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Kiss Me Killer: Nina & Roman

Dark Romance

von Jean Dark (Autor:in)
386 Seiten

Zusammenfassung

Nina Hartley ist Top-Journalistin und Single aus Überzeugung, doch sie hat ein Problem: Sie braucht dringend eine tolle neue Story. Als eine regelrechte Hinrichtung an mehreren Mafiabossen stattfindet, stürzt sie sich auf den Fall, der bald zu einem lebensgefährlichen Spiel wird: Denn ein Killer ist in der Stadt, der es auf hübsche junge Frauen abgesehen hat. Roman Baronov ist der Prinz der kriminellen Unterwelt. Als Neffe eines mächtigen, russischen Mafiapaten verfügt er über Geld, Einfluss und Frauen ohne Ende. Doch dann begegnet er Nina Hartley, die ihn um jeden Preis interviewen will ... selbst, wenn es dabei um ihr Leben geht! Als sich ihre Wege kreuzen, ahnt Nina nicht, welche folgenschweren Konsequenzen das haben wird. Ist sie dabei, sich Hals über Kopf in ihren Mörder zu verlieben? Doch wieso weckt dieser Mann dann solch köstlich dunkle, verbotene Leidenschaften in ihr? Achtung, Dark Romance! Dieses Buch enthält spannende Thrillerelemente, eindeutige Liebesszenen und bisweilen deutliche Sprache, welche dem Milieu der Handlung angepasst sind. Es wird daher empfohlen für Leserinnen und Leser ab 18 Jahren. Dieser Liebesroman ist 360 Taschenbuchseiten lang, in sich abgeschlossen, enthält keine Cliffhanger, aber ein Happy End!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank für dein Interesse an meinem Buch! Als kleines Dankeschön möchte ich dir gern einen meiner neuesten Romane schenken, den auf meiner Website kostenlos erhältst.

TOUCH ME - BERÜHRE MICH

Die Lehrerin Sandy führt ein beschauliches Leben in der Kleinstadt Havenbrook, bis Jake, ihre Sandkastenliebe aus Kindertagen, plötzlich wieder auftaucht - aus dem Lausbuben von früher ist ein superheißer Bad Boy geworden, der in Sandy wilde Leidenschaften weckt.


Doch Jake zu lieben ist ein Spiel mit dem Feuer, bei dem sich Sandy mehr als nur die Finger verbrennen könnte ...


Um das Buch zu erhalten, folge einfach diesem Link:

www.Jean-Dark.de


Ich freue mich auf dich!

Deine

Jean Dark

Prickelnde Dark Romance Thriller von Jean Dark:

  • THE DARKNESS OF LOVE: Gefährliche Begierden
  • KISS ME, KILLER
  • TOUCH ME - Berühre Mich!
  • HIS DARKEST FLOWER - Dark Romance

Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Autorin

www.Jean-Dark.de

Für meine Leserinnen und Leser.


Und für alle, die sich trauen, ihre Leidenschaften zu leben. Gebt acht auf euch!

Nur ein Märchen?

Als aber der Königssohn der Dornenhecke nahe kam, da waren es lauter große, schöne Rosenblüten, die sich auftaten und ihn unbeschadet hindurchließen, und hinter ihm schlossen sich ihre Dornenranken wieder.

Endlich kam er zu dem Turme und darinnen zu der kleinen Stube, in welcher das Dornröschen schlief. Da lag es und war so schön, dass er den Blick nicht abwenden konnte, und er bückte sich und gab ihr einen Kuss.

Als er sie küsste, schlug Dornröschen die Augen auf und erwachte und war ganz voll der Liebe für den schönen Prinzen. Und dann feierten sie Hochzeit und sie lebten vergnügt und liebten sich sehr. Und wenn sie nicht gestorben sind …

Aus »Dornröschen«, Märchen der Gebrüder Grimm

Kapitel Eins

Nina Hartley

Innerlich döse ich langsam weg, während Charly mir die Leviten liest. Dabei ist es nicht mal so, dass es langweilig wäre, was er sagt, oder dass es nicht stimmen würde.

»Nina, du warst mal eine heiße junge Journalistin. Und ich meine wirklich heiß

Damit meint Charly natürlich ausschließlich meine journalistischen Fähigkeiten. Er ist weit über sechzig, und wenn er auch eine herausragende Spürnase und ein wirkliches Ass in seinem Geschäft ist, so verströmt er doch förmlich den Duft der Asexualität, falls so etwas möglich ist.

Damit meine ich, dass ich glaube, die Arbeit ist ihm einfach wichtiger. Als alles andere. Das war wohl auch schon immer so. Dennoch hat er eine Frau zu Hause, und zwei Kinder, die ihrerseits schon Kinder haben – was deutlich mehr ist, als ich vorzuweisen habe, wobei mich die Frau zu Hause jetzt auch weniger interessieren würde. Aber immerhin gehe ich auf die dreißig zu, und da schicken andere ihre Kids immerhin bereits zur Schule. Oder auf die Uni.

Und ich? War also mal heiß, Charly zufolge.

Und was bin ich jetzt?

Keine Ahnung.

Daher beschließe ich, ihm weiter zuzuhören.

»Ich brauche eine Story von dir, Nina. Eine richtig heiße.«

Heiß muss wohl Charlys neues Lieblingswort sein. Ach so, denke ich, diese Leier mal wieder. Mit der Charly übrigens auch vollkommen recht hat, was soll ich sagen?

»Ich weiß, du kannst das«, sagt Charly, während ich bedächtig dazu nicke. »Ich weiß, du bist gut. Aber wir brauchen einen Aufhänger, Mädchen! Ich muss Zeitungen verkaufen, und zwar an Leser. Und Leser kaufen eine Zeitung nun mal ausschließlich wegen der Topstory auf dem Titelblatt. Und die muss demzufolge heiß sein, brandheiß. Darum geht’s.«

Diesen Vortrag kann er gut, er hält ihn schließlich seit Jahrzehnten mindestens einmal jede Woche. Blöderweise hält er ihn in letzter Zeit vor allem mir.

»Das ist mir alles klar, Charly, es ist nur …«

»Pscht!«, sagt er und legt den Finger auf die Lippen.

Er ist einer der wenigen Menschen auf diesem Planeten, dem man einfach nichts übel nehmen kann. Nicht mal, dass er einem ständig ins Wort fällt und manchmal wie ein halb debiler Prediger rüberkommt, nur ohne die entsprechende Alkoholfahne.

»D. Y. W.«, sagt er und guckt mich verschwörerisch an.

»Wie bitte?«

»D. Y. W.«

»Ich glaube, du meinst D. I. Y., Charly. Do it yourself. Das ist jetzt das neue Ding der Hipster drüben in …«

»Nein danke«, sagt er breit grinsend. »Mit solchem Schweinkram haben wir hier nichts am Hut. Ich meine D. Y. W.«

»Und was soll das sein?«

»Diät, Yoga, Wechseljahre. D. Y. W. Das machen wir jetzt.«

»Nicht wirklich, oder?«

»Auch unsere Leser werden älter, Nina. Und sie haben Lust auf spannende neue Themen. Und vor allem die Damen haben ein berechtigtes Interesse daran, zu erfahren, wie sie ihre Hintern davon abhalten, so runzlig wie meiner zu werden.«

»Seit wann sind Wechseljahresbeschwerden ein neues Thema? Und Yoga? Also, wirklich, Charly. Die Neunziger haben angerufen.«

»Es geht auch um Ernährung und Fitness.«

»Natürlich. Und welchem Praktikanten soll ich dabei über die Schulter schauen, wie er sich für die gelangweilten Hausfrauen irgendeinen Mist aus den Fingern saugt?«

»Äh …«

Er blickt intensiv in meine Richtung.

»Charly, das ist doch wohl nicht dein Ernst!«

Das kann nicht sein Ernst sein.

»Ich dachte an dich, Nina«, sagt er. »Sieh es doch als Beförderung. Eigene Abteilung, du kannst machen, was du willst. In einem gewissen Rahmen, natürlich.«

»Du sperrst mich weg?«

»So würde ich das nicht nennen.«

»Lass mich raten, das Büro wäre im Keller?«

»Dort gibt es großzügige räumliche Möglichkeiten, Nina.«

»Charly, das kannst du mir nicht antun! Ich brauche das Leben auf der Straße. Im Dschungel. Von mir aus schick mich in ein Kriegsgebiet.«

»Du spinnst wohl!«

»Das wär mir egal, wirklich, nur lass mich nicht in einem Kellerloch versauern. Das kann ich nicht, ehrlich!«

»Nina, ich muss eine Zeitung verkaufen, und du …«

»Ich habe dir den Insider aus der Fabrik gebracht, in der die Junkies leben, Charly. Ich hab dir die Story mit den Kinderheimen präsentiert und die Sache mit Pharmaverschwörung! Und …«

»Stimmt alles, Nina. Aber … na ja, das Problem ist, diese Dinge sind eben alle schon ganz schön lange her, und seitdem … na ja, seitdem ist eben nicht allzu viel passiert von deiner Seite. Und ich bezahle dich gut, Nina. Viel zu gut.«

»Du bist ein alter Geizkragen!«

»Ich bezahle besser als die anderen Zeitungen.«

Das stimmt, leider. Und zwar beides.

»Gib mir vierzehn Tage, Charly. Ich bitte dich.«

»Also ich weiß nicht, Nina. Die anderen Redaktionen liegen mir schon ewig in den Ohren wegen knapper Mittel und der Ressortchef von der Sportabteilung …«

»Charly, bitte.«

Jetzt quengele ich wie ein blödes Kind. Komm schon, denke ich, der alten Zeiten wegen. Wenn es jemand anderer wäre, würde ich vielleicht ein bisschen das gute alte Wimpernklimpern probieren oder mir lasziv durch mein langes, blondes (und wirklich sehr weiches) Haar fahren, aber bei Charly lasse ich so was lieber. Der kennt viel bessere Tricks, er kennt sie nämlich alle.

»Hast du schon was Konkretes, Nina?«, will er wissen.

Na klar, ganz konkret habe ich im Moment Angst um meinen Job. Und Angst, bis zum Ende meiner Tage in einem verfluchten Kellerverlies zu landen.

»In vierzehn Tagen habe ich was, versprochen«, sage ich.

»Ach, Nina.«

»Komm schon!«

Er seufzt.

»Der alten Zeiten wegen.«

Yes! Innerlich jubiliere ich. Diesmal finde ich was. Bestimmt. Hoffentlich. Vielleicht.

»Du bist ein Schatz, Charly.«

»Eine Woche!«

»Vierzehn Tage, komm schon.«

Langsam schüttelt er den Kopf, und ich bemerke, dass aus den Silberfäden an seinen Schläfen irgendwann in den letzten Monaten ein durchgängiges Weiß geworden ist, was mir seltsamerweise bisher noch gar nicht aufgefallen war. Jetzt lächelt er nicht mehr.

»Eine Woche, Nina. Tut mir leid, mehr geht beim besten Willen nicht.«

Also schön, denke ich. Und so beginnt meine letzte Woche in Lohn und Brot. Denn natürlich habe ich gar nichts. Nicht den Anflug einer Story. Und es ist auch keine in Aussicht.

Abgesehen von dem verfluchten D. Y. W. natürlich, und bevor ich das mache, springe ich lieber von einem verdammt hohen Gebäude und werde auf diese Weise vielleicht wenigstens selbst zur Story, wenn auch zu keiner besonders guten.

Zwei Minuten später stehe ich vor Charlys Bürotür und komme langsam, aber sicher zu dem Schluss, dass ich unweigerlich verrückt werde, wenn ich heute auch nur eine weitere Sekunde in der Redaktion verbringe. Also beherzige ich den Ratschlag, den man von jedem, der sich für einen alten Hasen hält, kostenlos aufs Brot geschmiert bekommt.

Nämlich, dass man die Storys nicht in der Redaktion findet, sondern draußen auf der Straße.

Was natürlich im Zeitalter des Internets ein ziemlicher Blödsinn ist, aber ich nehme ihn mir trotzdem zu Herzen. Internet gibt es schließlich auch bei mir zu Hause. Und in den meisten der gefühlt einhundertachtzig Kneipen auf dem Weg dahin.

Eine dreiviertel Stunde später stehe ich vor meiner Wohnungstür.

Und nein, ich bin nicht in jede der Kneipen auf meinem Weg nach Hause eingekehrt, obwohl mir durchaus danach zumute gewesen wäre. Ich habe nur einmal Halt gemacht und mir von Rasheed eine Pizza machen lassen. Rasheed macht die besten Pizzen im Viertel und für einen Moment überlege ich, ob ich ihn aus purer Gehässigkeit den runzelärschigen alten Damen in meiner künftigen D.-Y.-W.-Redaktion ans Herz legen soll. Die können sich die Kalorien ja anschließend auf dem Hometrainer der Marke – hier den Namen unseres Werbekunden einsetzen – wieder von den Hüften trainieren. Und was meine Hüften betrifft, so finde ich die ziemlich in Ordnung, wie sie sind, danke der Nachfrage.

Immerhin laufe ich jeden Tag zur Redaktion und zurück, den besagten Hundertachtzig-Kneipen-Marathon, und immerhin mache ich nicht jedes Mal bei Rasheed Halt, nur zu besonderen Anlässen.

Wie heute.

Okay, denke ich, während ich, Pizzakarton in der Linken, Schlüssel in der Rechten, Pizzastück im Mund, versuche, meine Wohnungstür aufzuschließen. Okay, Süße, du brauchst eine Story. Oder einen unerklärlichen Motivationsanfall, der die nächsten Jahrzehnte anhält, in denen du zum Guru der Wechseljahresrunzelärsche aufsteigst. Nun ja, Letzteres ist wohl eher unwahrscheinlich, zugegeben.

Also eine Story, eine richtig heiße.

Bloß: Woher nehmen?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass einem tolle Ideen nur selten dann kommen, wenn man bewusst darüber nachdenkt, wie man am besten an eine tolle Idee kommt. Sondern zum Beispiel dann, wenn man auf dem Klo sitzt oder aus der Dusche steigt oder …

Oder.

Es ist Freitag. Und ich habe hundertachtzig Kneipen in der Nähe (von denen ich hundertneunundsiebzig noch nie besucht habe und das auch nicht vorhabe), und ich bin miserabler Stimmung. Ich beschließe, das schleunigst zu ändern, weil man in schlechter Stimmung noch schlechter auf gute Ideen kommt. Und heiße Storys klopfen dann auch nur selten an der Tür.

Ich packe also die Pizza auf den Küchentisch, in der festen Absicht, den Rest heute zur späteren Stunde kalt in mich hineinzustopfen. Falls ich dann nicht besserer Laune bin, will ich wenigstens meine schlechte Laune richtig auskosten. Und was würde sich besser dazu eignen, als weit nach Mitternacht einsam und angetrunken auf der Couch das Testbild zu betrachten und kalte, fettige Pizzareste zu vertilgen?

Okay, ich werde melodramatisch. Kein Grund, das Testbild zu betrachten, immerhin bin ich im Besitz jeder Menge schnulziger Frauenfilme auf DVD. Die sind noch besser. Und in meiner Situation vermutlich sogar noch ein bisschen erbärmlicher als das Testbild.

Also ist es beschlossen, ich werde ausgehen.

Dann passiert etwas Erstaunliches: Meine Laune hat sich, ohne dass der geringste Anlass dazu bestünde, schon merklich gebessert, als ich aus der Dusche steige.

Ich wische den Wasserdampf vom Spiegel und betrachte mich eingehend. Ich bin das, was ich selbst als großes Mädchen bezeichnen würde. Also nicht im Sinne von erwachsen, denn das wird nur allzu gern von meiner Umgebung in Zweifel gezogen, und nicht zuletzt auch von mir selbst.

Sondern körperlich groß, konkret bedeutet das in meinem Fall: eins zweiundsiebzig.

Ich bin auch nicht die Art von schlank, die man bei magersüchtigen Models allgemein bevorzugt. Was hauptsächlich daher rührt, dass ich im Gegensatz zu diesen Streichholzmädchen gelegentlich etwas esse. Und hin und wieder ist das eben eine Pizza von Rasheed.

Daher habe ich Hüften.

Die sich jedoch, so habe ich mir sagen lassen, recht angenehm betasten lassen in gewissen Situationen, und – in anderen Situationen, nämlich beispielsweise dann, wenn ich ein Kleid darüber trage – durchaus wohlwollende Blicke auf sich ziehen. Alles paletti also an der Hüftenfront. Wobei wir in der Mitte angefangen hätten, typisch ich.

Ich drehe und wende mich, und in einem Anfall von durch Charly verursachter Paranoia suche ich nach Runzeln auf meinem Hintern, aber auch davon bin ich bislang glücklicherweise verschont geblieben.

Ich mag meinen Hintern, genau wie meine Hüften. Passenderweise ist der nicht zu klein, aber fest, und darauf kommt es schließlich an, oder? Meine Schenkel, ach ja, die könnten vielleicht ein bisschen schlanker sein. Durchaus. Sie könnten aber auch runzelig sein, nicht wahr? Und deshalb bevorzuge ich sie so, wie sie nun mal sind. Das ist einer der Vorteile, wenn man ein relativ großes Mädchen ist: Dann fallen auch die Beine etwas größer aus, und in meinem Fall kann man sie durchaus als lang bezeichnen, wenn sie auch nicht gerade an die einer Gazelle erinnern, aber schließlich bin ich ja kein Paarhufer.

