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Raumschiff Promet - Die Abenteuer der Shalyn Shan 03: Welt in Flammen

von Achim Mehnert (Autor:in)
115 Seiten

Zusammenfassung

Die Besatzung der PROMET V wurde auseinandergerissen. Während Peet Orell um sein Leben kämpft und dabei auf Geheimnisse eines untergegangenen Volkes stößt, geraten Jörn Callaghan und Szer Ekka in die Wirren eines planetaren Krieges. Nicht genug damit, droht Terra eine erneute Invasion. Achtung: Die Print-Ausgabe unserer Shalyn Shan-Reihe ist nur noch exklusiv in unserem Shop erhältlich. Die Printausgabe des Buches umfasst 160 Seiten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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© 2015 by BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-95719-463-3

VORGESCHICHTE

 

Anfang August 2108. Die Suuk II landet auf Bankor. An Bord befinden sich Peet Orell, Vivien Raid, die Moraner Arn und Junici Borul, Shalyn Shans Ehemann Jörn Callaghan sowie dreiunddreißig weitere Terraner. Alle folgen einem mysteriösen Gedankenbefehl, der sie zu einem Transmittertor führt. Die so genannte Bankor-Gruppe folgt dem Ruf der Agaren und geht durch den Transmitter. Danach läuft alles aus dem Ruder. Alle Terraner werden auf den Planeten Draster verschlagen und in die Auseinandersetzungen zwischen Lidan und Walida verwickelt.

Jörn Callaghan und Szer Ekka werden von den Clantho-Priestern dem Orakel von Chron, deren Heiligtum, geopfert. Man stößt sie in das Relikt hinein, in dem sie aufgelöst werden. Tatsächlich handelt es sich bei dem Orakel um ein Chronoskop, eines jener geheimnisvollen Artefakte, denen Shalyn Shan schon früher begegnet ist.

Irk, der Sucher aus Zeit und Raum, ist mit seinem zylinderförmigen Raumschiff Zeiter seit langer Zeit auf der Jagd nach den Chronoskopen. Wo immer er sie in der Galaxis findet, zerstört er sie, so auch auf Draster. Dabei begegnen sich Irk und Peet Orell. Irk, der Einsamkeit überdrüssig, entführt Orell, um einen Gesprächspartner zu haben. Der Terraner wird von Draster verschleppt, ohne den Kameraden einen Hinweis auf seinen Verbleib hinterlassen zu können.

Callaghan und Ekka werden auf einer ihnen fremden Welt von einem weiteren Chronoskop ausgespuckt. Der Nachthimmel ist sternenlos. Dies kann nicht das normale Universum sein. Sie erfahren, dass die hoch entwickelten Bewohner des Planeten, Kalar genannt, ihn für die einzige Welt halten. Nur der Philosoph Denfuch propagiert die These, dass es dort draußen ein Weltall voller Sonnen und Planeten geben müsse. Er ist im Besitz der einzigen hypercomtauglichen Anlage. Es gelingt ihnen, Comkontakt zu dem Voldok-Ra O’piin L’uu herzustellen. Ihnen wird klar, dass sie auf einer von der AVATARA gebannten Welt hinter einem Parakon-Schleier der Alatiden gestrandet sind. Von hier ist keine Flucht möglich. O’piin L’uu verspricht, die Erde über ihren Aufenthaltsort zu informieren. Die Kalaren halten sich die Helferlein, eine Armee von willfährigen Arbeitssklaven, die alle niederen Tätigkeiten verrichten.

Der Zeiter fliegt einen Raumbereich an, wo Irk und die Recheneinheit Trin ein weiteres Chronoskop vermuten. Orell kennt diese Region des Weltraums. Es handelt sich um den Katai-Sektor, in dem die Völkergemeinschaft AVATARA beheimatet ist.

Shalyn Shan und ihre Besatzung unternehmen mit der neuen Promet V einen Testflug. Dabei aktivieren sie durch den Einsatz des Dekametro ungewollt ein im interstellaren Leerraum platziertes Chronoskop, das als Tor in einen bestimmten Bereich des Parakons dient. Dort befindet sich eine gigantische Raumstation, die Arche. Bei der Erkundung begegnen sie dem Humanoiden Charlo, der mit seinem Roboter Habbalin auf die Rückkehr seines Herrn Jedrul wartet. Shalyn Shan entdeckt eine Flotte halborganischer Raumschiffe, kleine, wendige und kampfstarke Einmannjäger, sowie Aufzuchtanlagen für eine Klon-Armee. Charlo, der die Besatzung der Promet für Verbündete von Jedruls Erzfeind Trin hält, greift das Schiff an. Der hoffnungslos unterlegenen Promet gelingt die Flucht, doch der schwer verletzte Cy stürzt in einen Abgrund und kann nicht mehr gerettet werden.

Auf Kalar erheben sich die Helferlein gegen ihre Unterdrücker. Sie verschleppen Callaghan, Ekka und Denfuch und strömen aus den unterirdischen Fabrikanlagen an die Planetenoberfläche.

Shalyn Shan erhält die Botschaft und macht sich mit der Promet unverzüglich auf den Weg nach Katai, um nach ihrem Mann zu suchen, der mit der Bankor-Gruppe vor gut einem Jahr verschollen ist. Sie ahnt nicht, dass für Callaghan und seine Begleiter hingegen nur zwei Wochen verstrichen sind.

Der schwer verletzte Cy wird in der Arche von einem der halbbiologischen Schiffe gerettet. Der Jäger nimmt ihn in sich auf und akzeptiert ihn als seinen persönlichen Piloten. Cy wird von Charlo und Habbalin gehetzt, doch es gelingt ihm, in Freiheit zu bleiben. Er stößt auf die Geister, künstlich am Leben gehaltene Bewusstseine verstorbener Wesen. Sie erzählen ihm die Geschichte des Bruderkriegs zwischen Oldonen und Pris, der zugleich ein Krieg zwischen Jedrul und Trin ist. In dessen Verlauf entwickelt Trin ein Virus, das er gegen die Oldonen einsetzt, um sie gefügig zu machen. Doch er begeht einen schrecklichen Fehler, durch den das Volk der Oldonen nahezu ausstirbt.

