moment still zu sein? Ich muss nachdenken“, forderte der Moraner knapp.

Perplex blickten ihm seine Mitstreiter entgegen. „Mann, wie kannst du jetzt…“, fing Batista ungehemmt an, doch Rubinstheyn unterbrach ihn augenblicklich mit einem zischenden „Pssst!“

Thosro … mein Wissen wird zum Diener für die Zukunft, so sagtest du… ich muss mich erinnern, muss mich erinnern … die Frequenz des Lebens ist die des Voranschreitens… Vor Arn Boruls innerem Auge liefen Formeln ab. Daten Morans Vergangenheit, physikalische Errungenschaften, Geschichten über das, was war. Er kannte diese Technik. Er hatte davon gehört. Er wusste es. Er musste sich besinnen. Instinktiv ließ er seine Finger suchend über die Wand vor ihm streifen. Dann spürte er es. Eine kaum wahrnehmbare Erhebung in Form eines Rechtecks. Im Dunkel verborgen. Nur mit viel Gefühl konnte man sie ertasten. Arn war mehr als froh, dass die Raumhandschuhe der Menschen den Tastsinn nicht wesentlich einschränkten. Er verharrte mit der Handfläche für wenige Sekunden auf der besonderen Stelle. Wie aus dem Nichts teilte sich das Material. Der Moraner beließ seine Hand, wo sie war, während er mit dem Oberkörper flink zur Seite auswich. Beinahe hätte ihn ein harter Schlag Peets getroffen, der wohl verzweifelt versucht hatte, die Wand mit Körperkraft zu bewegen.

„Verdammt Arn!“ Peet riss sich überrascht zurück und stolperte dabei fast über den erstaunten Mediziner hinter ihm. „Mehr Zeit hättest du dir nicht lassen können, oder wie?“

„Es tut mir leid für die Verzögerung.“ Der Moraner ignorierte den vorwurfsvollen Blick, den ihm der Asiate entgegenbrachte, als er sich an ihm vorbeischob. Noch während sich seine Gedanken an einer Welle von Fragen die Zähne ausbissen, nahm er die Hand von der Wand. Sie schloss sich augenblicklich. Wie kam diese Technik hierher? War sie nicht ähnlich einer Entwicklung Morans gewesen, so wie es ihm Thosro Ghinu seinerzeit gelehrt hatte? Alles andere jedenfalls erschien ihm gänzlich unbekannt und konnte unmöglich mit Moran in Verbindung stehen.

Ein weiteres Mal beschwor er eine Öffnung der Schleuse herbei. Der Raum, der Peet und den Mediziner gefangen gehalten hatte, war leer. Eine große, schwarzrötliche und hohle Fläche. Leise seufzend schloss er das Metall wieder. Peet sah ihn verständnisvoll an. Auch ihn schien das Innenleben enttäuscht zu haben.

„Mister Borul, wie funktioniert dieser Mechanismus?“, fragte Franco Rubinstheyn, ehe ihm jemand zuvorkommen konnte. Er betrachtete die Wand konzentriert.

„Auf Moran gab es eine ähnliche Technik… vor langer Zeit. Wir haben sie nicht mehr genutzt. Sie war überflüssig.“

Peet Orell tastete ebenfalls erneut über das rötliche Metall. Seine Neugier ließ ihm keine Ruhe. An der Stelle, wo eben noch Arns Handfläche gelegen hatte, fand sich die seine. „Hier ist etwas. Ich kann es nun fühlen. Aber es geht nicht auf.“

„Bleib ruhig, Peet. Die Automatik muss deine Pulsfrequenz auslesen.“

Nur Augenblicke, nachdem der Moraner dies ausgesprochen hatte, teilte sich das undurchdringliche Material erneut. Fasziniert nahm Peet seine Hand beiseite und die Wände taten sich wieder zusammen. Obgleich im freien Raum keine Geräuschübertragung möglich war, fühlte es sich an, als könnte man das wuchtige Aufeinandertreffen deutlich hören.

„Ist es nicht so, dass die Pulsfrequenz eines Moraners eine andere ist, als die von uns Menschen“, hinterfragte der Mediziner skeptisch, während auch er nicht umhin kam, das Metall noch einmal auf und zu fallen zu lassen und Arn dabei fasziniert anzusehen.

