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Das Wolfsrudel

von Jane Wallace-Knight (Autor:in)
215 Seiten
Reihe: Die Agenten von C.L.A.W., Band 5

Zusammenfassung

Steven Drake hatte nicht gerade eine gute Kindheit, aber jetzt ist er Mitglied des Wolfsrudels, der Elite-Einheit von C.L.A.W., und arbeitet daran, eine terroristische Sekte namens Pan auszuschalten. Die Begegnung mit einem Geist aus seiner Vergangenheit bringt nach und nach die Erinnerung an alles zurück, was ihm einst genommen wurde. James „Jam“ Smith nahm Steven unter seine Fittiche, und die beiden wurden mehr als nur Rudel-Kameraden. Jam, der selbst auf eine steinige Vergangenheit zurückblicken kann und den Ruf genießt, mehr als nur ein bisschen verrückt zu sein, ist nicht gerade ein Paradebeispiel einer in sich gefestigten Persönlichkeit. Angesichts dessen, dass keiner von ihnen weiß, was er tut, läuft es Jams Ansicht eigentlich recht gut, auch wenn sie unterschiedliche Vorstellungen haben. Steven entdeckt immer mehr über seine eigene Vergangenheit und erfährt, dass seine Verbindungen zu Pan weiter zurückreichen als gedacht. Während er von verlorenen Erinnerungen und einem Geist verfolgt wird, setzt das Wolfsrudel alles daran, Pan ein für allemal unschädlich zu machen. Ein homoerotischer Liebesroman für Erwachsene mit explizitem Inhalt. Jeder Band dieser Reihe geht auf die romantische Beziehung eines anderen Paares ein. Um die gesamte Handlung sowie die Geschichte aller Figuren zu erfahren, empfiehlt es sich, alle Bände in der Reihenfolge ihres Erscheinens zu lesen. Länge: rund 54.000 Wörter

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1

„Nicht vergessen“, flüsterte die Stimme in Steven Drakes Ohr. „Wenn du nervös wirst, stell dir einfach vor, sie hätten alle nur Unterwäsche an.“

Steven stutzte unwillkürlich. Aber die unerträgliche Anspannung in seinen Schultern ließ sofort nach, als er Jams albernen Vorschlag hörte.

„Es geht hier um einen mutmaßlichen Terroristen“, erinnerte Steven Jam leise über Funk, „nicht um eine Schulaufführung zu Weihnachten.“

Das Innere des Gebäudes, in welchem der türkische Gestaltwandlerrat residierte, war weiß gekachelt, sauber und zum Glück klimatisiert – ein starker Kontrast zur Außentemperatur, die heute in der Hauptstadt Ankara bereits die dreißig Grad überschritten hatte und weiter zu steigen drohte.

Seit Steven im vergangenen Jahr der „Covert Law And Order“-Einheit des MI6 für Gestaltwandler-Angelegenheiten – kurz: C.L.A.W. – beigetreten war, hatte er bereits mehrere Auslandseinsätze gehabt, als Mitglied der als Wolfsrudel bekannten Taktischen Kommandoeinheit von C.L.A.W. Ein völlig neues Leben für ihn: Bis vor einem Jahr hatte er nicht einmal je Großbritannien verlassen, und nun war er in der Türkei und verfolgte einen britischen Staatsbürger, der unter Terrorverdacht stand.

Eine Droge namens Quantum, die von einer unter dem Namen Pan bekannten Terrororganisation hergestellt wurde, war auf den Straßen aufgetaucht. Es handelte sich dabei um eine Substanz, die nur bei Gestaltwandlern Wirkung zeigte. Alles deutete darauf hin, dass die Droge vor Kurzem verändert worden war, um Gestaltwandler nicht nur high zu machen, sondern sie zu zwingen, sich gegen ihren Willen in ihre tierische Gestalt zu verwandeln – offenbar mit dem Zweck, sich vor den Menschen zu offenbaren.

C.L.A.W. hatte einen Hinweis bekommen, dass die türkische Botschaft Ziel eines Anschlags werden sollte, und arbeitete nun mit dem Konsulat zusammen, um das zu verhindern. Der Hinweis stammte aus unerwarteter Quelle, von einer Person, die sie nur als den Geist kannten. Über die Jahre war der Geist immer wieder als Codename für einen Hacker aufgetaucht, der gern das Bild eines Cartoon-Geistes irgendwo im Computersystem hinterließ. Es wurde angenommen, dass der Geist ein Mitglied von Pan war oder zumindest für die Gruppe arbeitete. Im vergangenen Monat, während sie eine Mitgliedszelle Pans nach der anderen ausgehoben hatten, war der Geist besonders produktiv geworden, und es war ihnen gelungen, Beschreibungen des Mannes hinter dem Spitznamen zu bekommen. Selbst die Mitglieder von Pan, so schien es, fürchteten sich vor dem Geist und behaupteten, er könne sich unsichtbar bewegen und sich praktisch in Luft auflösen.

Als Clearwater – fest angestelltes Genie von C.L.A.W. – eine E-Mail bekam, die nur mit dem Bild eines Cartoon-Geistes unterzeichnet war, hatte das natürlich Skepsis ausgelöst. Aber sie waren der Sache dennoch gewissenhaft nachgegangen.

„Bei mir klappt das immer“, sagte Jam und riss Steven zurück in die Gegenwart. „Ich stelle mir erstmal jeden, den ich treffe, in Unterwäsche vor.“

„Tatsächlich?“, fragte Steven, der beschloss, bei dem Spielchen des durchgeknalltesten Mitglieds des Wolfsrudels mitzumachen – mit dem er zufällig auch schlief. Unauffällig ließ er seinen Blick durch die Eingangshalle schweifen, auf der Suche nach Leuten, die hier möglicherweise nicht hingehörten.

„Japp. Und übrigens … die hellblauen Boxershorts, die du heute Morgen anhattest, stehen dir gut.“

Eine Sekunde lang geriet Steven aus dem Tritt, und er sah unwillkürlich zum Fenster hinaus und über die Straße, von wo aus Jam – wie Steven wusste – ihn durch das Zielfernrohr seines Gewehrs beobachtete.

„Ernsthaft jetzt? Während wir im Einsatz sind?“, fragte Steven, der sich bewusst war, dass auch andere mithörten.

Jam stieß ein schurkisches Lachen aus, laut und unverschämt wie immer. „Oh bitte, da hat sie schon ganz andere Sachen gehört.“

Steven schüttelte leicht den Kopf und ermahnte sich innerlich, dass er ein Geheimagent mitten in einer Operation war und sich auch so verhalten sollte.

„Ich habe auch schon ganz andere Sachen gesehen“, mischte sich eine weibliche Stimme ein. Scarlet, Spitzname Scar, war von allen schon am längsten bei der Truppe. Wann immer ihr Anführer Alexios abwesend war, hatte Scar das Kommando. Sie war auf ihrem Posten in der zweiten Etage des Konsulatshauses, verkleidet als Reinigungskraft. „Können wir bitte versuchen, uns zu konzentrieren? Wir sind zum Arbeiten hier, und nicht um herumzualbern.“

Stevens Blick wurde von eine kleinen Gruppe Männer angezogen, die an der Treppe standen und miteinander redeten. Das Wolfsrudel hatte keine Informationen darüber, wie die Zielperson aussah oder ob sie allein arbeitete. Seit die Machenschaften von Pan vor etwas mehr als einem Jahr ans Licht gekommen waren, stand die Gruppe ganz oben auf der Fahndungsliste von C.L.A.W. Es war eine Geheimorganisation, die jahrzehntelang unentdeckt operiert hatte. Ihre Mitglieder glaubten an die Vorherrschaft der Gestaltwandler, deren Durchsetzung offenbar damit begann, die Welt der Menschen über ihre Existenz in Kenntnis zu setzen, bevor sie die Herrschaft übernahmen. Bis jetzt war es CL.A.W. zum Glück gelungen, ihre Bemühungen zu vereiteln.

„Wie soll ich den Kerl finden, wenn wir keinen Schimmer haben, wie er aussieht?“, fragte Steven. Einer der Männer aus der kleinen Gruppe, die er beobachtete, lachte laut, dann zerstreuten sie sich. Steven entschied, dass keiner von ihnen verdächtig war, und wandte den Blick ab.

„Du warst Attentäter, bevor du zu uns kamst, Kleiner“, sagte Jam. „Such nach jemandem wie dir.“

„Tja, ich war kein besonders guter Attentäter, oder? Sonst wäre ich nicht geschnappt worden“, gab Steven zurück. „Und nenn mich nicht so.“

„Nenn dich nicht wie? Attentäter?“, fragte Jam, der sehr wohl wusste, was Steven meinte. Steven war vier Jahre jünger als Jam, und der ältere Wolf zog ihn gern damit auf, dass er der Jüngste im Rudel war.

„Du bist so ein Blödmann“, sagte Steven kopfschüttelnd.

„Ich liebe dich auch“, entgegnete Jam.

Steven hatte sich schnell im Rudel eingewöhnt, aber es war Jam, mit dem er sich am besten verstand. Steven war gerade erst vierundzwanzig geworden, aber vom Naturell her schon erwachsener als Jam, auch wenn der andere Wolf älter war. Jam war auch Anführer bei den üblichen, scherzhaften Schikanen gegenüber Neulingen gewesen und hatte ihn unentwegt geneckt und aufgezogen. Steven hatte das nichts ausgemacht, nicht wirklich. Auf diese Weise zeigte das Rudel ihm, dass sie ihn als einen der Ihren akzeptierten, das wusste er. Was er zu jenem Zeitpunkt jedoch nicht gewusst hatte: es war auch Jams Art zu flirten.

