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SNAKE 01: Terror-Hölle Kenia

von G. G. Grandt (Autor:in)
160 Seiten
Reihe: SNAKE, Band 1

Zusammenfassung

Dies ist das erste Buch in der Serie SNAKE Seit Jahren überziehen die islamistischen al-Shabaab-Milizen Ostafrika mit blutigem Terror. Am Horn von Afrika will der al-Quaida-Ableger einen Gottesstaat errichten. Sein Kampf gilt aber nicht nur der schwachen somalischen Übergangsregierung und den afrikanischen Friedenstruppen, sondern vor allem den westlichen Ungläubigen. Als Mohammed Abdirahman, einer der Militär-Kommandeure der Terror-Organisation, nur mit Glück einem Drohnenangriff der US-Streitkräfte entkommt, übt die al-Shabaab grausame Vergeltung. Im Ferienparadies Kenia explodiert die Gewalt gegen Ausländer. So verübt der deutsche Dschihadist Andreas Maier alias Ahmed Kalif einen verheerenden Selbstmordanschlag in einem beliebten Ferienhotel an der Diani Beach. Dabei kommen dutzende unschuldige Urlauber ums Leben. Unter ihnen auch der deutsche Hoteldirektor Carsten Heiniger. Die Amerikaner beauftragen das Global Diplomatic Bureau (GDB) den Milizenführer der al-Shabaab aufzuspüren und zu liquideren. Seit dem letzten Drohnenangriff, bei dem auch unbeteiligte Hirtennomaden getötet wurden, können weder das US-Militär noch die CIA offiziell in Kenia agieren. Weitere Kollateralopfer darf es aus politischen Gründen nicht mehr geben. So macht sich der beste Agent des GDB, Prinz Silko von Nake, genannt SNAKE, in die Terror-Hölle Kenias auf, um Mohammed Abdirahman ausfindig zu machen. Dabei geht es für ihn nicht nur um einen geheimen Auftrag, sondern auch um persönliche Rache. Denn der bei dem Sprengstoffanschlag ermordete Hoteldirektor Carsten Heiniger war sein bester Freund. Allerdings erweist sich Snakes Jagd auf den somalischen Milizenführer als wahrer Höllentrip, bei dem ihm sein Gegner immer einen Schritt voraus ist. Der GDB-Agent und seine kenianische Informantin Nahla werden von den Terroristen in eine der gefährlichsten Städte der Welt verschleppt - nach Mogadischu. In einem verlassenen Militärbunker werden sie gefoltert. Snakes Mission scheint gescheitert.... Die Printausgabe umfasst 160 Buchseiten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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© 2015 by BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Serienkonzept: Guido Grandt

Titelfoto: TFoxFoto by Shutterstock (138779177)

Umschlaggestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-95719-351-3

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Personen und Handlungen sind, soweit sie nicht historisch, frei erfunden. Ebenso das Global Diplomatic Bureau (GDB). Ähnlichkeiten mit lebenden Personen, wenn es sich nicht um bekannte Persönlichkeiten oder Personen der Zeitgeschichte handelt, sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

1. Kapitel

 

US-Marinestützpunkt Manda Bay, Kenia

Kelley Barracks, Stuttgart, Deutschland

US-Basis Ramstein, Deutschland

Camp Lemonnier, Dschibuti

Cannon Air Force Base, New Mexico, USA

 

Im JSOC-Einsatzraum des US-Marinestützpunktes Manda Bay herrschte rege Geschäftigkeit. Captain James Barker saß mit einem Joystick in der Rechten vor der mannshohen Data Wall. Mit äußerster Konzentration beobachtete er auf dem LCD-Bildschirm, welchen Weg die unbewaffnete Überwachungsdrohne im Grenzgebiet zwischen Kenia und Somalia nahm. Mittels einer Ku-Band-Satellitenverbindung wurde die ScanEagle von der Bodenstation aus gesteuert. Die für taktische Luftraumaufklärung verwendete Maschine konnte mit ihren Tageslicht- und Infrarotkameras für Schlechtwetter- und Nachtsicht vierundzwanzig Stunden lang ein Gebiet aufklären.

Barker war Pilot und gehörte der Aufklärungsabteilung Activity des Joint Special Operations Command an. Das JSOC war eine teilstreitkräfteübergreifende Kommandoeinrichtung, die einheitlich die auf Terrorismusbekämpfung, Geiselbefreiung und verdeckte Operationen ausgerichteten Spezialeinheiten führte. Seine Special Mission Units übernahmen jedoch nicht nur nachrichtendienstliche Aufgaben oder Feindaufklärung, sondern ebenso direkte Angriffsoperationen. Finden, Festnageln, Fertigmachen – rasches und sicheres Töten aller Feinde – war auch in Somalia, einem der unruhigsten Krisengebiete dieser Erde, die Maxime der amerikanischen Militärs.

Barker hatte schon annähernd fünfhundert Drohneneinsätze hinter sich. Neben ihm saß sein Sensoroperator, der genauso gespannt wie er selbst auf den Monitor starrte. Der Kopilot bediente die Bordkameras und sichtete die Aufnahmen.

Die Drohne hatte das Ziel lokalisiert und sandte Livebilder an die Kommandozentrale des Marine-Stützpunkts. Darauf war ein Konvoi von zehn alten, ramponierten Fahrzeugen zu sehen, der durch die karge, sonnenverbrannte Landschaft holperte. Bei den Wagen handelte es sich um sogenannte Technicals, Pick-ups mit auf Pritschen montierten Maschinengewehren oder Geschützen.

„Gottverdammt, wir haben diesen verfluchten Bastard!“, sagte Captain James Barker mit unverhohlenem Triumph in der Stimme. Schon seit Wochen waren sie der Zielperson Mohammed Abdirahman auf den Fersen, der die Wagenkolonne anführte. Die All Source Analysts, die Spezialisten der Special-Operations-Abteilung, hatten ihn längst als potenzielles Ziel nominiert. Präsident Barack Obama hatte ihn höchstpersönlich mit seiner Unterschrift auf dem Hinrichtungsdokument zum Abschuss freigegeben. Damit stand Abdirahman ganz oben auf der kill list.

Doch bislang hatte es der somalische Warlord immer wieder verstanden, sich dem Zugriff der Amerikaner zu entziehen. Damit sollte nun Schluss sein. Abdirahman gehörte so gut wie der Vergangenheit an.