„Sie haben recht, Mister … es tut mir leid, wie war noch mal Ihr Name?“

„Leung Chio Wai Yimou. Aber nennen Sie mich einfach Doc, so machen das alle“, erwiderte der Mediziner mit leicht resigniertem Unterton.

„Danke sehr, Doc.“ Der Moraner verstand nicht, warum Batista sogleich in schallendes Gelächter ausbrach. „Die automatisierte Frequenzwahrnehmung, wie wir sie hier vorfinden, funktioniert nach strikten arithmetischen Berechnungen, die je nachdem, wer auch immer sie irgendwann programmiert hat, einen individuellen Spielraum lassen. Wir können uns bei Gelegenheit ausführlicher darüber unterhalten, wenn es Sie interessiert, Doc. Wichtig ist nur, dass wir jetzt wissen, wie wir diese Schleusen öffnen können.“

„Faszinierend, Mister Borul“, kommentierte Erin Seuer zwischendurch, und während der Asiat enthusiastisch nickte, war Peet bereits unruhig umhergewandert.

„Arn, wir haben nun die vollen Möglichkeiten, diesen Raumer zu erforschen. Wir sollten uns aufteilen und systematisch noch einmal alles ablaufen.“

„Na super, jetzt sind wir den ganzen Weg umsonst geschlappt …“, moserte Steve Batista, als sie sich erneut in Bewegung setzten.

Entnervt stöhnte Erin Seuer auf, die nicht gerade begeistert schien, mit dem vorlauten Ingenieur in einem Team zu sein. Der hingegen katapultiere den Highway to Hell in neue Lautstärkedimensionen.

 

*

 

Peet Orell schlich sich mit Erin Seuer und Steve Batista durch das Dunkel. Sorgfältig leuchteten sie die Wände ab. Es war ein mühsames Unterfangen. Obwohl sie nur langsam vorankamen, fanden sie mehr und mehr der Frequenzschalter, die sich scheinbar auf derselben Höhe, allerdings in sehr unregelmäßigen Abständen, was die Größe der dahinterliegenden Räume bedingte, versteckt hielten. Bei jedem neuen Offnen einer entdeckten Schleuse konnte Peet spüren, wie sein Herz vor Erwartung gegen die Brust hämmerte. Es musste in diesem Raumer doch irgendetwas geben. Geräte, Möblierungen, Skelette – groß genug war er schließlich. Eine Steuereinheit, ein Maschinenraum, irgendetwas Atemberaubendes. Das Auge hatte es letztlich auch gegeben. Und es war voll funktionstüchtig gewesen. Peet hoffte so sehr auf eine technische Entdeckung, die nicht nur der HTO, sondern vor allem Arn Borul helfen könnte. Dennoch entpuppte sich jede weitere Offenbarung als ein ernüchterndes Schwarz, ein Nichts, in dem es keinerlei Anhaltspunkte, keine Überbleibsel an Leben oder Tod zu geben schien. Inzwischen seufzte nicht nur er, selbst die Wissenschaftlerin gab ab und an resignierende Laute von sich.

Nur Batista war nicht zu bremsen. „Hab ich mir echt spannender vorgestellt. Da hätte ich auch gleich daheim bleiben und meiner Alten beim Fußnägellackieren zusehen können …“

„Mister Batista, wer weiß, was die C-14-Analyse ergeben wird. Vielleicht ist schon alleine der Boden, auf dem wir uns momentan befinden, eine unglaubliche Entdeckung an sich“, versuchte Peet die Stimmung zu heben. Doch er wusste, dass er dabei auf, im wohl wahrsten Sinne des Worte, taube Ohren stoßen würde. Und selbst überzeugen konnte er sich damit inzwischen auch nicht länger.

„Auf die Ergebnisse der Analyse bin ich genauso gespannt, Mister Orell. Ich habe nicht die geringste Vermutung, wie alt dieser Kugelraumer tatsächlich sein könnte.“

„Das geht mir ähnlich“, murmelte Peet. Zumindest Erin Seuer war wieder auf andere Gedanken gekommen. Er bahnte sich weiter den Weg durch die Nacht. Vielleicht war es an der Zeit, Batistas Zweitfrequenz abzuhören. Irgendwie war ihm nun danach. Hoffentlich hatten Arn, Rubinstheyn und der Doc mehr Glück. Kurz nach dem Antigrav-Schacht hatten sich ihre Wege getrennt. Arns Team war in die gegensätzliche Richtung abgezogen.

