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Die schwere Stunde

von Jiří Wolker (Autor:in) Lizi Schück (Übersetzung) Rudolf Fuchs (Übersetzung) Danijel Jamrič (Herausgeber:in)
43 Seiten

Zusammenfassung

In einer Zeit allumfassender Zäsuren schrieb Jirí Wolker revolutionäre Lyrik. In seinem Todesjahr 1924 erschien sein Hauptwerk, der Gedichtband "Die schwere Stunde" in deutscher Übersetzung. Wolker erzählt aus dem Leben und Leiden des arbeitenden Volkes und vom großen Traum, "der erst vernichtet werden muss, um sich zu erfüllen." So sind auch seine Gedichte, die nicht Träume bleiben wollen, Aufschreie und Weckrufe. Jirí Wolker, 1900 geboren, aufgewachsen in Prostejov. 1919 Jura-Studium in Prag. 1921 Veröffentlichung des Gedichtbandes "Gast ins Haus". 1921 Mitglied der KP der Tschechoslowakei, 1922 Beitritt zum Künstlerverband "Devetsil". 1922 Gedichtband "Die schwere Stunde". 1923 Erkrankung an Tuberkulose, 1924 verstorben. Mit einem Nachwort von Danijel Jamrič.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Die schwere Stunde

Aus dem Tschechischen übersetzt
von Lizi Schük (1901 – 1941)
und Rudolf Fuchs (1890 – 1942)

Der Gedichtband „Těžká hodina“ erschien 1922 in tschechischer Sprache. 1924 erschien die deutschsprachige Ausgabe „Die schwere Stunde“ im Agis-Verlag (Wien).

Impressum:
Danijel Jamrič
Egg 12
9620 Hermagor
Austria

Die schwere Stunde

Ich kam zur Welt,
Um ein Leben aufzubauen
Nach dem Bild meines Herzens.

Das Knabenherz ist ein Liedchen, wie’s anfangs klingt,
Ein Plan für ein Schloss, das man dem Volk der Geliebten zum Festtag bringt.
Des Mannes Herz sind Hände mit Schwielen daran,
Deren Blut selbst in Ziegelsteine schmerzlich dringen kann,
Auf dass an der Straße schließlich ein wirkliches Wirtshaus steht
Für den Pilger, die Pilgerin, die da vorüber geht.

Heut meine schwere Stunde schlägt.
Das Knabenherz ist mir gestorben, eingesargt trag ich es fort.
Das Verstorbene quält, es schmerzt auch der Ort,
Wo ein neues in der Brust mir entsteht.
Heut meine schwere Stunde schlägt.
Ein Herz hab ich begraben, das zweite ist erst im Werden,
Durch Angst ermattet, müde der Einsamkeit,
Wehre vergebens mich mit stummen Gebärden
Gegen mein Zimmer,
Das weiße, spöttische.

Den Brief der Geliebten, Lampe, Buch des Freundes,
Ihr Sachen aus Licht und Glauben geboren,
Heut steht mir bei und seid mir dreimal so treu!
Denn ich bin der Welt so ganz verloren.
Betet!
Dass mir ein Herz wächst, tapfer und unnachgiebig.
Und glaubt heute für mich, dass es so wird
Und glaubt für mich, dass ich aufstellen werde
Als dessen Ebenbild
Das Leben eines Gerechten.

Ich hab noch kein Männerherz,
Allein steh ich da in der schweren Stunde;
Daher mein Unglaube.


Die Ballade vom Traum

In einer schmutzigen Vorstadt haust
Ein Jüngling mit Namen Jan.
Er besitzt ein gutes Herz, eine schwache Faust
Und eine blaue Arbeiterschürze.
Des Abends schlendert er durch die Stadt,
Durch das farbenleuchtende Karussell.
Da wachsen ihm Wunden in die Augen hell,
Die alles in Wirklichkeit sehen
Und zum Herzen die Worte hinunterwehen:
Hier sind Paläste, da finstere Mansarden,
Hier wohnen Satte und da, welche darben.
Hier steht der Diktator, da der Sklave wankt.
Und sind beide krank.
Wie ein Herz so rund ist die Welt
Und, wenn sie in zwei Hälften zerfällt,
Stirbt sie.

