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Raumschiff Promet - Von Stern zu Stern 04: Angriff aus dem Nichts

von Vanessa Busse (Autor:in)
160 Seiten

Zusammenfassung

Auf Moran bahnt sich eine Katastrophe an. Lichtjahre davon entfernt wagt sich die Promet erstmals in ein neues Sternsystem. Doch draußen im All lauert Gefahr und Verderben für Arn Borul und seine Freunde. Die wohl kultigste deutsche Space Opera mit neuen Texten! Die Printausgabe umfasst 160 Buchseiten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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© 2014 by BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-494-7

„Arn!“ Peet zuckte zurück, als ihm gleißend helles Licht entgegenschlug. Das Schott auf dem obersten Deck des Kugelraumers! Eben noch hatte es den Moraner in der Energiefalle gefangen gehalten. Nun schob es sich träge beiseite. Mit letzter Kraft hatte Arn Borul nur eine Sekunde zuvor die Strahlwaffe aus der Schleusenöffnung gehebelt. Was dann passiert war, konnte sich Peet Orell lebhaft vorstellen. Gleißend grell tropften die Reste dessen, was die moranische Waffe zerstört hatte, nach unten. Der zerstörerische Energiefluss war versiegt.

Peet zögerte keinen Moment. Die Männer der HTO-234 hielten ihn nicht auf, den Raum zu betreten. Sein Freund lag leblos auf dem Boden. Mit beiden Händen griff er nach Arns Körper und zerrte ihn aus der Gefahrenzone. Helm und Raumanzug waren von einer schwarzen, leicht glühenden Schicht überzogen. Sie ließ keinerlei Rückschluss auf seinen Zustand zu. Doch Peet wusste, dass er den Moraner sofort zur Promet bringen musste. Ein winziges Leck im Anzug konnte ihm zum Verhängnis werden.

„Peet! Was ist passiert?“ Atemlos lief Vivien Raid dem Trupp entgegen, dicht gefolgt vom Team der HTO-234. „Oh mein Gott, Arn.“ Sie stockte, als sie sah, was Peet Orell und ein weiterer Mann nach oben hievten.

Ohne seiner Kameradin Beachtung zu schenken, drängte Peet an ihr vorbei. Nur kurz warf er einen Blick zurück, bevor er in den Helm sprach. „Worner, kümmern Sie sich um die Toten. Ich muss sofort zur Promet.“

Vivien folgte ihm wortlos. Auch die Crewmitglieder der 234 schwiegen. Gemeinsam eilten sie in das Dunkel des schmalen Schachts.

„Jörn, Rückzug zur Promet!“ Peet kam den stummen Fragen seines Freundes zuvor, dessen Scheinwerfer ihm entgegenflackerte.

Die Lichter stoppten abrupt. „Okay, verstanden, Peet!“

Sie durften keine Zeit verlieren. Zwar hatten die Mörder, die den Kadetten auf Worners Schiff getötet hatten, ihre gerechte Strafe erhalten. Aber zu welchem Preis? Peet gab dem Mann auf der anderen Seite des Moraners ein Zeichen, dann rannten sie los.

 

*

 

„McPhilis und Craig. Verdammt.“ Worner ächzte, nachdem er den letzten Toten identifiziert hatte.

Rubinstheyn und Batista lagen etwas abseits davon. Ihre Überreste waren nahezu unkenntlich, die Raumanzüge teilweise verschmolzen mit dem deformierten Metallboden. Es berührte den Captain der 234 nicht. Der alte Orell konnte sich für ihr Ableben eine nette Geschichte ausdenken. Letztendlich erwartete sie dasselbe Schicksal, das ihrem Opfer, dem jungen Kadetten, zuteilgeworden war; für alle Zeiten, in einen Container gepresst, in der Kälte des Alls treibend. Während Worners Blick noch auf den Leichnamen ruhte, dachte er an Peet Orell. Im Antigrav-Schacht waren sie sich begegnet, hatten sich kurz zugenickt. Arn Borul musste es schlimm erwischt haben.

Gedankenverloren sah Worner nach oben und richtete sich auf. Etwas erregte seine Aufmerksamkeit. Ein kaum wahrnehmbarer, blasser Rotschimmer. In einem abgelegenen Bereich der langen Halle. „Forster, ich will mich hier mal umsehen“, meldete er knapp seinem ersten Offizier, der mit den Männern der 234 die Opfer der Energiefalle auflas.

„Klar, Captain. Aber seien Sie vorsichtig.“ Mit dem Kopf machte Forster eine eindeutige Geste, woraufhin zwei aus der Crew hervortraten, um sich Worner anzuschließen.

Eilig entfernten sich Worner und seine Begleiter von der Gruppe. Der Kommandant der 234 hoffte, dass der Tod nun hinter ihm lag und nicht aufs Neue vor ihm. Je näher er dem unwirklich pulsierenden Glimmen kam, desto mehr wichen seine Befürchtungen jedoch der Neugier. Was hatten die Fremden durch ihre grausamen Vorrichtungen geschützt? Er wollte es finden.

Worner blieb fasziniert stehen. Das Licht der zurückbleibenden Männer sah er nur noch in der Ferne. Quader, ähnlich denen, die Peet Orell und Arn Borul wenige Decks weiter unten entdeckt hatten, erleuchteten nun schwach die Halleninnenseiten. Wie hatte man die mannshohen und mehr als doppelt so breiten Aggregate in diesen Raum geschafft? Was war ihre Funktion? Worner wusste keine Antwort. Er drängte weiter. Bis zu einer riesigen leeren Fläche. Direkt dahinter befand sich der monumentale Abschluss der Halle, an dessen Enden sich blasses Rot im Nichts verlor.

„Captain!“ Einer der Männer stand unmittelbar vor einer der Stellen, an der die Energie in der Wand verschwand. Achtsam betastete er die Seitenwand. „Hier ist einer dieser Öffnungsmechanismen.“

Noch bevor Worner reagieren konnte, legte sich ein Raumhandschuh auf das unscheinbar hervortretende Rechteck. Es passierte nichts. Erleichtert atmete der Kommandant auf.

„Da ist auch einer.“ Das zweite Crewmitglied der HTO-234 stand auf der anderen Seite der Halle. „Wenn wir beide Frequenzschalter gleichzeitig bedienen, tut sich vielleicht was.“

Worner trat einen Schritt zurück. Seine Lungen füllten sich mit Sauerstoff, als er tief einatmete. „Gut. Dann los!“

Unter Eric Worners Füßen begann es zu beben. Stumm blickten die zwei Männer der 234 auf ihr Werk. Innerhalb von Sekunden öffnete sich ein gigantisches Schleusentor nach oben und unten. Vor ihnen lag das All. Sterne funkelten im unendlichen Schwarz. Und zwischen all dem lag die Promet. Die HTO-234. Und die XP-3, die direkt daneben angelegt hatte. Eine Einflugschneise! Das muss die manuelle Steuerung sein. So haben sie die Aggregate hier reinbekommen, schoss es Worner durch den Kopf. Gleichzeitig war er erleichtert, die Crew der XP-3 nun endlich zur Verstärkung hinter dem Pluto zu haben. Captain Emerts war ein guter Mann, der ihm die vollste Unterstützung zugesichert hatte. Weiter kam er nicht. In seinem Helm erschien die Holo-Übertragung des ersten Ingenieurs von Bord der 234. Aufgeregt informierte der seinen Captain darüber, dass sich auf dem Kugelraumer gerade ein riesiges Schott über mehrere Decks geöffnet hatte. Dass die XP-3 zwischenzeitlich eingetroffen war, vergaß er dabei fast zu erwähnen.

Eric Worner lächelte verzeihend.

