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Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 08: Das Königsgrab in der Felsenstadt

von H.W. Stein (Hrsg.) (Autor:in) Hymer Georgy (Autor:in)
192 Seiten

Zusammenfassung

Ein heimtückischer Überfall. Ein ewiges Grab. Ein geheimnisvoller Schatz. Kara Ben Nemsi und seine Freunde sind in einem tödlichen Abenteuer aus Habgier und Verrat gefangen, aus dem es kein Entrinnen gibt. Aufgeschrieben von ihm selbst. Redigiert und überarbeitet von Hymer Georgy. Die Printausgabe umfasst 192 Buchseiten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis




Personenregister:


Kara Ben Nemsi

Hadschi Halef Omar

Omar Ben Sadek

Konstantin Rügli- Ein Schweizer Archäologe und Schatzsucher.

Helena Rügli - Konstantins Schwester.

Abukar el Sayed - Ein einheimischer Vormann des Ausgrabungskorps

Ruben van der Veen - Ein Mitarbeiter Rüglis aus Belgien

Nassar ad Taruk - Ein einheimischer Führer und treuer Begleiter von Helena Rügli.

Ibrahim Nassur - Eine zwielichtige Gestalt.

Malek el Barujd - Ebenfalls ein arger Verbrecher

Yussuf ad Sharek - Ein Medizingelehrter.

Yasmin - Die Frau von Yussuf.

Yüzbaşı Huda, Mülazim Marcelin, Tschausch Tian - Drei Offiziere der osmanischen Armee.

Sir David Lindsay

Handlungszeitraum der Geschichte: Januar 1873



Karte der Felsenstadt Petra, um 1873.


Karte_Petra

© Hymer Georgy 2016



Anmerkungen zur Karte:


Die Felsenstadt Petra ist real und heutzutage die touristische Hauptattraktion Jordaniens (früher Bereich des Vilâyet Hiyaz im syrischen Teil des Osmanischen Reiches). In den 1920er und 1930er Jahren erfolgte eine ganze Reihe von Ausgrabungen, die auch weiterhin noch oder wieder fortgesetzt werden. Erneut im Frühjahr des Jahres 2016 etwa wurde durch Luftbilder dort auch der Standort eines bisher nur vermuteten Opferplatzes wiederentdeckt. Petra dürfte also noch viele Geheimnisse bergen, und das heutige Petra weist wesentlich mehr Fundstellen auf, als aus den Aufzeichnungen des Schweizer Orientreisenden Burkhardt oder anderer zu entnehmen ist. Die beschriebenen Orte in dieser Geschichte sind sämtlich real. Die Fundstelle eines Königsgrabes bei der Westflanke des Jabal Madhbah ist allerdings eine reine Erfindung des Autors. Alle historisch fundierten Hintergründe in Bezug auf Nabatäer und Ägypter sind recherchiert und wahrheitsgemäß wiedergegeben, in Bezug auf die Fundstelle jedoch den dramaturgischen Notwendigkeiten angepasst.

Hymer Georgy



Prolog


Am Weihnachtsabend des Jahres 1872 war ich in der Grabeskirche Christi zu Bethlehem überraschend von Konstantin Rügli aus der Schweiz angesprochen worden. Dieser hatte es sich in den Kopf gesetzt, mit einem bunt zusammengewürfelten Ausgrabungskorps die geheimnisvolle Felsenstadt Petra aufzusuchen, in welcher er einen unermesslichen Pharaonenschatz vermutete. Er überredete und überzeugte mich, ihm der Führer dorthin zu sein.

Da Rüglis Schwester Helena, die eigentlich mit an der Reise teilnehmen wollte, mit ihrer Ankunft in Jaffa überfällig war, brachen wir ohne sie auf. Ich gewann unterwegs in dem grobschlächtigen, einheimischen Vormann des Ausgrabungskorps, Abukar El Sayed, einen neuen Freund, und dies, obwohl er zuvor eher unangenehm auffiel und ein Maulheld schien. Doch das täuschte.

Auf der gefahrvollen langen Reise gelang es uns, den Medizingelehrten Yussuf ad Sharek sowie dessen Weib Yasmin vor dem sicheren Tod zu bewahren, zu dem sie ein heimtückischer Führer namens Ibrahim Nassur verdammt hatte, um sich in den Besitz von deren Habseligkeiten zu bringen.

Vor Petra stießen wir wiederum auf Malek el Barujd und seine Beduinenhorde, welche uns als Führer in die Felsenstadt hineinbringen wollten, deren verborgene Eingänge nur den Einheimischen bekannt sind. Doch das war eine heimtückische Falle!

Wir verteidigten uns, so gut wir es vermochten, hatten aber schnell einige Tote zu beklagen. Auch Konstantin Rügli wurde verwundet. Da erhielten wir unerwartet Hilfe von mehreren geheimnisvollen Schützen, welche unsere Widersacher aufs Korn nahmen.

Als ich nun gemeinsam mit Abukar El Sayed mitten im Kampfgetümmel zum verwundeten Konstantin Rügli hinschlich, mein neuer, grober Freund zu den aufragenden Felsen deutete und ich mit einem langen Blick der Geste folgte, gefror mir allerdings das Blut in den Adern ...



Kapitel 1 - Widerstand ist zwecklos!


Ich erblickte oben im Fels einen bedrohlich wirkenden Beduinen! Nein, eigentlich waren es sogar zwei! Doch das allein war es freilich nicht, was mich derart fassungslos werden ließ, sondern etwas anderes.

Der größere der beiden hielt nämlich eine Frau fest im Griff und hatte selbiger zugleich einen Krummdolch an die Kehle gesetzt. Eine Europäerin, unverkennbar! Der andere, ebenfalls in einen weißen Umhang gehüllte Mann stand daneben und zielte mit einer alten Pistole in der Hand seines ausgestreckten Armes auf deren Kopf. Alle drei waren mir unbekannt, doch stand in Anbetracht der ganzen Situation fest, dass die beiden Beduinen zu Malek gehörten. Die Frau, das mochte vielleicht aber auch eine Sinnestäuschung sein, erinnerte mich an das Gesicht in einer Fotografie, die mir Konstantin Rügli anfangs unserer Reise nach Petra gezeigt hatte. Möglicherweise handelte es sich tatsächlich um Helena, seine Schwester, die ihn in Jaffa verpasste und auf die wir auch in Jerusalem vergeblich warteten. Doch wie kam sie dann hierher? Ich bemerkte auf die Entfernung, dass sie sich eine Wunde an der Stirn zugezogen hatte, die leicht blutete, aber nicht weiter gefährlich aussah. Offenbar hatten die beiden Beduinen dort oben sie irgendwie überrumpelt. Wann? Wo? Ich hatte keine Vorstellung! Aber Abukar El Sayed brachte mir immerhin so etwas wie eine Bestätigung.

„Das kann nur die Schwester von Rügli Effendi sein!“, stieß er entsetzt hervor. Auch er hatte demnach die Fotografie bereits einmal gesehen.

Diejenigen auf dem Grat ließen uns allerdings keine Zeit, oder auch mir, meine Gedanken zu ordnen. Denn schon schallte es laut von dort herunter: „Legt die Waffen nieder, sonst töten wir sie!“ Das rief der Selbige mit der Pistole, den ich erst später namentlich als Ibrahim Nassur kennenlernen sollte.