Durch die Stadt geht der traurige Jan,
Von allen Seiten bekämpfen ihn Augen.
Trotz Sehnsucht und Leid will er das Leben lieben,
Um die Welt wahr und gerecht abzuwiegen:
Denn deshalb lebt der Mensch und dazu er taugt,
Dass aus ihm wird, was die Erde g’rad braucht.
Soll ihr Speise sein, wenn sie Hunger hat,
Soll ihr Hunger sein, wenn sie übersatt.

Er irrt durch die Straßen.
Er geht durch die Stadt.
Die Sterne helfen ihm nicht.
Er geht nach Haus; im niedrigen Raum
Schlafen drei Menschen und ein Fenster.

Auf die Decke streckt sich der irrende Jan,
Und Augen, die in zwei Wunden gestarrt,
Sind leise vernarbt
Und geschlossen.
Kaum sind die Augenlider zu,
Über zwei blauen Wunden,
Schon wächst ein Herz, ein tränenbegossenes Korn
Durch seinen ganzen Leib
In eine frohe und glückliche Zeit:
Er sieht keine Paläste und keine Mansarden,
Keine, die betteln, noch hungern, noch darben.
Über die Erde ohne Habgier und Hieb
Gehen Menschen knabenhaft rein und lieb:
Tapfer wie Monteure, klug wie Ingenieure,
Die Brücken bau‘n aus Lied und Ton,
Und hauptsächlich aus Eisenbeton,
Damit verbunden wird Land und Land
Herz und Herz,
Hand und Hand.

Jan öffnet die Arme.
Mit großer Liebe er hastet,
Dass er all das wie seine Geliebte betastet.
Doch das Leid erträgt er ja kaum -
Die Augen, die Wunden springen ihm auf.
Er sieht den morgenergrauten Raum,
Das kahle Zinshausdach.
Wirklichkeit dringt mit zwei Nägeln in’s Herz,
das nun wacht.
Er erkennt: Alles war nur ein Traum
Aus Not, Enttäuschung und Schwäche geboren.

Sirenen pfeifen den Befehl.
Jan schließt den Gurt fester zusammen.
Er ist gestern gegangen und vorgestern
Und wird heute ebenfalls zur Arbeit kommen.
Heute geht er nicht allein durch die Gasse.
Der schöne Traum hängt noch an ihm.
Und war auch alles gestern schwer,
Heute drückt ihn das Leben schon allzu sehr.

In derselben Vorstadt wohnt auch Marie.
Sie ist eine junge Schneiderin.
Täglich näht sie auf der Maschine
Zehn Hemden.
Mit Jan wurde sie einmal bekannt,
Als der Abend sie beide im Freien fand.
Jan zog sie warm und innig an sich
Und sagte: „Ich hab‘ dich lieb!“
Oft sind sie dann zusammengekommen
Und jedes hat sein Teil Liebe bekommen.

Auch diesen Abend war es so.
Jan kam bedrückt.
Die Stimme klang roh.
„Marie, heut Nacht schien es mir im Traum
Auf der Welt wär‘ für ein besseres Leben Raum.
Als ich das alles als Traum erkannt,
Bin ich daran zu Tode erkrankt.
Wie ein süßes Gespenst geht es vor mir her
Durch steinerne Straßen am eisernen Kai.
Bleibt es irgendwo plötzlich stehen,
Dann ist tausenderlei Unzucht hindurch erspäht.
Unzucht, die umso furchtbarer brennt,
Weil ich ein Land sah, das sie nicht kennt.
Ich kenn‘ keinen Freudentag, keinen lichten,
Ich muss doch den Sonnentraum wirklich vernichten.
Sonst sterbe ich selber daran.
Sag‘ mir, meine Liebste, bloß,
Wie wirst du solche Träume los?“