Kommen wir zu den problematischeren Bereichen.

Ich drehe mich zur Seite und betrachte meinen Bauch. Wie immer, wenn ich das tue, schicke ich ein Gebet stiller Dankbarkeit an den schweineteuren EMS-Anzug, den ich mir in einem Anfall von finanziellem Übermut von Charlys letztem Bonus gekauft habe und in den ich mich drei Mal die Woche zwinge, um mich unter dem Einfluss von Reizstrom auf einer Yogamatte zu wälzen. Das sieht sicher seltsam aus, aber es wirkt. Mein Körper ist straff und vermutlich ziehe ich Styroporkügelchen an, wo immer ich welche antreffe. Ich stelle mir vor, dass man den Prototyp dieses sogenannten Fitnessgeräts im staubigen Labor eines gewissen Dr. Frankenstein gefunden hat.

Mein Bauch mag also ebenso wie meine Hüfte und meine Schenkel vorhanden sein, aber er ist einigermaßen flach und straff. Daran hat auch Rasheed bisher nichts ändern können.

Als mein kritischer Blick weiter nach oben wandert, beschließe ich, heute den Push-up zu nehmen. Nicht, weil ich irgendetwas vorhätte, sondern … na ja, meine Brüste sind nicht wirklich lächerlich zu nennen, aber es fehlt auch nicht sehr viel. Ich hatte viel Spaß in der sechsten bis achten Klasse. Besonders dann, wenn die besser bestückten Mädchen mich mit einem Blick betrachteten, der wohl die Frage zum Ausdruck bringen sollte, ob ich auch vorhabe, mich irgendwann mal zu einer Frau zu entwickeln oder nicht.

Ja, sie sind klein.

Aber dafür hängen sie auch nicht. Das könnten sie auch gar nicht bei der Größe. Es soll ja sogar Männer geben, die auf so etwas stehen. Ein paar haben das sogar mir gegenüber behauptet. Aber da waren sie meist damit beschäftigt, sich eingehend mit meiner sonstigen Anatomie zu beschäftigen, also muss man sich fragen, wie viel Wahrheit man in einer solchen Situation erwarten darf und ob das jetzt überhaupt die große Rolle spielt.

Okay, können wir dann jetzt aufhören, über meine Brüste nachzudenken?

Ich strecke mir noch mal selbst die Zunge raus, das ist auch so eine Art Ritual von mir, dann rubbele ich mich trocken und beginne mit dem aufwendigeren Teil: dem Schminken meines Gesichts. Das könnte hübsch sein, ist es vielleicht sogar, und ich will mich wirklich nicht über das beschweren, das mir mitgegeben wurde.

Allerdings muss ich jedes Mal, wenn ich mich schminke, mein Haar zu einem Knoten zusammenbinden, was ich sonst nie tue. Normalerweise lasse ich es immer lang auf meine Schultern fallen, damit es die Narbe verdeckt, die von meinem rechten Augenwinkel über die gesamte Länge meiner Wange, meinen Hals und hinab bis zum Ansatz meiner Brüste geht.

Die Narbe, die er mir verpasst hat.

Kapitel Zwei

Roman Baronov

Oh Mann, Dimitrij treibt mich noch zum Wahnsinn – und es ist nicht das erste Mal, dass ich glaube, er macht das mit Absicht. Der alte Herr ist ein Sturkopf erster Güte. Das Problem: Ich bin mindestens genauso stur wie er.

Und das ist verdammt gut so.

Ich verdanke Dimitrij Baronov eine Menge, das wissen er und ich, und umso höher ist es ihm wohl anzurechnen, dass er mir überhaupt zuhört. Wenn man eine Position wie Dimitrij innehat, muss man überhaupt niemandem zuhören, streng genommen. Dafür gibt es aber jede Menge Leute, die einem an den Lippen hängen. Von denen wiederum sechzig Prozent nichts als Arschkriecher sind, und vor denen muss man sich ganz besonders in Acht nehmen.

Aber nichts davon muss ich Dimitrij erklären, schließlich hat er mir das meiste, das man in unseren Kreisen zum Überleben braucht, selbst beigebracht.

»Wie ein Sohn hab ich dich aufgenommen, Roman«, sagt er. Alte Leier, aber es stimmt. Ohne ihn wäre ich jetzt vermutlich ein drogensüchtiger Penner, im Gefängnis oder tot. Höchstwahrscheinlich Letzteres.

Was ich tatsächlich bin, ist ein ansehnlicher junger Bursche (was mir persönlich scheißegal ist) und Inhaber eines halben Dutzends ausgezeichnet laufender Firmen (was mir nicht direkt scheißegal ist), mir gehören außerdem ein paar Häuser und Grundstücke in bester Lage quer durch die Stadt sowie ein kleiner Fuhrpark ausgesuchter Oldtimer, darunter ein Jaguar XK 150 in der raren S-Variante, und das ist mir alles andere als egal.

Ich gehe ausschließlich mit den heißesten Frauen aus, ficke sie derart um den Verstand, dass sie anschließend bei all ihren ebenfalls heißen Freundinnen davon schwärmen, und dann vergesse ich sie in schöner Regelmäßigkeit wieder.

Kurz gesagt bin ich ein Mann mit einem gewissen Erfolg im Beruf (über den wir jetzt nicht sprechen sollten, aber ich kann ohne Übertreibung sagen, dass ich zu den besten in meinem Job gehöre) und ein paar recht unterhaltsamen Hobbys.

Und einer Jacht in der North Cove Marina, oder erwähnte ich das schon?

Onkel Dimitrij könnte also eigentlich nicht stolzer auf mich sein. Eigentlich. Wenn da eben nur nicht die Sache mit meinem Job wäre, oder vielmehr die Art und Weise, auf die ich meine Jobs zu erledigen pflege. Die mag Onkel Dimitrij nämlich nicht besonders.

Weil Onkel Dimitrij eben nicht nur ein unerhörter Sturkopf, sondern auch ein glühender Verfechter der sogenannten alten Schule ist.

»Dimitrij«, sage ich, »bei allem Respekt. Diese Geschäfte werden nicht ewig so weiterlaufen.«

»Diese Geschäfte ernähren unsere Familie gut. Diese Geschäfte haben mir ermöglicht, dich aufzunehmen. In meine Familie. Es ist ein Familiengeschäft, das ist, was es ist.«

Manchmal, wenn er sich aufregt, hapert es bei Dimitrij ein bisschen mit der hiesigen Landessprache, aber er besteht darauf, nicht Russisch zu reden, außer zu ganz besonderen Anlässen. Vermutlich ist das seine verquere Vorstellung von Integration oder was weiß ich.

»Herrgott, wir sind doch nicht mehr in den Fünfzigern«, sage ich. »Die Zeiten ändern sich nun mal. Und damit auch die Geschäftsmodelle. Wer sich da nicht anpasst, wird irgendwann untergehen.«

»Ich habe einige kommen und gehen sehen, die solches Zeug erzählt haben, Roman«, sagt er streng. »Einige davon gingen in Betonschuhen, und zwar baden.«

Gott, er hat ja recht damit und ich kenne eine Menge harte Burschen, die spontan ernsthafte Verdauungsprobleme bekommen würden, wenn sie solche Worte aus seinem Mund vernähmen. Zum Glück habe ich einen stabilen Magen.

»Och, echt jetzt, Dimitrij? Drohst du mir?«

»Wie du redest!«, regt er sich auf. »Wo bleibt dein Respekt? Manchmal frage ich mich, ob du wirklich der Sohn meines Bruders bist oder vielleicht doch ein Findelkind.«

»Mich haben die Raben gebracht, das weißt du doch«, sage ich und bemerke mit einiger Befriedigung das leichte Zucken um seine Mundwinkel. Was die anderen sogenannten harten Kerle nämlich nicht wissen, ist, dass Dimitrij eigentlich ein Herz aus Gold hat. Man müsste nur ziemlich lang danach suchen, bei all dem Stein, den er drumherum gebaut hat. Aber das muss man wohl, wenn man der Boss einer der mächtigsten Organisationen an der Ostküste ist. Und das noch eine Weile bleiben will, und noch dazu am Leben. Ehrgeizige Pläne also.

»Also, Rabenkind«, sagt Dimitrij schließlich. »Was schlägst du demnach vor?«

Jetzt bin ich wirklich baff. So zugänglich war er noch nie zuvor. Er will mir tatsächlich zuhören. Für einen Augenblick überlege ich, ob ich ihn aufziehen soll und ihn fragen, ob Mamutschka ihm ins Gewissen geredet hat. Die starke Frau hinter jedem starken Mann und so. Bei ihm passt der Spruch wie die Faust aufs Auge. Die er mir zu Erziehungszwecken durchaus auch hin und wieder verpasst hat in den guten, alten Zeiten meiner Jugend. Und jedes Mal zu Recht.

Ich beschließe, ihn nicht aufzuziehen und stattdessen die Chance zu nutzen, dass er mir erstmals wirklich zuhört. Dann erkläre ich ihm, was ich vorhabe.

Und Dimitrij kriegt große Augen.

Kapitel Drei

Nina Hartley

In der Blue Ridge Bar fühle ich mich vor allem aus einem Grund wohl: weil man einen hier in Ruhe lässt.

Sogar, wenn man eine Frau ist. Und einen straffen Po und leider etwas zu kleine Brüste hat. Das interessiert hier niemanden, und wenn doch, behält der Betreffende seine Sympathiebekundungen für sich. Gott sei Dank.

Ich habe keine Ahnung, warum das so ist, vermute aber, dass Big Jim, der Barkeeper, einen nicht unbeträchtlichen Anteil daran hat, dass sich die Gäste hier zu benehmen wissen. Zum anderen liegt es vermutlich daran, dass das Blue Ridge von all jenen bevorzugt wird, die ihre Sorgen lieber mit sich selbst (und dem Getränk ihrer Wahl) bereden als in Gesellschaft eines aufdringlichen Fremden.

Das Blue Ridge ist also praktisch das genaue Gegenteil einer Aufreißerbar für verzweifelte Singles und solche, die gern mal für einen Abend Single wären. Und das Blue Ridge hat Klasse, finde ich jedenfalls. Sie haben hier tatsächlich noch diese gerahmten Fotos von Berühmtheiten an der Wand, wie man sie früher angeblich in jeder guten Kneipe zu sehen bekam, und die sind alle echt, oder sie sehen zumindest verdammt echt aus.

Da hängt sogar ein Bild von Wladimir Putin, dem russischen Präsidenten, was ein einigermaßen seltenes Spektakel in einer Bar an der Ostküste der Vereinigten Staaten gewesen sein dürfte. Vielleicht hängt es ja irgendwie mit jenem Bild zusammen, aber sie servieren hier einen verdammt guten Wodka Martini – den besten, den ich je getrunken habe.

Ich bin jedenfalls Single aus Überzeugung, und nicht bloß für eine Nacht. Was natürlich nicht bedeutet, dass ich eine Jungfrau wäre – wenn auch die Art, wie ich meine Jungfräulichkeit verloren habe, zu den weniger spaßigen Anekdoten aus meinem Leben gehört – oder wie eine Nonne lebe. Ich habe Sex, zumindest hin und wieder, ich mag Sex, sehr sogar, besonders, wenn er gut ist. Ich meine, wer tut das denn bitte nicht?

Was ich aber nicht mag, ist das Schnarchen neben mir in der Nacht, oder wenn der Dreamboy im Schlaf leise einen fahren lässt. Das brauche ich nun wirklich nicht. Ich stehe auch nicht drauf, jemandem Frühstück zu machen oder die schmutzigen Klamotten zu waschen oder mich anderweitig als kostenloses Hausmädchen und Putzhilfe oder bestenfalls als Mutterersatz zur Verfügung zu stellen.

Nein, danke, dann doch lieber Wham-Bam-Thank-you-Sir! Und bis zum nächsten Mal, auch wenn das eher unwahrscheinlich ist.

Und bevor jetzt jemand meint, ich solle mal zum Psychoonkel gehen und mich wegen meiner Bindungsunfähigkeit behandeln lassen oder wenigstens mal ordentlich ausheulen, dann will ich noch folgende kleine Anekdote zum Besten geben.

Ich hatte das alles.

Den Dreamboy, die Wäsche und die kleinen Lüftchen in der Nacht. Und ich habe geglaubt, dass das mein kleines Stückchen Glück sein würde.

Es war die Zeit, in der ich noch eine richtig heiße Journalistin war, Sie erinnern sich? Als mir die Storys nur so zuzufliegen schienen und ich es nach der Arbeit gar nicht erwarten konnte, nach Hause zu kommen, anstatt mir eine von Rasheeds Pizzen reinzuziehen und mich dann ins Blue Ridge zu schleppen.

Bloß dass ich ein Mal zur falschen Zeit nach Hause kam und mir daher mit ansehen durfte, wie Dreamboy, der mich zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Monate lang nicht mehr angefasst hatte, meine beste Freundin Carol auf der Couch zu einem lautstarken Orgasmus brachte – so lautstark, dass die beiden mich zunächst gar nicht bemerkten.

Und ich, ganz die beste Freundin, wollte keine Spielverderberin sein – ich habe die beiden erst aus der Wohnung geworfen, nachdem auch er seinen Höhepunkt gehabt hatte, was ich doch ziemlich verständnisvoll finde.

Na ja, und seitdem bin ich eben Single. Tapfer, tough und beinahe dreißig.

Scheiße.

Vielleicht bin ich ja wirklich ganz gut aufgehoben in der D.-Y.-W.-Abteilung, immerhin werd ich in nicht allzu ferner Zeit selbst zur Zielgruppe gehören.

Und nun hänge ich in einer Bar herum, um über mein in letzter Zeit nicht so besonders spektakulär verlaufendes Leben nachzudenken und um Himmels willen bloß nicht angequatscht zu werden.

Das ist echt komisch, oder?

Ich werde nämlich überhaupt nicht gern angequatscht, da habe ich eine wesentlich zielführendere Methode: Wenn mir ein Kerl gefällt und mir nett zulächelt (so viel Mumm sollte er schon haben), lächle ich einfach zurück.

Und drehe dann mein Gesicht so, dass er die Narbe sehen kann, nur, damit es nachher keine langen Gesichter gibt, wenn er kapiert, dass er da Two-Face vor sich hat oder von mir aus auch Frankensteins Monster. (Ich habe schon weit Schlimmeres gehört und bin nur froh, dass ich nicht schon als Kind mit so einem Gesicht herumlaufen musste.)

Wenn ihn dieser Anblick also nicht augenblicklich in die Flucht schlägt und er nicht allzu betrunken ist, nicke ich ihm zu und lasse mir einen Drink spendieren. Wenn ich nach diesem Drink Lust auf den nächsten verspüre, weil der Kerl mich nicht in den Schlaf gequasselt oder seine Zunge verschluckt hat, stehen die Chancen gut für … nun ja, dafür, dass es eine spannende Nacht wird. Und dann bleibt es bei einer Nacht. Punkt.

Das ist meine eiserne Regel seit dieser Sache mit Thomas. Sehen Sie, ich bin wirklich kein kompliziertes Mädchen. Sondern eins, das weiß, was sie will, und wie sie es kriegt.

Oder das dachte ich zumindest, bis heute Abend.

Bis zu dem Moment, in dem dieser Kerl aus dem Hinterzimmer kommt. Das Hinterzimmer der Blue Ridge Bar ist ein Bereich, zu dem sogar Stammgäste wie ich keinen Zutritt haben. Big Jim schüttelt mit dem Kopf, wenn einer versucht, da reinzugehen, und deutet auf die rote Kordel vor der Tür.

»Geschlossene Gesellschaft«, sagt er dann mit einem bedauernden Lächeln, auch wenn überhaupt niemand da drin ist.

Heute, fällt mir auf, war die Kordel geöffnet, als ich ankam, und offenbar tagt diesmal tatsächlich eine Gesellschaft dort drin, wenn diese vielleicht auch nur aus diesem einen, jungen Mann besteht, der soeben den Schankraum des Blue Ridge betritt. Ich sehe auf den ersten Blick, dass er ungefähr so gut hier reinpasst wie ein Stripper auf einen Kindergeburtstag.

Wer ist dieser Typ?

Breite, und ich meine, verdammt breite Schultern, über denen sich etwas spannt, das ein maßgeschneiderter Anzug sein muss, und so, wie der ihm sitzt, war da auch nicht irgendein Pfuscher am Werk. Angegossen ist überhaupt kein Ausdruck. Ich frage mich flüchtig, wieso der Stoff nicht reißt, wenn er seine Arme bewegt. Gott, man sieht das Spiel seiner Muskeln unter seinem edlen Zwirn und dieses Spiel ist spannender als der gesamte Superbowl.

In der Erwartung einer herben Enttäuschung gleitet mein längst nicht mehr gelangweilter Blick nach oben in ein gebräuntes (aber nicht solariumverbranntes) Gesicht mit so markanten Kieferknochen, dass sie auch gut zu Baggerschaufeln passen könnten, wobei das seltsamerweise nicht auf seinen Mund zutrifft. Er hat volle Lippen, die schon beinahe sinnlich wirken – ach was, die sind zum Hinschmelzen, Niederknien und schließlich zum dran Festsaugen.

Er trägt einen Bart, der ein bisschen mehr als ein Dreitagebart ist und noch nicht ganz ein Vollbart. Genau die richtige Länge, wie ich finde. Bei einem gewissen Typen habe ich diese Länge ebenfalls gemocht, die meistens sonntags zustande kam, bevor der bewusste Typ sich für die Woche rasiert hat. Oh, das war natürlich, bevor er meine beste Freundin vor meinen Augen vernascht hat. Aber an den will ich jetzt gar nicht denken, denn in diesem Moment zuckt ein Blitz durch den Raum.

