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Raumschiff Promet - Von Stern zu Stern 05: Gefangene der Doppelsonne

von Oliver Müller (Autor:in)
160 Seiten

Zusammenfassung

Die Besatzung der Promet steht vor zahlreichen Rätseln. Wer hat die Pyramide aus dem Pluto-Hole errichtet? Gibt es eine Verbindung zu den geheimnisvollen Chirr? Die Männer um Arn Borul und Peet Orell suchen im Weltall nach Antworten und finden schließlich Spuren einer neuen unbekannten Rasse. Die wohl kultigste deutsche Space Opera mit neuen Texten! Die Printausgabe umfasst 160 Buchseiten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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© 2015 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-95719-495-4

Kommt ihr wieder? Immer wieder klangen diese Worte in Peet Orells Kopf auf. „Kommt ihr wieder ...?“

„Hast du etwas gesagt, Peet?“ Arn Borul trat an ihn heran.

Überrascht wandte Peet ihm den Kopf zu. „Was?“

Die Frage des Moraners riss ihn aus seinen Gedanken. Hatte er nicht nur gedacht, sondern auch laut gesprochen? Wenn ja, war es ihm nicht bewusst gewesen.

„Ob du etwas gesagt hast?“, fragte Arn nochmal.

Peet zuckte mit den Schultern. „Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Wahrscheinlich schon, sonst hättest du ja nichts gehört.“

Der Moraner lachte kurz auf. „Gehört habe ich etwas, aber verstanden habe ich nichts. Es hätte auch ein Seufzen sein können.“

Die Annahme des Moraners war nicht unlogisch, immerhin war die Promet, Peets Raumjacht, kurz vorher transitiert. Diese Art des Reisens bereitete der gesamten Besatzung körperlichen Stress. Die unschönen Nebeneffekte waren bisher nicht in den Griff zu bekommen. Vermutlich lag es daran, dass die moranische Technik nicht zu hundert Prozent mit der irdischen Hardware kompatibel war. Zwar setzte eine gewisse Gewöhnung ein, aber wenn es nach Peet und den anderen Menschen an Bord ging, dann konnten sie auf die Schmerzen, die Übelkeit und den Verlust der Besinnung gut und gerne verzichten.

„Also hast du etwas gesagt“, stellte der Moraner fest. „Aber was?“

Peet verzog das Gesicht, schwieg aber beharrlich.

„Es klang etwa wie Kommt ihr wieder?“ Arn ließ nicht locker.

Peet war sich sicher, dass sein moranischer Freund ihn richtig wiedergegeben hatte. Die Wiederholung der Worte hatte es ihm wieder bewusst gemacht. „Du hast gute Ohren. Genau das habe ich gesagt.“

Arn sah ihm direkt in die Augen. „Dich beschäftigen die Rätsel von Riddle noch genauso wie mich.“

Riddle. Der Name passte perfekt. Der von ihnen im Alpha-Centauri-System besuchte Planet hatte diese Bezeichnung mehr als verdient. Unzählige leer stehende Gebäude, frei in der Luft schwebende Straßen, die im Nichts endeten. Riddle hatte unzählige Fragen aufgeworfen, die sie nicht hatten beantworten können. Und eine letzte Frage war ihnen wortwörtlich mit auf den Weg gegeben worden. Kommt ihr wieder?

Sie war ihnen von den Abfangjägern gestellt worden, die sie aus dem System heraus eskortiert hatten. Warum? Peet konnte es sich nicht erklären. Bei ihrem ersten Aufeinandertreffen hatten sie nicht so freundlich auf ihn gewirkt. Die Promet war durch die neun Raumschiffe unbekannten Ursprungs zunächst nur beobachtet worden. Danach waren die flachen Objekte wieder verschwunden. Erst als man den Himalaya-Kontinent auf Riddle untersuchte, waren sie wieder aufgetaucht.

Durch eine Art von Fernhypnose hatte man ihnen Pläne zugänglich gemacht. Sie hatten sich unauslöschlich in ihre Gehirne eingebrannt. Damit und durch die Anweisung der Abfangjäger hatten sie eine verlassene Station mit einem gigantischen Hangar erreicht, der Platz für Hunderte dieser Raumschiffe bot.

Die weitere Suche dort war unergiebig und so beschlossen sie, Riddle wieder zu verlassen. Bei ihrem Abschied wurde ihnen dann die Frage gestellt: Kommt ihr wieder?

Peet nickte unmerklich. Ja, sie würden wiederkommen. Riddle würde eine phantastische Basis abgeben, von der aus sie weitere Erkundungsflüge in entfernte Sonnensysteme vornehmen konnten. Vorher galt es allerdings, sich auf Basis I umzusehen. Noch vor ihrem Abflug in das Alpha-Centauri-System war der Umbau des Kugelraumers angelaufen, den sie bei ihrer ersten Transition hinter Pluto entdeckt hatten. Noch hatten sie die gewaltige Kugel nicht erreicht, die tot aussah und doch so lebendig war. Die Transition hatte sie in die Nähe der Station gebracht, das letzte Teilstück legte die Promet mit dem deGorm-Antrieb zurück.

Bevor die Station in Sichtweite geriet, erhielten sie eine Nachricht. Eine Meldung Worners, des Captains der HTO-234, lief in der Zentrale der Promet ein. Gus Yonker leitete die Nachricht sofort weiter.

„Wenn Sie wieder bei uns sind, wechseln Sie bitte zur HTO-234 über. Es hat sich einiges getan und ich würde Sie gerne über die neuen Pläne aufklären.“ Mehr gab der Captain nicht bekannt. Worner war schon immer ein Mann knapper Worte gewesen. Er beschränkte sich auf das Notwendige.

„Klingt ja spannend“, meinte Jörn Callaghan, der sich ebenso wie Peet Orell und Arn Borul in der Zentrale aufhielt.

Vivien Raid, die einzige Frau an Bord der Promet, hatte sich in ihre Kabine zurückgezogen. Weiter zur Besatzung gehörten noch Gus Yonker, der für die interplanetare Kommunikation zuständig war, der Astronavigator Szer Ekka und zuletzt Pino Takkalainen, den alle nur Tak nannten und der die Technik an Bord unter sich hatte, wobei er Hand in Hand mit Arn Borul arbeitete, ohne den das Potenzial der moranischen Technik nicht voll ausgenutzt werden konnte.

„Irgendwie freue ich mich auf Worner“, meinte Jörn.

