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Die Diebestochter von Wildfire

Ein Märchen neu erzählt

von Mila Young (Autor:in)
422 Seiten
Reihe: Königreiche von Haven, Band 3

Zusammenfassung

Verwicklungen von Tod, Gefahr und Monstern. Elliana und ihre sexy Gestaltenwandler müssen der Rache einer Hexe entkommen. Im Alter von acht Jahren verlor Elliana ihren Vater, ihre Zukunft und ihre Freiheit im Austausch gegen ewige Gefangenschaft. Ganz zu schweigen von unvorstellbar langem Haar. Gefangen in einem Turm, bewacht von einem magischen Wasserspeier, wagt Elliana einige kühne, vom Unglück verfolgte Fluchtversuche auf der Suche nach einer mächtigen, versteckten Waffe, welche sie befreien und die Steinkreatur ein für alle Mal töten könnte. Um dies aber zu tun, muss sie einen durchtriebenen Drachenwandler, einen wilden Löwenwandler mit viel zu viel seelischem Ballast und einen verschlagenen Tigerwandler herbeirufen. Aber die Hexe, die Elliana verzaubert hat, kehrt zurück, um Elliana den Rest zu geben. Kann sie sich und die drei heldenhaften Gestaltenwandler, an die sie allmählich ihr Herz verliert, retten, bevor sie alle sterben? Drachen, Löwen, magisches Haar und eine Liebe vereinen sich in diesem herzzerreißenden Märchen, welches sein eigenes, einzigartiges ‚glückliches Ende‘ findet.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Bücher der Königreiche von Haven Serie

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Die Diebestochter von Wildfire - Rapunzel

Die Diebestochter von Wildfire

Verwicklungen von Tod, Gefahr und Monstern. Elliana und ihre sexy Gestaltenwandler müssen der Rache einer Hexe entkommen.

Im Alter von acht Jahren verlor Elliana ihren Vater, ihre Zukunft und ihre Freiheit im Austausch gegen ewige Gefangenschaft. Ganz zu schweigen von unvorstellbar langem Haar.


Gefangen in einem Turm, bewacht von einem magischen Wasserspeier, wagt Elliana einige kühne, vom Unglück verfolgte Fluchtversuche auf der Suche nach einer mächtigen, versteckten Waffe, welche sie befreien und die Steinkreatur ein für alle Mal töten könnte. Um dies aber zu tun, muss sie einen durchtriebenen Drachenwandler, einen wilden Löwenwandler mit viel zu viel seelischem Ballast und einen verschlagenen Tigerwandler herbeirufen. Aber die Hexe, die Elliana verzaubert hat, kehrt zurück, um Elliana den Rest zu geben. Kann sie sich und die drei heldenhaften Gestaltenwandler, an die sie allmählich ihr Herz verliert, retten, bevor sie alle sterben?


Drachen, Löwen, magisches Haar und eine Liebe vereinen sich in diesem herzzerreißenden Märchen, welches sein eigenes, einzigartiges ‚glückliches Ende‘ findet.

Königreiche von Haven

Die Königreiche von Haven lagen über Jahre hinweg im Krieg. Verzweiflung herrschte über das Land sowie auch seine Bewohner. Um dem Töten und der Zerstörung ein Ende zu bereiten wurde das Reich in sieben Königreiche aufgeteilt, eines für jede Rasse, beherrscht vom Adel, der damit betraut wurde die Waffenruhe zu wahren. Über Jahrhunderte hinweg erhoben sich Königreiche und fielen, die Mächte der Regierenden nahmen zu und schwanden. Und der Frieden zwischen den Ländern bestand. Aber die Korruption wuchs, brachte Dunkelheit über die Königreiche und es drohte die Rückkehr von Krieg und Leiden nach Haven.

Kapitel Eins

Als ich aus dem Fenster des Turms kletterte, rieb ich meine geschwollene Lippe und wimmerte kurz vom stechenden Schmerz. Mein Rücken zwickte noch von den Peitschenhieben, die mir letzte Nacht zugefügt wurden, doch ich hielt nicht an. Heute brach ich aus. Ich würde alles riskieren, um meinem Entführer zu entkommen, um in Freiheit zu gelangen. Und um den Wahnsinn, der sich in den letzten acht Jahren geformt hatte, davon abzuhalten, meinen Verstand aufzufressen.

Die Sonne versank hinter dem Horizont aus Bäumen, den Himmel in blutrote Streifen tunkend. In der Ferne segelte der Bastard, der mich jedes Mal beim Verlassen des Turms geschlagen hatte, durch den Himmel. Er griff alles an, was sich dem Turm näherte, schlug mit seinen Flügeln aus Stein und sein scheußliches Wasserspeiermaul stand offen. Die Vögel pickten das Futter, das ich gestern nahe dem Wald ausgestreut hatte, damit ihr Auftauchen als Ablenkung für meine Flucht dienen konnte und er sich auf sie stürzte. Außerdem hatte ich noch mehr Essen auf dem Feld verteilt, sodass es noch Dutzende weitere Unruhen durch die Tiere gab, die sich zu den Gerüchen hingelockt fühlten.

Mir drehte sich der Magen um und meine Hände zitterten, aber ich konnte mich nicht zurücklehnen und aufgeben. Ich rutschte an dem behelfsmäßigen Tau, das ich aus Bettlaken zusammengeknotet hatte, hinunter.

Die Hexe mit den violetten Augen hatte mich vor acht Jahren in den Turm gesperrt und war nie zurückgekehrt, um nach mir zu sehen oder um sich darum zu kümmern, das einzige Fenster des Turms zu vergittern. Wieso sollte sie dies auch, da sie einen furchtbaren Wasserspeier dazu verdammt hatte, über mich zu wachen? Offensichtlich war ich ein Niemand und sie hatte mich wahrscheinlich bereits vergessen. Anderseits aber hatte sie dafür gesorgt, dass auf magische Weise Nahrung im Turm erschien, fast so, als hatte sie geplant, dass ich dort für alle Ewigkeit sitzen sollte. Schon oft hatte ich versucht zu fliehen, aber jedes Mal endete es damit, ausgepeitscht und zurück in den Turm geworfen zu werden. Ich hasste sie und eines Tages würde ich meine Rache bekommen.

Beeile dich. Das ist deine Chance, wiederholte die Stimme meines Unterbewusstseins in meinem Kopf, so wie sie es immer tat. Sie erinnerte mich an meine Fehler, was ich tun sollte und andere nervende Dinge. Dieses Mal aber hatte sie Recht damit, dass ich mich beeilen sollte. Die Stimme in meinem Kopf war an meiner Seite, seit ich in den Turm geworfen wurde. Ich nannte sie meine imaginäre Freundin, aber ich war nicht dumm und wusste, dass es nur eine Eigenart meines verdrehten Verstands war, mit der Einsamkeit fertigzuwerden. Ja, ich redete mit mir selbst und meine Gedanken antworteten, aber sie leisteten mir einen Hauch von Gesellschaft. Alles was half, um den Wahnsinn, mit mir alleingelassen worden zu sein, aufzuhalten.

Ich kraxelte aus dem Fenster. Der Rucksack auf meinem Rücken hüpfte während ich Stück für Stück nach unten kletterte.

Über mir glitt der Wasserspeier auf das Dach des Turms zu und ich erstarrte. Schweiß bildete sich auf meiner Haut und mein Hemd klebte an meinem Körper fest, als ich anfing zu zittern. Meine Arme schmerzten vom Festhalten, aber wenn ich mich auch nur einen Millimeter bewegte, würde er mich sehen. Ich kniff meine Augen zusammen und betete, dass er weiterflog und ein wehrloses Tier im Wald tötete, oder irgendetwas in der Art.

Abgebrochene Steine fielen vom Dach. Ich öffnete meine Augen.

Er war verschwunden und ich rutschte eilig nach unten. Plötzlich erschlaffte aber der Stoff in meinen Händen, ich fiel und fuchtelte mit meinen Armen wild um mich. Ein kurzer Aufschrei erstickte in meinem Hals. Das Seil fiel aus dem Fenster, zusammen mit dem Tisch, an dem ich es festgebunden hatte. Dumpf traf ich auf den großen Büschen auf und die Luft entwich aus meinen Lungen. Ich stöhnte. Der Stoff landete sofort auf mir und ich schützte meinen Kopf mit meinen Armen. Der Tisch schlug nur Zentimeter von mir entfernt auf. Als er in Dutzende Stücke zerbrach krachte das Holz laut.

Mein Herz raste und es war unmöglich zu atmen. Ein Schatten tauchte über mir auf und ich ließ mich unter die Büsche rollen. Ich hatte eine Gänsehaut beim Gedanken daran, dass das Monster kam, um mich zu holen, und mich schlagen würde, bis ich mich in meinem eigenen Blut winden würde.

Aber es passierte nichts.

Ich lugte aus meinem Versteck heraus und sah, wie der Wasserspeier noch ein paar Vögel jagte. Also raffte ich mich auf und rannte um den Turm herum. Überreste der Ruine waren auf dem Feld verteilt und ich sprang über sie, während der Wind an meiner Kleidung riss. Ich schob die Träger meines Rucksacks, in den ich mein wahnsinnig langes Haar gestopft hatte, wieder auf meine Schultern hoch.

Niemals stehenbleiben. Das ist deine Chance.

Mein Puls pochte in meinen Ohren. Gänsehaut arbeitete sich an meinen Beinen hinauf. Ich blickte zurück. Keinerlei Anzeichen. Die Kreatur würde lang genug abgelenkt sein, damit ich ein gutes Stück Strecke zurücklegen konnte.

Bei meinem letzten Fluchtversuch war ich jemandem begegnet. Einer Magieformerin, die zugestimmte hatte, eine Zauberformel zu schaffen, die dem Wasserspeier den Rest geben würde, aber ich musste die Mixtur bei ihr Zuhause abholen. Sie verlangte den saftigen Preis von zehntausend Goldmünzen, wofür man sich ein kleines Herrenhaus leisten konnte. Natürlich hatte ich das Geld nicht, was ich der Hexe auch versucht hatte klar zu machen. Stattdessen hatte ich ihr versprochen, sie in Raten zu bezahlen. Andernfalls hätte sie sich mein Blut geholt. Falls ihr Zauber funktionierte und ich den Wasserspeier loswurde, war ich endlich meinem Gefängnis entkommen. Das bedeutete, dass ich jede Beschäftigung aufnehmen konnte, um das Geld, welches ich ihr schuldete, zu verdienen.

Ich rannte in den dichten Wald. Der Wasserspeier würde mich früher oder später finden. Er hatte mich immer nach einer gewissen Zeit aufgespürt und ich kam zu dem Schluss, dass er riechen musste, wo ich hinging. Doch jetzt musste ich Zeit gewinnen, um das Haus der Hexe zu erreichen. Furcht drückte mir auf die Lungen, da ich das letzte Mal, als ich mit der Hexe Geschäfte gemacht hatte, wieder im Turm gefangen endete. Konnte ich einer anderen Magieformerin wirklich vertrauen?

Die Nacht legte sich über die Wälder. Ich sprang über einen toten Baumstamm und duckte mich unter einem tiefhängenden Ast hindurch. Als ich endlich den Pfad in den Wald erreicht hatte, bog ich links ab und rannte los. Meine Lungen brannten vor Sehnsucht nach Luft. Um die nächste Biegung herum sah ich die Rückseite einer Kutsche. Das war meine Mitfahrgelegenheit.

Ich stand in der Nähe von Ghost, einem kleinen Dorf, welches nur nachts für jeden, der sich in die Tiefen Darkwoods traute, geöffnet war. Niemand lebte hier. Es war lediglich ein Vergnügungszentrum für jene, die Wetten abschließen oder sich betrinken wollten, oder eine Dame für nur eine Nacht suchten.

Aber ich hatte auch herausgefunden, dass die Kutsche, die aus Tritonia hierhergekommen war, Rum lieferte. Das schwarze Fahrzeug hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. Der Wagen war mit einem straffen Baldachin bespannt und die Rückseite stand offen. Perfekt. Ich rannte schneller, aber die Kutsche war einfach zu flott.

„Wartet!“, rief ich und sprintete ihr hinter her. „Bitte, wartet!“

Der Karren verschwand in den Schatten und ich begann vor Verzweiflung zu weinen. Um Luft ringend blieb ich in der Mitte des Wegs stehen und mein Magen vollführte Saltos.

Er wird dich holen. Lauf weiter.

Ich beobachtete die leeren Wälder hinter mir und erschauderte. Vor mir lag das kleine Dorf, zusammengedrängt zwischen den saftigen grünen Bäumen, in dem es quasi nur zwei Geschäfte gab: eine Taverne und einen Massagepalast. Ich konnte das Trampeln der Hufe der Pferde hören und eilte voran, als eine weitere Kutsche hinter der Taverne auftauchte. Gelächter schallte aus dem Inneren des Gebäudes.

Die Kutsche wurde von zwei furchterregenden schwarzen Hengsten gezogen. Beide hatten je zwei rote Hörner auf der Stirn und spuckten Feuer. Es gab keinen Reiter, der diese Bestien lenkte. Ich begann zu zittern und wich zurück.

Drachenpferde. Sie waren größer und schneller als ein durchschnittliches Pferd. Sobald sie gelernt hatten, einem Weg zu folgen, ritten sie, ohne für irgendjemanden anzuhalten. Ich hatte in Büchern über sie gelesen, da die Hexe, die mich eingesperrt hatte, einen Sinn für Humor hatte. Sie hatte den Turm mit Möbeln ausgestattet, erschuf auf magische Weise Essen, Kleidung und Wände voller Bücher. Vielleicht dachte sie sich, wenn ich schon von der Welt abgeschnitten war, konnte ich wenigstens über sie lesen.

Beweg dich. Bereite dich vor.

„Ja, ich weiß.“ Ich eilte den Weg an die Stelle entlang, wo er sich mit dem Pfad, der ins Dorf führte, vereinte und wartete hinter einem Baum.

In dem Moment, als die Kutsche vorbeifuhr sprang ich hinten an der Stelle, an der die Abdeckplane im Wind flatterte, auf. Darin begrüßte mich die Dunkelheit und während die Kutsche unter mir polterte krabbelte auf allen Vieren nach vorne. Leere Holzkisten waren an den Seiten der Kutsche festgebunden, also hockte ich mich in eine Ecke, kauerte mich zusammen und umklammerte meine Knie. Ich betete, dass der Wasserspeier noch nicht gespürt hatte, dass ich verschwunden war, und dass wir schnell genug vorankamen, um dem Monster zu entkommen… zumindest, für längere Zeit als jemals zuvor.

Der Mond ging hinter den aufkommenden Wolken auf und tunkte die offenen Felder in eine unheimliche Dunkelheit. Bereits vor einiger Zeit war ich aus der Kutsche gesprungen und hatte eilig die Wälder durchquert. Nur wenige Sterne glitzerten am schwarzen Himmel. Trotz meines abgehackten Atems und meiner schmerzenden Muskeln setzte ich einen Fuß vor den anderen. Den ganzen letzten Tag war ich schon auf der Flucht.

Halte niemals an.

Ein rascher Blick über meine Schulter und mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Zu meinem Erstaunen bewegte sich hinter meinem Rücken keine einzige Silhouette durch den Wald. Der Himmel blieb ruhig und friedvoll. Keine Bewegung. Das musste aber nichts bedeuten. Er kam jedes Mal hinter mir her, fand mich und schlug mich. Allein bei dem Gedanken daran musste ich nach Luft schnappen und noch schneller rennen. Ich musste ein gutes Stück Weg zwischen ihn und mich bringen.

Die Träger meines Rucksacks umklammernd rannte ich auf die Lichter zwischen den hohen Bäumen vor mir zu. Sie funkelten wie Glühwürmchen. Mein Ziel war Wakefield, ein Dorf in diesem gottverlassenen Tritonia Königreich. Schweißtropfen perlten auf meiner Oberlippe. Ich wischte sie fort und verabscheute diese Luftfeuchtigkeit, während die Insekten versuchten, mir meine Augenlider wegzufressen. Ich war bereits die meiste Zeit des Tages und die halbe Nacht auf der Flucht. Aber das war meine Chance, mich aus meinem Gefängnis zu befreien, um niemals mehr eingesperrt und vergessen zu werden. Verzweiflung kroch durch mein Innerstes.

Die heiße, stickige Luft hinter mir wurde von einem kreischenden Heulen durchzogen.

Ich zuckte zusammen und wirbelte herum. Mein Atem stockte und meine Hand legte sich um den Dolch an meinem Gürtel. Dieser gnadenlose Ort war still, von der Nacht verschluckt, und meine Zuversicht von vorhin wich dahin.

Halte niemals an! Wenn der Wasserspeier dich dieses Mal erwischt, wird er mehr als nur deine Knochen in Stücke brechen.

„Ja, du hast ja Recht“, murmelte ich mir leise zu und war dankbar, dass sie mit mir sprach. So fühlte ich mich nicht so allein.

Zitternd rannte ich weiter.

Die Rettung ist nah. Ja, du schaffst das.

Flammen erleuchteten die Straße in der Ferne und ich kam ihnen näher. Ein brackiger, salziger Geruch kam über mich. Der Ozean war nah—der Ort, an dem die Piraten plünderten, Hexen regierten und Meerjungfrauen lauerten, um dich in deinen Tod zu locken, wenn du es wagtest, in ihr wässriges Königreich einzudringen. Aber das und noch viel mehr würde ich riskieren, um die Freiheit zu erlangen. Um den Wahnsinn, der meinen Verstand verschlang, und die Qualen, die meinen Körper zerstörten, aufzuhalten.

Verzweiflung lag mir schwer auf dem Herzen. Mein Entführer war mir auf der Spur, irgendwo.

Tick tack. Tick tack.

„Genug!“ Ich hatte es alles geplant.

Weiche dem Wächter aus.

Sammle den Zauber ein, um ihm auszurotten.

Setze diesem Leben in Gefangenschaft ein Ende.

Den schweren Rucksack auf meinem Rücken zurechtrückend und mit meinem Haar, das zu lang und zu sperrig war, um es ordentlich verstauen zu können, trampelte ich durch das Gras und die Blätter und eilte auf das Dorf zu. Ich verließ den Wald. Das kleine Dorf bestand aus vereinzelten Hütten mit dunklen Fenstern, fast so, als waren sie unbewohnt.