Was als gelegentliche, gemeinsame Nacht hier und da angefangen hatte, war schließlich zu etwas Regelmäßigem geworden. Auch wenn sie der Sache zwischen ihnen keinen Namen gegeben hatten, Steven hatte sich nie zuvor einer anderen Person so nahe gefühlt. Obwohl er sich oft fragte, wieso er sich mit dem Spinner abgab, der Milch direkt aus dem Karton trank und lautstark Diskussionen mit der Nachbarskatze führte, empfand Steven eine Ruhe und Zufriedenheit in seinem Leben wie nie zuvor.

„Falls wir die Sache hier wegen euch zwei Idioten verkacken, dann werfe ich euch beide den Wölfen zum Fraß vor“, warnte Scar. „Und das meine ich wörtlich.“

Während Scar noch sprach, sah Steven etwas aus dem Augenwinkel. Ein Mann ging zur Treppe und hielt dabei den Kopf gesenkt, wie um zu vermeiden, dass man sein Gesicht sehen konnte.

„Wartet. Ich habe hier vielleicht etwas“, sagte Steven. „Da ist ein Typ auf dem Weg in den zweiten Stock. Das könnte unser Mann sein. Weißes T-Shirt mit einem Logo, das ich nicht erkennen kann. Graue Shorts, schwarze Kuriertasche über der Schulter.“

„Verstanden“, antwortete Scar. Dann herrschte Stille, während Steven beobachtete, wie der Mann die Treppe hinaufging. „Hast du ihn, Jam?“

„Ich habe dich im Auge, Scar“, sagte Jam von seinem Posten auf der anderen Straßenseite aus. „Und ich sehe ihn. Er geht ins Treppenhaus mit den Notausgängen. Da gibt es keine Fenster; ich bin also blind.“

Steven hatte die Baupläne des Gebäudes gesehen und wusste, dass es nur zwei Richtungen gab, die der Mann jetzt nehmen konnte. Nach oben oder nach unten.

„Ich nehme den Aufzug“, sagte Steven. „Falls er aufs Dach will, kann ich ihm zuvorkommen.“

„Nein, wir wissen nicht sicher, ob er unser Mann ist“, sagte Scar. „Bleib, wo du bist, und halte die Augen offen.“

Stevens Bauchgefühl sagte ihm, dass er recht hatte. Er ignorierte Scars Befehl und lief zum Fahrstuhl. Wiederholt drückte er den Rufknopf, als könnte er die Ankunft der Kabine dadurch beschleunigen. Sobald die Türen aufglitten, schlüpfte er hindurch und hämmerte auf den Knopf fürs oberste Stockwerk.

„Scheiße, er ist mir entwischt“, sagte Scar. „Er hat die Tür von außen barrikadiert. Jam, kannst du ihn sehen?“

„Er ist auf dem Dach, bewegt sich zur Südseite des Gebäudes“, antwortete Jam. „Ich suche mir eine bessere Position.“

Die Fahrt im Aufzug dauerte dreißig Sekunden, schien sich jedoch ewig hinzuziehen. Noch bevor die Türen ganz offen waren, drängte Steven sich hindurch und rannte zum Notausgang gegenüber.

„Ich bin oben“, sagte er. „Ich kann ihn kriegen.“

„Scheiße!“, fluchte Scar. „Schön, aber bleib zurück. Ich nehme deinen Weg nach oben. Nähere dich nicht der Zielperson!“

Die Metalltür schlug mit einem dumpfen Knall hinter ihm zu, und er musste im hellen Sonnenlicht blinzeln. Scars Befehle wurden zu einem Stück unbedeutender Vergangenheit, als Steven sah, wie nahe er der Zielperson war. Beim Geräusch der Tür hörte der Mann auf mit dem, was immer er gerade tat, und drehte sich um.

Der Verdächtige schien türkischer Nationalität zu sein, etwa Mitte zwanzig, was zu den Beschreibungen passte, die sie bekommen hatten. Seine Augen waren weit aufgerissen und blickten entsetzt, wie die eines wilden Tieres, das dem Tod ins Auge sah.

Er stand vor einem großen Belüftungsrohr, das wie Steven wusste, für die Luftzufuhr im ganzen Gebäude zuständig war, in seinen Händen die schwarze Kuriertasche, die er über der Schulter getragen hatte. In der Botschaft befanden sich mindestens dreihundert Gestaltwandler, die ahnungslos ihrer täglichen Arbeit nachgingen. Falls sich in der Tasche Quantum befand und es dem Mann gelang, sie in das Belüftungsrohr zu werfen, würde jeder im Gebäude betroffen sein und sich gezwungenermaßen seinen niedrigsten, tierischen Instinkten ergeben. Raubtiere würden ihre Beute angreifen. Ein Blutbad wäre die Folge.

Steven wusste nicht, wer dieser Mann war. Aber er wusste – so wie der Mann vor Scar geflohen war, und aufgrund der nackten Angst, die ihm ins Gesicht geschrieben stand – dass der Kerl drauf und dran war, sein Leben wegzuwerfen.

„Hör zu“, begann Steven und hob beide Hände, um zu zeigen, dass er unbewaffnet war. „Ich kenne dich nicht. Ich weiß nicht, warum du das hier tust. Ich weiß nicht, was in deinem Leben passiert ist, das dich zu diesem Moment geführt hat. Aber ich weiß, dass du Angst hast. Und ich weiß, wie es ist, sich in einer so abgefuckten Lage zu befinden, wo du dich fragst, wie zur Hölle es nur so weit kommen konnte.“

„Steven, was zum Henker glaubst du, dass du da tust?“, fauchte Scar in seinem Ohr.

„Ich bin in Position“, sagte Jam. „Aber ich habe kein freies Schussfeld. Steven, du musst ein Stück nach links.“

„Ich will gar nicht hier sein“, gestand der Mann. Seine Hände zitterten. „Aber ich habe keine Wahl.“

„Wovon redest du?“, fragte Steven. „Man hat immer eine Wahl.“

„Nein“, antwortete der Mann. Er drückte die Kuriertasche an sich und öffnete sie.

Er hatte Tränen in den Augen und Schweißperlen auf der Stirn. Steven hatte angenommen, dass der Mann vorhatte, Quantum in die Belüftung zu werfen, um das ganze Gebäude zu verseuchen. Aber es war kein Kanister, den Steven aus der Tasche herausgucken sah.

„Oh Gott“, stieß Steven hervor und machte einen Schritt rückwärts. „Er hat eine Bombe.“

„Scheiße“, schrie Jam. „Steven, weg da! Du blockierst meine Schusslinie.“

„Mit wem redest du?“, fragte der Mann.

„Mit meinen Freunden“, antwortete Steven, der sich spontan entschied, ehrlich zu sein. „Hör zu, in was für Schwierigkeiten du auch steckst, welchen Grund du auch immer für das hier hast, es ist nicht dein Leben wert. Glaub mir, so willst du nicht enden.“

„Steven, du hast einen Befehl bekommen. Jetzt beweg dich!“, schrie Scar ihn an.

Steven bekam weiche Knie. Er wusste, er sollte auf sie hören und tun, was sie sagten, aber er kannte den Blick in den Augen des Mannes, kannte ihn nur zu gut. Er war wie ein Wolf, der in einer Bärenfalle hing, bereit, sich den eigenen Fuß abzunagen. Steven erkannte sich selbst in dem Mann.

„Bitte lass mich dir helfen“, bat Steven.

„Verdammte Scheiße, Kleiner, aus dem Weg!“, brüllte Jam.

„Du verstehst das nicht. Ich habe keine Wahl“, schrie der Mann ihn an. Die Tränen, die ihm in die Augen gestiegen waren, begannen zu fallen.

„Okay“, sagte Steven und hob seine Hände noch ein wenig höher, um ihn zu beschwichtigen. „Dann rede mit mir. Erklär mir, warum.“

„Jam, schieß“, befahl Scar.

„Negativ, kein freies Schussfeld“, widersprach Jam.

„Steven, das ist deine letzte Warnung“, sagte Scar. „Jam, du führst jetzt den verdammten Schuss aus!“

„Steven“, flehte Jam. „Wenn er die Bombe in das Rohr fallen lässt, dann landet sie ganz unten im Parterre. Eine Explosion so nah beim Fundament kann das ganz Gebäude einstürzen lassen. Hunderte werden sterben, du und Scar eingeschlossen.“

Steven wusste, dass Jam recht hatte. Ihm war ganz übel. Vielleicht konnte er dem Mann die Sache ausreden, wenn er doch nur die Zeit anhalten könnte.

„Okay, ich bewege mich“, sagte er niedergeschlagen. Er trat einen Schritt zur Seite. Als der Mann begriff, warum, riss er entsetzt die Augen auf.

Dann passierte alles furchtbar schnell. Aber Steven kam es trotzdem vor wie in Zeitlupe.

Der Mann hob die Tasche hoch – scheinbar, um sie in den Schacht zu werfen – aber das war nicht, was er als Nächstes tat.

Stattdessen drehte er sich um und erwartete offenbar zu sehen, mit wem Steven redete. In der winzigen Zeitspanne, die Jams Kugel brauchte, um den Lauf zu verlassen und ihr Ziel zu erreichen, drückte der Mann die Tasche in Brusthöhe an sich, und das Projektil traf den Sprengstoff in der Tasche.

