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Raumschiff Promet - Die Abenteuer der Shalyn Shan 01: Tod eines Cyborgs

von Achim Mehnert (Autor:in)
110 Seiten

Zusammenfassung

Shalyn Shan und ihre Crew erproben die endlich fertiggestellte Promet V. Unterdessen geht bei der CRC eine Nachricht der verschollenen Bankor-Gruppe um Arn Borul, Peet Orell und Shalyns Mann Jörn Callaghan ein. Dann überschlagen sich die Ereignisse. Die Promet V stößt auf eine gigantische Raumstation. Dort wartet ein Wächter aus der Vergangenheit auf die Rückkehr seines Herrn. Die Printausgabe des Buches umfasst 160 Seiten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Prolog

Anfang August 2108 landet die SUUK II auf Bankor. An Bord befinden sich Peet Orell, Vivien Raid, die Moraner Arn und Junici Borul, Shalyn Shans Ehemann Jörn Callaghan sowie dreiunddreißig weitere Terraner. Alle folgen einem mysteriösen Gedankenbefehl, der sie zu einem Transmittertor führt. Sie folgen dem Ruf der Agaren und schreiten bereitwillig durch den Transmitter. Doch etwas läuft nicht nach Plan. Die Menschen werden auf den Planeten Draster verschlagen, treffen dort auf ein fremdes Volk und werden in Auseinandersetzungen zwischen den Stämmen Lidan und Walida verwickelt.

Clantho-Priester opfern Jörn Callaghan und Szer Ekka dem Orakel von Chron. Man stößt sie in das Relikt hinein. Tatsächlich handelt es sich bei dem Orakel um ein Chronoskop, eines jener geheimnisvollen Artefakte, denen Shalyn Shan schon früher in Katai begegnet ist.

Irk, der Sucher aus Zeit und Raum, ist mit seinem zylinderförmigen Raumschiff Zeiter seit Jahrtausenden auf der Jagd nach den Chronoskopen. Wo immer er sie in der Galaxis findet, zerstört er sie, so auch auf Draster. Dabei begegnen sich Irk und Peet Orell. Irk, der Einsamkeit überdrüssig, entführt Orell, um einen Gesprächspartner zu haben. Der Terraner wird von Draster verschleppt, ohne den Kameraden einen Hinweis auf seinen Verbleib hinterlassen zu können.

Callaghan und Ekka werden von einem weiteren Chronoskop auf eine unbekannte Welt transferiert. Dort ist der Nachthimmel sternenlos. Sie ahnen, dass sie sich nicht mehr in ihrem bekannten Universum befinden und erfahren, dass die hoch entwickelten Bewohner dieses Planeten, Kalar genannt, ihn für die einzige Welt halten. Nur der Philosoph Denfuch propagiert die These, dass es dort draußen ein ganzes Weltall voller Sonnen und Planeten geben müsse. Er ist im Besitz der einzigen hyperfunktauglichen Anlage. Es gelingt ihnen, Funkkontakt zu dem Voldok-Ra O’piin L’uu herzustellen. Schnell wird den beiden Terranern klar, dass sie auf einer von der AVATARA gebannten Welt hinter einem Parakon-Schleier der Alatiden gestrandet sind. Von hier ist keine Flucht möglich. O’piin L’uu verspricht, die Erde über ihren Aufenthaltsort zu informieren. Die Kalaren halten sich die Helferleins, eine Armee von willenlosen Arbeitssklaven, die niedrige Tätigkeiten verrichten.

Der Zeiter fliegt einen Raumbereich an, wo Irk und die Recheneinheit Trin ein weiteres Chronoskop vermuten. Orell kennt diese Region des Weltraums. Es handelt sich um den Katai-Sektor, in dem die Völkergemeinschaft AVATARA beheimatet ist.

1.

Ein Ausschnitt des Weltraums veränderte sich, die Sterne dahinter verschwanden. Der düstere Spiegel, der Sekunden zuvor noch nicht da gewesen war, wurde dunkler als die Schwärze des ihn umgebenden Alls. Es sah aus, als sei ein Stück aus dem Universum gestanzt worden.

„Abbremsen! Ausreichenden Abstand einhalten.“ Der Befehl kam mir wie von allein über die Lippen. Was bedeutet: ausreichender Abstand? Die Gelassenheit der letzten Stunden war dahin.

„Bin schon dabei“, meldete Anake Takagawa prompt.

Ein roter Leuchtbalken zeigte die negative Beschleunigung an, als mein Navigator Schub von den deGorm-Turbos nahm. Sich verringernde Werte huschten durch ein Holo-Display. Die Promet V, eben noch mit drei Vierteln der Triebwerksleistung unterwegs, bremste mit enormen Werten ab.

„Das Ding flattert. Sieht übel aus“, brummte Cy in seiner wortkargen Art.

Ich kniff die Augen zusammen. Das Gebilde erinnerte mich an etwas. „Eingehende Daten?“

„Ich empfange keine brauchbaren Werte“, antwortete Patrick O‘Healy. Instrumente und Sensoren seines Ortungspults hatten beim Auftauchen des Unbekannten automatisch mit den Messungen begonnen. „Energetische Impulse Fehlanzeige. Keinerlei Strahlung. Das Objekt besitzt weder Masse noch Raumvolumen. Es ist zweidimensional.“

„Es wirkt gefräßig“, schnarrte Sir Klakkarakk.

„Gefräßig?“ Die Ausdrucksweise des Quogoren entlockte mir ein Lächeln.