Abukar El Sayed wollte seine Flinte heben, um dem Rufer die seiner Meinung nach einzig passende Antwort auf dessen Forderung zu geben. Aber ich bedeutete ihm mit einer Hand, die Waffe zu senken. Er blickte mich verständnislos an und raunte mir mahnend zu: „Wenn wir jetzt gehorchen, Sajid, bringen sie uns alle um. Ich kenne solche Leute und weiß, wie sie vorgehen. Die machen keine Gefangenen. Wir dürfen uns nicht ergeben!“

„Uns bleibt keine Wahl“, sagte ich jedoch ruhig. „Wenn wir Widerstand leisten, bringen sie die Frau um. Das will ich auf jeden Fall verhindern.“

„Dann müssen wir kämpfen! Wenn wir aufgeben, tötet man erst sie und dann uns. Damit wäre nichts gewonnen.“

„Das glaube ich nicht. Wenn man uns gleich töten wollte, hätte man uns aus einem Hinterhalt von dort oben aus einfach abknallen können. Ich denke, man wusste, dass wir hierher kommen würden. Weil Rügli Sajid verletzt ist! Die da wollen uns lebendig!“

„Lebendig? – Zu welchem Zweck, Effendi?“

„Vielleicht sind wir lebendig doch für Malek von höherem Wert als tot.“

„Danach haben die Beduinen bisher auch nicht gefragt. Was sollte deren Meinung geändert haben?“

Bevor ich antworten konnte, feuerte Nassur, der oben bei der Frau auf dem schmalen Absatz im Felsen stand. Ich erschrak, doch er hatte nicht auf die Frau geschossen, sondern in die Luft, um der vorherigen Forderung Nachdruck zu verleihen. Eine Patrone weniger, aber ich konnte nicht genau erkennen, wie viele noch darinnen sein würden. Offenbar dauerte den beiden unsere Entscheidungsfindung zu lange. Daher legte ich meinen Stutzen ab, und Abukar tat es mir mit seiner Flinte widerwillig nach. Im nächsten Moment wurde es uns bewusst, dass weiterer Widerstand wirklich zwecklos gewesen wäre. Denn im Nu waren wir von einer Horde weiterer bewaffneter Beduinen umringt, die rechts und links in den Felsen versteckt gewesen waren und nun ihre Flintenläufe auf uns richteten. Meinem Begleiter blieb nichts anderes übrig, er musste sich ebenfalls ergeben. Unsere geheimnisvollen Unterstützer ließen sich gegenwärtig nicht in dieser Ecke blicken. Sie hatten sich wohl zurückgezogen, nachdem einige Beduinen das Feuer massiv auch auf sie erwiderten.

Man packte uns, dann wurden wir in Fesseln gelegt und zu dem Wagen gebracht, neben dem der verletzte ­Konstantin Rügli lag. Er hatte das Bewusstsein nicht verloren, war aber nicht recht ansprechbar und krümmte sich vor Schmerz. Wir konnten nichts tun, die Fesseln und unsere Wachen hinderten uns.

Es dauerte eine Weile, bis auch die beiden Beduinen von dem Felsen mit der Frau in ihrer Gewalt zu uns stießen. Unterdessen war etwas entfernt weiterer Kampfeslärm zu hören. Schüsse krachten ohne Unterlass, während wir tatenlos zur Kenntnis nehmen mussten, dass wir das Gefecht verloren hatten. Schreie waren zu hören, Schreie der Verletzung und des Todes. Diejenigen, die uns zuvor beigestanden hatten, mischten anscheinend dort wieder kräftig mit, und so gab es auch aufseiten des räuberischen Beduinenstammes zahlreiche Opfer. Doch dann mussten die geheimnisvollen Helfer sich, offenbar selbst in arge Bedrängnis geraten, abermals zurückziehen. Das Schießen wurde geringer.

Maleks Männern gelang es nun, das Ausgrabungskorps zu überwältigen. Wer sich nicht ergab, wurde niedergeschossen. Er ließ mit wütenden Worten nach den geheimnisvollen Schützen suchen, doch dies blieb vergeblich.

Am Ende war traurige Bilanz zu ziehen. Von ursprünglich dreiundzwanzig Männern auf unserer Seite lebten nur noch vierzehn, Abukar und mich eingeschlossen. Unter den Toten waren auch der Koch Hyazinth sowie zwei Europäer, deren Aufgabe es gewesen wäre, Vermessungen zur Suche nach dem Königsgrab durchzuführen. Von den Überlebenden waren mehr als die Hälfte verletzt. Rügli und einen der Chinesen hatte es am Schlimmsten erwischt. Ruben van der Veen, der bei dem Schweizer gewacht hatte, war mit heiler Haut davongekommen. Den Beduinen schien der Grad unserer Verletzungen gleichgültig. Alle wurden gefesselt, auch Helena. Bei ihr war man so gnädig und fesselte ihr lediglich die Hände nach vorn, sodass sie sich zumindest ein wenig um ihren Bruder zu kümmern vermochte. Nur mit Konstantin Rügli, den es ziemlich getroffen hatte, machte man sich die Mühe nicht. Abukar, Ruben van der Veen, die Frau und ich saßen schließlich bei ihm, alle anderen hatte man etwas abseits, jedoch keineswegs außer Sichtweite platziert. Der Kampf war zu Ende, und unsere Gegner genossen sichtlich jubelnd den Triumph.

Malek el Barujd baute sich vor uns auf und sprach den zu Bewusstsein gelangten Rügli direkt an, während er für uns andere nur einen abwertenden Blick übrig hatte. „Na, du Hund! Bereust du es jetzt, uns für unsere Führerdienste ganze lumpige fünfhundert Piaster geboten zu haben, wo wir doch ohnehin nur tausend verlangten?“, fragte er zornig und spuckte anschließend aus.

Rügli war eigentlich zu schwach, eine angemessene Erwiderung zu geben, dennoch gelang es ihm, was meine Hochachtung für den Mann steigen ließ.

„Hätte das etwas geändert?“, fragte er stöhnend. Er tat es in langsamen Worten, nicht stotternd, aber gerade so, wie es ihm die Kraft dazu überhaupt erlaubte. „Ihr hättet uns doch sowieso überfallen! Hinterhältige Mordsbande!“

Malek el Barujd lachte höhnisch. Dann gab er von sich: „Schon möglich. Aber hättest du uns die tausend gewährt, anstelle uns mit einem Trinkgeld abspeisen zu wollen, dann hätten wir euch für Ehrenleute gehalten und einen schnellen Tod beschert. Da ihr aber geizig wart und jetzt sogar einige der Meinen auf dem Gewissen habt, werdet ihr alle eines langsamen Todes sterben.“

Nun lachte der Schweizer kurz und erbittert auf, obwohl ihn dies schmerzte. Dann gab er trocken zurück: „Ich bin doch schon so gut wie tot!“ Die Wunde an der Hüfte, unter der er litt, sah in der Tat nicht sehr gut aus.

El Barujds Blick fiel nun auf Helena, die mit Tränen in den Augen neben ihrem daliegenden Bruder saß und ihm helfen wollte, aber es nicht wirklich vermochte. Er schien eine neue Teufelei zu ersinnen. „Du schon!“, sagte er bestimmt und mit einem höhnischen Unterton. „Das Weib da allerdings nicht, das uns Allah in die Hände gegeben hat. Sie behauptete, sie sei deine Schwester.“ Rügli sagte nichts, daher fuhr Barujd fort: „Es wird sich bestimmt ein reicher Sheik finden, der mir einen guten Preis für sie bezahlt!“ Dann lachte er gemein.

Da geschah Unglaubliches! Der doch so verletzte Eidgenosse spannte die Beine an und trat von unten her el Barujd gegen die Knie, sodass dieser aufschrie und nach vorn stürzte. Er kam auf Rügli zu liegen. El Barujd zog sein Messer und war versucht, dem Schweizer sofort die Kehle durchzuschneiden. Das hatte er offenbar provozieren wollen, da er sich selbst ohnehin keine lange Lebenserwartung mehr gab und den schnellen Tod einem langsamen vorzog.

Doch ich wollte dies nicht zulassen! Noch fühlte ich uns nicht gänzlich verloren! Unsere geheimnisvollen Helfer waren zwar verschwunden, doch hoffte und rechnete ich durchaus damit, dass sie zu passender Gelegenheit zurückkehren würden. Ich richtete mich daher trotz meiner Fesseln, die mir die Hände auf dem Rücken hielten, etwas auf und sprang el Barujd von der Seite her an. Er kippte von seinem Opfer herunter. Ich kam ebenso wie er schnell auf die Beine und trat ihm heftig genau an empfindlichster Stelle zwischen die Seinigen, sodass er sein Messer fallen ließ und sich die getroffene Stelle aufbrüllend mit beiden Händen hielt. Dabei legte er ein schmerzverzerrtes Gesicht an den Tag und schrie. Zu einem zweiten Tritte kam ich nicht mehr, denn sofort waren drei seiner Leute herbeigesprungen und rangen mich zu Boden.