Dann nahm die Zeit wieder ihr normales Tempo auf – Stimmen schrien in Stevens Ohr, und im nächsten Atemzug wurde er von glühender Hitze eingehüllt und flog rückwärts über das Dach.


Kapitel 2

Teil des Wolfsrudels zu sein, war wie einer verrückten Familie anzugehören, in der sich alle gleichermaßen hassten und liebten und nicht ohne einander leben konnten. Ein Wolfwandler ohne Rudel war wie ein Regenbogen, der nur aus Grautönen bestand, bedrückend und unzureichend. Man verlor nie das Gefühl, dass etwas Entscheidendes fehlte. So war es zumindest für James „Jam“ Smith gewesen, bevor er zu C.L.A.W. gekommen war. Deshalb blieben Wölfe in der Regel auch ein Leben lang bei ihrem Geburtsrudel, außer sie nahmen sich einen Gefährten und schlossen sich deshalb einem anderen Rudel an.

Das Wolfsrudel von C.L.A.W. war kein gewöhnliches Rudel. Zwar war Alexios ihr Alpha, aber er war von Direktor Philips als solcher eingesetzt worden und unterstand dem Walrosswandler. Viele Wölfe würden deswegen auf Alexios herabsehen – einen Alpha, der von jemand anderem Befehle entgegen nahm. Jam hatte selbst schon gesehen, wie arrogant Alphas sein konnten. Aber Alexios’ Charakterstärke und Entschlossenheit, das Beste aus der Situation zu machen, rang Jam allenfalls noch mehr Respekt ab.

Alle Mitglieder des C.L.A.W.-Wolfsrudels hatten ihre früheren Rudel entweder verlassen oder waren aus ihnen verbannt worden, aus verschiedenen Gründen. Jeder, der schließlich beim MI6 landete, war irgendwie beschädigt, zumindest ein bisschen.

Jam hatte immer wieder von Leuten gehört, dass sie Krankenhäuser hassten, und falls sie jemals jemand Geliebten leiden gesehen hatten, dann verstand er ihre Abneigung. Aber Jam fand Krankenhäuser faszinierend. Schon immer hatte er Leute bewundert, die fähig waren, ihr Leben der Linderung und Heilung des Leidens anderer zu widmen.

Über die Jahre hatte er schon oft in Wartezimmern gesessen, während ein Mitglied seines Rudels zusammengeflickt wurde. In der Regel vertrieb er sich die Zeit damit, die anderen Leute zu beobachten und jeden nur denkbaren Aspekt menschlicher Emotionen zu studieren. Lächelnde Paare, die ihr neugeborenes Baby mit nach Hause nahmen, und trauernde Witwer, die nicht wussten, wie sie fortan ohne ihre bessere Hälfte leben sollten.

Dieses Mal jedoch war es anders. Dieses Mal war er derjenige, der ein breites Spektrum von Gefühlen durchlief.

Eine alte Frau in einer Stola ging an ihm vorbei und starrte ihn erschrocken an, bevor sie hastig den Blick abwandte. Jam war solche Blicke gewohnt. Er war eine ein Meter neunzig hohe Wand aus festen Muskeln. Er hatte einen rasierten Schädel, sein Kiefer trug die Bartstoppeln einer Woche, und eine blasse Narbe verlief durch seine linke Braue, über das Auge und schräg an seiner Wange hinab. All das, kombiniert mit seinem starken Ost-London-Akzent und dem Umstand, dass seine Arme und seine Brust mit Tattoos bedeckt waren, führte dazu, dass Leute ihn sofort in eine bestimmte Schublade steckten. Scarlet sagte, er sähe aus wie ein Schlägertyp, und ermahnte ihn immer scherzhaft, keine kleinen Kinder zu erschrecken, wenn sie unterwegs waren.

Die Wahrheit aber war: seine Lieblingsfarbe war Pink, und er schlief in einem Pyjama-Unterteil mit Teddybär-Aufdruck – ein Geschenk von Steven – und seine Lieblings-TV-Serie war Buffy, die Vampirjägerin.

Während er vor Stevens Krankenzimmer stand und seinen Mut sammelte, um hineinzugehen, vibrierte plötzlich sein Telefon in seiner Tasche. Er verzog das Gesicht, als er sah, dass es sein Alpha war.

„Boss“, sagte Jam, als er den Anruf entgegennahm. „Wie war’s in Kuba?“

„Alles lief bestens, was man anscheinend von euch Jungs nicht gerade sagen kann“, antwortete Alexios überraschend ruhig.

Jam wusste, wie ernst Scar ihren Job nahm, genau wie die Tatsache, dass Alexios ihr die Leitung dieser Mission übertragen hatte. Es war also keine Überraschung, das sie ihrem Alpha bereits einen vollständigen Bericht gegeben hatte.

„Tja, die gute Nachricht ist, dass wir die Explosion des ganzen Gebäudes verhindern konnten und es nur einen Toten gab“, sagte Jam. „Aber, ja … es hätte deutlich besser laufen können.“

„Und Steven? Wie geht es ihm?“

Was Alexios zu einem so großartigen Anführer machte, war, dass er seine Leute hart rannehmen konnte, wenn nötig, er sich aber auch aufrichtig um alle sorgte.

„Er hat einige Verbrennungen erlitten und sich den einen oder anderen Muskel gezerrt, aber er kommt wieder in Ordnung, sagen die Ärzte“, antwortete Jam.

„Und du?“, fragte Alexios mit so viel Mitgefühl, dass Jam es fast nicht ertrug.

„Ich? Mir geht es bestens, Boss. Ich habe keinen Kratzer abgekriegt.“

„Du weißt, das ist nicht, wonach ich gefragt habe.“

Jam biss in den sauren Apfel und öffnete die Tür zu Stevens Zimmer. Der Kleine lag im Bett, immer noch bewusstlos von den Medikamenten, die er bekommen hatte. An seiner Brust waren Drähte befestigt, die seinen Herzschlag maßen. Es war schwer, ihn so sehen zu müssen.

„Ich bin okay“, versicherte Jam Alexios.

Alle im Rudel wussten über Jam und Steven Bescheid. Jam war in seinem Leben schon vieler Dinge beschuldigt worden, aber die Neigung zur Diskretion gehörte nicht dazu. Er war vollkommen schamlos. Es war ihm buchstäblich unmöglich, sich wegen irgendetwas zu schämen. Aber selbst, wenn es nicht so wäre – niemals könnte er sich wegen Steven schämen. Steven war in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von Jam, aber Jam fand ihn einfach toll. Es war so einfach, mit ihm zusammen zu sein. Jam brachte den Kleinen zum Lachen – was manchmal gar nicht so einfach war – und Steven erinnerte Jam daran, wann es Zeit war, Dinge ernst zu nehmen.

Jam war vorher noch nie in einer Beziehung gewesen, hatte nie mehr gehabt als unverbindlichen Sex und lockere Verhältnisse. Er erledigte die Sache, dann machte er sich aus dem Staub.

Steven jedoch hatte von Anfang an seinen Beschützerinstinkt geweckt, wie bei einem großen Bruder. Aber nachdem sie einige Monate so eng zusammengearbeitet hatten, hatte dieses Gefühl sich in etwas anderes verwandelt. Manchmal verspürte er unwillkürlich den Drang, Steven ganz für sich behalten und ihn gegen andere verteidigen zu müssen, sogar gegenüber den anderen aus dem Rudel. Es war, als hätte sein Wolf vom ersten Moment an tief in sich gespürt, dass Steven zu ihm gehörte.

„Scar sagte, er hätte ihre Befehle missachtet“, sagte Alexios.

Jam strich Steven eine Haarsträhne aus der Stirn. „Er versuchte, das Leben eines Mannes zu retten.“

„Ich verstehe das, aber er muss begreifen, dass so etwas nie wieder passieren darf.“

„Oh, du kannst mir glauben – falls er je wieder so sein Leben riskiert, werde ich ihn zu seinem eigenen Besten irgendwo einsperren“, versicherte Jam seinem Alpha.

Nach einigen Sekunden Schweigen antwortete Alexios: „Jam, du solltest wirklich lernen, deine Gefühle auf eine gesunde Weise auszudrücken.“

Jam runzelte die Stirn und ließ sich auf einen Stuhl neben Stevens Bett fallen. „Was meinst du damit?“

Alexios seufzte. „Schon gut. Pass einfach auf ihn auf.“

„Immer“, sagte Jam. „Nimm ihn nicht zu hart ran. Er dachte, er täte das Richtige.“

„Es ist nicht die Standpauke von mir, vor der er sich fürchten muss. Kits enttäuschter Blick wird viel schlimmer sein“, sagte Alexios. Seine Stimme klang liebevoll, als er von seinem Gefährten sprach.

„Oh, den Blick habe ich schonmal zu spüren bekommen. Ist kein Spaß“, stimmte Jam zu.

Alexios lachte schnaubend. „Ich bin der Alpha eines Rudels von Wölfen. Wie konnte es dazu kommen, dass ein Katzenwandler das Sagen hat?“

„Keinen Schimmer. Kit kann ziemlich furchterregend sein, wenn er will“, sagte Jam. „Und keiner hat mehr Bammel vor ihm als Steven.“

Alexios lachte leise. Die Zuneigung in der Stimme des Alphas, wenn der von seinem Gefährten sprach, hatte Jam geholfen, seine eigenen Gefühle zu verstehen. Für ihn war Steven alles, was er wollte. Alles, was er brauchte.