„Wie eine Art Durchgang. Ein Transmitterfeld möglicherweise.“

„Im interstellaren Leerraum?“ Die Vorstellung kam mir reichlich abwegig vor. „Wie sollte es an diesen Ort gelangt sein? Jeder Transmitter bedarf einer Steuereinrichtung, aber in diesem Raumsektor gibt es weder eine Station noch andere Schiffe.“

„Stimmt“, sagte Vanessa Modesta. „Und der nächste Planet, unbewohnt noch dazu, ist Lichtjahre entfernt.“

Ich nickte. Diese Tatsache hatten wir zuvor mit dem Dekametro festgestellt. „Vielleicht können die Instrumente trotzdem eine Energiequelle orten.“

„Ich habe es schon versucht“, sagte der Major. „Sinnlos. Da ist nichts.“

„Durchmesser, Pat?“

„Leicht variierend. Auf jeden Fall unter zweihundert Meter.“

„Genauer wäre …“, warf Takagawa ein. „Über einhundertzwanzig Meter.“

Mir war klar, was er damit sagen wollte. Das Ding im Weltraum war groß genug, um unser Schiff durchschlüpfen zu lassen. Mich überfiel die groteske Vorstellung, es könne plötzlich über uns herfallen und uns gewissermaßen verschlingen. Klakk hatte mich angesteckt.

Die Promet flog mit minimaler Geschwindigkeit. Wir näherten uns der Erscheinung in spitzem Winkel. Ohne die Vergrößerung in einem Holo hätten wir sie optisch nicht einmal wahrgenommen. Ich zerbrach mir den Kopf darüber, weshalb sie mir auf unterschwellige Weise vertraut vorkam.

„Drehe ein paar Runden, Anake“, forderte ich meinen Navigator auf. „Manchmal hilft ein anderer Blickwinkel.“

Der Japaner griff auf die Kontrollen zu, und wenig später begann das Objekt aus der Erfassung zu driften. Die Aufnahmesysteme fokussierten es gleich wieder in den Mittelpunkt der Darstellung. Eine optische Änderung erfuhr es dabei nicht. Als wir auf der anderen Seite des Spiegels waren, bestätigte sich, dass kein Blick hindurch möglich war. Die dahinter liegenden Sterne waren unserer Sicht entzogen.

„Ich bekomme jetzt schwache Energieimpulse herein“, verkündete der Major.

„Gehen sie von dem Objekt aus, Pat?“

„Zweifellos“, enttäuschte er meine vage Hoffnung, doch auf ein steuerndes Element gestoßen zu sein, das uns bisher entgangen war. „Intensität steigt an.“

„Kannst du die Art der Emissionen bestimmen? Waffen? Antrieb? Was auch immer?“

„Negativ. Impulse steigen jetzt weiter an. Das Ding lädt sich irgendwie auf.“

Ich rutschte in meinem Kommandantensitz nervös zur Seite. „Anake, Distanz vergrößern!“

„Ja, Shalyn. Was …?“ Anakes Finger flogen über die Eingabeelemente. „Ich bekomme keinen Zugriff mehr auf die Steuersysteme.“

„Seht euch das an!“, keifte Lukas Hagens Stimme durch die Zentrale.

Der Weltraum entflammte. Die düstere Erscheinung geriet in Wallung wie eine Wasseroberfläche, die durch einen Stein in Aufruhr versetzt worden war. Ein unheilvolles Glimmen setzte an den Rändern ein. Ungläubig starrte ich das Phänomen an, das an Intensität und Farbe zunahm. Das gesamte Objekt war von einem rötlichen Glühen umgeben.

Ein Rotwulst! Plötzlich konnte ich die Erscheinung im Weltraum einordnen. Ich hatte sie in der Tat in der Vergangenheit gesehen, nur nicht so groß.

„Ein Chronoskop!“, stieß ich aus. „Anake, bring uns hier weg.“

„Nichts zu machen. Die Distanz verringert sich sogar. Wir werden angezogen.“

Wortlos griff Cy ein und versuchte sein Glück. Er schüttelte den Kopf. Sein kahler Schädel glänzte im Licht der Beleuchtung.

„KSS hoch!“, rief ich.

„Ist oben.“

Die Anzeigen bestätigten den Aufbau des Kombischutzschirms. Der Energieschirm suuranischer Herkunft war in der Lage, Gravostöße bis 1000 G kurzfristig zu blockieren. Meine Hoffnung, dass er gegen die Kraft wirkte, die uns anzog, erfüllte sich nicht. Ich las von den Instrumenten ab, dass unsere Geschwindigkeit zunahm, obwohl Takagawa weiter versuchte, dem entgegenzuwirken. Unwillkürlich lauschte ich auf eine Stimme in meinem Kopf. Ich hatte es erlebt, dass ein Chronoskop zu mir gesprochen hatte, damals in Katai, auf Shari, der Welt der Shar Shariik. Doch jetzt schwieg das geheimnisvolle Artefakt.

„Wir kommen diesem verdammten Ding immer näher“, klagte Hagen. „Unternimm endlich etwas, Anake.“

„Du hast leicht reden. Da bewegt sich nichts. Uns bleiben nur noch ein paar Sekunden.“

„Vorschläge, KIP“, verlangte ich von unserem Bordgehirn.

„Da uns die Kraft, die uns anzieht, unbekannt ist, und wir mit dem Antrieb nichts dagegen ausrichten können, sehe ich keine brauchbaren Alternativen“, bedauerte die Künstliche Intelligenz. „Einzige Option ist der Ausstieg mit den N-Booten.“

„Unsinn!“, mischte sich Cy ein. „Wenn wir es mit der Promet nicht schaffen, gelingt es uns mit den Beibooten erst recht nicht, uns aus dem Einflussbereich des Chronoskops zu befreien.“

„Dem stimme ich zu“, tönte KIP. „Doch das Ausschleusen war die einzige Option, die ich anzubieten hatte. Da sie keine Erfolgsaussichten verspricht, empfehle ich, das Einzige zu tun, was in dieser Situation bleibt.“

„Und das wäre?“, wollte Pat wissen.

„Die Ruhe bewahren und abwarten, was geschieht.“

Ich richtete mich im Kommandantensessel auf. KIPs Worte klangen für mich wie ein Todesurteil.

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Kurz zuvor.

Sämtliche Anzeigen lieferten Normalwerte, als Anake Takagawa die Transition einleitete. Die Promet sprang bei drei Viertel der Lichtgeschwindigkeit.