Über Satellit gab Captain James Barker die genauen Koordinaten des Konvois nach Süddeutschland an die Kelley Baracks der US-Kaserne in Stuttgart-Möhringen weiter. Hier befand sich der Hauptsitz des Africa Command, dem die militärische Verantwortung für jeden Drohneneinsatz über Afrika unterlag. Das AFRICOM koordinierte zudem sämtliche Ablaufschritte der sogenannten kill chain, der Tötungskette eines Drohnenangriffs.

Der eigentliche Kampfeinsatzraum allerdings lag in der Ramstein Air Base in Rheinland-Pfalz. Dieser Stützpunkt war der größte Militärflugplatz außerhalb Amerikas, die Drehscheibe für die Kriege in Afghanistan und im Irak. Seit einiger Zeit stand dort auch das Air and Space Operations Center. Mit seinen fünftausend Quadratmetern modernster Technik und eintausendfünfhundert Computern bildete das AOC den Hochsicherheitsbereich der Airbase. Sie war das Herz und die Steuerzentrale des amerikanischen Luftkrieges in Afrika, von dem aus der Kampf gegen islamistische Terror-Milizen gelenkt wurde.

Auf der Data Wall im Kampfeinsatzraum wurde jedes einzelne Flugzeug und jede Drohne angezeigt, die über Afrika in der Luft war. Nahezu in Echtzeit gingen die Bilder der Bordkameras zur sofortigen Auswertung durch die Analysten ein. Über einen verschlüsselten Internet-Chat war das Militär in Ramstein mit anderen Einsatzbeteiligten verbunden: dem eigentlichen Startteam, dem Kommando in Stuttgart und den Piloten, die die Maschinen fernlenkten.

Auf dem Monitor erschienen nun die Liveaufnahmen von Abdirahmans Fahrzeugkonvoi. Rund tausend Kilometer von ihm entfernt, im Camp Lemonnier an der Meerenge Bab al-Mandab in der ostafrikanischen Republik Dschibuti, ging ein Befehl des AFRICOM ein. Daraufhin wurden auf einem abgetrennten, streng bewachten Teil des Flughafens zwei Drohnen für ihren Einsatz vorbereitet. Sie besaßen ungefähr die Größe einer Cessna 172. Unter den fünfzehn Meter langen Flügeln der R-Q1 Predators waren Hellfire-Luft-Boden-Raketen angebracht. Die Marschflugkörper wurden durch das Synthetic Aperture Radar der Kommandozentrale unterstützt und mit Satellitennavigation gelenkt.

Die Starts der Kampfdrohnen vom Rollfeld verliefen reibungslos. Ein Pilotenteam auf der Cannon Air Force Base im US-amerikanischen Bundesstaat New Mexico übernahm das Steuer. Die eigentliche Mission, die Jagd auf Mohammed Abdirahman, ging in ihre letzte Phase.

Das AOC in Ramstein blieb über den Chat weiterhin mit dem Startteam in Dschibuti, dem Kommando in Stuttgart und den Piloten verbunden. Sie wussten, dass das Targeting der Kampfdrohnen nicht immer hundertprozentig perfekt war, deshalb beobachteten sie gespannt die beweglichen Zielobjekte.

Die Predators flogen stabil in einer Höhe von annähernd sechs Kilometern; sie folgten den beweglichen Zielen seit zwei Stunden. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen, doch die Infrarotkameras an Bord lieferten weiter klare Bilder. Die Richtmikrofone waren so eingestellt, dass die Tausende Kilometer weit entfernten Piloten die Detonationen der Explosionen und selbst die Todesschreie der Zielobjekte hören konnten. Die Wärmebildkameras würden anzeigen, wie sich die Temperaturen der menschlichen Ziele nach dem Abschuss veränderten, die Körper immer kälter wurden.

Das Pilotenteam in New Mexico überprüfte noch einmal, ob die Bordwaffen funktionsfähig waren, und kalibrierte dann die Ziellaser. Alles war für den Abschuss bereit. Gleich darauf betätigten die Piloten die Feuerknöpfe.

 

*

 

Kenianisch-somalisches Grenzgebiet

 

Die Nacht brach so schnell herein, als ob jemand das Licht ausgemacht hätte. Mohammed Abdirahman kannte es nicht anders; schließlich hatte er sein ganzes Leben unter dem Äquator am Horn von Afrika verbracht. Im wilden, rauen, brutalen Somalia, das nie zur Ruhe kam. Das seit Jahrzehnten mit Wahnsinn, Blut und Gewalt überzogen wurde. In einem Land, in dem sich Regierungstruppen, Milizen, Terrororganisationen, Stämme, Clans sowie ausländische Kräfte der internationalen Gemeinschaft abwechselnd, manchmal aber auch gleichzeitig, einen erbitterten Kampf lieferten. Abgesehen von diesen militärischen und innenpolitischen Problemen betrieben auch noch skrupellose Geschäftsleute illegale Atommüll- und Giftmüllentsorgungen an der Küste. Ein Teil der Strände war verseucht und verstrahlt, mit nicht absehbaren Folgen für die nachfolgenden Generationen.

Wie lästige Fliegen schüttelte Abdirahman die Gedanken ab. In seiner Lage war es unsinnig, an die Zukunft zu denken. Zunächst einmal musste er die Gegenwart überleben. Denn als gefürchteter Warlord und Milizenkommandeur der Terror-Organisation al-Shabaab besaß er mächtige Feinde. Nicht nur die somalischen Regierungseinheiten oder die AMISOM, die Friedenstruppen der Afrikanischen Union, sondern auch die Amerikaner. Die verfluchten Ungläubigen wollten ihn für verschiedene Attacken auf  Touristengebiete im Nachbarland Kenia, für die er verantwortlich war, zur Rechenschaft ziehen, anders ausgedrückt: zur Strecke bringen. Deshalb befand er sich seit Monaten auf der Flucht vor der modernen Überwachungstechnik seiner Gegner. Bislang war er ihnen immer wieder entkommen. Er hoffte, dass sein Glück anhielt.