„Ich muss hier noch das Eine oder Andere zum Abschluss bringen. Ich sehe dich morgen in London.“

„Alles klar, Boss.“

Jam beendete die Verbindung und steckte sein Telefon wieder ein. Er lehnte sich im Stuhl zurück und erlaubte sich, den anderen Wolf richtig anzusehen. Er wünschte sich nichts mehr, als dass Stevens grüne Augen ihn ebenfalls ansehen würden. Es fiel ihm schwer, Gefühle in Worte zu fassen; er war einfach nicht wie die meisten anderen Wölfe erzogen worden, mit Liebe und Offenheit. Aber er und Steven hatten nie viele Worte gebraucht, um zu wissen, was sie einander bedeuteten.

Er wusste, dass auch Steven in kein gutes Rudel hineingeboren worden war. Es gab also keinen Grund auf der Welt anzunehmen, dass ihre Beziehung funktionieren würde, und doch tat sie es. Ein Teil von ihm glaubte immer noch, dass Steven Besseres verdiente als den abgefuckten Sohn eines Psychopathen. Er verdiente die Welt. Und Jam war entschlossen, einen Weg zu finden, wie er sie ihm geben konnte.


Kapitel 3

Als Steven zu sich kam, hörte er ein piependes Geräusch. Der unverwechselbare Geruch von Desinfektionsmitteln verriet ihm, dass er sich in einem Krankenhaus befand, noch bevor er die Augen öffnete. Es war kein Ort, an dem Gestaltwandler für gewöhnlich viel Zeit verbrachten, da die meisten Verletzungen bei ihnen von selbst heilten.

Welchen Schaden er auch immer davongetragen hatte, es musste ziemlich übel sein, sonst wäre er nicht hier. Er öffnete die Augen und wusste bereits, dass Jam im Raum war, obwohl er ihn wegen des überwältigen Klinikgeruchs nicht riechen konnte.

Jam saß neben seinem Bett in einem Stuhl und starrte so finster auf die Maschine, an die Steven angeschlossen war, als würde ihre bloße Existenz ihn persönlich beleidigen. Als er merkte, dass Steven wach war, richtete er seinen Blick auf ihn.

„Idiot!“, sagte Jam zu ihm, aber seine Stimme klang nicht wütend.

Er wirkte erschöpft, und unter seinen kornblumenblauen Augen waren dunkle Schatten. Steven fühlte sich augenblicklich ein wenig schuldig, weil er wusste, dass er die Ursache dafür war.

„Wie sauer ist sie?“, war das Erste, das Steven sagte.

„Scar? Ziemlich sauer. Ich hätte den Kerl ausschalten können, bevor alles den Bach runterging, wenn du nicht im Weg gestanden hättest“, antwortete Jam. Der sonst so unbeschwerte Mann wirkte recht mordlustig. Normalerweise war Jam Herz und Seele einer jeden Party. Er war der Typ, der sich mit beiden Beinen in jede Gefahr stürzte und dabei aus voller Kehle alte Queen-Songs sang wie ein Irrer.

Steven verspürte leichte Schmerzen im Rücken, aber damit kam er zurecht. Womit er nicht fertig wurde, war der Ausdruck in Jams Gesicht. Es war eine gleichmäßige Mixtur aus Enttäuschung und Zorn, und Steven wollte den Kopf einziehen.

„Es tut mir leid“, sagte Steven und hasste, wie schwach er klang. „Ich dachte, ich könnte es ihm ausreden.“

Jam fuhr sich frustriert mit den Fingerspitzen über die kurzen Stoppeln auf seinem Kopf. „Man kann nicht jeden retten, Kleiner. Du hast damit dein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt.“

„Ist das nicht, was wir tun?“, fragte Steven, während er sich behutsam aufsetzte. Vielleicht verzog er dabei mehr das Gesicht, als eigentlich nötig war, aber er wusste, dass er am ehesten wieder Jams Wohlwollen gewinnen konnte, wenn er an dessen Mitgefühl appellierte.

Innerhalb von Sekunden war der andere Wolf auf den Füßen und richtete das Kissen hinter Steven. „Wir riskieren unser Leben nicht für Leute, die selbst das Leben anderer riskieren.“

„Ich dachte nur … Es tut mir leid“, sagte Steven. Ihm war klar, dass Widerspruch ihm jetzt nichts Gutes einbringen würde. „Ich schätze, er erinnerte mich irgendwie an mich selbst.“

„Inwiefern?“, fragte Jam aufgebracht und setzte sich wieder hin. „Genauso jung und dumm?“

Dagegen konnte Steve schlecht etwas sagen. „Ich habe viele Fehler begangen, die mich auf ziemlich üble Abwege geführt haben. Wenn Kit nicht gewesen wäre … ich will gar nicht darüber nachdenken, wo ich jetzt wäre, hätte er nicht irgendetwas in mir gesehen, das sich zu retten lohnte.“

Seine Kindheit war … kompliziert gewesen und hatte ihn ernsthaft traumatisiert.

Um zu überleben, hatte er hier und da Jobs angenommen, und die meisten davon waren nicht ganz legal gewesen. Es war nicht viel Überzeugung nötig gewesen, damit er sich einverstanden erklärte, für einen Mann zu arbeiten, von dem er gewusst hatte, dass es einer von den Bösen war. Dass er den Auftrag erhalten hatte, Clearwater zu kidnappen – das Gehirn hinter den Operationen von C.L.A.W. – war eine glückliche Fügung des Schicksals gewesen, genau wie der Umstand, dass Kit dabei gewesen war und darauf bestanden hatte, C.L.A.W nur dann beizutreten, wenn sie auch Steven aufnahmen. Jetzt war Kit mit Stevens neuem Alpha verpaart, und auch wenn Steven immer noch glaubte, sich ständig beweisen zu müssen, so hatte er doch endlich das Gefühl, seinen Platz in der Welt gefunden zu haben.

„Was sagte Alexios zu dir, als du ins Rudel aufgenommen wurdest?“, fragte Jam. „Was er jedem von uns sagte.“

„Dass bei ihm jeder eine zweite Chance bekommt, aber nur einmal“, antwortete Steven.

„Du hast dem Kerl auf dem Dach eine Wahl gegeben, eine zweite Chance, und er entschloss sich, sie nicht zu ergreifen“, sagte Jam. „Großer Gott, Kleiner, ich sah, wie du durch die Luft flogst, und ich war auf der ganz anderen Straßenseite.“

„Wurde sonst noch jemand verletzt?“, fragte Steven.

„Nein, nur du“, antwortete Jam. „Und der Bomber.“

Er sah immer noch ziemlich sauer aus, was Steven verstand, aber es war nicht so, als würde Jam nicht selbst ständig herumlaufen und dumme Sachen machen.

„Ich weiß, ich hab’s vermasselt, und ganz bestimmt werde ich sowohl von Scar als auch von Alexios was zu hören bekommen“, sagte Steven. „Aber von dir brauche ich das nun wirklich nicht auch noch, okay?“

Jam schüttelte den Kopf. „Du raffst es nicht, oder? Die Mission ist mir schnurzegal, genau wie die Tatsache, dass du einen Befehl missachtest hast. Mir geht es darum, dass du beinahe getötet worden wärest.“

Leute um sich zu haben, denen er etwas bedeutete, wirklich und aufrichtig, war etwas Neues für Steven. Er erinnerte sich noch immer daran, wie seine Mutter an dem Tag ausgesehen hatte, als sie ihn weggegeben hatte … als hätte sie nicht das Geringste für ihn gefühlt. Daran zu glauben, dass jemand wirklich etwas für ihn empfand, war gewöhnungsbedürftig.

„Ich dachte nicht–“

„Ganz genau“, fiel Jam ihm ins Wort. „Du hast nicht gedacht. Du … tu so etwas einfach nie wieder. Okay?“

Steven nickte. Ein warmes Gefühl breitete sich in seinem Bauch aus. Das konnte natürlich an den Schmerzmitteln liegen, mit denen die Maschine ihn sicher vollpumpte, aber wahrscheinlicher lag es an dem Wissen, dass er Jam wirklich viel bedeutete.

„Ist er tot? Der Kerl auf dem Dach?“, fragte Steven.

Jam senkte den Blick auf seine Hand, die auf dem Bett lag. „Ja. Aber er war nicht unser Terrorist.“

„Wer war er dann?“, fragte Steven stirnrunzelnd.

„Emel Demir. Er wachte an jenem Tag auf und stellte fest, dass seine Frau und sein Kind verschwunden waren“, erklärte Jam. „Er fand ein Handy mit einem Video von seiner Familie und der Nachricht, dass er sie nie wiedersehen würde, falls er nicht tut, was man ihm sagte.“

„Scheiße“, murmelte Steven, dann versuchte er, aus dem Bett aufzustehen, aber erfolglos. „Wir müssen die Familie finden.“

„Dazu ist es zu spät“, sagte Jam traurig. Er legte eine Hand auf Stevens Brust und drückte ihn sanft zurück ins Kissen. „Ihre Leichen wurden vor etwa einer Stunde gefunden.“

Ein vertrauter, eiskalter Schauer lief Steven über den Rücken. „Wenn wir nicht dort gewesen wären, würden sie jetzt vielleicht noch leben.“

„Tu das nicht“, sagte Jam sanft. „Ich habe heute einen Mann erschossen, der versuchte, seine Familie zu retten. Damit komme ich nur klar, wenn ich mir vor Augen halte, dass es jetzt noch viel mehr Tote gäbe, wenn ich es nicht getan hätte. Wir dürfen uns nicht von Schuldgefühlen überwältigen lassen, Kleiner, sonst ersticken wir irgendwann daran.“

Steven wusste, dass Jam recht hatte. Das machte es jedoch nicht leichter.