Die Promet V, konkretisierte ich gedanklich. Bis auf ein paar Verbesserungen in der Technik war sie weitgehend baugleich mit der Promet IV. Der tropfenförmige Charakter war beim Bau gewahrt worden, ebenso die Abmessungen des Vorgängerschiffs. Den 120 Metern Gesamtlänge stand ein Maximaldurchmesser von 40 Metern gegenüber. Die blau schimmernde Schiffshülle bestand aus jener quantenstabilisierten Marsonstahl-Legierung, deren extreme Widerstandsfähigkeit sich schon früher bewährt hatte. Die Promet war mit den drei obligatorischen Antriebssystemen ausgerüstet, dem Borul-Triebwerk für Transitionen über maximal dreihundert Lichtjahre Distanz, den sechs schwenkbaren, schubstarken deGorm-Turbo-Triebwerken für den Unterlichtflug und dem Antigrav-Impuls-Antrieb für Einsätze in der Atmosphäre eines Planeten. Der Antigrav war vor dem Jungfernflug ausführlich erprobt worden, die deGorms nicht minder. Nun waren wir unterwegs, um die abschließenden Tests mit dem Sprungantrieb durchzuführen. Mehrere Gedanken schossen mir gleichzeitig durch den Kopf. Die Transition über ein Dutzend Lichtjahre ging noch schneller vonstatten. Als ich aufsah, lag der Sprung bereits hinter uns.

„Zielpunkt erreicht“, meldete mein aus Mega-Tokio stammender Astronavigator. Der hagere Abenteurer mit dem wüst vernarbten Gesicht trug die langen pechschwarzen Haare wie gewohnt zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. „Keinerlei Abweichungen. Die Promet schnurrt wie ein zufriedenes Kätzchen.“

„Besser könnte es nicht laufen“, frohlockte Lukas Hagen. „Unser neues Gefährt stellt die Promet IV in den Schatten.“

„Es gibt kaum technische Unterschiede“, widersprach Cy. „Deine Euphorie gleicht der eines kleinen Kindes, dem man ein neues Spielzeug in die Hand gegeben hat.“

Der Astrospezialist Professor Hagen, von uns Prof genannt, war das äußerliche Gegenteil von Takagawa. Nur 1,60 Meter groß, dick, mit Doppelkinn und schütterem, aschblondem Haar. Immer noch zu oft stopfte er Süßigkeiten oder andere Dickmacher in sich hinein.

„Dir fehlt jeglicher Humor, um meinen Spaß nachvollziehen zu können“, entgegnete Hagen.

„Das sagt der Mann, der sich im Kreis seiner emotionslosen Roboter am wohlsten fühlt“, konterte der Cyborg.

„Wer von uns hat denn den Gleichmut mit Löffeln gefressen?“ Hagen sah sich Beifall heischend in der Zentrale um.

Vanessa Modesta, unsere Bordärztin und Exobiologin, und der Quogore Sir Klakkarakk verfolgten den Disput, ohne sich einzumischen. Patrick O‘Healy starrte so fokussiert auf die Anzeigen seiner Ortungseinrichtungen, als bekäme er von dem Gespräch nichts mit. Ich grinste still in mich hinein, als Lukas zu einem weiteren Protest ansetzte, den Cy mit einer gelangweilten Kopfbewegung quittierte. Beide – wir alle, um genau zu sein – genossen den Testflug mit der Promet. Die Probleme auf der Erde, so gewaltig sie auch waren, rückten von Tag zu Tag mehr in den Hintergrund. Was interessierte mich in diesem Augenblick Zizzi Moses, die Tochter des Pfauen? Die Menschen in den Grauzonen bedauerte ich jedoch nach wie vor, doch ich war froh, diesen Chaosplaneten für den Moment einmal vergessen zu dürfen. Nur Monja fehlte mir natürlich, doch da musste ich durch. Ohne es zu wollen hatte ich einem tiefen Seufzer die Freiheit geben. Unsere augenblickliche Aufgabe war es, die uneingeschränkte Funktionstüchtigkeit der neuen Promet zu gewährleisten. Und fertig!

„Ich registriere einen weißen Zwergstern in drei Lichtjahren Entfernung“, meldete O‘Healy. „Er besitzt einen Planeten außerhalb der Lebenszone.“

„Ist das alles, was du zu unserem Thema beizutragen hast?“, brummte Hagen.

Der Major hob gleichgültig die Schultern. Der ehemalige Offizier der Space Police machte optisch einen martialischen Eindruck, war aber die Sanftmut in Person, solange man ihn nicht reizte. Mit seiner bulligen, muskulösen Gestalt, dem schneeweiß gefärbten Bürstenhaarschnitt, dem ebenso gefärbten Schnauzbart und der Boxernase wirkte er in seinem Sessel wie ein unerschütterlicher Fels in der Brandung.

„Du hast den Dekametro eingesetzt?“

O‘Healy nickte kurz. Bis heute wussten wir nicht, wie der Dekametro arbeitete. Binnen Sekunden erfasste das rätselhafte Aggregat sämtliche Werte einer bis zu dreihundert Lichtjahre entfernten Sonne und ermittelte auf diese Entfernung sogar die Anzahl der vorhandenen Planeten. Unzutreffende Angaben hatte es meines Wissens noch nie gegeben. Hoch qualifizierte Spezialisten bissen sich an dem Messgerät erfolglos die Zähne aus. Der Dekametro behielt sein technisches Geheimnis für sich. Egal, er funktionierte.

„Sehen wir uns den Burschen aus der Nähe an“, schlug Takagawa vor.