Der Zeiter stößt durch den Parakon-Schleier nach Kalar vor, wo eine planetenweite Rebellion der Helferlein begonnen hat. Irk zerstört das Chronoskop, und Orell entdeckt eine Spur seiner auf Kalar gestrandeten Freunde. Es versucht Irk gegen den Widerstand von Trin davon zu überzeugen, nach Callaghan und Ekka zu suchen.

1.

 

In den Straßen der Hauptstadt türmten sich die Leichenberge. Überall lagen grässlich anzuschauende Tote, die kaum noch als Oldonen zu identifizieren waren. Verkrümmte Gestalten mit verrenkten Gliedern und aufgeplatzten Gesichtern, unkenntlich vom schwarzen Blut, welches das Ende gebracht hatte.

Klink war dankbar für den Wind, der durch die Straßen zog und den bestialischen Gestank vertrieb. Der junge Oldone streifte auf der Suche nach anderen Überlebenden umher. Es musste sie geben. Es war unvorstellbar, dass er das von den Pris freigesetzte Virus als Einziger überlebt hatte. Die Vorstellung, allein auf einer entvölkerten Welt Olderon zu wandeln, ließ ihn schwindeln. All die Millionen von Toten, ja, Milliarden, sie gingen über seinen Verstand. Und auf Pris wurde in diesen Tagen vermutlich der Sieg über Olderon gefeiert, über den Planeten, von dem die Kolonisten stammten.

Seit zwei Tagen schon war Klink auf keinen Überlebenden gestoßen, trotzdem gab er die Hoffnung nicht auf. Lebensmittel fand er zur Genüge, auch das Trinkwasser war nicht verdorben. Es bestand also keine Gefahr, dass er verhungerte oder verdurstete. Seine Annahme, dass das tödliche Virus durch die Luft übertragen wurde, hatte sich bestätigt. Warum es ihn nicht ebenfalls dahinraffte, dafür fand er keine Erklärung. Vielleicht war er immun dagegen, oder es gab einen anderen Grund, den er sich nicht vorstellen konnte.

Nach einer Weile war er des Fußmarsches überdrüssig. Klink suchte nach einem Gleiter, in dem keine Leiche saß. Er stieg ein und aktivierte den Antrieb. Bald flog er in hundert Meter Höhe über den Straßenschluchten dahin. Es hatte zahlreiche Verkehrsunfälle gegeben, wenn der Tod plötzlich über die Piloten hergefallen und ihnen keine Zeit für die Landung geblieben war. Klink hatte es bei seiner Gefährtin Linta erlebt. Sie war innerhalb von Sekunden verstorben. In anderen Fällen schien sich der Todeskampf über Stunden hinzuziehen.

Er verscheuchte den Gedanken. Die Erinnerung an seine geliebte Linta war zu schmerzhaft, der Verlust noch zu frisch, um sich damit zu beschäftigen.

Seine Suche aus der Luft blieb so erfolglos wie die am Boden. Nirgendwo waren Oldonen unterwegs. Die einzigen Lebewesen, die er entdeckte, waren ausgerissene Haustiere und Vögel, die auf den Dächern und Balustraden hockten. Den Tieren setzte das Virus nicht zu. Das bewies, dass die Pris es so gestaltet hatten, dass es ausschließlich die Oldonen befiel. Klink verstand nicht viel von Genetik und Biochemie, doch eins war ihm klar: Oldonen und Pris gehörten demselben Volk an. Die Kolonisten waren ebenso anfällig für den biologischen Kampfstoff wie diejenigen, denen sie es beschert hatten.

Verrecken sollt ihr, fluchte Klink stumm in sich hinein. Ihm war klar, dass es sich um einen frommen Wunsch handelte. Die Pris lebten weiter, nachdem sie die Oldonen so gut wie ausgerottet hatten.

Klinks Hoffnung sank weiter. Anscheinend war die gesamte Stadt zu einer Leichenhalle geworden. In diesen Breiten gab es keine wildlebenden Raubtiere, sonst würden sie schon bald einfallen und sich an den Leichen gütlich tun.

Er änderte den Kurs und flog auf das Stadtzentrum zu. Ihn ärgerte, dass ihm nicht früher eingefallen war, wohin sich Überlebende vermutlich wenden würden: Zum Ratsgebäude. Eigentlich hätte er dort mit seiner Suche beginnen müssen, statt ziellos vorzugehen. Er schrieb das Versäumnis seiner Verwirrung und seiner persönlichen Tragik zu. Er landete unmittelbar vor dem Eingang der Halle. Für Fahrzeuge hatte es hier eine Bannmeile gegeben, doch es war niemand mehr da, der ihn wegen seines Verstoßes zurechtweisen konnte. Dabei hätte er jetzt sonst was dafür gegeben.

Klink stieg aus dem Gleiter und sah sich um. Auch hier lagen Leichen. Er bezweifelte, dass es auch nur einen Ort auf Olderon gab, an dem es anders aussah. Der Eingang öffnete sich bereitwillig vor ihm. Bei dem zischenden Geräusch zuckte Klink unwillkürlich zusammen. Er schalt sich einen Dummkopf. Wie würde er erst reagieren, wenn er plötzlich eine Stimme vernahm? Zum ersten Mal drängte sich ihm nicht nur das Schreckliche der Situation auf, sondern auch das Unheimliche.

Er durchsuchte das Ratsgebäude, ohne auf einen lebenden Oldonen zu stoßen. Im großen Versammlungssaal fand er eine Leiche, die vor einem Schreibtisch zusammengesunken war. Der Oberkörper und der Kopf ruhten auf der Tischplatte. Obwohl das Gesicht des Mannes nicht mehr zu identifizieren war, war Klink sicher, den Ratsvorsitzenden gefunden zu haben. Offenbar hatte Fring bis zuletzt an seinem Arbeitsplatz ausgeharrt. Er musste ein Gespräch geführt haben, als ihn das Schicksal ereilt hatte. Die Anlage war noch eingeschaltet, genau wie der Computer.

