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HASS: Unschuldig in seiner Gewalt

Psychothriller

von Paul Anger (Autor:in)
160 Seiten

Zusammenfassung

Ex-Polizist Herbert glaubt, dass sein Bruder Donnie einem Mädchen auf den Leim gegangen ist, das ihn nur ausnutzt. Also beschließt er, sich der Sache persönlich anzunehmen und lockt die Freundin seines Bruders in eine Falle. Herberts gewalttätige Psyche gerät zunehmend außer Kontrolle, während er das Mädchen im Keller seines Hauses foltert, damit sie die Wahrheit zugibt — oder das, was der gestörte Ex-Bulle für die Wahrheit hält. Während Herberts Ehefrau und Tochter vorgeben, nichts von den eskalierenden Grausamkeiten im Keller ihres Hauses zu ahnen, sucht Donnie verzweifelt nach seiner verschwundenen Freundin. Doch Psychopath Herb stößt auf einen Verrat, der noch viel tiefer geht …

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über das Buch:

Ex-Polizist Herbert glaubt, dass sein Bruder Donnie einem Mädchen auf den Leim gegangen ist, das ihn nur ausnutzt. Also beschließt er, sich der Sache persönlich anzunehmen und lockt die Freundin seines Bruders in eine Falle. Herberts gewalttätige Psyche gerät zunehmend außer Kontrolle, während er das Mädchen im Keller seines Hauses foltert, damit sie die Wahrheit zugibt — oder das, was der gestörte Ex-Bulle für die Wahrheit hält.

Während Herberts Ehefrau und Tochter vorgeben, nichts von den eskalierenden Grausamkeiten im Keller ihres Hauses zu ahnen,  sucht Donnie verzweifelt nach seiner verschwundenen Freundin.

Doch Psychopath Herb stößt auf einen Verrat, der noch viel tiefer geht …

HINWEIS: Enthält verstörende Szenen expliziter Gewaltdarstellung und vulgäre Sprache. Empfohlen für nervenstarke Leser. Bei diesem Buch handelt es sich um eine komplett neu überarbeitete Fassung des Thrillers »Vom Dunkel der Seele".

Außerdem von Paul Anger erschienen:

BÖSES MÄDCHEN TOTES MÄDCHEN (Hardcore-Psychothriller)

Lektorat: Anne Bräuer, Textbüro Bräuer, Frankfurt am Main, Umschlaggestaltung: Ideekarree Leipzig, unter Verwendung von ©Maffy.MassimoMeloni, Fotolia.com. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Alle in diesem Roman beschriebenen Personen sind fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Impressum: Paul Anger, c/o Ideekarree, Alexander Pohl, Breitenfelder Str.66, 04157 Leipzig, E-Mail: paulanger@ideekarree.de| Tel.: 0341/91 888 977

1

Herb tut was für seine Gesundheit

»Die Ohnmacht, die aus der Hoffnungslosigkeit hervorgeht, ist ebenso grausam wie die Hoffnung selbst.«

– Lu Xun

* * *

Herb schwitzte wie ein Schwein. Seine Pumpe raste, seine Haut fühlte sich kalt und fettig an. Sein T-Shirt klebte an seinem Oberkörper, als hätte er vergessen, es beim Duschen auszuziehen. Schweiß tropfte von seiner Stirn und brannte in seinem gesunden Auge. Er fuhr mit dem Zeigefinger unter das getönte Glas der Sonnenbrille und wischte ihn weg. Seine Knie taten ihm weh und in den Muskeln seiner Oberschenkel pulsierte die Vorahnung des Muskelkaters, den er morgen haben würde. Die blöde Beinschiene machte es kein bisschen besser, schönen Dank auch.

Und dass Weizsack, dieser Idiot, drauf bestand, dass er sie abnehmen könne. Was wusste der schon? Ohne die Schiene war er aufgeschmissen.

Herb stützte sich an einem Baum ab und tat so, als würde er mit einem Stöckchen etwas aus der Sohle seines nagelneuen Laufschuhes pulen. In der heute einmal keine Hundescheiße steckte. Verfluchter Park, diese bekackten Tölen ließen es hier einfach fallen und hernach kümmerte sich kein Schwein darum.

Herb warf das Stöckchen weg, rückte die Sonnenbrille zurecht und setzte seinen Lauf fort. Verfiel sogar in einen leichten Trab. Was aber nicht hieß, dass er sprinten würde, ganz bestimmt nicht. Laut Dr. Weizsack war das auch gar nicht notwendig. Nur ein bisschen das Herz strapazieren, hatte der Quacksalber gesagt. Dazu genügte es, alle zwei Tage ein paar Runden durch den Park zu joggen. Durch den Park, ausgerechnet. Na wenigstens fiel er hier nicht auf zwischen all den Lauffanatikern in ihren hautengen, schwarz glänzenden Sportanzügen und den knallbunten Laufschuhen. Je bunter desto teurer. Je teurer, desto wichtiger kamen sie sich vor. Vollidioten. Herb bevorzugte bequem geschnittene Baumwollhosen. Was für Rocky Balboa gut genug war, konnte auch ihm nur recht sein. Bei den Weibern waren diese engen Hosen allerdings in Ordnung, fand Herb und musste grinsen. Davon musste er Donnie unbedingt erzählen. Von den strammen Ärschen der Weiber in den knallengen Hosen, und wie sie damit herumwedelten. So gesehen hatte Weizsacks Vorschlag durchaus was Gutes.

Herb stieß ein keuchendes Husten aus. Etwas Schleimiges, das ein bisschen nach Blei schmeckte, blieb in seinem Mund zurück. Er spuckte es aus und rannte weiter.

Merkwürdigerweise tat das Bein, an dem die Schiene war, kaum noch weh. Was seltsam war, da ihm das verdammte Ding sonst in jeder Lebenslage nach Kräften nervte und unsägliche Schmerzen bereitete. Jetzt merkte er fast gar nichts. Shit. Würden die das irgendwann rausbekommen? Würden sie ihm die Schiene irgendwann wirklich abnehmen und dann bye bye monatlicher Rentenscheck?

Blödsinn, schnaubte Herb.

Blödsinn, der Knochen war gesplittert. Irreparabel, nicht wieder hinzubiegen, da war er ganz sicher, egal, was Weizsack ihm einreden wollte. Konnte schon sein, dass er hin und wieder einigermaßen durch die Gegend humpeln konnte, aber ohne die Schiene würde er nie mehr auskommen, sein ganzes Leben nicht, da war Herb ganz sicher.

Außerdem war da noch die Sache mit dem Auge.

Herb bemerkte, dass er pissen musste.

Schon wieder.

Obwohl er vorhin erst gewesen war, bevor er zu diesem mörderischen Track gestartet war. Musste wohl an dem beschissenen Wasser liegen. Zwei Liter am Tag, Minimum. Weizsack, dieser beschissene Quacksalber. Musste auch an den Pillen liegen, die er Herb verschrieben hatte. Pisspillen, haha.