Abdirahman war ein großer, sehniger Mann mit kurzen Kraushaaren und schmalem Kinnbart, mit einer Haut so pechschwarz wie eine sternenlose Nacht. Bekleidet war er mit einer olivgrünen Tarnfleckuniform. Der Somali ließ seinen Blick über die zehn Pick-ups schweifen, die um ein paar Akaziensträucher gruppiert standen. Es handelte sich ausnahmslos um ältere Toyota- oder Nissangeländewagen, die teilweise schon recht ramponiert aussahen. Dennoch erwiesen sich die Fahrzeuge als absolut zuverlässig. Im fahlen Mondlicht schimmerten die stählernen Läufe der auf den Pritschen montierten .50er-MG. Mit den Technicals waren die Milizionäre der al-Shabaab mobiler in ihrer Kampfkraft, als wenn sie sich lediglich hinter Sandsäcken oder in Schützengräben verschanzten. So konnten sie einen ausgeklügelten und erfolgreichen Guerillakampf gegen ihre Feinde führen.

Abdirahmans Männer schliefen einige Meter weit weg unter offenem Himmel. Sollte man die Fahrzeuge ausmachen und angreifen, dann lagen sie wenigstens nicht darin oder direkt daneben. Wie immer verzichteten sie abends auf ein Feuer zum Kochen, ebenso tagsüber, um keinen Rauch zu erzeugen. Langsam ging allerdings das vorgekochte Essen zu Ende. Sie mussten sich bald neu eindecken.

Abdirahman öffnete die Fahrertür seines Pick-up und griff nach dem Thuraya-Satellitentelefon in der Halterung am Armaturenbrett. Mit ihm hielt er Verbindung zum neuen Anführer der al-Shabaab, Ahmed Omar, der mit richtigem Namen Abu Ubeida hieß. Dieser führte die Kämpfer an, nachdem die Amerikaner im September 2014 seinen Vorgänger Achmed Abdi Godane alias Mukhtar Abu Zubeyr mit einer Drohne in die Luft gejagt hatten.

Bevor Abdirahman das Satellitentelefon jedoch in Betrieb nahm, zögerte er. Irgendetwas beunruhigte ihn. Zuerst wusste er nicht, was es war. Doch dann bemerkte er, wie sich in östlicher Richtung, unweit von ihrem Standort, das Licht des Firmaments unvermittelt veränderte, seltsam heller wurde und flackerte. Schwach zwar, aber dennoch war es klar und deutlich zu sehen. Es handelte sich um das unbedachte Lagerfeuer von Hirten, die damit Raubtiere und Moskitos von ihren Herden fernhielten. Sicher ahnten sie nichts von dem al-Shabaab-Trupp in ihrer Nähe, sonst wären sie garantiert eiligst weitergezogen. Mohammed Abdirahman spürte, wie Groll in ihm aufstieg. Obwohl sich die Milizionäre erst vor Kurzem hingelegt hatten, konnten sie nicht mehr bis zum Morgengebet hierbleiben. Zu groß war nun das Risiko, entdeckt zu werden.

Mohammed Abdirahman wollte das Satellitentelefon betätigen, hielt jedoch erneut inne. Dieses Mal war es nicht nur das Licht am Himmel, das sich schlagartig veränderte, sondern auch die Luft. Es war fast so, als würde sie erzittern. Und dann dieses seltsame, tief brummende Geräusch. Das hochfrequente Surren von Drohnenpropellern …

Weiter kam der Milizenkommandeur in seinen Überlegungen nicht. Denn plötzlich explodierte alles um ihn herum in einem ohrenbetäubenden Krachen und gleißenden Flammenmeer.

 

*

 

Die zwei Black Hawk-Hubschrauber des Task Force 88-Teams aus Manda Bay landeten genau an der Stelle des kenianisch-somalischen Grenzgebiets, wo der Milizen-Konvoi zerstört worden war.

Noch immer stieg dichter Rauch von den mit Marschflugkörpern getroffenen Fahrzeugwracks auf. Die Sprengköpfe der Hellfire-Luft-Boden-Raketen hatten die Landschaft in einem Umkreis von über hundert Metern in eine Mondlandschaft verwandelt. Wie zufällig hingeworfen lagen inmitten der verbrannten Erde die Leichenteile von vierzig zerfetzten Terroristen verstreut. Einige der abgetrennten Gliedmaßen und Schädel fanden sich sogar noch weiter entfernt in vertrockneten Dornbüschen.

Die Männer des Task Force 88-Teams nahmen DNA-Proben von allen Toten. Nach ihrer Rückkehr zum Marinestützpunkt würden die Forensikspezialisten diese zu identifizieren versuchen. Vorausgesetzt, sie waren in irgendeinem Computer der JSOC verzeichnet. Neben den Toten entdeckten sie verschiedene Papiere, darunter den blutverschmierten Pass Mohammed Abdirahmans. Volltreffer, dachten sie.

Doch kurz darauf stellten die Ranger fest, dass die Hellfire-Raketen nicht nur den Milizen-Konvoi dem Erdboden gleichgemacht hatten, sondern auch eine Gruppe nomadischer Hirten, die sich in unmittelbarer Nähe aufgehalten hatte. Die zerrissenen Körper der sechsunddreißig Frauen, Männer und Kinder waren in traditionelle somalische Gewänder gehüllt, von denen nur noch Fetzen übrig geblieben waren. Die verschmorten Gummi-Billigsandalen made in China und die Turbane, die zumeist aus ihrem eigenen Bettzeug bestanden, sahen wie unwirkliche Reliquien aus, ebenso die zerbrochenen Schalen mit dem eingedampften Hirsebrei und der Kamelmilch, die im verbrannten Gras versickert war. Die verkohlten Kadaver ihrer Ziegen und Kamele muteten wie ein Potpourri aus Fleisch, Blut, Haut und Knochen an. Die Nomaden waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, galten statistisch gesehen als Kollateralopfer.

Nachdem das Team der Task Force seine Arbeit erledigt hatte, stiegen die Black Hawks wieder in den azurblauen Himmel. Auch wenn es sich bei den Drohnenangriffen um völkerrechtswidrige Exekutionen handelte – sie befanden sich im Krieg gegen den internationalen Terror. Und im Krieg war alles erlaubt.