„Hallo“, sagte Klink. Seine Stimme kam ihm hohl und übermäßig laut vor. „Hört mich jemand? Ist da jemand? Bitte melden.“

Wie erwartet, erhielt er keine Antwort. Er untersuchte den aktivierten Rechner und stieß auf eine erst am Vortag angelegte Datei. Da hatte Fring also noch gelebt. Klink fand Aufzeichnungen in Tagebuchform. Sie beleuchteten, was zuletzt geschehen war. Teile der oldonischen Flotte waren verschont geblieben. Heerführer Jedrul hatte einen verwegenen Plan ersonnen. Dieser drehte sich um eine verborgene Station, in der Klone herangezüchtet wurden, in die die Geister der Raumfahrer eines Tages schlüpfen sollten, und um geheimnisvolle Geräte. Mit diesen so genannten Chronoskopen oder Lebensankern konnte Klink nicht viel anfangen. Umso mehr berührte ihn die Mitteilung, dass der Heerführer am Leben war und mit ihm tausende Raumsoldaten. Die Tatsache hatte etwas Tröstliches, besonders, da Jedrul entschlossen war, die Pris für ihr Verbrechen büßen zu lassen.

Klink fügte der Datei einen Anhang hinzu. Er kündigte an, die Hauptstadt verlassen zu wollen und sich anderenorts auf Olderon auf die Suche nach Überlebenden zu begeben.

„Wahrscheinlich wird diese Datei niemals gefunden werden“, seufzte er. „Von wem denn auch?“ Aber man kann ja nie wissen. Er schaltete die Com aus und verließ den Ratssaal.

 

*

 

Das Wispern in seinem Kopf verstummte, die Stimmen verwehten. Olderon und Klink zerstoben in einem Gewitter aus schemenhaften Bruchstücken. An die Stelle der Ereignisse traten andere Bilder. Lichteffekte und durch den Raum ziehende Nebelschwaden, unwirkliche Abbildungen von Gestalten, die gar nicht da waren. Oder waren sie es doch? Schimärengleiche Fratzen trieben durch den Dunst, beseelt von einem undefinierbaren Eigenleben.

Es dauerte eine Weile, bis Cy sich seiner eigenen Identität erinnerte. Er war in der Arche und bis in diesen Raum vorgestoßen. Er hatte die Geschichte der Oldonen miterlebt. Er hatte sie durch fremde Geister erfahren. Es waren die Geister der Oldonen, die, von temporalen Komponenten am Leben gehalten, darauf warteten, in neue Aktionskörper zu schlüpfen.

Was für ein Abgrund aus Zeit hinter ihm lag! Cy empfand ihn als Eiswind, der ihn gestreift und durch die Epochen getragen hatte. Es fiel ihm schwer, sich einzugestehen, dass er lediglich einen Bericht erhalten hatte. Alles war so real gewesen. Es schien ihm, als sei er bei den damaligen Ereignissen zugegen gewesen und habe alles persönlich miterlebt. Den Aufbruch der Oldonen ins Weltall und die Kolonisierung von Pris. Den Bruderkrieg zwischen den beiden Welten und den Untergang der Oldonen, ausgelöst durch einen biologischen Kampfstoff der Pris, durch ein Virus, das die Bevölkerung Olderons dahingerafft hatte.

Sein Verstand schüttelte die Verwirrung ab, die ihm die Sinne vernebelte. Der Cyborg fand endgültig in die Wirklichkeit zurück. Er wusste jetzt, wie die Station im Hyperraum entstanden war und welchem Zweck sie diente. Auf einmal ergab alles einen Sinn. Die gezüchteten Klonkörper, die aus organischem Gewebe bestehenden Jäger und die Kammern, in denen die Geister der Oldonen aufbewahrt wurden, um dereinst wieder in den Krieg gegen die Pris zu ziehen. Ehrfurcht stieg in Cy auf. Die Stimmen der vergeistigten Oldonen hatten zu ihm gesprochen. Sie hatten ihre Geschichte bewahrt und warteten seit Urzeiten auf ihren Einsatz. Doch die Arche hatte den ihr zugedachten Zweck nie erfüllen können, denn der Heerführer Jedrul war nicht von seiner Expedition zurückgekehrt.

„Könnt ihr mich verstehen?“ Cy drehte sich um sich selbst und beobachtete die Lichterscheinungen. Augen starrten ihn an. Halbstofflich gewordene Sinne beobachteten ihn und schätzten ihn ein. „Ich bin kein Pris. Ich bin nicht als Feind in die Arche gekommen.“

Es erfolgte keine Reaktion. Nichts veränderte sich. Die Umgebung blieb so geheimnisvoll wie bei seinem Eindringen. Der Jäger, mit dem er hergekommen war, stand nur wenige Meter entfernt. Durch die vorangegangene Verbindung hatte er eine besondere Affinität zu dem Cyborg entwickelt. Er wartete geduldig darauf, wieder von seinem Piloten in Besitz genommen zu werden.

„Wenn ihr mich versteht, gebt mir ein Zeichen“, drängte Cy. Charlo und sein Roboter Habbalin waren auf der Suche nach ihm. Sie betrachteten ihn als Gegner und ließen nicht mit sich reden. Charlo hatte die Promet von Anfang an als feindliches Raumschiff eingestuft, dessen Besatzung mit destruktiven Absichten hergekommen war.

Die Überlegungen des Cyborgs beschäftigten sich mit den Chronoskopen. Auf Shari, der Welt der Shar Shariik in Katai, war die Besatzung der Promet erstmals mit einem solchen Artefakt in Kontakt gekommen. Damals hatte es Shalyn Shan eine Vision gesandt. Man hatte aber keine Vorstellung davon gehabt, wobei es sich bei diesen Chronoskopen handelte. Cy wusste es nun. Es waren Transportsysteme und Lebensanker, in denen die Geistesinhalte der Kommandanten von Jedruls Flotte überlebten. Oder hatten überleben sollen. Ob der Plan aufgegangen war, blieb Cy verborgen. Auf Shari hatte sich Shalyn keiner dieser vergeistigten Oldonen offenbart. Zumindest hatte sie nichts davon mitbekommen.