„Du stehst auf ihn“, gab Peet einen kurzen Kommentar ab und grinste seinen Freund an. Jörn schniefte genervt. Sie alle mochten Worner. Er hatte sich in schwierigen Situationen als verlässlicher Partner erwiesen.

Als sie in Sichtweite des Kugelraumers waren, trauten sie ihren Augen nicht.

„Was ist denn hier los? Sieht aus, als hätte dein Vater die halbe HTO-Flotte geschickt“, sagte Jörn.

Gut möglich. Wenn Harry T. Orell ein Ziel vor Augen hatte, setzte er Himmel und Hölle in Bewegung, um es zu erreichen.

Unzählige Spezialschiffe waren im Orbit um die Station verteilt. Während neue Raumschiffe eintrafen, verließen andere den Pluto, wahrscheinlich Richtung Erde.

Peet überlegte, wie lange er die Erde nicht mehr gesehen hatte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er den blauen Planeten weniger vermisste, als man hätte annehmen können. Er fühlte sich in den unendlichen Weiten des Alls nicht verloren. Im Gegenteil, seine Neugier war noch lange nicht befriedigt.

„Wechseln wir direkt rüber zur 234?“, fragte Arn Borul.

„Ich denke, das ist das Beste. Wenn ich mich hier umsehe, dann möchte ich schon gerne wissen, was sich in unserer Abwesenheit getan hat“, antwortete Peet.

Jörn nickte.

„Gus?“, fragte Peet ins Leere. Der Mann, der von der Insel Sumatra stammte, würde ihn mit Sicherheit hören.

„Ja, Peet?“

„Melde Worner, dass wir so schnell wie möglich zu ihm auf die 234 kommen.“

„Okay, Peet.“

Jörn Callaghan stand auf. „Ich geh Vivien holen.“

 

*

 

Vivien stand unter der Dusche. Leider war es nur die Ultraschalldusche und keine richtige. Sie hätte es jetzt gerne genossen, dass Wasserstrahlen ihren Körper massiert hätten. Die Ultraschalldusche erfüllte ihren Zweck und reinigte sie, aber im Vergleich zur herkömmlichen Methode war es kein echter Genuss.

Ihre Kabinentür öffnete sich. Hatte sie ein Klopfen überhört? Das war unwahrscheinlich, denn die Ultraschalldusche machte keine Geräusche. Sie wollte gerade nach ihrer Kleidung greifen, da erkannte sie, wer ihre Kabine betrat.

„Oh, sorry, Vivy, ich wollte nicht ...“ Jörn blieb verlegen in dem offenen Durchgang stehen.

Vivien verkniff sich ein Grinsen. Mittels Voice-Command stellte sie die Ultraschalldusche ab und trat aus der Kabine. „Kein Problem, komm ruhig rein, Jörn. Dann geht wenigstens die Tür hinter dir zu.“

Jörn trat ein. Automatisch schloss sich die Tür. Während Viviens Blick in aller Ruhe auf ihm verharrte, vermied er es, sie direkt anzusehen.

„Was führt dich zu mir?“, fragte sie. Immer noch nackt stand sie vor Jörn, mit dem sie vor gar nicht langer Zeit das Bett geteilt hatte. Die Hände in die Hüften gestützt und den Oberkörper leicht zur Seite gedreht, sah sie ihn an. Er war ein gut aussehender Mann. Es war nicht geplant gewesen, mit ihm zu schlafen. Weder von ihm, noch von ihr. Es hatte sich bei einem Ausflug nach Joy City einfach ergeben. Die Nacht war schön gewesen und sie bereute keine Minute. Der Sex hatte nichts zwischen sie gebracht, was ihre Freundschaft hatte belasten können. Wenn sie Jörn ansah, wie er beinahe verschämt wie ein kleiner Schuljunge, der zum ersten Mal eine nackte Frau sah, den Blick durch die kleine Kabine wandern ließ, fragte sie sich allerdings, ob er ebenso dachte wie sie.

„Wir sind fast am Kugelraumer“, begann Jörn zögerlich. „Worner möchte, dass wir zu ihm kommen.“

„Okay, lass uns gehen.“

Jörn hob den Kopf. „So etwa? Möchtest du dir nicht lieber etwas anziehen?“

Sie lachte. „Warum? Vielleicht schaut mich wenigstens Worner ausführlich an. Du traust dich ja kaum, einen Blick zu riskieren.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin nur etwas überrascht, dich so zu sehen.“

„Beim letzten Mal warst du nicht so schockiert.“ Sie strich mit den Händen über ihre Brüste. Jetzt wäre es ihr noch lieber gewesen, wenn sie die Wasserdusche hätte benutzen können. Feuchte Haare und zwischen ihren Brüsten herabrinnende Tropfen hätten ihren Auftritt perfektioniert. Die Wasservorräte an Bord mussten jedoch erst wieder aufgefüllt werden.

Sie betrachtete ihren schlanken Körper. Von den Füßen aufwärts, über den flachen Bauch und ihre Oberweite. Dann wandte sie sich wieder Jörn zu. „Verändert habe ich mich eigentlich nicht. Wo ist also das Problem?“

Er blieb ihr eine Antwort schuldig.

Sie lachte auf. „Ist schon gut. Ich weiß ja, dass wir hier an Bord nicht über unseren One-Night-Stand sprechen wollten. Aber eine Frage musst du mir gestatten.“

„Frag“, sagte er nur.

„Bereust du es?“ Kurz fürchtete sie, dass er mit Ja antworten würde.

Doch er schüttelte den Kopf. Mit einem kräftigen Nein unterstrich er die Geste.

„Ich auch nicht. Dann ist doch alles geklärt und du kannst mich auch wieder ansehen. Sonst fühle ich mich nachher noch in meiner weiblichen Eitelkeit gekränkt.“

Ein Lächeln fand den Weg auf Jörns Gesicht und er ließ den Blick über Viviens Körper wandern. „Alles okay bei dir“, sagte er schließlich. „Du kannst dich jetzt trotzdem anziehen.“

Vivien schlüpfte in ihre Unterwäsche. Darüber streifte sie die Bordkombination, die trotz aller Funktionalität immer noch ihre weiblichen Formen betonte. „Was ist denn los?“, fragte sie, während sie ihre Schuhe anzog.