Einige Häuser säumten den breiten Feldweg. Keine Zähne, nur Sträucher und Blumen. Bei Tageslicht war dieser Ort sicher ein malerisches Fleckchen, aber im Moment hätte es genauso gut auch ein Alptraum sein können. Das Gefühl, beobachtet zu werden, ließ mich erzittern.

Bring es einfach hinter dich. Beeile dich.

Knochen, die an ein Seil gebunden waren, baumelten auf der Terrasse eines Hauses und klapperten im plötzlich aufkommenden Wind, so als würden sie den Hausbesitzern meine Ankunft verkündigen. Riesige Eichenbäume mit Ästen, die sich weit verzweigten, standen wie eine Wand hinter den Häusern. Sie rauschten und schienen in der warmen Brise, die um mich herumwirbelte, zu flüstern.

Ich eilte voran und ignorierte die drei Katzen, mit Augen so hell wie Lichter, die über ein Stück Rasen schlichen. Ihr schwarzbraunes Fell flatterte im Wind. Sie waren nicht ausgemergelt, also musste sie jemand gut füttern.

Die Stille traf wie ein kalter Windzug mit schroffen Ecken auf meine Haut. Ich atmete schwer und sah mir die behelfsmäßige Straße gut an. Die Hexe hatte mir Anweisungen gegeben und ich war ihnen bis ins kleinste Detail gefolgt. Die dicken Wälder von Tritonia hinter sich lassen. Erledigt. Der silberne Himmelskörper hing voll über mir. Erledigt. Gruseliges Dorf, in dem Hexen lebten. Erledigt. Ja, das war der richtige Ort. Nun musste ich das Haus der Hexe, in dem nur eine einzige Kerze auf dem Fensterbrett brannte, finden.

Hör auf, über alles so viel nachzudenken. Beweg dich.

Ich rollte mit den Augen und marschierte an einem zweistöckigen Gebäude vorbei, das mit kleinen Knochen verkleidet war… warte, nein! Ich kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Es waren nur schrumpelige Ranken, die alle Blätter abgeworfen hatten.

Der Wind preschte gegen mich, Knochen klapperten und die Katzen jammerten. Gruselige, nackte Puppen waren in einem Vorgarten verteilt und ich rannte schnell daran vorbei. „Bitte, erwacht nicht zum Leben.“

Ich zog die Träger meines Rucksacks erneut fester über meine Schultern und ging auf das letzte Haus der Straße zu. Eine einzige Kerze war auf dem vorderen Fenstersims abgestellt. Das musste es sein.

Mein Fleisch wurde von einer Gänsehaut überzogen und ich warf einen Blick hinter mich. Die Straße war verlassen. Kein Schatten, der mir folgte.

Bring es schnell hinter dich.

„Was du nicht sagst.“ Ich lief einen steinigen Weg entlang des Hofs auf die Terrasse zu. Die Stufen quietschten unter meinen Füßen. Ich klopfte und betete, dass ich keinen Fehler gemacht und das falsche Haus ausgesucht hatte. Heute Nacht musste ich wirklich keine Hexe verärgern.

Ich sah mich um, aber es gab kein Anzeichen meines Verfolgers.

Als sich die Tür öffnete wirbelte ich herum. Mir stand Vanore, die Hexe, die ich in Darkwoods getroffen und die versprochen hatte, mir zu helfen, gegenüber. Ihr Lächeln gab mir nun Hoffnung und ich atmete tief voller Erleichterung aus. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich zu einem, der Mitleid ausstrahlte. Aber das war mir egal. Wenn ihr dies das Gefühlt gab, mir helfen zu wollen, dann ja, durfte sie mich ruhig bis in alle Ewigkeit bemitleiden.

Die geschwungenen Tattoos auf ihren Wangen und ihrer Stirn legten sich, als sie wieder lächelte, in Falten. Zum Vorschein kamen zwei goldene Eckzähne. Ihre Haut war tiefbraun und ihre Augen waren schwarz wie Teer. Sie passten zu ihren Rastalocken. Sie stemmte sich die Hände in die Hüften ihres malvenfarbigen Kleids, dessen Ärmel lang und zerknittert waren.

„Hey, Elliana, Mädchen. Ich dachte schon, du hältst dich nicht an unsere Abmachung.“ Sie hatte einen R-lastigen Akzent. Jedes Mal, wenn sie den Buchstaben ‚R‘ betonte, trillerte es. Sie streckte ihre Hand aus und packte mich am Ellbogen. Ihr Griff war stahlhart. „Lass uns hineingehen.“ Sie starrte auf etwas hinter mir. „Es bringt nichts Gutes mit sich, in einem Türdurchgang herumzulungern.“

Als ich mich umdrehte, um nachzusehen, zog sie mich in ihr Haus und knallte die Tür zu. Ich hätte Angst haben sollen, aber ich war verzweifelt und bereit, jedem zu vertrauen, der mir eine Erlösung bieten konnte. Und wenn man das große Ganze betrachtete, würde ich es mit der Hexe mit dem sanften Blick auf einen Versuch ankommen lassen.

Ein starker Geruch von Gewürzen und verbranntem Holz lag in der Luft. Zu meiner Rechten stand ein abgenutztes braunes Sofa im Wohnzimmer. Einmachgläser mit verschiedenen Kräutern und eine große Schale, vollgepackt mit weißen und schwarzen Federn, standen auf dem Couchtisch. An den Fenstern hingen löchrige Vorhänge und nur einer von ihnen war an der Stelle aufgezogen, an der die einsame Kerze auf dem Fensterbrett brannte. Weitere Kerzen standen verstreut auf dem Kaminsims. Ich bezweifelte aber, dass es in Tritonia jemals so kalt wurde, dass man ein Feuer anzünden musste.

„Schönes Haus.“ Mein Blick senkte sich auf die tote Krähe auf dem Boden nahe dem Tischbein. Ihre Klauen ragten in die Luft und sie war größer als mein Fuß. War sie das Abendessen, für einen Zaubertrunk notwendig oder ein Glücksbringer?

„Meine Mama hat mir das Haus hinterlassen und sie bekam es von ihrer Mama vermacht. Es ist seit fünf Generationen im Besitz der Familie und jetzt gehört es mir.“ Ihre Stimme senkte sich und ich wandte mich ihr zu, während sie in einem großen Weidenkorb für dreckige Wäsche wühlte, den sie aber, wie ich annahm, für andere Zwecke nutzte.

„Und kein Mann wird mein Haus in seine stinkenden Finger bekommen!“ Sie zischte das Wort Mann und ich dachte mir, dass sie einige unverarbeitete Probleme hatte. Das war aber nicht meine Sorge, denn ich hatte seit Jahren keinen Mann getroffen. Abgesehen von den kindlichen Erinnerungen an meinen Vater und die Menschen, die er besuchte, um Geschäfte zu machen, war ich keinem Mann mehr begegnet. Er war ein bekannter Dieb und berüchtigt für seine Fähigkeiten im Darkwoods Königreich. Meine Mutter hatte ich nie kennengelernt und er weigerte sich, über sie zu sprechen. Papa hatte mich aber zu jedem Raubüberfall mitgenommen und nutzte mich als seine Entschuldigung, wenn er das Grundstück einer Person betrat. Ich tat so, als würde ich weinen, damit die Leute dachten, er würde ein aufgebrachtes Kind beruhigen, das auf ihren Hof gelaufen war. Aber der Großteil des Abschaums, mit dem Geschäfte machte, hatte ihn, wenn es um die Bezahlung ging abgezockt. Es schien, als war das vor einer Ewigkeit gewesen. Als ich acht Jahre alt war, hatte er den furchtbaren Fehler begangen, von einer Hexe zu stehlen, und mein Leben hatte sich für immer verändert. Er bezahlte mit seinem Leben, ich wurde in den Turm gesperrt und dort von dem Wasserspeier festgehalten. Es verging nicht ein Tag, an dem ich nicht daran dachte, die Hexe aufzuspüren und sie mit ihrem Leben dafür bezahlen zu lassen.

Vanore schnalzte mit ihrer Zunge und meine Konzentration richtete sich wieder auf sie.

„Die meisten Männer sind Bastarde“, fügte ich hinzu, um die Stille zwischen uns zu füllen.

„Ja, da hast du Recht. Sie treffen Entscheidungen primär mit ihrem Schwanz, die Konsequenzen ihres Handelns kommen dann erst später.“ Sie schaute mich an. „Wie alt bist du? Vierzehn oder fünfzehn? Auf jeden Fall alt genug, um dir solche Ausdrücke anzuhören.“ Sie stöhnte und konzentrierte sich wieder auf ihren Weidenkorb.

„Ich bin sechzehn.“ An den meisten Tagen fühlte ich mich aber wie ein Kind, das nichts außer den Dingen, die es in Büchern gelesen hatte, über das Leben wusste. Aber jetzt genoss ich Vanores Gesellschaft und dass sie mit mir umging, als war ich normal. „Hört sich an, als wärst du einigen schlechten Männern über den Weg gelaufen.“ Ich schlenderte zu einem Schränkchen hinüber und sah mir die Sammlung der zerfledderten Bücher an, die aufeinandergestapelt waren. Die meisten hatten keinen Buchrücken oder Deckel mehr, aber jene, die noch gebunden waren, hatten Titel wie Magie für Seefahrer, Wie man die Elemente kontrolliert, oder Kräuter und Krankheiten.

„Sie haben eine spitze Zunge und sind als Katzen bessere Zeitgenossen.“ Sie kicherte und ich erinnerte mich an die Tiere draußen. Waren sie mal Männer, die die Hexe betrogen hatten? Arme Männer, aber sie hatten verdient, was sie bekommen hatten, wenn sie es für eine kluge Entscheidung hielten, eine Hexe anzulügen. Meine Gedanken kreisten sich wieder um meinen Vater. Von einer Hexe zu stehlen war der schlimmste Fehler seines Lebens. Belüge nie Leute, die mit Magie arbeiten. Diese Begegnung hatte dazu geführt, dass ich in einem Turm eingesperrt wurde.

Ich mache dir gleich Beine. Denk daran, was dich erwartet.

„Schhh. Verschrecke Vanore nicht“, flüsterte ich mir leise zu. „Sie ist gerade dabei, uns ein verdammtes Heilmittel für alle unsere Probleme zu geben.“

„Hier ist es!“, rief sie und ich zuckte zusammen.

„Komm hier her Mädchen. Hör auf, mit dir selbst zu reden, oder sie werden dich für verrückt halten.“

Der linke Träger meines Rucksacks glitt an meinem Arm hinunter, als ich auf Vanore zuging. „Wer wird mich für verrückt halten?“

„Leute.“ Sie runzelte die Stirn, als ob ich wirklich noch ein Kind war, das die einfachsten Dinge nicht verstand. „Sie verstehen das Andersartige nicht und werden urteilen.“

Ich erstarrte. War ich anders? Sicher, ich hatte in den letzten Jahren in keiner Gesellschaft gelebt, aber ich war genau wie sie.

Du bist anders. Mache dir selbst doch nichts vor.

Ich schüttelte mit dem Kopf. „Ich bin genauso wie alle anderen.“

„Konzentriere dich, Mädchen.“ Die Hexe griff nach meiner Hand und legte mir einen weichen Beutel in die Handfläche.

Ich versank in Gedanken. Jenen, die manchmal ein Eigenleben hatten und dann richtete ich meine Konzentration wieder auf das Bündel. Schwarzer Stoff war um ein kleines Päckchen gewickelt.

„Packe das in deine Tasche.“

Und das tat ich dann auch.

„Nun haben wir ein Geschäft gemacht.“ Ihre Stimme wurde dunkler und ihre Stirn legte sich über ihren Augen in Falten. „Ich habe dir magische Zutaten für zehntausend Goldmünzen gegeben, um den Wasserspeier zu töten.“ Sie schwang ihren Arm so schnell hinter ihrem Rücken hervor, dass ich das Messer, welches sie sich geschnappt hatte, nicht einmal sah, bis die Klinge schon über meinen Daumen gerauscht war.

„Au.“ Ich versuchte meinen Arm zurückzuziehen.

Doch Vanore hielt ihn fest und presste meinen Daumen an ihren Mund, steckte ihn dann hinein und saugte an meinem Blut.

Mein Gehirn erstarrte förmlich und meine freie Hand raste zu meinem Messer.

Ihre Zunge glitt über meine Haut und ich zog kräftig meinen Arm zurück, bis mein Finger aus ihrem Mund heraussprang. Ich starrte auf den blutigen Schnitt. „Was ist dein Problem? Wer tut so etwas?“ Die Furcht wuchs tief in meinem Bauch. „D-Das war nicht Teil des Geschäfts.“

Ich wich zurück bis meine Beine gegen die Seite des Sofas stießen und hielt immer noch eine Hand am Messer an meinem Gürtel. Was konnte ich tun? Sie erstechen, bevor sie mir die Mixtur gab, die den Wächter auslöschte?

Sie lachte und leckte sich einen purpurnen Tropfen von den Lippen. „Für die Bezahlung muss ich immer wissen, wo du bist. Und Kind, wer auch immer dich mit diesem Zauber belegt hat, meinte es ernst. Er ist mit deiner Seele verbunden, Mädchen. Das ist nichts, was jemand außer der Person, die dir den Zauber auferlegt hat, wieder lösen kann.“

Mir stockte der Atem und es bedurfte einiger Versuche, wieder einen Rhythmus zu finden. „Du kannst spüren, welche Art Fluch es ist? Wer ihn mir auferlegt hat?“ Mir schmeichelte die Idee, dass dies meine Erlösung sein konnte. Ein Weg, die Verzauberung loszuwerden. Ein Lächeln bildete sich in meinen Mundwinkeln und ich fühlte mich, als war mir das Gewicht von den Schultern genommen worden.

Ich wandte mich zur Seite und kämpfte mit dem Rucksack auf meinem Rücken, während ich mein langes Haar mit einer Hand hochhielt. „Dämliche Strähnen. Sie hören nicht auf zu wachsen und ich kann sie nicht abschneiden. Ehrlich; ich habe alles versucht, sogar Feuer. Also bitte erzähle mir alles, was du weißt, um den Fluch zu brechen.“ Das Betteln in meiner Stimme ließ mich erschaudern.

Ein Hauch von Hoffnung durchfuhr mich und ich streckte meinen Arm aus. Meine Finger zielten auf ihren Arm ab. Ich hielt mich an ihr fest, als ginge es um mein Leben.

„Elliana, mein Kind.“ Sie nahm mein Handgelenk, so wie auch Papa jedes Mal meine Hände hielt, wenn ich mich fürchtete, wenn er auf einen Streifzug ging. In den Augen der Hexe aber lag Kummer und das verschlug mir den Atem.

„So viel weiß ich nicht—nur, dass Dunkelheit in deinem Blut fließt, denn die Magie und ihre Verbindung zu deiner Seele kitzelte an meiner Zungenspitze. Wer auch immer das getan hat, hatte nie vor, dich wieder freizulassen. Es tut mir leid. Ich kann dir nur mit dem steinernen Wächter und einer vorübergehenden Lösung für das Problem mit deinen Haaren helfen. Bete zur Göttin, dass meine Beschwörungen dich befreien und dass die Hexe, die dafür verantwortlich ist, dich in Ruhe lässt, obwohl du die Magie in dir trägst. Und da ich ihre Motive nicht verstehe, kann ich dir leider nicht helfen, ohne dein Leben in Gefahr zu bringen.“

Meine Beine gaben unter mir nach und ich ließ mich auf das Sofa fallen.

Du hast keine Zeit um weich zu werden. Steh auf.

Mein Innerstes schmerzte, als ich die Endgültigkeit meiner misslichen Lage begriff. Was, wenn dieser Zauber die Hexe, die mich verflucht hatte, benachrichtigen würde? Würde sie zurückkehren und mich wieder einsperren, wenn ich den Wasserspeier erledigte?

„Es tut mir leid, Kind. Deine beste Chance ist es, herauszufinden, wer dich mit diesem Fluch belegt hat.“

Ich nickte und rappelte mich auf. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt um in Selbstmitleid zu verfallen.

„Nun, als Teil unseres Handels“, fuhr die Hexe fort, „akzeptiere ich Zahlungen in zehn Raten, so wie wir es vereinbart haben, und ich werde zu jedem Vollmond bei dir erscheinen, um sie einzutreiben. Wenn du nicht bezahlen kannst, werde ich die Venen in deinem Arm aufschlitzen und das Blut nutzen, um meinen Rum damit aufzuwärmen. Der Tod wird dir keine Flucht bieten.“ Sie lächelte und zeigte dabei ihre Zähne. Wie weggeblasen war ihr Mitgefühl. Genau wie jeder, mit dem mein Vater es zu tun gehabt hatte, hatte Vanore nur ihren eigenen Vorteil im Sinn. Ich war nur ein Mittel zum Zweck, damit sie das bekam, was sie wollte. Sonst nichts.

Ich rang nach Luft, nahm aber all meinen Mut zusammen und hob mein Kinn. „In Ordnung, Geschäft ist Geschäft. Jetzt sage mir, wie ich die Kräuter, die du mir gegeben hast, nutze.“

„Braves Mädchen. Als Erstes”—sie zählte mit ihren Fingern mit—“musst du ein Tier für diesen Zauber finden.”

Ich erstarrte. „Ich töte kein Tier.“

„Ruhig, Mädchen.“ Sie winkte mit der Hand als wäre ich eine hartnäckige Mücke. „Kein Töten ist notwendig. Mach einfach was ich dir sage. Zweitens, das Beste ist, du nimmst die Beschwörung unter freiem Himmel vor, wenn der Mond scheint.“

„In Ordnung. Kann ich es jetzt machen? Ich habe draußen einige Katzen gesehen.“

„Nein.“ Ihre Stimme hob sich. „Das muss dort geschehen, wo dein Wächter lebt, da die Magie dort mit euch beiden am stärksten sein wird. Weiche die Kräuter, die ich dir gegeben habe, für dich und das Tier, zusammen in Wasser ein. Vorher aber lässt du das Gebräu für eine kurze Zeit im Mondlicht stehen, dann—”

Eine plötzliche Explosion ging hinter mir hoch. Holzsplitter bohrten sich in meinen Rücken und meine Beine.