Vergeblich wartete Cy auf eine Antwort der Geister. Weshalb meldeten sie sich nicht, nachdem sie ihn an ihrer Geschichte hatten teilhaben lassen? Er durfte nicht länger warten. Charlo konnte jeden Moment eintreffen und ihn angreifen. Doch wohin sollte sich Cy wenden? Eine Flucht war ausgeschlossen. Mit dem Jäger konnte er zwar aus der Station hinausfliegen, doch ein Entkommen aus dem Hyperraum blieb ihm verwehrt. Er kannte die Impulskette nicht, mit der sich der Übergang zwischen Parakon und Normalraum öffnen ließ. Es war ein unglaublicher Zufall, dass sie mit jenen Impulsen übereinstimmte, die der Dekametro der Promet emittierte. Nur durch dessen Einsatz war die Promet durch Zufall überhaupt zu der Arche vorgestoßen. Cy gewahrte Bewegungen inmitten der Bewegungen. Charlo und Habbalin hatten ihn gefunden.

2.

 

„Soweit hätte es nicht kommen dürfen“, sagte Vlog. „Wir haben uns des Völkermordes schuldig gemacht.“

In der unterirdischen Forschungseinrichtung der Pris herrschte gedämpfte Stimmung. Mehr noch, die Wissenschaftler fühlten sich wie nach dem Weltuntergang. Zumindest was die Oldonen anging, hatte die Bezeichnung ihre Berechtigung. Trins Kollegen fielen in eine tiefe Depression. Auch Chilks Sohn spürte einen dunklen Schatten auf seiner Seele. Nicht genug damit, dass Chilk sich für die Pris geopfert hatte, war es zu einer beispiellosen Katastrophe gekommen.

„Es war ein Unfall, den keiner von uns jemals beabsichtigte“, stellte Trin fest.

„Ein Unfall? Unsere Berechnungen waren fehlerhaft. Wir haben grob fahrlässig gehandelt.“ Pukka saß wie ein Häufchen Elend am Konferenztisch.

Trin ließ den Blick über die Reihen seiner Kollegen wandern. Sie zerflossen vor Bedauern. Wäre es möglich gewesen, hätten sie ihre Forschungen rückgängig gemacht. Zwar fühlte auch Trin Betroffenheit, doch sie hielt sich in Grenzen. Letzten Endes, sagte er sich, waren die Oldonen für ihr Schicksal allein verantwortlich. Er horchte in sich hinein, um zu ergründen, ob er sich zur Beruhigung seines Gewissens nur etwas vormachte. Er kam zu dem Schluss, den Tod seines Vaters ungleich stärker zu betrauern als das Ende von Milliarden Oldonen. Er machte die Unterdrücker sogar für Chilks Tod verantwortlich.

„Wir müssen den Überlebenden unsere Hilfe anbieten“, verlangte Layden.

„Richtig“, stimmte Vlog dem Kollegen zu. „Der Rat soll Kontakt aufnehmen.“

Sie redeten wild durcheinander und ließen dabei die Realität außer Acht. Trin hörte schweigend zu. Die vorgebrachten Forderungen entbehrten jeder Grundlage. Nach einer Weile hielt er es für nötig, einzuschreiten.

„Ihr solltest erst nachdenken, bevor ihr redet“, ging er seine Kollegen scharf an. „Der Rat versucht seit Tagen, Olderon zu erreichen. Es ist niemand mehr da, der antworten kann. Die einzigen Überlebenden befinden sich an Bord der oldonischen Flotte. Und die hat das Colden-System laut den Aussagen unserer Aufklärer verlassen. Sie sind verschwunden. Es gibt keine Hinweise darauf, welche Pläne ihr Flottenkommandant Jedrul verfolgt.“

„Dass Olderon nicht antwortet, bedeutet nicht zwangsläufig den Tod aller Oldonen.“ Layden blieb stur. „Es kann andere Gründe für ihr Schweigen geben. Du sprachst eben von unseren Aufklärern. Warum fliegt keiner von ihnen nach Olderon, um uns Informationen aus erster Hand zu besorgen?“

„Weil die Piloten panische Angst vor dem Virus haben. Sie fürchten, sich anzustecken, wenn sie nur in die Nähe des Planeten kommen.“

„Unsinnigerweise. In einem Aufklärer droht ihnen keine Gefahr.“

Trin konnte Pukka nicht widersprechen. Hinzu kam, dass auch er wissen wollte, woran sie waren. Hatte das Virus die Oldonen wirklich ausgerottet, oder handelte es sich um einen perfiden Trick? Er traute den Bewohnern der Heimatwelt jede Hinterhältigkeit zu. Er wusste nicht, was in ihn gefahren war, als er sich zu einem Entschluss durchrang.

„Ich fliege ins Colden-System und schaue mich dort um.“

„Allein?“, fragte Vlog.

„Du kannst mich gern begleiten. Das gilt für jeden von euch.“

Keiner seiner Kollegen erklärte sich dazu bereit. Dass sie die Bedenkenlosigkeit einer solchen Mission kundtaten, verleitete sie noch lange nicht dazu, sich der angeblich nicht vorhandenen Gefahr auszusetzen. Trin verachtete sie für ihre Feigheit. Sie besaßen weder Wert noch Anstand, ganz im Gegensatz zu Chilk. An seines Vaters Stelle hätte einer von ihnen gehen sollen. „Hat es euch die Sprache verschlagen?“, wandte er sich an die Versammelten.

„Willst du in einen Hinterhalt fliegen?“, konterte Layden. „Was ist, wenn ein Kriegsschiff der Oldonen auf dich lauert? Dagegen hast du keine Chance.“

„Ich sagte es eben. Jedrul hat das Colden-System mit den verbliebenen Schiffen verlassen.“

„Und wenn doch eins zurückgeblieben ist?“

„Das sind Ausflüchte.“ Trin brachte seine Verachtung zum Ausdruck. Im Grunde war es ihm sogar lieber, bei seiner selbst auferlegten Mission keinen dieser Feiglinge an seiner Seite zu haben. Sie beschmutzten das Ansehen seines Vaters, wenn sie den Planeten betraten, auf dem Chilk sein Leben für ihrer aller Freiheit gegeben hatte.