Gerade, als Peet einen neuen Raum öffnete, der wie zu erwarten nicht mehr beherbergte, als das altbekannte, dunkle Vakuum, kam eine Nachricht von Arn. „Peet, ihr müsst sofort hierherkommen! Ungefähr dreißig Erdminuten nach dem Schacht. Beeilt euch!“

Peet bekam keine konkrete Antwort auf seine direkt darauffolgende Frage. Außer der, dass er es selbst sehen müsse. Mit ihm rannten auch die beiden anderen Menschen los. Das Dunkel schob sich an ihnen immer schneller vorbei, nur begleitet von rotem Leuchten durch die Stille. Dann erkannte Peet den Strahl der Scheinwerfer. Sie kamen aus einem Raum, der eine größere Schleusen-Öffnung hatte, als alle bisher entdeckten. Atemlos stürmten er und sein Team ins Innere. Augenblicklich wuchteten sich die Wände wieder hinter ihnen zu. Der Doc grinste ihnen entgegen. Arn Borul versuchte ein Lächeln. Nur wenige Sekunden später sollte die Promet die Meldung empfangen, dass es eine unglaubliche Entdeckung zu verzeichnen gäbe.

 

*

 

Zur selben Zeit, Abertausende von Kilometern entfernt, strich sich Dex Coleman durch das dunkle Haar. John Pohl saß neben ihm, rutschte unruhig über den Sitz und weitete wiederholt seine Krawatte. Seit Minuten hatte Coleman kein Wort mehr gesprochen. Mit kurzen Handbewegungen arbeitete er sich durch die Holo-Darstellung der Akten, die Pohl ihm vor einer halben Stunde präsentiert hatte. Im Sekundentakt huschte das Logo der Space Rockets Company an ihren Augen vorbei. Auf einmal stoppte Coleman. Erleichtert nahm sein Manager zur Kenntnis, dass ein bestimmter Datensatz sein Interesse geweckt zu haben schien. Mehrfach vergrößerte er bestimmte Abschnitte. Durch das kalte Licht der Projektion schob sich der Rauch einer achten Zigarette.

Der Chef des Raumfahrtimperiums strich sich über das Kinn. Er gab einen beinahe wohlwollenden Laut von sich, bevor er sprach. „Ich glaube, wir haben die richtige Person für den Job. Oder Pohl, wie sehen Sie das?“

„Mister Coleman. Ich habe mir fast gedacht, dass Ihre Wahl auf sie fallen wird.“ Pohl räusperte sich wissend. „Sie ist prädestiniert dafür. Und loyal ohnegleichen. Schon ihr Vater und Großvater waren in langjährigen Führungspositionen der Company.“ Augenscheinlich vor Erleichterung sackte er ein wenig auf dem Stuhl zusammen.

„Gut, Pohl. Vereinbaren Sie gleich morgen einen Gesprächstermin. Wir werden ja sehen, wie weit die Loyalität reicht.“ Dex Coleman hatte gesprochen.

 

*

 

Die fünf Menschen und Arn Borul standen am Rande der größten Halle, die sie bisher auf dem Fremdraumer entdeckt hatten. Sie wirkte wesentlich weitläufiger als die, in der sich das Auge befand. Das Schwarz schien sich in unendliche Höhen zu ziehen und wäre der Raum nicht in atmosphärisches Rot gehüllt, könnte man ein Ende mit bloßer Sehkraft nicht erkennen.