2. Kapitel

 

Diani Beach, Nähe Ukunda, Kenia

 

Niemandem fiel der unscheinbare hagere Mann mit den langen braunen Haaren und dem Vollbart auf, der im Simba Gate Hotel eincheckte, gehörte er doch zu den annähernd zwei Dutzend Gästen, die an diesem Tag, ebenfalls aus Frankfurt kommend, in Mombasa gelandet waren. Mit Kleinbussen waren sie von dort aus direkt an den Diani Beach weiterbefördert und auf die jeweiligen Feriendomizile verteilt worden.

Andreas Maier war Mitte zwanzig und mitnichten so unauffällig, wie er wirkte. Denn er besaß einen weiteren Namen, den nur Eingeweihte kannten: Ahmed Kalif. Er war ein deutscher Konvertit, dessen konservatives Islambild sich in der al-Muhajirin-Moschee in Bonn entwickelt hatte. Bei den Verfassungsschützern galt die Moschee in der Nähe des Rheinufers bis 2010 als ein Hort von Salafisten, als ein Treffpunkt terroristischer Zellen. Hier kam Maier erstmals mit Ex-Somalis in Kontakt, deren Gruppe sich die „deutsche Shabaab“ nannte. Von da an gab es nur noch ein Ziel für ihn: sich der somalischen Terrororganisation anzuschließen. Ein Gotteskrieger zu werden, ein Mudschahid, der in Somalia, dem Land seiner Träume, leben konnte wie ein rechtschaffener Muslim. Das war im Westen, in Europa, in Deutschland aufgrund der Anfeindungen seit 9/11 nicht mehr möglich. So war es auch nicht verwunderlich, dass ein Recruiter, der in den Moscheen nach vielversprechenden Kandidaten Ausschau hielt, auf ihn aufmerksam geworden war und ihn sozusagen an seine Glaubensbrüder weitervermittelt hatte. Schließlich war er vor drei Jahren zum ersten Mal nach Nairobi geflogen. Im somalischen Eastleigh-Viertel der kenianischen Hauptstadt traf er auf seinen Schleuser, der ihn zunächst nach Garissa in die Provinz North-Eastern brachte. Von dort aus ging die Reise weiter ins achtzig Kilometer entfernte Flüchtlingslager Dadaab und von da aus nach Dobley auf die andere Seite der Grenze. In einem schäbigen Farmhaus, das einst von Weißen bewohnt gewesen war, wurde er tagelang eingesperrt und verhört, um auszuschließen, dass er ein Spion war. Erst dann erhielt der deutsche Konvertit ein umfassendes Terrortraining. So wurde er in einem geheimen al-Shabaab-Camp zum Scharfschützen ausgebildet. Zudem absolvierte er ein Sprengstoff- und Granatwerfertraining, Kurse in islamischem Recht sowie Korankunde, und wurde im Bau von Sprengsätzen und Sprengfallen unterwiesen. Danach war er reif für praktische Operationen, zu denen Terroranschläge auf zwei christliche Kirchen in Garissa mit sechzehn Toten und vierzig Verletzten gehörten, ebenso ein Bombenanschlag auf das Regierungsviertel von Mogadischu, der Hauptstadt Somalias, und ein Handgranatenangriff auf das Restaurant La Chaumière in Djibouti-City.

Immer wieder reiste Maier alias Ahmed Kalif als deutscher Staatsbürger in seine Heimat zurück. Offiziell hatte er sich keinesfalls etwas zuschulden kommen lassen; bei den hiesigen Behörden lag nichts gegen ihn vor. So konnte er unbehelligt als Mittelsmann zwischen Exil-Mudschaheddin-Somali und der Basis der al-Shabaab in Somalia fungieren, überbrachte Befehle, Strategiepläne und vor allem Geld aus deutschen Unterstützerkreisen.

Nun war Andreas Maier erneut in Kenia, dieses Mal jedoch mit einem ganz speziellen Auftrag. Nachdem er im Simba Gate eingecheckt hatte, begab er sich sofort auf sein Zimmer. Er hatte keine Zeit zu verlieren. Noch bevor er sein notdürftiges Gepäck im Schrank verstaut hatte, klingelte sein Billig-Handy. Es war sein Kontaktmann, der ihn bereits erwartete. Der Deutsche verließ den Gästeraum, durchquerte die Lobby und ging durch den parkähnlichen Palmengarten hinunter zum feinsandigen Strand. Vor wenigen Wochen war er schon einmal hier gewesen, um die Lage zu checken. Das Hotel wurde zwar von einigen Security-Leuten bewacht, wie jedes andere an der Küste auch, doch stellten sie kein Problem dar. Bei ihnen handelte es sich ausschließlich um mit Holzstöcken oder Gummiknüppeln bewaffnete Einheimische in Fantasieuniformen, unterbezahlt und mit schlechter Arbeitsmoral. Sollte es Schwierigkeiten geben, halfen ein paar Shilling.

Eine angenehme Brise wehte über das türkisblaue Wasser des Indischen Ozeans, streichelte Maiers schweißnasses Gesicht und ließ sein langes braunes Haar flattern. Unter Schatten spendenden Bastschirmen stand eine Liege neben der anderen, auf denen sich bleiche oder von der Sonne verbrannte Touristen rekelten. Maier hatte für sie nur einen abfälligen Blick übrig. Linker Hand bedrängten sogenannte Beach Boys die Hotelgäste, sobald sie den geschützten Bereich verließen, um im lauen Meerwasser zu schwimmen oder einen Strandspaziergang zu machen.

Beach Boys lebten zumeist in unmittelbarer Nähe der Touristenhotels und waren in der Regel in Gangs organisiert. Sie teilten die jeweiligen Strandabschnitte in verschiedene Reviere ein, um sich bei ihren Geschäften nicht in die Quere zu kommen. Einnahmen erzielten sie mit dem Verkauf von Kunstgegenständen, Holzschnitzereien, bunten Tuchstoffen, Safaris oder Tauchausflügen. Einige spezialisierten sich jedoch darauf, ältere Touristinnen anzubaggern und ihnen dabei die große Liebe vorzugaukeln. Sie besaßen das Talent, die gut betuchten einsamen Frauenherzen mit ein paar schmeichelnden Komplimenten und Zärtlichkeiten abzuzocken. Das Geschäft mit der Gefühlskriminalität boomte und war für die Täter sehr einträglich.