„Draußen geht es zu wie auf einem Raumbahnhof zur Rushhour.“

Vivien wusste Bescheid. „Das kann auch nur der alte Harry schaffen. Vor gar nicht langer Zeit war kurz hinter dem Mars Endstation für alle Raumschiffe von der Erde. Dann verschlägt es uns hinter den Pluto, und wir haben kaum Zeit, uns über unsere Entdeckung zu freuen, denn nur wenige Tage später gondeln wir nach Alpha Centauri.“ Sie schüttelte den Kopf.

„Und jetzt ist der Pluto anscheinend schon zum Alltagsziel geworden“, fügte Jörn hinzu.

„Zumindest für HTO-Angehörige. Es sind doch Schiffe der Corporation?“, fragte sie.

Jörn nickte.

„Gut. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass die Space Police lange auf sich warten lässt. So ein Flugaufkommen muss Aufsehen erregen“, meinte Vivien.

„Natürlich. Aber wie ich Peets Vater einschätze, hat er auch dafür eine Lösung gefunden.“

„Lassen wir die anderen nicht weiter warten“, sagte Vivien und schob sich dicht an Jörn vorbei auf den Gang.

 

*

 

Eric Worner empfing die Crew der Promet persönlich an der Schleuse. Peet, Vivien und Jörn öffneten ihre Helme. Arn würde darauf verzichten müssen, bis sie unter sich waren und er nicht mehr Gefahr lief, von Unbeteiligten gesehen und als Außerirdischer erkannt zu werden. Seine silbernen Haare und schockgrünen Augen waren zu auffällig. Wie die anderen begrüßte auch er den Kommandanten der HTO-234 per Handschlag.

„Schön, Sie alle gesund wiederzusehen“, begann Worner.

„Gleichfalls, Worner“, erwiderte Peet. Er konnte die Neugier in Worners Blick erkennen, darum vertröstete er ihn auf später. „In ihrer Kabine können wir über alles sprechen.“

Worner nickte und führte sie durch die Gänge des gigantischen Frachtschiffs. Peet kannte die Bauweise der Corporation-Schiffe, aber mit der Hilfe des Captains ging es schneller. Sie zogen sich in Worners Privatbereich zurück. Nun konnte auch Arn seinen Helm öffnen. Getränke und ein kleiner Snack standen für die Besucher parat.

„Greifen Sie ruhig zu“, lud Worner seine Gäste ein.

Jörn griff sofort zu und gönnte sich eine kleine Stärkung.

„Verraten Sie uns bitte, was sie hier in diese ehemals gottverlassenen Pluto-Gegend führt, Captain Worner“, bat Arn Borul.

„Das hat seine Gründe auf der Erde“, begann Worner.

„Mein Vater?“, vermutete Peet.

„Ja. Er hegt ehrgeizige Pläne mit dem Kugelraumer. Eine komplette Demontage in kürzester Zeit. Rund um die Uhr arbeiten alle verfügbaren Leute daran. Alles, das Profit bringen und die technische Entwicklung auf der Erde nach vorne treiben kann, wird ausgebaut, auf Frachter verladen und in die Werkshallen der HTO gebracht.“

Peet nickte. So kannte er seinen alten Herrn. Harry T. Orell war ein Mann mit Visionen, der versuchte, diese auch in die Wirklichkeit umzusetzen.

„Das erklärt die zahlreichen Schiffe. Doch da steckt noch mehr dahinter. Richtig?“, fragte Peet.

Worner nickte. „Sie können sich vorstellen, dass ein gigantisches Projekt wie dieses nicht lange geheim gehalten werden kann. Bisher haben wir Glück gehabt, aber nichts garantiert uns, dass es so weitergeht.“

Arn Borul trank einen Schluck. „Was befürchten Sie?“, fragte er dann.

Worner hob die Hand und spreizte Zeige- und Mittelfinger ab. „Erstens: die Space Police. Bisher lagen die meisten ihrer Raumer zur Wartung in den Werften der HTO. Lange wird Mister Orell diesen Bluff nicht mehr aufrechterhalten können. Bei der Space Police arbeiten nicht nur Idioten.“

„Sind aber in der Überzahl“, murmelte Vivien. „Menschlich gesehen.“

„Fachlich aber nicht“, stellte Worner fest. „Über kurz oder lang werden sie ihre Schiffe zurückerhalten und Kontrollen verstärken.“

„Möglich“, sagte Peet. „Und weiter?“

Worner knickte einen Finger ab, sodass nur noch der Zeigefinger aus der sonst geschlossenen Hand hervorragte. „Die Space Rockets Company.“

Peet verzog das Gesicht. Die SRC war der größte Konkurrent der HTO. „Wenn die an die Koordinaten des Kugelraumers gelangen, dann ...“ Er sprach den Satz nicht zu Ende. Die anderen wussten auch so, worauf er hinauswollte.

„Bei aller Sorgfalt, die Ihr Vater bei diesem Unternehmen mit Sicherheit walten lässt, besteht dennoch immer die Gefahr von Werksspionage.“

„Gibt es Verdachtsmomente?“, fragte Peet.

Worner schüttelte den Kopf. „Zum Glück nicht. Dennoch drängt die Zeit. Denn egal, ob es die Space Police oder die Space Rockets Company ist, sobald jemand von denen hier auftaucht, ist es vorbei mit dem Frieden. Um dies zu vermeiden, hat Ihr Vater einen wahnwitzigen Plan gefasst.“ Aus Worners Stimme war die Anspannung deutlich herauszuhören.

Unwillkürlich beugten sich seine Zuhörer vor. Sie waren gespannt auf das, was der Captain ihnen nun offenbaren würde.

Worner ließ sie nicht lange zappeln. „Der Kugelraumer soll in eine andere Umlaufbahn gebracht werden.“

Der Satz schlug ein wie eine Bombe. Die vier Freunde sahen sich an.

Jörn zuckte mit den Achseln. „Das ist wahnwitzig. Sie kennen die Massewerte des Wracks genauso gut wie wir“, sagte er dann.

Worner breitete entschuldigend die Arme aus. „Es war nicht meine Idee.“

„Wie soll das funktionieren?“ Arn schüttelte ungläubig den Kopf.

„Der Kugelraumer müsste mit einem eigenen Antrieb ausgestattet werden“, sagte Jörn. Sein Gesicht sah so aus, als würde er sich in Gedanken bereits mit der Lösung dieses Problems beschäftigen.