 

*

 

Thosro Ghinu schloss die Augen. Wie er es jeden Tag tat, um dieselbe Uhrzeit, im selben Raum. Er hob die Hände nach oben, atmete tief ein. Wenn er nur ein Signal seines Zöglings empfangen könnte. Ein Lebenszeichen von Arn. Einen einzigen Gedanken. Um den Körper des gealterten Moraners strahlten die Holografien Tausender Sterne, großer Planeten. Die des Kyl-Systems. Und wie jeden Tag empfing Thosro nichts. So sehr er es auch versuchte. Schedo war zu viele Lichtjahre entfernt. Manchmal jedoch glaubte Thosro, es spüren zu können, dass Arn Borul noch lebte, dass er nicht aufgegeben hatte. Er war weiter auf der Suche nach ihnen, den Zurückgebliebenen, seinem Volk. Seelen, die dringend Rettung benötigten. Die Zeit, die seit dem Abflug der Tira und der letzten Nachricht vergangen war, mehrte sich ohne Unterlass. Ghinu flehte die Cegiren an, diesen Zustand zu ändern. Doch etliche Moraner beteten nicht mehr, hofften nicht länger. Sie gingen an die Oberfläche, stiegen aus dem Leben, das kein Leben war. Thosro wusste nur zu gut, dass die Selbstmorde nicht aufzuhalten waren. Nicht, wenn die Hoffnung täglich schwand. Deshalb gab er nicht auf. Er schickte seine Gedanken erneut auf die Reise, unterwarf sie den Strömen des Alls, versuchte, etwas von Arn Borul wiederzufinden. Tira.

Thosro Ghinu öffnete die Augen, blickte in das künstliche Blau, das die Holografien des Sternensystems umspielte. Er befand sich in einem kleinen kuppelförmigen Raum. Nur er durfte ihn betreten. Es war der einzige Rückzugsort, in dem er seinen Geist ausreichend sammeln und loslösen konnte, ihn befreien konnte für die anstrengende Suche. Denn dunkle Bilder verfolgten ihn. Verbrannte Leiber. Die schwarzen Raumer, die Tod und Verderben über Moran gebracht hatten. Die den blühenden Planeten in eine leblose Flammenhölle verwandelt hatten. Dessen Land vergiftet war, brach lag, wie der Lebensmut der weniger als dreitausend Moraner, die dem Albtraum entkommen waren. Nur, um in einem neuen gefangen zu sein: Low, der unterirdischen Forschungsstation in den Tiefen des Paily-Massivs. Wie ein gieriger Schlund fraß die Eintönigkeit ihre Leben, ihre Herzen. Immer gleiche Tagesabläufe, Tätigkeiten, Umgebungen, Gesichter, synthetisches, vorportioniertes Essen, künstliches Licht. Nur die Hoffnung auf Rettung verhieß Abschied von diesem Einerlei. Thosro Ghinu seufzte und verließ die Einsamkeit. Es waren seine mentalen Fähigkeiten, die ihm jeden Tag neuen Lebensmut schenkten. Sie waren denen eines durchschnittlichen Moraners bei Weitem überlegen. Und es gab noch einen Grund: Der Rückweg in sein Privatquartier führte ihn unwiderruflich an der Hyperanlage vorbei. Zwar konnten dort keine psychischen, doch digitale Signale jeglicher Art empfangen werden. Ein zweiter Hoffnungsschimmer, den Thosro Ghinu auf seinem täglichen Gang nie ausließ. Bevor er die Tür in den technisch hervorragend ausgestatteten Raum öffnete, wusste er bereits, wen er antreffen würde. Die junge Moranerin, die seinem Zögling ihr Herz geschenkt hatte. Junici verbrachte Stunden an der Anlage. Manchmal deckte er sie zu, wenn sie schlafend in der Ecke kauerte, weil sie wieder einmal nicht aufgeben wollte. Sie war es, die mindestens so sehr an Arn Borul glaubte, wie Thosro selbst. Und auch das gab ihm die Kraft.

Leise betrat er den dunkel gehaltenen Raum. Leuchtende Bildschirme und Hologramme zeigten Wellen, Daten, Linien. Bis auf das Rauschen der Geräte und den langsamen Atem der Anwesenden herrschte absolute Stille. Müde drehte sich einer der Hyperingenieure in seine Richtung. Er sagte nichts, doch sein Schweigen war für Thosro eindeutig.

Der zweite Moraner, der die Frequenzwertanalysen durchging, stöhnte auf. „Nichts, Meister Ghinu. Und jeden Tag fühle ich mich schlechter und hoffnungsloser. Obwohl ich weiß, dass jederzeit ein Signal von Arn Borul eintreffen könnte, ist die Arbeit eine Qual. Es brennt mir in der Seele.“

Junici räusperte sich. Sie saß in ihrer Ecke hinter den Ingenieuren. „Genauso tut mir das Herz weh, Ter. Auch ich erzähle es dir ständig. Und dennoch hoffe ich, weil ich spüre, dass Arn noch lebt.“ Sie nickte Thosro kurz zu. Es bedurfte keiner Worte. Sie wusste, dass er und sie dasselbe fühlten.

„So sehr wir glauben, es müssen Taten folgen. Die Stimmung ist angespannt. Jeden Abend wird mir vorgehalten, nicht mein Bestes zu geben. Man sagt, dass die Tira und Arn Borul längst nicht mehr existieren.“ Ran, der zweite Ingenieur, hatte gesprochen. Er fuhr sich durch das silberne Haar und wandte den Blick zurück auf die Hologramme, die fahl vor ihm leuchteten. Flache, ungestörte Linien. Kein Signal, keine Unterbrechung. Nichts.

„Gebt den Glauben …“ Thosro stockte. Hinter ihm wurde es laut. Licht durchdrang das Grau. Ein Arm riss ihn nach unten.

Wie Daktylen, die mit Berserkern zu vergleichen waren, rannten drei Moraner schreiend in den Raum und begannen, die Hyperanlage mit Strahlwaffen zu zerstören. Die Projektionen lösten sich im Bruchteil einer Sekunde auf. Der Geruch verschmorter Technik durchzog die Luft. Funken und Blitze folgten der Zerstörungswut. Ein Strahlenschuss traf Ter in die Brust. Langsam rutschte er vom Sitz. Ran konnte rechtzeitig zur Seite ausweichen und stürzte sich auf einen der Angreifer. Thosro hievte sich benommen nach oben. Er wusste für einen Moment nicht, was er denken oder fühlen sollte. Die einzige technische Möglichkeit, Kontakt zu Arn oder anderen Zivilisationen aufzunehmen, war für alle Zeit verloren. Wut erfüllte seinen Geist. Er kannte sie gut, diese drei Moraner. Sie waren dem Irrsinn verfallen, gehörten zu seinen schärfsten Gegensprechern.

Geistesgegenwärtig warf sich Junici auf denjenigen, der erneut auf Thosro losgehen wollte.

„Ein Lügner bist du, Thosro, ein verfluchter Lügner, ein Shakk!“, fluchte der Gegner laut, während seine Versuche, die hartnäckige Moranerin zu Boden zu ringen, scheiterten.

„Halt den Mund!“ Junici legte ächzend ihre Arme um seinen Hals. Sie hatte sich ihm auf den Rücken geworfen und drückte ihn mit aller Kraft nach unten. Er röchelte.

Thosro wich nach hinten. Der Dritte im Bunde, Soril, schoss auf ihn. Nur knapp verfehlte er sein Ziel. Zornentbrannt schlug der Attentäter mit der Faust zu. Und genauso entschlossen holte Ghinu aus, schlug zurück und traf.

Soril taumelte kurz. Verächtlich spuckte er das Blut, das ihm aus den Mundwinkeln rann, zu Boden. „Verflucht sollst du sein, Thosro Ghinu. Du hältst uns nicht länger zum Narren! Du bist der, der uns verdammt hat, hier unten zu leben! Und nur deine Lügen bestärken die nutzlose Hoffnung, die uns von der Erlösung abhält. Die Tira existiert nicht mehr!“ Erneut stürmte er auf Thosro zu.

Ran war es, der Thosro im letzten Moment zur Seite zog. Er schlug dem Angreifer die Strahlwaffe aus der Hand, packte seinen Gegner und wuchtete ihn nach unten. Wieder und wieder trat er zu. Thosro Ghinu stoppte Ran und zog ihn erschrocken zurück. Soril blieb leblos liegen.

Auch Junicis Eingreifen zeigte Erfolg. Noch immer lag sie auf dem Körper unter ihr. Als sie keine weitere Gegenwehr spürte, erhob sie sich, ohne den Blick von dem auf dem Boden liegenden Mann abzuwenden.

„Ter!“ Vorsichtig drehte Ran den befreundeten Ingenieur auf den Rücken. Dann wandte er sich ab. „Er ist tot. Warum nur? Diese Mörder!“

Thosro war dabei, die Schäden an der Hyperanlage zu begutachten.

Mit zusammengekniffenen Augen prüfte Junici die Vitalzeichen der Attentäter. „Sie haben dafür bezahlt, Ran. Wir sollten sie aus Low schaffen. Niemand darf davon erfahren, dass die Anlage …“ Sie zögerte auszusprechen, was Thosro dann zu Ende brachte.