Einer dieser Beach Boys war Maiers Kontaktmann: Ibrahim Said, ein Exil-Somali. Tagsüber verkaufte er bunten Perlenschmuck an einem roh gezimmerten Holzstand unweit des Hoteleingangs. In Wirklichkeit aber arbeitete er für die al-Shabaab an der Südküste Kenias. Als er den Deutschen entdeckte, der zielstrebig durch den Sand auf ihn zukam, überzog ein kurzes Lächeln sein ebenholzschwarzes Gesicht. Allerdings nicht aus sentimentaler Wiedersehensfreude, sondern vor Erleichterung, dass es Ahmed Kalif ohne Probleme hierher geschafft hatte. Nun stand ihren weiteren Plänen nichts mehr im Weg.

Said begrüßte den hageren Mann, der ihn fast um Haupteslänge überragte, mit einem festen Handschlag.

Habari za alasiri, Ibrahim – Guten Tag, Ibrahim!“, sagte der Deutsche in fließendem Suaheli, das er perfekt beherrschte. „Jambo Andreas, nimefurahi kuonana nawe – Hallo, Andreas, freut mich“, antwortete der Mittelsmann kurz angebunden. Tunlichst vermied er es, sein Gegenüber mit Ahmed Kalif anzusprechen, um dessen Tarnung nicht durch eine solche Unachtsamkeit auffliegen zu lassen.

Nach diesen nichtssagenden Worten zogen sich die beiden unterschiedlichen Männer hinter eine Gruppe schattenspendender Kokospalmen zurück, die den weißen breiten Sandstrand säumte. Für zufällige Beobachter sah es so aus, als würden sie miteinander feilschen.

„Wann übergibst du mir das Moto?“, fragte Maier und sah den Schwarzen fest an.

„Heute Abend“, antwortete Ibrahim Said. „Nach Sonnenuntergang. Gleiche Stelle.“

Die beiden verabschiedeten sich gleich darauf wieder voneinander. Scheinbar ziellos schlenderte Andreas Maier dann am Strand entlang. Unbarmherzig brannte die Sonne auf ihn herab, doch er spürte die Hitze nicht. Auch das Rauschen des Meeres, wenn sich die Wellen am Ufer brachen, vernahm er nicht bewusst. Mit seinen Gedanken war er ganz woanders. Beim Moto. Das war der Suaheli-Begriff für Feuer. In diesem Fall handelte es sich aber lediglich um eine Tarnbezeichnung. Denn mit Moto war nichts anderes als eine Sprengstoffweste gemeint!

 

*

 

Seit fünfzehn Jahren leitete Carsten Heiniger das Simba Gate Hotel in der Nähe von Ukunda. Der waschechte Kölner und Tourismusmanager hatte seine Auswanderung an die Südküste Kenias nie bereut. Zum einen, weil er so dem tristen Wetter in Deutschland entkommen war. Zum anderen, weil er sich den lang gehegten Traum eines eigenen Hotels unter Palmen erfüllen wollte.

Bei den Urlaubern war das Simba Gate sehr beliebt; in den Saisonzeiten war es immer komplett ausgebucht. Vor allem deutsche, britische und amerikanische Gäste genossen den perfekten Service, die stilvollen Zimmer sowie den traumhaften Strandabschnitt mit dem weitläufigen Palmengarten.

Am weiten Horizont war soeben die Sonne in rotgoldenem Glanz über dem Indischen Ozean untergegangen. Nun herrschte tiefste Nacht, die das funkelnde Sternenmeer noch mehr zur Geltung brachte.

Carsten Heiniger lächelte seiner hübschen einheimischen Frau Nahla zu, die hinter der Rezeption stand. Annähernd zehn Jahre waren sie nun schon verheiratet, auch wenn sie vom Alter her seine Tochter hätte sein können. Heiniger war fünfundfünfzig, Nahla gerade mal achtundzwanzig.

Mit festen Schritten ging der Direktor des Simba Gate von der Hotelhalle in den Speisesaal. Artig grüßten die Angestellten ihren Boss, sobald sie ihm über den Weg liefen.

Heiniger war mittelgroß, blond, mit stets freundlichem Gesicht. Es schien fast so, als würde er aus purer Lebensfreude bestehen. Sein Enthusiasmus war ansteckend.

Um diese Zeit war das Restaurant gut besucht. Die meisten Gäste waren erst vor Kurzem vom Strand oder einem Ausflug zurückgekehrt und hatten sich für das Dinner schick gemacht. Bei den Damen sah der Hotel-Direktor elegante Kleider und knappe Hotpants, bei den Männern adrette Hemden und einfarbige Stoffhosen.

Die Einrichtung des großzügig gebauten Restaurants mit den Holztäfelungen war in dunkelrotem Mahagoni gehalten und zum Meer hin offen. Über den weiß gedeckten Tafeln surrten Ventilatoren, die nicht nur die Abendhitze, sondern auch die Moskitos vertrieben, die mit dem Einbruch der Dunkelheit wie eine biblische Plage über die Gäste herfielen.

Die hinteren Tische waren zu einer langen Reihe zusammengeschoben, an denen um die fünfzig Männer, Frauen und Kinder saßen, ausschließlich Amerikaner. Sie feierten an diesem Abend irgendeinen nationalen Feiertag. Alle waren gut drauf, und sie erwiesen sich als ziemlich trinkfest, die Mädchen und Jungen natürlich ausgenommen, die an ihren Cola-Flaschen nuckelten. Dennoch hielten sich die Feiernden in ihrer Lautstärke zurück, um die anderen Gäste nicht zu stören. Trotz des beträchtlichen Alkoholkonsums pöbelten sie nicht herum, sondern flirteten allenfalls mit einer der hübschen kenianischen Kellnerinnen, deren gazellenhafte Figuren jedes Männerherz höherschlagen ließen.

„A very good party and an excellent service, Sir!“, lobte einer der US-Boys, als er, von der Toilette kommend, wieder auf die Tische im hinteren Bereich des Speisesaals zusteuerte.

Carsten Heiniger bedankte sich dafür mit einem Lächeln. Dann ging er geradewegs auf die Amerikaner zu, blieb vor ihnen stehen und wünschte auf Englisch einen schönen Abend. Mit fast infernalischem Applaus quittierten sie seine freundlichen Worte.