„Weißt du, welche Energie dafür benötigt wird, Jörn?“, fragte Vivien. Sie klang nicht so, als würde sie eine Antwort erwarten. „Herkömmliche Triebwerke schaffen das nicht. Nicht einmal die verbesserten deGorm-Triebwerke.“

Peet hörte seinen Freunden schweigend zu. In technischen Fragen waren sie eindeutig kompetenter als er. „Das weiß mein Vater auch“, sagte er in eine Pause hinein. „Er würde diesen Vorschlag nicht unterbreiten, wenn er nicht eine Chance zur Verwirklichung sehen würde.“

Worner nickte. „Zunächst soll die Masse des Kugelraumers durch größtmögliche Demontage verringert werden. Daran wird, wie schon gesagt, rund um die Uhr gearbeitet.“

„Okay, nehmen wir einmal an, es gelingt uns, den Kugelraumer aus Plutos Gravitation zu befreien. Wohin soll das Wrack dann verbracht werden?“ Damit ging Arn Borul einen Schritt weiter.

„In eine Umlaufbahn um die Sonne. Die Koordinaten könnte ich Ihnen bereitstellen.“

Der Moraner spitzte die Lippen. „Das wäre gut.“

„Du hältst den Plan für durchführbar, Arn?“, fragte Peet.

Der Moraner zuckte die Schultern. „Wenn dein Vater es tut, warum sollte ich zweifeln? Er glaubt daran.“

„Ihr Vater bat mich, eine Frage an Sie zu richten.“ Worner wandte sich direkt an Peet.

„Bitte.“

„Er fragte, ob Sie alle dieses Projekt im Rahmen Ihrer Möglichkeiten unterstützen werden. Auch wenn Sie Ihre ursprünglichen Pläne dann zurückstellen müssten.“

Sie wussten, wovon Worner sprach. Er war darin eingeweiht, dass Arn Borul kein Mensch, sondern ein Moraner war. Arn Boruls Ziel, seine Heimat, den von schwarzen Raumern größtenteils vernichteten Planeten Moran, wiederzufinden, um so die verbliebenen Bewohner zu retten, war Worner bekannt.

Peet sah Arn an. „Deine Meinung dazu ist mir besonders wichtig.“

Der Moraner atmete tief durch und sah Peet ernst an. „Dein Vater hat viel für mich getan. Natürlich unterstützen wir ihn.“

„Gut. Bevor wir damit beginnen, würde ich gerne ein paar Worte mit meinem Vater wechseln. Unter vier Augen.“ Peet drehte sich zu Worner. „Ist das möglich, Captain?“

„Natürlich. Ich lasse das Gespräch in dieses Zimmer legen“, bot Worner an.

„Dafür wäre ich Ihnen dankbar. Technisch stellt das kein Problem mehr dar?“

„Nein. Die Raumschiffe, die sich auf dem Weg zwischen Erde und Pluto befinden, bilden eine perfekte Transponderbrücke.“

„Dann würde ich von dieser Möglichkeit auch gerne Gebrauch machen“, meinte Vivien. „So wie ich meinen Vater kenne, kommt er um vor Sorge. Für ihn bin ich noch immer sein kleines Mädchen.“ Der letzte Satz hatte beinahe entschuldigend geklungen.

Worner versprach ihr, dass auch sie die Möglichkeit erhalten würde, mit ihrem Vater zu sprechen. „Allerdings schulden Sie mir auch noch etwas“, fügte er mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen hinzu. „Einen Reisebericht.“

„Das übernehme ich“, bot Jörn an.

Worner nickte zufrieden.

 

*

 

Peet war in Gedanken versunken, als die Stimme seines Vaters im Raum erklang.

„Kannst du mich hören, Peet?“

„Klar und deutlich, Dad.“

„Ich dich auch. Wie geht es dir?“

Irrte er sich, oder hörte er Sorge aus den Worten seines Vaters? „Alles in Ordnung“, sagte Peet schnell. „Und auf der Erde? Worner erzählte uns von deinen Plänen.“

„Konnten sie dich nicht überzeugen?“ Wieder einmal bewies Harry T. Orell sein feines Gespür, ohne das er nicht so erfolgreich geworden wäre.

„Du hast dieses Wrack nicht mit eigenen Augen gesehen, Dad. Und du hast es nicht betreten. Sonst wüsstest du, was du uns für eine Aufgabe gestellt hast.“

Sein alter Herr war kein Freund von Widerspruch. Er hörte jedoch stets aufmerksam zu und war bereit, seinen Standpunkt zu überdenken. „Eine lösbare Aufgabe, Peet. Ein Teil der Triebwerke ist bereits installiert. Mit der nächsten Flotte werden euch Antigrav-Meiler erreichen. Sobald die installiert sind, kann es an die Umsetzung gehen.“

Peet wechselte das Thema. Er fühlte, dass er seinen Vater nicht umstimmen konnte. Und um die Ausführung hatten sich ohnehin die Techniker zu kümmern. „Was ist mit der Errichtung der Basis für die Promet auf dem Kugelraumer?“

Er konnte hören, wie sein Vater Luft ausstieß. „Zur Erkundung des Universums?“

„Um Arns Heimat zu finden, Dad.“ Von Worner wusste er, dass auf dem Kugelraumer bereits Tirbel-Pumpen installiert worden waren, die die lebenserhaltenden Systeme betrieben. Sein Vater hatte Basis I eher als Kontaktpunkt für den reibungslosen Ablauf der Demontage betrachtet. Peet selbst sah sie als dauerhaften Startpunkt für die Promet an. Er wusste, dass das seinem Vater nicht ganz recht war.

„Der Aufbau geht zügig voran“, antwortete der. Auf das Thema der Expeditionen ging er nicht näher ein. Sein nächster Satz hatte aber indirekt damit zu tun. „Ich verlange, dass die Promet gründlich durchgecheckt wird, bevor ihr wieder abfliegt.“

„Sie soll in eine Werft? Auf der Erde? Das würde uns zu viel Zeit kosten.“ Peet war überrascht, mit dieser Entwicklung hatte er nicht gerechnet.

„Nicht auf der Erde. Ihr könnt das Pluto-Hole dafür nutzen. Worner wird euch, falls nötig, mit seiner Mannschaft unterstützen.“

Peet kannte das Pluto-Hole. Es war eine kraterähnliche Vertiefung auf der Oberfläche des Planetoiden. Etwa vierhundert Meter tief, bei einem Durchmesser von knapp fünfhundert Metern. Es bot ausreichenden Platz für die Promet und die technischen Gerätschaften, die für den Check benötigt wurden. Die Idee erschien Peet sinnvoll, er stimmte zu.