„Als ich dich, Jan, noch nicht kannte,
Litt‘ ich sehr an furchtbaren Träumen.
Mein Traum,
Dem Bild eines Mannes gleich
(Ich war den ganzen Tag so allein)
Da legte die Nacht mich in seinen Arm.
Es war sehr bös. Belohnung war’s kaum.
Doch willst du leben, musst du erwachen.
Und ich erwachte
In einem kahlen armseligen Raum,
Nur damit ich mir traurig gestehe:
Es war ja kein Mann. Es war nur ein Traum.
Seit dem Tag, an dem ich dich kennen gelernt,
Haben die Träume ganz aufgehört.
„Liebste“, hast du mir gesagt,
Da hab‘ ich diese Träume fortgejagt.

Es hörte der Jüngling mit Namen Jan,
Es hörte der Mann mit Namen Jan.
Er prüft seine Arme und sagt darauf:
„Ich töte den Traum.“

Arbeiter treten aus Fabriken, Mansarden.
Die Körper zu Boden gedrückt, durch die Härte des Lebens,
Sie träumten schöne Träume wirklich nicht vergebens!
Sie heben mit Kranen sie hoch und meißeln sie in Steinen.
Menschen sind es mit Herzen im Schwunge aus Fleisch und Bein,
Erben des Lichts, die Träume vernichten durch Verwirklichung.

Sie haben nicht nur ein gutes Herz, sondern auch eine Faust,
Weil sie auf der Erde stehen und gehen und bauen des Glückes Haus.

Aus Fabriken und Mansarden treten Genossen.
Jan und Marie sind auch dazwischen.
Dem Heiligen sind Lilien im Arme wert.
Doch Männer schwingen Hammer und Schwert.
Wenn große Träume getötet werden,
Fließt viel Blut über Erden.

Man muss leben,
Selbst wenn’s zu töten gilt.
Die Arme sind Waffen,
Das Herz ist der Schild.

Die Ballade vom Kind, das nicht geboren wurde

Zuerst haben sie einander erblickt,
Dann haben sie sich beide verliebt
Bei der Laterne am Kai,
Wo das Wasser vorüber geht
Und der Mensch steht, als wär er ein Bild des Lichts.
Und dann zuletzt haben sie sich geküsst.

Sehr reich ist so ein liebendes Paar.
Seine Schätze sind doch unaufzählbar:
Hände, Augen, Brüste und Lippen.

„Vor der Stadt, mein Lieb,
Ein weißes Weglein führt.
Dort tief im Getreide verloren
Werden die grünen Feldraine geboren,
Dort werden wir unsere Schätze zählen
Und treu sie einer dem andern geben,
Damit sie am Ende nicht verbrennen
Oder davonfliegen
Wie Vögel,
Feuervögel.“

Sie gehn ins Freie. Der Abend sinkt,
Um Liebe niemand vergebens ringt.
Auch Junge dürfen lieben.
Auch Arme dürfen lieben.
Aus Liebe wird der Mensch doch geboren.
Der Abend sinkt, sie sind weit vor den Toren.

Zuerst sie sich heftig wehrt,
Zuerst fürchtet sie sich,
Zuletzt sie ihm doch alles gewährt.
„Warum sollt ich ihm den Körper nicht geben,
Den Körper aus Blut und Leben,
Hab ihm mein Herz doch gegeben,
Mein Herz aus Blut und Leben?“

„Die Liebe ist Mann und Weib.
Die Liebe ist Messer und Laib.
Ich hab dich, mein Lieb, zerschnitten.
Blut fließt aus des Brotes Mitten
Über meine Hände.“