Als Heiniger an der Mahagonibar vorbeikam, hinter der der Barkeeper vor lauter Cocktailmixen nicht mehr nachkam, fiel ihm ein Mann auf, der ebenfalls auf die Tische mit den Amerikanern zusteuerte. Er war ihm beim Einchecken über den Weg gelaufen, und er glaubte, ihn schon vor Wochen einmal gesehen zu haben. Ein Landsmann.

„Guten Abend, Herr …“, begann Heiniger, aber der hagere bleiche Mann mit den langen braunen Haaren reagierte nicht darauf, sondern ging zielstrebig weiter. Erst jetzt bemerkte der Hoteldirektor, dass die schäbige, zerfranste und ausgebeulte Jacke, die der Deutsche trug, einige Nummern zu groß schien. Vorne und hinten stand sie seltsam ab. Darunter zeichneten sich rechteckige Pakete ab, die in einem Gürtel steckten.

Carsten Heinigers ungutes Gefühl steigerte sich zur Panik, als er schließlich erkannte, was das war!

Im selben Moment, als ein schriller Warnschrei über seine Lippen gellte, bewegte der Hagere kaum merklich die Finger seiner rechten Hand. Noch bevor die Gäste überhaupt begriffen, um was es ging, explodierte der Körper des Deutschen in einer ohrenbetäubenden Detonation. Der Sprengstoff in seiner Weste war mit Nägeln, Schrauben und Bolzen versetzt und zerfetzte alles und jeden in einem Umkreis von fünfzig Metern. Abgetrennte Köpfe und Gliedmaßen wirbelten durch den Rauch und die Gebäudetrümmer. Fleischfetzen, Blut und Hirnmasse spritzten umher. Verbrannte, verkohlte Leiber sanken wie aus Gummi in sich zusammen.

Andreas Maier alias Ahmed Kalif hatte seinen letzten Auftrag ausgeführt.

3. Kapitel

 

Brüssel, Belgien

 

Nur langsam verebbte der lustvolle Schrei des ausgedehnten Orgasmus in der Schwüle des Zimmers. Immer noch spürte sie die Kontraktionen ihrer Vaginalmuskeln, die ihren gesamten Unterkörper mit einem elektrisierenden Zittern überzogen. Sekundenlang genoss die schlanke, achtundzwanzigjährige Frau dieses Gefühl, bis sie sich schließlich von dem drahtigen, durchtrainierten Körper des Mannes auf die andere Bettseite wälzte.

„Mein Gott, wenn ich da an meinen Herbert denke!“, schnaufte Scarlett von Markson vollauf befriedigt. Feuchte Wärme kitzelte zwischen ihren Schenkeln. Ihr praller fester Busen hob und senkte sich unter jedem Atemzug.

Prinz Silko von Nake, genannt Snake, grinste. „Na ja, der ist ja auch dreißig Lenze älter als ich und vierzig älter als du!“

Die Frau neben ihm fuhr sich mit der Hand durch das verschwitzte blonde Haar, das sie so kurz wie die Popsängerin P!nk trug. Schnell schob sie die Gedanken an ihren fast siebzigjährigen Gatten, Herzog Herbert von Markson, beiseite. So oft sich die Gelegenheit bot, flüchtete Scarlett in außereheliche Affären. Ihr regelmäßiges Techtelmechtel mit ihrem „Freund“ Snake rechnete sie jedoch nicht mit dazu. Ohnehin reiste er die meiste Zeit des Jahres irgendwo durch die Welt oder ruhte sich in seinem kleinen Schlösschen in der Nähe von Berlin aus. Nach Brüssel, seinem zweiten Wohnsitz, kam er hingegen nur selten. Deshalb nutzte Scarlett es aus, wenn er hier in seiner Villa weilte.

Bevor sie erneut etwas sagen konnte, klingelte Snakes Handy, das auf der Kommode im Erker des großräumigen Schlafzimmers lag. Prinz Silko von Nake atmete tief durch, stieg aus dem Bett und nahm das Gespräch an. Das erlaubte Scarlett einen Blick auf den nackten, attraktiven Mann mit dem kurzen schwarzen Haar. Das Auffallendste an seiner Erscheinung war jedoch nicht das kantige Gesicht, in das sich harte Züge eingegraben hatten, sondern die tiefblauen Augen, die wie ein sonnenbestrahlter Gletschersee glitzerten. Aus diesem Grund nannte sie ihn manchmal auch liebevoll „Husky“.

Doch nun verdüsterte sich Snakes Miene zunehmend. Nichts von der Leichtigkeit des Augenblicks zuvor war übrig geblieben. Als eine der wenigen wusste Scarlett, dass ihr Freund als Agent des Global Diplomatic Bureau arbeitete. Das GDB war eine getarnte Geheimdienstagentur mit Hauptsitz in Brüssel.

Snake verabschiedete sich von seinem Gesprächspartner. „Ich muss gleich weg!“, sagte er knapp, während er sich anzog. In seiner Stimme klang tiefe Trauer mit, aber auch unbändiger Zorn.

„Was ist geschehen?“ Scarlett hatte sich aufgesetzt. Ihre prallen Brüste schimmerten im Licht der Morgensonne, das durch die hohen Glasfenster fiel.

„Carsten ist tot! Zerrissen von der Bombe eines Selbstmordattentäters!“

Die Herzogin unterdrückte einen Entsetzensschrei. Sie kannte Carsten Heiniger, hatte sie Snake doch einmal nach Kenia begleitet, wo sie im Simba Gate Hotel vier aufregende Wochen zusammen verbracht hatten. Dabei hatte sie den jovialen Direktor und seine junge Frau Nahla nicht nur kennen, sondern auch schätzen gelernt.

„Ich werde dir später alles erklären!“ Snake hatte sich rasch in eine leichte Sommerhose, ein weißes Hemd und ein dunkles Jackett geworfen. Er hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn und verließ das Schlafzimmer. In der Küche hörte er seinen Angestellten Gary LaHaye werkeln. Der Kanadier war Mädchen für alles: ausgebildeter Einzelkämpfer, Bodyguard, Chauffeur, Koch, Gärtner und Kellner.