„… irreparabel zerstört ist. Wir haben nicht die Mittel, sie wieder instand zu setzen.“ Die Stimme des alten Moraners zitterte. Seine Hände verharrten einen Moment über den geschmolzenen Bedienfeldern. Dann drehte er sich entschlossen um. „Ran, kannst du die Anlage optisch aufbereiten? Kannst du diese drei Saboteure und Mörder aus Low bringen, auch den armen Ter? Wir dürfen nicht zulassen, dass den letzten Moranern durch das Bekanntwerden dieser Umstände alle Hoffnung genommen wird. Wir dürfen das nicht. Damit wäre alles verloren.“

Ran nickte stumm. Er wusste, was zu tun war, und auch, dass Thosro mit jedem Wort recht hatte. Das hier konnte eine Selbstmordwelle auslösen, die das moranische Volk auslöschen konnte.

Junici blickte vorsichtig durch den Türspalt. „Es ist niemand in der Nähe. Wir haben Glück. Die Götter sind mit uns.“ Unter ihrem langen Silberhaar verbarg sie Wut und Tränen. Sie wollte nicht daran denken, Arn durch die Zerstörung der Hyperanlage vielleicht nie wiederzusehen. Nie mehr seine Stimme zu hören oder in seine Augen zu blicken. Arn musste zurückkehren.

 

*

 

Fasziniert berührte Leslie Stewart, Expertin für Robotik auf der XP-3, das dunkelrot glänzende Metall. Mithilfe dieser Grundlage sollte sie die Forschungsroboter der HTO so modulieren, dass sie den Fremdraumer zeitsparender zerlegen konnten. Sie fasste es kaum, eine dermaßen wichtige Entdeckung unter den Fingerspitzen zu fühlen und absolut machtlos zu sein. Hilflos mit ansehen zu müssen, wie sich die HTO sämtliches Wissen unter den Nagel riss. Und nicht die Space Rockets Company.

„Hey, Nicole, Lust, mit Essen zu kommen?“ Kevin Newhall betrachtete die Rothaarige interessiert.

„Nein danke. Du siehst doch, dass ich zu tun habe.“ Leslie seufzte. Dieser verfluchte Kevin! Zuerst hatte sie noch angenommen, er könnte ihr dienlich sein. Immerhin war er jahrelang bei der HTO beschäftigt. Allerdings hatte sich rasch herausgestellt, dass er nicht mehr wusste als sie selbst.

„Na ja, vielleicht ein anderes Mal.“ Der junge Mann zog mit hängenden Schultern ab, während Leslie energisch zwei Chipsätze aneinandersteckte.

Die Demontage des Fremdraumers lief seit Tagen auf Hochtouren. Die Frachträume füllten sich konstant, obwohl es bei Weitem nicht so zügig voranging, wie man sich das bei der HTO vorgestellt hatte. Das unbekannte Metall war in seinen Eigenschaften dermaßen starr, dass es sich nur schwer trennen ließ. Dennoch schneller, als es Leslie lieb war. Sie hätte sich längst mit Coleman in Verbindung setzen müssen. Diesem Choleriker würde das ganz und gar nicht passen. Und ihr selbst auch nicht. Sie hatte in Erfahrung gebracht, dass bald die nächsten Frachter kamen, um die ersten Konverter der fremden Kultur zur Erde zurückzubringen. Wenigstens das hatte ihr Kevin sagen können. Und damit hatte die HTO einen Vorsprung, der nicht einzuholen war. Einen Moment dachte die Rothaarige an die Fehlschläge der letzten Tage. Ein weiteres Gespräch mit Randall, dem Offizier der Kommunikationszentrale, hatte nichts genutzt. So rührselig sie das Märchen um ihre sehnsüchtige Liebe aufbauschte, er gab nicht nach. Ein zweiter Fehlalarm war ihr ebenfalls misslungen. Nach dem ersten hatten Sicherheitsexperten die Algorithmen umprogrammiert. Deutlich zugriffsgeschützter.

„Ich geh jetzt auch mal essen. Du arbeitest zu viel, Nicole.“ Leslies blonde Assistentin verließ den Raum als Letzte.

Na endlich! Stewart sah sich verstohlen um. Ihre Kollegen hatten sich allesamt in die Mittagspause abgesetzt. Diesen Moment wollte sie nutzen. Aus ihrem Spind zog sie etwas, das sie während einsamer Nachtschichten zusammengebastelt hatte. Einen kleinen, spinnenartigen Roboter. Sie wusste, dass das Entwicklungslabor nicht ständig unter Überwachung stand. Nachdem sie die Tür von innen per Code verriegelt hatte, entfernte sie die gitterartige Abdeckung des Lüftungsschachts. Dort ließ sie ihrer Entwicklung freien Lauf. Es hatte sie Stunden gekostet, die Koordinaten einzuprogrammieren, um Spider, wie sie das Gerät nannte, über die Sauerstoffversorgungsschächte bis zum Schacht der Kommunikationsanlage zu leiten. Die Energieversorgung reichte bis dorthin und zurück. Kamera und Mikrofon sorgten für alles, was sie wissen musste: den achtstelligen Code, den sie benötigte, um die Anlage freizuschalten und als Bonus die Aufzeichnungen verschlüsselter Meldungen während des Zeitraums. Wer ahnte schon, was die HTO noch entdeckt hatte? Vielleicht war dieser Raumer erst der Anfang. Surrend setzte sich der Roboter in Bewegung. Leslie atmete auf. Morgen wusste sie mehr. Dann konnte sie Coleman informieren.

 

*

 

„Ich vermute, du hast nicht die geringste Ahnung, was mich das kostet, Peet.“ Harry T. Orell sah dem Hologramm seines Sohnes in die Augen.

„Doch. Ein Vermögen. Aber es wird sich lohnen.“ Peet Orell warf seinem Vater einen ebenso entschlossenen Blick zurück.

„Ich werde darüber nachdenken, Sohn.“ Harry seufzte, denn im Grunde genommen wusste er, wie diese Entscheidung ausfallen würde.

Auch Peet schien das zu ahnen, er grinste. „Okay, dann warte ich. Ich melde mich morgen wieder.“

Noch bevor Harry T. Orell in der Lage war, dem Rest der Crew ein paar Grüße ausrichten zu lassen, verblasste die Projektion und Peet war verschwunden. Der Firmenmagnat fuhr sich über das graue Haar. Es war immer dasselbe: Da freute er sich über ein Lebenszeichen seines Sohns. Und fast jedes Mal kostete es ihn ein Vermögen. Mehrere Klasse-X-Frachter hinter den Pluto zu schicken, war ein kostspieliges Unterfangen. Selbst für ein Kaliber wie die HTO. Den Hangar des Fremdraumers als Station für die Promet aufzurüsten, war eine wahre Herausforderung. Um auf diesem gewaltigen Raum für Menschen lebenstaugliche Luftverhältnisse zu schaffen, brauchte man ungeheuer leistungsstarke Aktivpumpen, ein hervorragendes Team an Technikern und eine Menge Zeit. Abgesehen davon musste die Grundstruktur des Kugelraumers erhalten bleiben. Es war nicht unmöglich. Die Schleusen auf der unzerstörten Seite funktionierten einwandfrei. Die Entdeckung des Schotts mit der Einflugschleuse war dahingehend ein Geschenk des Himmels. Es war lediglich sündhaft teuer und extrem aufwendig. Andererseits verstand er Peet. Es war eine Chance, die man nutzen sollte. Von diesem Startpunkt aus ließen sich Entwicklungen testen, unzählige Flüge starten. Und das zu jeder Tages- und Nachtzeit. Ohne dass die Konkurrenz oder die Space Police etwas davon mitbekamen. Die Promet hätte so einen sicheren Hafen und müsste nicht für jede technische Wartung eine Transition zur Erde in Kauf nehmen. Oder bei jedem Abflug eine Erlaubnis der Police einholen. Wahrscheinlich war es sogar eine sinnvolle Investition. Harry T. Orell lehnte sich zurück. Seine Schuldgefühle wüteten längst wieder in ihm. Vorsichtig zog er die Schublade auf und sah auf das Foto seiner verstorbenen Frau, Peets Mutter. Priscilla. Auf seinen Sohn wartete eine Injektion, durch die es ihm schlechter gehen könnte denn je. Und würde Peet eines Tages die wahren Gründe dieser Notwendigkeit erfahren, wäre sein Leben nicht mehr dasselbe. Harry konnte einfach nicht anders. Mit versteinerter Miene drückte er auf den Button des Holo-Com. Er beauftragte Crook, den Leiter des Werkschutzes, und Norman Gant, den Manager der HTO, mit einer Kostenaufstellung.