„Also, was passiert jetzt?“

„Unsere Leute sind derzeit in Emel Demirs Wohnung und suchen nach Beweisen“, antwortete Jam.

Steven nickte. „Das ergibt keinen Sinn. Seit wann rekrutiert Pan Außenstehende für ihre Drecksarbeit?“

Jam lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Falls der Tag je kommen sollte, an dem ich Leute verstehe, die so eine Scheiße abziehen, dann möchte ich bitte erschossen werden.“

Es entstand ein langer Moment des Schweigens zwischen ihnen, dann streckte Steven den Arm aus, um Jams Hand zu halten.

„Also, wie schlimm ist es? Wie lange muss ich hierbleiben?“

Jam schüttelte traurig den Kopf. „Tja, so sehr ich auch gebettelt habe, anscheinend führen sie hier keine Gehirntransplantationen durch. Also werden wir uns weiterhin mit deinem idiotischen Arsch herumschlagen müssen, so wie er ist.“

Steven verdrehte die Augen. „Sehr witzig.“

Jam setzte ein Grinsen auf, und Steven wurde bewusst, wie sehr er genau das gebraucht hatte. Seine Unsicherheit löste sich schlagartig in Luft auf. Jam lächeln zu sehen war besser als jede Droge, die das Krankenhaus im Angebot hatte.

„Du bist in einem gewöhnlichen Krankenhaus. Ich muss dich also hier rausschaffen, bevor sie anfangen, sich über deine schnelle Genesung zu wundern“, sagte Jam. „Ich werde heute Abend wiederkommen und dich abholen. Du bleibst in der Zwischenzeit einfach hier liegen und machst dir heilsame Gedanken. Morgen fliegen wir zurück nach London.“

Steven seufzte. Er hasste es, einfach rumzusitzen. Es ging ihm deutlich besser, wenn er etwas zu tun hatte. Das Hochgefühl, welches einer jeden erfolgreichen Mission folgte, war nur von kurzer Dauer. Und diese Mission war alles andere als erfolgreich verlaufen, ganz gleich, was Jam sagte. Steven musste sich irgendwie beschäftigen.

„Was dann? Wie sieht unser nächster Schritt aus?“

„Diese Entscheidung liegt bei den Bossen“, antwortete Jam. Er stand auf, und seine Hand schlüpfte aus Stevens Griff. Dann zögerte er einen Moment, bevor er sich herabbeugte und Steven zärtlich auf den Mund küsste – zärtlicher, als Steven es von dem großen Kerl gewohnt war. Wahrscheinlich sah er einfach irgendwie zerbrechlich aus, wie er da lag, angeschlossen an diese Maschine.

Als Jam sich wieder aufrichten wollte, funkelte Steven ihn an und hielt ihn an seinem Hemd fest. Dann zog er ihn zu sich herab, um ihn richtig zu küssen, und ignorierte dabei den Schmerz an der Seite seines Gesichts. Jede Wette, dass er dort einen üblen Bluterguss hatte.

„Ruh dich aus“, sagte Jam mit einem liebevollen Lächeln, als Steven ihn schließlich losließ.

Steven nickte nur. Er befürchtete, seine Stimme könnte brechen, falls er irgendetwas sagte.


Kapitel 4

Es war dunkel in Stevens Krankenzimmer, und die Maschine, an die er angeschlossen gewesen war, war entfernt worden. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, und er wusste nicht, was ihn dieses Mal geweckt hatte, aber Jam war noch nicht wieder zurückgekehrt.

Er fühlte sich schon besser; sein Wandlerkörper setzte sich selbst schnell und wirkungsvoll wieder zusammen. Er hatte sogar Hunger.

Als er versuchte, sich aufzurichten, um einen Schluck Wasser zu trinken, stellte er fest, dass seine Arme an die seitlichen Gitter des Betts gefesselt waren – mit zwei Paar Handschellen, die mit Sicherheit zuvor nicht da gewesen waren. In einem Anflug von Panik zerrte er daran, und wäre er bereits wieder hundertprozentig bei Kräften gewesen, hätte er vielleicht die Ketten zwischen den Schellen zerreißen können.

„Was zum Henker?“

„Halt still“, sagte eine Stimme aus der Ecke des Zimmers. „Sonst verletzt du dich nur.“

Obwohl es dunkel war, hätte Steven eigentlich sehen – oder zumindest spüren müssen – dass jemand mit ihm im Raum war. Selbst jetzt, da er wusste, wo die Person sich befand, konnte er sie nicht sehen.

„Wer zur Hölle bist du?“, fragte Steven. Die Stimme hatte britisch geklungen, aber der Akzent war schwer zu bestimmen.

Langsam tauchte ein Gesicht auf, als der Mann sich eine schwarze Kapuze vom Kopf zog. Er war etwa in Stevens Alter. Sein Haar war so blond, dass es fast weiß erschien, und er hatte eisgraue Augen. „Du suchst am falschen Ort.“

„Antworte mir!“, rief Steven wütend. „Wer bist du?“

In der nächsten Sekunde flog der Mann quer durch den Raum und sprang auf Stevens Bett, wo er über ihm kauerte. Er drückte Steven hinunter auf die Matratze und hielt ihn dort fest.

„Leise“, flüsterte er. Seine Stimme klang viel zu sanft angesichts der Situation.

Steven blickte hinauf in das Gesicht des Mannes. Er war blass, besonders in der Dunkelheit des Zimmers. Er hatte hohe Wangenknochen und volle Lippen, und einen Augenblick lang fragte Steven sich, ob er wegen all der Drogen, die er von den Ärzten bekam, vielleicht nur träumte. Vielleicht waren es die Schmerzmittel oder der alles überdeckende Geruch der Desinfektionsmittel, aber Steven konnte sich nicht sicher sein, ob dieser Kerl überhaupt real war.

Obwohl Steven keine Ahnung hatte, wer der Mann war, kannte er das Gesicht. Für den Bruchteil einer Sekunde kam es ihm so vertraut vor, dass er den Fremden beinahe mit Namen angesprochen hätte, aber dann verschwand der Name wieder aus seinem Kopf. Es war wie ein Déjà-vu, oder als ob man versuchte, sich an einen Traum zu erinnern, und je mehr er es versuchte, umso schneller löste die Erinnerung sich auf. Er verspürte einen stechenden Schmerz im Kopf, als würde ein Nagel in seinen Schädel getrieben, und schloss fest die Augen.

Er wusste nicht, woher er den Mann kannte, der nun rittlings über ihm kauerte. Er konnte nicht einer Erinnerung nachjagen, die er nie gehabt hatte, aber er konnte eins und eins zusammenzählen. Er wusste, wer der hellhaarige, blasse Mann war.

„Der Geist“, flüsterte Steven.

Der Mann über ihm verzog das Gesicht. Es war kaum zu sehen, aber es war da. „Dann bestehen sie also darauf, mich so zu nennen.“

Was Steven nicht begriff, war, wieso der Geist hier war, was er von ihm wollen könnte und noch weniger, wieso Steven unterschwellig den Drang verspürte, die Hand auszustrecken und das Gesicht des Mannes zu berühren.

„Du hast Emel Demirs Familie ermordet“, stieß Steven wütend hervor.

„Nein, habe ich nicht“, fauchte der Geist zurück und brachte sein Gesicht näher an Stevens. „Ich bin nicht das, was du glaubst, das ich bin. Du erinnerst dich einfach nur nicht … aber das wirst du noch.“

Er bewegte sich so geschmeidig, als wäre seine Gestalt flüssig, als er etwas aus seinem Umhang zog und in eine von Stevens gefesselten Händen drückte.

Steven drehte den Kopf und sah, dass es sich um einen Speicher-Stick handelte. „Wenn du sie nicht getötet hast, wer dann?“

„Alles, was du wissen musst, befindet sich da drauf. Du musst nur dem Pfad folgen und dich erinnern“, sagte der Geist. „Ich bin nicht dein Feind, daran musst du immer denken. Denk nach und erinnere dich.“

„Wer ist dann mein Feind?“, fragte Steven.

Der Geist schüttelte den Kopf, beinahe traurig. „Du würdest mir nicht glauben, wenn ich es dir sagte.“

Da war etwas in seiner Stimme, in seiner Art zu sprechen. Es erinnerte Steven an etwas, das jedoch in seinem Kopf nicht ganz Gestalt annahm. Eine Stimme, die im Dunkeln flüsterte. Die beiden Männer sahen einander für einen langen Moment an, der mit etwas geladen war, das Steven nicht verstand.

Ein klapperndes Geräusch draußen auf dem Flur zerriss den Augenblick. Der Geist sprang vom Bett herunter und aus dem Fenster, bevor Stevens Lippen auch nur ein einziges Wort formen konnten.

Er lag da und starrte das Fenster an. Wären da nicht immer noch die Handschellen, die ihn ans Bett banden, und der Speicher-Stick in seiner Hand, hätte er die Begegnung für ein Hirngespinst seines von Medikamenten benebelten Kopfes gehalten.

Kapitel 5

Jam lief im Hotelzimmer auf und ab und warf finstere Blicke auf alles und jeden.