Auf der Stelle erschauerte ich. Die Hexe und ich wirbelten gleichzeitig in Richtung des Eingangs herum. Die zerschmetterte Tür lag zu unseren Füßen verteilt auf dem Boden.

Dort stand der Wasserspeier. Mein Gefängniswärter.

Ein erstickter Schrei steckte mir im Hals fest und meine Füße waren wie auf dem Teppich festgeklebt.

Seine Schultern pressten sich rasch durch die Ecken des Türdurchgangs. Mit drei langen Schritten marschierte er in den Raum.

Er hat dich gefunden. Lauf. Lauf. Lauf.

„Zur Hölle!“, stammelte Vanore.

Die Angst windete sich in meiner Brust umher und heftete sich an meine Rippen. Ich zog Vanore an der Hand rückwärts durch das Haus. „Der Zauber. Wie lauten die Wörter?“ Ich konnte meinen Blick nicht von dem aus Stein gemachten Wasserspeier lösen, der für ein paar Sekunden stillstand, als wäre er auf der Stelle zu Eis erstarrt. Steine, so groß wie meine Handflächen, bedeckten seinen Körper und erlaubten es ihm so, sich zu bewegen. Sein Kopf war ein Felsen mit leeren Augen, einer Hakennase und einem gebogenen Mund. Übergroße Ohren drehten sich unnatürlich und lauschten jedem, der sich an ihn anschlich. Er starrte auf mich im gedämpften Licht mit seinem sadistischen Grinsen herab, als ob der Hass in seinem Gesichtsausdruck jeden Moment explodieren würde.

„Plagen sollen dich heimsuchen“, brüllte Vanore, während sie eine Handvoll Pulver aus ihrer Tasche auf den Wächter schleuderte. Die Partikel funkelten und prallten von ihm ab. Er bewegte sich keinen Millimeter.

„Lauf, mein Kind!“ Sie drängte mich in Richtung der Rückseite des Hauses.

Ich stolperte um Luft ringend in die Küche. „Vanore, wie lautet der Rest des Zauberspruchs?“

Sie antwortete aber nicht und zischte das Monster an: „Der Teufel soll dich holen!“

Der Wächter griff an und donnerte mit der Hand gegen Vanores Brust. Sie wurde durch das Zimmer und gegen die Wand geschleudert, ächzend entwich ihr ein Atemzug. Mächtig und endgültig. Von einem Berghang getroffen zu werden war nichts, wonach man wieder aufstand. Vanore stürzte zu Boden und bewegte sich nicht mehr.

„Vanore!” Mein Körper war ein zitterndes Wrack. Ich hätte sie auf ihre Füße ziehen sollen um sicherzugehen, dass sie in Ordnung war. Aber der Wasserspeier sah mich nun an und es machte mehr Sinn, ihn von ihr wegzuführen, damit er sie nicht noch mehr verletzte.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, ich wirbelte herum, rannte durch die Küche und riss die Hintertür auf. Die Furcht schlängelte sich über meine Haut.

Draußen schlug mir der heiße Wind entgegen. Ohne nachzudenken wandte ich mich nach links und rannte am Haus vorbei und auf die Straße. Angst nagte an meinem Selbstbewusstsein.

Hab ich es dir doch gesagt. Hab ich es dir doch gesagt. Er wird dich bestrafen.

Meine Gedanken waren wie gelähmt und ich rannte über den Feldweg fort.

Hinter mir kamen die trampelnden Schritte immer näher, doch ich wagte nicht, mich umzudrehen um nachzusehen.

Eisige Dolche stachen in mein Herz.

Er krallte sich meinen Rucksack mit einer solchen Gewalt, dass ich zurückgeworfen wurde und mit meinem Hintern auf dem Boden aufschlug. Er riss mir die Tasche von den Armen. Mein Haar befreite sich aus dem Rucksack, breitete sich um mich herum aus und verschlang mich mit seinen goldenen Strähnen.

Als der Wasserspeier über mir stand, schrie ich, kroch fort und malte mir meine Bestrafung aus. Wie sehr ich doch versagt hatte. War Vanore wegen mir tot? Ich erstickte fast als ich abgehackt einatmete.

Seine Flügel entfalteten sich auf seinem Rücken und das Geräusch zermahlenden Steins knirschte in meinen Ohren. Magie ließ diese Kreatur mit Steinflügeln fliegen, obwohl sie dazu nicht hatte fähig sein sollen. Sie breiteten sich weit aus, waren auf jeder Seite etwa eins achtzig lang und verdunkelten das Mondlicht. Krallen in Form von Dolchen ragten aus den Enden seiner fledermausartigen Flügel.

„Bitte, tu das nicht. Hör auf!“ Ich wich noch weiter zurück.

Er stürmte mir hinterher. Seine scharfen Klauen umklammerten meine Knöchel und seine Krallen drückten sich in meine Haut.

Ich schrie vor Qualen, griff nach der Klinge an meinem Gürtel und stach auf die Spalte zwischen zwei Steinen in der Mitte seiner Brust ein. Das Messer traf auf Widerstand. Mit zwei Händen drückte ich es weiter hinein und vernahm dieses befriedigende Geräusch, als der Dolch weit genug in den Wasserspeier vordrang. Er fauchte und schlug dann meine Arme zur Seite. Der stechende Schmerz durchzog meine Hände, während er mir die Waffe aus den Fingern rang und sie in Vanores Hof warf. Es floss kein Blut aus seiner Wunde und sie hatte ihn auch noch nicht mal langsamer gemacht.

Ein Windstoß schlug mir entgegen, als wir vom Boden abhoben. Er zog mich mit den Beinen voran nach oben.

Meine Welt stand Kopf. Die Furcht schwappte in meinen Bauch über. Unter mir blieb es ruhig im Dorf. Nicht eine einzige Person eilte herbei, um mir zu helfen. Ob jemand wohl nach Vanore sah?

Jetzt hast du es geschafft. Ja, du hast dich hier jetzt richtig in die Scheiße geritten.

Ich blendete die Worte aus, während wir über Wälder, Flüsse und Dörfer in Tritonia glitten. Der Wind, der mir entgegenkam, ließ mich bei jedem Flügelschlag des Monsters vor und zurück schwanken. Jede Faser in mir pochte vor Angst. Ein Teil von mir hatte gehofft, dass ich den Zauber bei Vanore im Haus ausführen konnte und dann frei war. Aber das war mal wieder typisch dumm von mir zu denken, dass zur Abwechslung einmal alles gut gehen konnte.

Tränen verschleierten meine Sicht. Sie liefen nach oben und über meine Stirn in mein Haar. Ich hatte die letzten acht Jahre allein verbracht. Mit jedem weiteren Tag starb wieder ein kleiner Teil von mir und verdunkelte mein inneres Licht mit den Schatten der Dunkelheit. Der Rest der Welt drehte sich weiter, während ich in der Zeit wie eingefroren stillstand und mein Leben an mir vorbeizog. Es war mir egal, wo ich im nächsten Leben landete, denn jetzt lebte ich bereits in der Hölle.

Schwindel schwirrte durch meinen Kopf und alles wurde dunkel.

Zweige schlugen mir ins Gesicht und ich erwachte mit einem Schrecken. Ich musste schon eine Weile über Kopf gehangen haben. Wir flogen über Baumkronen und weiter vor uns erkannte ich mein Gefängnis. Ein runder Turn stand hoch inmitten des Schutts der zerstörten Ruinen.

Ich krümmte mich und versuchte zu fliehen. Keinesfalls wollte ich dorthin zurückgehen. Das Gebäude mit einem breiten Flachdach stand höher als die meisten Bäume, die die offenen Felder umgaben. Mondlicht schien das Moos an, das an den Seiten der Steinwände wuchs. Waldgebiete rahmten die freie Fläche wie eine große Armee ein, die meinen Untergang beobachtete.

Ich windete mich bei dem Versuch zu entkommen in seinem Griff. Wir segelten in Richtung des übergroßen Fensters. Es war der einzige Zugang zum Turm. Er warf mich als wäre ich eine Stoffpuppe durch das Fenster.

Unsanft knallte ich gegen eine Wand und krümmte mich stöhnend vom Schmerz, der über meinen Rücken strahlte, auf dem Boden zusammen.

Ein Schatten fiel über das Fenster. Der Wasserspeier stand in der Luft, ohne ein Geräusch, so als war er stolz auf seinen Fang.

In dem Moment, als sich seine Flügel flach an seine Seiten legten und er hineinsprang, schrie ich: „Bitte nicht! Ich verspreche nie wieder wegzulaufen.“

Er hielt einen Ast in seiner Klaue und als er damit über meine Beine schlug, brüllte ich vor Schmerzen, die wie Säure brannten. Niemals nutzte er seine Klauen, denn Stein würde mich umbringen, aber es war erlaubt, mich zu brechen. Gestattet. Unendlich dazu ermutigt.

Er schnappte sich mein Bein und schliff mich zur anderen Seite des Zimmers. Ich knallte gegen meinen Tisch und fiel hin. Die Tischbeine zerbarsten unter meinem Gewicht und ich schluchzte. Der Schmerz war wie ein Spinnennetz, das mich einhüllte, komplex und teuflisch.

Als der Ast auf meinen Rücken traf schrie ich auf und krümmte mich. Ich konnte an nichts anderes als die qualvollen Schläge denken, die mich in Fetzen rissen.

Kapitel Zwei

Ich lag auf dem Rücken in einer Lache aus meinem eigenen Blut. Ein silberner Schein leuchtete in der Dunkelheit im Inneren des Turms. Mein Atem rasselte bei jedem Zug. Mein Mund schmeckte als hatte ich an Münzen geleckt. Tränen bildeten sich in den Ecken meiner Augen. Ich schluchzte laut und verabscheute, wie oft ich schon in dieser Lage war: nutzlos, besiegt, gefangen.

So hatte die Nacht nicht verlaufen sollen. Jeder Zentimeter meines Körpers schrie von den scharfen Schmerzen der Schnitte und ich konnte noch nicht mal mit den Zehen an meinem linken Fuß wackeln. Welche Knochen hatte der Bastard dieses Mal gebrochen? Die Verzweiflung ergriff Besitz von mir. Die Art Mutlosigkeit, die darum bettelte, dass alles ein Ende fand. Ich schloss meine Augen, lag dort und erlaubte meinem sich drehenden Kopf meine Gedanken zu übernehmen.

Ich war dabei, langsam aufzuwachen, als mir eine sanfte Brise über die Wange wehte und meine Augen sich im Sonnenlicht öffneten. War es schon Morgen? Ich richtete mich auf und hatte das Gefühl, dass meine Haut bei jeder Bewegung weiter aufriss. Getrocknetes Blut klebte an meinen Armen und mein Fuß stand in einem seltsamen Winkel ab. Ich schnappte nach Luft als ich mich vorbeugte, um ihn zu bewegen. Ein qualvoller Schmerz schoss durch mich hindurch, stach in die Beuge meines Fußknöchels und schnellte an meinem Bein hinauf. Ich schrie auf, rollte mich zusammen und hasste es, dass es Monate dauern würde, bis die Wunde verheilt war Ich hasste das Monster, dem ich egal war, und ich war auf das Universum sauer, da es mir niemanden zur Hilfe kommen ließ.

Mein Vater hatte mir beigebracht, geschickt mit meinen Händen zu sein und Leuten Dinge aus den Taschen zu klauen, ohne dass sie es merkten. Ich war zwar jung gewesen, doch er hatte trotzdem gesagt, dass ich die Beste war. Aber als ich acht Jahre alt war, hatte ihn ein verrückt gewordener Mann unter dem Einfluss der Hexe getötet und meine Welt in Trümmer gelegt. Nie hatte ich ihn oder sein wildes, weißes Haar und seine Augenbrauen vergessen. Danach hatte mich die Hexe mit den violetten Regenbogenhäuten in den Turm gesperrt und den Teufel auf das Dach verbannt, um mich zu beobachten und darauf zu warten, dass ich floh, damit er mir die Seele aus dem Leib prügeln konnte. Ich zahlte für die Sünden meines Vaters, aber der Preis war zu hoch. Ich träumte davon, Freunde zu haben, in einem richtigen Haus zu leben und ein für alle Mal den Wasserspeier auszulöschen. Aber all das waren nur Fantasien.

Hab dir doch gesagt, dass du vorsichtig sein sollst.

„Sei still!“ Ich brauchte jetzt nicht auch noch schnippische Kommentare von mir selbst.

Zerbrochene Stühle und ein zerborstenes Bücherregal lagen um mich herum. Bücher waren überall im großen Zimmer verteilt. Sie hatten ihren Weg zum Fußende meines Doppelbetts gefunden, in die Nähe des erloschenen Kamins und in die kleine Ecke, in der ich etwas Sport machte, um meinen Körper fit und meinen Kopf gesund zu halten. Der ganze Wohnraum bestand aus einem übergroßen Raum mit allem, was man brauchte. Es gab Essen, das sich in dem Moment neu erschuf, in dem ich es aus der Speisekammer holte. Das Gleiche geschah mit dem Holzfeuer und aus den Wasserhähnen im Badezimmer und der Küche floss wie von Geisterhand heißes Wasser. Alles, was ich mir wünschen konnte, während mein Leben dahinsiechte. Die Hexe hatte nicht vor, mich verhungern oder verdursten zu lassen… Sie musste einen guten Grund haben, mich am Leben zu halten, den ich nicht verstand.

Wer zum Teufel weiß schon warum?

War es, um meinen Vater zu bestrafen, weil er ihre Perücke, gefertigt aus echten Goldsträhnen, gestohlen hatte? Als wäre es gestern gewesen, erinnerte ich mich daran, wie die Hexe ihrem Handlanger befohlen hatte, meinen Vater in die Wälder hinauszuführen. Ich schrie ihn an, damit er aufhörte und Papa in Ruhe ließ. Nur kurze Zeit später kehrte das weißhaarige Monster zurück und hielt den Kopf meines armen Vaters in der Hand. Meine Welt war zerbrochen und ich sank auf die Knie. Trauer strömte mit jedem Atemzug, den ich ausatmete, aus mir hinaus. Die Tränen trockneten nie und alles, woran ich auch Wochen später nur noch denken konnte, war sein abgetrennter Kopf. Seine leblosen, offenen Augen und wie ich nicht in der Lage dazu war, etwas zu tun, um ihn zu retten. Das Loch in meinem Herzen würde nie heilen, doch statt Trauer war dort nur noch das Verlangen nach Rache.

Warum also bot die Hexe mir ein komfortables Leben? Waren es die Schuldgefühle, einem acht Jahre alten Mädchen den abgehackten Kopf ihres Vaters gezeigt zu haben? Und alles nur, weil er ihre goldene Perücke gestohlen hatte. Das konnte doch nicht ein Menschenleben wert gewesen sein.

War das der Grund dafür, warum sie mein Haar verflucht hatte? Als Lektion? Es wuchs immer weiter und es war unmöglich, es abzuschneiden. Ich hatte den Verdacht, dass es mir so die Flucht erschweren sollte.

Aber anders als bei meinen vorherigen Fluchtversuchen hatte ich diesmal etwas mitgebracht. Ich steckte die Hand in meine Tasche und zog das magische Säckchen von Vanore heraus. Zum Glück waren meine Verletzungen nicht umsonst. Ich betete, dass Vanore noch am Leben war.

Nun brauchte ich ein Tier für den Zauber und ich wusste, wo ich eins fand. Also schob ich mich selbst auf meinem Hintern rückwärts zum geöffneten Bogenfenster. Unter Schmerzen stöhnend rollte ich mich auf meine Knie, klammerte mich am Fenstersims fest und zog mich daran hoch auf einen Fuß, mit meinem Gewicht gegen die Wand gepresst. Ich schnappte nach Luft und wartete, dass das Pochen in meinem Fuß nachließ.

Draußen umgaben Wälder die Lichtung. Diesen Ort nannte ich mein Zuhause. Unter mir waren die Überreste eines Schlosses… eine Wand, ein gebogener Türdurchgang… von hier oben waren die Bodenumrisse noch sichtbar, obwohl Unkraut und Blumen jetzt die Landschaft unter sich bedeckten.

Diese Wälder waren scheinbar vor langer Zeit einmal das Zuhause des ersten menschlichen Königreichs, das in Darkwoods errichtet wurde, nachdem das Haven Königreich in sieben Territorien aufgeteilt wurde. Das war sehr lange her—altertümliche Zeiten—und dieser Ort strotzte vor Geschichte. Meine Bücher belegten, wie groß das Land einst war, wie seine Vegetation in voller Blüte mit wunderschönen Blumen stand. Die Wände des Schlosses waren mit Edelsteinen und Gold verziert. Doch die königlichen Herrschaften waren habgierig und ließen ihre Bediensteten ohne Bezahlung bis zur Erschöpfung für sie arbeiten, obwohl es Zimmer gab, in denen sich die Juwelen stapelten. Als sich alle auflehnten wurde die Familie von Feinden angegriffen, die wild darauf waren, das Schloss an sich zu reißen. Dieses Königreich hatte also die erste königliche Familie beherbergt, die gefallen war. Ihre Hinterlassenschaften waren die Beweise des Preises, den man für Korruption zahlte.

Einige Bücher gaben an, dass der jüngste Sohn der königlichen Familie dem Tod entkommen war und eine Feenprinzessin geheiratet hatte. Vielleicht waren die majestätischen Feenfamilien also doch nicht so rein, wie sie angaben. Ich grinste. Wichtigtuer, allesamt.

Der Himmel war mit Wolken betupft. Vögel flogen über mir, doch dort unten rührte sich nicht eine einzige Kreatur. Sobald die Nacht hereinbrach, würde mein kleiner pelziger Freund eintreffen. Dann würde ich ihn in den Turm holen und Vanores Zauber sprechen.

Aber nun musste ich mich erst mal waschen und meine Wunden verbinden. Entschlossenheit durchfuhr mich, denn heute Nacht würde ich das Problem mit dem Wasserspeier ein für alle Mal lösen. Selbst wenn ich mein Bein hinter mir herziehen musste. Dieses Monster würde nie wieder seine Hand gegen mich erheben.