 

*

 

Inspector Ederson wollte gerade in den Feierabend gehen, als er auf Rosebell Luca, seine Vertretung für die Nachtschicht, traf. Mit einem mürrischen Knurren drückte er sich an ihr vorbei, doch zwischen Tür und Angel hielt sie ihn zurück.

„Du gehst nach Hause? Ich hatte angenommen, du sitzt mit hochrotem Kopf hinter dem Schreibtisch.“ Unter den grauen Locken sah sie ihn überrascht an.

„Gibt nichts, was mich hier hält, Rosie. Ich hatte einen wirklich schlimmen Tag.“ Ederson stöhnte. Rosie konnte nicht ahnen, wie er sich heute aufgerieben hatte. Er hatte seinem Vorgesetzten erklären wollen, dass Harry T. Orell ein falsches Spiel spielt. Dass es nicht um Marson gehe, sondern dass etwas Größeres dahinterstecke. Doch da er nicht erwähnen konnte, dass diese Information einer nicht genehmigten Quelle auf einem zwielichtigen Parkplatz entstammte, hatte man ihn abgewürgt. Ohne handfeste Beweise gab man ihm keine Chance. Und wie alle Kontrollen der HTO-Frachter zuvor, waren auch die aktuellsten Checks einwandfrei ausgefallen. Absolut nichts Verdächtiges. Diese Tatsache frustrierte den Inspector täglich mehr.

Rosebell Luca sollte seinen Feierabend jedoch um einiges verzögern. „Unsere Kollegen von der Mars Zwo haben sich letzte Nacht gemeldet. Sie hatten einige HTO-Schiffe in der Ortung. Einen davon Klasse X.“ Luca grinste.

„Und ich dachte, du hättest was Neues.“ Enttäuscht ging Ederson einen Schritt nach draußen.

„Poul. Ich war noch nicht fertig. Da du die Jungs auf Zwo wohl zu oft genervt hast, haben sie die Ortung länger als nötig aufrechterhalten. Und siehe da, der Frachter hat den Kurs gewechselt. Und zwar abweichend vom Asteroidengürtel.“

Der Inspector hielt inne. Sollte er tatsächlich recht behalten? Wo schickte der alte Orell den Raumer hin? „Ich muss ein paar Flottenschiffe hinterherschicken. Die müssen rausfinden, wohin …“

Rosebell Luca atmete hörbar aus. „Poul. Jetzt mal ruhig, das muss nichts heißen. Ich ahnte aber, dass es dich interessiert. Dir ist bewusst, dass du keinerlei Unterstützung für eine ungerechtfertigte Verfolgungsaktion bekommst? Es ist nicht verboten, den Kurs zu wechseln.“

Missmutig sog der Inspector Luft durch die Zähne. Wo Rosie recht hatte, hatte sie recht. Nach der Aktion mit den ungenehmigten technischen Antriebskontrollen war die Sektion auf ein Minimum an Flottenschiffen angewiesen. Dass er davon welche abziehen durfte, um sie der HTO hinterherzuschicken, konnte er vergessen. Und bis die restlichen Schiffe aus der Wartung kamen – seitens der HTO mit unbekanntem Auslieferungszeitpunkt – war es vielleicht zu spät; ihm waren die Hände gebunden. Doch wenigstens hatte er scheinbar in Rosebell Luca eine Verbündete gefunden.

„Was soll ich tun, Rosie?“, fragte er.

Sie überlegte kurz. „Lass dir von deiner Frau heute Abend was Schönes kochen und morgen beauftragst du den Jungspund, sich mal bei der Space Rockets Company umzuhören.“

Der Inspector lächelte und verschwand wenige Minuten später in die Nacht. Warum war er nicht selbst darauf gekommen? Wenn Harry T. Orell etwas verbarg, interessierte das nicht nur die Police, sondern auch die Konkurrenz. Und die war ihm in ihren Ermittlungen vielleicht schon um Längen voraus.

 

*

 

„Ben, wir kennen uns wie lange? Seit fast vier Jahrzehnten. Du kannst mir vertrauen. Diese Injektion ist wichtig für die Crew der Promet.“ Lyndon Hellbrook saß in seinem Büro. Ruhig versuchte er, den Kollegen auf der XP-3 davon zu überzeugen, keine Fragen mehr zu stellen. Doktor Roth war ein zuverlässiger Mann. Während ihres Medizinstudiums hatten sie nicht nur die ein oder andere Prüfungsphase gemeinsam durchgestanden. Doch in diesem Fall gab Hellbrook nur die nötigsten Informationen preis.

„Lyndon, versteh mich nicht falsch. Ich weiß, dass diese Sache vertraulich ist. Die Bezahlung ist erstklassig. Und ich hätte nie damit gerechnet, je eine außerirdische Intelligenz zu Gesicht zu bekommen. Dennoch muss ich wissen, was ich den Crewmitgliedern spritze. Falls es nach der Verabreichung zu Komplikationen kommt, muss ich eingreifen können. Dass es sich bei diesen Substanzen um eine schlichte Vorsorgeimpfung handelt, nehme ich dir nicht ab. Wir kennen uns wahrlich zu lange, da hast du recht.“ Doktor Roth strich sich über den grauen Bart. Sein Hologramm beäugte Hellbrook mit Spannung. „Ich sehe doch an der Trübung, dass da noch andere Komponenten enthalten sind, Lyndon“, setzte er nach.

„Nun gut, hör zu. Peet Orell leidet an einer seltenen Krankheit. Mehr darf ich dir nicht verraten, dafür habe ich unterschrieben. Er weiß nichts davon und dabei soll es bleiben. Das ist ein persönliches Anliegen von Harry T. Orell. Der Rest der Crew erhält eine Placeboimpfung. Das muss dir genügen.“ Hellbrook belog seinen langjährigen Freund nur ungern. Aber mit dieser Halbwahrheit würde Roth sich zufriedengeben müssen.

„Und welche Nebenwirkungen können bei Peet Orell auftreten?“ Roths Miene war ernst.

„Das kann ich dir nicht genau sagen. Das Medikament befindet sich noch im Betastadium meiner medizinischen Studien. Veranlasse die Promet auf jeden Fall, auf direktem Weg zur Erde zurückzufliegen, sollte Peet Orell an ungewöhnlichen Symptomen leiden. Ich übernehme dahingehend die Verantwortung.“

Lyndon Hellbrook war erleichtert, als er den Holo-Com Minuten später abschaltete. Mit so vielen Nachfragen seines alten Freundes hatte er nicht gerechnet. Immerhin war er der einzige Mann, dem er die Wahrheit hätte sagen können. Aber noch gab es keinen Grund dazu. So lange zumindest Peet Orell keinen Zusammenbruch mit lebensgefährlichen Folgen erlitt. Nun musste er lediglich Harry T. Orell darüber informieren, dass alles nach Plan verlief. Vorerst jedenfalls.