Ein Mordsspaß, bloß eben nicht für Herb.

Herb bog vom Oval des Hauptwegs ab und drosselte die Geschwindigkeit, seine Lungen sagten Dankeschön. Ein bisschen sportlicher Ehrgeiz war noch lange kein Grund, sich in die Hose zu pissen, fand Herb. Ein paar Büsche gab es hier, die einen besseren Trampelpfad von der Liegewiese trennten. Da war eine leere Bank, rechts am Weg. Aber zu wenige Büsche für das, was Herb vorhatte.

Herb rannte noch ein Stück, dann machte sich der Druck in seinem Prügel aber wirklich bemerkbar. Verfluchter Schwuchteldoktor Weizsack und sein beschissenes Laufprogramm und seine beschissenen Medikamente, die nichts brachten außer dass man einen Druck auf dem Riemen hatte wie ein Zuchtpferd und zwei Mal die Woche Dünnpfiff.

Hier waren die Büsche zahlreicher und es gab ein paar Bäume. Jetzt oder nie. Sein Blick streifte ein benutztes Kondom, das am Zweig eines niedrigen Busches hing. Er wandt sich rechts am Kondom vorbei dem Rhododendron zu. Oder wie immer diese großblättrigen Scheißdinger hießen. Jesses, höchste Zeit für den kleinen Lokomotivführer, höchste verfickte Zeit. Herb holte ihn raus und erstarrte. Während er mit der Kordel an seinem Hosenbund gekämpft hatte, war er ein paar Schritte weitergegangen. Die Bank, die hier stand, hatte er vorher gar nicht bemerkt, jetzt wäre er beinahe dagegen gerannt. Herb schlüpfte hinter einen Baum.

Die Bank an sich hätte ihn ja nicht gestört, aber auf der Bank saßen Leute. Die waren in ein ziemlich angeregtes Gespräch vertieft, deshalb hatten sie Herb wohl nicht bemerkt. Und seinen heraushängenden Prügel. Wäre sicher auch ein Mordsspaß gewesen, wenn die Frau auf der Bank sich umgedreht hätte und direkt auf seinen Schwanz gestarrt hätte. Herb war kein Idiot. Er wusste, dass die meisten Leute diese Art von Scherzen nicht verstanden, und es jede Menge Richter gab, die diese Art von Schabernack überhaupt nicht lustig fanden, zumal bei einem Cop. Korrektur: Ex-Cop, Scheiße auch.

Dann sah er, dass es Schlitzaugen waren, alle beide. Ein Schlitzaugenpärchen. Das Schlitzaugenmädchen schien sogar einigermaßen hübsch zu sein, wenn man sowas mochte. Schwarzglänzendes Haar. Jetzt drehte sie sich zu dem Kerl um, der ebenfalls irgendein Japse war oder sowas, und Herb sah ihr Profil. Der Kerl mochte auch ein Koreaner sein oder ein verfluchter Samoaner, für Herb sahen die Schlitzaugen sowieso alle gleich aus.

Möglicherweise auch ein Chinese. Ja, möglicherweise auch das.

Herb stand hinter dem Baum und hielt seinen Schwanz umklammert. Das mit dem Pissen war vergessen, er starrte zur Bank und dem Mädchen mit dem langen, schwarzen Haar, das ihn noch immer nicht bemerkt hatte, obwohl er ganz nah war.

Herb fand, dass sich der Schwanz in seiner Hand irgendwie gut anfühlte. Natürlich tat er das, denn er war ein Mordsprügel, um den ihn jeder andere Kerl beneidet hätte. Aber da war noch etwas. Er begann jetzt, sich aufzurichten. Würden die beiden es vielleicht treiben, hier vor seinen Augen, keine Armlänge von ihm entfernt? Das war möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich. Aber es genügte, sich das vorzustellen, damit die Schlange ihren Kopf erhob. Aus dem Gebüsch lugte, und sich bereit machte, zuzustoßen.

Verdammt noch eins, das genügte vollauf. Das und dieses lange, seidig glänzende Haar.

Herb stand grinsend hinter einem Baum und ließ die Hand langsam vor und zurück gleiten, während er wie hypnotisiert auf das Haar des hübschen Schlitzaugenmädchens starrte. Vor und zurück, ein Mordsspaß. Er warf einen nervösen Blick zurück zum Weg, von wo er gekommen war. Da war keine Sau. Und obendrein ein Rhododendronbusch zwischen ihm und dem Weg da, der ihn einigermaßen vor neugieren Blicken verbarg.

Das schwarzhaarige Mädchen rückte näher an den Kerl heran, und er an sie. Gleich, oh ja, gleich. Der Japse, oder was immer er war, legte seinen Arm um ihre Schulter und dann ... dann drückte er sie an sich. Sie trug eine weiße Bluse, und auf der rechten Seite, dem Kerl zugewandt, war die Bluse schulterfrei. Dort schimmerte ihre Haut in der Sonne, und die war kein bisschen gelb oder so, wie es immer hieß bei den Schlitzaugen. Die Haut war so hellbraun und samtig wie die der nächstbesten Bikinischönheit. Es würde sich himmlisch anfühlen, diese Haut anzufassen. Und ihre Titten? Klein und fest, ohne jeden Zweifel. Musste so sein. Die Schlitzaugenweiber hatten Titten wie Teenager, das wusste jeder. Und obwohl Herb es gern ein paar Nummern größer hatte, war das irgendwie geil, hier und jetzt. Klein und fest.

Seine Hand glitt vor und zurück.

Herb wusste, dass asiatische Frauen beim Ficken Geräusche machten wie kleine Schulmädchen. Sie stießen diese hohen Quieklaute aus wie kleine Ferkel. Das hatte er mal mit Donnie gesehen, während einer ihrer Pokerrunden im Keller.

Der Kerl auf der Bank zog sie noch ein bisschen zu sich heran, und schließlich presste er seine Lippen auf ihre, und sie ließ das einfach geschehen, den Kopf in den Nacken gelegt, stieß sie ein ganz leises Seufzen aus.

Das genügte.

Und dann war es zu spät. Einfach so, ohne Vorwarnung, verdammte Scheiße, und vielleicht waren auch daran Weizsacks verdammte Medikamente schuld. Er war noch nicht mal richtig hart gewesen! Er stolperte rückwärts, sein zuckendes Glied noch in der Hand, und trat auf einen Ast, der knackend zerbrach. Der Kopf der Kleinen auf der Bank wirbelte herum und sah seinen Schwengel und fuhr zusammen und dann starrte sie Herb direkt ins Gesicht, beziehungsweise in die Gläser seiner großen, dunklen Sonnenbrille.

Die Zeit gefror.