„Während deiner Abwesenheit suchen wir nach einem Gegenmittel.“ Vlog überging den Vorwurf. „Wir werden es brauchen, falls du auf überlebende Oldonen stößt.“

Das werde ich nicht. Trin behielt seine Überzeugung für sich. Noch in derselben Stunde kontaktierte er den Rat. Sein Status als Befreier der Pris sorgte dafür, dass er die Starterlaubnis ohne Rückfragen erhielt.

 

*

 

Als er sich dem Colden-System näherte, erwachten Zweifel in Trin. Wenn Layden Recht hatte, flog er in eine Falle. Doch für eine Umkehr war es zu spät. Wenn ein oldonisches Kriegsschiff in der Nähe war, war keine Flucht mehr möglich. Bis zum Erreichen von Olderon begann er sich zu entspannen, da die Ortungseinrichtungen keine Schiffe registrierten. Er war allein.

Er empfing keine Signale von der Oberfläche. Es fand keinerlei Kommunikation statt. Trin sah das als Beweis dafür, dass es keine Überlebenden gab. Die erste Planetenumkreisung bestätigte es. Er empfing keine Radiosignale, beobachtete keinen Flugverkehr. Nichts deutete auf Aktivitäten von Oldonen hin. In den Städten verrotteten die Leichen in den Straßen, wie die Ausschnittvergrößerungen auf den Schirmen zeigten.

Nach der zweiten Umkreisung steuerte er die Hauptstadt an. Er fand den Regierungssitz des planetaren Rates auf Anhieb. Trin legte einen Schutzanzug an. Vor dem Aussteigen aktivierte er das Sicherheitssystem der Schleuse, um das Eindringen schädlicher Stoffe zu verhindern. Schon vor dem Eingang zum Ratsgebäude stieß er auf die ersten Toten. Er betrachtete sie mit dem analytischen Verstand eines Wissenschaftlers. Die wispernde Stimme, die ihm eine Mitschuld an ihrem Tod gab, verdrängte er. Er staunte, wie leicht es ihm fiel. Nicht verdrängen konnte er jedoch die grenzenlose Einsamkeit, die ihn ereilte, als ihm die allgegenwärtige Stille auffiel. Nicht einmal der Wind pfiff, als sei er gemeinsam mit den Oldonen gestorben.

Im Ratsgebäude fand er nur verwesende Leichen. Der Tod hatte reiche Ernte gehalten. Immer wieder schärfte sich Trin ein, dass nur die Oldonen selbst die Schuld an ihrem Schicksal trugen. Im Saal entdeckte er einen Toten an einem Arbeitstisch. Die Leiche befand sich in einem weit fortgeschrittenen Stadium des Zerfalls. Wahrscheinlich hatte es sich um einen der Ratsherren gehandelt, der bis zuletzt ausgeharrt hatte.

„Ich habe erfahren, was ich wissen will“, murmelte der Wissenschaftler.

Da er die Bestätigung erhalten hatte, hätte er umkehren und fortfliegen können, doch die Neugier hielt ihn zurück. Auf der Suche nach weiteren Informationen aktivierte er den Computer und untersuchte die Dateien. Was er fand, elektrisierte ihn. Der oldonische Heerführer Jedrul hatte für die Überlebenden seiner Flotte einen Rückzugsplan ersonnen. Vielmehr handelte es sich um einen Langzeitplan, dessen Grundlagen er mit Hilfe eines Wissenschaftlers namens Grist auf den Weg gebracht hatte. Trin kam nicht umhin, den beiden Oldonen Respekt zu zollen. Das änderte jedoch nichts an seiner Verachtung.

Angestrengt suchte er nach weiteren Daten. Wenn es ihm gelang, die Koordinaten der Hyperraumstation sicherzustellen, konnte er Jedrul zuvorkommen. Doch der Heerführer war vorsichtig gewesen. Er hatte keine erhellenden Informationen hinterlassen. Trin fand weder heraus, wo die Arche stationiert, noch, wie es möglich war, sie vom Standarduniversum aus zu erreichen. Sie lag in einer unbekannten Region des Weltalls, zudem verborgen und gut geschützt im Parakon. Die Kommandanten seiner Raumschiffe hingegen hatte Jedrul an andere Orte geschickt. Das war taktisch klug. Es schloss die Gefahr aus, dass sie auf einen Schlag vernichtet wurden.

Das theoretische Konzept der Chronoskope war Trin nicht fremd. Es hatte bereits früher Überlegungen in diese Richtung gegeben, ohne dass die Umsetzung jemals in Angriff genommen worden war. Grist hatte es getan, und offenbar erfolgreich. Was ein Vorteil für die geflohenen Oldonen war, war zugleich aber auch ein Nachteil. Gelang es, einen der Lebensanker zu finden, war er einem Angreifer schutzlos ausgeliefert.

Ich werde die Chronoskope suchen, gelobte Trin. Ich werde sie suchen, finden und zerstören.

Jedrul und die Seinen mochten für ihre Rache an den Pris alle Zeit des Universums gewonnen haben. Trin gedachte diesen Vorteil jedoch auszugleichen. Es kam darauf an, dass es ihm ebenfalls gelang, die Zeit zu überlisten. Die Entwicklung der Chronoskope lieferte ein paar brauchbare Hinweise, die er sich zu Eigen zu machen gedachte. Doch damit war es nicht getan. Im Gegensatz zu Jedrul hatte er nicht vor, bis in alle Ewigkeit abzuwarten. Trin wollte gegen die Überlebenden aktiv vorgehen. Das setzte zusätzlich zur Überwindung seines Todes eine ständige Mobilität voraus.

Er sicherte die Dateien in ein mobiles Gerät und zerstörte anschließend den Rechner. Danach begab er sich zu seinem Schiff und trat den Rückflug nach Pris an.