 

*

 

Dex Coleman schaltete den Holo-Com nicht aus, er schlug mit Wucht darauf. Die Frist, die er Leslie Stewart eingeräumt hatte, war längst verstrichen. Sie meldete sich nicht. Und diese vernichtende Tatsache hatte ihn heute Stunden an Arbeit gekostet. Zuerst hatte er einen seiner Maulwürfe bei der HTO kontaktiert. Der Marson-Abbau der HTO solle auf Hochtouren laufen! Randvoll bepackte Frachter befüllten alle paar Tage die zugangsbeschränkten Werkshallen des Hochsicherheitssperrkreises! Es trieb Coleman zur Weißglut. Angeblich wolle Harry T. Orell sogar eine eigene Station auf einem der Planetoiden errichten. Dass er Vorbereitungen traf, eine Unmenge an Technikern, Materialien und Aktivpumpen ins All zu verfrachten, sprach eindeutig dafür. Das Marson-Vorkommen musste immens sein. Gigantisch! Der Chef der Space Rockets Company hustete aus voller Lunge. Er hatte diesen Vormittag so viel geraucht, dass er die Zigaretten nicht mehr zählen konnte. Und die Person, der er vertraut hatte, Leslie Stewart, enttäuschte ihn bitter. Wahrscheinlich verrichtete sie hervorragende Arbeit für den alten Orell und plauderte fröhlich die betriebsinternen Informationen der Company aus. Coleman fluchte. Verdammt, warum musste der Asteroidengürtel um die 50.000 Planetoiden beherbergen! Egal, wie groß die Marson-Vorkommen waren, er würde sie ohne Koordinaten erst finden, wenn Orell die letzten Restchen bereits in seiner Zentrale gebunkert hatte. Aber zumindest die Stewart sollte büßen. Von schwarzen Zahlen konnte er seit Monaten nur träumen. Und dieses Flittchen trug Mitschuld am Untergang der Company. Einer seiner vertrauenswürdigsten Spitzel hatte ihm neulich eine Empfehlung ausgesprochen. Ein Unbekannter, der seinen Preis verlangte, jedoch schon so manches Problem endgültig gelöst hatte. Vorhin hatte Coleman die Verbindung bereits hergestellt. Der Mann hatte ein Hologramm abgelehnt, allerdings Antworten gegeben, die nur er wissen konnte. Coleman wollte erst verhandeln, denn derjenige war teuer, viel zu teuer. Die XP-3 befand sich noch im All. Aber sobald sie landete, wäre Stewart erledigt, versprach der Fremde. Und er bot an, alle Informationen zu liefern, die Dex Coleman benötigte. Gewaltsam drückte der Chef der Space Rockets Company die Zigarette aus. Er traute dem Unbekannten nicht. Eine Unsumme an Vorschüssen sollte er zahlen. Allerdings blieb ihm keine andere Wahl, wollte er das Problem aus der Welt haben.

 

*

 

Noch vor zwei Stunden hatte sich Peet Orell seufzend die blonde Mähne zurückgestrichen. Doch nun grinste er breit. Sein Vater hatte ihm mitgeteilt, dass er dem Vorschlag zustimme. Der fremde Gleiter sollte aus der Schleuse abtransportiert werden. Und das Equipment, das benötigt wurde, um den schwarzen Kugelraumer zur Basis auszubauen, machte sich bald auf den Weg hinter den Pluto. Basis I hatte sein Vater das Projekt genannt und damit nicht nur Peet eine Riesenfreude gemacht. Auch der Rest der Crew kam aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. Diese Basis würde zukünftige Expeditionen um ein Vielfaches einfacher gestalten. Zwar hatte Vivien eingeworfen, manche Annehmlichkeiten der Erde aufgrund der selteneren Aufenthalte sicherlich zu vermissen, doch ihr Enthusiasmus hatte sie das schnell wieder vergessen lassen.

„Mein Vater meinte allerdings, dass er uns eine Vorsorgeimpfung verpassen lässt. Vorsichtshalber. Es wäre unklar, inwieweit eine Transition den menschlichen Stoffwechsel durcheinanderbringt. Deshalb hält er das für sinnvoll. Unser Immunsystem soll schließlich auf dem besten Stand bleiben“, warf Peet ein, als Jörn und Vivien darüber diskutierten, wohin sie ihr nächster Ausflug führen sollte.

„Ich habe mich zwar nach der Transition durcheinander gefühlt, aber nicht schlimm genug, um mich stechen zu lassen!“, entgegnete Vivien trotzig und verschränkte die Arme.

Jörn schmunzelte. „Hast du Angst? Nadeln mag ich genauso wenig, doch für unsere Abwehrkräfte ist das bestimmt eine gute Sache. Harry will nur das Beste. Vor allem, da er Peet durch den Ausbau der Basis nun noch seltener zu Gesicht bekommt.“

„Und wer führt die Impfung durch? Bin ich davon ausgeschlossen?“ Arn konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als Vivien ihm einen neidvollen Blick zuwarf.

„Wenn ich an deinen Aussetzer nach der ersten Transition denke, brauchst du vielleicht tatsächlich ein paar wirkungsvolle Drogen, Arn“, giftete sie und genoss es, dem Moraner dabei zuzusehen, wie er in Erdenmanier die Augen verdrehte.

„Uns fällt schon was ein“, beruhigte Peet seinen Freund, bevor er fortfuhr. „Ein Doktor Roth ist dafür zuständig. Die Impfung hätten wir wohl so oder so kriegen sollen. Dafür ist der Doktor bereits auf der XP-3 und startbereit zum Stechen.“

„Hat dein Vater das geahnt?“, fragte Arn.

„Bringen wir es hinter uns und danach …“, begann Vivien.

„Transitieren wir in den interstellaren Raum. Ich habe so ein Gefühl, als wäre Alpha Centauri genau das richtige Ziel für eine kleine Expedition“, beendete Peet. „Der Kugelraumer ist in guten Händen und ausrichten können wir gerade eh nichts. Und wenn wir wiederkommen, landen wir vielleicht schon auf unserer neuen Basis.“

„Warum ausgerechnet Alpha Centauri?“, fragte Arn.

„Es ist das der Sonne am nächsten gelegene Sternensystem. Kein Schiff hat es bisher so weit geschafft, obwohl es von der Erde nur etwas über vier Lichtjahre entfernt ist“, klärte Jörn ihn auf. Die Vorfreude war ihm deutlich anzumerken.

„Abgesehen davon kann es dort noch unentdeckte Exoplaneten geben. Dem Umfeld von Alpha Centauri A, B und dem uns am nächsten stehenden Proxima Centauri sind längst nicht alle Geheimnisse entlockt.“ Peet war nicht mehr zu bremsen.

Arn lächelte. „Ich verstehe. Wir lassen es langsam angehen.“

„Nun ja. Ich sage Gus erst mal, dass dieser Doktor Roth auf der Promet herzlich willkommen ist, um uns zu piesacken. Und dann können wir los!“ Peet grinste.

Einige Stunden später betrat ein älterer Herr mit einem unscheinbaren Medopack die Raumjacht. Die Crew empfing ihn an der Schleuse. Augenscheinlich musste er sich stark beherrschen, seine Faszination über Arns Existenz in Zaum zu halten. Kaum hatte er sich seines Anzugs entledigt und sie alle die Kommandobrücke erreicht, verwickelte Arn ihn allerdings in ein Gespräch, das dem Mediziner unangenehm zu sein schien.

„Aus was besteht diese Impfung? Ist es möglich, sie molekular zu untersuchen? Vielleicht könnte ich die Inhaltsstoffe dem moranischen Organismus anpassen, um die Transition besser zu verkraften. Ich denke, das wäre … für alle Beteiligten am besten“, setzte der Moraner interessiert nach. Sein Aussetzer machte ihm mehr zu schaffen als er zugab.

„Verpassen Sie ihm auch einen Piecks, Doc“, frotzelte Vivien und zog demonstrativ die Ärmel ihrer roten Bluse nach oben.

„Ich habe leider keinen zusätzlichen Impfstoff, den ich Ihnen überlassen könnte, Mister Borul“, antwortete Doktor Roth knapp.

„Mir reichen die Rückstände in einer der Ampullen, um mir die Stoffe genauer anzusehen“, meinte Arn.

„Das sind lediglich Vitamine. Lassen Sie uns später darüber reden und mich vorerst die Impfungen durchführen.“ Der Tonfall Roths klang gezwungen. „Mister Orell, beginnen wir doch gleich bei Ihnen.“

Der Moraner verstummte und der graubärtige Mann begann, ein unscheinbares, weißes Gerät an Peets Arm anzusetzen. Nach einem leisen Zischen war es getan. Vorsichtig aktivierte der Doktor die Schaltung einer nächsten Ampulle.

Peet kniff die Augen zusammen und rieb sich den Arm. „Verdammt, brennt das.“ Sein Grinsen fand er jedoch rasch wieder. „Jetzt ist Vivien dran.“

Einige hitzige Diskussionen später, angeregt von Vivien, war die Crew der Promet versorgt. Doktor Roth steckte den Injektor ein und schien es auf einmal äußerst eilig zu haben.

„Doktor, den Impfstoff betreffend …“, wollte Arn erneut ansetzen.

„Dieser Injektor lässt sich ohne spezielle Hilfsmittel nicht öffnen“, entgegnete Roth.

„Unser Ingenieur Pino Takkalainen ist hervorragend ausgerüstet. Ich kann ihn fragen“, versuchte der Moraner es weiter.