Als die Füße nach Hause zurückgekehrt,
Unendlich von der Tür zum Bett der Weg.
Das Federbett wärmt nicht, wenn die Nacht entflammt.
In dieser Nacht ein Kindermund entstand
Gerade auf ihrem Herzen.
Diese Nacht weinten sehr vier leere Wände:
„Schwer ist es, den Hunger zu stillen,
Wenn ganz leer sind die Mutterhände.“

Der Mond, der über die Stadt hinzieht,
War zweimal voll und dreimal erloschen,
Als zum dritten Mal er in die Häuser sieht.
Das Mündchen beim Herzen zu sprechen beginnt:
„Mütterchen, freust dich, gelt?
Ich bin die Liebe
Und käm gern auf die Welt.“

Wie sie es begriff,
Zum Geliebten sie lief.
Sein Zimmerchen konnte niemand ermuntern.
Es war wie ein großer Kopf auf schwachen Schultern.
Als die Nachricht auf beide fiel,
Setzten sie sich aufs Bett ganz still.
Sie waren stumm und blass.
Zur Liebe, zum Töten sammeln sie Kraft.

„Heute,
Meine Liebe, wie tausend andere,
So hab nur Geduld!
Unsere Herzen sind Gläser vom Wirtshauspult.
Es genügt zu berauschen den verbitterten Mund.
Blut tropfst du ins Glas. Blut fließt durch den Schlund.
Hunderttausend Menschen haben einander geliebt,
Kein Kind haben sie geboren.
Auch unseres darf nicht zur Welt.
Deshalb sind wir doch nicht sündhaft verloren.
Nicht Sünde ist’s, sondern Not.“

Die Sonne ist erloschen,
Die Sterne strahlen nicht mehr.
Zum Arzt ist für Liebende
Recht bitter der Weg.
Der ist nicht weiß und auch nicht gut.
Man geht über Stiegen aus Stein.
Im Wartesaal verliert mancher den Mut,
Bis die Tür, furchtbar versperrt,
Sich öffnet mit gelbem und schiefem Blicke
Und sagt: „Ich bitte.“

Der Arzt hat Hände aus Karbol
Und Worte aus Eis.
„Wie man kranke Frauen heilt, ich wirklich nicht weiß,
Ich reparier‘ bloß zerbrochene Sachen.“

Das Bluserl zieht er ihr aus.
Mit den Fingern auf die Brust
Trommelt er ihren Trauermarsch.
„O Weib,
Kennst du das Wort
Das die Brust dir versengt?“
Zum letzten Mal blitzt es auf.
Jetzt ist es fort.

Er blieb derweil stehn.
Aber seine Augen, die haben ihn verraten.
Die folgen krampfhaft ihrem Schmerz,
Ihrem Schmerz, dem Trauerwagen.
Die Räder kreischen, Herbstwinde weh’n.
„Hab ich das getan?
Ich hab es getan!“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752118179
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Oktober)
Schlagworte
Sozialismus Lyrik Arbeiterliteratur Arbeiterlyrik Sozialistischer Realismus Gedichte Tschechien Prag

Autoren

  • Jiří Wolker (Autor:in)

  • Lizi Schück (Übersetzung)

  • Rudolf Fuchs (Übersetzung)

  • Danijel Jamrič (Herausgeber:in)

Jiří Wolker (1900 - 1924), aufgewachsen in Prostějov. 1919 nimmt er sein Jura-Studium in Prag auf und veröffentlicht 1921 die erste Gedichtsammlung „Gast ins Haus“. Im selben Jahr wird er Mitglied der KP der Tschechoslowakei. 1922 tritt er dem Künstlerverband „Devětsil“ bei, verlässt aber nach kurzer Zeit wieder. 1922 erscheint sein zweiter Gedichtband „Die schwere Stunde“, der 1924 auch in deutscher Sprache herausgegeben wird. 1923 erkrankt Wolker an Tuberkulose, der er am 3. Jänner 1924 erlag.
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Titel: Die schwere Stunde