 

*

 

Trin verließ das kleine Schiff erst, nachdem er sich einer eingehenden Dekontamination unterzogen hatte. Seine Kollegen erwarteten ihn recht frostig. Die Mitschuld, die sie ihm am Ende der Oldonen gaben, hatte einen Keil zwischen sie und ihn getrieben. Nun, da er mit der Bestätigung des Genozids nach Hause kam, vergrößerte sich der Graben zwischen ihnen noch weiter. Es war Trin gleichgültig. Wenn überhaupt, trugen sie keine geringere Schuld als er. Sie hatten keinen Grund, sich erhaben über ihn zu fühlen, und dennoch taten sie es. Sie ließen ihn spüren, dass sie nur noch mit ihm zusammenarbeiteten, weil die Pflicht es gebot. Viel lieber jedoch hätten sie sich von ihm getrennt.

„Wenn euch meine Gegenwart missfällt, steht es euch frei, diese Einrichtung zu verlassen“, bot er ihnen an.

„Ich verstehe nicht, was du meinst.“ Pukka tat arglos. „Wir alle sind froh, dass du wohlbehalten von Olderon heimgekehrt bist.“

Vlog versicherte sogar, dass sie auf seine Mitarbeit dringend angewiesen seien. Was für Heuchler sie doch waren. Natürlich waren alle ihre Bemühungen ohne seine Mithilfe zum Scheitern verurteilt, doch ihre Worte waren Lippenbekenntnisse. Trins Verachtung wuchs. Allein ihr Bemühen, jetzt noch ein Gegenmittel gegen das Virus zu finden, entbehrte jeglicher Logik. Die Oldonen waren tot, und diejenigen von ihnen, denen die Flucht gelungen war, hatten den Tod ebenfalls verdient. Ohne Jedrul und seine Bande von Unterdrückern wäre Chilk noch am Leben.

Ich werde sie es nie vergessen lassen, Vater, schwor Trin stumm. Ich werde ihnen niemals verzeihen, dass sie dich gezwungen haben, diesen Opfergang anzutreten. Eines Tages werde ich auch den letzten von ihnen finden und vernichten. Erst dann wird es vorbei sein.

„Du hast nicht herausgefunden, wohin Jedrul sich gewandt hat?“, wollte Layden wissen.

„Nein. Er hat keinen Hinweis darauf hinterlassen. Ich vermute, er war sich bei seinem Aufbruch selbst nicht schlüssig über sein Ziel.“

„Und die anderen, seine Kommandanten? Glaubst du, wir können die Lebensanker ausfindig machen?“

Trin dachte nach. „Ja, davon bin ich überzeugt. Den Daten zufolge emittieren sie unverwechselbare temporale Impulse.“

„Wer weiß, in welchem Teil der Galaxis Jedrul die Chronoskope versteckt hat“, ließ Vlog seiner Skepsis freien Lauf. „Bestimmt nicht vor unserer Haustür.“

„Ich habe nicht behauptet, dass es leicht sein wird, sie zu finden. Dennoch wird es mir gelingen“, brauste Trin auf.

„Dir?“

„Uns.“ Auch wenn ihr daran zweifelt, ihr Dummköpfe.

„Wenn es soweit ist, sollten wir davon absehen, sie zu zerstören“, schlug Layden vor. „Nehmen wir Kontakt auf. Versuchen wir uns friedlich zu verständigen. Nach dem, was geschehen ist, schulden wir es den Oldonen.“

Sie schuldeten den Unterdrückern gar nichts. Trin hatte eine harsche Erwiderung parat. Eine Nachricht kam ihm zuvor. Der Ratsvorsitzende meldete sich. Seine Stimme stockte, als er den Wissenschaftlern eine Botschaft übermittelte. „In Pris-Kar wurde soeben ein Todesfall bekannt. Die Symptome sind uns bekannt. Es ist das Virus.“

 

*

 

Die Wucht der Informationen verwirrte Peet Orell. Er sah sich im Zeiter um, dem zehn Meter langen Kleinstraumschiff, in dem der Sucher Irk ihn vom Planeten Draster entführt hatte. Er lauschte auf eine Bemerkung Trins, doch das Bordgehirn schwieg. War die Recheneinheit identisch mit dem Pris-Wissenschaftler Trin?

„Warum erzählst du nicht weiter?“, fragte Orell.

Irk starrte ihn aus seinem einzigen mächtigen Auge an, das den haarlosen, kugelförmigen Kopf dominierte. Seine puterrote Haut wirkte lederartig und war von Pocken übersät. Der anderthalb Meter große Humanoide stand regungslos vor der Konsole mit den Leuchtflächen. Seine dreifach unterteilten Arme hingen untätig an dem massiven Rumpf herunter, der von zwei kurzen, säulenartigen Beinen getragen wurde. Nur die Greifklauen, in denen seine Hände endeten, öffneten und schlossen sich unablässig. Orell hatte keine Ahnung, was die Geste zu bedeuten hatte. Bisher war es ihm kaum gelungen, die Gestik des Suchers zu entschlüsseln, von dessen Mimik ganz zu schweigen. „Ich hatte den Eindruck, dass du eine Pause benötigst.“ Da lag der Sucher nicht falsch.

Peet Orell verarbeitete, was er soeben erfahren hatte. „Warst du es, der das tödliche Virus geschaffen hat?“, rief er nach dem Bordgehirn.

Trin schwieg weiter.

„Deine Schlussfolgerung ist zutreffend“, antwortete Irk an Stelle der Recheneinheit.

„Trin ist also nicht nur ein Computer. Er lebt.“

„Auch das ist richtig.“

„Das hättest du Orell nicht verraten dürfen“, meldete sich das Bordgehirn. Seine Stimme drang wie immer aus allen Richtungen zugleich. Ihr Ausgangsort ließ sich nicht lokalisieren.

„Ich sagte dir bereits, dass ich diese Entscheidung treffe“, verteidigte sich Irk.

„Das ist falsch, und das weißt du.“

Der Sucher antwortete nicht. Orell fragte sich, was in ihm vorging. Trin war der führende Wissenschaftler auf Pris gewesen, Irk hingegen war in dem Bericht nicht einmal erwähnt worden. Er war kein Pris, soviel stand fest. Wie passte er in den historischen Kontext? Wer war er? Orell erinnerte sich an Irks letzte Bemerkung.