„Mister Borul, dieses Gerät ist sehr teuer. Ich werde mich auf der XP-3 darum kümmern.“ Der Doktor packte ein. „Geben Sie Bescheid, sollte Ihnen unwohl sein.“ Damit verabschiedete er sich ungewöhnlich schnell und ließ die Crew erstaunt zurück.

„Ein komischer Mensch“, wunderte sich Arn.

„Ich fühle mich jedenfalls völlig normal. Von mir aus können wir aufbrechen.“ Vivien war nicht zu bremsen.

„Vielleicht ist das seine Art, Arn. Viele Menschen sind komisch. Du kannst ihn ja später noch mal kontaktieren.“ Jörn lehnte sich zurück. Insgeheim beschlich ihn ein ähnliches Gefühl wie den Moraner, der den Vorschlag mit einem Nein, schon gut, resigniert abwies. Aber was sollte an einer Vorsorgeimpfung, vor allem auf Anweisung der Geschäftsleitung, verdächtig sein?

Peet grinste. „Lasst uns gleich morgen starten. Die Systeme der Promet sind laut Tak in Bestform und theoretisch hält uns nichts mehr auf. Ich brenne auf Alpha Centauri.“

Die Besatzung der Raumjacht beschloss, früher schlafen zu gehen, um für den nächsten Tag fit zu sein. Keiner von ihnen ahnte, dass Doktor Roth für den morgigen Tag eine zweite Untersuchung geplant hatte, sie jedoch aufgrund Arn Boruls Nachfragen als zu riskant eingestuft hatte. Er hatte sie nicht einmal erwähnt.

 

*

 

Peet taumelte Richtung Bett. Eine unerklärliche Schwäche erfasste ihn. Vorsichtig ließ er sich nieder und griff sich an den Kopf, der lauter dröhnte als die Hebebohrer der Demontageteams. Er versuchte, wieder aufzustehen, aber ihm fehlte die Energie. „Die anderen haben das Zeug auch bekommen, also stell dich nicht so an“, befahl er sich und rieb seinen Arm. „Es hört bestimmt gleich auf.“ Gequält legte er sich hin, deckte sich bis zum Hals zu und ignorierte den hämmernden Schmerz, der mit jedem Herzschlag mitklang. Ihm wurde warm, dann schwindelig. Eine Nebelwand, blutrot und so dick, dass er die eigene Hand nicht mehr vor Augen sah. Totenstille umgab ihn. Es war heiß, feucht, er konnte kaum atmen. Verwirrt ging er einen Schritt nach vorne. Eine Angst nahm ihn ein, die er nicht kontrollieren konnte. Er hörte Geräusche. Das Auftreten von nackten Füßen. Rot umflutete ihn. Etwas rann ihm den Rücken herab. Angstschweiß? Die Laute kamen näher. Peet begann zu rennen, sah sich nicht um. Er spürte den Geruch des Nebels in den Atemwegen, den Dunst auf der Haut. Hinter ihm bewegte es sich schneller, plätscherte über die Oberfläche, egal, wie sehr Peet versuchte, sich zu entfernen. Er sprintete durch das Rot, bis die Muskeln stachen. Seine Beine waren schwer wie Blei. Keuchend fiel er auf die Knie, hob die Hände vors Gesicht. Sie zitterten, waren mit roter Flüssigkeit überzogen. Kurz stoppten die Schritte, bis sie sich erneut näherten. Dann packte ihn etwas. Gewaltsam. Zerrte ihn zu Boden, legte sich schwer auf ihn, würgte ihn, stieß ihn in dunkles Wasser. Gesichtsloses Schwarz. Peet fühlte Todesangst. Als er das Wesen wegdrückte, glitten seine Finger einfach durch dessen Körper, griffen ins Nichts.

„Geh weg! Das ist nur ein Traum!“, röchelte Peet. Er spürte den Druck auf der Brust.

„Kein Traum! Kein Traum! Kein Traum!“, kreischte der unbekannte Schatten.

Peet schrie, als sich das Schwarz entmaterialisierte. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis es in Peets Mund drang, sich mit dem Rot und Peets Atem mischte. Es raubte ihm die Luft, es schmeckte nach Blut.

Peet riss die Augen auf, sah sich keuchend um. Kein Traum! Er wollte sich bewegen und konnte es nicht. Als sei er nicht er selbst, sah er seine Hand Richtung Tür greifen. Er wollte um Hilfe rufen, doch seiner Kehle entrang sich kein Ton. Seine Unterlippe brannte. Blut. Er versuchte immer wieder zu schreien. Mehr als ein heiseres Geräusch gelang ihm nicht. Er war wehrlos, ausgeliefert. Mühsam bewegte sich sein Arm weiter, die Finger krampften. Peet empfand keinerlei Kontrolle über seinen Körper. Sein Geist wehrte sich mit allen Mitteln. Wenn er nur sein mobiles Com erreichen könnte! Aus den Augenwinkeln sah er es auf dem Beistelltisch. Ganz nah. Mit Gewalt rollte er sich ächzend zur Seite, rang um Atem. Und während der Schweiß an ihm herabperlte, spürten seine Fingerspitzen endlich das kühle Metall des Kommunikationsgerätes.

Peet Orell wäre fast aus dem Bett gefallen, als seine körperliche Kraft wieder real wurde. Er riss sich hoch. „Alles gut!“ Er hustete. Das Gefühl, die eigene Stimme klar hören zu können, beruhigte ihn. Er schlang die Finger um das mobile Com, betrachtete es kurz und legte es zögernd zurück. Dieser Traum war anders gewesen, hatte sich in die Wirklichkeit ausgedehnt. Peet hatte sich in die Lippe gebissen. Er wollte keine Sekunde länger alleine bleiben. Vielleicht sollte er mit Arn oder Jörn darüber sprechen. Über das schwarze Wesen. Den blutroten Nebel. Beim Gedanken daran wusste er, dass er es nicht konnte. Aber warum hatte er sich nicht mehr bewegen können, obwohl er bereits aufgewacht war? Peet hielt inne. Das Phänomen der Schlafstarre! Davon hatte er schon öfter gelesen, wenn er in den Weiten des Ultranets hinsichtlich wiederkehrender Träume recherchiert hatte. Das waren alles nur Hirngespinste. Dabei konnten ihm seine Freunde auch nicht weiterhelfen. Er sollte versuchen, wieder zu schlafen.

 

*

 

„Peet, wie siehst du denn aus!“ Besorgt musterte Vivien ihr Gegenüber.

„Ich habe schlecht geschlafen. Lag vielleicht an der Impfung“, entgegnete Peet knapp. An letzte Nacht erinnerte er sich nur ungern. Die Müdigkeit steckte ihm noch in den Knochen.

„Also ich bin ausgeruht“, meinte Jörn, der soeben die Kommandozentrale der kleinen Raumjacht betrat.

Aufbruchsstimmung lag in der Luft. Peet ließ sich in den Kommandosessel fallen und sah zu Arn. Die Erwartung stand selbst dem Moraner ins bronzefarbene Gesicht geschrieben.

„Fühlst du dich fit für eine Transition, Peet? Wir stehen nicht unter Zeitdruck. Ob wir heute oder morgen starten, spielt keine Rolle. Doktor Roth sollte dich sicherheitshalber noch mal untersuchen.“

„Arn, ich möchte keinen Tag länger warten. Dafür reizt mich Alpha Centauri zu sehr. Abgesehen davon ist es nur einen Katzensprung entfernt. Das schaffe ich locker. Deshalb brauche ich wirklich keinen Arzt.“ Alpha Centauri. Peets Abenteuerlust überdeckte die schlechte Nacht leicht.

Jörn runzelte die Stirn. „Hast du eigentlich mit deinem Vater gesprochen? Unsere Transition hierher hat für einigen Wirbel auf Luna I und II gesorgt. Falls wir wieder Erschütterungen im Sonnensystem auslösen, wird man misstrauisch.“

„Ich habe ihm gleich nach dem Aufstehen eine detaillierte Nachricht über unser Vorhaben geschickt. Er hätte die Expedition sicherlich abgesegnet. Schließlich haben wir die erste Transition gut überstanden. Und die hat er erfolgreich vertuscht. Da es eine einmalige Sache war, hat man die Phänomene längst abgetan. Nicht mal die Police interessiert sich dafür. Abgesehen davon: Können wir aus dieser Entfernung überhaupt bemerkt werden? Arn, was denkst du?“, fragte Peet, in dessen Worten nun doch etwas Unsicherheit lag.