Der Kerl machte bestimmt auch irgendwas. Aber falls es so war, bekam es Herb nicht mit. Für ihn gab es nur das erschrockene Gesicht der Asiatin, die weit aufgerissenen, schwarzen Augen, den Mund zu einem großen, stummen ›O‹ verzogen. Die hatte eine Scheißangst. Na ja, irgendwie verständlich. Immerhin stand er hier in der Gegend herum und hatte seinen Schwanz in der Hand, was einerseits ganz bestimmt ein Mordsspaß war, ihn andererseits aber wie einen ausgewachsenen Perversen aussehen ließ. Also machte Herb das einzig Vernünftige. Er drehte sich herum und rannte zurück auf den Weg, so schnell er konnte. Er wischte den letzten Rest des Schleims von seinem immer noch halb erigierten Schwanz und stopfte ihn zurück in seine Jogginghose, während er zum Hauptweg zurückstürmte, ohne sich noch einmal umzusehen.

Den Rest des Wegs joggte er nicht bloß, er rannte richtig, Dr. Weizsack wäre sicher stolz auf ihn gewesen. Zurück auf den Hauptweg, und dann den letzten Rest des Bogens um die Liegewiese, auf dem schnellsten Weg zu seinem Wagen. Durchgeschwitzt wie er nun mal war, ließ er sich auf die Polster fallen. Als er versuchte, den Schlüssel ins Zündschloss zu fummeln, fiel ihm das beschissene Ding in den Fußraum. Fluchend bückte Herb sich nach dem Schlüssel und bekam ihn schließlich mit zitternden Fingern zu fassen. Beruhige dich, verdammt nochmal. Er steckte den Schlüssel rein und endlich sprang die Karre an. Er schaute sich um und parkte aus. Keine Schlitzaugen zu sehen, die hinter ihm herstürmten. Kein beschissener Japaner mit einem erhobenen Samuraischwert oder sowas.

Herb trat aufs Gas.

Die Sache nahm ihn so mit, dass er erst zu Hause wieder ans Pissen dachte. Da stellte er sich vor die Schüssel und ließ es laufen wie ein Zuchthengst, stundenlang. Pisste sich richtiggehend die Seele aus dem Leib. Was, für sich genommen, und unter anderen Umständen, möglicherweise ein Mordsspaß gewesen wäre. Etwas, wovon man Donnie hätte erzählen können. Aber daran verschwendete Herb jetzt keinen weiteren Gedanken.

Er grübelte über das Gesicht des Schlitzaugenmädchens nach.

Als sein Wasserfall endlich versiegt war, gefühlte Stunden später, war Herb sich einigermaßen sicher. So sicher man sich bei einem Gelbgesicht nur sein kann.

Scheiße auch.

Er kannte dieses Mädchen.

2

Drei Jahre vorher

»Scheiße, Herb«, flüsterte Mike, »wir können nicht einfach da reinmarschieren. Wir haben nicht mal einen Durchsuchungsbefehl oder ’nen zwingenden Verdacht.«

»Der Kerl ist dort reingegangen, oder?«

»Schon. Aber ...«

»Und es ist ein Schlitzauge, oder? Würde ich zumindest sagen, dass der Kerl Schlitzaugen hatte wie Dschingis Khan und eine Haut so gelb wie meine Pisse am Morgen nach einem guten Fick.«

»Kann sein, Herb. Aber wir wissen doch nicht mal, ob etwas gegen ihn vorliegt.«

»Mann, Mike, wie dämlich bist du eigentlich? Er ist aus dem Bronze gekommen, oder nicht?«

»Ja, er ist aus dem Bronze gekommen.«

»Na bitte. Und wir beide wissen ja, was dort läuft. Welche Sorte Typen sich da rumtreibt, im Bronze. Und was die da treiben, um diese Uhrzeit. »

»Scheiße, Mann, das ist aber doch nicht unsere Baustelle. Wir können ja durchfunken, dass wir einen Verdächtigen dabei beobachtet haben, wie er ... Scheiße, Herb, ich weiß nicht mal, wobei wir ihn eigentlich beobachten. Der Typ ist vielleicht nur irgendein Hausmeister im Bronze, der nach Hause geht, um sich ›ne Mütze Schlaf zu gönnen.«

»Ein Hausmeister in einem Fünftausend-Dollar-Anzug? Mit einem Aktenkoffer? Denkst du, ich bin bescheuert?«

»Nein, Herb. Könnte schon was dran sein.«

»Könnte, einen Scheiß! Ich weiß, dass der Kerl was auf dem Kerbholz hat. Verrät mir meine Nase, und die hat mich noch nie im Stich gelassen.«

»Aber es ist trotzdem nicht unsere Zuständigkeit. Ich bin nur ein einfacher Streifenbulle, Mann ...«

»Und das wirst du auch ewig bleiben, du dämlicher Angsthase.« Herb spuckte aus. In dem Haus ging Licht an. »Schau dir das an, Mike, dreist wie Rotz, der Kerl.«

»Was meinst du, Herb?«

»Sieh dir doch nur diese Bude mal an. Der Kerl wohnt da bestimmt nicht. Da wohnt überhaupt keiner. Steht wahrscheinlich schon ewig leer. Und diese Wichser gehen einfach da rein, und setzen sich im Wohnzimmer auf den Fußboden und wickeln ihre Geschäfte ab.«

»Wieso glaubst du, dass die auf dem Fußboden sitzen, Herb?«

»Weil’s verdammte Schlitzaugen sind, Mike. Die sitzen immer auf dem Boden. Wir gehen jetzt jedenfalls da rein und nageln sie fest. Und danach kannst du in der Zentrale Bescheid sagen. Nachdem klar ist, wem sie diesen Fang hier zu verdanken haben, klar?«

»Scheiße, Herb, ich weiß nicht ...«

Herb erhob sich ächzend und trat aus dem Gebüsch, hinter dem sie gehockt und das Haus beobachtet hatten. Dann ging er auf das Haus zu.

»Scheiße!«, fluchte Mike und folgte ihm.

Herb ging zur Hintertür und bedeutete Mike mit einer Handbewegung, die Vordertür zu sichern.

»Wenn jemand anderer als ich da rauskommt, erschieß ihn!«, zischte er Mike zu, der noch einen Moment lang unschlüssig herumstand, dann aber seine Waffe zog und sich in den Schatten neben dem Eingang postierte. Als Herb die Hintertür erreicht hatte, drückte er sacht die Klinke herunter. Die Tür war nicht einmal abgeschlossen. Dreist wie Rotz, ohne Scheiß. Geräuschlos betrat er das Haus und folgte dem Licht, das aus dem Wohnzimmer durch die offene Tür schimmerte. Als er die Küche durchquerte, wäre er beinahe an einem Stuhl hängen geblieben, aber er bemerkte ihn im letzten Moment und ging drum herum. Dann zog er seine Waffe aus dem gut geölten Lederholster. Er lugte durch die Türöffnung in das Wohnzimmer. Das Licht stammte von einer Stehlampe, deren Schirm mit einem großen Tischtuch verhangen war. Die Chinesen saßen nicht auf dem Boden, sondern auf der Couch beziehungsweise auf einem Sessel. Der auf dem Sessel wandte ihm den Hinterkopf zu. Beide Möbelstücke waren mit weißen Decken verhangen wie die Stehlampe. Weiß wie das Zeug in den kleinen Plastiktüten im Koffer des Chinesen, der jetzt geöffnet auf dem Wohnzimmertisch lag. Herb grinste. Dann stürmte er, die Waffe im Anschlag, in das Zimmer.