Oder es kommt mir so vor.

Seine Augen. Eisblau.

Ich hatte keine Ahnung, was die Farbe Eisblau eigentlich bedeutet, bevor ich in diese Augen geschaut habe. Ruhig und selbstsicher und kühl. Abschätzend, wie die eines Raubtiers kurz vor dem Sprung. Eines Raubtiers von solcher Kraft und Geschicklichkeit, dass es sich seiner Beute gewiss sein kann, bevor es nur einen Muskel bewegt. Und (womit wir wieder bei der Gazelle wären) man sich ruhig fragen darf, ob das kleine Gazellchen denn überhaupt wirklich noch fliehen will, nachdem es in diese Augen geblickt hat.

So wie ich jetzt.

Das Reh auf der Fahrbahn, das bin ich.

Und er ist der Truck.

Und er kommt direkt auf mich zugerast.

Da weiß ich, dass mir jetzt auch Gazellenbeine nichts mehr nützen würden. Also senke ich den Blick, schaue in mein Glas. Sauge an meinem Strohhalm und kann einfach nicht aufhören, dabei an diese Lippen zu denken. Und diese Augen.

Und dann steht er direkt neben mir. Seine Präsenz ist mehr als nur körperlich, sie ist … überwältigend. Ein Naturereignis.

Scheiße, wer ist dieser Kerl?

Und wieso versaut er mir die einzige Bar in dieser Stadt, in der man bisher gepflegt das Alleinsein feiern konnte?

Ich ertrinke förmlich in seinem Geruch, während er sich über die Bar lehnt und Big Jim irgendetwas zuraunt, das ich nicht verstehe, das Big Jim jedoch ein amüsiertes Lachen entlockt, in das der Kerl einstimmt, rau, tief und ungemein männlich. Und so riecht er auch. Das ist ein Eau de Toilette, und offenbar ein ziemlich teures, aber es verstärkt vielmehr den Duft, der von seinem gewaltigen Körper ausgeht, anstatt diesen mit einer eigenen Duftnote zu überlagern. Das würde nur stören.

Worüber ich aber überhaupt nicht hinwegkomme, ist, dass der Typ mich kein bisschen zu beachten scheint. Steht hier direkt neben mir, so nah, dass ich mit einer winzigen Armbewegung seinen Unterarm (es ist ja genügend davon da) berühren könnte.

Und ignoriert mich.

Genau wie Big Jim das jetzt plötzlich tut. Vergessen sind alle Pläne und Vorsätze – ich will, dass der Kerl mich beachtet, und zwar sofort. Vielleicht blinzle ich dabei sogar wie die bezaubernde Jeannie in dieser dämlichen Fernsehserie, damit mein Wunsch in Erfüllung geht.

Tut er aber nicht.

Eingebildetes Arschloch, denke ich und frage mich, woher diese plötzliche Aggressivität kommt. Vielleicht hat seine bloße Anwesenheit auch in mir animalische Triebe entfesselt.

Und dann passiert das Unwahrscheinlichste überhaupt. Während ich noch versuche, einigermaßen Ordnung in meine panisch-fantastischen Gedanken zu bringen beziehungsweise mich zu entscheiden, ob ich ihn einfach angrabschen und auf besoffen machen soll und ob ich damit vielleicht sogar durchkäme, dreht er sich zu mir um.

Sofort bin ich im Scheinwerferkegel seiner Augen gefangen, als er sich zu mir runterbeugt. Das muss er nämlich tatsächlich, dieser Riesenkerl, und erwähnte ich schon, dass ich mich gelegentlich selbst für ein großes Mädchen halte?

»Hi!«, sagt er, »ich bin Roman Baronov.«

»Aha«, sage ich, nichts weiter.

Ich weiß, das ist ungefähr die intelligenteste Erwiderung ever, aber das fällt mir erst viel später auf. Im Moment bin ich mit Überwältigtsein zu beschäftigt, um zu denken.

Dann öffnet dieses Traumbild erneut seine überirdisch schönen Lippen und brummt etwas zu mir herunter, das ich zwar verstehe, aber zunächst nicht kapiere. Zu sehr lenkt mich diese basslastige Stimme ab, und irgendwo am Rande meines Bewusstseins glaubt ein nahezu verdrängter Teil meines Gehirns, gemeinhin als Vernunft bekannt, einen osteuropäischen Akzent in seiner Stimme herausgehört zu haben. Russisch vermutlich. Eine Sprache, der ich, hätte man mich bis zu diesem Augenblick gefragt, ein Sex-Appeal von vielleicht minus drei auf einer Skala von eins bis zehn zugebilligt hätte. Wie gesagt, bis jetzt.

Und dann das.

Mit einiger Verzögerung erklärt sich mein Verstand bereit, das, was er mich gefragt hat, zu verarbeiten, während er mit breitem Grinsen auf meine Antwort wartet.

Er hat mich gefragt, ob ich ihn auf eine Privatparty begleiten wolle. Ob ich was?

»Ob ich was

»Eine Party«, sagt er. »Nur eine kleine. Ich mag nicht so gern die Öffentlichkeit.«

Da ist er wieder, dieser Akzent. Der gerade eine Zwölf oder so auf der neuerdings nach oben offenen Sexyness-Skala erreicht.

»Ja«, sage ich, »und ich mag es hier. Danke, aber nein danke.«

Was redest du da, du dumme Gans?, brüllt die eine Hälfte meines Verstandes, während die andere, die allmählich die Oberhand gewinnt, mir auf die Schulter klopft für diese ausgesprochen vernünftige Entscheidung. Natürlich werde ich nicht einem Wildfremden auf irgendeine zwielichtige Privatparty folgen. Schließlich bin ich nicht lebensmüde.

Doch dieser andere Teil von mir kann den Blick einfach nicht von diesen Schultern lösen, und dem, was sich unter seinem Anzug bewegt, als hätte es ein Eigenleben. Mein Blick rutscht nach unten und ich schwöre, dass man sogar den Sixpack sehen kann, der sich unter seinem weißen Oberhemd bewegt.

Fuck …, sabbert die eine Hälfte.

»Okay«, sagt er. »Schade. Ich hatte Sie für unterhaltsam gehalten. Und unternehmungslustiger.«

Plötzlich klingt sein Englisch beinahe gestelzt.

»Dann vielleicht ein andermal.«

Ja, rufen mein Bauch und mein zitternder Unterleib im Chor, andermal. Oder jetzt gleich, von mir aus direkt auf der Theke, du schönes, großes Tier!

»Ich glaube nicht«, presse ich heraus.

Da lacht er nur. Wie einer, der es besser weiß. Und Gott, er weiß es besser. Dazu muss er nur gelegentlich in den Spiegel schauen. Oder in ein Lexikon, unter den Begriff »feuchter Mädchentraum«. Daneben ist nämlich höchstwahrscheinlich ein Foto von ihm abgebildet.

»In diesem Fall wünsche ich einen schönen Abend«, sagt er. »Bedienen Sie sich, es geht aufs Haus.«

Mein Blick zuckt zu Big Jim, und der nickt, immer noch grinsend.

Wer. Ist. Dieser. Typ?

Wie aufs Stichwort tauchen zwei atemberaubende Brünette an der Bar auf, ich habe keine Ahnung, wo die so plötzlich herkommen. Was mich betrifft, hätten sie durch ein Loch in der Wand hereinkommen können, ich hätte es sowieso nicht mitgekriegt. Wahrscheinlicher ist jedoch das Hinterzimmer, was immer die dort getrieben haben mögen.

Die beiden haken sich bei Mr. Baronov unter, jede an einem Arm, als wäre das gar nichts, und lächeln dabei, dass ihre perfekten Zähne strahlen, als wären sie gerade einem Werbespot für irgend so ein Wundermittel entsprungen. Die übrigens gut zu ihnen passen, also die Zähne, weil sie auch in jeder anderen Hinsicht perfekt zu sein scheinen.

Für einen Moment grinsen mich die drei an der Bar an (und sehe ich da nicht etwas Gehässiges in den Blicken dieser ach so perfekten Schönheiten aufblitzen?), dann drehen sie sich synchron um und stolzieren zur Tür. Ich schüttele den Kopf und widme mich wieder meinem Drink.

Erst als sie aus dem Bereich der Bar verschwunden sind, kapiere ich, was mir an den beiden Mädels so seltsam vorkam. Sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Eineiige Zwillinge.

Ich will überhaupt nicht darüber nachdenken, zu was für einer Art von Party die drei unterwegs sind und was sie dort zu veranstalten gedenken. Vielleicht sind es auch nur beste Freundinnen mit einem sehr ähnlichen Geschmack, was ihr Äußeres betrifft. In jedem Fall stehen sie wohl ebenfalls in besagtem Lexikon unter dem Stichwort »feuchter Traum«, nur eben für Männer. Wie schön für sie.

Ich hätte doch gar nicht gewusst, was ich da sollte auf dieser sogenannten Privatparty, schaltet sich mein Verstand ein, dieser ewig erhobene Zeigefinger. Und ich wäre auch alles andere als passend angezogen. Gegen diese drei Vorzeigeexemplare der menschlichen Gattung wirke ich wie Frankensteins Kreatur, ob Narbe oder nicht.

»Roman Baronov«, sagt der Barkeeper, und ich bemerke, dass ich schon wieder in Richtung Tür starre, durch welche diese wandelnde Ménage-à-trois soeben verschwunden ist.

»Hm?«, frage ich ohne großes Interesse.

»Das war Roman Baronov. Ihm gehört der Laden.«

»Hm«, sage ich, um mich zu sammeln. »Ich dachte, der gehört dir, Jim?«

»Nein.« Er schüttelt den Kopf. »Ich schmeiße den Laden nur für den Chef. Der Besitzer ist Roman.«

»Schöner Barbesitzer ist das«, sage ich. »Ich habe ihn hier noch nie arbeiten sehen.«

Da lacht Big Jim wieder, als hätte ich irgendwas besonders Komisches gesagt.

»War das ernst gemeint?«, frage ich ihn. »Dass meine Rechnung heute aufs Haus geht?«

Er nickt.

»Natürlich. Was Roman Baronov sagt, ist Gesetz.«

»Wie schön für ihn«, sage ich, und nun ist es an mir zu grinsen. Zeit, diesem arroganten Schönling so richtig schön eins reinzuwürgen.

»Big Jim?«, frage ich gedehnt. »Reichst du mir wohl bitte mal die Getränkekarte? Ich habe Lust auf etwas … Exklusives.«

»Zur Feier des Abends?«

»Ganz genau.«

»Sehr wohl, Teuerste«, sagt er genauso gestelzt wie ich und dann kichern wir beide ein bisschen. Er reicht mir die Karte rüber, und das besiegelt mein Schicksal.

Kapitel Vier

???

Der Plan ist so lächerlich einfach, dass es beinahe haarsträubend ist. Und das ist auch der Grund, aus dem er funktionieren wird. Ein schwieriger Plan hätte etwa so ausgesehen: Einen Haufen Leute einstellen, und damit einen Haufen Zeugen und Unwägbarkeiten generieren, man bedenke bloß, was passieren kann, wenn die Cops irgendwo auftauchen und einer die Sache verpfuscht. Die kassieren einen von den kleinen Fischen ein, und alles fliegt auf. Blöd. Blöder Zufall, aber davon gibt es leider viel zu viele.

Also eliminiert man diese als Allererstes, die Zufälle. Hier ist ein Rätsel: Wie viele Leute können ein Geheimnis bewahren? Einer, wenn er tot ist. Genau. Haha.

Aber zurück zum Plan.

Wichtig ist natürlich, synchron zuzuschlagen, also alle Köpfe der Hydra gleichzeitig abzuschlagen, damit die keine Zeit hat, sich neue Köpfe wachsen zu lassen. Man kennt das ja, du schlägst einen ab, zwei wachsen nach, und du hast gar nichts bekommen, außer dir noch mehr Arbeit zu verschaffen, und am Ende kriegen sie dich noch, weil du darüber den Kopf verlierst. Den Kopf, kapiert?

Also stellt man all diese unwägbaren Mitarbeiter auf, lässt sie auf die Uhr gucken und dann gleichzeitig losschlagen, am besten noch in den Wohnsitzen der einzelnen Familienmitglieder, die natürlich ausgesprochen gut bewacht sind. Von schwer bewaffneten Profis, von denen die allermeisten sogar hin und wieder ein Ziel aus nächster Nähe zu treffen imstande sind. Und was hat man davon? Mit ganz viel Glück schafft es vielleicht die Hälfte der eigenen Leute, überhaupt bis zum Primärziel vorzudringen. Und von denen geht noch mindestens die Hälfte bei dem Versuch drauf, anschließend den Ball wieder zu verlassen. Und letztlich hat man so ein gewaltiges und chaotisches Blutbad angerichtet, dass die eigentliche Botschaft überhaupt nicht mehr ankommt. Wenn ein Großteil der Primärziele überlebt, hat keine Sau mehr Angst vorm schwarzen Mann, richtig? Richtig.

Was also tun?

Information.

Das ist der Schlüssel.

Es ist das verdammte Zeitalter der Information und nützliche Informationen haben schon immer über den Ausgang einer Schlacht entschieden, noch bevor der erste Schuss fällt oder irgendwer mit seinen Säbeln rasselt. Wer hitzköpfig in eine Schlacht rennt, rennt ganz schnell ohne Kopf weiter.

Deshalb: Information. Technologie. Und nicht dieser Dreißiger-Jahre-Bullshit mit MPs vom Trittbrett eines vorbeifahrenden Oldtimers aus. Das ist Bonny-und-Clyde-Bullshit und wir alle wissen ja, wie das mit denen ausgegangen ist.

Also beschafft man sich Leute, die über Informationen verfügen, und dann quetscht man die aus. Indem man ihnen Angst macht. Und zwar so viel Angst, dass sie weder aus noch ein wissen und sich schließlich verquasseln. Und das Schöne daran: Wenn sie das erst einmal getan haben, dann können sie natürlich auch nicht mehr zu denen zurück, die sie gerade verpfiffen haben. Dann sind sie in der Zwickmühle. Genau da, wo man sie haben will.

Und manchmal, ganz selten, hat man bei dieser Art von Informationssuche eben ein bisschen Glück und kommt auf eine Lösung, die so himmelschreiend einfach ist, dass man sich fragen möchte, wie es diese Vollidioten überhaupt geschafft haben, bis zum heutigen Tag zu überleben. Nun ja, bis zum heutigen Tag, darin liegt ja eben der Witz.

Also.

Sie treffen sich, um miteinander Karten zu spielen.

Das muss man sich vorstellen.

Karten zu spielen.

Im Ernst?

Diese Typen gehören zu den einflussreichsten Köpfen einiger der gefährlichsten Verbrecherorganisationen der Welt. Die bekriegen sich gnadenlos im Kampf um Drogenabsatzgebiete und Waffenhändler und an welcher Straßenecke wessen Nutten stehen dürfen.

Und dann veranstalten sie allwöchentlich eine gemeinsame Pokerrunde. Das ist kaum zu glauben, oder?

Vermutlich gehörte es deshalb zu den bestgehüteten Geheimnissen in dieser Stadt. Gehörte, Vergangenheitsform.

Natürlich wechselt die Location für dieses streng geheime Idiotentreffen jedes Mal, und kaum einer weiß davon. Vermutlich käme es auch bei den Cops und dem gesamten restlichen Fußvolk nicht besonders gut an, wenn sie das wüssten. Dass für die Bosse alles nur ein Spiel ist. Rein geschäftlich, nicht persönlich.

Oh, ich habe ein paar von deinen Jungs über die Klinge springen lassen, ich hoffe, du bist nicht böse, Don Calzone?

Ach nein, kein Problem, die mochte ich eh nicht so, aber jetzt gib erst mal Karten, Don Manicotti.

Echt unglaublich, diese Typen!

Und jetzt das Bonbon: Diese Kerle, so leidenschaftliche Zocker sie auch sein mögen, trauen sich natürlich gegenseitig kein Stück über den Weg, und deswegen haben sie ein ausgefeiltes System von Metalldetektoren und Sicherheitsleuten, das dafür sorgt, dass jeder von ihnen sauber am Spieltisch sitzt, also vollkommen unbewaffnet. Damit da niemand auf dumme Gedanken kommt.

Und die haben echt geglaubt, das für sich behalten zu können.

Aber wie ich bereits sagte: Wie viele Leute können ein Geheimnis bewahren? Genau.

Nach dieser Aktion wird es dieser Dinosaurier Dimitrij hoffentlich kapieren. Ach was, den Hintern küssen wird er mir dafür. Und dann werde ich am Zug sein.

Endlich.

Kapitel Fünf

Nina Hartley

Später, sehr viel später genau genommen, sitze ich in einem Taxi, das mich nach Hause bringen soll. Das Blue Ridge habe ich zwar von meiner Wohnung aus bequem per Fuß erreichen können und natürlich ginge das auch auf dem Rückweg, es ist nicht besonders weit.

Ich möchte mir und eventuellen nächtlichen Passanten jedoch den Anblick einer sturzbetrunkenen jungen Frau ersparen, die sich, schwer an die Hauswand gestützt, wankend ihren Weg in die heimische Bettstatt erkämpft.