Der Halbmond saß tief zwischen den Sternen über mir, mein Blick aber fiel auf den Fuß des Turms. Es waren sicher fünfzehn Meter bis zum Boden und oft warf ich nachts Essen für meine einzige Freundin hinunter, die mich oft besuchen kam. Und heute Nacht hoffte ich auf ihr Kommen.

Wegen meines verletzten Fußes auf einem Stuhl sitzend, war ich mit so vielen Verbänden umwickelt, dass kaum noch ein Zentimeter Haut zu sehen war. Die Schüssel mit Wasser und die Kräuter für Vanores Gebräu standen auf einem kleinen Hocker neben mir im Mondschein.

Woher willst du wissen, dass es funktionieren wird? Was, wenn du die Kräuter falsch benutzt?

„Sei still. Ich weiß vielleicht nicht, was ich tue, aber ich werde hier nicht länger sitzen und in Selbstmitleid versinken. Ich werde alles versuchen.“ Außerdem hatte Vanore gesagt, dass die Kräuter und das Wasser sowohl von dem Tier als auch von mir angewandt werden mussten. Also entweder bespritzen wir uns damit gegenseitig oder trinken es.

Ich hing halb aus dem Fenster und mein Haar baumelte über die Kante. Es reichte nicht bis zum Boden, also hatte ich mir ein langes Stück Leinenstoff mit einem Fisch ans Ende meiner Haarspitzen gebunden. Das Essen stank genug, um die meisten Viecher aus dem Wald zu locken, aber war auch schmackhaft genug, um es mit Tomaten und Brot anzurichten.

Der Köder war ausgeworfen. Ich lümmelte mich nach vorne, meine Ellbogen stützten sich auf das Fensterbrett und ich wartete. Ich hatte alle Zeit der Welt und hatte sowohl darüber lachen als auch weinen können, wie armselig das klang. Meine Gedanken kreisten um Vanore. Sie hatte mir nicht alle Anweisungen geben können, wie man den Zauber spricht oder was man mit der wässrigen Mixtur und dem Tier anstellen sollte. Kein Töten, so viel war klar. Ich hatte den Nachmittag damit verbracht, zu lesen, aber meine Bücher gaben nichts über Zaubersprüche mit Kräutern her. Da man sie auch zum Kochen verwendete, entschied ich mich für die Theorie, sie zu essen.

Bist du dir da ganz sicher?

„Ja! Wir haben keine Zeit für Zweifel.“

Während ich in die Dunkelheit hinaus starrte wehten die Zypressen und Eichen im Wind, wie sie es schon hunderte Male getan hatten, als ich sie betrachtete und wünschte, dass jemand… irgendjemand, die Ruinen aufsuchen und den Wasserspeier besiegen würde.

Von unten kam ein Rascheln und ich sah auf die rote Katze mit den drei Beinen herab, die sich an einem nahegelegenen Busch rieb. Sie musste eine ihrer Vorderpfoten bei der Geburt oder bei einem Kampf verloren haben, doch das hielt sie nicht davon ab, Eidechsen und Insekten anzugreifen. Als sie das erste Mal aufgetaucht war, bestand sie nur aus Haut und Knochen. Deshalb hatte ich sie jede Nacht gefüttert und nun war sie rund und gesund. Zum Glück war sie immer leise und hatte so nie die Aufmerksamkeit des Wasserspeiers geweckt.

„Hallo Prinzessin. Schau, was ich für dich habe. Leckeren Fisch.“ Ich zupfte an meinem Haar. Meiner Meinung nach war es einfacher, sie so zu fangen, als nach unten zu klettern, ohne dass der Wasserspeier es mitbekam. Außerdem war ich mir nicht sicher ob ich es mit meinem verletzten Fuß schaffen würde, am Turm hinunterzuklettern.

Die Katze hob ihren Kopf, schnüffelte in der Luft und stürzte sich dann auf die Mahlzeit. Ich zog rasch meine Locken nach oben, aber sie hatte den Fisch verfehlt, da ich sie zu schnell hochgerissen hatte.

Lass dir Zeit.

Ich senkte den Köder wieder ab. Sie schlich sich näher heran und duckte sich in den Angriffsmodus. Perfekt.

Ein schnelles Schütteln des Leckerbissens.

Die Katze jagte ihrer Mahlzeit hinterher und ich zog an meinem Haar. Sie hatte die Leckerei mit der Kralle gefangen, sich im Stoff verheddert und ich hielt meinen Atem an.

Ja.

Ich zerrte meinen Zopf nach oben. Einen Arm vor den anderen zog ich sie so in den Turm hoch. Aber auf halber Strecke bockte sie und fiel hinunter in die Büsche.

„Nein!“

Da stand sie, inmitten der Sträucher, und kaute auf etwas. Dem Fisch. Ich hatte noch nie zuvor versucht, die Katze in den Turm zu holen, denn dafür hatte es keinen Grund gegeben. Vielleicht war es doch nicht so einfach, wie ich es gehofft hatte.

„Du dreckige Schurkin.“ Seufzend zog ich mein Haar hinauf und knotete ein weiteres Stück Fisch ans Ende, um die Locken dann wieder aus dem Fenster zu werfen. Sie würde die ganze Nacht fressen, wenn ich sie weiter fütterte.

Wieder schüttelte ich mein Angebot. Sie stürzte sich auf die schaukelnde Mahlzeit und in dem Moment, als sie darauf zu sprang, zog ich sie schnell nach oben. Dieses Mal bekam sie Panik, aber ihre Krallen hatten sich verhakt und in meinen Haaren verfangen. Sie trat und fauchte, drehte sich in meinen Locken im Kreis wie eine Meerjungfrau, die in ein Fischernetz geschwommen war.

„Wehr dich nicht, ich werde dir doch nichts tun.“ Eilig zog ich sie zu mir herauf. Sie kämpfte und fauchte weiter. Ich glühte vor Aufregung, denn der erste Teil meines Plans schien aufzugehen. Jetzt betete ich bloß noch den Himmel an, dass der Rest genauso einfach werden würde.

„Komm schon, Prinzessin. Ich habe etwas Köstliches für dich zu trinken, wenn du hereinkommst.“

Du hörst dich unheimlich an, wenn du es so sagst.

„Ach, sei ruhig.“

Die Katze fauchte weiter und ich zog sie ohne zu zögern durch das Fenster hinein. Ihre Krallen zogen durch die Luft und erwischten mich am Arm. Ich zuckte zusammen und ließ sie fallen. Sie saß da, mit dem Bauch flach auf dem Boden, und ihre runden Augen lugten aus meinem goldenen verknoteten Haar heraus. Blut lief mir über den Arm und die Stelle juckte bereits.

Eilig schloss ich die hölzernen Fensterläden. Der Raum war von Kerzen erleuchtet, die ich verteilt auf dem Kaminsims angezündet hatte.

Das Fellknäuel kreischte und windete sich in meinem Haar. Ich beugte mich herunter, um sie aus dem verknoteten Chaos zu befreien, aber sie war schneller und drehte sich zu mir um. Ihre Ohren waren angelegt und ihre Lippen über ihren scharfen Reißzähnen gefletscht. Ihr bedrohliches Jaulen hallte durch den Turm.

„Schau, es tut mir leid, dass ich dich gefangen habe, aber es ist nur übergangsweise. Na gut, ich lüge, da ich mir nicht sicher bin, wie die Dinge laufen werden, aber ich brauche deine Hilfe. Bitte. Als Gegenleistung werde ich dich füttern und du kannst hier oben leben. Ich werde eine Leiter bauen, damit du einen Zufluchtsort hast, wenn es regnet.“ Ich klammerte mich an einen letzten Strohhalm und mein schlechtes Gewissen meldete sich, da ich eine arme Katze in meine Probleme hineingezogen hatte. Aber wir waren eigentlich gar nicht so unterschiedlich: Beide alleine, nicht perfekt und verzweifelt versuchten wir zu überleben.

„Ich werde dir nichts tun. Wie wäre es mit etwas zu essen?“ Ich bewegte mich in Richtung der Küche, doch sie wich weiter zurück gegen den Hocker, auf dem die Schüssel mit dem Kräuterwasser stand. In genau diesem Moment kippte die Schüssel nach vorne und der Inhalt verteilte sich auf der Katze, welche mit geöffnetem Mund nach oben sah und gerade miauen wollte.

Die Mixtur spritzte ihr ins Gesicht und etwas davon traf ihr offenstehendes Maul. Ich schoss mit ausgestreckten Armen nach vorne und konnte die Schüssel auffangen, die noch halb voll war mit dem Zauber. „Scheiße!“

Die Katze schoss unters Bett und mein Herz pochte schnell.

Trinke es jetzt, oder du verschwendest die Gelegenheit.

Ich kippte das Wasser hinunter. Es war sandig und kleine Stückchen blieben in meinen Zähnen hängen. Aber ich schluckte das erdige, nach Brackwasser schmeckende Getränk herunter und unterdrückte den Würgereflex.

Mir auf die Brust klopfend hustete ich einen Fetzen aus, der sich in meinem Hals verhakt hatte. Ein kleines Stückchen… Was ist das? Bitte lass das keinen Knochen sein. Ich schaute mir den dünnen Stiel nahe der Kerze an und seufzte erleichtert. Nur ein Zweig. Humpelnd ließ ich mich auf den Stuhl fallen. Mein Fuß stach voller Schmerz und mein Magen gluckste.

Unter dem Bett ertönte ein knallendes und lautes Schnauben… keine Geräusche, die eine Katze von sich geben sollte.

„Geht es dir dort unten gut?“

Ein stechender Schmerz bildete sich plötzlich in meinem Bauch und ich schlang meine Arme um mich. Furcht lag mir schwer auf der Brust. Ich hatte ohne nachzudenken den Zaubertrank getrunken. Was, wenn die Beschwörung schiefgegangen war? Mein Kopf juckte und ich riss an meinen Haaren, konnte damit nicht aufhören. Diese Unersättlichkeit ließ mich mit den Zähnen knirschen.

„Hölle!“

Das orange Fellknäuel kam unter dem Bett hervor und kreischte, während es sich heftig kratzte. Sie rieb ihre Hinterpfote so kräftig hinter ihr Ohr, dass sie auf die Seite stürzte. In dem Moment wurde mir klar, „Prinzessin“ war überhaupt kein Mädchen. Meine Güte, er hatte riesige, runde… Ich würgte und schaute weg. Nicht, dass es einen Unterschied machte, da wir Schimpansen glichen, die einen Läusetanz aufführten.

Sie… Er miaute und schaute mich mit diesem was-hast-du-getan Ausdruck an?

„Es tut mir leid. Das ist auch für mich neu.“ Ich kratzte mich mit meinen Fingernägeln am Hinterkopf und die Erleichterung hielt kaum ein paar Sekunden an. Hitze stieg in meiner Brust hoch und ich schwitzte wie ein Schwein. Eilig öffnete ich wieder die Fensterläden. Die kühle Brise half ein wenig, aber als ein Kitzeln begann, mir den Rücken hinaufzuwandern, erstarrte ich.

Ich tauschte Blicke mit dem roten Kater aus, als goldene Funken über seinen Rücken tanzten. In der gleichen Sekunde zischte ein Blitz vom Himmel und traf uns beide in der Brust.

Auf den Boden geschleudert krümmte ich mich zusammen und schrie, als es um mich herum dunkel wurde. Was zur Hölle hatte der Zauber angerichtet?

Kapitel Drei

Heute

Fünf Jahre lang war ich immer vor Sonnenaufgang nach Hause gekommen und hätte annehmen sollen, dass ich meine Lektion gelernt hatte. Aber nein, denn ich rannte noch immer. Meine Füße hämmerten mit jedem eiligen Schritt auf den Waldboden ein und meine Lungen pumpten wie wild. Ich verfluchte mich selbst dafür, dass ich wieder zu spät nach Hause kam.

Hab dir doch gesagt, du sollst das Buch nicht stehlen, aber nein… Jetzt wirst du wieder verprügelt werden.

„Sei still. Das hilft nicht.“ Mein Herz pochte, während ich den Feldweg entlang rannte, den ich jede Nacht nahm. Vor fünf Jahren hatte ich Vanores Zauber versaut. Anstatt den Wasserspeier auszulöschen, hatte die Beschwörung ihn nachts zu einer undurchdringlichen Steinstatue werden lassen—er konnte nichts sehen und sich nicht bewegen. Sobald die Sonne aber aufging, erwachte er wieder zum Leben und wenn er nicht spüren konnte, dass ich im Turm war, machte er sich auf die Jagd nach mir.

Der Himmel wurde blauer. Sobald die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont schienen, würde der Wasserspeier erwachen und mich grausam angreifen, wenn er mich draußen vorfand.

Selbstverständlich hatte ich zwei Mal Vanores Haus aufgesucht und ihr Nachrichten hinterlassen, aber sie war nicht zu Hause. Beide Male hatten mir ihre Nachbarn erklärt, dass sie verletzt worden sei und einen verlängerten Urlaub an der Küste machte. Sie war auch nie gekommen, um sich ihre Bezahlung abzuholen, und ich war besorgt, dass ich ihr Schaden zugefügt hatte. Jedoch war ihr Haus zu weit weg. Zu oft war ich geschlagen worden, weil ich nach Sonnenaufgang nach Hause gekommen war. Daher hatte ich es aufgegeben, sie zu finden. Eines Tages würde ich meine Schulden bei Vanore begleichen und würde sie dazu zwingen, mir einen Zauber zu geben, der wirklich funktionierte.

Ich hatte mir also den Arsch abgearbeitet, um anderen Leuten bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen und um Geld zu verdienen. Ich hatte vieles kennengelernt: Menschen, Gestaltenwandler und Feen. Der Trick war es, herauszufinden, was jede Spezies zu bieten hatte. Wenn also jemand um Hilfe bat, wusste ich, wen ich anheuern musste, um ihnen zu helfen. Ich betrieb einen Empfehlungsdienst und brachte Klienten mit Leuten zusammen, die ihren Auftrag erledigen konnten.

Doch obwohl ich so viele Leute kannte, fiel es mir trotzdem schwer, wahre Freunde zu finden. Ich konnte die Gründe dafür an meinen Fingern abzählen. Ich konnte ihnen nicht erzählen, wo ich lebte und sie nur bei Nacht treffen. Oh, und ich redete mit mir selbst. Aber es war mir egal, was die Anderen dachten, da alles, wonach ich mich sehnte, die Freiheit war. Sie konnten mich ruhig für alle Ewigkeit „verrückt“ nennen, aber wenn ich dadurch freikam, würde ich meinen Namen in Crazy ändern.

Ich ließ das dichte Waldgebiet hinter mir und kam zu den freistehenden Ruinen. Der Wind blies durch mein kurzgeschnittenes Haar. Ich liebte diese Ungebundenheit. Die Schwere war fort und das Gefühl, wie mir darunter immer zu heiß war, auch. Ein Vorteil des Zaubers. Nun fühlte ich mich leicht wie ein Vogel. Wenn ich doch nur Flügel hätte.

Das erste Leuchten erschien am Horizont und der orangene Schimmer vor dem Sonnenaufgang erwachte. Meine Haut kitzelte und meine Adern wurden von Furcht durchströmt. Ich trampelte über das kniehohe Unkraut, das auf der Lichtung alles unter sich außer dem Turm begrub.

Das Gebäude aus Granit stand mittig auf der Fläche. Ranken schlangen sich um seinen Fuß nach oben wie eine Schlange, die versuchte, ihre Beute zu erwürgen, und der einzige Weg nach drinnen oder draußen war durch das Bogenfenster im oberen Viertel des Turms. Ein übergroßes Flachdach eingedeckt mit Schiefertafeln erinnerte an einen Käfig. Ein Windrichtungsgeber steckte darauf, der einen Mann auf einem Pferd darstellte, der einen Drachen abschlachtete. Diese arme Kreatur wurde genauso gejagt wie ich.

Das Monster, das mich auch in meinen Alpträumen verfolgte, hockte auf einer erhöhten Steinplattform in der Mitte des Dachs, auf der Stelle versteinert und seine Augen aus Granit konnten direkt in meine Seele blicken. Meine Haut kribbelte.

Hasse ihn. Hasse ihn. Hasse ihn.

„Ich auch!“

Ich blickte hinaus über die Landschaft. Die meisten hielten die Ruinen für verflucht. Aber die Wahrheit war, dass der Wasserspeier jeden tötete, der aus Versehen tagsüber auch nur in die Nähe der Ruinen kam. Was auch der Grund dafür war, warum ich es ablehnte, jemanden um Hilfe zu bitten. Ich hatte Schilder in den umliegenden Wäldern aufgestellt, um die Leute von den Ruinen fernzuhalten und die Mythen über die tödlichen Geister, die hier lebten, zu bestärken.

Ich sprang über Geröll und rannte auf den Turm zu. Ein orangener Schein schimmerte zu meiner Linken durch die Bäume. Mein Puls raste, ich eilte den Turm hinauf und krallte mich an den Rillen fest, die ich für meine Hände und Füße in den Stein gemeißelt hatte.

Etwa bei der Hälfte stießen die Sonnenstrahlen über den Horizont. Mein Herz raste und die Energie kitzelte bereits auf meiner Kopfhaut. Göttin, bitte noch nicht.

Du bist zu spät.

Während ich an der Wand hochkletterte versuchte ich mich zu beeilen, aber meine Zehen rutschten ab und ich schnappte nach Luft, als ich mich mit meinen Fingern fester in den Löchern der Wand festhielt. Schwere Schritte donnerten über das Dach.

Er kommt um dich zu holen.

Das Blut in meinen Venen erstarrte zu Eis. Mein Kopf juckte, als wäre ich in giftigen Efeu gefallen. Im Zeitraffer wuchs mein Haar nach und die Spitzen reichten mir bereits bis zu den Schultern. Scheiße!

Ich riss mich zusammen und stieg wie eine Spinne nach oben. Mein Atem steckte mir im Hals fest. Das Fenster war schon in Sichtweite. Mein goldenes Haar umgab mich und wuchs mit Lichtgeschwindigkeit wie ein Wasserfall. Jede Bewegung fühlte sich an, als würde ich einen Berg auf meinem Rücken tragen.