»Okay, ihr Wichser, auf den Boden mit euch! Na los, auf den verdammten Boden!«

Er hatte damit gerechnet, dass sie vielleicht in das Innere ihrer Anzugjacken greifen würden oder einer sich vorbeugte, um vielleicht eine kleine Pistole aus seiner verdammten Socke zu ziehen. In dem Fall hätte er einfach drauflos schießen können. Sie saßen nah genug beieinander und waren keine drei Schritte von ihm entfernt. Herb war ein guter Schütze und hätte sie ausgeknipst, bevor auch nur ein Finger den Weg um den Abzug gefunden hätte.

Womit Herb nicht gerechnet hatte, war, dass plötzlich das Licht ausging. Das Bild der beiden Asiaten, welche die Arme in die Höhe gestreckt, auf der Couch saßen wie ein ertapptes Teenagerpärchen, brannte sich in seine Netzhaut ein. Er war so damit beschäftigt gewesen, auf ihre Hände zu starren, dass er gar nicht bemerkt hatte, dass der Kerl auf der Couch seinen rechten Fuß auf das runde Gehäuse mit dem Druckknopf für die Lampe gestellt hatte. Es war eine ganz beiläufige Bewegung gewesen.

Herb schoss in die Richtung, in die seine Waffe zeigte. Ein ohrenbetäubender Knall zerriss die Luft und ein Blitz zuckte durch die Dunkelheit.

»Mike!«, brüllte Herb und ließ sich zur Seite fallen, »Scheiße, Mike! Ich brauch etwas Hilfe hier!«

Dann schoss er noch einmal und einer der Asiaten schrie auf.

Im Lichtblitz seines zweiten Schusses hatte Herb bemerkt, dass die beiden aufgesprungen und zur Vordertür unterwegs waren und es war ihm unbegreiflich, wie die beiden sich so schnell bewegen konnten. Herb schoss noch einmal und sah, dass der Kerl mit dem Koffer die Tür schon fast erreicht hatte, als diese aufflog und eine Gestalt hereinstürmte.

»Mike, diese verfluchten Japsen haben ...«

Ein weiterer Schuss bellte durch den Raum. Etwas riss Herbs Bein herum und für einen absurden Moment dachte er, an dem verdammten Lampenkabel hängengeblieben zu sein. Und dass das Ding ihn in den Knöchel gebissen hatte. Bevor er diesen surrealistischen Gedanken zu Ende denken konnte, knallte er hin, ein weiterer Schuss krachte, irgendetwas pfiff sirrend an seinem Ohr vorbei und schlug in die Dielenbretter neben seinem Kopf. Herb rollte sich zur Seite, versuchte, in die Deckung hinter dem Sofa zu gelangen, oder dorthin, wo er das Sofa vermutete. Jemand brüllte auf und dann krachten zwei weitere Schüsse, einer davon brachte das Brüllen zum Verstummen und dann war es Herb, der aus Leibeskräften brüllte. Die Kugel hatte ihn mitten ins Gesicht getroffen. Herbs Blase entleerte sich. Er war schon einen guten Meter zur Seite gerobbt, während er sich gleichzeitig in die Hose machte, als er begriff, dass er wider jede Vernunft noch lebte. Da, wo sein Auge gewesen war, bestand sein Gesicht nur noch aus Schmerzen und er spürte, dass etwas Längliches darin steckte, das nun aus seiner Augenhöhle herausragte und sich bei jeder Kopfbewegung mit bewegte. Ein Splitter, aus dem Tisch, in den die Kugel eingeschlagen war. Er lebte. Herb robbte weiter. Tastete sich voran, brüllend, kriechend, halb wahnsinnig vor Angst, während irgendwo jenseits der Couch weitere Schüsse krachten und Blitze zuckten wie das Stroboskop in der irrsten Diskothek der Welt.

Seine Finger ertasteten den Knopf des Schalters und halb von Sinnen drückte er drauf. An Deckung dachte er nicht. Herb dachte an überhaupt nichts mehr. Er wollte nur, mehr als er jemals zuvor irgendetwas gewollt hatte, dass das Licht zurückkam.

Dann kam das Licht zurück.

Herb lag da, reglos, willenlos, und starrte die Decke an. Atmete die nach Pulver und Schweiß und Fäulnis stinkende Luft ein, und heulte wie ein kleiner Junge. Tränen rannen aus seinem rechten Auge. Dickes, dunkles Blut aus dem linken, in dem der Splitter steckte.

Das Schießen hatte aufgehört und als es nach ein paar Minuten nicht wieder einsetzte, richtete Herb sich vorsichtig auf. Als er seinen Oberkörper an der Armlehne des Sofas in eine halbwegs aufrechte Position gebracht hatte, sah er an sich herab. Sah das Blut an seiner rechten Hand, den großen, dunklen Fleck vorn an seiner Uniformhose und dann fiel sein Blick auf seinen Fuß. Oder das, was davon, von wenigen Sehnen gehalten, noch an seinem Bein hing. Er sah schnell wieder weg und schaffte es, sich nicht auf der Stelle zu übergeben. Dann kroch er, schwitzend vor Anstrengung und Schmerzen, um die Couch herum. Dort lag Mike.

Mike fehlte der größte Teil seines Hinterkopfes. Der Inhalt seines Kopfes, maßgeblich Hirnmasse und jede Menge Blut mit kleinen Knochensplittern darin, befand sich nun teilweise auf der Wand hinter der Leiche und teils auf dem schmutzigen Teppich davor. Von Mikes Gesicht fehlte der größte Teil der Stirn – alles oberhalb der Augenbrauen hatte sich in einen klebrigen Brei verwandelt, der mit ein paar Haarbüscheln garniert war. Entsetzt wandte Herb den Blick ab.

Die Chinesen waren verschwunden. Der Koffer war verschwunden.

Mike war tot.

Herb sank neben Mikes Leichnam zu Boden und krümmte sich zusammen. Aber dann bemerkte er das kleine Säckchen aus schwarzem Samt, dass inmitten der hingeklatschten Masse lag, die einst Mikes Hinterkopf samt Inhalt gewesen war. Auf dem Säckchen war etwas gestickt, ein goldenes Schriftzeichen. Chinesisch. Herb kroch ein wenig weiter und nahm das Säckchen an sich, ohne hineinzusehen. Dann steckte er es in die Innentasche seiner Uniformjacke. Er hörte die Sirenen draußen. Dann wurde er ohnmächtig.