Dass ich wenigstens den Heimweg im Taxi einigermaßen unbeschadet überlebe, verdanke ich vermutlich – neben meinem ausgezeichneten Geschmack für Singlebars, in denen man auch Single bleibt – hauptsächlich Big Jim, der mir irgendwann schlichtweg keinen weiteren Drink mehr ausgeschenkt hat und mich freundlich, aber bestimmt auf meinen Barhocker drückte, während er mir ein Taxi rief, und zwar mit meinem Handy, das ich sonst bestimmt ebenfalls noch in der Bar hätte liegen lassen. Guter Mann.

Immerhin habe ich mich ausgesprochen stilvoll betrunken, nämlich mit wirklich exzellentem Wodka, nur unwesentlich verdünnt mit original russischem Kaviar, den Big Jim zu meiner großen Überraschung und Freude unter der Bar hervorzauberte.

»Für besondere Gäste«, sagte er, als er den Kaviar mit etwas frischem Weißbrot vor mir auf den Tresen stellte. Besondere Gäste, ich frage mich, wen er damit wohl gemeint hat. Mal abgesehen von Mister Wahnsinn, der um die Zeit, als ich Kaviar in mich hineinzuschaufeln begann, vermutlich die dritte Runde mit den beiden Modelzwillingen einläutete.

Wie schön für ihn.

Je betrunkener ich wurde, desto wütender wurde ich auf ihn. Was absurd ist, ich weiß. Wäre ich nüchtern genug dazu, könnte ich mir vielleicht sogar einen Anflug von Eifersucht eingestehen. Bei einem Typen, mit dem ich ganze zwei Sätze oder so gewechselt habe, seit ich ihn vor ein paar Stunden kennenlernte, um ihn gleich darauf wieder aus meinem Leben herauszubefördern, und zwar für immer – spätestens, wenn Big Jim ihm die Rechnung für meinen heutigen Exzess präsentieren wird.

Wenn der Typ den Betrag unter dieser Rechnung sieht, wird er mich schlichtweg für eine Alkoholikerin halten und sich in Zukunft vermutlich sehr gut überlegen, wem er freie Drinks auf seine Kosten spendiert.

Die beiden bildschönen Zwillinge trinken vermutlich nichts als Wasser. Sollen sie zur Hölle fahren mit ihren jugendlichen Knackärschen und ihren erstaunlich großen, festen Brüsten. Ich muss mich einfach daran festklammern, dass diese das Werk eines Schönheitschirurgen sind, um den Glauben in Gottes Kreaturen nicht komplett zu verlieren. Aber vermutlich irre ich mich.

Seltsame Gedanken denke ich da, während das Taxi vor meiner Haustür zum Stehen kommt und ich versuche, dem Schlingern und Drehen in meinem Kopf zumindest für einen Moment Einhalt zu gebieten, in der Hoffnung, einigermaßen würdevoll aus dem Gefährt zu steigen, ohne mich direkt daneben auf die Straße zu packen. Oh, eitle, kindische Hoffnung!

Aber es gelingt.

Hauptsächlich deshalb, weil der nette Taxifahrer so freundlich ist, mich bis zur Haustür zu begleiten, wobei er mir stützend unter den Ellbogen greift, als wäre ich seine alte Frau Mutter, die er zu ihrer Ruhestätte oder zum Tanz geleitet. Ein schöner Tanz, denke ich, der hoffentlich bald in meinem kuscheligen Bett enden und dann in einen komatösen Schlaf übergehen wird, der jeden Gedanken an das Aufwachen bis zum nächsten Morgen verdrängt.

Denn das dürfte die absolute Hölle werden.

Aber immerhin, denke ich in einem Anfall unerschütterlichen Optimismus, hatte dieser Abend den Vorteil, dass ich schon seit Stunden nicht an das Damoklesschwert denken musste, das über meinem Job bei der Zeitung schwebt. Und ich werde ganz bestimmt nicht jetzt damit anfangen.

Derweil habe ich es irgendwie bis zu meiner Wohnungstür geschafft, und hoffentlich auch den Taxifahrer bezahlt, auch wenn ich mich im Moment nicht allzu konkret an ein solches Ereignis erinnern kann. Ich drücke die Tür hinter mir ins Schloss, streife meine Pumps von den Füßen, schlüpfe aus Rock und Bluse und krieche ins Bett, wobei ich mir ausgesprochen schäbig vorkomme.

Was mich jedoch nicht davon abhält, an ihn zu denken, und an die animalische Anziehungskraft, die von ihm ausgeht. Jetzt, denke ich, wäre ich vermutlich betrunken genug, um mit ihm überall hinzugehen. Auf eine Party oder in sein Bett, wo schon die beiden Zwillinge warten, oder auch in seine mit rotem Plüsch ausgekleidete Folterkammer.

Mir wird klar, dass ich, egal wie sehr mein Kopf sich dreht, nicht werde einschlafen können, solange diese Gedanken – die Gedanken an ihn – durch meinen Kopf schwirren wie aufgeregte Nachtfalter um eine Küchenlampe. Und da ich im Moment ohnehin den Boden meiner Existenz erreicht habe, und da ich Mister Wahnsinnsaugen sowieso nie wiedersehen werde (höchstens höre ich von seinem Anwalt), beschließe ich, dass es nun auch keine Rolle mehr spielt, wie ich diesen schrägen Abend beende und lege Hand an mich in Sünde.

Ja, ja, ich weiß. Armselig.

Meine Ungeduld trägt aber Früchte und ich gelange in Rekordzeit ans Ziel, während ich an kaum etwas anderes als das animalische Funkeln in seinen eisblauen Augen denke. Na ja, vielleicht auch ein bisschen an die Schultern, und das, was sich unter seinem Hemd (und vielleicht auch woanders, noch ein Stückchen tiefer) abgezeichnet hat. Es ist ein Werk der Verzweiflung, und hinterher komme ich mir noch ein bisschen schäbiger vor.

Aber wenigstens kann ich dann schlafen.

Rezept für einen starken Wodka Martini

Zutaten:

  • 5 cl Wodka
  • 1 cl Vermouth trocken
  • 1 grüne Olive
  • Eiswürfel
  • Cocktailschale

Zubereitung:

Kapitel Sechs

Nina Hartley

Ich erwache am nächsten Morgen – genau genommen wohl eher: ein paar Stunden später – in erstaunlich guter Verfassung, bedenkt man mein kleines Abenteuer von letzter Nacht. Das ist einer der unschätzbaren Vorteile von Qualitätsstoff, wie der erfahrene Trinker (und ich jetzt auch) weiß. Einen richtigen Brummschädel hat man in aller Regel nur, wenn man es mit Billigfusel übertreibt. Was mich allerdings nicht davon abhält, mir vorzunehmen, in nächster Zeit mit jeder Art von berauschenden Getränken deutlich kürzerzutreten.

Als ich den Fernseher anschalte, bin ich in Sekundenschnelle vollends wach.

In der vergangenen Nacht wurden zwölf Menschen auf brutale Weise abgeschlachtet. Und zwar keine zwei Straßen entfernt von der Bar, in der ich mich währenddessen hemmungslos betrunken habe.

Und das Schlimmste: Ich war nicht dort!

Ich drehe den Fernseher lauter, jeder Anflug von Müdigkeit oder Restalkohol verfliegt augenblicklich. Das Ganze passierte in einer Art Klub, der zu diesem Zeitpunkt jedoch wegen angeblicher Renovierungsarbeiten geschlossen war, und zwar schon seit über zwei Wochen. Offenbar gab es aber in dem Haus ein bestens erhaltenes Hinterzimmer, in dem illegale Pokerrunden um hohen Einsatz stattfanden.

Gestern war der Einsatz für alle sechs Beteiligten besonders hoch, denn sie bezahlten ihre Spielschulden mit dem Leben – ebenso wie sechs Sicherheitsleute, die sie hatten beschützen sollen. Es gab keine Überlebenden des Massakers, das ein oder mehrere Unbekannte offenbar mit großkalibrigen Automatikwaffen anrichteten.

Das ist natürlich schrecklich. Furchtbar jenseits aller Vorstellung, keine Frage, aber dennoch beginnt mein Hirn sofort zu rattern. Was ist das für eine Pokerrunde, die so viele Aufpasser wie Spieler braucht? Und welche Art von Anschlag geht so sauber und mit solch tödlicher Effizienz über die Bühne? Ich sehe es förmlich vor mir: Ein Spezialkommando schaltet zuerst die Securityleute aus, stürmt dann in den Raum mit den Kartentischen und beginnt zu ballern, mit dem festen Vorsatz, erst wieder damit aufzuhören, wenn die letzte Kugel ihr Ziel getroffen hat.

Das ist Wilder Westen in Reinkultur. Oder etwas anderes, das mich eher an Typen in teuren Anzügen und Goldkettchen an den haarigen Handgelenken denken lässt. Und Pizza.

In jedem Fall ist es aber eine Story, und diese findet gerade keine zwei Blocks von meiner Wohnung entfernt statt.

Keine Frage, was ich als Nächstes zu tun habe.

Ich sause gleich einem Kugelblitz ins Bad und danke mir selbst dafür, dass ich mir schon vor Jahren eine Notfallroutine für Fälle wie diesen zurechtgelegt habe. Zehn Minuten später trete ich aus dem Badezimmer, geduscht, mit geputzten Zähnen und ausreichend geschminkt und wohlriechend, um unter Leute gehen zu können. Das muss genügen.

Während ich mein Handy und meine Schlüssel in die Handtasche stopfe, denke ich schon darüber nach, wie sich das Szenario beschreiben ließe. Mir fallen Begriffe ein wie Schlachthaus und Bombeneinschlag, und da der Reporter auf der Mattscheibe von großkalibrigen Waffen und zwölf Toten sprach, dürfte ich mit diesem Vokabular nicht allzu falsch liegen.

Ein weniger erfahrener Reporter würde jetzt vielleicht direkt zum Tatort fahren, aber ich weiß, dass dafür ein schlechter Zeitpunkt ist, den richtigen habe ich – so muss ich leider zugeben – schlicht verpennt.

Schon mal deswegen, weil es dort jetzt vor Polizisten wimmeln wird, welche vor allem damit beschäftigt sein werden, ganze Heerscharen meiner Kollegen abzuwimmeln, um zumindest einigermaßen die Arbeit tun zu können, wegen der sie eigentlich dort sind. Mir ist außerdem klar, dass alles, das die Polizei zum jetzigen Zeitpunkt der Presse mitteilen wird, bereits seit etwa einer Stunde über alle Bildschirme flimmert und da erst mal nichts wesentlich Neues hinzukommen wird.

Also mache ich etwas anderes. Ich spiele es nach den Regeln. Und fahre direkt in die Redaktion.

Kapitel Sieben

Nina Hartley

»Ich habe schon jemanden, der da dran ist«, sagt Charly und hebt entschuldigend die Hände, aber ich durchschaue seine Lüge sofort.

Hätte er tatsächlich schon jemanden auf diese Story angesetzt, hätte er mir dessen oder deren Namen genannt. Für einen Augenblick gebe ich mich der Hoffnung hin, dass er vielleicht sogar gewartet hat, bis ich in sein Büro stürme, um zu verlangen, in dem Fall berichten zu dürfen.

Falls ja, habe ich seine Erwartungen wohl bereits übererfüllt, den ich lehne mich so weit über den Schreibtisch, dass selbst mein kaum nennenswertes Dekolleté den armen Charly ein bisschen einschüchtern dürfte. Außerdem habe ich ausgezeichnete Argumente vorbereitet. Und ich habe eine sehr lebhafte Fantasie.

»Ich war da«, lüge ich. »Charly, dort sieht es aus wie in einem Schlachthaus nach einem Bombeneinschlag! Da steht kein Stein mehr auf dem anderen, alles ist voller Blut! Die Wände sahen aus, als hätte sie ein Verrückter angepinselt, und zwar mit den …«

»Ugh!«, macht Charly, »erspar mir das bitte! Ich habe noch nicht gefrühstückt, aber ich habe das heute noch vor, verstanden?«

»Na klar, entschuldige«, sage ich. »Es war nur so … bizarr!«

»Keine Frage. Aber wie konntest du überhaupt so schnell da sein? Der erste Bericht war erst vor einer Stunde im Fernsehen.«

»Ich wohne um die Ecke, schon vergessen? Und ich habe meinen Radar immer offen. Meine Antennen drehen sich in alle Richtungen und lauschen. Ich bin praktisch eine von diesen Satellitenschüsseln, die die Nasa in der Wüste betreibt, ich bin …«

»Das ist zu gefährlich, Nina. Wer weiß, welche Abgründe sich da auftun. Das war kein Zufall, das sage ich dir.«

Ach nee, denke ich.

»So was habe ich mir schon gedacht, Charly.«

Es passiert wohl tatsächlich eher selten, dass jemand zufällig mit einer Automatik in ein Hinterzimmer stürmt und alles ummäht, das ihm in die Quere kommt.

»Ich weiß nicht, Nina. Da könntest du bei den falschen Leuten Staub aufwirbeln.«

»Glaubst du vielleicht, das ist gefährlicher als die Reportage über die Aufstände in Georgetown?«

»Erinnere mich bloß nicht daran.«

»Darf ich dich dann an die Auflage erinnern, welche diese Serie gebracht hat?«

»Hm, das ist wahr.«

»Also?«

»Nina, ich weiß nicht recht.«

»Also dann hör zu. Ich habe einen Kontakt, direkt aus dem Zentrum.«

»Was soll das heißen?«, fragt er und schaut mich mit einer skeptisch hochgezogenen Augenbraue an. »Direkt aus dem Zentrum. Jetzt sag mir nicht, du bist mit der Schwester des Killers zur Schule gegangen oder so was.«

»Viel besser.«

»Nämlich?«

»Berufsgeheimnis.«

»Nina!«

»Ganz nah dran, glaub mir. Und exklusiv meine Quelle.«

Er schaut mich an, jetzt sind beide Augenbrauen nach unten gerutscht, in der Mitte scheinen sie sich fast zu berühren. Ich nenne es den Dr.-Banner-Blick. Kurz, bevor er zum Hulk mutiert. Das hat er gut drauf, dieses Spiel mit den Augenbrauen. An mir perlt es allerdings ab wie Wasser von der Öljacke eines Hochseefischers. Ich weiß, dass Charly wegen mir nie mutieren würde.

»Schon gut«, sagt Charly schließlich und schüttelt den Kopf. Der meinem Starrkopf nicht gewachsen ist, wie wir beide nur zu gut wissen. Er mag der Chef mit den prophetischen Visionen sein, aber ich bin der Dickkopf in diesem Team. Ich bin diejenige, die so lange auf eine Wand einstürmen kann, bis diese schließlich entnervt aufgibt. Oder auf eine Story, selbes Prinzip.

»Von mir aus. Dann mach um Gottes willen den Bericht. Aber ich brauche mehr als das, was sich jeder schon im Fernsehen ansehen kann. Mann, was für ein entsetzliches Blutbad.«

Ich nicke.

»Das wird eine Auflage, wie wir sie zuletzt bei diesem Bombenattentat in der Fleet Street hatten.«

Ich kann förmlich sehen, wie er sich innerlich die Hände reibt. Guter alter Charly.

»Okay, Süße«, sagt er dann, wohl wissend, dass ich ihm jedes Mal eine reinhauen könnte, wenn er mich so nennt. »Ich will deinen Artikel in zwanzig Minuten auf dem Tisch, und ich will, dass wir die Auflage von dieser Fleet-Street-Sache noch um mindestens zehn Prozent übertreffen.«

»Okay«, sage ich gedehnt, denn offenbar ist jemand gerade dabei, von seinem Ehrgeiz in fantastische Regionen davongetragen zu werden. Ich dagegen halte mich für eine Realistin.

Aber deshalb, wie Charly nicht müde wird zu betonen, ist er der Chef. Weil er Visionen hat, sagt er. Ich sage, wenn man so etwas hat, sollte man zum Arzt gehen oder zum biblischen Propheten umschulen. Aber jetzt wäre ein schlechter Zeitpunkt, ihm zu widersprechen.

»Mach einen Knaller draus, Nina«, sagt er. »Du sagtest was von Schlachthaus und Bombeneinschlag?«

»Ja«, sage ich.

»Das kommt schon mal in die Unterüberschrift. Wie viele Tote?«

»Zwölf, bis jetzt.«

»Das kommt in die Überschrift. Oder nein, mach zwanzig draus.«

»Wie bitte?«

»Ja. Wir schreiben von zwanzig Toten und behaupten, wir hätten diese Informationen von einem Kontakt der zuständigen Dienststelle, der nicht genannt werden möchte, und später revidieren wir die Zahl im Kleingedruckten.«

»Okay«, sage ich.

Ich werde trotzdem zwölf schreiben und einfach hoffen, dass er seinen jugendlichen Enthusiasmus innerhalb der nächsten dreißig Minuten wieder vergessen hat. Wenn ich nämlich derart übertreibe, wird mein tatsächlich vorhandener Polizeikontakt kein Wort mehr mit mir reden.

Und den werde ich anrufen, sobald ich das, was ich vor einer knappen Stunde aus den Nachrichten erfahren habe, in einigermaßen druckbare Worte gekleidet und das Ganze auf Charlys Schreibtisch hinterlassen habe.