„Dazu sind wir nicht hier“, warf der Prof ein. „Ein weißer Zwerg mit einem toten Planeten ist wenig reizvoll. Etwas Langweiligeres kann ich mir kaum vorstellen.“

„Lasst euch von mir gesagt sein, dass es mit Planeten wie mit Frauen ist“, rief Anake gut gelaunt. „Gerade die Unscheinbaren halten so manche Überraschung bereit. Oft eröffnet sich ihre wahre Schönheit erst auf den zweiten Blick.“

Vanessa warf unserem Navigator einen müden Blick zu. „Haben dich deine Jahre als Weltenbummler durch die Galaxis diese Weisheit gelehrt?“

„Die und meine umfassenden Kenntnisse von Frauen. Deshalb ...“

Klakk begann mit seinen Beinen unvermittelt zu musizieren, und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Manchmal benahmen sich alle wie in einem Kindergarten. Der Quogore ähnelte einer zwei Meter zwanzig großen Heuschrecke mit rötlichgoldenem Chitinpanzer und faustgroßen schwarzen Facettenaugen. Er verfügte über jeweils zwei Bein- und zwei Armpaare, die in sechsfingerigen Klauenhänden endeten. Klakk besaß enorme Kraft und konnte bis zu fünfzehn Meter weit springen. Seine martialischen Waffen, die sogar in der Promet meistens in Griffweite lagen, waren Morgenstern, Schwert und Axt, allesamt aus stahlhartem, rötlichem Chitin gefertigt. Er hielt sich bereits für einen echten Terraner. Man durfte ihn gerne den edlen Ritter von Quog nennen.

„Wir wissen jetzt, dass sämtliche Systeme einwandfrei arbeiten“, fasste ich zusammen, was wir in den vergangenen zwei Tagen herausgefunden hatten. „Die Promet ist uneingeschränkt einsatzbereit. Wir unternehmen einen letzten kurzen Sprung, hin zum System des Weißen Zwergs. Allerdings sehen wir uns weder den Stern noch den Planeten genauer an. Nach einer kurzen Orientierungsphase machen wir uns auf den Rückweg zur Erde.“

Takagawa nickte. „Ich setze Kurs und beschleunige.“

„Sprung wie gehabt bei Dreiviertel Licht“, ordnete ich an.

„Geht klar.“

In Flugrichtung glitzerte ein winziges Pünktchen vor der Schwärze des Alls. Es war der unkatalogisierte Weiße Zwerg. Meine Gedanken eilten bereits weiter zur Erde. Ich verspürte wenig Lust, ins Solsystem zu fliegen. Dort sah ich mich wieder mit den Intrigen und Ränken der verschiedenen Machtgruppierungen konfrontiert. Die Gaianer in Verbindung mit Thomas Ciavelli, der sich als zweihundertjähriger Nazi-Verbrecher entpuppt hatte. Für mich war das ein Schock, der noch immer sehr tief saß. Ich brauchte Abstand von den Vorgängen, denen ich mich auf Terra natürlich nicht entziehen konnte. Meiner Besatzung ging es nicht anders als mir, verrieten mir meine empathischen Sinne. Leider hatte ich keinen Grund, unseren Aufenthalt im Weltraum zu verlängern. Zwei Tage waren für die Testflüge angesetzt. Das hatte Amos Carter so festgelegt. Nur bei Problemen war es mir freigestellt, unseren Ausflug um eine unbestimmte Zeitspanne zu verlängern.

„Ich registriere eine Anomalie“, riss mich der Major aus meinen Grübeleien.

Ich horchte auf. „Welcher Art, Pat?“

„Seht es euch selbst an.“ O‘Healy schaltete ein Holo. Im Raum zeichnete sich ein düsterer schwarzer Spiegel ab, der im Nichts zu schweben schien.

Da beginnen die Probleme, nach denen du dich soeben gesehnt hast, wisperte eine Stimme in mir.

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„Kontakt ... jetzt!“ Anake Takagawas Ruf gellte durch die Kommandozentrale.

Ein Stoß ging durch die Promet und pflanzte sich in meinem Körper fort. Die Schwärze, in die wir gezogen wurden, sog mich auf wie ein mächtiger, gieriger Atemzug. Sie wurde ersetzt durch bunte Farben und grelles Licht. Wurde ich in meinen Sitz gedrückt, oder sank ich darin zusammen? Bevor ich die Überlegung zu Ende brachte, vergingen die auf mich einstürzenden Eindrücke bereits wieder.

„Kommandantin, wie geht es dir?“ Dank seiner außergewöhnlichen Konstitution als Maschinenmensch hatte Cy seine Überraschung als Erster überwunden. Er schaute besorgt in meine Richtung.

„Alles in Ordnung.“ Ein beiläufiger Blick auf das Bordchrono zeigte mir, dass keine messbare Zeitspanne vergangen war. „Wo sind wir?“

Die Darstellungen in den Holos beantworteten meine Frage. Um das Schiff herum erstreckte sich ein wabernder Mahlstrom, den es im gewohnten Raum-Zeit-Kontinuum nicht gab. Wir befanden uns im Parakon, ohne eine Transition eingeleitet zu haben.

Cy und der Major begannen mit dem Durchführen von Messungen. Auch ich studierte die Anzeigen. Wie war es möglich, dass wir im Hyperraum verweilten? Ein Sprung durch das übergeordnete Kontinuum geschah in annähernder Nullzeit. Nach dem Transport über die zuvor festgelegte Strecke fiel ein Schiff automatisch in den Normalraum zurück. Offenbar hatte uns das Chronoskop an diesen Ort gebracht und sorgte mit unbekannten Mechanismen dafür, dass wir hier blieben.

„Wir fliegen mit der Geschwindigkeit, mit der wir uns bewegten, bevor das Chronoskop uns erwischte“, drängte sich Anakes Stimme in meine Überlegungen.

„Fahrt auf null reduzieren“, befahl ich, und musste mich sofort korrigieren. In einem Holo zeichnete sich ein unregelmäßig geformter, kleiner Fleck ab. „Nein, warte. Da ist etwas.“

„Was soll da sein?“ O‘Healy schielte zu der Darstellung. „Im Parakon existiert nichts.“

Ich schaltete eine Vergrößerung. Der scheinbare Fleck sprang mir entgegen und offenbarte die Umrisse einer Raumstation. Doch nicht dieses Objekt war es, das mich in den Bann schlug.

„Das sind Raumschiffe!“ Takagawas Stimme klang krächzend. „Es müssen Tausende sein. Nein, Zehntausende.“

„Energetische Aktivität?“, fragte ich atemlos.