Der Moraner überlegte. „Ich glaube, mit euren altertümlichen Messgeräten ist es eher unwahrscheinlich, von der Erde aus Verschiebungen des Raum-Zeit-Kontinuums hinter dem Pluto wahrzunehmen.“

„Super, dann steht dem Start nichts mehr im Wege!“ Eine gutgelaunte Stimme meldete sich über den Com. Sie gehörte Pino Tak, der sich aus dem Triebwerksraum dazugeschaltet hatte. „Hier unten gibt’s nichts, was dagegenspricht. Die Systeme sind astrein!“ Er hatte, nachdem Arn frühmorgens die Transitionstriebwerke selbst überprüft hatte, noch einen letzten Check durchgeführt. Diesmal sollte es keine Probleme mit dem Erreichen der genauen Zielkoordinaten geben.

„Ortung und Navigation sind okay, ich bin startklar“, hörte man Ekka durch die Lautsprecher gellen. Er klang aufgeregt.

„Die Com-Anlage auch, allerdings wird sie das in Alpha Centauri sicherlich nicht mehr sein“, gab Gus Yonker Bescheid.

„Hoffen wir lieber, dass Arns System genauso astrein ist, vor allem, wenn wir unser Ziel erreicht haben“, stichelte Vivien grinsend.

Arn kratzte sich am Nacken und Peet seufzte. Wegen Arn mussten sie sich noch etwas einfallen lassen. Bei der letzten Transition, die sie hinter den Pluto gebracht hatte, war der Moraner nach dem Erwachen durchgedreht. Er hatte wahllos um sich geschlagen und Peet fast eine Tracht Prügel verpasst. Nein, das musste er nicht noch mal haben. Verstohlen sah er zu Arn. Er hatte eine Idee und die würde Arn nicht gefallen. Zwei Stunden später bestätigte Tak das Anlaufen der Triebwerke.

„Peet, du musst die Betawerte beachten. Die Transition darfst du erst bestätigen, wenn sie den Schwellwert erreicht haben.“ Arn klang gequält, als er über die Helmfrequenz sprach.

Auch diesmal hatte sich die Crew vorsichtshalber entschlossen, die Schutzanzüge zu tragen. Und genau daran hielten elektronische Transportfesseln den Moraner, umschnürt an Armen und Beinen, im Sitz. Während sie in fröhlichem Blau vor sich hinblinkten, wirkte Arn Borul wenig glücklich. Dennoch hatte er Peet Orells Vorschlag bedingungslos zugestimmt. Er wollte nicht riskieren, wieder zur Gefahr für sich und die restliche Besatzung zu werden. Sollte er noch mal ausrasten, konnte er nichts weiter ausrichten, als in den Helm zu brüllen. Er gab Peet ein Zeichen. Ein greller werdender Transitionswirbel flackerte über den Schirm und die Crew der Promet verlor das Bewusstsein.

 

*

 

Peet öffnete die Augen. Seine Muskeln brannten wie Feuer. Er nahm die Umgebung nur verschwommen wahr, doch nach und nach wandelten sich die Konturen in ihre bekannte Form. Angestrengt streckte er die Arme von sich. Jörn hing schlaff im Sitz. Durch die Helmverglasung sah man, dass er sich noch in anderen Sphären befand. Vivien wimmerte leise in den Helm. Der Moraner allerdings zuckte unkontrolliert in den Elektrofesseln. Das Schockgrün war dem Weiß seiner Augäpfel gewichen. Peet quälte sich nach oben, doch seine Beine knickten wieder ein. Wenigstens wirkte Arn nicht aggressiv, obwohl Peet nicht sicher war, ob die abrupten Bewegungen des Moraners nicht in Schläge ausarten konnten. Erneut versuchte Peet, sich schwankend hochzuziehen. „Arn, kannst du mich hören? Wach auf, wir sind da.“

Der Moraner gab ein paar abgehackte Laute von sich. Seine Finger krampften zusammen, als wollte er etwas zerquetschen. Peet hangelte sich seufzend an der Lehne zu Jörn. Dort hatte er deutlich mehr Erfolg. Auch Vivien ließ sich problemlos wecken. Jörn war auf die Idee gekommen, ihr grinsend einzureden, ein intergalaktisches Shoppingcenter entdeckt zu haben.

„Tira. Es fühlt sich so anders an als auf der Tira. Ich verstehe das nicht. Es tut weh. Schmerz.“ Der Moraner war aus seinem Zustand erwacht.

„Ja, Arn, ein Menschenleben ist nicht einfach. Wenigstens hat man dir nicht erzählt, man hätte die Promet vor einem moranischen Shoppingcenter geparkt.“ Vivien lief zu alter Form auf.

„Moranisches Shoppingcenter?“ Arn hob den Kopf.

„Nicht so wichtig, Viviens Humor ist manchmal recht merkwürdig“, merkte Jörn knapp an und wich einem kraftlosen Faustschlag von Vivien aus.

„Sollten wir das Sternensystem Alpha Centauri nicht wesentlich größer auf dem Schirm haben?“, fragte Arn unvermittelt. Er war wieder in seinem Element. Erst als er aufstehen wollte, fiel ihm auf, dass die Fesseln immer noch aktiv waren. „Peet, ich glaube, die sind jetzt nicht mehr nötig.“

Peet nickte und betätigte das numerische Feld der Hauptschaltung des Geräts. Geräuschlos zog sich die blaue Energie in das kleine Kästchen hinter der Sitzlehne zurück.

Der Moraner streckte sich, nahm den Helm ab und erhob sich unbeholfen. Er platzierte sich mit verschränkten Armen vor den Hauptschirm. „Sind Ekka und Tak schon wach? Ich habe das Gefühl, etwas stimmt nicht.“

Die anderen Crewmitglieder entledigten sich ihrer Helme. Kurz darauf blickten sechs ratlose Augen zuerst den Moraner und dann das Sternbild an, das sich vor ihnen auftat.

„Leute. Wir haben verdammt viel Energie verloren. Irgendetwas hat nicht richtig funktioniert. Zumindest nicht so, wie es geplant war.“ Als hätte er das Gespräch in der Kommandozentrale erahnt, meldete sich der Finne genau in diesem Augenblick. Er klang trotz der strapaziösen Transition sehr aufgeregt.

„Wie viel Energie, Tak?“, fragte Peet besorgt.

„Die Speicherbänke tragen nur noch 48 Prozent an Restenergie. Dabei hätten sie fast voll sein müssen. Hat Ekka schon was über unseren Standort berichtet?“ Hörbar sog Tak die Luft durch die Zähne. „Eine solche Energiemenge hätte locker für zwanzig weitere Lichtjahre gereicht. Ist das überhaupt Alpha Centauri?“

„Ekka?“ Ohne zu zögern, schaltete Peet sich in die Navigationszentrale. „Ekka? Aufwachen!“, forderte er laut, als er nicht sofort eine Antwort bekam. Mit weniger als 50 Prozent an Energie konnten sie nicht einmal den Heimweg antreten oder eine Nottransition durchführen. Das war mehr als besorgniserregend.

„Ich bin ja schon wach …“, grummelte der Astronavigator und zeigte sein gerötetes Gesicht per Holo-Com.

„Ich auch“, schaltete sich Gus Yonker ein. „Jegliche Kommunikation zur Erde oder hinter den Pluto ist unmöglich, das habe ich bereits gecheckt. Wo sind wir?“

„Kein Wunder, dass du keinen Kontakt herstellen kannst, Gus. Wir haben laut den Berechnungen des Hauptcomputers vier Lichtjahre zurückgelegt. Nur eben nicht mehr als vier. Wir müssten uns kurz vor Alpha Centauri befinden“, antwortete Ekka bestimmt. „Um genau zu sein 0,2 Lichtjahre davor, wie mir die Ortung gerade verraten hat.“

„Na ja, knapp daneben ist genauso vorbei. Das heißt ja nicht, dass wir es nicht bis nach Alpha Centauri schaffen.“ Vivien lehnte sich in den Sitz, schlug die Beine übereinander und sah ihre drei Gefährten in der Kommandozentrale erwartungsvoll an.