Um die Rente zu bekommen, musste Herb lügen. Er wurde vom Dienst suspendiert, aber sie machten offiziell eine ehrenhafte Sache draus, weil sonst ein wahrer Scheiße-Tsunami über den Köpfen der Abteilung zusammengeschlagen wäre. Harper, dieses fette Arschloch, tauchte im Krankenhaus auf, sobald Herb aus der Narkose erwachte und erklärte ihm, wie die Story abgelaufen war. Der Verdächtige und sein Kumpan hatten aus heiterem Himmel das Feuer auf die beiden Cops eröffnet und sich dann im Haus verschanzt, wohin ihnen Mike und Herb gefolgt waren. Harper hielt ihm ein Album mit ein paar Chinesen hin und als sein fetter Daumen auf einen ganz bestimmten eine Winzigkeit länger als bei den anderen hängenblieb, nuschelte Herb, der noch ganz benommen von der Narkose war:

»Ja, Chef, das war der Bursche.«

Ob er sicher sei? Herb sagte, er sei sicher.

Also wanderte das Schlitzauge auf dem Foto, das zufälligerweise für die Tatzeit kein Alibi hatte, in den Knast, weil er einen Cop erschossen und einen anderen schwer verletzt hatte. Die Wärter drüben in Tulsa hatten fraglos ein Freudenfest gefeiert, als er eingeliefert worden war. Lang war er allerdings nicht geblieben, eine Woche später hatte man ihn an einem Bettlaken von der Decke seiner Zelle baumelnd vorgefunden und das war das gewesen.

Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus wurde Herb als dienstuntauglich erklärt, bekam seine ehrenvolle Entlassung und das Geld von der Versicherung in Form einer monatlichen Rente. Im Großen und Ganzen hatte sich die Sache also gelohnt, zumindest für Herb, auch wenn Harper, das fette Arschloch, ihm dazu geraten hatte, auf eine Abschlussfeier im Büro zu verzichten, aus Rücksicht auf Mikes Andenken. Oder weil die eine oder andere Version der Geschichte trotzdem intern die Runde gemacht haben mochte. Herb hatte mit den Schultern gezuckt und war nach Hause gegangen. Scheiß was auf Abschiedsfeiern.

An das schwarze Samtsäckchen hatte er erst eine Woche später wieder gedacht.

3

Marjorie hat einen Glückstag

»Schatz, bist du da drin?«

»Nein. Es ist der beschissene Marlon Brando.«

»Oh.«

Herb betätigte die Spülung. Er machte sich nicht die Mühe, den Deckel herunterzuklappen. Er öffnete die Badezimmertür und trat in den Flur. Da stand sie, Marjorie, in all ihrer untergegangenen Pracht. Wie eine namenlose Stadt inmitten der Wüste, durch die höchstens der Wind ab und zu mal ein paar Sandkörner fegt. Dabei hatte sie mal ein paar Schönheitswettbewerbe gewonnen, das musste man sich vorstellen. Aber natürlich war das gewesen, bevor sie aufgegangen war wie ein Hefekloß. Also ungefähr zu der Zeit, als die Dinosaurier noch auf Erden gewandelt waren.

»Herb, deine Schuhe!«, rief Marjorie erschrocken und deutete auf seine Füße.

»Was?«, blaffte Herb.

»Du wolltest sie doch ausziehen, Schatz«, sagte Marjorie. »Ich habe frisch gewischt wegen heute Abend. Und deine Laufschuhe sind so dreckig. Ganz voller Schlamm.«

»Ich musste mal, Marjorie. Dringend. Soll ich mir etwa in die Hose pissen?«

»Nein, Schatz.«

»Du weißt genau, dass es eine Ewigkeit dauert, aus diesen beschissenen Laufschuhen rauszukommen mit dieser scheiß Beinschiene.«

»Ja, Schatz. Entschuldige. Ich wollte nicht böse sein.«

»Ach. Du wolltest nicht böse sein. Na wie schön. Weißt du, was ich wollte?«

»Nein, Schatz«. Sie hielt den Blick gesenkt. Kniete sich vor ihn hin und machte sich an seinen Schuhbändern zu schaffen.

»Ich wollte, dass mir die verdammten Schlitzaugen nicht mein Bein zerschossen und mich zum Krüppel gemacht hätten. Ich wollte auch ich hätt noch zwei gesunde Augen. Wie wär das für ’nen Wunschzettel, hm?«

»Es tut mir leid«, flüsterte sie. Inzwischen war sie fertig mit den Schuhbändern. Gott, sie hockte da vor ihm auf dem Boden wie eine beschissene Kröte. Wie er diese fette Qualle hasste. Wäre Beth nicht hin und wieder durch sein Blickfeld marschiert, hätte er nicht geglaubt, dass er in diesen Haufen Elend tatsächlich mal seinen Schwanz gesteckt hatte. Na ja, das war lange her und Beth kam zu allem Überfluss ganz nach ihrer Mutter. Genauso dumm und fett. Andererseits war nichts davon jetzt noch zu ändern und der Herr Jesus befahl, dass man sich mit dieser Scheiße abfand und sich über die kleinen Dinge freute. Dass sie das mit den Schuhbändern erledigte, zum Beispiel. Herb schüttelte ungeduldig seinen Schuh vom Fuß und verspritzte dabei zusätzlichen Schlamm auf den Dielen. Dann machte er einen Schritt nach vorn und stieß die hockende Marjorie um. Jetzt lag sie da wie ein Hefekloß, den man in ein beschissenes Trägerkleid gestopft hatte und guckte zu ihm rauf, ein dümmliches Lächeln im feisten Gesicht. Ein Käfer, der auf den Rücken gefallen war und von allein nicht wieder auf die Beine kam. Pech.

»Entschuldige«, murmelte sie.

Herb lachte. »Bist hingefallen«, sagte er, »Hast dich von einem verfluchten Krüppel umschubsen lassen!«

Sie nickte, rollte sich in einer trägen Bewegung auf die Seite und schließlich auf die Knie. Stand auf und hob seine Schuhe auf und trug sie in den Flur. Herb ließ sich in seinen Sessel fallen und versuchte nachzudenken. Wegen dieser Schlitzaugensache.

Aber es gelang ihm nicht, sich drauf zu konzentrieren.

Marjorie kam zurück, in einer Hand einen Lappen für die Sauerei auf den Dielen, in der anderen ein Bier. Sie stellte die Dose vor ihn auf den Tisch, auf den Kristalluntersetzer, dann kniete sie sich wieder hin und begann, den Dreck wegzuwischen. Herb öffnete sein Bier, setzte es an die Lippen und trank die Dose in einem gierigen Zug halb leer.

Mitten im Wischen hielt sie inne und tat so, als schlage sie sich gegen die Stirn. Das hielt sie wohl aus irgendeinem Grund für drollig. Machte sie immer, wenn sie was vergessen hatte. Was für Herbs Geschmack eindeutig zu oft passierte.

»Was?«, knurrte er und hievte seine schwitzenden Beine auf den Couchtisch.