„Das ist unglaublich, Arn. Hast du eine Ahnung, was das ist?“ Fast ehrfürchtig wollte Peet berühren, was sich unmittelbar vor ihm auftat. Im letzten Moment hielt er inne. Es war eine Art Monument. In Form eines Quaders, ungefähr kniehoch. Und es war nicht das Einzige. Es schien Hunderte davon zu geben, die sich in dieser Halle aneinanderreihten. Parallel zur Mitte des Raumes wurden die Quader höher und höher, bis sie sich von allen vier Seiten kommend in einem einzigen Quader gigantischer Ausmaße zusammenfanden. Wie eine Säule stieg er empor, angebetet von den kleineren Bauten ähnlich einem Götzenbildnis. Aus dem Boden und aus den Wänden liefen rötlich scheinende Energiestränge zusammen, beleuchteten die Bauten von innen heraus wie ein Lebenspuls. Sie wanderten alle in eine Richtung, zur Mitte, in der dieser säulenhafte Quader mit einer Kantenlänge von geschätzten fünfzehn Metern leuchtend pulsierte, wie ein Sammelbecken sämtlichen Rots.

„Könnte glatt als Friedhof durchgehen, bis auf die irre Beleuchtung.“ Steve Batista war der Erste, der das Schweigen durchbrach. Ohne zu zögern, ging er in die Knie, umschlang mit den Armen einen der kleinsten Gattung der Quaderförmigen und wollte ihn hochwuchten. „Das Ding bewegt sich keinen Zentimeter! Sauschwer, verdammt. Kriegen wir so nicht raus“, stöhnte er gequält und lockerte sich die Schultern.

„Es könnten Konverter sein. Tanks oder Behältnisse für Energie.“ Der Moraner berührte nun ebenfalls die glatte Fläche eines der Quader. Nicht die geringsten Spuren der Fertigung waren darauf zu erkennen. Keine Knöpfe, kein Schalter für die Pulsfrequenz, wie er kommentierte, während er das unbekannte Objekt von allen Seiten abtastete.

„Sehen wir uns mal um“, schlug Peet vor. Sogar er selbst konnte die Spannung, die in seiner Stimme lag, deutlich hören.

Vorsichtig bewegten sich die Teams durch den Raum. Zwischen jedem der kleineren, in der Breite von etwa eineinhalb Metern strikt gleichbleibenden, doch in die Höhe schnellenden Quader war lediglich so viel Abstand, dass ein einzelner Humanoide gerade noch hindurchgehen konnte. Ohne es auszusprechen, musste Peet dem Ingenieur ausnahmsweise recht geben. Auch ihn erinnerte diese Umgebung mehr an einen Friedhof als an etwas anderes. Wenn es wenigstens den geringsten Hinweis darauf gäbe, was für Intelligenzen diesen Raumer erbaut, bewohnt und genutzt hatten. Und welcher Intention sie gefolgt waren. Ob die Raumtechnikspezialisten der HTO diese Systeme entschlüsseln könnten? Ob diese Technik Arn Borul näher an seine Heimat bringen könnte? Peet spürte, dass diese Fragen länger, als ihm lieb war, an ihm nagen könnten.

Es war schlichtweg gespenstisch an diesem Ort. Und je mehr sie sich der Mitte näherten, desto mehr verlor sich jeglicher Sichtkontakt. Lediglich am Strahl der Scheinwerfer war noch ersichtlich, wo sich einzelne Teamkollegen befanden. Vor dem gewaltigen Quader, der sich in der Mitte auftat, verharrte Peet. Das fast schon grelle Rot des durchfluteten Metalls spiegelte sich in seinem Helm. Er trat einen Schritt beiseite, damit Arn neben ihm Platz bekam. Fasziniert wanderten die schockgrünen Augen die rote Wand entlang nach oben.

„Wie haben die das Ding hier reingekriegt?“, zischelte Franco Rubinstheyn. Selbst er fand bei diesem Eindruck Worte.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783957194930
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Space Opera Kultroman Raumschiff Promet Science-Fiction

Autor

  • Vanessa Busse (Autor:in)

Zwar hat es mit der Astronautenausbildung nicht geklappt, aber an realistischeren Kindheitsträumen hat Vanessa Busse festgehalten. Geboren 1980 in Bayern, folgten ersten Gehversuchen bald unveröffentlichte Kurzgeschichten und Romane. Nach diversen Missionen im Bereich der Betriebswirtschaft, des Audio Engineering sowie einem Jahr in Japan schreibt die Autorin begeistert für Raumschiff Promet.
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Titel: Raumschiff Promet - Von Stern zu Stern 03: Dunkle Energie