Ich nehme mir ein paar Sekunden Zeit, um der Opfer dieses furchtbaren Gewaltverbrechens zu gedenken, wobei mir wieder besagte Goldkettchen in den Sinn kommen, verbunden mit der Annahme, dass die Typen, die da durch das Schwert gestorben sind, es vermutlich auch selbst ganz gern zur Hand genommen haben. Ich mache mich ans Werk.

Halleluja, ich habe endlich eine Story!

Nina Hartley ist zurück im Spiel.

Kapitel Acht

Nina Hartley

Die Tatsache, dass ich ungefähr eine Stunde später mit Detective Inspector Gregory Barnes spreche, hat wohl vor allem damit zu tun, dass es Barney nahezu physisch unmöglich ist, mir einen Gefallen abzuschlagen.

Eine Weile habe ich mir sogar eingebildet, der Grund dafür sei, dass er wirklich versessen auf ein Date mit mir ist, aber ich bin relativ schnell zu der Überzeugung gelangt, dass Barney stattdessen einfach nur ein Anhänger der Philosophie ist, welche die alten Chinesen angeblich in hohen Ehren halten: Dass derjenige, der einem das Leben rettet, fortan für seinen Schützling verantwortlich ist.

Das beschreibt wohl ganz gut die Beziehung zwischen uns, seit ich ihn vor sechs Jahren kennengelernt habe. Und wenn er mir das Leben vielleicht auch nicht wortwörtlich gerettet hat (dieser Verdienst steht eher den Sanitätern vor Ort zu), dann doch immerhin im übertragenen Sinne, und vielleicht auch mehr als einmal.

Ich habe Glück an diesem Tag, oder: wie man’s nimmt.

Barney ist nämlich der zuständige Ermittler beziehungsweise das Oberhaupt einer ganzen Kommission von Ermittlern, die sich mit dem Anschlag auf das Casino in der Mulberry Lane beschäftigen, auch bekannt als das Schlachthaus, in das die Bombe eingeschlagen hat. Was bedeutet, dass ich ihm mit etwas Glück und einer gehörigen Menge Wimpernaufschlägen vielleicht tatsächlich exklusive Informationen zu dem Fall entlocken kann.

Was aber auch heißen dürfte, dass Barney gerade bis über beide Ohren in einem regelrechten Sumpf aus stressigen Aufgaben feststeckt. Er trifft sich trotzdem mit mir auf einen Kaffee, den er als Mittagspause tarnt. Ein Wunder, dass man ihm die überhaupt zugesteht.

»Zehn Minuten«, sagt er, nachdem wir uns umarmt haben. Wir beide wissen, warum ich hier bin, und ich umarme ihn gleich noch mal. Einfach so, und weil ich manchmal finde, dass ich einen Freund wie Barney gar nicht verdient habe. Einen, der sich mit mir trifft, obwohl er genau weiß, was ich von ihm will. Und was ihn das kosten könnte, wenn ich es verpfusche.

»Barney, ich brauche eine Chance.«

»So?«

»Ich brauche eine Story, und zwar eine verdammt heiße. Sonst bin ich fällig. Geschichte. D. Y. W., Barney.«

»D. Y. W.?«

»Frag nicht. Aber dahin wird mich Charly versetzen, wenn ich ihm keinen absoluten Reißer bringe.«

»Klingt ja schrecklich«, sagt er grinsend.

»Ist es auch«, erwidere ich und boxe ihn sanft auf den Arm.

»Es geht um die Sache in der Mulberry Lane, oder?«, fragt er.

»Diese Hinrichtung, ja.«

»Wie kommst du darauf, dass es eine Hinrichtung war?«, fragt Barney und schaut mich skeptisch an. Das kann er fast so gut wie der gute, alte Charly, wenn er dabei auch deutlich liebenswürdiger aussieht. Zumindest, wenn er mir diesen Blick zuwirft.

»Sechs Spieler und sechs Bewacher, Barney. Komm schon. Gib mir etwas. Irgendwas.«

»Was du so alles weißt«, sagt er. »Oder zu wissen glaubst.«

»Und die Spieler waren alle nicht bewaffnet, ja?«

Jetzt zucken seine Augenbrauen hoch, was ich als kleines Kompliment werte. Vielleicht wäre auch aus mir keine schlechte Polizistin geworden. Schnüffler sind wir ja irgendwie beide, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

»Und das nimmst du an, weil …?«

»Weil ihr noch nach den Tätern sucht. Das haben sie im Fernsehen jedenfalls gesagt. Ich meine, sechs Typen, die in einem Hinterzimmer illegal um Geld spielen, werden das nicht wegen ein paar Pennys tun, richtig? Demnach ging es um hohe Einsätze. Die Art von Einsätzen, um die Leute spielen, die normalerweise mit einer Waffe in Reichweite zu Bett gehen. Aber da sie sich gegenseitig ungefähr so weit trauen, wie sie sich werfen können, treffen sie eine Vereinbarung. Keine Waffen am Spieltisch. Und damit das funktioniert, haben sie diese Aufpasser dabei. Die allerdings wesentlich weniger aufmerksam waren, als gut für sie war. Offenbar.«

»Offenbar«, sagt Charly ausweichend. »Und was hat das deiner Meinung nach zu bedeuten?«

»Ein Hit, ein gezielter Anschlag. Eine Hinrichtung.«

»Ah.«

»Ja. Und das bedeutet Mafia. Verfeindete Familien. Man wartet, bis alle an einem Ort zusammensitzen, und dann lässt man die Bombe hochgehen. So ist es am effektivsten.«

»Du schaust zu viele schlechte Filme, Nina«, sagt Barney. Aber er sagt nicht, dass ich mit meinen Vermutungen komplett falsch liege.

Dann starrt er mich lange schweigend an, über den Dampf, der aus der Kaffeetasse steigt, die vor ihm auf dem Tisch steht, ohne dass er sie bisher auch nur eines Blickes gewürdigt hätte.

»Nehmen wir mal an, dass deine überbordende Fantasie sich mit der bevorzugten Theorie einiger Ermittler deckt, die keinesfalls – verstehst du mich, Nina, keinesfalls – namentlich genannt werden möchten. Dann könnte man vielleicht mal auf den Gedanken kommen, sich mit den Fratellis, den Gambinos und einem Kerl, den sie den Griechen nennen, zu beschäftigen.«

»Der Grieche?«, flüstere ich ungläubig.

Wie es der Zufall will oder vielmehr, wie es mein Job erfordert, mache ich nämlich sogar hin und wieder meine Hausaufgaben.

»Und die Fratellis?«

Die Letzteren dürften jedem ein Begriff sein, der hin und wieder einen Blick in die Zeitung wirft, vorzugsweise in der Rubrik Mord und Totschlag, sprich organisiertem Verbrechen. Die Fratelli-Brüder sind ein Phänomen und das aus zweierlei Gründen. Erstens haben sie es bis zum heutigen Tag geschafft, mit keinem der Verbrechen, die aller Wahrscheinlichkeit nach auf das Konto ihrer Familie gehen, in Verbindung gebracht zu werden, und zweitens wurde der Clan gerüchteweise von der Mutter der beiden im Alleingang geleitet, bis diese vor ein paar Jahren unter äußerst mysteriösen Umständen verschwand.

Barney nickt kaum merklich, dann macht er sich daran, aufzustehen. Und ich habe jetzt jede Menge neuer Hausaufgaben zu tun. Gott segne dich, Police Detective Gregory Barnes!

»Ich danke dir«, sage ich, und er nickt wieder.

»Gibt es irgendwelche Zeugen?«, frage ich, wohl in der irrsinnigen Hoffnung, damit einen wundersamen Informationsstrom bei ihm auszulösen, der natürlich ausbleibt.

»Was glaubst du denn?«

Stimmt. Ein Team, das es schafft, eine solche Aktion erfolgreich durchzuziehen, ohne auch nur einen einzigen Mann dabei zu verlieren, dürfte sich nicht mit Amateurfehlern wie hinterlassenen Spuren – oder Zeugen – aufhalten.

»Ich weiß, dass du ein cleveres Mädchen bist, Nina. Daher bin ich mir sicher, dass du dir meine folgenden Worte zu Herzen nehmen wirst.«

»Sicher, Barney. Klar.«

»Ich muss darauf bestehen, dass du schlüssig beschreibst, wie du selbst drauf gekommen bist, wer die Leichen in der Mulberry Lane sind. Mein Name darf da nicht auftauchen, und auch nicht eure so beliebte Floskel von der gut unterrichteten Quelle. Klar?«

»Und wie sollte das passiert sein?«

»Lass dir was einfallen. Vielleicht hat es dir die Mutter der Fratellis gesteckt, vielleicht fällt dir auch die Trauerstimmung in einem ganz bestimmten griechischen Restaurant ins Auge.«

»Klar«, sage ich. »Das kriege ich hin, aber wieso denn diese Geheimniskrämerei?«

»Weil uns hier möglicherweise ein Bandenkrieg bevorsteht, Nina. Und ich nicht derjenige sein will, der mit so etwas während laufender Ermittlungen an die Öffentlichkeit gegangen ist.«

»Aber, Barney, du hast es mir gerade gesagt.«

»Ja, Nina. Weil ich weiß, dass du sowieso drauf gekommen wärst. Und dass du mir als Dank für den kleinen zeitlichen Vorsprung diese Bitte gewähren wirst. Lass mich da raus.«

»Okay, verstanden, Barney. Danke!«

»Und noch etwas.«

»Ja?«

»Mir wäre es das Allerliebste, wenn auch du dich aus dieser Sache raushalten würdest. Nimm das mit dem Restaurant des Griechen bloß nicht wörtlich, hörst du? Momentan dürfte da eine Stimmung herrschen, bei der sie zuerst schießen und dann Fragen stellen, also lass dich da auf keinen Fall blicken!«

»Klar, Barney. Hatte ich ja auch nicht vor. Ich mache so was schließlich auch nicht zum ersten Mal.«

»Es sind immer die erfahrenen Bergsteiger, die abstürzen. Weil sie sich überschätzen.«

»Sehr witzig, Barney.«

»War nicht witzig gemeint.«

Er war schon im Begriff, aufzustehen, aber jetzt setzt er sich doch noch einmal hin, beugt sich über seine nun nicht mehr dampfende Kaffeetasse nach vorn und senkt die Stimme.

Oh je.

»Hör mal, Nina. Da ist noch etwas. Ich verstehe, dass du eine Story brauchst, und ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du nicht lockerlassen wirst, bevor du eine hast. Aber …«

Er kaut auf seiner Unterlippe herum.

»Versprich mir, bei unserer Freundschaft, dass du diesen Teil, den ich dir gleich erzählen werde, komplett rauslassen wirst.«

»Mann, bist du heute geheimnisvoll, Barney. Aber gut, ich verspreche es.«

»Nicht mal eine Andeutung!«

»Nicht mal ein Flüstern.«

»Wir haben eine Vermutung, wer es gewesen sein könnte.«

»Oh«, sage ich. »Welche Familie, meinst du?«

Er schüttelt den Kopf.

»Wir glauben, das war das Werk eines Typen, der grundsätzlich allein arbeitet.«

»Ein einzelner Mann soll ein Dutzend Mafiosi …?«, keuche ich, doch sein Blick lässt mich verstummen. Und ich begreife, dass Barney damit etwas sehr Schlaues tut. Indem er mir jetzt ein Bröckchen hinwirft, verbietet er mir praktisch, das Thema in künftigen Artikeln auch nur zu streifen und damit die Ermittlungen der Polizei zu gefährden. Na ja, vermutlich ist er nicht ohne Grund einer der besten Ermittler in dieser Stadt.

»Wer immer das getan hat, war ein Profi allererster Güte. Seine Vorgehensweise war schnell, effektiv und dabei ungewöhnlich brutal, sogar für Mafiakreise. Außerdem war das Ganze exzellent vorbereitet, vermutlich über Monate. Das alles erinnert stark an einen Typen, von dem auch auf der Straße nur gemunkelt wird.«

»Oha, das Phantom«, sage ich, aber es kommt gar nicht so lustig raus, wie ich gedacht hatte.

»Er hat keinen Namen, Nina. Nicht mal einen Spitznamen, aber ein paar unserer Kontakte haben ihn mal gerüchteweise erwähnt. Angeblich soll er früher für verschiedene Familien gearbeitet haben, bis er irgendwann beschloss, sich als eine Art High-End-Killer selbstständig zu machen.«

»Das klingt verdammt riskant.«

»Ist es auch. Aber wie es aussieht, nicht nur für ihn.«

»Und weiter?«

»Das ist alles. Keiner kennt seinen Namen oder sein Gesicht. Aber dieser Typ dürfte inzwischen ein riesiges Vermögen aufgebaut haben, um nicht zu sagen, dass er stinkreich sein muss. Aufgrund seines Jobs wird er damit allerdings nicht viel anfangen können, außer wenn er das Geld durch eine ganze Reihe von Scheinfirmen waschen lässt. Was allerdings auch jeder mittelschwere Mafioso tut.«

»Also habt ihr rein gar nichts?«

»Wir lassen ein Profil erstellen, und vielleicht hat er uns bei dieser letzten Aktion mehr von sich verraten, als er wollte. Das hoffen zumindest ein paar von uns.«

»Und das wäre?«

»Wir suchen nach einem Typen, der alles Menschliche abgestreift hat. Für den es keinen Unterschied mehr gibt zwischen einem kleinen Scheckbetrug und dem Beenden eines Menschenlebens. Wir suchen einen reinrassigen Psychopathen, Nina. Ein Raubtier, ohne jedes menschliche Gefühl.«

Und damit steht er auf und geht.

Als ich ein paar Minuten später auf meine Uhr sehe, sehe ich, dass meine Hand so stark zittert, dass ich den halben Inhalt meiner Tasse auf das wächserne Tischtuch verschüttet habe.

Einem Raubtier, wie es Barney gerade beschrieben hat, bin ich nämlich schon einmal begegnet. Ich war ihm so nahe, dass ich seinen Atem in meinem Gesicht gespürt habe.

Bevor er es mir zerfetzt hat.

Kapitel Neun

Nina Hartley

Den Rest von Barneys angeblicher Mittagspause habe ich damit verbracht, meinen zweiten Artikel zu tippen und ihn Charly in die Redaktion zu mailen.

Darin enthülle ich, wie ich durch einen drogenabhängigen Informanten, den ich von einer früheren Reportage kenne (stimmt tatsächlich) auf den Trichter gebracht wurde (frei erfunden), dass der Anschlag vornehmlich den Oberhäuptern diverser Mafiafamilien galt, welche die exzentrische Angewohnheit hatten, in einer Bruchbude in der Mulberry Lane gemeinsam Karten zu zocken und die Geschäfte zu besprechen (was zumindest eine naheliegende Vermutung ist). Als kleine Dreingabe habe ich versucht, ein paar der Hinterbliebenen telefonisch zu erreichen, und die Art und Weise, wie man mich da abwimmelte, hat meinen Verdacht nur bestätigt. Im Artikel steht, dass sie sich dazu nicht äußern wollten, bis auf einen, dessen Namen ich aus allzu offensichtlichen Gründen nicht preisgeben kann. Übersetzung: Einer von euch hat gepfiffen und mir die ganze Story brühwarm serviert, aber ich überlasse es euch, herauszufinden, wer das war.

Der Rest des Artikels besteht aus dem Teil meiner Vermutungen, die Barney mir vorhin bestätigt hat. Ohne den Teil mit dem Phantom natürlich.

Inzwischen ist es dunkel geworden, wie ich zu meiner Verblüffung feststelle, als ich mir noch einen Kaffee bestelle, ungefähr den zehnten heute.

Als ich auf mein Handy blicke, sehe ich, dass ich Post von Charly habe. Seine SMS besteht nur aus einem einzigen Symbol, einem hochgereckten Daumen. Damit sieht es wohl gut aus für meine geplante Serie zu dem Thema, ich bin wieder im Geschäft. Aber das werde ich nicht allzu lange sein, wenn ich keine weiteren Details zu der Story liefern kann.

Zeit für den nächsten Teil meines Plans.

Da ich es für nicht besonders ratsam halte, jetzt tatsächlich bei einer der Familien aufzutauchen und mich beispielsweise nach dem Verbleib der beiden Fratelli-Brüder zu erkundigen, beschließe ich, an den anderen Ort zu gehen, an dem ich hoffentlich ein paar neue Informationen ans Licht zerren kann. Schließlich ist es nicht nur mein gesetzlich verbürgtes Recht, sondern auch meine Pflicht, meine Mitbürger darüber zu informieren, welches düstere Grauen ihre Heimatstadt diesmal gerade heimsucht.

Und sollte ich dabei zufällig über Hinweise stolpern, die mit einem ganz bestimmten Phantom zu tun haben, wird Barney mir das kaum vorwerfen können. Schließlich brauche ich im Gegensatz zu ihm keinen Durchsuchungsbefehl, um meine Funde verwerten zu können. Schlimmstenfalls sehe ich einer Anklage wegen Hausfriedensbruchs entgegen. Zumindest dann, wenn niemand auf die Idee kommt, mich wegen Behinderung von Polizeiarbeit auf den Kieker zu nehmen.

Eine halbe Stunde später setzt mich ein Taxi in einer Nebenstraße der Mulberry Lane ab. Die immer noch verstopft ist von einem riesigen Tross von Reportern, unter die sich nun ein beträchtlicher Anteil Schaulustiger gemischt hat. Und natürlich ist auch noch jede Menge Polizei vor Ort.