„Negativ.“ Pats Finger flogen über ein breites Tastfeld. „Keinerlei Emissionen. Die Schiffe sind inaktiv. Das gilt jedoch nicht für die Station. Aus ihr empfange ich zahlreiche Impulse.“

„Kurs halten, Anake. Wir sehen uns das aus der Nähe an.“

Anakes dunkle Augen blitzten. „Am liebsten würde ich in die andere Richtung fliegen.“ Er grinste. „Das Dumme ist nur, dass wir nie irgendwo ankommen würden.“

„Wir könnten beschleunigen, eine Transition einleiten und versuchen, das Parakon mit einem Sprung wieder zu verlassen“, schlug der Prof vor.

„Ich bezweifle den Erfolg eines Sprungversuchs“, sagte Cy. „Für eine Transition brauchen wir die Koordinaten des Eintauchpunktes in den Hyperraum und des Wiedereintrittspunktes in den Normalraum. Dafür fehlen uns die nötigen Koordinaten.“

Ich verspürte eine undefinierbare Aufregung in mir. „Eine künstliche Einrichtung im Hyperraum? Die lassen wir uns nicht entgehen. Wo bleibt eure Abenteuerlust? Besonders deine, Anake? Wollt ihr nicht wissen, wer diese Station gebaut hat? Offenbar steht er in direkter Verbindung zu den Chronoskopen, über die wir nun schon zum zweiten Mal stolpern. Ich will wissen, was es mit ihnen auf sich hat.“

„Du kennst mich, Shalyn. Einem Abenteuer bin ich nie abgeneigt.“ Der Mann aus Mega-Tokio fuhr mit dem Zeigefinger die Narben in seinem Gesicht nach. „Darf ich dich aber auf eine Gefahr aufmerksam machen?“

„Bitte.“

„Das sieht nach einem Raumschiffsfriedhof aus. Möglicherweise wurden all diese Schiffe gegen den Willen ihrer Besatzungen hierher transportiert. So wie wir jetzt ...“

„Das muss sehr viel Zeit in Anspruch genommen haben“, zweifelte O‘Healy.

„Warum nicht? Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte oder noch länger. Offensichtlich ist jedenfalls, dass sich kein einziges dieser Schiffe mehr bewegt. Anscheinend sind sie ohne Energie. Sie sind offensichtlich im Hyperraum gestrandet.“

„Das wirft zwangsläufig die Frage auf, was aus den Besatzungen geworden ist. Was sagen unsere Biosensoren? Gibt es Lebensformen in der Station?“

O‘Healy hob unschlüssig die Schultern. „Ich registriere nur schwache Lebenszeichen. Wie von kleinen Tieren. Oder von Wesen, die physisch weitgehend inaktiv sind.“

Takagawa hielt den Kurs, und wir ermittelten weitere Daten. Anake stieß die Luft aus. „Was für ein Koloss. Die Erbauer dürften sich auf einem hohen technischen Stand befinden.“

Der Anblick des Raumgiganten war beeindruckend. Die weitgehend unregelmäßig geformte Station war über zwölf Kilometer lang und mit zahlreichen Aufbauten und antennenähnlichen Auswüchsen übersät, über deren Zweck wir nur spekulieren konnten. Sie durchmaß gut drei Kilometer.

Während wir uns ihr näherten, zweifelte Cy Anakes Theorie an. „Keines dieser Schiffe ist auf dem gleichen Weg wie wir hierher gelangt. Ich bin sicher, sie wurden in der Station gefertigt. Es sind alles dieselben Modelle.“

„Pat, versuche die Station anzupeilen. Vielleicht erhalten wir eine Antwort.“

Während O‘Healy seine Möglichkeiten probierte, begutachtete ich die Flotte. Den Schiffstyp hatte ich nie zuvor gesehen. Es handelte sich um schlanke, torpedoförmige Modelle von etwa zwanzig Meter Länge.

„Die Kisten sind wenig beeindruckend“, meinte Anake. Dabei wusste er so gut wie wir anderen, dass Größe nur wenig über Effizienz und mögliche Schlagkraft eines Raumfahrzeugs aussagte. „An der Oberfläche der Station gibt es ausgedehnte Landefelder. Dort sind weitere Schiffe geparkt.“

„Das sieht nach einer Armada aus, die nur auf den Startbefehl wartet.“

„Keine Reaktion auf unsere Anrufe, Pat?“

„Negativ. Entweder hört uns niemand, oder man ignoriert uns.“

„Inzwischen klar nachweisbare Lebenszeichen?“

„Negativ.“

„Wir drehen eine Runde, Anake.“

Inzwischen ragte die Station wie ein riesiges stählernes Gebirge vor der Promet auf. Die Antennen wuchsen hunderte Meter in den Raum hinaus. Ich glaubte nicht, dass es sich bei ihnen um Waffensysteme handelte. Ein Verteidigungskampf im Parakon war eine aberwitzige Idee. Ganz ausschließen wollte ich sie trotzdem nicht.

Die Oberfläche der Station lag in Dunkel gehüllt. Nichts deutete drauf hin, dass sie bemannt war. Es gab keine Beleuchtung, keine Positionslichter. Eine Reaktion auf unsere Annäherung erfolgte ebenfalls nicht. Nach einer halben Stunde entdeckte Cy eine Öffnung, die ins Innere der Station führte.

„Knapp zweihundert Meter im Durchmesser, so wie das Chronoskop, dessen Einladung wir gefolgt sind. Wenn ihr mich fragt, sind die Schiffe auf diesem Weg an die Oberfläche gekommen. Werfen wir einen Blick hinein?“

„Einverstanden. Bekommst du das hin, Anake?“

Takagawa grinste. „Was denkst du denn? Aber es geht nur rein und später wieder raus. Großartige Manöver sind nicht drin. Es kommt hoffentlich niemand auf die Idee, über uns herzufallen, wenn wir in dem Loch stecken.“

Ein Restrisiko bestand durchaus, aber ich hielt es für vertretbar. Die Armada stellte eine nicht bezifferbare Überlegenheit dar. Hätte es jemanden gegeben, der darauf aus war, uns zu vernichten, hätte er das längst getan. Vielleicht, so spekulierte ich, handelte es sich bei der Station um die Hinterlassenschaft eines verschwundenen Volkes, die nur darauf wartete, dass jemand kam und sie in Besitz nahm. Das Machtpotenzial, das sie darstellte, ließ sich nicht im Ansatz abschätzen. Es war gewaltig.