„Du deutetest an, dass das Virus nach Trins Rückkehr von Olderon auch auf Pris ausbrach. Habe ich das richtig verstanden?“

„Möchtest du darauf antworten?“, fragte Irk. Beim Sprechen bewegte sich seine zwischen Hautlappen verborgene Kauleiste. Dass Orell ihn verstand, war einer in seinen Körper integrierten Übersetzungseinheit zu verdanken, die Interstar beherrschte.

„Nein“, schnarrte Trin.

„Dann antworte ich.“

„Nein. Du hast schon viel zu viel enthüllt. Orell ist ein Fremder. Vielleicht ein Feind, jedenfalls kein Freund.“

„Bin ich genauso ein Feind, wie es die Oldonen waren, bevor du sie umbrachtest?“ Der terranische Raumfahrer, dem man mit seinen strohblonden, halblangen Haaren das Aussehen eines Wikingers nachsagte, wählte seine Worte mit Absicht provokativ. Er merkte, dass Trin kurz davor war, sich aus der Reserve locken zu lassen.

„Du bist nicht unser Feind“, stellte Irk klar.

Ganz offensichtlich sah Trin das anders.

Orell wiederholte seine Frage. „Wurde das Virus auch auf Pris aktiv?“

„Ja“, gab das Bordgehirn zu. „Zufrieden?“

„Nein. Ich sehe weiterhin Bruchstücke, denen wichtige Informationen fehlen.“

„Es genügt jetzt. Du hast bereits mehr erfahren, als du wissen darfst“, protestierte Trin. „Du wirst keine weiteren Informationen erhalten.“

Irk überging den Wunsch der Recheneinheit. Er setzte seinen Bericht an der Stelle fort, wo er ihn zuvor unterbrochen hatte.

 

*

 

In der Kolonialwelt war geschehen, was sich zuvor auf Olderon ereignet hatte. Das von den Wissenschaftlern entwickelte Virus hatte Millionen Pris getötet und den Planeten entvölkert. Allem Anschein nach waren nur Trin und seine Kollegen in der unterirdischen Forschungseinrichtung verschont geblieben.

Trin rannte schreiend durch die Labors und Korridore. Er war nahe daran, den Verstand zu verlieren. Die Vorwürfe von Pukka, Layden, Vlog und den Dutzenden anderen verhinderten, dass er wahnsinnig wurde. Sie warfen ihm vor, die Schuld am Untergang ihres Volkes zu tragen. Nicht durch die Entwicklung des Virus, sondern durch seinen Flug nach Olderon. Sie waren sicher, dass er das Virus von dort mitgebracht hatte. Trin hielt das für unmöglich. Sonst wären auch er und seine Kollegen betroffen gewesen. Es musste eine andere Erklärung geben, aber keiner von ihnen war in der Lage, sie zu ergründen. Doch die anhaltenden Vorwürfe verwandelten Trins beginnenden Irrsinn in Hass. Sie hatten sich schon lange gegen ihn verschworen, und nun ließen sie es ihn spüren. Wahrscheinlich gingen sie davon aus, ihm gegenüber im Vorteil zu sein, wenn sie nur zusammenhielten.

„Wir sind in der gleichen Lage wie die Oldonen. Nur noch wenige Pris sind am Leben. Wir müssen die Vergangenheit vergessen und versuchen, die Oldonen zu finden. Nur gemeinsam gibt es eine Zukunft für unser Volk“, kam Vlog wieder auf das Thema zu sprechen, das Trin verabscheute.

„Erwartest du wirklich, dass die Oldonen sich auf Gespräche mit uns einlassen?“, hielt Trin ihm entgegen. „Nach allem, was geschehen ist, werden sie uns töten.“

„Du hast schon immer zu schwarz gesehen“, kanzelte Pukka ihn ab. „Oldonen und Pris haben eine gemeinsame Vergangenheit. Wir müssen einen Konsens finden, damit es auch eine gemeinsame Zukunft gibt. Wir können nur überleben, wenn wir unsere Kräfte bündeln.“

„Niemals wird das geschehen. Ich lasse das nicht zu.“

„Dir bleibt keine andere Wahl“, versetzte Layden. „Wir sind darin übereingekommen.“

Der Affront bereitete Trin körperliche Schmerzen. Dies war der Beweis. Sie hatten sich gegen ihn verschworen. De Konsequenzen waren klar. Sollten sie jemals Kontakt zu den Oldonen bekommen, würden sie zu Kreuze kriechen und sich bei den Unterdrückern anbiedern. Trin sah das Vermächtnis seines Vaters in den Schmutz gezogen. Er konnte einfach nicht glauben, dass Chilk für diese Verräter sein Leben geopfert hatte.

„Ihr seid Narren“, zischte Trin. Er hatte nicht vor, an diesem Verrat teilzuhaben.

Verzehrt von brennendem Hass, stürmte er aus dem Labor. Seine Kollegen gingen davon aus, dass er seine Niederlage einsah. Er bestärkte sie in diesem Glauben, indem er ihnen drei Tage und drei Nächte lang aus dem Weg ging. Dann kehrte er reumütig zurück.

„Ich habe lange nachgedacht“, eröffnete er ihnen.

„Und was ist dabei herausgekommen?“

„Dass ich mich töricht verhalten habe“, säuselte Trin kleinlaut. „Ich sehe ein, dass ihr recht habt. Wir müssen uns mit den Oldonen arrangieren. Ansonsten sterben wir einsam und allein auf Pris. Doch dazu ist es zunächst einmal nötig, sie zu finden. Ich habe sogar schon eine Idee, wo wir ansetzen.“

Er stieß auf interessierte Zuhörer. Keiner unter den mehreren Dutzend Wissenschaftlern hatte eine Idee.

Trin hingegen griff die Chronoskope wieder auf. „Wir müssen eine Maschine bauen, die die temporalen Impulse der Lebensanker über große Entfernungen hinweg empfangen kann.“ Er hatte gedanklich sogar schon verschiedene technische Einzelheiten ausgearbeitet.