Nachdem der Anführer der Beduinen den Schmerz überwunden hatte, kam er auf mich zu und versetzte mir seinerseits einige heftige Tritte in den Bauch und gegen die Brust. Ich konnte gerade eben so meine sich aufdrängenden Schreie unterdrücken und stöhnte lediglich dumpf auf. Malek wandte sich kurz ab, dann drehte er sich noch einmal um und trat ein letztes Mal heftig zu. Zudem spuckte er mich von oben herab an. Bevor er sich mit einem bösartigen Funkeln in seinen Augen von mir abwandte, sagte er mit drohender Stimme zu mir: „Du wirst sterben, Hund! Ihr alle werdet sterben! Und die Art und Weise, wie es geschieht, wird euch noch denken lassen, dass ihr alle lieber von uns erschossen worden wäret.“


*


Hadschi Halef Omar, Omar Ben Sadek und Nassar ad ­Taruk hatten sich zurückgezogen, als der Kampf aussichtslos wurde. Denn natürlich waren sie es gewesen, die mir und uns Beistand geleistet hatten, was ich allerdings zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste. Als sie jedoch zu dem Platze kamen, an welchem sie Helena Rügli zurückgelassen hatten, stockte ihnen der Atem! Der Platz war leer! Sie suchten hastig in der Umgebung hinter dem einen oder anderen Felsvorsprung. Doch mochten sie das nicht zu sehr ausdehnen, da ihnen nun Verfolger auf den Fersen waren. Glücklicherweise konnten sie sich allerdings verstecken, indem sie eine der Felshöhlen aufsuchten, während sie ihre Pferde sicher in einiger Entfernung zum Geschehen wussten. Die Beduinen zogen sehr nahe an ihnen vorüber, ohne sie allerdings dabei zu entdecken. Das Kampfgetümmel schien nun kurz noch einmal lauter zu werden, dann wurde es ringsherum fast völlig still. Lediglich das sanfte Pfeifen des Windes, der um die hohen Felsen strich, war zu hören. Omar sah die beiden anderen nacheinander nachdenklich an.

„Wir haben getan, was wir konnten!“, sagte er mit einem Unterton der Resignation in der Stimme. „Es sind einfach zu viele!“

„Ja, Omar. Leider! Vielleicht ist es ja meinem Sihdi gegönnt gewesen, zu entkommen. Als ich ihn das letzte Mal sah, wurde er zwar von Schützen bedrängt, aber es gelang mir, diese in die Dschehenna zu schicken, wo sie hingehören.“

„Möglicherweise. Aber wo ist Helena Rügli, die fa’ransi?“

„Wahrscheinlich hat sie es nicht abwarten können und ist ihrem Bruder selbst zur Hilfe geeilt.“

„Sie ist eine Frau. Hatte sie eine Pistole? Und kann sie denn mit Waffen überhaupt umgehen?“

„Vielleicht. Eine Frau, die sich mit nur einem Führer allein in solch eine Gegend wagt, ist sicher keine ­gewöhnliche Frau. Sie kann Reiten wie eine arab, und ich möchte nicht darum einen Einsatz wagen, der mir etwas bedeutet, ob sie sich nicht auch auf das Schießen versteht.“

„Doch wo ist sie hin?“

„Ich weiß es nicht. Lasst uns daher hier noch eine Weile verharren und warten. Vielleicht kommt sie zurück. Zumindest sollten wir hier abwarten, bis die Dunkelheit hereinbricht. Es kann nicht mehr lange dauern. Die Sonne sinkt früh und schnell um diese Jahreszeit! Vorher können wir nichts tun.“

Wenn auch mit einem mulmigen Gefühl, waren alle drei derselben Meinung.


*


Aufgrund des uns doch sehr überraschenden Feuergefechtes, das wir beim Erreichen des Zugangs zur Felsenstadt ausgekämpft hatten, war uns ein längerer Blick auf deren Schönheit freilich verwehrt geblieben. Doch nun, in der Abenddämmerung mit ihrem beinahe kalten Januar-Sonnenlicht, das sich rötlich über die Szenerie ergoss, schillerte uns erhaben jenes wundervolle Khazne al-Faun1 entgegen: Das Schatzhaus des Pharao, wie es die Beduinen nannten. Man konnte gar nicht anders, als dorthin zu sehen. Schließlich hatte man uns nur die Hände gefesselt, nicht aber die Augen verbunden.

Die gesamte Fassade wirkte in unserer Betrachtung wie an die Felswand angelehnt. Sie war mit fast vierzig Metern Höhe und fünfundzwanzig Metern Breite ein eindrucksvolles Beispiel hellenistischer Baukunst. Über dem ­Portikus2 aus sechs Korinther-Säulen befand sich ein kleiner, durch zwei halbe Giebel flankierter Rundbau, ein sogenannter Tholos, und obenauf eine vielleicht mannshohe steinerne Urne. Natürlich hatten die Beduinen längst festgestellt, dass sich in der sogenannten Urne nichts Wertvolles befand. Ganz in Gegenteil, war diese aus massivem Fels gehauen. Ein paar Einschusslöcher gab es darinnen, nur schwer zu erkennen, und ich war mir nicht ganz sicher, ob diese nicht doch neueren Ursprungs waren und von unserer Schießerei herrührten. Das wäre dann wohl Frevel! Möglicherweise mochten es aber eben auch nur Beduinen zu einem früheren Zeitpunkt versucht haben, jene frei stehende Urne mit aller Gewalt aufzubrechen. Ich beruhigte mich mit dem simplen Gedanken.

An welcher Stelle allerdings nun der in den Aufzeichnungen Anton Rüglis beschriebene gesuchte Schatz zu finden sein mochte, das blieb vorerst das Geheimnis seines Nachfahren Konstantin. Denn bei dem angeblichen Schatzhaus hier handelte es sich freilich in Wahrheit um eines von zahlreichen Felsengräbern. Es wurde ziemlich sicher für den Nabatäerkönig Aretas IV. im ersten Jahrhundert vor Christus angelegt, wobei andere Historiker, die später als ich nun dort waren, behaupteten, es sei das Grab von Kaiser Hadrian3 gewesen. Längst war von irgendwelchen Leichnamen nichts mehr übrig geblieben. Das hatten bereits Forscher vor uns herausgefunden, wenngleich es noch keine ausgedehnteren Grabungsexpeditionen gegeben hatte. Rügli erwähnte es allerdings eingangs, als er mich zu dieser Expedition überredete, dass Jean Louis Burckhardt im Sommer des Jahres 1812 dieses kleine antike Weltwunder wiederentdeckt und sich naturgegebenermaßen auch intensiver dem Schatzhaus gewidmet hatte. Scheich Ibrahim Ibn Abdallah – ich schmunzelte unwillkürlich, als ich daran dachte, dass Burckhardt selbst sich einst diesen hochtrabenden Titel und Namen gab, unter dem er dann auch nach seinem Tode beigesetzt wurde.

Sofort musste ich mich allerdings zwingen, meine Gedanken in die Richtung dessen zu lenken, was dringender zu sein hatte als geschichtliche oder völkerkundliche Betrachtungen über jenen sagenumwobenen Ort, der nunmehr unser aller Grab zu werden drohte.

Nach und nach verstummten die letzten unterdrückten Schmerzenslaute in der Umgebung, sei es, weil diejenigen in Schlaf fielen, oder sich auch ärgeres zutrug. Freund und Feind hatte es gleichermaßen getroffen. Auf unserer Seite entdeckte ich bei den Überlebenden immerhin Juan und Marcos Santos, die beiden brasilianischen Pferdewrangler der Truppe, welche alles gänzlich unverletzt überstanden zu haben schienen.

Die Nacht war schließlich vollends hereingebrochen, ohne dass sich freilich an unserer prekären Situation etwas geändert hätte. Die Beduinen hatten ihr Lager an Ort und Stelle aufgeschlagen. Mehrere Fackeln und zwei Lagerfeuer brannten. Ständig hielten mindestens sechs der Männer rundherum Wache, einer davon allein bei uns gefesselten fünfen. Ich hielt die Bande nicht unbedingt für B’doul, also für jenes Stammes zugehörig, der seit drei Jahrhunderten hier in der Gegend niedergelassen, das heißt eben einigermaßen sesshaft geworden war. Denn diese galten bei früheren Besuchern und Reisenden, welche sich hierher begaben und Kontakte knüpften, eigentlich als friedlich und nicht räuberisch. Es musste sich um einen jener mörderischen Stämme handeln, die verbrecherisch durch die Lande zogen, und gegen welche die Armee des Padischah machtlos war. Denn die Räuber und Mörder kannten die Wüste und die gefährlichen Gegenden des Landes sehr genau, waren somit kaum zu verfolgen und den Soldaten somit stets einen Schritt voraus.