„Wir müssen los, Gary!“

Der fünfzigjährige, braun gebrannte, muskulöse Glatzkopf vernahm die Dringlichkeit in der Stimme seines Chefs. Ohne Zögern stellte er den Milchshake zur Seite, den er sich gerade gemixt hatte, und ging wortlos die Treppe zur Garage hinunter. Dort klemmte er sich hinter das Steuer des schwarzen Audi R8. Als er den Anlasser betätigte, brüllte der V10-Plus-Motor wie ein erwachender Löwe auf. Das Garagentor öffnete sich automatisch. Snake stieg ein und nannte LaHaye die GDB-Zentrale als Zielort. Normalerweise hatte er kein Problem damit, selbst zu fahren, aber im Moment kreisten seine Gedanken nur um den Tod seines Freundes im fernen Afrika.

Snakes Villa lag ganz in der Nähe des Bois de la Cambre, des beliebten Stadtparks von Brüssel. Die GDB-Zentrale befand sich in der flämischen Gemeinde Zaventem auf dem Areal des Airports. Er war stadtnäher als der Charleroi und diente zudem als Militärflughafen. Die belgische Luftwaffe benutzte die Melsbroek Air Base als Heimatbasis für ihre Transportflugzeuge.

Gary LaHaye dirigierte den R8 durch den dichten Morgenverkehr im Zentrum Brüssels. Schließlich erreichten sie den äußeren Ring und fuhren auf der A 201 in östlicher Richtung weiter zum Autobahnkreuz Zaventem.

Snake hatte genügend Zeit zum Nachdenken. Carsten Heiniger war nicht nur ein Studienkollege, sondern auch ein sehr guter Freund gewesen. Wie er selbst hatte er zunächst Psychologie, Ökonomie und Sport studiert, dann aber, im Gegensatz zu Snake, noch internationales Tourismus-Management. Sein größter Traum war ein eigenes Hotel in den Tropen, den er sich mit dem Simba Gate in Kenia schließlich erfüllt hatte. Er war mit seinem Leben in der Ferne und seiner bezaubernden Frau Nahla so glücklich gewesen. Der Kontakt zwischen ihm und Carsten war nie abgebrochen. Mindestens einmal im Jahr sahen sie sich – entweder in Afrika, in Belgien oder in Deutschland.

Snake verdankte seinem Freund auch die Tätigkeit als Agent. Carstens Onkel war ein hohes Tier beim Militärischen Abschirmdienst, dem Nachrichtendienst der Bundeswehr. Im Vertrauen hatte er seinem Neffen damals von einer neuen „Geheimdienst-Agentur“ berichtet, die in Brüssel gegründet worden war. Das Global Diplomatic Bureau, wie sie hieß, bildete Frauen und Männer mit Polizei- und Militärerfahrung zu Agenten aus. Über diese Schiene kam Snake schließlich zum GDB, nachdem er selbst bei der Antiterroreinheit der Bundespolizei sowie der militärischen Spezialeinheit der Bundeswehr, dem Kommando Spezialkräfte, gedient hatte. Dort wurde er unter anderem zum Scharfschützen mit Kurz- und Langwaffen ausgebildet, beherrschte die chinesische Kampfkunst Wing Tsun und war ein exzellenter Reiter, Schwimmer, Langläufer und Rallyefahrer. Neben deutsch sprach Snake fließend englisch, französisch, spanisch, italienisch, türkisch und russisch.

Eigentlich hatte Prinz Silko von Nake es nicht nötig, sich als Geheimdienstagent zu betätigen. Finanziell jedenfalls nicht. Schließlich besaß er nicht nur einen ererbten Adelstitel – derer von Nake, die sich bis auf das 14. Jahrhundert zurückverfolgen ließen – sondern auch ein beträchtliches Vermögen, das sein Vater Albert bereits zu seinen Lebzeiten angehäuft hatte. Obwohl die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Familienbesitz enteignet hatten, zeigte Albert von Nake Entschlossenheit, Mut, Willenskraft und Fleiß. Aufgrund seiner High Society-Kontakte gelang es ihm, eine der größten Stahlfabriken Deutschlands zu gründen, die schon nach kurzer Zeit beträchtlichen Gewinn abwarf. Albert zahlte alle gewährten Kredite mit Zinseszins zurück. Nach dem Tod seines Vaters verkaufte Silko das Unternehmen, weil er nicht als normaler Geschäftsmann enden wollte. Seit jeher lockten ihn das Abenteuer, ferne Länder und schöne Frauen. Er ließ sich nicht an einen bestimmten Platz festnageln, gleich gar nicht in einer hiesigen Stahlfirma. Deshalb war er Carsten Heiniger auf ewig dankbar dafür, dass er ihm indirekt die Möglichkeit verschafft hatte, als Agent des GDB zu arbeiten. Hierbei konnte er all seine Abenteuerlust, sein Fernweh und seine sexuellen Triebe ausleben.

Über Brücken und durch Tunnel erreichten Snake und LaHaye schließlich das in mehrere Stockwerke unterteilte Gebäude mit den beiden Terminals, das Flughafen-Areal von Zaventem. Die Architektur zeigte einen Mix aus verschiedenen Epochen, denn immer wieder waren neue Gebäudeteile angebaut oder renoviert worden – oder aber man hatte sie einfach nur leer stehen gelassen. Die ältesten stammten aus den 1950er-Jahren. LaHaye umfuhr die unteren Etagen mit dem Ankunftsbereich, dem Bahnhof, den Taxiständen und den Bushaltestellen und ließ die Parkhäuser sowie das Sheraton-Hotel links liegen. In der Nähe des Fracht- und Logistikzentrums, dem sich Hangars und Büros anschlossen, passierte er eine schwer bewachte, abgesperrte Sicherheitszone. Snake und Gary wurden von Security-Mitarbeitern mit einem Printscanner überprüft; erst dann konnten sie passieren. Dieser Teil des Flughafens war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Nur wenige wussten überhaupt, dass hier das Global Diplomatic Bureau untergebracht war.

LaHaye parkte den Audi auf dem überdachten Parkplatz vor dem Hauptgebäude mit den großen Glasflächen, das in der Nähe von Terminal A lag. Er würde warten, bis Snake wieder zurückkam.