„Könntest du damit aufhören?“, forderte Scar und warf mit einem Kissen nach ihm. „Du gehst mir auf die Nerven.“

Vor einer Stunde war Jam ins Krankenhaus zurückgekehrt und hatte Steven mit Handschellen ans Bett gefesselt vorgefunden. Nachdem er die ganze Geschichte von Steven gehört hatte, war in ihm eine solche Wut hochgestiegen, dass er wusste, er würde sie nur loswerden, indem er jemanden fickte oder tötete. Jetzt war er an einem Punkt angelangt, wo ihm beides recht wäre.

„Du machst mich ganz schwindelig“, sagte Steven, der aufrecht im Bett saß, den Rücken ans Kopfteil gelehnt. Er erholte sich immer noch von seinen Verletzungen. Die waren bereits überwiegend verheilt, aber Jam ließ ihn noch nicht aufstehen, es sei denn, um das Bad zu benutzen. Scar hatte mit zwei großen Pizzen auf sie gewartet, als sie zum Hotelzimmer zurückgekehrt waren. Steven hatte sich sofort auf seine gestürzt, aber Jam war zu aufgebracht, um etwas zu essen.

„So ein dreister, kleiner Wichser, für wen hält der Kerl sich?“, knurrte Jam. „Wenn ich ihn in die Finger kriege–“

„Halt die Klappe!“, schrie Scar ihn an. Dieses Mal warf sie nicht mit einem Kissen, sie marschierte zu ihm und schlug ihn damit.

Scar war nur halb so groß wie Jam, aber sie kämpfte mit schmutzigen Tricks. Sie war wie eine Schwester für ihn, in jeder Hinsicht, also war es nichts Ungewöhnliches, dass ihre Meinungsverschiedenheiten gelegentlich in Ringkämpfe ausarteten. Meistens endete es damit, dass sie ihn biss oder ihm in die Eier trat.

„Haltet alle beide die Klappe!“, schrie Steven, bevor das Tauziehen mit dem Kissen zu etwas Ernsterem eskalieren konnte. „Ich glaube, ich muss euch beiden etwas sagen.“

Jam und Scar ließen einander los, aber Scar konnte nicht widerstehen und verpasste Jam noch einen letzten Schlag, bevor sie sich ans Fußende des Betts setzte. Jam hatte mit Scar geredet, bevor er Steven aus dem Krankenhaus geholt hatte, und sie gebeten, jegliche Maßregelung ihrem Alpha zu überlassen. Der Kleine machte sich selbst schon genüg Vorwürfe. Zu Jams Überraschung hatte Scar zugestimmt. Was zeigte, wie besorgt sie um Steven gewesen sein musste.

„Okay“, sagte Scar. „Was musst du uns sagen?“

Sie hatten beschlossen zu warten, bis sie zurück in London waren und von Clearwater die Genehmigung hatten, bevor sie den Stick in einen ihrer Computer stecken würden. Er konnte immerhin auch Malware enthalten, oder irgendwelches andere Zeugs, von dem sie keine Ahnung hatten. Jam kannte sich mit Computern nicht aus, aber er wusste genug, um nicht irgendetwas hineinzustecken, das sie von jemandem bekommen hatten, der der Mitgliedschaft bei Pan verdächtigt wurde. Jedenfalls nicht, ohne es vorher prüfen zu lassen.

Er setzte sich neben Steven aufs Bett und legte seine Hand auf Stevens Oberschenkel. Er musste ihn einfach anfassen. Seit der Explosion hatte er nicht mehr geschlafen, weil er dazu nicht fähig war ohne Steven im selben Raum, ohne selbst hören zu können, dass der Kleine noch atmete. Daheim in London hatten beide ihre eigenen Wohnungen, aber seit sie zusammen waren, hatten sie selten getrennt geschlafen.

Steven schaute hinab auf die Stelle, wo sie einander berührten, und schien sich ein wenig zu entspannen.

„Da war etwas an ihm – dem Geist – etwas Vertrautes“, gestand Steven.

„Was, du meinst, als hättest du ihn davor schon einmal gesehen?“, fragte Scar und beugte sich vor.

„Ich glaube, ja“, antwortete Steven. Jam fand, dass etwas seltsam war an Stevens Verhalten, seit er ihn aus dem Krankenhaus geholt hatte. Etwas war anders, und es störte Jam. Aber vielleicht war es nur der Schock darüber, beinahe von einer Explosion zerrissen worden zu sein, gefolgt von seiner Begegnung mit dem Geist.

„Wie … auf einem Foto? Oder persönlich?“, fragte Jam.

„Wie viel wisst ihr über meinen früheren Auftraggeber?“, fragte Steven. Zögernd begegnete er Jams Blick.

„Nicht viel“, antwortete Jam. All ihre Personalakten waren als geheim eingestuft. Sie wussten nur voneinander, was sie sich gegenseitig erzählt hatten. „Du hast als Söldner gearbeitet, richtig? Für irgendeinen Rechtsanwalt.“

„Nicht direkt“, sagte Steven. „Habt ihr schonmal von einer Gruppe namens Ulysses gehört? Nach außen hin erscheinen sie wie eine private Sicherheitsfirma, ein bisschen so wie C.L.A.W., nur dass sie nicht vom Rat der Gestaltwandler sanktioniert werden. Aber sie arbeiten unbehelligt.“

„Auftragskiller?“

„Eher Problemlöser“, sagte Steven. „Der Mann, für den ich arbeitete, war ein Anwalt, der für die Gruppe tätig war. So habe ich Kit kennengelernt.“

„Falls C.L.A.W. über die Gruppe Bescheid weiß, sie aber nicht hochgenommen hat, muss es einen guten Grund dafür geben“, sagte Scar.

Jam hatte von der Geschichte gehört. Das hatten sie alle. Steven hatte sich zu weit verstrickt, dem Mann plötzlich Geld geschuldet und am Ende die Drecksarbeit für ihn erledigen müssen. Jam empfand Mitgefühl für ihn. Er rieb Stevens Bein, um ihn daran zu erinnern, dass niemand wegen ihm zu Schaden gekommen war und man ihm seine Vergangenheit verziehen hatte.

„Nur, dass es nicht direkt so ablief“, sagte Steven.

„Wie meinst du das?“

„C.L.A.W. weiß von meiner Verbindung zu Ulysses, aber ich habe nie jemandem erzählt, wie tief diese Verbindung reicht“, sagte Steven.

„Wovon redest du?“, fragte Jam, der versuchte, nicht darüber gekränkt zu sein, dass Steven ihm offenbar etwas verschwiegen hatte. „Hast du uns angelogen?“

„Ich habe nie gelogen“, beharrte Steven. „Alles, was ich euch erzählt habe – euch allen – war die Wahrheit. Der Anwalt, Gavin Malone, heuerte mich an, aber ich verschwieg, dass ich ihm zum ersten Mal begegnete, als ich noch ein Kind war.“

Jam und Scar wechselten einen Blick. Sie waren plötzlich beide aufgewühlt von Stevens Enthüllung. Es gab keine Geheimnisse im Wolfsrudel. Jam kannte sogar Scars BH-Größe.

„Rede weiter“, sagte Scar.

„Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter sagte, sie würde es nicht länger aushalten; ich würde zu viel Ärger machen. Sie brachte mich eines Tages zu einer abgelegenen Tankstelle und übergab mich Malone. Ich dachte, ich würde in eines dieser Bootcamps für Problemkinder kommen, wisst ihr? Ich wusste nicht, dass es keine vorübergehende Sache war.“

„Großer Gott“, sagte Jam, der mit dem Schlimmsten rechnete. Sein eigener Vater war ein Ungeheuer gewesen, aber er hatte ihn nicht einfach weggegeben.

„Was ist dann passiert?“, fragte Scar. „Wohin wurdest du gebracht?“

„Er brachte mich in ein Lager mit etwa hundert anderen Kindern. Ich war zehn Jahre alt, aber es waren sowohl jüngere als auch ältere Kinder dort“, erzählte Steven. „Es wirkte wie eine Art Militärschule, denke ich. Es gab mehr körperliches Training, als ich für normal hielt, und auch andere Dinge.“

„Was zum Beispiel?“, fragte Jam.

„Zum Beispiel Waffentraining. Oder wir lernten, wie man aus einem Raum entkommt, indem man nur die Dinge benutzt, die da sind.“

Jam wusste selbst, dass er ein bisschen schräg drauf war, aber für ihn klang das nach einer Menge Spaß. Er hätte als Kind gern jede Erdkundestunde gegen so etwas eingetauscht.

„Wie lange warst du dort?“, fragte Scar.

„Bis ich sechzehn wurde“, antwortete Steven. „Wir hatten ständig Prüfungen, mehr als in normalen Schulen. Es wurden Kraft und Ausdauer getestet, und wir wurden oft psychologisch untersucht. Wenn man für irgendetwas eine besondere Begabung zeigte, dann zwangen sie einen, sich darauf zu konzentrieren. Ich war in allem immer nur durchschnittlich. Damals hasste ich das, aber jetzt denke ich, dass sie mich deswegen gehen ließen, als ich zu alt wurde.“

„Was denkst du, waren ihre Absichten? Kinder zu Soldaten zu machen?“, fragte Scar.

„Ich weiß nicht. Vielleicht. Ich dachte nicht allzu viel darüber nach, um ehrlich zu sein, bis ich plötzlich draußen in der Welt stand, ganz allein und ohne Geld. Ein paar Jahre später arbeitete ich stundenweise in einem Zeitschriftenladen. Plötzlich kam Malone herein. Er erkannte mich nicht, was mich nicht weiter überraschte.“

„Was hast du gemacht?“, fragte Jam.