Ich sah mich im flackernden Lichte um, welches ein unheimliches Schattenspiel zwischen den eindrucksvollen Fassaden Petras erzeugte. Konstantin Rügli hatte erneut das Bewusstsein verloren, und ich hörte das Schluchzen seiner Schwester, welche direkt neben ihm kniete und trotz gefesselter Hände mit einem Spitzentaschentuch seine Stirn wischte.

„Helena Rügli? Ihr seid Helena Rügli, nicht wahr?“, wandte ich mich leise an sie, obwohl ich mir inzwischen bereits sicher sein konnte. Sie unterbrach ihre Handlung und ihr Schluchzen.

„Ja. Die bin ich. Und Ihr müsst der sein, den man hierzulande Kara Ben Nemsi nennt!“, hörte ich sie gleich darauf flüstern.

„Ihr wisst, wer ich bin?“, entgegnete ich leise mit Erstaunen.

„Ja.“

„Woher?“

„Wir sind unterwegs Männern begegnet. Arabern. Genauer gesagt, haben diese mich gerettet. Mich und meinen guten Führer Nassar ad Taruk. Wir waren in einen Sandsturm geraten. Es sind dieselben Männer, die –“

Sie konnte nicht weitersprechen, denn einer der Wachtposten war aufmerksam geworden und gebot ihr mit großen Augen, grimmigen Worten und eindeutiger Gestik, zu schweigen. Obwohl Helena Rügli kein Wort dessen verstand, was der Mann im Einzelnen sagte, so begriff sie doch, was er von ihr verlangte. Daher beugte sie sich stumm wieder hinab zu ihrem Bruder.

Überhaupt schienen die Beduinen sehr bedacht darauf zu sein, dass wir uns nicht miteinander unterhielten. Wenn wir sie selbst einmal ansprachen, um Wasser zu erbitten, wurden uns bestenfalls Flüche oder Fußtritte zuteil. Nein, zimperlich ging man gerade nicht mit uns um. So fasste ich schließlich den Entschluss, mich gänzlich im Sande niederzulegen und wenigstens so zu tun, als ob ich schliefe.

Die anderen aus unserer Truppe musste dann aber doch irgendwann die Müdigkeit übermannt haben. Ruben van der Veen lag unweit von mir auf der Seite und schnarchte tatsächlich etwas. Helena Rügli war mit dem Kopf auf den Beinen ihres Bruders liegend ebenfalls eingeschlafen. Lediglich bei Abukar hatte ich mich wohl getäuscht, denn ich vernahm seine flüsternde Stimme, und ich flüsterte jeweils noch weniger laut zurück.

„Sind die Wachen in der Nähe, Effendi?“, kam es zuerst fragend von ihm. Offenbar dachte er seinerseits ebenfalls zu Recht, dass bei mir an Schlaf in der aktuell äußerst prekären Lage nicht zu denken war.

„Nur eine. In sechs Schritt Entfernung“, entgegnete ich. Die Schemen des Mannes zeichneten sich deutlich gegen das fahle Mondlicht ab.

„Gut!“

„Wieso?“

„Weil wir es jetzt wagen sollten.“

„Was wagen? Zu fliehen?“ Der kräftige Kerl an meiner Seite war wirklich sehr wagemutig!

„Was denn sonst?“, fragte er, allerdings sehr bestimmt.

„Du vergisst die Fesseln, Freund!“

„Ich habe ein Messer, Sajid!“

„Ein Messer? Haben dir die Beduinen nicht alle Waffen abgenommen?“

„Doch, schon. Es ist das Messer, mit dem Malek el ­Barujd Rügli Effendi töten wollte.“

„Er hat es nicht wieder eingesteckt?“, hakte ich skeptisch nach, doch Abukar bestätigte meine Gedanken, die sich mir bereits dazu aufdrängten.

„Nein. Das tat er nicht. Er wandte sich ja direkt an euch, als ihr ihn davon abhieltet, und hat es dann in seinem Zorn anschließend vergessen. Ich habe es bemerkt und sogleich an mich gebracht.“

„Da hast du sehr gut daran getan!“, lobte ich ihn. „Aber ein Messer gegen fünfundzwanzig oder mehr mit Gewehren und Pistolen bewaffnete Kerle, die zu allem bereit sind? Das ist nicht viel!“, wandte ich dann jedoch ein. Es war keine Feigheit, die mich zu diesen warnenden Worten veranlasste, sondern die Vorsicht. Wenn wir zu fliehen versuchten, dann musste es auf Anhieb gelingen, denn eine zweite Chance bekamen wir sicher nicht, falls es nicht klappte.

„Ich will damit ja nicht gegen sie alle kämpfen. Aber wir werden immerhin schon mal die Fesseln damit los!“

Wir unterbrachen unsere leise Unterhaltung für einen Moment und stellten uns beide abermals schlafend, als die einzelne Wache näher trat und sich genau darüber informierte. Nachdem diese einige Schritte in die andere Richtung fortgegangen war, wandten wir uns wieder einander zu.

„Kannst du dir die Fesseln mit dem Messer durchschneiden?“, fragte ich.

„Mir nicht. Aber dir vielleicht, Sajid.“

Während die uns zugeteilte Wache mehr die Umgebung im Auge behielt als die Gefangenen, kamen Abukar und ich uns Rücken an Rücken schnell näher. Es gelang ihm, mit seinen gefesselten Händen den meinigen nahezukommen und das Messer so zu führen, dass ich meine Riemen an der Klinge schnell loswurde. Die Wache bemerkte nichts. Ich nahm das Messer entgegen und durchschnitt das, was Abukar band. Wir hatten nun beide die Hände frei, aber noch war nicht wirklich etwas gewonnen.

In dem Kessel, in welchem wir uns aufhielten, befanden sich ungefähr fünfundzwanzig Beduinen. Der weit überwiegende Teil schlief, aber drei oder vier mochten noch wach sein, außer denjenigen, die ohnehin den Wachdienst übernommen hatten. So schnell würden wir zu zweit mit diesen allen kaum fertig werden können. Abgesehen davon, dass ein kurzer Ruf oder Schrei genügte, auch die Schlafenden zu wecken. Trotzdem mussten wir es riskieren, da hatte Abukar völlig recht!

Ich wandte mich daher dem Belgier zu und stieß ihn leicht an. Dessen leises Schnarchen setzte aus, um einen Moment später erneut zu beginnen. Offenbar bereitete es ihm keine Mühe, auch in der gegenwärtigen Situation einen gesunden Schlaf zu finden. Ich stieß ihn daher nochmals an, und er unterbrach die sägenden Geräusche durch ein mehrfach irritiert schlürfendes. Zuletzt erst wachte er auf.

„Wie ... was ...?“, gab van der Veen halblaut und schlaftrunken von sich. Dann öffnete er seine Augen, die sofort mich erblickten. Er wirkte recht verdattert, fing sich aber sogleich. „Kara ...“, begann er.

„Schht! – Still!“, herrschte ich ihn sicherheitshalber jedoch an. Die Wache kam nämlich zurück und warf einen misstrauischen Blick in meine Richtung, wobei ich mich aber sofort wieder schlafend stellte. Möglicherweise erfasste es der Beduine gar nicht, wie sich meine Position verändert hatte. Der Mann tat ein paar Schritte auf und ab, es herrschten gegenwärtig, da wir Winter schrieben, höchstens achtzehn Celsiusgrade, was für einen Beduinen, der an heiße Temperaturen gewohnt ist, beinahe so etwas wie Grabeskälte bedeuten musste. Ich spürte förmlich seine Blicke in meinem Rücken. Dann blieb er außerhalb meines Sichtfeldes stehen. Jedenfalls verstummten seine Schritte und erst ein kurzes Wenden des Kopfes und Blinzeln durch meine beinahe vollständig geschlossenen Augenlider bestätigten jene Vermutung.

Ich durchschnitt eilig die Fesseln van der Veens, der erst mich und dann das Messer in meiner Hand im Dunkel erstaunt ansah. Ich erkannte es lediglich an seinen vom Widerschein des Mondes getroffenen leuchtenden Aug­äpfeln. Die Fackeln und Feuer ringsumher waren inzwischen längst erloschen, bis auf eines. Der Belgier wollte mir wohl abermals eine Frage stellen, denn er öffnete den Mund, verkniff es sich aber, zu artikulieren, als ich ihm wiederholt durch eine Geste mit dem Zeigefinger Ruhe bedeutete.