Der Vorsprung war in Reichweite.

Über mir erklangen dumpfe Schritte.

Ich streckte mich nach dem Fensterbrett aus.

Ein Schatten lauerte über mir. Ich unterdrückte den erstickten Schrei in meiner Brust. Schnell kletterte ich hinein und machte einen Purzelbaum nach vorne. Auf dem Rücken gelandet, verteilten sich Haufen blonden Haares um mich herum.

Der Rucksack, auf dem ich lag, bohrte sich in meinen Rücken. Ich schnappte nach Luft und war nicht in der Lage, mich zu bewegen. Mein Puls trommelte in meinen Ohren, während ich dem typischen Geräusch schlagender Flügel und dem Knirschen von Stein lauschte.

Es kam mir wie der längste Moment meines Lebens vor, doch nichts passierte, also atmete ich laut aus. „Zur Hölle, das war knapp.“

Wirklich? Was du nicht sagst. Der Raubzug von heute Nacht war das Risiko nicht wert. Du warst verantwortungslos.

„Oh, da irrst du dich. Es war das so was von wert.“ Ich setzte mich auf und kämpfte meine Arme aus den Trägern meines Rucksacks, die sich in meinen Haaren verfangen hatten.

Bewegung zuckte in den Schatten meiner Bleibe. Dunkelheit legte sich über den Raum und Gingernuts kam aus der Küche. Er zog sein goldenes Fell hinter sich wie einen Umhang her, aber es wurde kürzer, wurde vor meinen Augen wie magisch zurück in seinen Körper gezogen, wohingegen meine Mähne wuchs und sich über den Teppich schlängelte, wie ein Dutzend Schlangen, die versuchten zu fliehen.

Bei Einbruch der Nacht, schwand mein langes Haar dahin und bei Sonnenaufgang wuchs es wieder nach. Ja, dieser verdammte Zauberspruch vor fünf Jahren hatte nicht hundertprozentig funktioniert, aber er schenkte mir wenigstens nachts die Freiheit. Und ich genoss es, da es mir Zeit verschaffte, eine Lösung zu finden, wie ich den Wasserspeier für immer loswerden konnte.

Ich mag den Namen des Katers immer noch nicht. „Prinzessin“ passte besser zu ihm.

Ich lachte. „Nun, ich bin anderer Meinung. Er ist ein Junge mit übergroßen Eiern. Ich bin mir sicher, weibliche Katzen würden ihn dafür lieben.“

Er miaute, drehte sich auf der Stelle und versuchte sein langes Fell zu fangen, damit es nicht verschwand. Doch bereits einen Augenblick später hatte er sich zurück in den gefleckten Kater verwandelt, den ich vor fünf Jahren nach oben in mein hohes Gefängnis gezogen hatte. Dieselbe Verzauberung ließ nicht nur den Wasserspeier nachts in einen tiefen Schlaf verfallen, sondern schenkte mein langes Haar dem Kater. Es war nicht so lang wie meins, aber trotzdem übermäßig lang. Und ich wurde mit einem netten Kurzhaarschnitt bedacht, den ich liebte. Dies musste der Grund gewesen sein, warum die Hexe mir sagte, ich sollte ein Tier für den Zauber finden. Hätte ich aber gewusst, dass der Zauber den Kater zu einem Gefangenen des Wasserspeiers machte, hätte ich es mir vielleicht noch einmal überlegt. Andererseits aber stolzierte Gingernuts nachts mit seinen Locken herum, als wäre er der Schlosslöwe.

Jetzt aber war er mein Haustier und ich liebte ihn.

Man könnte eher Geisel sagen.

„Ach, du bist kein Gefangener, nicht wahr Gingernuts?“ Ich sprach mit meiner Babystimme, wie ich es immer tat, wenn ich mich mit ihm unterhielt.

Er hob sein Kinn und wandte seinen Blick von mir ab, während er auf seinen drei Beinen an mir vorbei hoppelte. Er lief direkt auf meine Haare zu, rollte durch das Chaos und wickelte sich mit meinen Haarsträhnen ein. Er war es gewöhnt, sich zu verstecken, so wie er es immer tat, wenn der Wasserspeier sich dem Fenster näherte.

„Komm her, du.“ Ich nahm ihn auf den Arm und drückte ihn gegen meine Brust. „Oh, ich habe dich so vermisst.“ Obwohl er seine Pfote gegen mein Kinn drückte, küsste ich ihn von oben auf den Kopf. „Hast du Lust nach draußen zu gehen, um ein paar Insekten zu jagen? Um etwas Bewegung zu bekommen?“

Er hörte auf, sich zu winden und sah mich an, als hätte ich ihm ein Bad angedroht.

Hör auf, ihn zu ärgern; er hasst es, nach draußen zu gehen.

Gingernuts sprang mir aus dem Arm und hörte nicht auf zu miauen. Das sah ihm so gar nicht ähnlich, da seine übliche Antwort ein böser Blick war, den er mir morgens meistens zuwarf, wenn ich nach Hause zurückkehrte—wahrscheinlich, weil ich ihm meine Haare wieder wegnahm. Der kleine Kerl mochte die Haarpracht einfach zu sehr.

Doch nun schlich er mir um die Füße und warf einen Blick zu meiner Linken, wo ich mein Bett aufgestellt hatte. Das Morgenlicht fiel in den Turm, erleuchtete die Küche zu meiner Rechten und den Boden voller Sitzkissen an der hinteren Wand. Ich hatte dort ein Feld voller Blüten an die Wand gemalt, mit Drachen in der Luft und einem Schloss in der Ferne. Ich stellte mir immer vor, dass ich eine Prinzessin war, die eingesperrt wurde, und dass mein Märchenprinz zu meiner Rettung kommen würde. Natürlich war das nie geschehen.

Gingernuts schlich zum freistehenden Kleiderständer und schaute mich und dann den Schrank an.

„Hast du wieder einen Vogel oder eine Eidechse gefangen und sie dort drin für mich versteckt?“ Es war nicht das erste Mal, dass ich mein Zimmer voller Federn vorgefunden hatte, nachdem ich heimgekommen war. Alles was ich mir vorstellen konnte war, dass er jeden Vogel, der sich auf das Fensterbrett gesetzt hatte, oder ein armes Reptil, das sich auf der Suche nach Futter nach hier oben verirrte hatte, angriff. Das musste oft vorkommen, da es zur Gewohnheit geworden war. Letzte Woche hatte ich fünf tote Stinktiere gefunden. Aber ich brachte es nicht übers Herz, die hölzernen Fensterläden zu schließen und Gingernuts einzusperren, da es keine anderen Fenster für frische Luft gab.

Noch nicht bereit für eine weitere Putzrunde stand ich auf und stopfte meine Haare in meinen Rucksack. Ich griff nach dem in Leder gebundenen Buch darin und nahm es heraus. Als ich es durchblätterte stellte ich fest, dass die meisten Seiten herausgerissen waren, doch das spielte keine Rolle, als ich das Kapitel über Wasserspeier fand.

Du hast unsere Leben dafür riskiert, in das Haus eines Lehnsherrn einzubrechen, um ein verdammtes Buch zu stehlen?

„Es ist nicht irgendein Buch. Dieses hier könnte mich retten.“ Der Titel lautete Alle untoten Dinge. Ich hatte keine Ahnung, was mit dem Wasserspeier vorging, aber technisch gesehen war er ein lebloses Objekt, das durch die Gegend lief. Wäre der Hauseigentümer nicht eher nach Hause gekommen, hätte ich mehr Zeit damit verbracht, die Bücherregal zu durchsuchen, denn es gab noch so viele andere Texte. Und es war nicht meine Absicht, ins Gefängnis geworfen zu werden, damit der Wasserspeier kam, um mich dort herauszuholen und mich dann verprügeln zu können.

Aber ich konnte ja später zurückkehren, um zu sehen, was er noch in seiner Bibliothek hatte.

Ja, du hilfst anderen aber kannst trotzdem keine Lösung für dein eigenes Problem finden.

Ich seufzte. „Lass mich in Ruhe. Ich versuche es doch.“ Ich winkte mit dem Buch in der Luft. „Hallo, Beweisstück A. Wir erlangen magisches Wissen über den Wasserspeier und wie wir ihn ein für alle Mal loswerden.“

Gingernuts stand auf meinen Haaren und krallte sich an meiner Hose fest. Er hörte nicht auf damit, zu mir nach oben zu sehen und anschließend zum Schrank.

„Meine Güte, was hast du nur mit dem Schrank?“ Ich marschierte durch das Zimmer, als die Tür des hohen Schranks aufschwang.

Ich zuckte zusammen, sprang zurück und meine Hand schoss zum Messer an meiner Hüfte. Festen Stands war ich bereit dafür, dass etwas hinausspringen konnte.

Stattdessen wartete ein Mann mit hellbraunen Haaren, die ihm bis zur Taille reichten, in meinem Schrank und schob meine hängenden Kleidungsstücke zur Seite.

„Wow!“ Wer um alles in der Welt war der fremde Mann in meinem Schlafzimmer?

Kapitel Vier

„W-Wer bist du?“ Meine Stimme stotterte. So ein Scheiß, wie dass sich jemand in meinem Schrank versteckte, war mir in all den dreizehn Jahren, in denen ich im Turm lebte, nicht passiert. Mir kreisten hunderte Fragen durch den Kopf. Ich griff an meine Hüfte und zog die Klinge aus meinem Gürtel, denn jede Frau brauchte Schutz. Metall konnte dem Wasserspeier nie etwas anhaben, aber ich hatte schon andere Monster gesehen, die nicht aus Stein waren, und mein Vater hatte keinen Dummkopf aufgezogen.

Vielleicht kann er dir dabei helfen, aus dem Turm zu fliehen.

„Wovon sprichst du?“ Ich senkte mein Kinn, während ich mit mir selbst redete und meine verwirrten Gedanken sortierte. Würde er mir wehtun—oder konnte er mir sogar bei meinem Problem behilflich sein?

Gingernuts stand neben mir und fauchte den Neuankömmling an. Ich versuchte, die Situation überhaupt zu verstehen.

Der Fremde trat aus den Schatten heraus. Er war so viel größer als ich mit meinen eins sechzig. Mindestens eins fünfundachtzig. Attraktiv beschrieb diesen Gott eines Mannes vor mir nicht mal ansatzweise. Volle Lippen, eine schmale Nase, kantiger Kiefer—alles war perfekt symmetrisch. Seine Stärke zeichnete sich in den Muskeln seines Halses, seiner breiten Schultern, der muskulösen Arme und kräftigen Brust ab.

Tief in mir wurde es warm. Okay, vielleicht hatte das Universum mir gerade einen meiner Wünsche erfüllt: einen sexy Kerl ganz für mich allein. Aber ich war mit meinem Vater in den Straßen aufgewachsen. Ich hatte so viele freundlich aussehende Menschen gesehen, die tief im Innersten abgrundtief schlecht waren.

Auch in seiner schwarzen Hose und Ledertunika, deren Tragen den Aristokraten vorbehalten war, erinnerte er mich an die Türsteher vom ‚Brawl‘, einer örtlichen Bar. Sie verfolgten ein Ziel: Ihre Mission erfüllen, ganz gleich, über was sie hinweggehen mussten.

Also warum zur Hölle versteckte sich ein Kerl, der aussah, als war er bereit, sich mit einem Wolf anzulegen, in meinem Schrank? Oder war er ein Teil der königlichen Familien im Haven Königreich?

Stärke spiegelte sich in seinen grünen Augen wider. Seine Aufmerksamkeit sprang von mir zum Fenster und er humpelte atemlos auf den Ausgang zu. Ich erstarrte und war davon überzeugt, dass er sich direkt aus dem Turm stürzen würde. Stattdessen drückte er sich platt mit dem Rücken gegen die Wand, bevor er nach draußen lugte. Versteckte er sich vor dem Wasserspeier?

„Was machst du in meinem Zuhause?“

Sein Blick wanderte an meinem Körper herab und zu dem Meer aus Haaren, das sich zu meinen Füßen erstreckte.

Ich fuchtelte mit meiner Waffe vor ihm herum. „Sprich, wenn du keinen Schnellkurs im Fliegen belegen willst.“

Genau—stich ihm ins Auge.

Ich senkte meinen Blick. „Was? Das ist schon ein bisschen serienkillermäßig.“

Er ist in deinem Zuhause und versteckt sich. Was, wenn er warten wollte, bis du schläfst, damit er dich vergewaltigen kann?

„Gott, du bist so dramatisch. Warum wäre er dann aus dem Schrank herausgekommen?“

„Sprichst du mit mir?“, fragte er. „Oder dem Fellknäuel, oder…? Ich wusste ja nicht, dass hier eine geistesgestörte Frau lebt.“

Ich hob meinen Kopf und bemerkte, wie Herr Gutaussehend mich mit gerunzelter Stirn betrachtete. „Hey, verurteile mich nicht.“ Ich schwang das Messer in der Luft zwischen uns. „Du weißt überhaupt nichts über mich. Und schließlich gebe ich auch keine Bemerkungen über dich ab, wie, dass du wahrscheinlich fast jeden Abend für diese Muskeln trainierst. Vielleicht gibt es ja etwas, wofür du kompensierst.“ Ich wackelte mit meinen Augenbrauen. „Oder, dass du mit dieser arroganten Art vielleicht nicht viele Freunde hast. Oder auch, warum deine Kleidung zerrissen ist, als ob du angegriffen worden wärst. Du siehst aus, als wärst du stark genug, um es mit einem Drachen aufzunehmen. Und doch versteckst du dich in meinem Schrank. Das sagt mir, dass du höchstwahrscheinlich ein Krimineller bist.“

Er atmete tief ein. Seine Brust hob sich, was meine Aufmerksamkeit auf seine Muskeln lenkte und ich verdrängte die Bilder aus meinem Kopf, in denen er oben ohne war. Stattdessen betrachtete ich die Schnitte auf seinen Fingerknöcheln und entlang seiner starken Unterarme. Gegen wen hatte er gekämpft?

Er flüsterte: „Hör zu, Schäfchen. Du und das Fellknäuel könnt euch entspannen. Ich werde euch nichts tun. Ich brauche nur einen Ort, an dem ich mich kurz verstecken kann, dann bist du mich los.“ Er konzentrierte sich wieder auf die Wälder, die das Feld zu unseren Füßen umgaben. Dann sah er wieder zu mir. „Und was soll das mit den Haaren? Willst du den Titel „längste goldene Locke der Welt“ gewinnen? Und warum ist das Fell der Katze jetzt so kurz?“

Ich strich mein Haar glatt und merkte, dass ein paar Strähnen abstanden. Es würde zu Problemen führen, dass jemand im Turm war und wusste, dass ich hier lebte. Er würde seinen Freunden erzählen, herzukommen und sich diesen Freak anzuschauen. Dann würde der Wasserspeier versuchen, sie zu töten und ich würde mich schuldig fühlen. Nein, das konnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. „Sag mir, was du hier machst!“

„Sei ruhig Prinzessin“, flüsterte er und winkte mit der Hand ab, während er die Wälder im Blick behielt. Er sah mich ganz und gar nicht als Bedrohung an—behandelte mich einfach nur wie eine Unannehmlichkeit. Wer zur Hölle war dieser Mann, dass er in mein Zuhause kam und mich überrumpelte.

Feuer brannte in meiner Brust. „Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen?“ Ich marschierte auf ihn zu und trat ihm in die Kniekehle.

Genau. Mach ihn fertig.

Er stöhnte und kippte nach vorne. Seine Arme ruderten beim Versuch, das Gleichgewicht zu halten, um nicht aus dem Fenster zu fallen.

Als er auf die Knie fiel sprang ich hinter ihn, schwang mein Messer und presste die Klinge gegen seinen Hals. „Rede“, zischte ich ihm ins Ohr. „Weil ich ja verrückt bin, weißt du, könnte mein Messer abrutschen.“

„Du bist eine Möchtegern-Prinzessin in einem Turm und hast keine Ahnung, mit wem du es hier zu tun hast.“ Seine raue Stimme führte dazu, dass ich eine Gänsehaut bekam—nicht vor Angst, aber weil er so verdammt sexy klang. Ich hatte ein Problem mit kräftigen, männlichen Stimmen. Sie waren meine allergrößte Schwäche.

„Warum bist du hier und wer bist du?“, verlangte ich zu erfahren.

Wieder seufzte er laut.

„Beeile dich und antworte“, sagte ich.

Hör auf deine Zeit zu verschwenden. Stich einmal zu und wirf ihn nach draußen. Ganz einfach.

„Was stimmt nicht mit dir? Zu sagst in letzter Zeit immer, ich soll jeden abstechen.“

In Sekundenschnelle schnappte sich Herr Gutaussehend meine Hand, die das Messer hielt, und zog mich nach vorne, während er zeitgleich auf die Füße sprang.

Ich schrie auf, als ich nach vorne taumelte, doch sein Griff lockerte sich nicht. Er riss mich zurück und ich krachte gegen seine steinharte Brust.

Mein Atem entwich, doch er drängte mich rasch rückwärts und drückte mich gegen die Wand auf der anderen Seite des Fensters. In meiner Magengrube erwachte Elektrizität knisternd zum Leben.

Ich rang nach Luft und windete mich in seinem Griff, doch er hielt mich fest und ich hätte genauso gut auch unter zwei Steinen begraben sein können. Und doch wurde etwas in mit geweckt—etwas Aufregendes und Herausforderndes. Die Art, wie sein Blick mich durchdrang, machten mich auf das, was dieser Mann exakt war, neugierig. Mir war nicht klar, warum ich mich selbst dabei erwischte, wie ich mich seltsam zu ihm hingezogen fühlte, wenn doch jeder andere normale Mensch ihn wegen unerlaubten Betretens seiner Wohnung aus dem Fenster gestoßen hätte. Aber ich konnte ihn nicht dem Wasserspeier außerhalb meines Turms zum Fraß vorwerfen. Nicht, als seine Finger sich in meine Arme bohrten, sein Körper sich gegen meinen stemmte und sein Atem schneller wurde.