„Die Transition ist immer noch eine unzureichend erprobte Technik, Peet“, begründete Harry T. Orell seine Vorsicht.

„Wir lernen, sie zu beherrschen, Dad. Unser letzter Sprung brachte uns bis nach Alpha Centauri.“ Peet berichtete seinem Vater detailliert von den Abenteuern auf Riddle.

Mehr als einmal musste der sonst so hart gesottene Firmengründer schlucken „Ihr wollt wieder dorthin?“, fragte er, nachdem Peet seinen Bericht abgeschlossen hatte.

„Ja.“

„Versprich mir, dass du vorsichtig bist, Junge.“

Peet tat ihm den Gefallen, dann verabschiedeten sich Vater und Sohn. Für einen Moment blieb Peet noch in Worners Kabine und genoss die Ruhe. So sehr er seine Freunde mochte, das enge Zusammensein auf der kleinen Raumjacht bot wenig Platz für Privatsphäre. Schließlich erhob er sich. Sein Ziel war die Zentrale der HTO-234. Dort vermutete er den Captain und seine Freunde. Er wollte sie über die weiteren Pläne seines Vaters aufklären. Außerdem musste er Worner um technische Unterstützung für die Wartung bitten.

 

*

 

Peet verließ Worners Privaträume, die von der Bordelektronik sofort versiegelt wurden. Nur der Kommandant der HTO-234 würde sie wieder öffnen können. Während Peet durch die Gänge des Frachters ging, versuchte er weiter das Gespräch mit seinem Vater zu verarbeiten. Bildete er sich die leisen Untertöne nur ein? So sehr er darüber nachdachte, er fand keine Lösung. Vielleicht hätte er seinen alten Herrn konkret befragen sollen. Jetzt war es zu spät.

Genau wie er es vermutet hatte, hielten sich alle in der Zentrale auf. Als er eintrat, wandten sich ihm die Köpfe der Besatzungsmitglieder zu.

„Alles in Ordnung, Peet?“, fragte Jörn. Sein ältester Freund hatte bemerkt, dass etwas nicht stimmte.

Peet zuckte mit den Schultern. Die Geschichte war zu lang, um sie in allen Einzelheiten zu erzählen. In Kurzform brachte er seine Freunde auf den neuesten Stand.

„Wow“, sagte Vivien nur, als er geendet hatte.

„Ein typischer Plan für deinen Vater“, meinte Jörn. „Mutig und zukunftsweisend.“

Arn nickte zustimmend.

„Mein Vater wünscht, dass die Promet gründlich untersucht wird“, sagte Peet. „Übernimmst du das, Arn?“

„Natürlich. Doch Szer und Pino müssen mir helfen.“

„Das werden sie, keine Sorge“, erwiderte Peet. „Dad meinte, wir sollten das Pluto-Hole als Station für die Untersuchung aufsuchen.“

„Das Pluto-Hole?“, mischte sich Worner überrascht ein. „Bisher ist noch niemand auf dem Pluto gelandet.“

Vivien lachte auf. „Dann wird es endlich Zeit.“

Arn nickte. „Gute Idee. Ein Aufenthalt auf einer irdischen Werft hätte mehrere Tage Zeit gekostet.“ Er wandte sich an den Kommandanten der HTO-234. „Sie unterstützen diese Aktion?“

„Selbstverständlich.“

„Ich muss mich mit Pino und Szer besprechen, danach kann ich Ihnen sagen, welche Gerätschaften wir benötigen.“

Detailliert besprachen sie ausführlich alles Weitere.

Schließlich meinte Worner: „Wenn Sie wollen, können Sie an Bord bleiben.“

Sie akzeptierten gerne und informierten die zurückgebliebene Besatzung der Promet darüber, dass man sie erst in zwölf Stunden zurück erwarten sollte.

 

*

Der Schweiß tropfte in ihre Augen und brannte. Sie blinzelte, legte leise fluchend das Werkzeug ab und fuhr sich über die Stirn. „Verdammter Mist!“

„Alles okay, Nicole?“

Sie sah hinab auf den Konverter. Fast schien es ihr, als würde dieser leblose Metallklotz sie angrinsen, aber das war natürlich unmöglich.

„Hey, Nicole!“

Sie zuckte zusammen. Verdammt, das war ihr Name. Zumindest der Name, den sie sich gegeben hatte. Normalerweise reagierte sie sofort darauf. Sie war zu sehr in ihre Arbeit vertieft. Leslie Stewart drehte den Kopf zur Seite. Eine Frau, kaum älter als sie, stand neben ihr. Leslie hatte nicht gehört, dass sich ihr jemand genähert hatte.

„Alles okay mit dir?“, fragte Colleen Shaunessy. Die rothaarige Irin arbeitete ebenso wie sie im Wissenschaftsbereich der HTO-234. Im Gegensatz zu Colleen hatte Leslie Stewart bei ihrer feuerroten Haarpracht nachgeholfen. Sie vermisste ihre blonden Haare. Dennoch würde sie bald nachfärben müssen. Diese optische Veränderung war Teil ihrer Tarnung. Niemand sollte wissen, dass Nicole Sanders, die fleißige wissenschaftliche Mitarbeiterin der HTO, in Wirklichkeit jemand anderes war. Leslie Stewart, eine Spionin der Space Rockets Company, zurzeit im Außendienst tätig und auf dem Frachter HTO-234 eingesetzt. Hier versuchte sie, den aus dem Kugelraumer demontierten Konvertern ihre Geheimnisse zu entlocken. Genau bei dieser Tätigkeit hatte Colleen sie soeben unterbrochen. Wie immer, wenn sie sich in eine Aufgabe verbissen hatte, verlor sie das Gefühl für Raum und Zeit.

„Alles okay“, beantwortete Leslie endlich die Frage ihrer Kollegin. „Es ist nur so, dass ...“ Sie sprach den Satz nicht zu Ende und deutete stattdessen auf den Konverter, der vor ihr auf einer Arbeitsfläche stand.