Es blieb zunächst Helena Rügli. Sie würde uns auch nichtgefesselt im Falle eines Kampfes keine besondere Hilfe sein, dachte ich. Trotzdem musste sie bereit sein, mit uns anderen zu fliehen. Ihr sehr verletzter Bruder bereitete mir diesbezüglich allerdings größere Sorge, denn ihn konnten wir in seinem Zustand kaum mitnehmen. Wir würden ihn womöglich gar hier belassen müssen, um mit Verstärkung zurückzukehren. Verstärkung! Dazu hätten wir uns, so überlegte ich, wohl bis nach Eilat hinunter an den Golf von Aqaba zu begeben, oder hinauf bis nach At Kafilah4. Eine weite Strecke, und die Beduinen hatten auch bei ihren Reittieren weitere Wachen aufgestellt. ­Helena würde dem kaum zustimmen und ihren Bruder sicher nicht alleine in der Gewalt der Mörderbande belassen wollen. Besser würde es sein, alle irgendwie zu überwältigen, unschädlich zu machen und dann mit Rügli auf dem Karren diese Reise anzutreten. Ich schnitt ihr die Fesseln durch, dann stieß ich sie an. Auch sie war eingeschlafen, jedoch nicht wirklich fest. Ich lächelte ihr zuversichtlich entgegen. Sie verstand sofort, was los war, denn sie nickte mir stumm zu.

Wir hielten uns bereit. Als die einzelne Wache ein weiteres Mal dicht an uns vorbei kam, sprang ich auf und schlug dem Mann die Faust gegen die Schläfe. Er fiel lautlos fast wie ein nasser Sack zu Boden, und ­Abukar gelang es, dessen Gewehr aufzufangen, bevor es ebenfalls dort landete und ein Geräusch fabrizierte. Ich überzeugte mich davon, dass der Mann längere Zeit ohne Besinnung bleiben würde, und entledigte ihn eilig seines Umhangs. Abukar reichte mir danach das Gewehr, und ich erhob mich. Gegen das fahle Mondlicht musste ich für die anderen Wachen in der Umgebung wie deren eigener Bruder wirken, und das, obwohl sich die Statur des niedergeschlagenen Wachpostens von der meinigen doch einigermaßen unterschied und der Umhang mir ein gutes Teil zu klein war. Ich sah mich forschend um, ohne den Kopf dabei sonderlich zu bewegen. Keiner der anderen wachenden Beduinen schien etwas von der Aktion bemerkt zu haben.

Ich näherte mich nach einigen Momenten des Verharrens wie zufällig einer weiteren Wache, die in gewisser Entfernung stand, etwa auf halbem Wege zu den anderen Überlebenden des Ausgrabungskorps. Der Mann hatte sein Gewehr gegenwärtig in eine Armbeuge geklemmt und war damit beschäftigt, sich eine einfache Zigarette zu drehen. Den Blick hatte er dabei auf das gerichtet, was seine Finger fabrizierten. Seine Überraschung gestaltete sich entsprechend, aber lautlos, als ich plötzlich bei ihm stand und einmal mehr meinen berüchtigten Jagdhieb anwendete. Er ließ augenblicklich sowohl Rauchzeug als auch Gewehr fallen und brach zusammen. Der Schießprügel fiel herab, ich fing ihn geschickt mit einem Fuß ab, sodass es nicht weiter hörbar wurde. Blitzschnell war ich danach bei den anderen Gefangenen, um sie der Fesseln zu entledigen. Sie machten allesamt ein so verdattertes Gesicht wie zuvor Ruben van der Veen, fingen sich aber beinahe genauso schnell wieder. Alle, bis auf einen! Es war dies der zweite Chinese, der unwillkürlich lautstark in seiner Landessprache über den Tod des anderen zu klagen begann, welcher zunächst schwer verwundet worden, inzwischen aber verstorben war. Offenbar ein Verwandter. Das, was ich an Chinesisch beherrschte, reichte nicht aus, alles zu verstehen. Es war vergeblich, ihn zum Stillsein aufzufordern, und auch zu spät!

Die übrigen vier Wachen wurden jetzt auf uns aufmerksam und setzten zu einem nervenzerreißenden Geheul an, das in der Lage war, auch den tiefsten Schläfer zu wecken. So geschah es auch!

Abukar, der mir beinahe auf dem Fuße gefolgt war, hatte sich das Gewehr des zweiten Bewusstlosen geangelt und legte es sofort auf eine der übrigen Wachen, die eine Waffe hielt, an. Der Schuss krachte, und der anvisierte Mann fiel zu Boden. Er zielte auf einen Zweiten, doch dieser befand sich nun in hektischer Bewegung, sodass die Kugel fehlging. Mehr Schüsse besaß die Flinte nicht, aber sie war noch gut als lange Keule zu gebrauchen, wovon Abukar in der Folge regen Gebrauch machte.

Unsere Leute sprangen ihrerseits auf, um sich der Waffen jener Gefallener oder anderer noch nicht wach gewordener Beduinen zu bemächtigen, welche diese neben sich liegen hatten. Das gelang auch, lediglich zwei Verletzte verharrten an Ort und Stelle, da sie entweder nicht begriffen, was nun zu tun war, oder es schlichtweg nicht vermochten.

Während ich zweimal in die Menge der Beduinen schoss, um diese am Vorwärtsstürmen zu hindern, tauchte unvermittelt Ibrahim Nassur neben mir auf. Er hatte eine Pistole in der Hand und wollte aus nächster Nähe auf mich feuern. Doch es gelang mir, ihm erst den Kolben des Gewehrs in den Magen zu stoßen und ihm dann, als er sich schmerzerfüllt vorbeugte, mit der Handkante einen Schlag in den Nacken zu versetzen. Ein Schuss löste sich aus seiner Pistole, und die Kugel pfiff haarscharf an meinem Oberschenkel vorbei. Nassur stürzte nieder. Ich hob die Pistole auf und feuerte auf einen anderen Beduinen, der gerade van der Veen bedrängte. Dann war die Waffe leergeschossen. Ich setzte hiernach ebenfalls die Flinte, die in meine Hände gefallen war, als Keule ein. Bei einem besonders heftigen Hieb allerdings löste sich der Kolben vom Lauf, und ich warf den Rest fort.

Abukar hatte sich gegenwärtig gleich dreier Beduinen zu erwehren, die ihn dicht umstanden und mit ihm um das leergeschossene Gewehr rangen. Er musste es loslassen, verteilte allerdings rechts und links kräftige Faustschläge. Doch die Gegner schienen zu übermächtig. An allen Stellen wurde nun gekämpft, und die Mitglieder des Ausgrabungsteams kämpften wirklich mit dem Mute der Verzweiflung. Auch ich befand mich bald inmitten eines aufgewühlten Haufens, teilte aus, steckte ein. Es herrschte bald das reinste Tohuwabohu.

Gerade wollte ich einen besonders feisten Kerl angehen, der mit einem Messer in der Hand auf mich zukam, da traf mich etwas hart an den Hinterkopf. Ich schrie unbewusst auf, stürzte auf die Knie, brach zusammen, dann verlor ich auch direkt die Besinnung.

Erst später sollte ich erfahren, dass es Malek el ­Barujd gewesen war, der mich mit dem Knauf seiner Pistole niederschlug, um anschließend für einen Augenblick triumphierend grinsend über meinem bewusstlosen Leib zu posieren.



Kapitel 2 - Dem Tode geweiht


Hadschi Halef Omar, Omar Ben Sadek und Nassar ad ­Taruk hatten sich zuvor an das Lager der Beduinen angeschlichen und befanden sich nördlich in vielleicht fünfzig Metern Entfernung, am Ende der Galerie mit den Königsgräbern. Im Dunkel der Nacht fiel ihnen das nicht schwer, denn Malek el Barujds Männer waren damit beschäftigt, die Gefangenen zu bewachen, ihre eigenen Wunden zu versorgen oder ihre Waffen zu pflegen, wenn sie nicht bereits schliefen.