Takagawa steuerte die Promet in die Öffnung, in der die Sicht keine fünfzig Meter betrug. Das änderte sich schlagartig, als Lichter aufflammten. In regelmäßigen Abständen ringsum angebracht, offenbarten Leuchtplatten einen kreisrunden Schacht. Der Grund war nicht zu sehen. Dafür erkannte ich Ebenen, teils rings um den Schacht führend, teils in der Höhe versetzt und unübersichtliche Strukturen bildend.

„Entweder ist man auf uns aufmerksam geworden, oder die Beleuchtung ist automatisch angesprungen“, sagte Pat und hantierte unablässig an der Bedienung seiner Ortungseinrichtungen, ohne dabei die Com-Anlage zu vernachlässigen.

Ich riss die Augen auf, als ein Wispern meinen Verstand berührte, begleitet von einem jähen Blitz. Für einen Sekundenbruchteil gewahrte ich eine Halle, einen kuppelförmigen Dom, endlose Reihen sargähnlicher Gebilde. In dem Pagodendom regte sich etwas. Alles ging ineinander über, zu schnell und zu chaotisch, als dass ich den Schlaglichtern eine Bedeutung zuordnen konnte.

„Was hast du, Shalyn?“ Cy entging keine meiner Regungen. „Hast du einen Geist gesehen?“

Ich lauschte in mich hinein. Das Wispern war verstummt. „Ich glaube, ich hatte soeben Kontakt zu etwas, das in dieser Station lebt.“

„Zu etwas?“

„Oder zu jemandem.“ Ich war unschlüssig. „Habt ihr nichts gehört? Oder ein Bild in eurem Kopf empfangen?“

„Nein!“, kam es im Chor.

„Anake, Geschwindigkeit verringern. Bereite dich darauf vor, in einer der Ebenen zu landen.“

„Hoch genug sind sie. Viel mehr als der leere Randbereich ist aber nicht zu sehen. Wir brauchen Scheinwerfer, um die Dunkelheit zu durchdringen.“

„Wer sagt dir, dass sich nicht auch dort automatisch eine Beleuchtung aktiviert?“

„Na gut.“ Der Navigator drosselte die Geschwindigkeit.

„Energetische Aktivität.“ Der Major schaltete ein neues Holo. „Der Schacht verschließt sich über uns. Wir sitzen in der Falle.“

Anake fuhr herum. Sein Pferdeschwanz hüpfte. „Umkehren?“

„Den Weg nach draußen müssten wir uns mühsam freischießen“, lehnte ich ab und zwang mich, die Ruhe zu bewahren. Bisher waren wir keiner Bedrohung ausgesetzt. Auch beim Verschließen des Schotts konnte es sich um einen automatischen Vorgang handeln, für den es eine simple Erklärung gab. Ich hatte eine Eingebung, was als nächstes geschehen würde. „Pat, wird der Schacht mit Luft geflutet?“

O‘Healy kontrollierte seine Instrumente. „Tatsächlich. Das gibt es doch nicht. Du hast recht, Shalyn. Die Zusammensetzung ist für uns atembar. Keine schädlichen Beimengungen. Theoretisch könnten wir aussteigen. Woher wusstest du das?“

„Nur so eine Ahnung.“ Oder steckte mehr dahinter? Ich dachte an den Blitz in meinem Kopf und konzentrierte mich noch einmal auf die undeutliche Vision, doch sie wiederholte sich nicht. Dennoch war ich sicher, Kontakt gehabt zu haben. Unser Eindringen musste etwas bewirkt haben. Wir hatten nicht nur eine Automatik ausgelöst, die vielleicht seit Ewigkeiten nicht mehr tätig gewesen war, sondern etwas völlig Unbekanntes aufgeweckt.

„Druckverhältnisse bei 1,04 Gravos, fast wie auf der guten alten Erde“, meldete der Major. „Das sieht direkt nach einer Einladung aus.“

Dann geschah es wieder. Stakkatoartige Bilder huschten durch meinen Geist, erratische Eindrücke, insgesamt kaum länger als eine Sekunde. Zu schnell, um sie zu verarbeiten. Sie hinterließen nur das flüchtige Abbild einer beeindruckenden humanoiden Erscheinung. Es war so vage, dass ich die Gestalt nicht hätte beschreiben können. „Position halten, Anake.“

Er reagierte sofort. Die Promet sank nicht tiefer. Sie schwebte vor einem Einschnitt in der stählernen Wand. Das Deck war an die dreißig Meter hoch und erstreckte sich beidseitig zu einem Dreiviertelkreis.

Ich schloss die Augen und lauschte. Da war nichts. In meinem Verstand herrschte Stille. Dennoch war ich sicher. „Hier sind wir richtig.“

„Richtig?“ Cy musterte mich finster, beinahe vorwurfsvoll.

„Ich sagte es eben schon. Ich hatte einen kurzen Kontakt zu etwas.“ Ich rang nach Worten, um ihm klarzumachen, was mir widerfuhr. Es wollte mir nicht gelingen.

„Was immer es ist, hat es deine Gegenwart ebenfalls registriert, Shalyn?“, fragte Vanessa.

„Nein.“

„Bist du sicher, Kommandantin?“ Die Eindringlichkeit der Frage zeigte mir, wie sehr Cy sich um unsere Sicherheit sorgte.

„Ja, das bin ich.“

„Soll ich in die Ebene einfliegen?“, fragte Anake.