„Vivien, im Notfall müssen wir über fünfzig Prozent an Energie verfügen, um ohne Vorlauf eine Nottransition durchführen zu können. Es wäre am sichersten, wir warten, bis die Speicherbänke geladen sind, fliegen zurück und suchen die Fehlerquelle“, sagte der Moraner ernst.

„Aber wir sind so gut wie da, Arn“, warf Peet ein. „Ich halte eine direkte Rückkehr für übertrieben.“

Arn seufzte. „Peet, du weißt nicht, was uns hier erwartet. Ich habe vor dem Start keinen Defekt an den Triebwerken festgestellt. Vielleicht ist die Kalibrierung der Steuer- und Energieverwaltung nicht korrekt. Eventuell liegt es an euren steinzeitlichen Entfernungsschätzungen. Das kann ich nicht so kurzfristig prüfen, dafür brauche ich Zeit. Wir könnten angegriffen werden oder an der falschen Stelle rematerialisieren. Willst du das riskieren?“

„Dasselbe Problem haben wir, wenn wir eine Transition zur Erde starten und nicht am Zielpunkt ankommen. Nur, dass die Energiespeicher dann wesentlich leerer wären.“ Jörn klang ruhig, doch er schien eine Entscheidung getroffen zu haben.

„Warum transitieren wir nicht weiter nach Alpha Centauri? Es sind nur noch … Wie viel? 0,2 Lichtjahre. Also bitte, Jungs. Lassen wir den Speicherbänken ein paar Stunden Erholung. Und Tak und Arn, ihr könnt währenddessen die Transitionsdaten genauer prüfen. So ist uns allen geholfen.“ Entschlossen sah Vivien in die Runde. „Es wird uns schon nicht umbringen. Das ist die einfachste Lösung“, setzte sie nach.

„Ich bin skeptisch. Wir befinden uns auf absolut unbekanntem Terrain.“ Der Moraner wirkte nicht überzeugt.

„Für mich hört sich das nach einer guten Idee an. Die Fünfzig-Prozent-Marke an Energie ist in einigen Stunden wieder erreicht. Und eine der Speicherbänke kann man deaktivieren, um sie als Reserve bereitzuhalten. Dann könnten wir problemlos transitieren, wenn es nötig wird.“ Peet hingegen klang sehr sicher.

„Stimmen wir ab“, schlug Jörn vor.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis der Moraner erkannte, eindeutig überstimmt zu sein. Missmutig begab er sich zu Tak in den Maschinenraum. Doch wie beim letzten Check konnten weder er noch der Finne einen Defekt feststellen. Arn blieb nichts anderes übrig, als sich drei Stunden später von Peet erneut an den Sitz fesseln zu lassen, bevor sich die Crew die Helme überzog. Die neuen Berechnungen sollten sie direkt nach Alpha Centauri führen.

 

*

 

Hektisch schritt Leslie Stewart durch die Gänge der XP-3. Ihre Schicht begann in wenigen Minuten. Sie hatte verschlafen. Seit Wochen war sie auf dem Frachter der HTO als Robotikexpertin beschäftigt. Und jede Nacht zerbrach sie sich den Kopf darüber, wie sie Dex Coleman, ihren wahren Arbeitgeber, über sämtliche Entdeckungen informieren sollte. Die HTO hatte alle nur erdenklichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um auf diese Distanz hin eine unbemerkte Com-Nachricht zu verhindern. Die Funkzentrale war durchgehend besetzt und Leslie wollte zumindest ohne den Code nicht noch einmal riskieren, sich erwischen zu lassen. Ihre letzte Idee, der Mini-Roboter Spider, hatte sich mit einem Fortbewegungsfuß in einem der Lüftungsspalte verfangen und sein Ziel, die Schachtöffnung zur Kommunikationszentrale, nie erreicht. Stewart hoffte, dass man dieses Gerät nie fand und mit ihr in Verbindung brachte. Es war wie verhext.

Nachdem sie gedankenverloren in den Parallelgang zum Labor abgebogen war, blieb sie abrupt stehen. Hatte sie eben nicht etwas sehr Vertrautes gehört? Sie hielt den Atem an. Um die Ecke unterhielten sich zwei Männer, deren Stimmen sie nicht erkannte.

„War doch klar, dass die nur bluffen. Gegen einen Harry T. Orell kommen die nicht an“, meinte der eine mit spöttischem Unterton.

„Die Space Rockets Company hätte nie und nimmer Marson gefunden. Mit den wenigen Frachtern, ohne deGorm.“ Der zweite Mann lachte kurz.

„Jetzt, wo wir angeblich an der Quelle sitzen, hat Coleman es gleich bleiben lassen. Peinlich, alles vor dem Start abzublasen“, erwiderte sein Gegenüber.

Leslie stützte sich an die Wand. Die ausklingenden Schritte nahm sie nicht mehr wahr. Coleman hatte aufgegeben! Er musste seine Schiffe zurückgezogen und die Pressekonferenz relativiert haben. Eine öffentliche Blamage ohnegleichen für die Company. An die Kosten wollte die Rothaarige gar nicht denken. Und das alles, nur weil sie versagt hatte! Die Robotikexpertin strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie dachte daran, wie ein Coleman junior mit illoyalen Mitarbeitern umging. Ich an seiner Stelle würde mich verfluchen und mir den Tod wünschen, fuhr es Leslie durch den Kopf. Wahrscheinlich erwartete sie auf der Erde ein nettes Empfangskommando. Sie hatte es geahnt. Doch wahrhaben wollte sie es nicht. Immer noch hatte sie auf eine Chance gehofft, sich zu melden und alles richtigstellen zu können. Coleman zu sagen, was die HTO hier hinter dem Pluto entdeckt hatte. Sie musste nachdenken. Wie konnte sie das noch geradebiegen? Ihr Vater würde sich im Grabe umdrehen. Versagt … Nun, wenn überhaupt, konnte sie den Schaden vielleicht begrenzen. Leslie Stewart spürte das erste Mal in ihrem Leben einen Hauch von Panik.

Missmutig schlich sie ins Labor, begrüßte ihre Assistentin knapp und machte sich an die weiterführende Versuchsreihe in Verbindung mit dem Rotmetall. In einem Feldversuch testete sie eine chemische, gallertartige und mit Nanorobotik versetzte Flüssigkeit. Die millimetergroßen, spinnenförmigen Roboter sollten sich in haarnadelgroßen Löchern langsam durch das Material fressen und Auskunft über das Innenleben geben. Denn wie man ihr gestern mitgeteilt hatte, sollte sie bald einen der geheimnisvollen Konverter des Kugelraumers auf der HTO-234 zu Gesicht bekommen. Die unbekannte Technik zu erforschen, ohne sie zu zerstören oder eine Explosion zu riskieren, war ihre zukünftige Hauptaufgabe.

„Jessica, gibst du mir bitte Probe A?“, forderte sie.

Ihre Assistentin antwortete nicht.

„Jessica?“ Leslie drehte sich um und sah die verträumt dreinblickende Frau vorwurfsvoll an.

„Entschuldige, Nicole, ich war mit meinen Gedanken woanders.“ Sie grinste. „Er ist einfach süß!“

„Wer?“ Für diese Art von Frauengesprächen fehlte Leslie im Augenblick der Nerv.

„Randall. Aus der Kommunikationszentrale. Ich habe ihn gestern in der Kantine kennengelernt.“

Leslie bedachte ihre Assistentin mit einem tadelnden Blick. Der Ärger über den Mann, der ihr die Tour vermasselt hatte, kochte wieder in ihr hoch. „Mister Randall hat eine Familie auf der Erde, soweit ich weiß. Vielleicht hat er ja auch einen Single-Assistenten, der ihn mit sinnlosen Informationen zur Weißglut treibt.“ Leslie Stewart hasste es, wenn man sie aus den Gedanken riss.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783957194947
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Space Opera Kultroman Raumschiff Promet Science-Fiction

Autor

  • Vanessa Busse (Autor:in)

Zwar hat es mit der Astronautenausbildung nicht geklappt, aber an realistischeren Kindheitsträumen hat Vanessa Busse festgehalten. Geboren 1980 in Bayern, folgten ersten Gehversuchen bald unveröffentlichte Kurzgeschichten und Romane. Nach diversen Missionen im Bereich der Betriebswirtschaft, des Audio Engineering sowie einem Jahr in Japan schreibt die Autorin begeistert für Raumschiff Promet.
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Titel: Raumschiff Promet - Von Stern zu Stern 04: Angriff aus dem Nichts