Als sie nahe genug herangekommen waren, sich aber immer noch hinter einem Fels verbargen, ging im Lager der zuvor beschriebene Zauber los. Halef erblickte mich, wie er mir später einmal erzählen würde, erlebte den kurzen Kampf der Männer des Ausgrabungskorps gegen die Beduinen und musste mit ansehen, wie el Barujd mich schließlich von hinten her niederschlug. Er wollte aufspringen und mir zur Hilfe eilen, doch Omar fasste ihn da am Ärmel und schüttelte langsam den Kopf.

„Aber mein Sihdi! Ich muss ihm doch beistehen!“, gab Halef da entrüstet von sich, beinahe ein wenig zu laut. Nur das Getümmel des da zu Ende gehenden Kampfes verhinderte es, dass man auch auf sie drei aufmerksam wurde.

„Es sind zu viele! Wir hätten keine Chance! Sie würden uns auch überwältigen, und was wäre dann gewonnen?“, fragte Omar. „Ich dachte, Kara Ben Nemsi habe dir das Denken beigebracht“, fügte er ärgerlich hinzu.

Halef musste missmutig einsehen, dass sein Freund und Stammesbruder recht hatte. Doch tatenlos zusehen mochte er überhaupt nicht. Da erblickte er auch schon, dass sich Malek el Barujd tief über meinen da bewusstlosen Körper beugte, um festzustellen, ob ich schon tot sei – um dann mit seiner Pistole, die er eben noch als Hiebwaffe eingesetzt hatte, auf meinen Kopf zu zielen. Sofort nahm Halef aus seiner Deckung heraus die Flinte zur Hand und zielte sorgfältig auf den Anführer der Beduinen. Diesmal hatte Omar keine Einwände, denn mich, der ich nun wehrlos dalag, erschießen zu lassen, kam natürlich für sie beide nicht infrage.

Gerade als Halef abdrückte, richtete sich el Barujd wieder ein wenig auf, weil er genügend Maß für den Nahschuss genommen hatte, und so ging die Kugel knapp fehl, die der Hadschi auf ihn abfeuerte. Der Schuss krachte laut, doch immer noch wurde auch im Lager gekämpft, und so fiel es nicht ins Gewicht. Auch wenn das helle Mündungsfeuer aus der Entfernung in der Nacht eigentlich bei irgendjemandem dort hätte Aufsehen erregen müssen.

Malek El Barujd spürte wohl, wie das Geschoss hart an seiner Wange vorüberpfiff und dort einen schmalen roten Streifen hinterließ. Er wirbelte halb herum, hielt sich dabei die Wange. Er schaute hierhin, er schaute dorthin. Aber er konnte niemanden ausmachen, und glaubte dann wohl, er habe sich in der Vermutung geirrt, dass der Schuss auf ihn woanders hergekommen sei, als mehr zufälligerweise von einem der Gefangenen, die sich befreit hatten. Das sahen die Freunde aus ihrem Versteck heraus, ohne dort direkt eingreifen zu können.

Inzwischen hatte Omar Ben Sadek selbst das Gewehr angelegt und zielte seinerseits auf Malek. Doch dieser hatte jetzt zwei Schritte Abstand von mir genommen und feuerte in eine kleine Menge von Kämpfenden. Daher drückte Omar nicht ab, er wollte Barujd nicht unbedingt auf ihr Versteck aufmerksam machen, auch wenn es ihn schmerzte, den Kerl davonkommen zu lassen. Er entspannte seine eigene Haltung und blickte mit verdrießlichem Gesicht zu Halef neben ihm.

Nassar ad Taruk hatte die ganze Zeit über nichts gesagt und sich sogar noch ein kleines Stück näher herangeschoben. Doch auch er konnte nichts tun und kehrte unverrichteter Dinge zu Halef und Omar zurück. Das Kampfgetümmel ließ derweil nach und verstummte schließlich ganz.

Als die drei bemerkten, dass man alle Gefangenen wieder fesselte, nun noch etwas strenger als vorher, waren sie einigermaßen beruhigt, dass wir wohl nicht umgebracht werden sollten. Jedenfalls noch nicht!

Aufgrund des Ausbruchsversuchs waren die Beduinen jetzt allerdings gewarnt und verdoppelten die Wachen. Halef, Omar und Nassar sahen keine Möglichkeit mehr, während des Restes der Nacht eine Befreiung zu wagen. Bevor man sie entdecken konnte, krochen sie daher wieder zurück, um zu beratschlagen, was man als Nächstes tun konnte. Falls man überhaupt noch etwas tun konnte!

So verging die Nacht.


*


Ich erlangte das Bewusstsein, nachdem mir ein Beduine mehrfach leicht mit der Spitze seines Fußes in die Seite trat. Schmerzen breiteten sich in meinem ganzen Körper aus. Der heftigste rührte von meinem Hinterkopfe her, an welchem mich vor meiner Erinnerungslücke etwas sehr Hartes getroffen hatte.

Was mich allerdings hiernach völlig weckte, war jenes seltsam kunstfertige Geräusch, das von einer einzelnen in hohem Ton gespielten Bambusflöte herzurühren schien. Ein für uns unsichtbarer Beduine blies auf einem solchen Instrument eine oktavenübergreifende eher traurige Weise. Da er es in der Nähe der Felsengräber, aber dem Anscheine nach halb im Innern des Khazne al-Faun oder einem anderen Portale tat, wurden die Töne durch das gewaltige Echo ringsumher um ein Vielfaches verstärkt und erfüllten den halben Talkessel lautstark mit dem, was er wohl Musik zu nennen sich wagte. Es klang einigermaßen furchterregend, auf jeden Fall aber nicht eben sehr begabt, was den Interpreten anbelangte.

Ein heftiges Schwindelgefühl bemächtigte sich meiner, als ich versuchte, mich aufzurichten. Es rührte nicht von den die Ohren schmerzenden Klängen her. Stattdessen konnte ich zu Recht vermuten, dass mein Hirn wohl etwas mehr als eben nur leicht erschüttert war. Das mit dem Aufstehen konnte allerdings auch ohne diese Einschränkung nicht gelingen, denn ich stellte fest, dass mich wieder Riemen banden, und zwar wesentlich fester, enger und einschneidender als vor unserem Fluchtversuch in der Nacht.

Der Fluchtversuch! Die Erinnerung kam wieder!

Instinktiv wandte ich meinen Kopf zur Seite hin, erneut begleitet von einem unterschwelligen Brechreiz. Nun konnte ich sehen, was aus Abukar und den anderen geworden war. Ihnen allen erging es wie mir selbst, man hatte sie gefesselt, und nun nicht nur die Arme und Hände, sondern auch unser aller Beine. Dieses gestaltete sich einigermaßen schmerzhaft für den Einzelnen und schien wohl genauso von unseren Peinigern gewollt. Dabei waren die Hände nicht nach hinten, sondern nach vorn gebunden, jedoch die Arme mit weiteren Riemen dicht an den Oberkörper festgemacht.

Das gesamte Beduinenlager war inzwischen erwacht, und Malek el Barujd bemühte sich in meine Nähe. Er blickte mit einem ebenso grimmigen wie hinterhältigen Grinsen zu mir herab, der ich wehrlos im hellen Sand lag.

„Hat dir Allah die Gnade erwiesen, dich im Reich der Lebendigen belassen zu wollen?“ Er fragte das für meine Begriffe etwas zu süffisant, sodass ich ihm trotz meiner Situation um eine Antwort nicht verlegen sein mochte.

„Bei euch hingegen scheint Er nicht ganz so viel Nachsicht walten lassen zu wollen.“

„Wie meinst du das?“, fauchte Malek daraufhin bösartig.

Ich zitierte ihm ruhig aus der 40. Sure: „Diejenigen, die über Allahs Zeichen streiten, ohne eine Ermächtigung erhalten zu haben – welch schwerwiegende Abscheu erregen diese bei Allah und bei denjenigen, die gläubig sind. So versiegelt Allah das Herz eines jeden Hochmütigen und Gewalttätigen.“5

„Hund, elender Giaur, du wagst es, die Worte des Allmächtigen auszusprechen, als seien es die deinigen?“ Er spuckte mich an, ich ignorierte es, denn mein Bestreben ging in eine andere Richtung.