Ich nickte ihm zu. „Wir landen!“ Dann bemerkte ich Cys starren Blick. Er ließ nicht gern Unklarheiten auf sich beruhen, wenn es um das Schicksal des Schiffes oder der Besatzung ging. Leider konnte ich ihm in diesem Moment nicht mit Auskünften dienen. Er schien das zu erkennen, denn er presste die Lippen aufeinander, wodurch sein asketisches Gesicht noch etwas kantiger wirkte als sonst. Er blieb stumm, doch lange würde er sich mit dem Zustand der Unwissenheit nicht zufrieden geben, egal ob ich seine Kommandantin war oder nicht.

„Ich schalte um auf Gravopuls“, kündigte mein Navigator an.

„Mitten hinein in die Höhle des Löwen“, brummte der Prof. „Eben befanden wir uns noch auf einem ruhigen, gemütlichen Testflug, und schon stecken wir wieder mitten in der ...“

Die Promet setzte sich wieder in Bewegung und flog mit geringer Geschwindigkeit in das schwarze Maul hinein. Der Schacht blieb hinter uns zurück. Meine Anspannung wuchs, bis sich vor uns die Lichtverhältnisse änderten. Es wurde beinahe taghell. Die Lichtquellen waren nicht zu erkennen.

O‘Healy arrangierte die Holos, um eine lückenlose optische Rundumüberwachung zu gewährleisten. „Die Station reagiert tatsächlich auf uns. Sie dürfte ziemlich alt sein, aber die automatischen Einrichtungen arbeiten fehlerfrei.“

„Abwarten“, meinte Cy. „Selbst die simpelste Automatik kann einen Lichtschalter betätigen.“

Anake setzte zur Landung an. „Antigrav-Kissen ist aufgebaut. Wir sind unten.“ Er schaltete den Antigrav-Impuls-Antrieb ab.

Ich erhob mich von meinem Platz. „Ich sehe mich draußen um. Da wir nicht wissen, was uns erwartet, haltet ihr permanente Startbereitschaft aufrecht. Pat, die Umgebung nicht aus den Augen lassen. Solltest du etwas ermitteln, melde dich sofort über Com.“

„Ich begleite dich, Kommandantin.“ Cy sprang von seinem Sitz auf.

Seine Forderung duldete keinen Widerspruch, ich hatte ohnehin vorgehabt, ihn mitzunehmen. Einen besseren Begleiter als den Cyborg mit seinen kybernetischen Systemen konnte ich mir in dieser Situation nicht wünschen. „Vanessa, Anake, ihr kommt ebenfalls mit.“

„Was ist mit mir, edle Shalyn?“, bot sich der Quogore an.

„Du, mein treuer Freund, bleibst als stille Eingreiftruppe in der Hinterhand“, entschied ich.

Wir griffen nach unserer Ausrüstung und verließen die Zentrale.

2.

Mit dem Erwachen aus einem langen, traumlosen Schlaf kehrten die Erinnerungen zurück. Sie brauchten sich nicht den Weg an die Oberfläche zu bahnen. Sie waren schlagartig da, kaum dass die Systeme ihn aus der Ruhephase in den Wachzustand versetzt hatten. Charlo wusste, wer er war und wo er war. Er war sich seiner Lage und seiner Bedeutung bewusst. Er erinnerte sich an Gran, Ursul und Poifer, an Phron, an Jarden und Taron. Und an die anderen Heerführer, die seit Urzeiten auf ihre Bestimmung warteten. Er dachte an Jedrul, der ins Weltall aufgebrochen war, um Streitkräfte zur Unterstützung seiner eigenen Scharen zu sammeln.

Jedrul! Ruckartig richtete Charlo sich auf. Das Stasisfeld, das ihn hielt, beförderte ihn in eine vertikale Position. Er spürte einen kurzen Stich, begleitet vom Zischen einer Hochdruckinjektion. Auf seinen Metabolismus abgestimmte Chemikalien durchströmten ihn und erweckten sämtliche Körperfunktionen binnen Sekunden zu voller Leistungsfähigkeit. Er empfand ein sanftes Kribbeln, das gleich wieder verging, nachdem ihn Strahlenschauer abgetastet und gereinigt hatten.

„Bereit“, sagte er.

Das Feld setzte ihn auf dem Boden ab und erlosch. Er hatte Jahrhunderte geschlafen, Jahrtausende, und die hatten seinem Körper nicht mehr angehabt als ein einziger Tag. Er setzte einen Fuß vor den anderen. Es gelang so mühelos, als habe er nie geruht.

„Hier ist deine Kleidung, Herr.“

Charlo richtete seine Aufmerksamkeit auf den zwei Meter großen, kegelförmigen Roboter. Sechs Handlungsarme waren um den nach oben zulaufenden Korpus der Maschine angeordnet, die auf einem der Fortbewegung dienenden Prallfeld ruhte. Jeder Arm reichte Jedruls Vertrautem ein Kleidungsstück. Die gebauschte Hose und das Hemd, das sich schmeichelnd um seinen Oberkörper legte. Die ärmellose Weste, die weichen, bequemen Stiefel und die Neurokappe, die sich seiner Schädelform anpasste. Zuletzt den breiten Gürtel mit den diversen Intarsien und Ausrüstungsgegenständen. Charlo prüfte jedes Stück gewissenhaft, bevor er es anlegte.

„Ich danke dir, Habbalin.“

Der Roboter schwieg. Er besaß keine Gefühle. Dank bedeutete ihm nichts. Er folgte seiner Programmierung, die er vor langer Zeit erhalten hatte. Charlo hatte ihn dennoch stets wie ein denkendes, fühlendes Wesen behandelt.

„Wie lange habe ich geschlafen?“

Der Kegelroboter nannte eine Zahl, die sein Herr regungslos zur Kenntnis nahm. Ein Jahr oder tausend Jahre machten keinen Unterschied. Zumindest für ihn nicht. Auch wenn die tatsächlich verstrichene Zeitspanne noch viel größer sein sollte, so war es unbedeutend. Alles war auf den Tag ausgerichtet, an dem ihrer aller Anführer zurückkehrte, um seine Scharen in den Krieg zu führen.