»Ich hätt’s doch glatt vergessen, Schatz. Donnie hat angerufen.«

Sie lächelte und wandte sich zum Gehen. Gott, diese hängenden Schweinebacken. Hatte sie etwa schon wieder zugenommen? Er würde sie mal danach fragen müssen, und zwar eindringlich. Würde ein Mordsspaß werden.

»Und, Marjorie?«, fragte er.

Sie drehte sich langsam um.

»Und was, Schatz?«

»Was wollte Donnie?«

»Ach so. Das. Ja. Er hat gesagt, er weiß noch nicht genau, ob er’s heut Abend schaffen wird. Er hat in Tulsa zu tun, glaube ich, und ...«

»Was?«

»Na ja, er hat in Tulsa zu tun, sagt er, und dass er nicht weiß, ob er’s schafft.« Ihre Stimme zitterte.

»Das hast du gerade schon mal gesagt, Marjorie. Ich bin nicht taub.«

Du bekackte Schlampe.

Er trank den Rest des Biers, drückte die Dose zusammen und stellte sie auf den Tisch, neben den Untersetzer.

»Nein, bist du nicht.«

»Aber das geht nicht, oder?«, fragte Herb.

»Nein, Schatz.«

»Dieser verdammte Schlappschwanz kann nicht einfach ein Essen absagen, zu dem ich ihn einlade. Oder, Marjorie?«

»Nein, Schatz.«

»Sind wir etwa ein beschissenes Hotel? Oder eine Bar, oder ein verfickter Burgerladen?«

»Nein, Schatz.«

»Gib mir das Telefon, Marjorie.«

Sie ging und holte es ihm.

»Und bring mir noch ein Bier.«

Sie ging in die Küche. Herb wählte die Nummer. Donnie ging nach dem dritten Klingeln ran.

»Hallo?«

»Was ist braun und stinkt, Brüderchen?«, fragte Herb.

»Herb?«

»Ja, verdammt, was ist braun und riesengroß und stinkt zum Himmel?«

»Ich weiß nicht, Herb«, sagte Donnie. »Was ist denn braun und stinkt zum Himmel? Kacke vielleicht?«

Er klang gehetzt. Gut. Herb musste ihn gerade noch erwischt haben.

»Ganz genau, Donnieboy. Ein Haufen Kuhscheiße.«

Donnie keuchte. »Der ist gut, Herb.«

»Ist kein Witz.«

»Oh.«

»Was soll das, du hast in Tulsa zu tun und kannst heute Abend nicht kommen? Heute ist unser verfickter Pokerabend Donnie.«

»Ja, ich weiß.«

»Marjorie wird ihren berühmten Auflauf machen, Mann!«

»Oh, echt? Das wusste ich nicht. Dachte, es wäre nur unser ... unser Pokerabend.«

»Nur? Nur unser Pokerabend? Hat dir wer ins Hirn geschissen, Donnieboy?«

»Es ... oh, Mann.«

»Donnie. Was zur Hölle ist los, Mann? Klingst echt beschissen, Mann. Komm schon, vertrau dich deinem großen Bruder an.«

»Es ist ... es ist wegen Kim.«

»Kim? Welche Kim?«

»Kim. Mein Mädchen.«

Herb lachte. Bestimmt eine ganze Minute lang. Als er sich wieder eingekriegt hatte, sagte er: »Donnie. Das ist der bekackte Witz des Jahrhunderts. Dein Mädchen? Seit wann hat mein kleiner Bruder ein Mädchen?«

»Ja, Herb. Sie heißt Kim.«

»Kim Basinger. Ja, ich weiß. Darauf hast du dir schon zu Schulzeiten immer einen runtergeholt. Die mit den dicken Titten. Neuneinhalb Wochen. Du hast dir zu einem beschissenen Frauenfilm die Palme gewedelt! Das muss man sich mal ...«

»Herb, bitte, ich ...«

»Scheiße. Donnie. Du meinst das echt ernst, oder?«

»Ja, Herb, tu ich. Ich werde Kim heute vom Flughafen holen und wir ...«

»Vom Flughafen, Donnie? In fucking Tulsa?«

»Na ja, ich muss sowieso da hin. Und auf dem Rückweg hole ich Kim vom Flughafen ab.«

Beschissener Lügner. Diese räudige kleine Ratte von Donnie log ihm hier etwas vor, dass sich die Balken bogen. Hielt das vermutlich für einen Mordsspaß. Nun, Euer Ehren, Herbert Bouthillier gestattet sich, da anderer Meinung zu sein. Ganz anderer Meinung. Männer sollten einander nichts vorlügen. Brüder schon gar nicht.

»Donnie. Hör zu.«

»Mach ich, Herb.«

»Wir vergessen jetzt einfach mal für eine Sekunde diesen Riesenhaufen Kuhscheiße, den du mir auf einem Silbertablett ... warte! Was hab ich dir gesagt, Marjorie? Was du zu tun hast, wenn ich telefoniere?«

Marjorie wurde knallrot, die Bierdose in ihrer Hand begann zu zittern, als sie sie vorsichtig auf dem Tisch abstellte.

»Entschuldige, Herb.«, flüsterte sie und stürzte aus dem Zimmer. Fett und plump, wie sie nun mal war.

»Marjorie lässt grüßen«, fuhr Herb im Plauderton fort. »Weiber. Können nicht mit ihnen leben, und können sie nicht abknallen, außer im Staate Texas, stimmt’s, Brüderchen?«

»Stimmt genau, Herb.« Donnie stieß wieder sein angestrengtes Keuchen aus.

»Also. Wie ich sagte, wir vergessen mal für einen Augenblick den ganzen Kuhmist und du fängst am besten nochmal von vorn an. Und diesmal mit der richtigen Geschichte. Also. Was soll das mit dieser Kim?«

»Okay, Herb.« Sagte es und klang wie ein beschissener, verknallter Schuljunge. War er jemals was anderes gewesen?

»Die Schlampe aus dem Internet, aus diesem ... diesem Fickportal oder was?« Herb grinste und klemmte sich den Hörer zwischen Schulter und Wange, um das zweite Bier aufzumachen.

»Äh ..., ja, Herb. Aber es ist ein seriöses ...«

»Schon klar. Du triffst dich mit einer Nu ... mit einem Mädchen aus dem Internet. Bist du jetzt völlig übergeschnappt, Donnieboy?«

»Wir haben uns schon ein paar Mal getroffen, Herb. Und nenn sie bitte nicht so.«

»In Ordnung, Donnieboy. Habt euch also getroffen. Ihr habt euch ...« Das Bier verharrte mitten in der Luft. Der Hörer plumpste auf ein Sofakissen. Herb starrte mit offenem Mund ins Leere.