Colleen verstand sofort. „Schon klar. Ich komme da vorne auch nicht weiter.“ Sie arbeitete ebenfalls an den Fundstücken aus dem Kugelraumer. Ihr Hauptaugenmerk lag jedoch nicht auf den Konvertern, sie bemühte sich, die Energieübertragung zu verstehen. „Diese Technik ist kein Buch mit sieben, sondern eher mit siebzig Siegeln.“ Die Wissenschaftlerin lachte.

Leslie bemühte sich, in das Lachen mit einzustimmen, dabei war ihr gar nicht danach zumute. Sie hatte mehrere Probleme zu lösen. Die Geheimnisse des Konverters zu knacken. Dann, diese auf gesichertem Weg an Dex Coleman weiterzugeben. Was wiederum direkt zu ihrem nächsten Problem führte: Matt Groener. Sie schüttelte sich innerlich, als sie an Groener dachte. Der Mann war für die externe Bordkommunikation zuständig. Alle ein- und ausgehenden Meldungen liefen durch seine Wurstfinger. Er war der Schlüssel für ihren Kontakt mit der Erde. Leider ein recht hässlicher Schlüssel. Sein Bild zeichnete sich vor ihrem inneren Auge ab, und dieses Mal konnte sie ein Zittern nicht vermeiden.

„Ist dir kalt?“, fragte Colleen.

Leslie schüttelte den Kopf.

„Hätte mich auch gewundert. So wie dir der Schweiß auf der Stirn steht.“

Unwillkürlich fuhr sich Leslie mit der Hand über die Stirn.

„Weißt du, was du brauchst, Mädchen? Schlaf!“, sagte Colleen bestimmt.

Das stimmte. Seit sie ihre Arbeit hier an Bord des Schiffes aufgenommen hatte, war sie nur selten zeitig ins Bett gekommen und wenn, dann hatte sie es stets früher wieder verlassen. Sie brauchte Ergebnisse. Sie gähnte.

„Lass uns Feierabend machen, Nicole. Du kommst nicht weiter, ich komme nicht weiter. Vielleicht haben wir morgen den nötigen Geistesblitz. Die Arbeit läuft nicht weg.“

Leslie nickte zögernd. Als sie sich stöhnend aus ihrer sitzenden Position erhob, spürte sie, wie steif ihr Körper geworden war. Sie streckte den Rücken durch und spürte ihre Wirbelsäule. Um wieder geschmeidig zu werden, ließ sie den Kopf auf den Schultern kreisen. Die kurzen gymnastischen Übungen taten ihrem Körper gut, die Müdigkeit vertrieben sie jedoch nicht. „Okay, Colleen. Lass uns Feierabend machen.“ Gelogen! Sie musste sich gleich der nächsten Aufgabe widmen. Matt Groener.

Gemeinsam mit Colleen verließ sie den Wissenschaftsbereich. Außer ihnen hatte niemand mehr um diese Zeit gearbeitet. In einem Vorraum entledigten sie sich der Arbeitskleidung. Besonders die zur Sicherheit notwendigen langärmeligen Oberteile und die Handschuhe, die beim Austritt von ätzenden Stoffen schützen sollten, sorgten dafür, dass man bei der Arbeit ordentlich ins Schwitzen geriet.

Leslie zog sich das gummiähnliche Material von den Fingern und warf es zur Seite. Sie verfehlte den Müllbehälter, ließ die Kleidungsstücke jedoch daneben liegen. Ihre Kollegin hob sie auf, als sie die eigenen Handschuhe entsorgte.

„Gehst du noch duschen?“, fragte Colleen, während sie sich schon aus ihrer Kleidung schälte. Leslie wollte verneinen, doch Colleens nächster Satz elektrisierte sie. „Peet Orell ist an Bord gekommen.“

Was machte der Sohn des Firmengründers hier an Bord eines Frachters? War man ihr auf die Spur gekommen? Sie überflog in Gedanken ihre Aktivitäten, fand aber nichts, was sie hätte verraten können.

Während sie noch überlegte, hatte sich Colleen bereits ausgezogen und streifte gerade ihren Slip ab. Mit einer lässigen Fußbewegung warf sie ihn in Richtung der anderen Kleidung, die einen unordentlichen Haufen bildete. „Falls du nicht mehr mitkommst, wünsche ich dir noch einen schönen Abend, Nicole.“

„Ich komme mit.“

Vielleicht wusste Colleen Shaunessy noch mehr. Möglicherweise sogar den Grund, warum der Spross ihres Feindes an Bord war. Schnell entledigte auch sie sich ihrer Kleidung und folgte Colleen. Die stand bereits unter der Wasserdusche.

Als auch Leslie das Prasseln der Tropfen auf ihrem Körper fühlte, spürte sie die belebende Wirkung. „Was macht Peet Orell an Bord der 234?“, fragte sie wie beiläufig durch das Rauschen des Wassers.

„Was sagst du?“ Colleen hatte sie nicht verstanden.

„Was will der junge Orell hier?“

Ihre Kollegin zuckte mit den Schultern. „So was darfst du mich nicht fragen. Darüber lassen die da oben doch nichts verlauten.“

„Woher weißt du dann, dass er hier ist?“

„Solche Nachrichten verbreiten sich von selbst.“

Leslie wünschte, dass sie ihre Nachrichten auch so simpel verbreiten könnte. Selbst wenn sie Coleman noch nicht viel berichten konnte, ein Lebenszeichen von ihr war dringend notwendig. So, wie sie den Chef der Space Rockets Company einschätzte, war der eiskalt. Wenn er sie fallen ließ, war sie geliefert. In der Wahl seiner Mittel würde er skrupellos sein. Die Erde bot schon genug Platz, um Menschen für immer verschwinden zu lassen. Die endlose Weite des Alls war da noch um einiges ergiebiger. Ihre Gedanken drifteten zu Matt Groener. Heute musste es ihr einfach gelingen, ihm den Code für die Kommunikationszentrale zu entlocken. Wahrscheinlich hätte sie ihn auch selbst entschlüsseln können, aber das hätte zu lange gedauert und Spuren im Überwachungssystem hinterlassen. Auch wenn sie in die Zentrale gelangte, war damit noch nichts erreicht. Die Anlage selbst war mehrfach gesichert. Nein, der Weg über Groener war schon der richtige. Sie schloss die Augen und genoss das Wasser auf ihrer Haut. Später, wenn sie Groeners Kabine verließ, würde sie sicher erneut duschen müssen.