„Ich wollte dir lediglich vor Augen führen, was dir alsbald widerfahren wird. Du hast unsere Auseinandersetzung nur überlebt, um in einer anderen Nacht zu deinen Ahnen zu gehen. Das nämlich ist Allahs Wille!“ Diese Worte sagte ich mit absolut sicherer Stimme, sodass kein Zweifel an deren Wahrhaftigkeit entstehen konnte.

„Woher nimmst du die Arroganz? Ich bin es, der dich besiegte! Du bist in meiner Hand!“ Er brüllte es fast heraus, sodass noch andere Anwesende auf unsere Unterhaltung aufmerksam wurden. Auch van der Veen und Abukar erwachten langsam ob der Musik oder Maleks Geplärr wegen aus ihrem Schlaf oder aus ihrer Bewusstlosigkeit.

„Du hast aber ebenso erlebt, dass ich zwei deiner Männer mit bloßen Fäusten niederschlug. Was glaubst du, was ich mit dir hätte machen können, wenn der Herr mich mit Augen am Hinterkopf ausgestattet hätte?“

„Was willst du damit sagen?“

„Dass du ein elender Feigling bist, der einen Mann nur heimtückisch von hinten her niederschlagen kann, es nicht aber vermag, ihm im offenen Kampfe gegenüberzutreten oder gar zu bezwingen.“

Malek überlegte wohl, ob er mir die Beleidigung mit einem Fußtritt vergelten sollte, oder auch mit zwei davon. Dann jedoch grinste er erneut und sagte in abfälligem Ton: „Ich weiß jetzt, was du willst. Du willst eine zweite Gelegenheit! Du willst, dass ich dir die Fesseln durchschneide und dann in fairer Weise gegen dich kämpfe. Oder einen anderen bestimme, der für mich kämpft. Lass mich raten: Der Preis wäre deine Freiheit und die deiner Begleiter, für den Fall, dass du gewinnst.“

„Das wäre zumindest ehrenhaft, oder?“

„Nein, Kara Ben Nemsi. Das wäre nicht ehrenhaft. Es wäre dumm!“ Er lachte laut und wollte sich bereits abwenden.

„Du willst doch auch den Schatz, oder?“, gab ich in diesem Moment jedoch von mir und erregte wohl damit sein Gemüt. Er unterbrach nämlich seine Bewegung, verharrte kurz in seiner gegenwärtigen Position und drehte sich dann sehr langsam wieder zu mir hin um. Offenbar benötigte er die Zeit, um sich etwas zu überlegen.

„Den Schatz?“, fragte er dann vorsichtig.

„Ja, den Schatz!“, antwortete ich tiefsinnig.

„Was weißt du denn über den Schatz?“, fragte er höhnisch. Zwei, drei weitere Beduinen waren mit hinzugetreten. Alle lachten.

„Eine ganze Menge!“, behauptete ich. „Rügli Sajid hat sich unterwegs auf dem Wege hierher mir anvertraut.“

„Und er weiß über den Schatz genauer Bescheid?“

Innerlich frohlockte ich, denn die Bemerkung Maleks bestätigte mir, auf was er es wirklich abgesehen hatte. Die Begegnung mit uns war keineswegs zufälliger Natur gewesen, sondern vorbereitet, genau wie die Falle hier!

„Er, und jetzt auch ich!“, stimmte ich ihm zu. Damit wollte ich vor allem erreichen, dass er sich mehr um mich kümmerte als um den verletzten Rügli. Der Schweizer würde einer intensiveren Befragung sicher nicht viel entgegenzusetzen haben, in seinem gegenwärtigen Zustand.

„Und nun denkst du, du kannst so etwas wie einen Handel mit mir machen?“, fragte er, während er nachdenklich nickte.

„Bestimme deinen erfahrensten Kämpfer!“, drängte ich ihn. „Ich selbst kämpfe gegen selbigen einen fairen Zweikampf. Wenn ich obsiege, lässt du alle anderen und mich frei. Obsiegt der deinige, dann verrate ich euch, wie ihr den Schatz findet. Ich erbitte dann nur das Leben der Frau.“

Ich hatte natürlich keinerlei Ahnung, wie ich den Schatz finden wollte, denn über den genauen Ort, an dem ­Konstantin Rügli etwas auszugraben gedachte, hatte er die ganze Zeit über den Mantel des Schweigens gehüllt. Er hatte mir lediglich einmal eine Karte gezeigt, auf der einige von Burckhardt gefundene Gräber eingezeichnet waren. Andererseits hatte ich auch nicht unbedingt die Absicht, den Mördern bei der Suche behilflich zu sein. Was ich suchte, war eine zweite Gelegenheit, alle Gefangenen herauszupauken.

„Wenn du den Kampf verlierst“, hörte ich nun wieder Maleks Stimme, „dann wirst du tot sein, und dann kannst du mir weder zeigen, wo der Schatz sich befindet, noch um irgendetwas bitten!“ Es klang sehr höhnisch.

„Wir müssen nicht bis zum Tode kämpfen“, wandte ich ein.

„Sondern?“

„Wir kämpfen ohne Waffen, nur mit unseren Körpern, bis einer von uns das Bewusstsein verliert.“

„Ein schöner Einfall, den du da hast, Kara Ben Nemsi!“, gab er nach einem Moment weiteren Überlegens von sich. „Allerdings wird daraus nichts!“

„Warum nicht?“

„Wir wissen ungefähr, wo der Schatz sich befinden muss. Alles, an was es uns bislang fehlte, war das erforderliche Gerät, den Eingang zum Königsgrab auch wirklich aufzuspüren und den Schatz hiernach zu heben. Das alles aber habt ihr uns ja großzügigerweise hierher geliefert. Vielen Dank auch. Für euch alle haben wir damit keine weitere Verwendung mehr.“

„Kannst du denn mit dem Gerät umgehen?“, fragte ich abschätzig, aber er erstaunte mich noch einmal.

„Einer meiner Männer kennt sich sehr genau aus. Er hat bereits bei anderen Expeditionen solcher Art von den Giaurs mitgewirkt.“

Meine geringe Hoffnung schwand. „So wirst du uns jetzt alle erschießen?“, fragte ich ihn.

„Erschießen? Nein, das habe ich gewiss nicht im Sinn. Aber da du vorhin von versiegeln sprachst, sollen sich deine Worte erfüllen. Allerdings etwas anders, als du es dir wohl vorstellst.“

Mit diesen Worten und einem kurzen Lachen wandte er selbst sich endgültig von mir ab. Die zwei und ein paar weitere seiner Männer kamen nun herbei. Sie nahmen uns allen die Fesseln so weit ab, dass wir problemlos gehen, aber nicht davonlaufen oder gar einen neuerlichen Angriff wagen konnten. Was man allerdings genau mit uns zu tun beabsichtigte, sollte ich bereits alsbald erfahren.

Wie ich bereits erwähnte, war Khazne al-Faun zwar das überragende Bauwerk an Ort und Stelle, bei Weitem jedoch nicht das einzige Grab im Stein. Die dunklen ­Löcher über uns schienen uns Unheil verkündend anzustarren. Dort hatten sich ja auch die Beduinen unmittelbar vor dem Überfall auf uns verborgen gehabt. Sie schienen sich hier aller bestens auszukennen.

Man brachte uns über eine künstliche Stiege, welche Barujds Leute wohl selbst mitgebracht und nun dort angelehnt hatten, die Felswand hinauf. Der Aufstieg war beschwerlich mit den nun nach vorn gefesselten Händen, aber nicht unmöglich. Lediglich zwei schwerer Verwundete, darunter Konstantin Rügli, bedurften der Hilfe durch unsere Peiniger. Soweit man es Hilfe nennen konnte, an Seilen dort hinaufgezogen zu werden.

Es gab an dieser Stelle einige Eingänge durch die Grabhöhlen in den Fels, die man hier vor langer Zeit angelegt hatte. Von unten her waren sie lediglich als fensterartige Öffnungen zu erkennen gewesen. Nichts deutete darauf hin, dass es hier tiefer in den Berg hinein ging. Das allerdings war der Fall. Doch der Hohlraum, den man uns zuwies, fand sein rasches Ende. Es gab keinen anderen Ausgang, soweit ich das in der hier vorherrschenden Dunkelheit überhaupt beurteilen konnte.