»Warte«, fuhr er fort, nachdem er den Hörer wieder zum Ohr geführt hatte. »Ist es dieses Schlitzauge? Diese kleine Japsentussi, die du mir gezeigt hast? Oder Chinesin oder was auch immer. Die gibt es wirklich?«

»Sie ist Chinesin, Herb. Und ja, es gibt sie wirklich.« Donnie klang jetzt beinahe genervt, fast schon ätzend. Hatte sich wohl über Nacht sowas wie Eier wachsen lassen. Meine Güte, der Herr sendet Zeichen und Wunder.

Nur war es freilich nicht irgendeine Chinesin, oder?

Wenn sie es denn war.

Scheiße.

»Eine Chinesin, soso«, murmelte Herb und irgendwie schweiften seine Gedanken ab. Zum Park und der Bank mit dem Pärchen und von da zu Donnie und dann zu der hässlichen Gipsplastik und damit automatisch auch zu Mike. Dem sie den halben Kopf weggeschossen hatten, diese verdammten Schlitzaugen. Scheiße auch.

»Herb?« Donnies Stimme kam von ganz weit weg.

Herb sammelte er sich. »Scheiße auch, Donnieboy. Eine Chinesin.«

»Ja, Herb. Aber sie lebt schon eine Weile in den Staaten. Sie ist wirklich sehr nett und ... und echt in Ordnung.«

»Sie ist in Ordnung.«

»Ja, Herb.«

»Dieses Chinamädchen ist also in Ordnung?«

Herb ließ die Worte stehen wie eine Wolke, wenn jemand einen ziehen lässt.

»Herb, ich ...«

»Diese verdammten Chinesen haben mir das linke Auge ausgeschossen, Donnie, und meinen Fuß in einen Klumpen Hackfleisch verwandelt.«

»Ich ...«, stammelte Donnie, »ich weiß, Herb. Deshalb wollte ich ja noch etwas warten. Und es später mal in Ruhe mit dir besprechen.«

»Ach scheiß drauf, Mann. Ich nehm dich nur hoch.«

»Ehrlich, Herb?«

»Na klar«, sagte Herb und bemühte sich um einen unverbindlichen Ton. »Du hast ne kleine Ling-Ling zur Freundin, das ist in Ordnung. Besonders für dein kleines Ding-Ding, vermutlich.«

Herb lachte schallend, und Donnie stimmte keuchend ein. Lass sie mich in Augenschein nehmen, deine kleine Schlitzfotze dachte Herb. Solange die Erinnerung noch frisch ist. Bring sie nur vorbei.

Damit ich sie in Augenschein nehmen kann.

»Wann holst du sie denn vom Flughafen ab diese Kim?«

»Sechs, Herb, ich hol sie gegen sechs.«

»Verstehe.«

»Aber ich glaube nicht, dass wir dann viel Zeit haben, um ... also, weißt du Herb, ich dachte, wir verbringen den Abend vielleicht lieber gemeinsam, also Kim und ich. Sei nicht böse, okay? Wir holen das nach, ja?«

Denken, Herb. Du musst nachdenken.

Eine hübsche, junge Frau. Viel zu jung und viel zu hübsch für diese Nullnummer von einem kleinen Bruder, und dann auch noch übers Internet. Die Donnie gleich vom Flughafen abholen würde. In Tulsa. Gut achtzig Meilen von Stillwater entfernt.

Scheiße auch.

Wenn sie nun doch nicht die auf der Parkbank war?

Immerhin sahen sich diese Schlitzaugen doch alle ähnlich wie die Lemminge in diesem bekackten Computerspiel.

Aber.

Aber zu einem Flughafen kann man auch mit dem Auto fahren. Und dann so tun, als wäre man der soeben gelandeten Maschine entstiegen.

Hielt einen keiner von ab.

Wenn sie es nun war, würde er Donnie vielleicht vor einem Riesenfehler bewahren, dem größten seines ganzen beschissenen Lebens vermutlich. Verdammt, er schuldete das Donnie.

Donnie, der sein Bruder war, und auch sowas wie der behinderte Sohn, den er zum Glück nie gehabt hatte.

»Donnie, du weißt, wie viel es Marjorie bedeutet?«

»Ja, aber ...«

»Unterbrich mich jetzt nicht, Donnie. Du weißt, wie viel Mühe sie sich mit dem verdammten Fraß immer gibt, und nur deinetwegen. Mir setzt sie sowas Raffiniertes nie vor.«

»Ich mach’s wieder gut, Herb, versprochen!«

»Hör mal. Onkel Herb hat die Lösung. Hat Onkel Herb nicht immer die Lösung parat, Brüderchen?«

»Klar, Herb. Schätze schon. Aber ich muss jetzt wirklich los, ich ...«

»Also, wie ist das? Du holst die kleine Ling-Ling vom Flughafen ab. Dann kommt ihr her, zieht euch Marjories berühmte Fischlasagne rein und dann verschwindet ihr und du vögelst dem kleinen Schlitzauge das Hirn raus. Ich lass sogar eine Flasche Wein springen. Guter Tropfen, hörst du? Macht die Weiber willig. Dann kann sie gar nicht anders, dann vögelt sie sogar dich, ganz bestimmt! Hörst du mich, Donnieboy?«

»Ja Herb, aber so ist das nicht mit uns ...«

»Ach, Donnie, hör auf, hör auf. Sonst kotz ich mir noch auf die Füße, ich schwör’s!«

Herb machte ein paar Würgegeräusche.

»Marjorie!«, brüllte er, »Donnie hat’s schwer erwischt. Bring besser den großen Eimer aus der Küche! Schnell, ich kanns nicht mehr lang drin behalten.«

»Herb, Mann ...« Donnie stieß wieder das trockene Keuchen aus. Urkomisch fand er das.

»Also, ihr kommt vorbei, nur 'ne Stunde oder so. Esst ein bisschen was und trinkt ein Glas von Herbs bestem. So sparst du dir das Geld für irgend so ein teures Restaurant, und es bricht Marjorie nicht das Herz.«

»Eine Stunde?«

»Eine Stunde.«

»Keine Por ... ich meine, keine Pokerrunde?«

»Keine Pokerrunde, Brüderchen. Schon klar. Wir machen es richtig gemütlich, und Marjorie wird sich ein zweites Arschloch in ihren fetten Hintern freuen. Keine Widerrede!«

»Herb, ich ...«

Aber da hatte Herb schon aufgelegt. Starrte nachdenklich auf die beiden zerdrückten Bierdosen vor sich auf dem Kaffeetisch. Eine leer, eine halbleer. Oder halbvoll, wo war der beschissene Unterschied?

Ansonsten nahezu identisch.

Und wenn nun nicht bloß er sie, sondern die kleine Schlitzaugenfotze auch ihn erkannt hatte, trotz der Sonnenbrille? Und wenn schon. Was würde sie sagen? Dass er im Park hinter einem Baum gestanden und sich einen gewichst hatte? Wer würde ihr das glauben? Außerdem war da noch das Gebüsch gewesen. Vermutlich hatte die Schlampe im Park überhaupt nichts gesehen, und letztlich war es öffentliches Gelände und er hatte wirklich pissen gemusst wie ein Rennpferd. Und vermutlich war sie es sowieso nicht.