Seine Kollegen, die ihn drei Tage zuvor noch davongejagt hatten, waren Feuer und Flamme für seine Vorschläge, weil ihnen selbst die zündenden Ideen fehlten. Manchmal gab er versteckte Hinweise, sodass sie glaubten, eigene Vorschläge in die Entwicklung einfließen zu lassen. Dadurch schöpften sie keinen Verdacht, als sich der Zeiter, wie Trin die Maschine nannte, in eine bestimmte Richtung entwickelte. Er erweckte nicht einmal Argwohn, als er Waffensysteme vorschlug. Schließlich lauerten überall im Weltall Gefahren. Der Zeiter musste wehrhaft sein und sich verteidigen können. Sonst war die Mission, die Oldonen als potentielle Freunde und Verbündete zu suchen, von Vornherein zum Scheitern verurteilt.

Trin spielte die Rolle des Reumütigen mit Überzeugung. Keiner seiner Kollegen kam auf die Idee, dass er sie lenkte und für seine Zwecke ausnutzte. Je willfähriger sie seine technischen Spezifikationen unterstützten, desto mehr verachtete er sie.

Während der Bau des Zeiters voranschritt, legte Trin hin und wieder einen Schutzanzug an und besuchte die Planetenoberfläche. Pris war so entvölkert wie Olderon. Nach einer Weile verliefen die Messungen negativ. Das Virus wirkte nicht mehr.

Die Arbeiten an der Maschine schritten derweil kontinuierlich voran. Trin ließ verstärkt Elemente der Temporaltechnologie der Chronoskope in die Bordsysteme des Zeiters einfließen. Sein Ziel war es von Anfang an gewesen, einen Zustand körperloser Unsterblichkeit zu erlangen. Bisher hatte er diese Intention vor seinen Kollegen verschleiert, doch es war eine Phase eingetreten, da sich seine Absichten nicht mehr verbergen ließen. Bei seinen Kollegen erwachten erste Zweifel. Eine Zeitlang gelang es Trin, sie auszuräumen, indem er schlüssige Erklärungen lieferte. Doch als das Misstrauen erst geweckt war, wurden auch die früheren Ressentiments wieder wach. Trin spürte, dass sich die anderen gegen ihn zu stellen begannen. Irgendwann war der Zeitpunkt erreicht, an dem sie die Richtung festlegen wollten, in die sich die Maschine bis zu ihrer Fertigstellung entwickeln sollte. Trin konnte das nicht zulassen, weil es seine Pläne zerstört hätte.

Da er der Ansicht war, die grundlegenden Arbeiten an dem Zeiter seien abgeschlossen und die Fertigstellung ihm allein möglich, traf er eine drastische Entscheidung. Er tötete die anderen Wissenschaftler im Schlaf. Trin empfand eine lange nicht mehr gekannte Leichtigkeit. Endlich konnte er schalten und walten, wie er wollte. Trin war frei.

 

*

 

Nachdem er sich von der Last dieser Dummköpfe befreit hatte, vertiefte sich Trin umso mehr in seine Arbeit. Er dachte nicht daran, dass er vermutlich der letzte Überlebende auf Pris war. Er unternahm auch keine Ausflüge mehr an die Oberfläche. All sein Sinnen und Trachten war der Fertigstellung des Zeiters gewidmet. Dabei wurde er nur von einem einzigen Gedanken angetrieben: von dem Wunsch nach Rache für sein Volk.

Dass er maßgeblich an der Entwicklung des tödlichen Virus beteiligt gewesen war, verdrängte er immer mehr. Die Vernichtung der Oldonen war längst zu einer fixen Idee geworden, von der er sich nicht mehr befreien konnte. Er wollte es auch nicht. In den seltenen Momenten, in denen er darüber reflektierte, kam sie ihm völlig richtig vor. Er musste seinen Vater rächen und sein Volk. Es war eine Art heiliger Pflicht, die außer ihm niemand mehr erfüllen konnte.

In den folgenden Jahren perfektionierte er den Zeiter und vollendete die technischen Einrichtungen, die ihm vorschwebten. Ein wesentlicher Bestandteil waren die Messeinrichtungen zum Aufspüren temporaler Impulse. Die Probeläufe stellten Trin zufrieden. Er war sicher, die Lebensanker mit seinen Geräten orten zu können. Denn wo immer ein Chronoskop etabliert war, emittierte es seine Temporalimpulse über einen ausgedehnten Raumbereich. Sie gingen weit über das gewohnte Maß des Raum-Zeit-Kontinuums hinaus. Zudem ersann er auf Basis der Technologie der Chronoskope ein Verfahren, um dem Tod zu entgehen. Ausschlaggebend für den Erfolg war die Fähigkeit seines Volkes, den Geist vom Körper lösen zu können. Die anfänglichen Fehlschläge schreckten ihn nicht, doch mit zunehmender Dauer wuchsen Zweifel. Er wurde älter, und die Zeit begann ihm davonzulaufen. Angesichts der Tatsache, dass er sich mit temporalen Phänomenen beschäftigte, war dieser Widerspruch grotesk.

Doch Trin triumphierte. Über die Maschine, die ihm ein dauerhaftes Leben garantierte, über seinen natürlichen Alterungsprozess, und über die Zeit an sich. Es gelang ihm, seinen Geist in die technischen Einrichtungen des Zeiters zu versetzen und seiner biologischen Unsterblichkeit ebenso ein Schnippchen zu schlagen, wie es den militärischen Führern der Oldonen mit ihren Lebensankern gelungen war.

Trin wurde zum Bordgehirn des Zeiters. Nachdem er eine weitere wichtige Vorbereitung getroffen hatte, war die Zeit für den Aufbruch gekommen. Er verließ Pris und das Sors-System, ohne einen Blick zurückzuwerfen, und machte sich auf die lange Suche nach jenen, denen all sein Hass galt.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783957194633
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Star Voyager Space Opera Titan Sternenabenteuer Science-Fiction

Autor

  • Achim Mehnert (Autor:in)

Achim Mehnert (1961-2018) wurde in Köln geboren. Seiner Heimatstadt ist der bekennende Lokalpatriot stets treu geblieben. Nach Kindergarten, Schule und Abitur folgte eine Ausbildung zum Industriekaufmann.
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Titel: Raumschiff Promet - Die Abenteuer der Shalyn Shan 03: Welt in Flammen