Nachdem man uns alle dort untergebracht hatte, verschlossen die Beduinen den Zugang. Dies geschah zunächst, indem unsere Widersacher Steine aufhäuften, die man länger zuvor schon heraufgebracht hatte. Damit versperrten sie den Zugang an einer etwas niedrigeren Stelle, bis nur mehr äußerst wenig Licht durch ein paar unscheinbare Ritzen fiel. Die Musik, die eben noch an unsere Ohren gedrungen war, reduzierte sich währenddessen auf ein nun nur mehr schwaches Fiepen, was eine ausgesprochene Wohltat für unsere Ohren, weniger aber für unser aller sonstiges Befinden darstellte.

Sodann hörte ich die dumpfen Stimmen hinter der künstlich errichteten Wand. Wenn man noch mehr davon aufhäufte, würden wir wahrscheinlich niemals mehr hier herauskommen. Womöglich plante man da draußen noch etwas anderes. Ich versuchte, meine Fesseln zu lösen, doch selbst unter größter Kraftanstrengung gelang es mir nicht. Dann wurde es draußen still und ich war versucht, mit meinen gefesselten Händen mich sofort ans Werk zu machen, um die Steine der lockeren Mauer wegzuräumen. Allerdings kam ich nicht dazu.

Der laute Knall, der im selben Moment ertönte, ließ uns alle zusammenfahren. Kleine Steinchen und loser Sand rieselten von der Decke, während die Erde um uns herum für einen kurzen Moment zu beben schien. Gleichzeitig prasselten außerhalb von dort, wo die Beduinen zuvor nur eine lose Mauer aufgeschichtet hatten, dickere Brocken herunter. Staub drang zu uns herein und brachte uns zum Husten. Es polterte und krachte, als wolle das ganze Felsengrab in sich zusammenstürzen. Doch das etwas tiefer liegende Innere, in dem wir uns befanden, blieb zu unserem Glück unbeschädigt. Allerdings wurde mir sofort bewusst, dass wir kaum aus eigener Kraft wieder hier herauskommen würden. Dort draußen waren sicher einige Tonnen an Gestein bewegt worden. Rings um uns herum herrschte jetzt völlige staubige Dunkelheit. Mehrere von uns husteten vernehmlich.

Da hörte ich plötzlich Konstantin Rügli leise etwas flüstern.


*


Halef, Omar und Nassar hatten sich in der Nacht nach dem Kampf im Beduinenlager etwas zurückgezogen, waren dann aber noch vor dem Morgengrauen vorsichtig zurückgekehrt. Die Mörderbande war einfach zu groß gegen nur sie drei. Dabei mangelte es ihnen nicht an Mut. Wobei, Nassar mochte ein guter Führer sein, der sie auch in die Felsenstadt hineinbrachte. Aber er hatte noch nicht bewiesen, dass er im Zweifel auch in einem harten Kampf würde seinen Mann stehen können, wie Halef und Omar dachten.

Sie beobachteten gegenwärtig aus einem Versteck zwischen den Felsen in der Nähe, wie man die Gefangenen über die Stiegen hinauf in eine der Gräberhöhlen brachte und diese anschließend bei lebendigem Leibe einzumauern begann. Das konnte nur bedeuten, dass man diese darin verhungern und verdursten lassen wollte! Halef konnte sich nur mühsam beherrschen und seinen Zorn soweit zurückhalten, dass er keine Worte dafür hervorbrachte. Ein wenig Hoffnung machte sich breit, als sie erkannten, dass Barujds Männer sogleich damit begannen, das Lager abzubauen. Offenbar beabsichtigten sie, diesen Ort zu verlassen und alles mitzunehmen, was das Ausgrabungskorps hierher mitgebracht hatte. Sobald die Beduinen verschwunden waren, würden sie also ihre Freunde einfach befreien können. So hofften sie jedenfalls!

Noch während Halef und Omar diesen Gedanken nachhingen, kamen allerdings drei Beduinen eilig aus dem Höhleneingang hervor und noch eiliger die Stiege herunter. Kaum hatten diese den Boden erreicht, der hier mit hellem Sand bedeckt war, da erscholl plötzlich jene Detonation, welche den Eingang in sich zusammenstürzen ließ. Der Krach ließ selbst den Flötenspieler in der Nähe sein Spiel abrupt beenden und zu den Seinen eilen. Ein paar Steine von etwa faustgroßem Format flogen nach vorn aus der Höhle heraus und hätten beinahe jene drei erschlagen, die soeben noch über die Stiege herabgekommen waren. Einer von ihnen konnte sich gerade noch rechtzeitig wegducken.

Omar, Halef und Nassar blickten sich gegenseitig entsetzt an, und letztere Beide waren sämtlich versucht, sofort aufzuspringen. Doch einmal mehr war es Omar, der einen kühlen Kopf behielt und beide daran hinderte.

„Wenn die Explosion sie umgebracht hat, dann können wir nichts mehr tun“, sagte er kühl, „außer sie zu rächen. Doch dazu gibt es jetzt keine Gelegenheit. Bedenke, wir sind nur zu dritt und diese dort sind über zwanzig an der Zahl.“ Er unterbrach sich einen Moment, Halefs skeptischen Blick gewärtig, und ergänzte dann: „Wenn sie aber leben, dann sollten wir warten, bis die Beduinen fort sind, und uns dann dort hinauf begeben.“

„Oh, Allah!“ erregte sich Halef, sodass Omar ihm mit den Händen bedeuten musste, nicht so laut zu werden. „Oh Allah! Wenn meinem Sihdi etwas geschehen ist, dann werde ich diese elenden Hunde einer wölfischen räuberischen Brut jagen bis ans Ende ihrer Tage und durch alle Dschehennas und Feuersbrünste, so lange, bis sie in meinen Händen sind und ich sie lehre, was es heißt, es sich mit Hadschi Halef Omar zu verderben!“

„Kara Ben Nemsi hat schon schlimmere Gefahren durchgestanden, als wie diese!“, entgegnete da Omar, so ruhig wie möglich, obwohl es freilich auch in ihm brodelte.

„Und wie sollen wir später den Eingang freilegen? Die Hunde nehmen doch gerade das gesamte Werkzeug mit, welches dafür erforderlich ist“, gab Halef skeptisch von sich.

In der Tat wusste Omar darauf noch keine rechte Antwort. „Auf jeden Fall müssen wir erst einmal dort hinauf!“, sagte er. „Und wir haben Hände!“

Das war nun einfacher gesagt als getan, denn wie sich zeigen sollte, nahmen die Beduinen, als sie schließlich aufbrachen, auch die Stiegen mit, welche notwendig waren, die beinahe senkrechte Felswand zu erklimmen. So dauerte es eine ganze Weile, bis sie mit Nassars Hilfe dort hinaufgelangten.


*


Das, was Konstantin Rügli zunächst flüsternd von sich gab, war für mich unmöglich zu verstehen. Seiner Schwester schien dies etwas besser zu gelingen.

„Was meinst du? – Ja! Die müssen deinen Sprengstoff gefunden haben!“, wiederholte sie sinngemäß seine Worte, die er gestammelt hatte.

Ich wurde hellhörig. „Mit Glycerin-Trinitrat getränktes Kieselgur, nehme ich an?“, fragte ich in Konstantin und Helena Rüglis Richtung in der jetzt absoluten Dunkelheit der Höhle.

„Ja“, wurde geantwortet. „Kara Ben Nemsi?“, versicherte sich Helena zögerlich, denn sie erkannte bei dem seltsamen Hall hier drinnen nicht sofort meine Stimme. „Ihr kennt es?“, fragte sie dann erstaunt, als ich es bejahte, obwohl es doch besser eigentlich umgekehrt hätte sein sollen.

„Freilich. Man nennt es auch Dynamit. Der Erfinder ist schließlich ein Deutscher. Ein Mann namens Nobel. Er hat es entdeckt und fabriziert, seit nunmehr fünf Jahren etwa. Angeblich ist es viel sicherer als Nitroglyzerin.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783957191182
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Old Shatterhand Kara Ben Nemsi Abenteuer Spannung Historisch Reise

Autoren

  • H.W. Stein (Hrsg.) (Autor:in)

  • Hymer Georgy (Autor:in)

H.W. Stein wurde in Bonn geboren, studierte Rechtswissenschaften in Passau und Leipzig. Er schreibt in erster Linie Abenteuer-Literatur.
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Titel: Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 08: Das Königsgrab in der Felsenstadt