„Ich heiße Reed.“ Er sprach leise, fast als hatte er Angst, dass ihn jemand draußen hören konnte. Gleichzeitig riss er mir die Klinge aus der Hand und schmiss sie auf den Boden.

Ich brutzelte vor Hitze, nun, da er mir so nah war. Es war ja nicht so, als hatte ich noch nie etwas mit einem Mann gehabt. In den letzten Jahren hatte ich das andere Geschlecht kennengelernt, ihre Männlichkeit, wie sie etwas Rohes in mir weckten und hatte sogar für einige Zeit eine Beziehung. Sein Name war Gage und ich hatte noch immer Gefühle für ihn. Er war erfrischend aufregend, aber es hatte nicht funktioniert, da ich ihm nicht sagen konnte, wo ich lebte oder warum ich ihn nur nachts treffen konnte.

Er war mir einmal nach Hause gefolgt und ich hatte die Fassung verloren. Ich schrie ihn an, nie wieder mein Zuhause aufzusuchen. Dann hatte ich es beendet, voller Angst davor, was passieren konnte. Ihm von dem Wasserspeier zu erzählen war keine Option, denn er würde sich der Kreatur entgegenstellen und am Ende sterben.

Aber jetzt mit Reed über mir und seinem Körper, der mich einkeilte, preschte ein Funken voran und ich schob meine Sorgen für einen Moment zur Seite. Ich konnte nicht anders, als darüber nachzudenken, wie es wohl war, alle seine Muskeln zu berühren. Mein Körper zitterte unter ihm, während mein Kopf brüllte, mich verdammt nochmal zu befreien.

Ich kann nicht glauben, dass du jetzt über so was nachdenkst.

„Jemand jagt mein Rudel.“ Seine Wörter durchdrangen meine Lüste, doch er bewegte sich nicht von der Stelle. „Und ich bin in deinen Turm geflüchtet, da ich annahm, dieser Ort wäre verlassen. Ich will dir nichts tun. Nur etwas mehr Zeit, um unentdeckt zu bleiben, ist alles, worum ich dich bitte.“

Mein Herz raste, als seine Worte sackten und Sinn ergaben. Ich sah hoch und bemerkte den frischen Kratzer an seinem Kinn, sowie einen weiteren auf seinem Schlüsselbein. Meine Gedanken flogen zu den Nächten, in denen ich versucht hatte, vor dem Wasserspeier zu fliehen und zu den wenigen Leuten, die mir geholfen hatten, indem sie mich in ihren Kutschen mitgenommen oder mir etwas zu essen gegeben hatten. Sie waren meine Helden, denn sie haben mich nicht fortgestoßen, als ich Hilfe brauchte. Wie hätte ich es also ablehnen können, Reed zu helfen?

Er lügt.

„Rudel? Wie in Löwenwandler?“

Er schüttelte sich und direkt vor meinen Augen verwandelten sich seine Pupillen in vertikale, schlitzförmige Augensterne und ein tiefes Knurren röhrte in seinem Hals.

Ich wehrte mich nicht weiter und erstarrte, da die Angst an meinem Inneren nagte.

„Jetzt verstehst du es, Prinzessin.“

„Nenn mich nicht so. Aber wer jagt dich? Wilderer? Ein König oder eine Königin? Oder vielleicht die Priesterin, die das menschliche Terra Königreich regiert? Ich habe gehört, dass sie scheußlich ist und Gestaltenwandler hasst. Was hast du getan, um sie wütend zu machen?“

Nach einem kurzen Blick nach draußen antwortete er: „Die Mitglieder meines Rudels verschwinden, sowie auch andere Gestaltenwandler in Darkwoords. Jemand entführt sie. Man findet keine Leichen; sie verschwinden einfach. Heute Morgen bin ich den Schreien meiner Schwester in den Wald gefolgt und was ich vorfand war eine Gestalt mit Kapuze, die sie an einer Kette, die um ihren Hals gelegt war, wegzog. Weitere Feinde griffen mich an und jeder von ihnen trug ein schwarzes Halsband, so als seien sie Haustiere, die jemandem gehörten. Ich habe nur überlebt, in dem ich wie ein Feigling davongelaufen bin.“ Seine Stimme senkte sich und er sah fort. Sein Griff lockerte sich nun.

Ich schubste ihn weg und lief auf den Ständer in der anderen Ecke des Zimmers zu, behielt ihn aber dabei die ganze Zeit im Blick. Seine Misere ließ mich schwach werden. „Du hast dich also in meinem Turm versteckt, um zu entkommen?“

Er nickte und jetzt, da er im vollen Sonnenschein stand, sah ich das Ausmaß seiner Wunden. Die blutenden Kratzer an seinem Ohr und seinem Hals, die Blutflecken auf seinem Hemd und seiner Hose, so als hatte ihn jemand mit einem Dutzend Messern geschnitten. Mein Herz war voller Mitgefühl für ihn, denn ich wusste, was es hieß, gejagt zu werden, sich besiegt zu fühlen und ohne Erbarmen verprügelt zu werden.

„Ich habe eine rote Katze gesehen, die an den Ranken, die sich um das Gebäude schlängeln, nach oben in dem Turm kletterte. Sie hatte seltsames Fell, nicht so lang aber wie deine Haare jetzt. Es war mir egal. Mir war nur wichtig zu überleben. Also bin ich dem Tier gefolgt.“

Was? „Gingernuts, du gehst nachts immer hinaus?“ Ich blickte auf ihn hinunter, eingewickelt in meinen blonden Locken. Er hörte auf, sich in meinen Haaren zu wälzen und miaute kurz und scharf. „Du wurdest so etwas von erwischt.“ Das erklärte die ganzen Kriechtiere, die ich im Turm gefunden hatte.

Reed sah immer wieder nach draußen und zu mir zurück.

Ich hasste es, mitanzusehen, wie jemand um sein Leben fürchtete. „Ich habe eine Freundin, die ist eine Biberwandlerin und—”

Er hob eine Augenbraue. „Eine Biberwandlerin? Gibt es die wirklich oder hast du dir das ausgedacht?“

Ich spottete. „Bist du Gestaltenwandlerwissenschaftler? Ja, es gibt sie wirklich. Wie auch immer, vor über einem Jahr machte jemand auf sie wegen ihres Pelzes Jagd.“ Sie wusste auch nicht, wo ich lebte, oder vom Wasserspeier, da ich zu viel Angst hatte, irgendjemandem davon zu erzählen. Was, wenn sie mir nicht glaubten, dass sie sich während des Tages fernhalten mussten? Wenn sie mich besuchten konnten sie dabei ums Leben kommen.

Reed studierte mich und seine Augen begannen zu funkeln, während seine Mundwinkel zuckten. Würde er anfangen zu lachen, obwohl ich ihm eine wahre Geschichte erzählte? „Rede weiter“, bot er an.

„Nun, die beiden Männer waren unnachgiebig und folgten ihr überall hin, bis sie sie eines Tages in den Wäldern eingekesselt hatten. Sie bestanden darauf, dass ihr Pelz ihnen im Terra Königreich ein stolzes Sümmchen einbringen würde. Wäre dieser Wolfswandler auf seiner Durchreise nicht vorbeigekommen, der zu ihrer Rettung eilte, wäre sie heute tot. Noch heute hat sie Todesangst davor, alleine nach draußen zu gehen.“ Ich schluckte den Schmerz, der bei dem Gedanken an ihre Tränen und der Art, wie sie jedes Mal, wenn sie von dem Vorfall erzählte, zitterte, hinunter und sah Reed an. Er musste sich verloren und wie in der Falle vorkommen.

„Es regt mich auf, dass ihr das jemand angetan hat“, fügte ich hinzu. „Sie haben ihr Leben wegen ihrer selbstsüchtigen Gier ruiniert. Also tut es mir leid, dass auch dir so etwas widerfährt. Und wenn ich kann, werde ich dir helfen. Jetzt hole ich erst einmal Verbände für deine Schnitte.“ Ich wandte mich dem Badezimmer zu und blickte über meine Schulter. „Du kannst dich in meinem Turm so lange verstecken, wie es für dich nötig ist. Ich werde dir nichts tun.“

Er hob die Stirn, als wollte er jeden Moment wegen meinem Vorschlag in Gelächter ausbrechen.

„Nein, danke. Ich habe dir schon genug Umstände gemacht. In Kürze werde ich gehen und keine Gefahr zu deiner Tür führen. Ich muss meine Schwester finden.“

„Ich bestehe darauf.“ Als Antwort akzeptierte ich kein Nein, eilte ins Badezimmer und holte die Verbände, ein Handtuch und eine kleine Schale mit Wasser.

Als ich alles auf dem Tisch abgestellt hatte, nahm er auf dem Stuhl Platz und ich kniete mich vor ihm nieder. Die Ecke des Handtuchs tunkte ich ins Wasser, wrang sie dann aus und griff nach seinem Arm, auf dem sich ein Kratzer von seinem Ellbogen bis zum Handgelenk erstreckte. Ich tupfte die Verletzung ab und säuberte sie vom Blut. „Womit haben sie dich geschnitten? Deine Haut sieht aus, als wäre sie aufgerissen.“

„Mit einer gezackten Klinge. Die Bastarde wollten nicht, dass ich meine Schwester zurückholte.“ Seine Lider wurden schwer und ich säuberte ihn weiter, bevor ich seinen Arm bandagierte. Wenn etwas Schlimmes geschah, war Stille manchmal der beste Begleiter.

„Du bist sehr fürsorglich“, sagte er mit weicher Stimme und schob eine Strähne meines Haares hinter mein Ohr. Seine sanfte Berührung löste ein Kitzeln in mir aus. „Wie kommt es, dass ich dich noch nie in der Gegend gesehen habe?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich bin eher eine Nachteule.“

„Ich auch.“ Er schenkte mir ein süßes Lächeln. „Vielleicht können wir uns in ein paar Wochen ja mal irgendwo treffen. Ich bete, dass ich bis dahin meine Schwester gefunden habe.“

„Du meinst, eine Verabredung?“ Hitze stieg an meinem Hals hinauf.

„Wenn du es so nennen möchtest. Ich komme zurück, um dich zu sehen.“

Die Panik würgte mich und ich setzte mich gerade hin. „Vielleicht wäre es besser, wenn wir uns in einer Woche nach Sonnenuntergang vor dem Brawl treffen. Was meinst du?“

„Hört sich gut an.“

Dutzende Fragen schossen mir durch den Kopf. Als ich damit fertig war, ihn zu waschen und zu verbinden, stand er auf und sah nach, wie es draußen aussah. „Ich gehe jetzt besser.“

Als ich aber aufstand, kam er auf mich zu, lehnte sich ohne Vorwarnung nach vorne und seine Lippen berührten meine. Weich und kurz, aber ausreichend, um mich tief im Innersten aus dem Gleichgewicht zu bringen. Mein Herz flatterte und Schmetterlinge schwärmten durch meinen Bauch. Seine Hand ruhte unter meinem Ohr und sein Daumen streichelte meine Wange. Unsere Atemzüge vermischten sich bevor er sich von mir löste.

„Ein kleines Etwas“, sagte er mit fester und tiefer Stimme, „das mich über Wasser hält, bis wir uns wiedersehen.“

Ich war nicht bereit, ihn gehen zu lassen und griff nach ihm, als ein riesiger Schatten über das Fenster fiel und das Licht aus dem Turm verbannte. Der Wasserspeier. Ich rang um Luft.

„Scheiße. Pass auf!“ Die Panik ergriff von mir Besitz. Ich zog ihn vom Fenster fort, aber in derselben Sekunde wurde er mir entrissen.

Er wurde förmlich aus dem Fenster gesaugt und seine Schreie hallten durch den Turm wie das Heulen eines Gespenstes.

Mein Herz hämmerte in meiner Brust und ich sprang ihm hinterher. Meine Hand versuchte sein Bein zu fassen zu bekommen, aber es war zu spät.

Der Wasserspeier hatte ihn am Arm gepackt und flog über das freie Land. Die Schuldgefühle nagten an meinen Innereien. Was hatte ich getan? Würde ihn der Wasserspeier bis zur Bewusstlosigkeit verprügeln? Ihn wie all die anderen töten? Ich umklammerte meinen schmerzenden Bauch.

„Lass ihn herunter“, schrie ich, aber meine Worte stießen auf taube Ohren. Die Kreatur hatte mir noch nie zuvor Beachtung geschenkt, also warum sollte sie es nun tun. Ich hätte Reed verstecken und ihm sagen sollen, dass er still sein muss, bis die Nacht anbricht. Nie hatte ich gedacht, dass der Wasserspeier unsere Unterhaltung hören würde.

Meine Augen starrten gebannt auf das Monster, das den tretenden und um sich schlagenden Löwenwandler trug. Und genau über den Kronen der Bäume ließ er ihn fallen. Mein Magen verwandelte sich zu Eis.

Der Wasserspeier tauchte ihm hinterher und las ihn wieder auf, bevor er ihn erneut fallen ließ. Ein erdrückter Schrei sprudelte in meiner Kehle nach oben. Die Furcht legte ihre Arme wie eine Zwangsjacke um mich und ich konnte nichts anderes tun, als zu weinen.

Ich überlegte, ihm zu folgen, doch was dann?

Wieder verprügelt werden und wie lange wird es dieses Mal dauern, bis deine Rippen verheilt sind?

Ich schluckte den Kloß in meinem Hals, der so groß wie ein Berg war, herunter und ließ mich vor dem Fenster auf die Knie fallen, während ich in meine Hände schluchzte. Mein Leben hassend. Den Wasserspeier hassend. Hassend, dass ich mich so machtlos und hoffnungslos fühlte.

„Ich will, dass der Wasserspeier stirbt, in eine Million Stücke gesprengt und zerrissen wird, zusammen mit diesem gottverfluchten Turm.“ Jede Faser meines Körpers zitterte, aber als dieses einzigartige Geräusch schlagender Flügel näherkam, riss ich meinen Kopf hoch.

Der Wasserspeier kehrte zurück und segelte mit seinen weiten Flügeln durch den Himmel.

Ich robbte rückwärts und eilte in mein Schlafzimmer in der hintersten Ecke. Sein Schatten flog über das Fenster und er landete mit einem dumpfen Schlag auf dem Dach. Ich zuckte zusammen. Schwere Schritte donnerten über mir und verstummten dann.

Zusammengekauert umklammerte ich meine Knie und meine Sicht wurde von Tränen getrübt. War Reed tot?

Vergiss ihn. Du hast Glück, nicht verprügelt worden zu sein.

Aber es war unmöglich, zu vergessen. Genau wie mein gesamtes, versautes Leben. Meine Tränen brachen in Strömen aus. Meine Atemzüge wurden zu kurzem Japsen. Tod umgab mein Leben und ich kämpfte mit letzter Kraft, meinen Kopf über Wasser zu halten.

Etwas berührte mich am Bein und ich sah auf Gingernuts herab, der sich an mir rieb und schnurrte. Ich nahm ihn auf meinen Schoß und verschränkte meine Beine. „Was würde ich nur ohne dich tun? Du bist alles, was ich habe.“

Hey, und was ist mit mir?!

„Du zählst nicht, da du bloß in meinem Verstand Amok läufst.“

Schwere zupfte an meinen aufgequollenen Augen, also kroch ich mit Gingernuts ins Bett, war aber nicht in der Lage dazu, an irgendetwas anderes als an Reed zu denken, wie er im Griff des Wasserspeiers umher schwang. War er irgendwo dort draußen und starb? Sobald die Nacht einbrach würde ich ihn suchen gehen. Jetzt betete ich, dass er durchhielt, bis ich ihn fand.

Kapitel Fünf

„Reed!“ Ich schreckte aus dem Schlaf hoch und sein Name kreischte aus meinem Hals. Schweiß durchnässte meine Kleidung. Mein Haar klebte an meinem Kopf und meinem Hals. Hatte der Wasserspeier den Löwenwandler getötet? Und es gab nichts, was ich hatte tun können, um ihn aufzuhalten.

Eine milde Brise umspielte meine Wangen und draußen verdunkelte sich der orangene Himmel. Die Nacht brach herein. Gingernuts stolzierte wie ein König über den Fenstersims, ließ seinen Blick über das Land streifen und wartete, dass die Sonne unterging, damit er meine Haare bekam. Er konnte sie gerne alle haben. Nachdem ich mich aus den Laken gewunden hatte, eilte ich ins Badezimmer und mein Haar schliff mir hinterher. Es bedeckte den Fußboden und dämpfte meine Schritte.

Reed musste einfach überlebt haben. Er war sicher fit, schnell fortgerannt und hatte den Wald genutzt, um den Wasserspeier zu meiden. Oder? Mir drehte sich der Magen um beim Gedanken daran, dass er tot sein konnte.

Ich ging an der hölzernen Wand vorbei, die mein Badezimmer vom Rest des Raums abtrennte. Leuchtend gelb hatte ich sie gestrichen, damit sie das Zimmer aufhellte. Trotzdem fühlte ich mich nun aber alles andere als fröhlich.

Nachdem ich rasch mein Gesicht und meinen Körper gewaschen hatte, drang ein Kreischen von draußen zu mir herüber. Ich wirbelte herum und stieß den Wassereimer um. Der Inhalt verteilte sich überall auf dem Holzboden. „Oh, scheiße!“

Ich schnappte mir zwei Handtücher aus dem Regal und schmiss sie über das Missgeschick, damit sie das Wasser aufsaugten. Ich war total schreckhaft und unkonzentriert geworden, während meine Brust schwer vor Sorge um Reed war.

Ein Blick in den Spiegel und ich strich meine Haare glatt. Die Dunkelheit tanzte unter meinen Augen, also kniff ich mir in die Wangen, um etwas Farbe zu bekommen und versuchte, zu lächeln. Doch ich konnte es nicht. Trotzdem sah ich aus, als hatte ich eine Woche lang nicht geschlafen. Ich war erschöpft aufgewacht, obwohl ich fast den ganzen Tag verschlafen hatte. Eigentlich hätte ich weiterschlafen sollen, aber ich weigerte mich, auch nur eine Sekunde meiner freien Zeit länger in diesem Turm zu verbringen.

Etwas zupfte an meinem Haar hinter mir.