„Hat Jedrul Funkkontakt hergestellt?“

„Nein.“

Das war merkwürdig. „Er befindet sich im Inneren der Arche?“

„Er ist mit einem Schiff unbekannter Bauart eingetroffen.“

Das war weniger verwunderlich. Nach den Jahrtausenden seiner Suche war nicht davon auszugehen, dass Jedrul mit dem gleichen Schiff zurückkehrte, mit dem er aufgebrochen war. Sehr viel konnte in dieser langen Zeit geschehen sein, wovon Charlo sich keine Vorstellung machen konnte. Jedrul würde ihn später ausführlich unterrichten. Doch etwas anderes machte Charlo stutzig. „Du sprachst von einem Schiff. Hat eine Flotte im Normalraum vor dem Tor Warteposition bezogen?“

„Nein. Es sind keine weiteren Schiffe angekommen.“

Die Aussage verwirrte Charlo. Jedrul war einst aufgebrochen, um eine kampfstarke Flotte zu sammeln, mit der er seine Feinde vernichten wollte. Ein Zweifel begann in Jedruls Vertrautem zu nagen. War es möglich, dass jemand anderes als Jedrul den Weg in die Arche gefunden hatte? Meldete er sich deshalb nicht? „Du hast Herrn Jedrul weder gesehen noch Funkkontakt mit ihm gehabt. Wie kannst du sicher sein, dass er es ist, der sich an Bord aufhält?“

Der Kegel schwebte regungslos auf seinem Prallfeld. „Ich verstehe den Sinn deiner Frage nicht, Herr. Er hat die Impulse zum Öffnen des Tores gesendet. Wer sonst sollte an diesen Ort gelangen?“

Charlo antwortete nicht. Seine Frage war töricht gewesen. Niemand außer Jedrul und seinen Heerführern war in der Lage, durch das Tor an den Ort im Hyperraum zu gelangen, wo die Arche verankert war. Dazu waren Impulse auf einer Frequenz nötig, die sonst nirgendwo im Universum Verwendung fand. Jedrul hatte zweifellos gute Gründe für sein Verhalten. „Du hast nicht versucht, von dir aus Funkkontakt herzustellen?“

„Nein, Herr. Eine solche Vorgehensweise übersteigt meine Kompetenzen. Es ist mir nicht gestattet, den hohen Herrn Jedrul aus eigenem Antrieb zu belästigen.“

„Gut. Aber die erforderlichen Vorbereitungen wurden getroffen?“

„Ja, Herr. Die Einrichtungen haben den Schleusenbereich geflutet.“

„Begleite mich, Habbalin. Ich möchte mir in der Kommandoeinheit einen Überblick über den Stand der Dinge verschaffen.“ Charlo setzte sich in Bewegung. Unterwegs beobachtete er den Roboter unauffällig. Habbalin zeigte keinerlei Abnutzungserscheinungen. Die Jahrtausende, in denen er allein in der Arche aktiv gewesen war, waren spurlos an ihm vorübergegangen. Er war für enorme Zeiträume gebaut worden und nahezu unverwüstlich. Für Jedruls Gefolgschaft galt das nicht. Ihre Aktionskörper mussten schon vor langer Zeit zerfallen sein. Das war der Nachteil an biologischen Einheiten. Die Dauer ihrer Existenz bewegte sich in einem zeitlich eng begrenzten Rahmen.

„Die Geister ruhen in den Stasekammern?“

„Ja“, bestätigte der Kegel. „Es gab keine Verluste. Die neuen Aktionskörper sind herangereift und warten darauf, von ihren Wirten in Besitz genommen zu werden.“

Obwohl Charlo keine andere Antwort erwartet hatte, freuten ihn die Worte. Er hatte seine Aufgabe erfüllt. Gleichgültig, ob Jedrul mit einer Armee oder allein zurückkehrte, ihn erwarteten neue Schiffe und eine streitbare Macht, um sie zu bemannen.

„Darf ich eine Frage stellen, Herr?“

Charlo wunderte sich. Neugier gehörte nicht zu den programmierten Eigenschaften des Roboters. „Stelle sie, Habbalin.“

„Dein Aktionskörper hat die Jahrtausende in einem Stasisfeld überstanden, ohne zu altern oder Schaden zu nehmen.“

„Weil es mit einem temporalen Feld gekoppelt war. Genau wie die Lebensanker der Heerführer, die als Chronoskope in weit auseinander liegenden Orten des Weltalls deponiert wurden, damit der Gegner sie nicht findet. Selbst die Arche wäre als Versteck zu riskant gewesen. Es wäre leichtsinnig gewesen, Trins Findigkeit zu unterschätzen. Das war aber keine Frage, Habbalin.“

„Warum wurden nicht sämtliche Aktionskörper in Stasefelder wie das deine gesteckt? Dann wären sie heute alle wohlauf, und es hätten keine neuen Körper produziert werden müssen.“

„Solche Felder sind nur mit enormem Aufwand zu generieren. Tausende Aktionskörper herzustellen ist einfacher als ein einziges auf temporaler Basis arbeitendes Feld. Die Kammern der Geister sind nicht mit einer temporalen Komponente ausgestattet, weil die Geister unsterblich sind. So sind Bewusstseinsinhalte nun einmal beschaffen, jedenfalls die unseres Volkes.“

„Ja“, sagte der Roboter nur.

Sie erreichten die Kommandoeinheit, und Charlo war froh, dass Habbalins Wissbegier befriedigt war. Die Anordnung der Einrichtung war unverändert. Charlo hatte das Gefühl, er habe diesen Raum erst gestern betreten. „Die Aktivierung des Tores wurde aufgezeichnet?“

„Ja, Herr. Soll ich die Aufzeichnung abspielen?“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783957194619
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Star Voyager Space Opera Titan Sternenabenteuer Science-Fiction

Autor

  • Achim Mehnert (Autor:in)

Achim Mehnert (1961-2018) wurde in Köln geboren. Seiner Heimatstadt ist der bekennende Lokalpatriot stets treu geblieben. Nach Kindergarten, Schule und Abitur folgte eine Ausbildung zum Industriekaufmann.
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Titel: Raumschiff Promet - Die Abenteuer der Shalyn Shan 01: Tod eines Cyborgs