 

*

 

Nachdem mit Captain Worner alle Details für die technische Wartung der Promet geklärt worden waren, informierte Peet Pino Takkalainen. Gemeinsam mit Szer Ekka sollte dieser die Promet ins Pluto-Hole fliegen. Am nächsten Morgen konnte dann mit den Vorarbeiten begonnen werden.

Nach einer gemeinsamen Mahlzeit hatte sich Peet schnell verabschiedet, während die Freunde noch zusammengeblieben waren. Er fühlte sich müde, völlig ausgepumpt. Vielleicht zehrten die zurückliegenden Abenteuer noch an seinen Reserven. Es konnte aber auch sein, dass es Nachwirkungen der Transition waren. Doch auch diese Erklärung wollte in seinem Kopf nicht vernünftig klingen. Der Sprung durch die Dimensionen verursachte zwar gehörige Schmerzen, aber so heftig sie auch waren, sie verschwanden ebenso schnell, wie sie auftraten. Die letzte Transition mit der Promet lag schon länger zurück, als die Symptome normalerweise anhielten. Peet hatte überlegt, seine Freunde zu fragen, ob sie unter ähnlichen Symptomen litten, hatte sich aber dagegen entschieden. Er wollte die anderen nicht verrückt machen. Er checkte seinen Chronometer. Auf der Erde rückte die Schlafenszeit näher. Zumindest für Kinder. Er lächelte. Man war so lange Kind, wie man Eltern hatte. Wenn es danach ging, würde er wohl sein Leben lang Kind bleiben. Harry T. Orell war das, was man einen zähen Hund nannte. Er würde noch viele Jahre leben.

Peets Gedanken wanderten zu dem Bild der Frau, das in Harry T. Orells Schreibtischschublade lag. Seine Mutter. Abgesehen von einigen Erzählungen wusste er wenig von ihr, kannte nur ihr Aussehen. Sein Vater hielt sich diesbezüglich äußerst verschlossen, wenn er ihn nach ihr befragte. Irgendwann hatte er es aufgegeben. Komisch, dass er gerade jetzt daran dachte. Vermutlich weil er gerade mal zur Ruhe kam und seine Gedanken sortieren konnte. Die letzten Wochen waren hektisch gewesen. Mit dem Auftauchen von Arn Borul war ein Karussell in Gang gesetzt worden, bei dem noch niemand sagen konnte, in welche Richtung die Fahrt ging.

„Zu den Sternen!“, flüsterte er zu sich selbst. Seine Kabine lag im Innenbereich und so überlegte er, ob er sich noch einmal in die Zentrale der 234 begeben sollte, um einen Blick auf das unendliche All zu werfen. Doch seine Müdigkeit entschied die Frage. Er zog sich um, wobei er sich nur von dem Raumanzug und den Schuhen trennte, und begab sich ins Bett. Die Pritsche bot ausreichend Platz, dafür war sie nicht sonderlich bequem. Er beschloss, seinen Vater darauf hinzuweisen, die nächsten Schiffe der HTO etwas komfortabler auszustatten. Auch wenn es nur Frachtschiffe waren.

Über einen Sprachbefehl schaltete er die Beleuchtung aus und schloss die Augen. Nur langsam kamen seine Gedanken zum Stillstand. Mittels verschiedener Atemtechniken zwang er sich die Ruhe förmlich auf. Einatmen, ausatmen. Sein Körper wurde schwer. Er konzentrierte sich auf sein Inneres, lauschte in sich hinein. Normalerweise fand er dabei rasch Ruhe. Dieses Mal war jedoch irgendetwas anders. Er konnte es nicht erklären. Die innere Leere, die er nie als belastend empfunden hatte, fühlte sich anders an. Sie war zu einem Gefängnis geworden. Er wurde ausgesperrt und etwas wurde – eingesperrt? Was für ein seltsamer Gedanke. Ohne es zu wollen, verschränkte er die Arme vor der Brust, als wären sie die Riegel einer Tür, die besser niemals geöffnet werden sollte. Er spürte, wie etwas in ihm wütete. Etwas Fremdes und doch so Vertrautes.

Träumte er? Er riss die Augen auf, in der Dunkelheit der Kabine war nichts zu sehen. Peet hatte das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Doch es war nicht die Kabine. Er wusste, dass sie leer war. Das Fremde kam von innen. Es drängte nach außen, suchte einen Weg aus dem Gefängnis.

Immer noch im Dunkeln schüttelte Peet den Kopf. Wurde er verrückt? Wusste sein Vater mehr als er? Hatte er sich die Sorge in Harry T. Orells Stimme nicht nur eingebildet? Erneut schüttelte er den Kopf und legte sich dann wieder hin. Die Arme legte er wie ein zusätzliches Kissen unter den Kopf. Er schloss die Augen. Er musste noch einmal mit seinem Vater reden.

Das Toben in ihm ließ nach, als ob das Fremde in ihm an Kraft verlor. Oder war es seine eigene Energie, die immer weiter schwand? Er brachte den Gedanken nicht mehr zu Ende und fiel in einen unruhigen Schlaf.

 

*

 

Leslie bemühte sich, interessiert zu erscheinen, dabei hörte sie schon lange nicht mehr richtig zu. Matt Groener redete und redete.

„Der Tag war unglaublich anstrengend. Du glaubst ja nicht, was heute alles ...“

Sie nickte knapp und schaltete geistig wieder ab. Es klang nicht so, als würde Groener seinen Monolog so bald beenden. Sie saß in seiner Kabine, die eigentlich für zwei Personen viel zu klein war.

„Ist das nicht unglaublich?“

Sie hatte keine Ahnung, was für den klein gewachsenen Mann ständig so unglaublich war, stimmte ihm aber zu. Das stellte ihn zufrieden und er sprach weiter. Leslie Stewart alias Nicole Sanders ging davon aus, dass sonst niemand dem Mann zuhörte. Auch sie hätte sich lieber einen Vortrag über Robotdiagnostik oder ähnliche Themen angetan, als dieses Geschwafel gerade.

„Unglaublich anstrengend, der Tag“, fasste Groener noch einmal zusammen.

Unglaublich, wie oft er etwas unglaublich und anstrengend fand. Dieser Wicht. Was sollte sie denn sagen? Sie arbeitete selbst pausenlos und spürte gerade wieder die Müdigkeit, die wie Blei auf ihrem Körper lastete. Einschlafen durfte sie nicht, denn sie saß auf Groeners Bett. Seine Liebeshöhle, wie er es nannte. Einsame Insel passt wohl besser, dachte sie zynisch.