Gingernuts war dort und knete mit seinen Krallen das Haarbündel auf dem Fußboden. „Mach dir keine Sorgen. Das wird in Kürze dir gehören.“

Als nächstes zog ich mir meine Lederhose und ein Hemd an, doch die Knöpfe ließen sich nicht schließen. Was zur Hölle? Ich blickte nach unten nur um zu bemerken, dass ich es auf links angezogen hatte.

Was ist heute nur mit dir los?

„Hör auf zu reden.“ Ich zog mich noch einmal an und streifte eine schwarze Weste über das Hemd, welche ich vorne fest verschnürte, während ich in meine Stiefel schlüpfte. Mit meiner Klinge, die ich im Gürtel verstaute, starrte ich nach draußen auf den immer dunkler werdenden Himmel. Nicht mehr lange. Eilig fütterte ich wie jeden Abend Gingernuts getrocknete Fischstücke zusammen mit einer Schüssel Milch. Für mich selbst richtete ich auch einen Teller her. Brot, Käse und Schmalz. Mehr bekam ich nicht hinunter. Während ich mit meinem Essen am Tisch saß und Gingernuts neben mir fraß, blätterte ich durch das Buch, das ich gestern einem Lehnsherrn gestohlen hatte. Ich klappte es flach auf der Seite über Wasserspeier auf, las den Text und steckte mir ein Stück Brot mit Käse in den Mund.

Aha, okay, also scheinbar war der erste aller Wasserspeier ein Geliebter einer Hexe. Er war einst ein normaler Mensch, der sie betrogen hatte. Daher hatte die Hexe sein Herz zu Stein verwandelt, was ihn unfähig machte, je wieder zu lieben oder Gefühle zu spüren. Eine andere Hexe hatte ihn ziellos durch das sandige Königreich von Utaara wandernd gefunden und entschieden, dass er der perfekte Soldat war. Also nahm sie sein Blut, vervielfältigte es und injizierte das Zeug toten Körpern. Man fügte dunkle Magie hinzu und sie erwachten als Steinkreaturen. Die Hexe benutzte ihre untote Armee um im Namen einer königlichen Familie im Haven Königreich in Darkwoods Feinde zu bekämpfen.

Ich sah augenblicklich nach draußen und nahm einen weiteren Bissen meiner Mahlzeit. Diese Geschichte war damals genau hier in diesen Ruinen vorgefallen. Hier kamen also die Wasserspeier her und sie hatten den Kampf verloren, da die Familie getötet worden war. Hatte die Hexe, die mich verzaubert hatte, also irgendwo weitere Wasserspeier in Reserve? Oder hatte sie nur einen gefunden und einen Weg entdeckt, wie sie ihn aktivieren konnte?

Ich ergriff das Buch und überflog schnell die nächste Zeile… Ein Drachenzahndolch konnte ihren Panzer durchstoßen.

Zur Hölle! Ich verschluckte mich an meinem Essen, schlug mir mit der Faust auf die Brust und spülte die Krümel mit einem Glas Milch hinunter.

„Was zum Geier?“ Ich las die Zeilen ein weiteres Mal. Es gab eine Waffe, die die Wasserspeier zerstören konnte? „Verdammte Scheiße! Warum habe ich dieses Buch nicht schon früher gestohlen?“

Wie willst du solch einen Drachendolch finden?

Mein Exfreund, Gage, war ein Drachenwandler, aber ich habe ihn nie ganz verwandelt gesehen. Einmal hatte er seine Flügel entfesselt, was spektakulär war. Aber das war es auch schon gewesen und er weigerte sich, darüber zu sprechen, warum er sich nie ganz verwandelte. Irgendwie vermutete ich, dass er nur einen Tropfen Drachenblut in sich trug, was ihm geringfügige Fähigkeiten verlieh. Er aber erzählte jedem, dass er ein kompletter Drache war. Unabhängig seiner Beweggründe vermutlich zu lügen, konnte er wissen, wo ich einen Drachenzahn finden konnte.

Ich hatte Geschichten gehört, dass vielleicht einige wenige Drachen tief in den Wäldern und Bergen des Wildfire Königreichs lebten. Und von allen, mit denen ich bisher gesprochen hatte, hatte niemand je einen Drachen gesehen, aus gutem Grund. Sie würden jeden knusprig rösten.

Draußen war die Sonne beinahe hinter dem Horizont verschwunden. Sobald sie untergegangen war, würde ich hinaus und auf die Suche nach Reed gehen.

Also las ich weiter. Die untote Armee hatte eine Schwäche. Der Zauber hatte ihre Herzen verweichlicht. Wenn jemand in das Organ stach, würde der Wasserspeier sich zu Staub verwandeln und verschwinden.

Ich schnappte nach Luft, schlug mit der Hand auf den Tisch und schreckte damit Gingernuts auf, der herumwirbelte und in meine Richtung fauchte.

„Entschuldige, es tut mir leid. Aber, scheiße! Das ist es. Der verfluchte Dämon da oben hat verloren.“ Meine Knie wippten unter dem Tisch, als ich mich wieder dem Buch widmete.

Um den steinernen Körper zu durchdringen musste man, wenn man keinen Drachenzahndolch hatte, nah genug kommen, um eine Klinge zwischen die beweglichen Steinplatten zu stechen, die sein Herz schützten. Und das, bevor der Wasserspeier dich angriff.

Bist du dir sicher, was das angeht? Für meinen Geschmack klingt das etwas zu einfach.

„Hast du nicht gerade das Buch gelesen…? Ich könnte ein gewöhnliches Messer verwenden.“ Dies war das erste Mal, dass ich eine Möglichkeit gefunden hatte, die Kreatur zu besiegen. Auch wenn ich keinen Drachenzahndolch hatte, ich konnte sein Herz durch die Spalte mit einer normalen Klinge durchstoßen. Es war nicht gefahrlos, aber ich wusste, wo der beste Messerkämpfer in Darkwoods wohnte. Für die richtige Bezahlung würde Dustin alles tun. Ja, nahe genug an den Wasserspeier heranzukommen, um ihm ins Herz zu stechen, war ein gefährliches Unterfangen, und daher würde es sich Dustin auch reichlich bezahlen lassen. Er war schnell mit der Klinge, was hoffentlich bedeutete, dass er nicht so nah an den Wasserspeier heranmusste. Seine Fähigkeit, Messer zu werfen, war nichts, was ich ihm nachmachen konnte, also musste ich mich auf seine Hilfe verlassen können.

Mach dir nicht zu viel Hoffnung. Das könnte böse nach hinten losgehen.

Wieder auf den Beinen schlenderte ich vom Bett zum Tisch und ignorierte meine negative Seite. Ich war verzweifelt und musste einen Weg finden, den Wasserspeier auszulöschen. Ich würde Dustin von den Risiken erzählen, aber wenn es schiefging, musste er fortrennen, um nicht verletzt zu werden. Der Wasserspeier war wegen Vanores Zauber während der Nacht aus massivem Stein. Wenn die Sonne aber aufging, verwandelte sich sein Körper zu kleineren Felsen, die es ihm erlaubten, sich zu bewegen und Spalten eröffneten, in die man hineinstechen konnte. Das hieß, sobald es Morgen wurde und der Wasserspeier aufwachte, mussten wir ihn aufspießen. Und bevor er die Überhand über uns gewann.

Also musste ich heute Nacht das Brawl aufsuchen, in der Gage als Rausschmeißer arbeitete, um ihn nach einem Drachenzahndolch zu fragen. Während ich dort war wollte ich auch mit Dustin sprechen. Ich kaute auf meiner Unterlippe. Es war Monate her, seit ich Gage das letzte Mal gesehen hatte und jedes Mal, wenn ich ihn sah, liefen meine Emotionen Amok. Ich denke, das kam davon, dass ich mit einem Mann, den ich liebte, Schluss gemacht hatte. Aber ich riskierte lieber ein gebrochenes Herz, als dass der Wasserspeier ihn verletzte.

Vor einigen Monaten war ein Betrunkener in die Ruinen gestolpert und der Wasserspeier hatte ihn getötet. Die Realität machte mich fertig. Wenn ich nicht vorsichtig gewesen wäre, hätte das Gage gewesen sein können. Er bestand ständig darauf, mich nach Hause zu bringen, und ich nutzte jede Ausrede der Welt, um ihn fernzuhalten. Das war der Grund dafür, warum ich es beendet hatte. Zu seiner eigenen Sicherheit.

Unter Schluckauf suchte sich mein Atem seinen Weg in meine Lunge. Reed war dort draußen. War er noch am Leben? Ich musste ihn suchen um sicherzugehen, dass er nicht irgendwo tot oder verwundet lag.

Ich widmete mich wieder dem Buch und am Ende der Seite befand sich ein Abschnitt darüber, dass nur mächtige Hexen einen Wasserspeier kontrollieren konnten, doch er endete mitten im Satz, da die nächste Seite herausgerissen war. Verdammt. Aber ich hatte genug gelesen, um zu wissen, was ich wissen musste.

Die meisten der antiken Bücher mit Zaubersprüchen waren in den Zeiten des alten Kriegs zwischen den Königreichen verschwunden und keine von ihnen standen zum Verkauf. Es war also eine Überraschung, dass mir ein Kunde von diesem Werk erzählt hatte, auch wenn es verwittert und zerrissen war.

Lächelnd wackelte ich mit den Zehen. „Heute wird ein guter Tag. Ich kann es in meinen Knochen spüren.“

Die stickige Nachtluft umgab mich, als ich mich durch die Wälder kämpfte, schnaubend, so als war ich vom Turm aus hier hergerannt.

„Reed, kannst du mich hören?“ Ich umklammerte die Laterne fester, während ich den dunklen Boden nach ihm absuchte. Ich hatte schwören können, dass dies die Stelle war, an dem der Wasserspeier ihn fallen gelassen hatte. Um mich herum lagen Trümmer, Farne wuchsen bis in Kniehöhe und es gab einige Felsen, doch kein Anzeichen eines Körpers. Ich suchte weiter, nicht dazu bereit schon aufzugeben, falls er doch verletzt, oder noch schlimmer sogar, tot war. Was, wenn ein anderes Wildtier ihn verspeist hatte? Selbst, wenn es ein Berglöwe oder Panther gewesen war, hätte ein solcher Angriff Spuren hinterlassen, oder? Blut oder Knochen.

Schweiß bedeckte meine Haut und mein Herz pochte, als ich mir Reed zerfleischt und tot, irgendwo im Wald, vorstellte. Ich durchforstete das Buschland mit den Schatten zwischen den Bäumen.

„Reed!“, brüllte ich. „Wenn du hier bist, sag etwas. Bitte.“ Ich sprang über einen massiven toten Zweig, als eine Eule über mir aufheulte. Zusammenzuckend presste ich meinen Rücken gegen einen Baum. Heute erschien mir der Wald dunkler als sonst, so als würde sich oben in den Ästen eine schwarze Masse ansammeln. Oder vielleicht war ich es, die sich alleine und angreifbar fühlte.

Berglöwen greifen von hinten an. Wir werden es nicht kommen sehen. Geh jetzt besser.

„Das hilft mir auch nicht.“ Auf dem Weg zu bleiben bot eine bessere Möglichkeit, etwas zu erspähen, was sich an mich anschlich. Aber ich konnte noch nicht gehen. Ich musste weiter nach Reed suchen, also lief ich durch den Wald. „Reed!“

Nach einer Weile, die sich wie die halbe Nacht anfühlte, und ohne Erfolg bei der Suche nach Reed oder einem Anzeichen, dass er angegriffen worden war, marschierte ich den Weg zurück, auf dem ich gekommen war. Ich legte einen Zahn zu, ließ die dichten Wälder hinter mir und dachte darüber nach, dem hiesigen Löwenwandlerrudel einen Besuch abzustatten, um sicherzugehen, dass er wohlbehalten zu Hause angekommen war.

Es dauerte nicht lange und ich kam auf einen Feldweg, eilte voran und schwang meine Laterne nach links und rechts in jeden Schatten, stellte mir vor, wie sich ein Berglöwe auf mich stürzte. Die ganze Zeit standen mir die Haare auf meinen Armen zu Berge und ich blickte bei jedem Geräusch über meine Schulter. Ja, dieses würde das letzte Mal gewesen sein, dass ich auf mein paranoides Selbstbewusstsein gehört hatte.

Stimmen drangen zu mir, noch bevor sich mir die Lichter des kleinen Dorfs namens Ghost offenbarten.

Die kleinen Hütten von Ghost waren überall verteilt und erinnerten mich an geduckte Wölfe. Man konnte die meisten Holzhütten für eine Nacht voller Vergnügen mit einer der Damen mieten, die im Massagesalon arbeiteten.

Wenn man nicht nach diesem Ort suchte, würde man ihn ganz leicht verpassen. Niemand sprach über Ghost, aber die meisten Männer aus der Gegend wussten, dass dieses Dorf existierte und besuchten es regelmäßig. Der einzige Grund, warum ich diesen Ort gefunden hatte, war, weil ich unterwegs war, um die Wälder zu erforschen und diese Gegend während der Nacht erkundete.

Ich folgte dem schmalen Pfad in Richtung des Dorfs. Licht fiel aus den Fenstern der Taverne und ein Schild, auf dem ‚Der törichte Mond‘ stand, hing über dem Eingang. Ein Mann lehnte in der Tür, entweder schlief er, oder war wegen zu viel Schnaps bewusstlos. Stimmen und Musik drangen aus dem Inneren, während auf der anderen Seite der Behelfsstraße ein zweistöckiges Holzhaus mit Veranda stand. Auf ihr befanden sich zwei Männer, die mich mit misstrauischem Blick musterten. Wachmänner für die Mädchen, die im Salon arbeiteten.

Doch keines dieser Gebäude war mein Ziel. Ich suchte nach dem Haus, wo jeder mit einer oder zehn Silbermünzen diese in einer Nacht verdoppeln oder verdreifachen konnte.

Also marschierte ich vorbei und steuerte die erste Hütte neben der Taverne an. Die Fenster waren mit Spitzengardinen verhangen und ließen keine Blicke auf das Innerste zu. Ein Beet voller gelber Blumen bildete den Vorgarten. Es gab nicht viel zu sehen—und ich nahm an, dass dies beabsichtigt war. Ich stellte meine Laterne draußen vor dem Haus, neben den vielen anderen, ab.

Ich erreichte die Tür und klopfte—drei Mal schnell, ein kurzer Aufschrei, gefolgt von zwei Schlägen mit der flachen Hand auf den hölzernen Türrahmen. Ja, man musste wissen, wie man hier reinkam, ansonsten wurde man rausgeworfen. Es war mein Glück, dass ich mit einem Türsteher liiert gewesen war und er mir die Geheimnisse offenbart hatte.

Die Tür öffnete sich quietschend zu einem schummrig beleuchteten Raum und eine ältere Frau mit kurzem, weißem Haar begrüßte mich. Ihr Gesicht wurde von Falten geziert und man konnte sie ohne weiteres mit einer alten, schwachen Dame verwechseln. Das war der größte Fehler überhaupt. Ich habe gesehen, wie sie sich mit Männern, die zweimal so groß waren wie sie selbst, angelegt hatte. Schließlich gehörte ihr Brawl, der populärste Fight Club im ganzen Königreich. Er war nicht illegal, doch er war exklusiv.

„Mädchen, wird auch langsam Zeit“, sagte sie. „Gage macht mich noch verrückt mit seiner Paranoia, dass du nicht zurückkehren würdest, um ihn zu besuchen.“

Ich verdrehte die Augen und trat ein, umgeben vom starken Geruch der Gewürze. „Er muss mal leben.“ Ich umarmte Bertha. Ihre schmale Statur war Teil ihrer Illusion, eine Finte, um die Unwissenden glauben zu lassen, dass sie an ihr vorbeikämen. Die Frau war eine Meisterin darin, ein Schwert zu schwingen und sie hatte es immer auf die Knöchel ihrer Opfer abgesehen.

„Schön dich wiederzusehen. Kämpft Dustin heute Nacht?“ Ich ließ sie aus unserer Umarmung.

„Er ist als erstes dran und sie fangen gleich an, also geh ruhig rein.“ Sie winkte mich herein und fügte hinzu: „Alle Wetten werden jetzt an der Tür platziert. Zu viele Leute haben nicht bezahlt.“

„Macht Sinn.“ Ich spazierte durchs Zimmer mit dem Sofa, das dem erloschenen Kamin zugewandt stand und entlang eines Flurs, der nur mit einer einzigen Kerze beleuchtet wurde, die auf einem Beistelltischchen in der Ecke stand. Weiter zu meiner Rechten befand sich eine Metalltür. Anstatt nach der Klinke zu greifen, tippte ich auf die Wand rechts von mir. Die Wand schob sich dank Federn auf. Stufen führten nach unten und weitere Kerzen standen in ausgehöhlten Löchern in der Wand und leuchteten mir meinen Weg. Ich ging hinunter. Hinter mir schloss sich die Tür. Gejohle und Jubel kamen mir von unten entgegen. Ich eilte die Stufen zweier Stockwerke herab, wo die Luft nach Schweiß und frisch umgegrabener Erde roch. Ich schob Stoff zu Seite, der über den Eingang drapiert war, und marschierte in einen Raum, der viermal so groß wie mein Zimmer im Turm war. In der Mitte befand sich eine Arena, die von Sandsäcken eingesäumt und mit Heu ausgestreut war. Die drei riesengroßen Kronleuchter, die von der Decke hingen, waren voller brennender Kerzen und überall im Raum standen Stühle, die mit Beifall jubelnden Leuten besetzt waren. Ein glatzköpfiger Kerl mit viel zu vielen Muskeln stellte dem Publikum seinen Bizeps zur Schau. Ein junger Mann, gehüllt in grüne und rote Kleidung mit einem Hut, der mit Glöckchen besetzt war, prustete verächtlich dem starken Mann entgegen und kickte Stroh in seine Richtung. Der Muskelmann brüllte, schnappte sich den Hofnarren an der Hüfte und schmiss ihn durch den Raum, wo er hinter den Stühlen landete. Die Menge brach in Applaus aus. Ich musste grinsen, wie sehr die Leute diese Spiele liebten.