Prinz Silko von Nake ging durch den Haupteingang. Erneut wurde er von Security-Leuten gecheckt; anschließend fuhr er mit der Rolltreppe verschiedene Zwischenetagen hinauf, in denen Techniker und Logistiker des GDB untergebracht waren. Dann endeten die Rolltreppen, und er musste in einen Aufzug steigen, der ihn schließlich in die obere Etage mit den Büros brachte. Insgesamt beschäftigte das GDB etwa fünfhundert Mitarbeiter. Das Global Diplomatic Bureau war eine Art „Söldner-Agentur“. Es lieh Kontraktagenten an internationale Geheimdienste aus, wenn diese aus politischen Gründen nicht selbst aktiv werden sollten, konnten oder durften. Das Tätigkeitsfeld der vielseitig einsetzbaren Spion-Söldner war über die ganze Welt ausgedehnt. Snake war der Beste von ihnen. Oft wussten nicht einmal nationale Parlamente davon, dass es das GDB überhaupt gab. „Gebucht“ wurden sie zumeist von den Geheimdienstchefs oder von den Innen- oder Außenministern der jeweiligen Staaten.

Vor dem Büro, auf dessen Tür eine Plakette mit dem Losungsspruch des GDB angebracht war, blieb er kurz stehen.

Spionage ist die einzig intelligente Form der Kriegsführung, stand da. Über den Sinn oder Unsinn dieser Parole konnte man sich freilich streiten.

Snake zog die Tür auf und betrat das Vorzimmer von Georges Claude Moreau, dem Chef des GDB. Mademoiselle Dominique Bonnet, seine Sekretärin, empfing ihn mit einem strahlenden Lächeln. Die kleine grauhaarige Frau Anfang sechzig, mit einem rosigen, runden Gesicht, schien sichtlich erfreut, ihn zu sehen.

„Der OF-9 erwartet Sie bereits, Monsieur Snake.“ Ihre Stimme klang wie ein helles Glockenspiel. Noch immer redete sie ihn mit Monsieur an, obwohl er ihr schon dutzendfach gepredigt hatte, dass er für sie einfach Snake war.

Mit OF-9 war Georges Claude Moreau gemeint. Das GDB benutzte den allgemeinen NATO-Rangcode, der die Verschiedenartigkeit der Dienstgrade in den Streitkräften der Länder des Atlantischen Bündnisses vereinheitlichte. OF-9 stand für General. Snake selbst war ein OF-3, das entsprach dem Rang eines Majors.

Mademoiselle Dominique Bonnet öffnete eine Zwischentür, und Snake betrat Moreaus modern eingerichtetes Büro. Nach der Begrüßung setzte er sich dem General gegenüber, der sich wieder hinter seinem mächtigen Schreibtisch verschanzte.

Der OF-9 war Ende fünfzig, von mittlerer Größe, kräftig gebaut, mit grau meliertem Haar. Seine wässrigen grünen Augen waren fast ganz unter den dichten weißen Brauen verborgen, die über einer fleischigen Nase und einem dünnlippigen Mund saßen. Er war mit einem marineblauen Anzug bekleidet.

„Es tut mir leid um Ihren Freund“, sagte der General mit ehrlichem Bedauern. „Ich weiß, wie nahe Sie sich gestanden haben. Der Selbstmordanschlag hat sechsundachtzig Touristen und vier Hotelangestellte in den Tod gerissen, darunter dreiundfünfzig Amerikaner. Der Rest waren Deutsche, Schweizer und Briten.“

Snake schwieg einige Augenblicke. Dann fragte er: „Liegen den Sicherheitsbehörden genauere Erkenntnisse vor?“

„In der Tat! Inzwischen bekannten sich die somalischen Terror-Milizen al-Shabaab zu diesem Anschlag. Auf einer der Webseiten, die die Organisation üblicherweise nutzt, wurde eine Audiobotschaft gepostet. Darin hieß es, dass das Attentat im Simba Gate Hotel ein Racheakt für die gescheiterte Tötung ihres Militärkommandeurs Mohammed Abdirahman sei. Der Hintergrund: Das Joint Special Operations Command der U.S. Army in Ostafrika hatte mit einem gezielten Drohnenangriff im kenianisch-somalischen Grenzgebiet versucht, Abdirahman zu töten. Allerdings ging die Aktion gründlich schief. Zwar wurde der Fahrzeugkonvoi der Terroristen getroffen und viele von ihnen erledigt, aber die eigentliche Zielperson ist entkommen. Die Auswertung der DNA-Proben ergab, dass Abdirahman nicht unter den Leichen war, auch wenn sein Pass gefunden wurde. Doch es kommt noch schlimmer. Die Drohnen-Raketen radierten etwa vierzig unschuldige Hirtennomaden aus, die sich zufällig in der Nähe befunden hatten, darunter neunzehn Kinder. Ein Desaster für die Amerikaner!“

„Großer Gott …“

Georges Claude Moreau hielt kurz inne, bevor er fortfuhr. „Das Simba Gate Hotel am Diani Beach ist jedoch nicht zufällig als Ort des Selbstmordattentats ausgewählt worden. Es wurde vorher ausgespäht, um sicherzugehen, dass vor allem US-Staatsbürger dort untergebracht waren. Der Attentäter war ein gewisser Andreas Maier, der sich auch Ahmed Kalif nannte. Ein deutscher Konvertit, der für die al-Shabaab arbeitete. Einige Wochen vor dem Anschlag war er schon einmal im Hotel, wohl um die Lage und Sicherheitsvorkehrungen zu checken.“ Der General schob Snake eine braune Aktenmappe mit der Aufschrift Top Secret über den Tisch. „Hier sind Dokumente, Fotos und sonstige Unterlagen mit allen Details. Ebenso ein USB-Stick mit denselben Informationen …“

Ein leises Klopfen unterbrach die Ausführungen des OF-9. Moreau bat den bereits erwarteten Besuch herein. Mademoiselle Bonnet führte einen kleinen, dünnen und kahlen Mann in einem maßgeschneiderten dunklen Anzug mit rostroter Krawatte in das Büro. Sein Händedruck war so fest wie ein Schraubstock. Es handelte sich um Terry Whiteman, den stellvertretenden US-Botschafter in Belgien. Snake kannte ihn aus der Presse. Er setzte sich in den Sessel neben ihn.

„Monsieur Whiteman ist inoffiziell hier“, begann der OF-9.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783957193513
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Islam GDB Thriller Krimi CIA Geheimdienst Terror

Autor

  • G. G. Grandt (Autor:in)

Guido Grandt, geboren 1963, ist Autor/Publizist, freier TV-Produzent, TV-Redakteur, Fachzeitschriftenredakteur.
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Titel: SNAKE 01: Terror-Hölle Kenia