„Ich sprach ihn an. Ich fragte ihn, warum sie mich mitgenommen hatten, und wichtiger noch, warum sie mich später nicht gewollt hatten“, sagte Steven. „Wir alle kannten die Gerüchte – angeblich bekam man nach dem Abschluss einen Job bei Ulysses angeboten. Aber offenbar galt das nur für die Besten der Besten.“

Jam wollte Steven in den Arm nehmen. Nein – erst wollte er Gavin Malone töten, Stevens Mutter und jeden anderen Wichser, der ihn im Stich gelassen oder benutzt hatte. Und danach wollte er Steven in den Arm nehmen. Vielleicht hatte Alexios das gemeint, als er Jam sagte, er müsse lernen, seine Gefühle auf gesündere Art auszudrücken.

„Was hatte dieses Malone-Arschloch dazu zu sagen?“, fragte Jam.

Steven schmunzelte. Es wirkte seltsam boshaft bei ihm. Jam gefiel das gar nicht. „Er bot mir Geld an, falls ich ein paar kleinere Aufträge für ihn erledigen würde. Er tat so, als wollte er etwas wieder gutmachen. Zuerst waren es nur Kleinigkeiten, wie zum Beispiel einen Klienten zu beobachten, um herauszufinden, ob er die Wahrheit sagte, oder irgendwo etwas abzuliefern. Es war schön, etwas Extra-Geld zu verdienen. Er hat mir sogar Kredite gegeben, damit ich meine Miete bezahlen konnte.“

„Aber dann fing er an, andere Sachen von dir zu verlangen?“, vermutete Jam, der wusste, wie die Geschichte ausging.

„Die Summe, die er mir dafür bot, ihm Clearwater zu bringen, überstieg alles, was ich je gesehen hatte, und zusätzlich war er gewillt, mir sämtliche Schulden zu erlassen, die ich bei ihm hatte. Ich wusste, dass es falsch war, aber ich stimmte trotzdem zu.“

„Hey“, sagte Scar und stupste ihn mit dem Fuß an. „Dann hast du Clearwater geholfen, den Kerl zu finden und zu stoppen, der ihn verfolgte. Zweite Chancen, alles klar?“

Steven lächelte sie dankbar an und nickte. „Jedenfalls … ich glaube, es war damals, als ich den Geist sah. Ich glaube, er war ebenfalls auf dieser Schule.“

„Als Schüler?“, fragte Jam.

„Wenn man sie überhaupt als solche bezeichnen kann,“, sagte Scar angewidert.

Steven nickte. „Ich glaube, er erkannte mich ebenfalls. Ich weiß nicht, es ist wie eine geistige Blockade in meinem Kopf. Jedes Mal, wenn ich versuche, mich zu erinnern, bekomme ich diesen stechenden Kopfschmerz.“

Jam und Scar wechselten erneut einen Blick, dieses Mal voller Sorge.

„Das klingt nicht gut“, sagte Jam. Er rückte näher zu Steven, bis sie Schulter an Schulter saßen. Dann legte er behutsam seine Hand an Stevens Hinterkopf und massierte ihn sanft.

„Dann dürfen wir wohl annehmen, dass der Geist nach der Schule für Ulysses arbeitete, richtig?“, fragte Scar. „Dass Ulysses uns den Hinweis geschickt hat, dass ein Anschlag auf die türkische Botschaft geplant war?“

„All unsere Informationen über den Geist deuten darauf hin, dass er zu Pan gehört“, sagte Steven. „Falls er die Wahrheit gesagt hat, könnte das bedeuten, dass er Ulysses verließ, um für Pan zu arbeiten und dann in einen Gewissenskonflikt geriet. Oder es könnte bedeuten, dass Ulysses und Pan verbündet sind.“

„Ich erinnere mich nicht an viel aus der Schule, aber ich weiß, dass beides Namen aus der griechischen Mythologie sind“, sagte Jam. „Ich glaube, Pan war der Gott der Natur und Ulysses ein König aus Homers Odyssee.“

Sowohl Steven als auch Scar starrten ihn an und versuchten nicht einmal, ihre Verblüffung zu verbergen.

„Was?“, fragte Jam. „Ich lese.“

Scar schaute ihn ungläubig an.

„Okay, schön, ich sehe fern“, lenkte Jam ein.

Steven schüttelte den Kopf. „Das mit den Namen wäre schon ein ziemlicher Zufall, findet ihr nicht?“

„Was, wenn sie ein und dasselbe sind?“, überlegte Scar laut. „Wir hätten sie die ganze Zeit direkt vor der Nase gehabt, im hellen Tageslicht, vollkommen ignoriert vom Rat der Gestaltwandler.“

Sie hätten noch die ganze Nacht über das Was-wäre-wenn weiterreden können und wären einer Antwort kein Stück näher gekommen. Ihre Flüge waren für den nächsten Morgen gebucht, und Steven musste sich nach wie vor erholen.

„Wir sollten den Tag beenden“, sagte Jam. Er schnappte sich das Kissen, mit dem Scar ihn geschlagen hatte, und warf es zu ihr zurück. „Schläfst du hier?“

Sie schnaubte entrüstet über den Gedanken.

„Um mir dein Geschnarche anzuhören? Ich denke nicht.“ Sie stand vom Bett auf und zerzauste Steven das Haar auf eine mütterliche Art, die der Kleine nur vorgab zu hassen, wie Jam wusste. „Unser Flug geht um neun, also seid um sechs aufbruchbereit.“

Sie waren an ungewöhnliche Arbeitszeiten und frühe Tagesbeginne gewohnt, und Jam musste zugeben, dass er es nicht erwarten konnte, wieder auf heimischem Boden zu sein, aber er hätte gern ausgeschlafen. Noch wichtiger, er wollte, dass Steven eine gute Mütze Schlaf bekam.

Er brachte Scar zur Tür, wo sie ihm einen scharfen Blick zuwarf. Sie arbeiteten bereits so lange zusammen, dass mehr als ein Blick oft nicht nötig war. Sie befahl ihm wortlos, auf Steven aufzupassen. Was wirklich nicht nötig gewesen wäre – er konnte in letzter Zeit ohnehin kaum die Augen von ihm lassen.

„Träum süß“, sagte Jam und zwinkerte ihr zu.

Scar verdrehte die Augen. „Selbst süße Träume ergreifen schreiend die Flucht vor mir.“

Er grinste sie an, dann machte er die Tür zu und schloss hinter Scar ab. Sie hatte nicht ganz unrecht. Jam war sicher, dass sie einen weichen Kern besaß – gelegentlich schimmerte so etwas durch – aber sie war eine echt harte Nuss. Wer sich ihr nähern wollte, würde höchstwahrscheinlich ohne Powertools nicht weit kommen.

Das Hotel, in dem sie übernachteten, war ziemlich einfach. Dass es im Spionagegeschäft irgendwie glamourös zuging, war eher ein Mythos. Außer dem Doppelbett und zwei Sesseln vor den Schiebetüren, die zu einem Balkon führten, gab es ein winziges Bad und sonst nichts. Jam hoffte, er würden wenigstens eine Nacht in seiner eigenen Wohnung zubringen können, oder in Stevens, bevor sie wieder irgendwohin geschickt wurden.

„Hast du noch Hunger? Ich könnte nachsehen, ob ich etwas aus dem Automaten besorgen kann“, fragte Jam Steven, während er die Vorhänge zuzog. „Soll ich ein Fenster aufmachen? Ich weiß, es ist heiß, und die Klimaanlage taugt nichts, aber immer noch besser, als die ganze Nacht lang von Mücken zerstochen zu werden, oder?“

„Jam“, sagte Steven mit leiser Stimme.

Jam erstarrte auf der Stelle und drehte sich um, um den anderen Wolf anzusehen. Steven saß immer noch im Bett, aber er hatte die Knie an die Brust gezogen und hielt sie mit beiden Armen fest.

„Was ist los, Kleiner?“, fragte Jam. „Brauchst du etwas?“

„Nein, hör auf, mich zu bemuttern“, tadelte Steven ihn gutmütig. „Setz dich einfach mal eine Minute hin.“

Jam tat, worum Steven ihn bat. „Okay. Ich sitze.“

Steven sah auf seine Hände hinab, die seine Knie hielten. „Falls Ulysses etwas mit Pan zu tun hat, dann ging es in dieser Schule vielleicht in Wirklichkeit genau darum – dann wollten sie uns dort vielleicht in lebende Waffen verwandeln.“

„Kann sein“, stimmte Jam zu. Der Gedanke war ihm auch schon gekommen.

„Macht dir das gar keine Sorgen?“, fragte Steven. „Weckt das nicht den Verdacht, dass ich vielleicht schon die ganze Zeit für die arbeite? Dass ich eine Gelegenheit sah, C.L.A.W. zu unterwandern, und sie nutzte?“

„Nein“, antwortete Jam ohne Zögern und vollkommen aufrichtig. „Ich kenne dich.“

Steven schnaubte. „Offensichtlich kennst du mich nicht so gut, wie du denkst.“

Jam schüttelte den Kopf, ergriff eine von Stevens Händen und starrte sie eindringlich an. „Ich mag vielleicht nicht alles über deine Vergangenheit gewusst haben, aber ich kenne dich, und das ist alles, was zählt.“

Die beiden schauten einander so lange in die Augen, bis sich das flaue Gefühl in Jams Magen auflöste.