„Der erste Kampf beginnt gleich. Was ist dein Einsatz?“, fragte mich eine Frau zu meiner Rechten und als ich mich umdrehte, sah ich, wie sie mit ihren Fingernägeln auf der Schiefertafel hinter ihr klimperte, auf die sie zwei Namen geschrieben hatte. Dustin, der Verbrenner gegen Caydon, der Chaos Verursacher. Jeder, der den Kampf besuchte, musste mit dem Haus um die Einlassgebühr als Mindesteinsatz wetten.

„Eine Marke auf Dustin.“

Ich bezahlte und nahm meine rote Münze mit einem Wolf auf einer der Seiten. Mit ihr in meiner Tasche nahm ich in der letzten Reihe Platz, denn sie war leer und das bedeutete, dass ich mich mit niemandem unterhalten musste. Versteht mich nicht falsch; ich liebte Menschenmassen, es mich unter die Leute zu mischen und kein Ende bei einer Unterhaltung zu finden. Alles, was mich nicht so alleine fühlen ließ. Doch heute Nacht war ich nicht hier, um Freunde zu finden. Ich musste konzentriert bleiben. Nach seinem Kampf würde ich auf Dustin zugehen und ihn um seine Hilfe bitten.

Eine laute Glocke klingelte und alle wurden ganz still. Ich setzte mich gerade auf meinem Stuhl hin, als mein Favorit, riesig wie ein Bär mit Haaren auf Brust und Schultern, in die Grube stolzierte. Ich grinste, da ich ihn kämpfen gesehen hatte. Trotz seiner Größe war dieser Kerl flink, was bedeutete, dass er schnell war, wenn er den Wasserspeier angriff und er fliehen musste. Ich zählte darauf, dass seine Agilität ihn am Leben hielt.

Dustin trommelte sich mit der Faust auf die Brust und grölte, wovon ich eine Gänsehaut bekam. Gab es jemanden, der einen guten Kampf nicht genoss? Die Menge tobte vor Jubel… definitiv ein Favorit. Nur selten verlor er einen Kampf, aber würde ich irgendetwas anderes von einem Bärenwandler erwarten? Man sah ihre Art nur selten außerhalb des White Peak Königreichs. Ich habe einige getroffen und jeder einzelne war kräftig und angsteinflößend.

Vor einigen Vollmonden hatte ein Bärenwandler bekanntgemacht, dass er Hilfe mit einem Fluch brauchte, also hatte ich mich mit ihm in einer Taverne in Darkwoods verabredet und wir sind einen Handel eingegangen. Für einen riesigen Beutel voller Goldmünzen versprach ich ihm eine Hexe zu finden, die seine Probleme beseitigen konnte. Er stimmte rasch zu und eins musste man seiner Rasse lassen, sie nahmen alles ernst—von den sechs Gläsern Rum, die er getrunken hatte, ohne beschwipst davon zu werden, bis hin zu seinem unablässig stoischen Gesichtsausdruck, während er einen Gangster verprügelte, der sich zum falschen Zeitpunkt dazu entschlossen hatte, die Taverne auszurauben.

Wie auch immer, Bee war die perfekte Person, um dem Bärenwandler mit seinem Fluch behilflich zu sein. Sie war eine Freundin von mir, dich ich kennengelernt hatte, als ich bei unserem ersten Aufeinandertreffen ihre Magie gespürt hatte. Und verdammt, dieses Mädchen hatte ungeahnte Kräfte, doch sie sagte, dass sie mir nicht mit meinem Fluch helfen konnte, da sie nur weiße Magie anwendete. So ein Quatsch. Sie hatte Angst vor ihren Kräften—das erkannte ich daran, wie sie erschauderte und dem Thema auswich. Schon vor über einem Monat hatte ich Pläne gemacht, sie zu überzeugen, ihre Meinung zu ändern. Ich sollte sie in einer Bar in White Peak treffen, um sie dem Bärenwandler vorzustellen. Es war gefährlich, so weit zu reisen, aber dies war der bestbezahlte Auftrag, der mir je angeboten worden war. Also hatte ich einen Sitzplatz in einer superschnellen Kutsche mit Drachenpferden gebucht. Aber der Ausflug hatte für mich ein brutales Ende genommen. Der Reifen der Kutsche war geplatzt, sie geriet ins Schleudern und prallte gegen einen Baum. Beide Pferde waren in Panik geraten und hatten sich befreit. Ich hatte mich auf den Weg nach Hause gemacht, es aber nicht rechtzeitig geschafft. Der Wasserspeier hatte mich aufgespürt und so schlimm verprügelt, dass ich tagelang nicht mehr laufen konnte. Daher hatte ich unseren Termin verpasst.

Hoffentlich hatte sie den Bären mit ihrem Problem helfen können. Ich sollte eine Möglichkeit finden, mich bald mit ihr zu treffen, um ihr zu erklären, warum ich sie versetzt hatte.

Davon rate ich ab. Sie lebt in Terra und das ist zu weit weg. Du gehst zu viele unnötige Risiken ein.

„Vielleicht bitte ich sie, mich irgendwo auf halbem Weg zu treffen.“ Das würde mir genügend Zeit verschaffen, um rechtzeitig vor Sonnenaufgang nach Hause zurückzukehren.

„Hey, Zuckerschnute, sprichst du immer noch mit dir selbst?“ Eine tiefe, männliche Stimme sprach mich an und ein Schauer der Aufregung durchfuhr mich, wie jedes Mal, wenn Gage auf mich zukam.

Er ließ sich neben mir auf einen Stuhl fallen. Sein Arm streifte meinen und seine Wärme war wie eine Decke, die mich einhüllte. Ganz gleich, wie das Wetter war, seine Haut glühte immer heiß. Er trug ein schwarzes Hemd mit goldenen Knöpfen. Die Schnalle seines Gürtels war eine goldene Flamme und sogar seine verdammten Schuhe waren mit einer goldenen Spitze besetzt. Ja, Drachenwandler mochten es, wenn es glitzerte.

„Hab gehört, dass du mich vermisst.“ Ich streckte ihm die Zunge heraus.

Er hatte wundervolle Augen, grün wie Smaragde, umspielt von buschigen Augenbrauen. Kurzes, schwarzes Haar schimmerte wie Onyxedelsteine im Kerzenlicht. Sein Dreitagebart gab seinem starken Auftreten den letzten Schliff—ein kantiger Unterkiefer, straffe Brust und starke Arme. Aber es lag immer noch etwas mehr in seinem Blick, wie ein versteckter Schatz, der sich außer Reichweite befand.

Wir hatten zwar vor einigen Monaten Schluss gemacht, doch ich liebte ihn noch immer. Ich hätte nie mit ihm ausgehen sollen. Was hatte ich schon zu bieten? Ein Leben, in dem man nur nachts Zeit miteinander verbringen konnte? Wie lange würde es dauern, bevor ich die Dinge schleifen ließ und der Wasserspeier ihn töten würde, da Gage einem Kampf nie aus dem Weg gehen würde? Das wünschte ich niemandem. Also hatte ich die schwerste Entscheidung der Welt getroffen. Ich hatte mit dem Mann, der mich wie ein Engel behandelte, Schluss gemacht und es hatte mich entmutigt, doch es ging um seine Sicherheit. Nicht meine. Ich hatte ein scheiß Leben. Und jetzt schossen mir Zweifel in den Kopf, Dustin um Hilfe zu bitten.

Was, wenn die Dinge mit dem Wasserspeier plötzlich schiefgehen?

Ich hatte geplant, mich selbst in die Schusslinie zu werfen, um Dustin die Chance zu geben, wegzurennen, wenn die Situation außer Kontrolle geriet. Der Wasserspeier griff immer mich statt andere an. Aber ich betete, dass es nicht zu diesem Punkt kam und dass Dustins Schnelligkeit mit der Klinge und seine Stärke uns die Oberhand über den Wasserspeier verschaffte. Etwas, das mir fehlte.

„Ich vermisse dich immerzu“, flüsterte Gage und lenkte mich von meinen Gedanken ab.

„Lass das, Gage. Bitte.“ Meine Brust schnürte sich zu. Wir hatten eine Verbindung, bei der wir gegenseitig unsere Sätze beendeten, bei der ich jeden Moment, den wir miteinander verbrachten, vor Aufregung glühte, bei der mir sein Lachen mehr Freude in meinem Leben bereitete, als ich je zuvor erfahren durfte.

Um uns herum tobte die Menschenmasse vor Jubel. Dustin schmiss seine Fäuste in die Luft, während sein Gegner ausgestreckt auf dem Boden zu seinen Füßen lag. Ich hatte das große Finale verpasst, da das Sitzen neben Gage zu viele atemberaubende Erinnerungen zurückbrachte—und das war keine gute Sache. Gage löste immer ein Kribbeln in mir aus, also hielt ich mich vom Brawl fern, um den Herzschmerz zu vermeiden.

„Was hat dich so lange von hier ferngehalten?“, fragte er auf seine lässige Art, als würde es ihm nichts ausmachen, dass wir nebeneinander saßen, ohne dass ich meine Hand ausstreckte und seine in meine nahm, so wie wir es immer während den Zweikämpfen getan hatten. Ich drückte immer seine Finger, wenn jemand einen Schlag ausgeteilt hatte.

„Hatte viel mit Aufträgen und so Sachen um die Ohren.“ Ich lächelte, aber mein Gesichtsausdruck fühlte sich falsch an, bei dem Gedanken daran, dass ich hier war, um Dustin um Hilfe bei einem Problem zu bitten, von dem ich Gage nicht erzählen konnte. Wenn ich heute Nacht Erfolg hatte, dann gab das Gage und mir vielleicht eine Chance auf ein gemeinsames Leben.

Das Buch, das ich gestohlen hatte, sprach davon, dem Wasserspeier ins Herz zu stechen. Darauf konzentrierte ich mich. In der Arena hielt Dustin seinen Kontrahenten über dem Kopf, wirbelte ihn wie einen Brotteig herum, der in die Luft geworfen wurde. Die Menge lachte und verlangte schreiend danach, dass er seinen Gegner herunterknallte.

Gages Bein berührte meins.

Ich sah zu ihm hoch. „Hast du zufällig mittlerweile herausgefunden, wie du dich komplett in einen Drachen verwandeln kannst? Ich hatte ja dieses eine Mal deine starken Flügel gesehen. Bin bloß neugierig, ob du es geschafft hast, auch den Rest deines Körpers zu verwandeln?“ Sie waren hypnotisierend und prächtig. Offensichtlich war das der einzige Teil von ihm, der sich wandeln konnte. Ich rutschte auf meinem Stuhl umher und hoffte, dass er nicht zu viel in meine Neugier hineininterpretierte.

Er hob eine Augenbraue. „Wenn ich es geschafft hätte, dann wäre ich zu deinem Turm geflogen, um deine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich hätte dich aufgegabelt und wäre mit dir in jedes Königreich geflogen, das du immer schon besuchen wolltest.“

Und genau das war der Grund, warum Gage immer einen Stein in meinem Herzen haben würde… Er liebte intensiv und er war loyal. Ich vermisste ihn so sehr, doch die Angst hielt mich fern. Ich konnte seine Sicherheit nicht riskieren, bis ich frei war. Er verdiente etwas Besseres. Mein Herzschmerz wirbelte hemmungslos in meiner Brust umher und mein Kopf drehte sich von der Grausamkeit des Lebens. Und doch sah mich Gage mit einem Lächeln in seinen Augen an. Eines Tages hatte ich vor, dieselbe positive Aussicht auf meine Zukunft zu haben.

„Einer meiner Klienten sucht nach einem Drachenzahndolch. Das ist der Grund, weshalb ich frage.“ Ich hasste es, ihn anzulügen und senkte meinen Blick.

Er rieb sich sein Kinn mit der Hand. Das kratzige Geräusch seiner Bartstoppeln durchdrang die Stille zwischen dem Klatschen. Dustin stolzierte durch die Arena und sein Rivale befand sich mit blutigem Gesicht auf dem Boden.

„Ich wünschte, ich könnte dir helfen, aber…“ Seine Worte verstummten und ich nahm seine Hand in meine und drückte sie.

„Es ist schon in Ordnung. Es tut mir leid. Ich hätte nicht fragen sollen.“ Reue überkam mich in langsamen Wellen. Er wuchs ohne Zuhause und ohne Familie auf, als Kind verstoßen, und hatte nie viel von der Geschichte der Drachen erfahren.

Seine Stirn legte sich in Falten und ich blickte auf Dustin herab, der aus der Arena marschierte. Er würde heute Nacht noch einige Kämpfe bestreiten, doch zuvor musste ich mit ihm sprechen.

Ich rutschte an die Kante meines Stuhls. Meine Aufmerksamkeit war auf Dustin gerichtet, der hinter einen schwarzen Vorhang huschte, der den Raum in U-Form umgab. „Hey, kannst du dafür sorgen, dass ich Backstage mit Dustin sprechen kann?“

„Warum?“ Gages Gesicht verformte sich zu einem verabscheuenden Ausdruck. „Der Gestaltenwandler ist ein Auftragsmörder und die meisten halten sich von ihm fern, was also willst du von ihm? Hast du vor, jemanden bewusstlos prügeln zu lassen?“ Er rümpfte eine Augenbraue und sah mich verurteilend an.

Ich heuchelte Unschuld und legte mir eine Hand auf mein Herz. „Solche Anschuldigungen. Ich habe vielleicht einen Auftrag für ihn, für einen Klienten.“ Gage wusste nicht, dass ich der sogenannte Klient war. „Also, kannst du mir helfen oder—?”

Er stand auf und überragte mich. „Er wird für zwei Dinge angeheuert—in einer Arena aufzutreten oder um jemanden bis zur Bewusstlosigkeit zu prügeln—also, was ist los?“ Seine Stimme verdunkelte sich und seine Augen schmälerten sich mit diesem neugierigen Blick.

Ich leckte mir über die Lippen und blickte immer wieder zwischen die Vorhänge und zurück zu Gage, der mich misstrauisch beobachtete. „Es ist nicht das, was du denkst. Aber mach dir keine Sorgen, ich schleiche mich alleine hinein.“ Ich stand auf und schob mich an ihm vorbei, doch er packte mich am Handgelenk.

„Nicht, wenn ich dich aufhalten kann.“ Sein Griff festigte sich. „Rede mit mir, Elliana.“

Verdammt nochmal, erzähl es ihm schon.

Ich verdrehte die Augen, aber ich konnte mich nicht überwinden, mit der Wahrheit herauszurücken, denn dann würde er versuchen, mich aufzuhalten. Oder noch schlimmer, er würde darauf bestehen, sich mir anzuschließen. Ich würde mich nicht konzentrieren können, wenn er verletzt wurde und ich brachte bereits Dustin in Gefahr. Auch wenn ich nein sagen würde, würde Gage mir folgen. Er konnte sich nicht zurückhalten und würde sich beim Erledigen des Wasserspeiers einmischen, was bedeutete, dass einer oder alle von uns verletzt werden würden.

„Hör zu. Es ist nur ein Klient, der Dustin für einen Auftrag anheuern möchte, und ich stelle nicht zu viele Fragen wegen den Aufträgen, das weißt du. Je weniger ich weiß, desto besser. Ich streiche meine Bezahlung ein und stelle Kontakte her. Das ist es, was ich tue. Und jetzt, sei bitte einmal nicht so streng mit mir. Wirst du mir helfen?“

Für eine lange Zeit sagte er kein Wort. Stattdessen betrachtete er mich, als ob er versuchte, in meine Gedanken zu blicken, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Meine Handflächen waren verschwitzt und ich wischte sie an meiner Hose ab. Es fühlte sich nie richtig an, Gage anzulügen. Ich hoffte einfach nur, dass ich ihm eines Tages alles erzählen konnte und er mir vergeben würde.

„Ich kann nicht glauben, dass ich darüber nachdenke“, sagte er. „Du bist dir darüber im Klaren, dass er ein Scheißkerl ist? Ich möchte nicht, dass du mit ihm alleine bist.“

Seine Worte machten mir Angst und ich hatte Gerüchte darüber gehört, dass Dustin ohne Gewissen mordete. Er war jemand, der den Wasserspeier erledigen konnte. Und wenn das bedeutete, dass ich Zeit alleine mit einem Mann verbringen musste, der ohne Reue tötete, dann würde ich es darauf anlegen. Denn es bedeutete die Chance auf Freiheit.

Kapitel Sechs

Gage klopfte an die Backstage-Tür im Brawl.

„Was?“, kläffte Dustin aus seiner Ankleide heraus.

Backstage‘ bestand aus einem langen Korridor, der in Schatten getaucht war und mit ein paar Kerzen auf Kronleuchtern in Form von Händen erleuchtet wurde, die entlang der Wand, die außen um die Kampfarena verlief, hingen und alles war hinter Vorhängen versteckt. Hier hinten gab es drei Türen. Ich hatte keine Ahnung, was sich hinter den beiden anderen verbarg, aber Gage hatte mich direkt zu der mit einer Einschlagbeule im Holz geführt.

Gage sah an mir herab, runzelte die Stirn mit einem Blick, der sagte, du bist dir sicher, was das angeht?

Ich nickte. Weil verdammt nochmal, ich wurde schon so oft vom Wasserspeier verprügelt und hatte es überlebt, also würde ich das auch überstehen. Und meine Priorität war es, die Freiheit zu erlangen und mich nicht ängstlich zu verstecken. Anderenfalls konnte ich genauso gut tot sein.

„Bist du angezogen? Du hast Besuch“, rief Gage.

„Kommt schon rein.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752141863
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
paranormal romance romance fantasy urban fantasy fairy tale retellings Romance Fantasy Historischer Liebesroman Liebesroman Historischer Roman

Autor

  • Mila Young (Autor:in)

Mila Young geht alles mit dem Eifer und der Tapferkeit ihrer Märchenhelden an, deren Geschichten sie beim Heranwachsen begleiten haben. Sie erlegt Monster, real und imaginär, als gäbe es kein Morgen. Tagsüber herrscht sie über eine Tastatur als Marketing Koryphäe. Nachts kämpft sie mit ihrem mächtigen Stift-Schwert, erschafft Märchen Neuerzählungen und sexy Geschichten mit einem Happy End.
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Titel: Die Diebestochter von Wildfire