Während Groener immer noch weiterredete, musste Leslie angewidert mit ansehen, wie sich der HTO-Angestellte entkleidete. Er zog das verschwitzte Shirt über seine Halbglatze, und sie wunderte sich, dass es nicht an seiner langen Hakennase hängenblieb. Als er das Shirt endlich von seinem Körper gepellt hatte, präsentierte er einen ordentlichen Bauch. Und nun versuchte er auch noch irgendwelche nicht vorhandenen Muskeln anzuspannen. Gewöhnlich lachte sie solche Typen aus. Sie würden es nicht einmal wagen, in ihre Nähe zu kommen. Ein eisiger Blick, und alles war geklärt.

„Na, Nici, was sagst du?“

Sie verkniff sich einen gemeinen Spruch und lächelte. Er stolzierte näher und warf sich wie ein liebestoller Teenager neben sie ins Bett. Wenn Sie verhindern wollte, dass er sie anfasste, dann musste sie jetzt reagieren. „Deine Arbeit ist ungeheuer interessant, Matt.“ Beinahe hätte sie unglaublich gesagt.

Ein Grinsen schwabbelte über sein Gesicht, als wäre er Geheimnisträger der Regierung, der mit diesem Job alle Frauen um den Finger wickeln konnte. Dabei war er nur für die Kommunikation zuständig. Austauschbar. Jeder dressierte Affe hätte seinen Job machen können. „Nicht wahr? Es ist schon eine unglaublich spannende Arbeit.“

So spannend wie ein Kaninchenfurz! „Ja! Meinst du, du kannst mir mal etwas mehr darüber erzählen. Ein paar kleine Geheimnisse vielleicht? Etwas, das wir beide uns teilen können.“ Sie überwand ihre Abscheu und legte eine Hand auf seine nackte Schulter. Die Haut fühlte sich kalt und feucht an. Himmel, wie sie diesen Kerl hasste!

„Geheimnisse? Was meinst du?“ Er sah sie verdattert an.

„Wie die Kommunikationseinheit funktioniert, zum Beispiel. Vielleicht, wie man den Raum betritt oder so etwas.“ Sie wollte nicht zu sehr ins Detail gehen. Nachher hätte selbst dieser Trottel noch verstanden, worauf sie hinauswollte.

Seine Miene veränderte sich. Er erhob sich vom Bett und stellte sich kerzengerade hin, dabei streckte sich ihr sein dicker Bauch entgegen. „Das sind unglaublich wichtige Geheimnisse der HTO, Nici.“ Er versuchte, größer zu werden. Was umso lächerlicher war, da er ihr selbst auf Zehenspitzen gerade einmal bis zur Nase reichte. „Die darf ich mit niemandem teilen. Nicht einmal mit dir.“ Er wirkte ehrlich betroffen, doch dann kehrte dieses schmierige Grinsen auf sein Gesicht zurück. „Ich kann aber etwas anderes mit dir teilen.“ Er begann seine Hose zu öffnen und warf sich wieder neben sie.

Leslie verspürte Übelkeit. „Möchtest du nicht erst mal duschen gehen?“

„Kommst du mit?“

Wie oft soll ich denn heute noch duschen gehen? Sie schüttelte den Kopf.

Enttäuscht zuckte er mit den Schultern und verschwand im Sanitärbereich seiner Kabine. Damit hatte sie Zeit gewonnen. Am liebsten wäre sie geflohen, doch dann hätte sie ihren Plan aufgeben müssen. Und sie hatte keinen Plan B. Dabei brauchte sie neue Möglichkeiten dringender als alles andere. Gefahren drohten aus allen Richtungen. Wenn sie enttarnt wurde, dann war das kein Kavaliersdelikt. Betriebsspionage bedeutete mehrere Jahre Haft. Doch vielleicht war das noch die bessere Lösung. Wenn sie Coleman und der Space Rockets Company nicht lieferte, was sie versprochen hatte, dann konnte das sogar ihr Todesurteil sein. Die Möglichkeiten dazu hatte Coleman und er würde sie auch einsetzen. Sie hatte also die Wahl zwischen Pest und Cholera. Nur das Erreichen ihres Ziels würde alles zum Guten wenden können. Danach konnte sie sich für immer zur Ruhe setzen. Was sie jedoch nicht wollte. Sie liebte ihr Leben, wie es war. Aufregend, gefährlich und mit ihr als strahlende Siegerin am Ende. Nun aber befürchtete sie, dass es zum ersten Mal übel für sie ausgehen konnte.

Wenn Matt gleich aus der Dusche kam, musste sie sich schlafend stellen. Das würde sie zwar nicht davor retten, dass er sie begrapschte, aber ändern konnte sie es nicht. Morgen würde sie dann duschen. Lange, sehr lange.

 

*

 

„Was sagst du zu den Werten, Szer?“, fragte Pino Takkalainen seinen Kameraden.

„Welche meinst du?“

Wortlos deutete der Finne auf die Abweichungen, die das Messgerät anzeigte.

Szer Ekka, der Astronavigator der Promet, betrachtete konzentriert die Ausschläge auf dem Display. Dann zuckte er mit den Schultern. „Du bist der Techniker von uns beiden. Eine detaillierte Analyse kann ich dir leider nicht liefern. Aber seltsam sind die Angaben schon, da gebe ich dir recht.“

Tak wiederholte die Kontrolle. Die Ergebnisse veränderten sich nicht. „Das kann ich alleine nicht lösen. Dazu brauche ich Arn.“

Szer Ekka klopfte ihm auf die Schulter. „Es ist schließlich moranische Technik. Mit Sicherheit hast du das an der Uni nicht gelernt.“

„Moranische Software in irdischer Hardware“, berichtigte Tak mürrisch.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783957194954
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Space Opera Kultroman Raumschiff Promet Science-Fiction

Autor

  • Oliver Müller (Autor:in)

Oliver Müller wurde 1983 in Marl, der Stadt durch die genau die Grenze von Ruhrgebiet und Münsterland verläuft, geboren. Nach mehreren Veröffentlichungen in Anthologien und Online-Serien stieß er 2012 zum Team der Serie Raumschiff Promet. Neben seiner Mitarbeit bei Promet schreibt Oliver Müller auch für andere Serien, vornehmlich ebenfalls Science-Fiction.
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Titel: Raumschiff Promet - Von Stern zu Stern 05: Gefangene der Doppelsonne