Ich halte Ausschau nach Marsmenschen (so nenne ich die Leute von der Spurensicherung – in ihren grünen Schutzanzügen erinnern sie mich an außerirdische Raumfahrer), kann aber keine entdecken. Was vermutlich bedeutet, dass sie inzwischen fertig sind und den Tatort versiegelt haben. Die letzten Polizisten, die jetzt noch hier sind, dienen hauptsächlich dazu, den Tatort abzusperren und zu verhindern, dass Neugierige ihn unbefugt betreten.

Neugierige wie ich zum Beispiel.

Ich dränge mich an den Menschenmassen vorbei und gehe dann die Mulberry Lane bis zur nächsten Abzweigung, der ich folge, um mich dem Gebäude von der Rückseite zu nähern. Auch was das betrifft, habe ich meine Hausaufgaben gemacht, Smartphone und GPS-Maps sei Dank!

Das Gebäude hat einen Hinterausgang, der in einen verwilderten Garten führt. Vermutlich ist das der Weg, den das Phantom genommen hat, um unbemerkt in das Gebäude einzudringen, bei Nacht hatte er da vermutlich recht gute Chancen. Meine stehen natürlich schlechter, weil auch dieser Eingang von Polizisten bewacht sein dürfte. Aber ich weiß, dass das Gebäude daneben eine von diesen breiten Einfahrten hat, von denen man beiderseits in verschiedene Treppenhäuser gelangt.

Mich interessiert das linke Gebäude, welches an mein eigentliches Ziel angrenzt.

Mit grimmiger Befriedigung stelle ich fest, dass sich die Klingelschilder und Briefkästen direkt im Torbogen befinden. Ich wähle zufällig ein paar vielversprechende Namen aus und drücke dann beherzt auf die Klingelknöpfe. Beim zweiten Versuch meldet sich jemand, offenbar ein älterer Mann, der Stimme nach zu urteilen. Ich lasse ihn wissen, dass ich meine Tante Irma besuchen möchte, die leider etwas schwerhörig ist und deshalb die Klingel manchmal nicht hört. Ich komme gar nicht dazu, ihm zu erklären, dass ich zwar über den Wohnungs-, nicht aber den Haustürschlüssel verfüge, da hat er schon den Summer betätigt und ich bin drin.

Easy peasy.

Wie sich herausstellt, teilen sich die Gebäude nicht nur einen Innenhof, sondern auch die Unterkellerung. Ich nehme mir fest vor, demnächst irgendeinem wohltätigen Zweck zu spenden, als ich die kleine Fensterscheibe mit dem Ärmel meiner Jacke eindrücke. Für mein Karma, versteht sich, und das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit. Da das Gebäude selbst leer steht (bis auf den vorgeblichen Klub und das vorgeblich nicht vorhandene Mini-Casino), mache ich mir keine Sorgen, dass ich irgendeinem Bewohner zufällig in die Arme laufen könnte. Nicht hier unten.

Ich zwänge mich durch die Öffnung und dann habe ich das »Schlachthaus« in der Mulberry Lane erreicht – das auch ohne diesen Beinamen, den ich ihm erst unlängst verpasst habe, gruselig genug ist.

Allein die Tatsache, dass es hier stockfinster ist, dürfte mit ziemlicher Sicherheit darauf hindeuten, dass sich jetzt keine Ordnungshüter mehr im Gebäude befinden.

Dennoch wünschte ich, ich könnte wenigstens die Taschenlampe meines Handys anknipsen. So muss ich mich nämlich mit dem Rest Mondlicht begnügen, der durch die schmalen, hohen Fenster fällt.

Sei kein Schisser, befehle ich mir. Na ja, es hilft nicht wirklich.

Ich zücke meine Kamera und vergewissere mich zwei Mal, dass der Blitz auch wirklich ausgeschaltet ist. Keine Ahnung, was genau ich hier eigentlich vorhabe, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ein paar Blitze in rascher Folge aus dem Inneren dieses Gebäudes die Polizisten vor dem Haus in Windeseile hier reinstürmen lassen würden.

Ich knipse ein paar Fotos, wobei ich versuche, das Beste aus dem spärlichen Licht zu machen. Das bringt nicht besonders viel, wenig überraschend, aber vielleicht kann ich Carl aus der Technikabteilung später dazu bringen, die Fotos mit irgendeinem Filter oder so zu bearbeiten. Ich glaube, er erwähnte mal, dass es auf diese Art möglich sei, sogar aus vermeintlich komplett schwarzen Aufnahmen noch etwas herauszuholen.

Aber natürlich muss ich vor allem das Zimmer sehen, in dem es passiert ist. Einfach, um … um zu wissen, worüber ich hier eigentlich schreibe. Und, weil davon natürlich noch niemand Fotos hat, außer der Polizei, und die wird sie bestimmt nicht herausrücken.

Oder bin ich in Wahrheit hier, um zu spüren, ob er es war?

Nein, fauche ich mich selbst wütend an, das ist Blödsinn! Ich bin schließlich kein Medium oder Hellseher, und das ist auch keine von diesen paranormalen Fernsehserien aus dem Spätprogramm, in denen irgendwelche Telekineten an einer Blutlache lecken oder aus den Knochen des Opfers das Geschlecht und die kulinarischen Vorlieben des Täters ablesen können. Ich bin nur eine Reporterin, verdammt.

Und trotzdem.

Ich gehe zurück in den Gang und schleiche weiter zum nächsten Raum, dessen Tür nur angelehnt ist. Vorsichtig spähe ich um das Türblatt herum hinein. Und hier habe ich Glück – oder wie man’s nimmt. Glück insofern, als dass dieser Raum offenbar ein Eckzimmer ist, mit einer zweiten Fensterfront direkt auf die Straße hinaus. Und dort steht, direkt vor dem Fenster, eine Bogenlampe, die ihr Licht reichlich in das Zimmer ergießt.

Hell genug, um Fotos machen zu können.

Leider leuchtet die verdammte Lampe allzu hell hier rein, und das ist die Kehrseite der Medaille. Man hat die schweren Eichentische, oder das, was davon übrig ist, an die Wand geschoben, sodass man von der Tür aus einen freien Blick auf die Mitte des Zimmers hat. Das Blut und die Einschusslöcher sind noch gut zu erkennen, sie brennen sich regelrecht in meine Netzhaut.

Bevor ich es mir anders überlegen kann, zücke ich meine Kamera und knipse drauflos. Es ist ekelhaft, es ist widerlich, aber es wird meine Story zum Hit machen.

Das glaube ich zumindest noch, als plötzlich etwas Spitzes aus dem Nichts gegen meine Halsschlagader gedrückt wird, und ich infolge dessen beinahe die Kamera fallen lasse. Gleichzeitig legt sich eine kräftige Hand auf meinen Mund. Aber ich käme gar nicht auf den Gedanken, zu schreien, denn ich bin vor Angst erstarrt, panisch sauge ich Luft durch meine Nase und rieche dabei das Leder der Handschuhe. Die Hand darunter hat den Charme eines Schraubstocks.

Dann flüstert eine tiefe Stimme in mein Ohr: »Was genau soll das denn werden, Mädchen?«

Kapitel Zehn

Nina Hartley

Natürlich erwartet der Kerl keine Antwort auf diese Frage, denn immerhin presst er mir weiterhin seinen Handschuh auf Mund und Nase, und zwar mit einer Kraft, die es mir unmöglich macht, auch nur zu nicken oder den Kopf zu schütteln.

Das wird ihm offenbar ebenfalls klar, denn jetzt verschwindet die Spitze des Messers, die er gerade noch gegen meinen Hals gedrückt hat (zumindest glaube ich, dass es sich um die Spitze eines Messers handelt), und stattdessen packt mich jetzt eine zweite behandschuhte Pranke an der Kehle. Nicht mal unsanft, aber doch mit ausreichendem Druck, dass ich einen kleinen Schritt nach hinten stolpere. Mein Fall wird von einer Wand gestoppt, doch dann begreife ich, dass es keine Wand ist, sondern sein Körper. Muskeln hart wie Beton, Sehnen, die in Wahrheit Stahlseile sind. Na ja, zumindest fühlt es sich so an.

Dann lockert sich der Schraubstock um meinen Kiefer um ein paar Umdrehungen, und die Stimme raunt wieder etwas in mein Ohr.

»Wirst du schreien, wenn ich die Hand wegnehme?«

Ich schüttele den Kopf, das heißt, ich drehe ihn in seinem Lederhandschuh ein paar Millimeter hin und her, aber offenbar kommt die Antwort an.

»Gut«, sagt er und nimmt die Hand weg.

Ich bleibe erst mal stehen, auch wenn ich sehr gern wissen möchte, wer der Kerl ist, der da hinter mir steht.

Aber möchte ich das wirklich?

Davon abgesehen trägt der Fremde sehr wahrscheinlich sowieso eine Maske, also …

»Dreh dich um!«, befiehlt er.

Irgendwie hat dieses raue Flüstern, das aus seinem Mund kommt, auf mich eine nahezu hypnotische Anziehungskraft, und sie kommt mir fern bekannt vor. Prima, denke ich, genau die richtige Situation, um die Stimme des Kerls sexy zu finden, der dir gerade noch ein Messer an die Kehle gedrückt hat und der dich vermutlich nur losgelassen hat, um dich noch einmal gut ansehen zu können, bevor dich in die ewigen Jagdgründe schickt.

Es ist im Grunde eine einfache Rechnung: Da die Polizei das Haus längst verlassen hat, kann er keiner von denen sein – und soweit ich weiß, operieren die hiesigen Ordnungshüter auch nicht in völliger Dunkelheit mit Lederhandschuhen und Messern, die sie einem an den Hals setzen. Somit bleibt nur eine Art von Mensch übrig, der sich jetzt in diesem Gebäude aufhält: jemand, der eigentlich nicht hier sein dürfte und es um jeden Preis vermeiden muss, von der Polizei gesehen zu werden. Was in gewisser Weise auch auf mich zutrifft, und, davon abgesehen nur noch auf …

Genau.

Täter kehren immer an den Ort ihrer Untaten zurück, das weiß jeder Hobbydetektiv.

Vielleicht hat er ja auch irgendeinen wichtigen Hinweis am Tatort liegen lassen und nun stattdessen mich gefunden. Und somit einen Zeugen. Was hatte Barney noch gesagt, was ein Profi mit Zeugen macht? Ach ja, genau. Er lässt keinen einzigen am Leben.

Shit.

»Miss Hartley?«, brummt der Typ in mein Ohr.

Der muss Augen haben wie ein Luchs, denke ich noch, bevor mir auffällt … hey, woher kennt der meinen Namen?

Mal davon abgesehen, dass mich niemand – absolut niemand auf diesem Planeten – Miss Hartley nennt. Ich bin schließlich nicht meine Mutter. Und dann begreife ich, woher mir die Stimme bekannt vorkommt.

Der Kerl.

Mister Wahnsinnsaugen.

Mister Hast-du-nicht-Lust-auf-eine-Party-mit-mir-und-meinen-beiden-willigen-Gespielinnen? Das muss ein Scherz sein, und ich bin offenbar die Pointe. Gleich werden die Lichter aufflammen und Barney und Charly und vermutlich auch Big Jim hinter der Couch hervorspringen und »Gotcha!« rufen.

»Mister Baronov?«, flüstere ich.

»Was machen Sie denn hier?«, platzen wir gleichzeitig heraus.

Pause.

Da er keine Anstalten macht, meine Frage zu beantworten, beantworte ich eben seine.

»Ich bin Journalistin«, sage ich, als ob das alles erklärt. Inklusive des Einbruchs und des unbefugten Betretens eines Tatorts, Behinderung polizeilicher Ermittlungen und welche gesetzlichen Bestimmungen ich sonst noch übertreten haben mag.

Scheinbar genügt ihm das tatsächlich als Erklärung, er nickt bloß.

»Ist kein guter Ort«, sagt er.

Na sag bloß!

»Sie sollten hier nicht herumschleichen«, setzt er die Belehrung leise fort. »Das ist gefährlich.«

»Das einzuschätzen, überlassen Sie doch bitte mir, ja?«, raune ich zurück. »Darf ich vielleicht erfahren, warum Sie hier sind?«

»Geschäftlich«, sagt er.

Im Dunkeln kann ich es natürlich nicht sehen, aber ich glaube, er grinst dabei. Findet sich vermutlich ausgesprochen witzig.

»Videokameras«, sagt er dann. Was zunächst wenig Sinn ergibt.

»Manchmal sind an Orten wie diesen welche versteckt.«

Aha. Orte wie diese. Wie viele davon kennen Sie denn noch so, Mister Baronov?

»Meinen Sie nicht, dass diese sich jetzt in Gewahrsam der Polizei befinden?«

»Vielleicht«, sagt er vielsagend.

Oder vielmehr nichtssagend. Erst dann scheint ihm aufzufallen, dass er mich immer noch an der Kehle gepackt hält wie ein Katzenjunges. Mir auch. Vielleicht, weil das ein überraschend angenehmes Gefühl war. Seine Handschuhe sind aus wirklich erstklassigem Leder, sehr weich.

Er lässt meinen Hals los und ich bin frei. Oder wäre es, aber ich mache keine Anstalten, von ihm wegzutreten. Sein Duft ist der Wahnsinn, jetzt erinnere ich mich, dass der auch schon gestern in der Bar seine Wirkung auf mich nicht verfehlt hat. Wie kann ein Mann nur derart geil riechen? Das ist doch vollkommen unfair!

Ihn scheint meine Erscheinung dagegen weit weniger zu beeindrucken, denn er schiebt mich einfach mit einer beiläufigen Bewegung beiseite und flüstert mir dann zu, dass er jetzt nach den Kameras suchen werde.

»Dann gehe ich mal besser«, schlage ich vor, weil mir das das Vernünftigste erscheint.

»Nein«, flüstert er. »Wenn Sie im Dunklen irgendwo ein Geräusch machen, kann ich hier einpacken. Sie bleiben da stehen!«

Zu Befehl, Arschloch, denke ich. Sexy Arschloch.

»Zu Befehl!«, zische ich in seine Richtung, und ich glaube, den Anflug eines Kicherns zu hören. »Was bringt Sie eigentlich auf die Idee, dass Sie sich hier bewegen können, ohne ein Geräusch zu verursachen?«

Immerhin ist der Kerl gute zwei Köpfe größer als ich und etwa doppelt so breit, vermutlich bewegt er sich so geschmeidig wie ein Stahlträger.

»Das hier«, sagt er und etwas macht leise Klick, worauf ein matter grüner Schimmer in seinem Gesicht aufleuchtet. Ein Nachtsichtgerät, natürlich. Sollte ich mir vielleicht auch mal zulegen.

Während ich mir vorkomme wie ein kleines Mädchen, das beim Detektivspielen auf dem Dachboden erwischt wurde, macht er sich auf die Suche. Sein gewaltiger Körper verschmilzt dabei mit den Schatten im Raum, ich kann ihm kaum folgen, während er hierhin und dorthin huscht. Ich lag wohl falsch mit meiner Vermutung seinen gewaltigen Körper betreffend, er bewegt sich mit geschmeidiger Anmut durch das halbdunkle Zimmer. Vermutlich hat er einen exzellenten Yogatrainer. Gott, wie er sich wohl im Bett bewegt?

»Ah!«, macht er, nachdem er vorsichtig auf einen Stuhl gestiegen ist und sich eine Weile mit der Deckenlampe beschäftigt hat, so eine billige Imitation eines Kristalllüsters. Er schafft es, etwas zwischen den Glaskristallen hervorzuholen, das ein kleiner Würfel zu sein scheint, ohne dass er damit die ganze Lampe zum Klirren beginnt. Erstaunlich. Offenbar sind seine Hände nicht nur groß und kräftig, sondern auch ausgesprochen geschickt.

Gut zu wissen.

»Shit!«, flucht er leise und lässt sich sogar herab, mir zu erklären, wieso er sich zu diesem Kraftausdruck hat hinreißen lassen. »Die Kabel sind durchtrennt. Das war ein Profi.«

Seltsam, denke ich, genau das sind die Worte, die Barney auch verwendet hat. Und jetzt habe ich die Bestätigung dieser Vermutung von jemandem, der offenbar selbst einer ist. Na prima.

Er steckt die winzige Videokamera, denn um nichts anderes kann es sich bei dem kleinen Kasten handeln, in die Innentasche seines Jacketts und steigt dann wieder von dem Stuhl herunter.

»Verschwinden wir«, sagt er, und macht Anstalten, diesen Plan in die Tat umzusetzen, ohne sich groß darum zu kümmern, ob ich ihm folge oder nicht.

»Warten Sie«, zische ich, als er an mir vorbei in den Gang tritt. Er bleibt stehen, dreht sich um, schaut mich an aus grün leuchtenden Teleskopaugen.

»Sie hätten mich auf die Party begleiten sollen, Miss Hartley.«

»Woher kennen Sie meinen Namen?«, zische ich. Als ob es im Moment keine drängenderen Fragen gäbe.

»Ihre Karte. Sie haben Sie bei Jim hinterlassen, mit der Bitte, dass er sie an mich weiterreicht. Was er getan hat.«

»Ich habe was?«

»Wie mir Big Jim versichert hat, haben Sie von meinem Angebot reichlich Gebrauch gemacht«, sagt er.

Im Gang ist es stockfinster, aber jetzt bin ich absolut sicher, dass er mich hämisch angrinst. Und vermutlich kann er mit seiner dämlichen Nachtsichtbrille auch sehen, wie ich erröte. Selber schuld, denke ich. Aber daran, Big Jim meine Visitenkarte in die Hand gedrückt zu haben, erinnere ich mich beim besten Willen nicht.