Wenn aber doch?

Dann hatte er sie mit einem anderen Kerl auf der Parkbank sitzen sehen, und zwar ziemlich eng. Und ein paar Stunden, bevor sie angeblich in dem beschissenen Flieger nach Tulsa saß. Dann würde sie erst recht die Klappe halten.

Aber Herb nicht.

Heute Abend würde er es wissen. Wozu war er schließlich ein Cop, wenn er es nicht rausbekommen würde, wenn sie vor ihm saß? Kein Bedarf für einen Lügendetektor. Bei einem richtigen Cop gehört der zur Grundausstattung, yessir!

Wenn sein eingebauter Lügendetektor bei der Schlampe ansprang, dann würde er dafür sorgen, dass Donnie die kleine Hure vor die Tür setzte. Gleich hier und jetzt. Und zwar, bevor sie ihm sein Herz brach oder ihn um seine mickrigen Ersparnisse brachte oder was immer sie sonst vorhatte.

Was immer sie vorhatte.

Warte.

Und plötzlich ergab alles einen Sinn.

Donnie und sein beschissenes Internet. Man hörte das doch ständig, im Fernsehen warnten sie andauernd davor. Die Gipsplastik. Beschissener, dummer Donnie.

Herb wählte die Nummer nochmal.

Donnie ging nicht ran.

»Scheiße!«, brummte Herb. Marjorie kam rein, mit dem großen Plastikeimer aus der Küche.

»Was soll das?«

»Na ja, Herb. Du hast gerufen, dass du ... dass du einen Eimer brauchst. Aber ich wollte nicht reinkommen, solange du mit Donnie am Telefon sprichst. Aber jetzt seid ihr doch fertig, nicht wahr?«

»Oh, Marjorie, du bist so dumm, dass es dem kleinen Jesus im Himmel weh tut.«

»Ja, Herb.«

Herb nickte und sah sie ernst an, während sich ihre wässrigen Augen mit Tränen füllten. Das war überhaupt kein Mordsspaß, überhaupt keiner. Wenn jemand so dumm war, gab es überhaupt nichts mehr zu lachen. Wenn ein Weib so ausgesprochen dämlich war, dann half nur eines, und auch das stand alles schon in der Bibel. Dann half nur der Gürtel.

»Ist dein Glück, dass ich gerade diese dämlichen Jogginghose trage, Marjorie. Wo keine Gürtelschlaufen dran sind.«

»Ja, Herb.«

Eine einzelne Träne rann über ihre Wange.

»Und dass ich jetzt unter die Dusche muss.«

»Ja, Herb.«

»Ist dein Glückstag. Solltest du in deinem Kalender anstreichen.«

»Mach ich, Herb«.

Jetzt flennte sie richtig, heiliger Jesus. Wie ein beschissenes Kind. Stand da mit ihrem bescheuerten Eimer mitten im Wohnzimmer und flennte ihm was vor.

»Und sieh zu, dass du mit dem Essen fertig wirst. Und schmeiß dich in Schale. Donnie kommt vorbei.«

»Er kommt doch vorbei?«

»Ist das ein Problem, Marjorie?«

»Nein«, beeilte sie sich zu sagen. »Natürlich nicht. Natürlich nicht.«

»Dann ist ja gut. Und nimm die große Auflaufform. Er bringt seine Freundin mit.«

»Seine Freundin?«

Herb stand auf. Ging zu ihr hin. Packte an ihre fette Brust und kniff kräftig hinein. Und vielleicht dachte er da wieder ein bisschen an die Chinesin auf der Parkbank, und was er gern mit der angestellt hätte. Marjorie stöhnte und heulte noch ein bisschen mehr. Ließ aber den Eimer nicht los, ihr Glück. Herb drückte noch einmal richtig zu, dann ließ er das schlaffe Fleisch los.

»Bist du ein beschissener Papagei, Marjorie, dass du mir alles nachplapperst?«

Sie schüttelte den Kopf. Rote Flecken auf ihren Wangen.

»Wenn ich dich so sehe, brauch ich den Eimer vielleicht doch noch«, sagte er. Lachend ging er unter die Dusche.

4

Donnie kommt zum Essen

Punkt sieben Uhr klingelte es an der Tür. Marjorie hatte die große Auflaufform herangeschafft und war extra nochmal zu Sears gefahren, um den Fisch und den Käse aufzustocken.

Es würde genug zu Essen da sein.

Ein Mann darf nicht sparsam sein, wenn er Gäste erwartet. Und irgendwie war sogar Donnie heute so etwas wie ein Gast, zumindest kam es Herb so vor.

Marjorie stürzte zur Tür und blieb dabei an der Durchreiche hängen. Mitgerissen von ihrem eigenen Schwung knallte sie gegen die gegenüberliegende Wand und brachte beinahe das kindische Bergpanorama zu Fall, das dort hing. Herb lachte schallend auf, als sie sich die schmerzende Schulter rieb. Gemächlich stand er aus dem Sessel auf, während Marjorie die Gäste einließ. Ein Mann weiß, was sich gehört, Beinschiene oder nicht.

»Hi, Marjorie«, hörte er Donnie aus dem Flur.

»Hallo, Donnie, schön dich zu sehen.« Sie kicherte blöde. »Euch beide.«

»Danke schön. Das ist Kim. Kim, das ist Marjorie. Herberts Frau.«

Herbert? Was zur Hölle stimmte manchmal bloß nicht mit diesem Hosenscheißer? Herbert! Warum nicht gleich Mister Bouthillier?

»Alles okay, Marjorie?«, fragte der Hosenscheißer.

»Was? Na klar, Donnie, warum fragst du?«

»Habe da gerade so ein Rumsen gehört.«

»Ach das«, lachte Marjorie. »Bin an der Durchreiche hängen geblieben. Reines Ungeschick.«

»Ach so.«

Dann lachten sie beide ein bisschen, der Schwachkopf und Herbs tollpatschige Frau. Die Chinesin lachte nicht, oder Herb hörte es nicht. Wollte ihr Herb auch nicht geraten haben über seine Frau zu lachen.

Dann kamen sie endlich rein.

Herb nickte Donnie beiläufig zu.

»Donnie.«

»Hi, Herb. Herb, das ist Kim. Kim, das ist mein Bruder Herbert.«

Sie war es.

Oder nicht?

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739438719
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
horror folter mord krimi verbrechen entführung thriller serienkiller monster Horror

Autor

  • Paul Anger (Autor:in)

Paul Anger schreibt, um seine Leser zu entführen. Gnadenlos jagt er Sie durch eine rasante Achterbahn, aus der es kein Entkommen gibt. Bereits während seines Studiums der Psychologie begann er sich für die Thematik von Serienkillern und deren Darstellung in Gesellschaft und Medien zu interessieren.
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Titel: HASS: Unschuldig in seiner Gewalt