»Hören Sie, ich glaube, wir sollten …«, sage ich, als ein Geräusch an der Vordertür ertönt. Das Geräusch eines sich im Schloss drehenden Schlüssels.

»Shit!«, zischt er, packt mich an der Hand und zieht mich mit sich in den Gang. Wie durch ein Wunder schaffen wir es, dabei keinen Lärm zu verursachen. Als im Flur eilige Schritte ertönen, schiebt er mich in den nächsten Raum, der wohl mal das Bad war.

Er drückt mich hinter der Türöffnung an die Wand, dann schlüpft er selbst hindurch und presst seinen Körper an mich. Das muss er, weil man ihn sonst vom Gang aus sehen kann, wo jetzt das Licht aufflammt.

»Johnson hat gemeint, er hätte gesehen, dass sich was bewegt hat«, sagt eine Stimme, unverkennbar die eines Cops.

»Kann nichts erkennen. Mann, das Einzige, das sich hier bewegt, sind die Scheißratten. Also, die die der Irre übrig gelassen hat.«

Sie lachen beide ein bisschen. Diese Spaßvögel.

Währenddessen drängt sich der steinharte Körper von Mister Baronov an meinen, als hätte er vor, mich einfach durch die Wand zu drücken. Vermutlich würde er das sogar schaffen, ohne dass es ihm allzu große Anstrengungen bereitet.

Und …

Oh Gott, da ist noch etwas, das gerade steinhart zu werden beginnt, und jetzt kräftig gegen meinen Oberschenkel drückt. Seine Taschenlampe, vermutlich, aber … aber wozu sollte ein Kerl mit einer Nachtsichtbrille eine verdammte Taschenlampe brauchen?

Das kann nicht sein Ernst sein!

Ich schaue nach oben, wo sich auf seinen durch das Flurlicht beleuchteten Zügen ein entschuldigendes Lächeln breitmacht. Das Nachtsichtgerät muss er irgendwann abgenommen haben, denn ich begegne wieder diesen eisblauen Augen über diesem Lächeln.

Ich würde ihn jetzt ungemein gern fragen, ob ihm das jedes Mal passiert, wenn er sich gemeinsam mit einer Frau vor der Polizei versteckt oder ob ich einen Sonderfall darstelle. Und wenn ich ganz ehrlich bin, würde ich jetzt vielleicht gern noch ganz andere Sachen mit meinem Mund machen, anstatt ihm blödsinnige Fragen wie diese zu stellen. Oder mit meinen Händen. Oder mit meiner …

Halt!, rufe ich mir selber zu. Du darfst jetzt nicht durchdrehen. Du wirst einfach hier stehen und warten, bis die beiden Polizisten verschwunden sind. Dann wird er sich artig bei dir entschuldigen und seiner Wege gehen. Du hast dir nichts zuschulden kommen lassen, immerhin bist es nicht du, die versucht, ihn mit einem fleischgewordenen Wurfspieß zu durchbohren.

Dabei fällt mir auf, wo mich die Spitze seiner Nicht-Taschenlampe berührt. Mister Wahnsinn ist offenbar ausgesprochen gut bestückt.

Sein Körper, und jetzt meine ich ausnahmsweise einmal seinen gesamten Körper, versteift sich, als er hört, was die Cops besprechen, die inzwischen das Zimmer erreicht haben, in dem ungefähr gestern um diese Zeit ein Irrer ein Massaker angerichtet hat.

»Sieht genau aus wie vorhin«, sagt der eine.

Der andere antwortet mit einem kindischen: »Bäh!«, was die Situation jedoch ziemlich gut beschreibt.

»Also raus hier«, sagt der Bäh!-Macher.

»Warte«, sagt der andere Cop. »Lass uns zuvor noch kurz in die anderen Räume schauen.«

Der Blick des Kerls, der meinen Körper gerade an der Wand zerquetscht, zuckt nach links, zum Badfenster hin. Dann wieder zu mir, und jetzt lächelt er nicht mehr.

Er nickt mir zu, ich nicke zurück, denn uns ist beiden klar, dass das die einzige Chance ist, die wir haben.

Hinter dem Fenster dürfte der verwilderte und jetzt stockdunkle Garten sein, und von dort aus müsste man es aus dem Grundstück hinaus und bis auf den Innenhof schaffen. Falls uns die Cops nicht jeweils eine Kugel in den Rücken jagen.

Er nickt mir noch mal zu, löst sich dann von mir (wobei mein Körper leise »Schade …« ächzt, trotz der Gefahr, in der wir uns befinden)und tut einen Schritt in die Mitte des Zimmers, wo ein mittelgroßer Badschrank steht.

Er greift ihn sich, als wäre es eine leere Apfelkiste, hebt ihn über den Kopf und lässt ihn dann durch das Fenster fliegen, das mit ohrenbetäubendem Splittern zerspringt.

Na so was, denke ich, und ich Dummerchen hatte gedacht, er würde das Fenster leise aufschieben und dann unauffällig verschwinden wollen.

Doch eigentlich denke ich das erst später. Im Moment besteht mein gesamtes Bewusstsein eigentlich nur aus Panik, während es meinen Körper fröhlich mit Adrenalin flutet.

Er schnappt sich einen weiteren Schrank, diesmal einen Kleiderschrank, was auch immer der im Bad verloren hat. Mit einem Ächzen schiebt er das schwere Ding vor die Tür, dann ist er mit einem Satz beim Fenster beziehungsweise was davon noch übrig ist, und setzt hindurch. Wie in Trance taumele ich hinterher, während ich die hastigen Schritte der Polizisten auf dem Flur vernehme.

Einer stellt dem anderen die ausgesprochen intelligente Frage, ob er das gerade gehört habe? Kunststück, denke ich, vermutlich gibt es keinen in den angrenzenden Häusern, der das nicht gehört hat.

Unter dem Fenster steht er, die blauen Wahnsinnsaugen zu mir aufgerichtet wie ein Romeo unter dem Balkon seiner Julia und reckt mir seine Hand entgegen. Ich ergreife sie und klettere dann ebenfalls hindurch, wobei ich darauf achte, mich nicht an den im Rahmen verbliebenen Glasscherben zu schneiden.

Dann rennen wir.

Wir haben ungefähr die Mitte des verwilderten Gartens erreicht, als die beiden Cops aus dem Badfenster zu rufen beginnen, wir mögen doch bitte stehen bleiben und unsere Hände fein artig über den Kopf erheben. Natürlich tun wir nichts dergleichen. Wir nehmen stattdessen lieber unsere Beine in die Hand.

Ich setze über eine flache Hecke, als ich auch schon den niedrigen Gartenzaun vor mir sehe. Der kleine Garten auf der anderen Seite führt zu der Toreinfahrt, durch die ich hergekommen bin, erinnere ich mich. Wenn ich die erreicht habe, muss ich nur noch auf die Straße schlendern, als wäre es die normalste Sache der Welt und dann gemütlich das Weite suchen. Die Cops werden nämlich allesamt damit beschäftigt sein, in das Haus zu stürmen, um ihren Kollegen von dort aus in den Garten hinaus zu folgen.

Zumindest hoffe ich das.

Ich springe über den Zaun, bleibe dabei allerdings mit meinem Schuh hängen und plumpse auf der anderen Seite ziemlich unsanft auf die Erde. Die zum Glück weich ist, offenbar habe ich irgendjemandes Beet erwischt. Ich setze es auf die Liste meiner heutigen Karmaschulden, als ob die nicht auch so schon lang genug wäre.

Dann blicke ich auf.

Nichts.

Ich sehe mich um, spähe über die Hecke in Richtung Haus. Aber es bleibt dabei. Mister Fantastic ist spurlos verschwunden.

Ich bin allein. Offenbar ist irgendwann in der Zwischenzeit das Signal für »Jeder Mann für sich selbst!« ausgerufen worden. Fein, denke ich, dann eben auch jede Frau für sich.

Dann mache ich, dass ich von hier verschwinde.

Kapitel Elf

Nina Hartley

Es ist gegen elf an diesem Morgen Mitte Oktober, also praktisch mitten in der Nacht und ich habe mein dunkelblaues Kostüm an. Meine wasserstoffblonden Haare fallen mir in einer kompliziert eingedrehte Pin-up-Frisur über die Schultern, meine Fingernägel sind knallrot lackiert. Seltsamerweise trage ich eine Art Schlapphut. Als ich mich in dem verrauchten Büro umsehe, merke ich, dass ich mich mitten in einem Schwarz-Weiß-Film befinde.

Hauptsächlich daran, dass alle Farbe fehlt.

Aber immerhin passt die Einrichtung zu meiner Frisur und dem ganzen Rest. Der wuchtige Eichenholzschreibtisch, die gerahmten Fotografien und ein Plakat von irgendeinem Boxkampf, auf vergilbtem Zeitungspapier gedruckt und mit ein paar Dartpfeilen gespickt.

Und irgendetwas verrät mir, dass ich in der untersten Schublade des Ungetüms von einem Schreibtisch, an dem ich sitze, eine Flasche billigen Whiskys finden werde.

Okay. Was läuft hier?

Vor den Fenstern sind die Jalousien halb heruntergelassen, sodass der Raum von einem schummerigen Halbdunkel erfüllt ist, in dem sich Lichtstreifen ihre Bahn brechen und dabei aufgewirbelten Staub in goldglänzende Mikrokosmen verwandeln. Daran ändert auch die englische Messinglampe mit dem grünen Lampenschirm nicht viel, die einen fahlen Lichtkreis auf die von ringförmigen Wasserflecken übersäte Tischplatte vor mir wirft.

Ich merke, dass ich philosophisch werde, und schiebe lässig mit dem Fuß die besagte Schublade meines Schreibtischs auf, in dem sich tatsächlich eine Flasche des besten oder zumindest des besten für mein spärliches Einkommen erhältlichen Scotch befindet.

Na sieh an.

Meine Laune, die ohnehin seit Tagen nicht gerade auf ihrem Höhepunkt ist, sinkt allerdings noch ein Stückchen weiter, als ich bemerke, dass sich nichts als Luft und ein angetrockneter Bodensatz in der Flasche befinden. Na ja, Pech gehabt. Ärgerlich schiebe ich die Schublade wieder zu.

Was meiner Laune seit Tagen einen Dämpfer verpasst, ist dieser Fall. Beziehungsweise die Richtung, in die er sich entwickelt hat. Das ist nämlich eine, die mir ganz und gar nicht gefällt, No Sir, no Ma’am. Zumal die Puppe mit dem ausgesprochen fantasievollen Namen Miss Strangely, die mir diesen erstklassigen Schlamassel eingebrockt hat, mir nichts davon verraten hat, dass mich die Suche nach ihrem angeblich verschollenen Bruder in Kontakt mit einer der gefährlichsten Verbrecherbanden der Stadt bringen würde. Rocky Baronowskys Bande von gesetzlosen Strauchdieben, genau genommen, die er unter dem einleuchtenden Namen »Die rote Hand« um sich geschart hat. Und nun habe ich sozusagen Hautkontakt mit dem Boss der roten Hand höchstpersönlich. Wenn man die letzte Warnung, die er mir durch seine Jungs hat zukommen lassen, so nennen will.

Ich solle meine dreckige Schnüfflernase aus diesem Fall ziehen, hatte er mir ausrichten lassen, solange sie mir noch hübsch mitten im Gesicht sitze. Und dazu hatte einer seiner Jungs ein paar Kunststücke auf einer Geflügelschere vorgeführt, die jeden Sternekoch hätte erbleichen lassen.

Aber natürlich habe ich meine Nase nicht aus dieser Sache lassen können. Auf der Milchglasscheibe meiner Bürotür steht schließlich nicht ohne Grund Samantha Spade, Privatdetektivin.

Ironischerweise ist es eben jene Tür, die jetzt mit einem lauten Krachen auffliegt und zu meiner eher gelinden Überraschung stehen kurz darauf besagter Rocky und zwei seiner professionellen Einschläferer in meinen bescheidenen Hallen. Und wenn ich Einschläfer sage, meine ich damit nicht, dass sie besondere Langweiler wären.

Ich nehme mein Zigarettenetui vom Tisch, klappe es auf und als ich gerade einen Glimmstängel unter dem Gummiband in dem silbernen Kästchen hervorziehen will, wird mir auch schon beides aus der Hand geschlagen und eine ganze Menge Arbeit, Tabak und das silberne Etui fliegen quer durch den Raum.

Schöne Bescherung, und nun darf ich ganz sicher sein, dass die windigen Typen nicht auf eine nette Konversation vorbeigeschaut haben. Welch eine Überraschung.

»Wir hatten dich gewarnt, Spade«, giftet einer der beiden Kühlschränke auf Beinen. »Solltest dein hübsches Näschen raushalten aus der Sache.«

Jetzt erinnere ich mich. Das war derjenige mit der Geflügelschere.

Ich ignoriere ihn, hauptsächlich, weil Rocky dasselbe tut. Wenn ich mich schon demnächst mit Betonfüßen auf dem Grund des Hudson wiederfinde, will ich meine letzten Minuten in diesem irdischen Jammertal nicht damit verschwenden, dem Gequatsche eines drittklassigen Handlangers zuzuhören.

Der andere ist inzwischen um den Tisch gewetzt und wischt jetzt mit einer Bewegung seiner eindrucksvoll langen Arme die paar Unterlagen vom Schreibtisch, die sich darauf befunden haben. Weil das nicht allzu viele waren, macht es keinen besonders großen Eindruck auf irgendwen.

Dann packt er mich an den Oberarmen und bohrt mir seine Pranken ins Fleisch, als wären es Baggerschaufeln. Aber zum Fortlaufen habe ich längst keine Lust mehr, ich weiß, wann die Schlacht verloren ist. Ich wünschte nur, in der Flasche wäre noch was drin gewesen.

Der Sternekoch holt seine Geflügelschere hervor und entfernt vorsichtig ein dickes Gummiband, das die beiden Schenkel des Küchenutensils zusammengehalten hat. Dann lässt er sie aufschnappen. Das ist kein besonders schönes Geräusch, aber ihm scheint es zu gefallen. Vielleicht erinnert es ihn an seine Mutter, wenn die in der Küche stand und den Sonntagsbraten zubereitete. Vielleicht ist er aber auch ein Irrer, der drauf steht, an Menschen herumzuschnippeln.

»Seht zu, dass ihr den Teppich nicht versaut«, sage ich. »Der ist neu und noch nicht abbezahlt.«

Ich sage es nur so daher, weil ich nicht glaube, dass die Holzköpfe sich mit derartigen Nebensächlichkeiten aufhalten werden, aber schade wäre es trotzdem um den schönen Perser.

Rocky lacht auf, und ich sehe seine eisblauen Augen blitzen. Ich muss zugeben, dass der Boss sich von dem Rest seiner halb garen Bande wohltuend dadurch abhebt, dass sein Gesicht nicht aussieht wie die Visage eines Preisboxers, der im Ring ein paar Mal zu oft den Verlierer geben musste. Rocky sieht verdammt gut aus, um es mal bescheiden auszudrücken. Und das weiß er. Ein Jammer, dass wir auf so verschiedenen Seiten des Gesetzes stehen.

»Sie haben Mumm, Miss Spade, das muss man Ihnen lassen«, sagt Rocky und schenkt mir ein wölfisches Grinsen, das den Anschein hat, als wollte er sich auf mich stürzen und am Stück verschlingen. Und dann sehe ich etwas in diesen eisblauen Augen, und mir wird klar, dass er das vielleicht tatsächlich vorhat.

Und dass ich nicht mal was dagegen hätte.

Er muss es wohl auch gesehen haben, denn er sagt unvermittelt: »Raus mit euch.«

Er sagt es ganz leise, aber der Scherenschnittheini hört sofort damit auf, nervtötende Geräusche mit den Klingen seines Folterinstruments zu produzieren, und auch Mister Schraubstocks Griff lockert sich augenblicklich.

»Boss«, sagt der Schraubstock. »Sind Sie sicher, dass …?«

»Das was?«, stößt Rocky zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, während er sich vorbeugt und mich dabei nicht aus den Augen lässt.

»Na ja, ich meine … die Puppe könnte eine Knarre im Strumpfband haben oder so was, Boss.«

Idiot, denke ich. Natürlich habe ich die nicht im Strumpfband. Wie soll das auch funktionieren bei dem hautengen Bleistiftrock, den ich trage?

»Oh, das hoffe ich doch«, sagt Rocky und leckt sich über die Lippen.

Sein Gesicht ist jetzt so nahe vor mir, dass ich sein Aftershave riechen kann. Es ist eins von der teuren Sorte. Eine von denen, die kleine Mädchen mühelos um den Verstand bringt. Und mich vielleicht auch ein bisschen. Er stützt seine Arme auf beiden Seiten meines Körpers auf den Schreibtisch und schaut mir unverwandt in die Augen, was ich erwidere. Was immer er vorhat, ich werde nicht vor ihm kuschen.

Seine beiden Gorillas scheinen auch endlich kapiert zu haben, dass sie hier nicht mehr gebraucht werden, und machen einen Abflug, der letzte von ihnen schließt leise die Tür hinter sich.

»Du gefällst mir, Puppe«, flüstert Rocky und kommt mir jetzt noch ein bisschen näher. »Aber was du dir da geleistet hast – das war nicht sehr schlau, oder?«

Unsere Nasenspitzen berühren sich jetzt und plötzlich komme ich mir doch ein bisschen hilflos vor. Ein kleines Bäumchen, vor dem sich urplötzlich eine Felswand auftürmt. Und ich muss sagen, das ist nicht mal ein unangenehmes Gefühl.

»Mit dieser Nummer bist du deutlich zu weit gegangen, das ist dir klar, oder?«

Ich nicke langsam und atme aus. Nicht, weil ich ihm zustimmen möchte, sondern weil ich es muss. Sein Blick ist hypnotisch wie der einer Klapperschlange und ich bin die kleine Maus, die dumm genug war, ihn zu erwidern. Arme kleine Maus. Auf Wiedersehen, kleine Maus.

»Und du weißt, was mit Mädchen passiert, die zu weit gehen?«

Ich schüttle den Kopf, wobei ich es immer noch nicht fertigbringe, seinem Blick auszuweichen.

»Solche Mädchen müssen bestraft werden, weißt du?«, sagt er.

Und vermutlich hat er damit recht. Mein Herz rast, ich spüre, wie mein Blut durch meine Halsschlagader pulsiert, als er den Kopf endlich senkt und seine Lippen sanft auf diese Stelle drückt.

»Also werde ich dich bestrafen müssen, kleines Mädchen«, murmelt er an meiner Halsbeuge und ich stöhne auf. Ich kann nicht anders. Er macht mich wahnsinnig.

Dann hat er genug von den Spielchen.

Er packt mir in mein eben noch aufwendig frisiertes Haar und reißt es mit einem Ruck in den Nacken, der Schlapphut rutscht mir vom Kopf und fliegt irgendwo hin. Dann ist sein Mund auf meinem. Nicht mehr die sanfte, schmeichelnde Berührung von eben. Rücksichtslos drängt er meine Lippen auseinander und schiebt seine Zunge in meinen Mund. Mir bleibt gar nichts anderes übrig, als seinen Kuss zu erwidern, während er jetzt beginnt, an meiner Zunge zu saugen, als wollte er sie mir aus dem Mund reißen.

Dann lässt er von mir ab, tritt einen halben Schritt zurück und starrt mich an. In seinen Raubtieraugen steht die Mordlust. Aber es ist eine ganz spezielle Art von Mordlust, bei der ich nicht um mein Leben fürchte, zumindest nicht in den nächsten paar Minuten. Was ich allerdings befürchte, ist, dass seine Jungs anschließend nicht mehr viel von mir vorfinden könnten, das sie mit Betonschuhen ausstatten können.

Er zerrt mich vom Stuhl hoch und wirft mich rücklings auf meine Schreibtischplatte, das alles in einer einzigen, fließenden Bewegung. Dann packt er mich an den Hüften, zerrt mich in seine Richtung, wobei auch noch die Messinglampe herunterfällt und der grüne Glasschirm mit einem lauten Klirren das Zeitliche segnet.

Mit ruppigen Bewegungen bringt er mich in die Position, in der er mich haben will, und ich habe diesem Ansinnen rein gar nichts entgegenzusetzen. Ich bin der Landstrich, über den gerade ein Orkan namens Rocky Baronowsky fegt, der nichts als wüstes Land zurücklassen wird.

Als er meine Bluse aufreißt, springen die Knöpfe in alle Richtungen, dann fetzt er mir meinen hübschen Spitzen-BH vom Leib, als wäre der aus Papier. Sein Kopf senkt sich über meinen Oberkörper und er macht sich darüber her wie ein Verhungernder über ein Kuchenbüfett. Er saugt an meinen steil aufgerichteten Nippeln, während er meine Brüste mit seinen kräftigen Händen knetet, oder besser gesagt, durchpflügt. Dann sind seine Lippen plötzlich wieder auf meinen und jetzt bin ich es, die gierig an ihnen saugt.

Ich will diesen Kerl, vielmehr: Ich will, dass er sich von mir nimmt, was er braucht. Weil das hier sozusagen meine Henkersmahlzeit ist, bloß bin ich dabei die Mahlzeit, und er mein Henker. Ich will, ganz im Ernst, dass er mich bei lebendigem Leibe auffrisst.

Und genau das tut er.

Er reißt mir den Rock von den Schenkeln, darunter kommen halterlose Strümpfe zum Vorschein, allem Anschein nach aus Seide. Hübsch. Bis er sie zerfetzt.

»Na bitte«, murmelt er. »Keine Waffe.«

Dann schiebt er meinen Slip beiseite, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, ihn mir auszuziehen. Was mir nichts ausmacht, denn der ist inzwischen ohnehin klatschnass.

»Du versaute kleine Schlampe«, nennt er mich und das turnt mich so an, dass ich augenblicklich meine Beine spreize und ihm den Beweis für seine Behauptung förmlich ins Gesicht drücke. Er versteht das Signal und macht sich gierig darüber her. Mit Zunge und Fingern stößt er vor, um gnadenlos mein Allerheiligstes zu plündern.

Ich glaube, ich quieke ein paar Mal vor Lust, während seine Zunge und seine überaus geschickten Finger mich mehrmals an den Rand des Wahnsinns bringen. Dann hört er plötzlich auf und stellt sich zwischen meine weit gespreizten Beine.

»Bitte«, bettele ich, denn er kann jetzt nicht einfach aufhören. Er darf nicht!

»Bitte, was?«, fragt er, den Blick seiner hungrigen Wolfsaugen auf mich gerichtet.

»Bitte lass mich kommen, Rocky«, hauche ich.

»Ist das dein letzter Wunsch in diesem Leben, Puppe?«, fragt er.

Ich nicke, während mir Tränen in die Augen treten. Was immer er und seine Schlägertypen anschließend mit mir vorhaben mögen, das hier war es wert. War alles wert.

»Ja«, hauche ich mit brechender Stimme.

Da nickt er, öffnet in einer blitzschnellen Bewegung seinen Gürtel und präsentiert mir den prächtigsten Schwanz, den ich je gesehen habe. Dies ist kein Geschlechtsorgan, es ist eine Massenvernichtungswaffe.

Ich stöhne auf und lecke mir voller Vorfreude die Lippen.

Ohne ein weiteres Wort setzt er das Gottesgeschenk an meinen Eingang und rammt es mit einem einzigen Stoß bis zum Anschlag hinein.

Ich brülle auf, während ich vor Lust zerfließe und …


Und da erwache ich mit klatschnassem Höschen und zitternden Schenkeln. Blinzelnd öffne ich die Augen und versuche, aus meinem Traum in eine Realität zurückzufinden, die dagegen nur fad und belanglos erscheinen kann.

Oh mein Gott, denke ich, während ich den letzten Wellen meines verebbenden Höhepunktes nachspüre. Oh mein Gott.

Die Sonne scheint in dünnen Lichtstreifen in mein Zimmer, winzige Staubkörner schweben goldglänzend durch die Stille. Meine Augen folgen ihnen träge. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so heftig gekommen bin.

Aber dafür weiß ich ziemlich genau, wer der fiktive Gangster Rocky Baronowsky in Wirklichkeit ist. Und dass ich ihn auf keinen Fall wiedersehen kann, nicht nach diesem Traum.

Zumindest nehme ich mir das ganz fest vor.

Kapitel Zwölf

???

Ich finde, es wird allmählich Zeit für den nächsten Schritt. Seit fast zwei Stunden beobachte ich nun das Haus der jungen Frau, daher finde ich, sollten wir uns allmählich besser kennenlernen.

Wobei es vermutlich eher darauf hinauslaufen wird, dass sie mich kennenlernt, und auch diese Freude wird für sie leider nur von kurzer Dauer sein.

Sie ist genau so, wie ich sie brauche, wenn sie natürlich auch nicht an das Original heranreicht, aber das tut schließlich keine von ihnen. Das Mädchen ist blond, jung, hübsch und sie lächelt viel. Das hat sie jedenfalls getan, während ich ihr durch die Stadt gefolgt bin.

Sie war ein bisschen shoppen, trank dann irgend so ein überteuertes Latte-macchiato-irgendwas-Gesöff und war den größten Teil der Zeit damit beschäftigt, auf ihr Handy zu starren. Wie alle anderen. Manchmal frage ich mich, ob sie es uns ganz bewusst leicht machen wollen. Ich hätte an ihr kleben können wie eine Klette und sie hätte es nicht mal bemerkt. Beinahe zu einfach.

Nach Hause hat sie die U-Bahn genommen, und da sie mir gefallen hat, bin ich ihr gefolgt. Sie sah nicht so aus, als ob sie sich ihre Brötchen an der Kasse irgendeines Supermarktes verdienen müsste und die Klamotten, die sie gekauft hat, stammen aus Läden, die niemals Sommerschlussverkauf machen und keine Preisschildchen an ihre Waren hängen.

Daher nahm ich an, dass sie auch entsprechend gut situiert wohnt und wurde nicht enttäuscht. Das heißt, sie lebt in einer ruhigen Gegend, in einem Haus, das von einem Grundstück umgeben ist, dessen Grenze eine mannshohe Hecke bildet. Besser geht’s nicht.

Ich hatte sogar mehr Glück, als ich gehofft hatte. Nicht nur wohnt das Mädchen in einem gemütlichen kleinen Häuschen zurückgesetzt hinter einem Gartengrundstück – nein, allem Anschein nach lebt sie auch noch allein hier.

Nicht, dass mich ein Freund oder Ehemann aufgehalten hätte, aber wenn keiner da ist, um den man sich kümmern müsste, macht das die Sache natürlich noch leichter.

Inzwischen bin ich ein paar Mal in aller Ruhe an dem Grundstück vorbeigeschlendert – selbstverständlich mit tief in die Stirn gezogenem Hut – und daher weiß ich jetzt auch, wo die Kameras angebracht sind und wie ich sie ausschalten kann.

Ich schaue auf die Uhr und beschließe, dass es Zeit ist.

Sofort stellen sich die kleinen Härchen in meinem Nacken auf und eine Erregung, die an elektrische Aufladung erinnert, ergreift von mir Besitz. Ich schlendere auf das Tor zu, als wäre ich ein verspäteter Besucher, auch wenn ich heute Nacht der einzige Gast auf dieser speziellen Party sein werde.

Ich beuge mich hinab und tue so, als spräche ich mit jemandem, dessen Stimme durch den kleinen Lautsprecher dringt, der in den gemauerten Torbogen eingelassen ist. Nur für den Fall, dass es hier neugierige Nachbarn gibt. Dann schiebe ich das Tor auf, betrete das Grundstück und befinde mich damit sofort außerhalb des Sichtbereichs besagter neugieriger Nachbarn, falls es die überhaupt gibt.

Ich nähere mich der Haustür seitlich, um zu vermeiden, dass ein Bewegungsmelder mich erfasst, dann werfe ich einen Blick durch die Glastür in den Flur. Hübsch, so eine Glastür, aber praktisch eine Einladung für Einbrecher und sonstiges Gesocks, denke ich und muss ein bisschen grinsen. Denn ein Einbrecher bin ich ja nicht so richtig, die fraglos reichlich vorhandenen Wertgegenstände des Mädchens interessieren mich nicht im Geringsten.

Die Alarmanlage ist ein Witz, das kann ich sogar von hier aus erkennen. Und sie wird ohnehin nicht losgehen. Ich spähe auf das Klingelschild und erfahre so den Namen meiner Prinzessin für diese Nacht.

Doherty, steht auf dem Klingelschild. Was vermutlich bedeutet, dass sie eher eine Mrs. ist als eine Miss, aber hey, ich will nicht päpstlicher sein als der Papst.

Nun denn, Miss Doherty, Ihr Prinz ist da, und er hat ein bisschen was von der Nacht da draußen mitgebracht.

Es wird Zeit, ihm die Tür zu öffnen.

Im hinteren Teil des Flurs sehe ich Licht und eine Bewegung, aber keine flackernden Farben, wie sie für einen laufenden Fernseher typisch wären. Also ist sie noch wach und es gibt keinen Lärm, der mein Klopfen übertönen würde, bestens. Vielleicht macht sie sich ja gerade bereit, ins Bett zu gehen, steht vielleicht in nichts als einem Slip und einem dünnen Nachthemdchen vor mir, wenn sie die Tür öffnen wird? Ich spüre, wie die Erregung weiter von mir Besitz ergreift. Sie wird meine Prinzessin sein und ich ihr Prinz, und wie es sich für einen Prinzen gehört, komme ich nicht ohne Geschenke.

Und werde nicht ohne Geschenk gehen müssen, aber dazu später.

Ich bücke mich nach ein paar Steinchen und trete dann einen Schritt zurück. Der Bewegungsmelder lässt die Lampe über der Eingangstür anspringen, und als das passiert ist, stelle ich mich neben die Tür an die Hauswand, damit sie mich von drinnen nicht sehen kann. Dann beginne ich damit, die kleinen Steinchen gegen das Glas der Haustür zu werfen.

Bei Steinchen Nummer vier höre ich, wie sich von drinnen Schritte nähern. Ich werfe den letzten Stein gegen die Tür, greife in meine Tasche und hole das Tuch und die kleine Flasche Chloroform hervor, das andere Geschenk lege ich vorsichtig auf dem Boden ab, ich werde es später holen.

Als sie die Tür erreicht, bin ich bereit. Mein Körper ist wie ein straff gespanntes Drahtseil, wie ein Panther auf dem Sprung, während ich warte.

Ich kann sehen, wie sie durch die Scheibe nach draußen schaut, nur durch einen Zentimeter Glas von mir, ihrem Schicksal getrennt. Mich sieht sie nicht, noch nicht.

Natürlich hat sie keine Ahnung, was die seltsamen Klopfgeräusche von eben verursacht haben könnte. Ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken, als ich höre, wie sie die Verriegelung der Tür zurückschiebt und öffnet. Einen Moment später steckt sie den Kopf heraus.

»Hallo? Ist da jemand? Bist du das, Frank?«

Nein, Prinzessin, denke ich, nicht Frank. Sondern dein Prinz, dein Nachtprinz ist hier.

Wie eine Schlange schieße ich vor, greife mitten in ihr weiches, blondes Haar und zerre sie mit dem Kopf voran vollends aus der Tür. Von der plötzlichen Bewegung gerät sie ins Stolpern und droht, das Gleichgewicht zu verlieren, doch ich fange sie geschickt auf. Sie stößt einen kleinen spitzen Schrei der Überraschung aus, aber ich mache mir keine Sorgen, dass jemand auf dieses Geräusch reagieren wird. Während sie noch versucht, ihre Balance wieder zu finden, bin ich schon hinter ihr und presse ihr den Lappen aufs Gesicht.

Für ein paar Sekunden kämpft sie noch, dann sackt sie in meinen Armen zusammen.

Ich stoße die Tür mit dem Absatz ganz auf und schleife mein bewusstloses Opfer hinein, dann den Flur entlang, an dessen hinterem Ende ich sie sanft an der Wand zu Boden gleiten lasse, bevor ich hinausgehe, um mein Geschenk zu holen. Anschließend verschließe ich die Tür hinter mir und auch die Verriegelung vergesse ich nicht. Nur für den Fall, dass sie noch anderen Besuch erwartet hat, was ich allerdings nicht glaube.

Sie trägt tatsächlich nichts als einen pinkfarbenen Slip und ein weißes T-Shirt mit irgendeinem dämlichen Aufdruck, vermutlich war sie also tatsächlich auf dem Weg ins Bett. Das trifft sich gut: Ich helfe ihr gern dabei, diesen letzten Weg zu gehen.

Ihr hübsches Gesicht werde ich mir dabei bis ganz zum Schluss aufsparen.

Kapitel Dreizehn

Nina Hartley

»Das ist nicht fair!«, rufe ich. »Das kannst du nicht mit mir machen!«

Charly zuckt mit den Schultern. Was vermutlich heißen soll, dass ich recht habe. Es ist nicht fair, ja. Aber das hält ihn nicht davon ab, mir trotzdem den Hahn abzudrehen.

»Die Story ist durch, Nina«, sagt er. »Was du in den letzten beiden Tagen gebracht hast, waren hervorragende Artikel zum Geschehen vor Ort, aber diese Sache ist gerade dabei, von den Titelseiten zu verschwinden, und zwar für immer.«

»Aber die Polizei ermittelt noch«, murre ich.

Oh, wie ich Barney dafür hasse, dass er mir etwas verraten hat, das ein erstklassiger Aufhänger sein könnte, das ich aber leider nicht verwenden darf.

»Ich bin nachts in diesem Haus herumgestiegen, Charly. Das war scheißgruselig.«

Mal davon abgesehen, dass es auch scheißillegal war und ich als Dreingabe von einem Riesenkerl und seiner furchteinflößenden Erektion förmlich an die Wand genagelt worden bin.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739431970
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Oktober)
Schlagworte
Mafia Liebesroman Millionär Bad Boy Unterwerfung Entführung Dominanz Alpha Erotik Krimi Thriller Spannung Liebe

Autor

  • Jean Dark (Autor:in)

Jean Dark interessiert sich für die mysteriöse, dunkle Seite der Liebe und Leidenschaft. Ihre Bücher wenden sich an ein erwachsenes Publikum, das auf der Suche nach spannenden Liebesromanen mit prickelnden Szenen zwischen Erwachsenen und einer vorhandenen Handlung ist. Es geht um starke, dominante Männer und Frauen, die nicht auf den Mund gefallen sind. Wer das sucht, wird bei ihren spannenden Liebesromanen mit Krimi- und Thrilleranteil fündig.
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Titel: Kiss Me Killer: Nina & Roman