„Ich werde nur einfach das Gefühl nicht los, dass mir etwas Entscheidendes entgeht. Irgendetwas, das direkt vor meiner Nase ist, aber ich sehe es nicht“, sagte Steven.

Jam wusste, dass er nicht sehr gut darin war, Leute zu trösten. Er war gut darin, Leute zu töten. Und er konnte gut Witze machen. Aber er bezweifelte, dass eine dieser Fähigkeiten im Augenblick hilfreich war. Manchmal fragte er sich, ob mit ihm etwas nicht stimmte. Ob in seinem Gehirn vielleicht irgendetwas falsch verdrahtet war.

„Stärke bedeutet Kämpfen. Es ist schwer, und es tut weh, und das jeden Tag. Es ist, was wir tun, und wir tun es zusammen“, sagte Jam schließlich.

Steven starrte ihn einen Moment lang wie erstarrt an, dann runzelte er verwirrt die Stirn und fragte: „Wovon zum Henker redest du?“

„Das ist ein Zitat“, erklärte Jam. „Aus der Serie Buffy, die Vampirjägerin.“

Steven schüttelte resigniert den Kopf. „Was hast du nur immer mit Buffy?“

Jam zuckte mit einer Schulter. „Hey, sie hatte es voll drauf, und sie wusste immer, was sie sagen musste.“

„Okay, du hast sie nicht alle“, sagte Steven und lehnte sich zurück an das Kopfteil des Bettes. „Anscheinend vergesse ich das gelegentlich.“

„Du brauchst etwas Schlaf“, sagte Jam und tätschelte Steven den Kopf. Steven versuchte, die Hand wegzuschlagen.

„Ich habe den ganzen verdammten Tag im Bett gelegen“, widersprach er. „Was ich brauche, ist eine Dusche. Aber ich habe immer noch Verbrennungen auf dem Rücken, und heißes Wasser wird höllisch wehtun.“

„Weshalb ich dir helfen werde“, sagte Jam. Er stand auf und streckte Steven seine Hand hin, um auch ihm aufzuhelfen.

Steven ergriff Jams Hand und rutschte an die Bettkante, von wo er mit einem belustigten Lächeln im Gesicht zu Jam aufblickte. Der Bluterguss an seiner Wange hatte eine gelbliche Farbe angenommen und ging bereits zurück. „Denkst du, es ist genug Platz für uns beide in dieser winzigen Dusche?“

„Ich denke, das lässt sich nur auf eine einzige Weise herausfinden.“ Er zog Steven auf die Füße und beugte sich zu ihm hinab, um ihn zu küssen. Der Größenunterschied zwischen ihnen betrug nur ein paar Zentimeter, aber Steven war schmaler gebaut als Jam.

„Na gut“, sagte Steven. Zum ersten Mal, seit Jam ihn aus dem Krankenhaus geholt hatte, war sein Lächeln aufrichtig. „Da sage ich nicht nein. Aber sollten wir beide umfallen und irgendetwas kaputtmachen, dann musst du dem Mann an der Rezeption erklären, wie das passiert ist.“

Jam grinste ihn an. Steven sollte es besser wissen … Jam kannte keine Scham. Nicht nur würde er dem Kerl an der Rezeption genau erklären, was passiert war, er würde ihm sogar eine Zeichnung machen.

Das Bad war klein, und die Dusche war eindeutig für nur eine Person konzipiert. Aber mit ein wenig Manövrieren würden sie schon beide hineinpassen, da war Jam sicher.

Er drehte das Wasser auf, dann starrte er den schwachen Strahl an, der aus dem Duschkopf kam.

„Tja, ich hatte auf jeden Fall schon schlimmere“, sagte Jam. Während er anfing, sich auszuziehen, unterhielt er Steven mit einer Geschichte von einem Einsatz in Marokko aus der Zeit, bevor Steven zum Wolfsrudel gekommen war. „Du hättest mal das Drecksloch sehen sollen, wo wir abgestiegen waren. Die Kakerlaken ritten auf den Rücken der Ratten in die Schlacht.“

Steven lachte schnaubend und schüttelte den Kopf. „Ja klar …“

„Ich schwöre dir, wir waren im Krieg“, beharrte Jam. „Zum Glück blieben wir nur zwei Nächte da. Aber die Dusche war … voller Leben, sage ich dir. Ein kribbelndes, krabbelndes Biotop. Da war praktisch ein in sich geschlossenes Ökosystem.“

„Okay, ich hab’s verstanden“, beruhigte ihn Steven, während er vorsichtig sein T-Shirt auszog und es dann neben dem Waschbecken ablegte. Als er sich dazu umdrehte, konnte Jam auf Stevens Rücken die Brandwunden sehen, die die Bombe verursacht hatte, … die Bombe, die er mit seinem Schuss getroffen und zur Explosion gebracht hatte. Behutsam legte er seine Hand auf ein Stück unverbrannter Haut. Steven zuckte kurz zusammen, entspannte sich aber sofort wieder.

„Tut es weh?“, fragte Jam.

„Nicht wirklich“, antwortete Steven. „Ist schon recht gut verheilt.“

Jam küsste Steven sanft aufs Schulterblatt – eine wortlose Entschuldigung. Instinktiv neigte Steven den Kopf und bot Jam seinen Hals an. Die Einladung war eine zu große Versuchung, um ihr zu widerstehen. Jam fuhr mit den Lippen an Stevens blassem Hals aufwärts und küsste ihn unter dem Ohr, während seine Hände hinab zu Stevens Taille wanderten.

„Wir müssen in die Dusche, bevor das warme Wasser ausgeht“, sagte Steven. Er drehte sich um und legte seine Stirn an Jams. Einen Augenblick lang standen sie einfach nur da, atmeten zusammen und genossen den stillen Moment.

Jam ließ ihn los. Er verspürte den starken Drang, sich um Steven zu kümmern. Sie legten ihre restliche Kleidung ab, dann ließ Jam Steven den Vortritt. Der andere Wolf bewegte sich vorsichtig und vermied es bewusst, dass das warme Wasser seinen Rücken traf. Jam war sogar ein wenig dankbar für den niedrigen Wasserdruck, denn so konnten sie die Tür der Duschkabine geöffnet lassen, ohne dass der Badezimmerboden allzu nass wurde.

„Das tut gut“, sagte Steven, als das lauwarme Wasser über seine Brust lief.

Daheim in London, wo Jam die richtig heißen Tage eines Jahres an einer Hand abzählen konnte, war eine warme Dusche für gewöhnlich eine wahre Freude. Aber angesichts dessen, wie heiß es heute gewesen war, und wie warm es immer noch war, hatte Jam die Wassertemperatur so niedrig eingestellt, dass es wirklich nur lauwarm herauskam. Bevor sie zum türkischen Konsulat aufgebrochen waren, hatten sie sich noch einmal unter der Dusche abgewechselt, nicht ahnend, wie komplett ihnen dieser Tag um die Ohren fliegen würde – buchstäblich. Jedenfalls standen Jams Dusch-Utensilien immer noch in der Dusche bereit.

Er schnappte sich den lilafarbenen Duschpuschel und drückte etwas von seinem zitronig duftenden Duschgel darauf. Steven hatte ihn am Anfang ihrer Beziehung wegen des Puschels aufgezogen, aber inzwischen schätzte er die großzügige Menge Schaum, die man damit erzeugen konnte.

„Mmm, das fühlt sich gut an“, sagte Steven und hob sein Gesicht in den Wasserstrahl. Jam begann, den Duschpuschel über Stevens Brust zu reiben, und wusch den restlichen Desinfektions- und Medikamentengeruch weg, der noch vom Krankenhaus an ihm haftete.

Da sie beide nackt und nass waren und eng beieinander standen, ließen Erektionen sich nicht vermeiden. Jam ignorierte diesen Umstand und konzentrierte sich stattdessen darauf, für Steven zu sorgen. Er wusch den anderen Wolf behutsam und achtete sorgfältig darauf, seine Verletzungen nicht zu berühren. Abgesehen von den Verbrennungen am Rücken und dem Bluterguss im Gesicht hatte er noch einen langen Kratzer an der Seite, der anfangs eine klaffende Wunde gewesen war.

„Sag mir, falls ich dir wehtue“, sagte Jam, und Steven musste schmunzeln.

„Vielleicht meidest du einfach die Stellen, die flammend rot sind. Dann wird es schon gut sein“, antwortete Steven.

Sofort wanderte Jams Blick hinab zu Stevens Penis. Er war gerötet, aber nicht gerade flammend rot. Er sah wieder auf zu Steven und hob fragend die Brauen.

„Weißt du“, sagte Jam. „Ich könnte dir helfen, diesen ganzen beschissenen Tag zu vergessen. Wenigstens für eine Weile.“

Stevens Mundwinkel verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. „Ehrlich gesagt glaube ich, dass nicht einmal du derart gut bist, aber du darfst es herzlich gern versuchen.“

Es klang wie eine Herausforderung, und Jam liebte Herausforderungen. Er fuhr damit fort, Steven gründlich einzuseifen und ließ den Duschpuschel über Stevens Bauch hinab zu dessen halb-steifem Schwanz gleiten. Langsam und methodisch wusch er Stevens Körper, bis er sicher war, auch die letzten Spuren der heutigen Tortur beseitigt zu haben.

Dann wurden seine methodischen Berührungen intimer. Er bewegte den Puschel liebevoll an Stevens Schaft auf und ab und beobachtete Stevens Gesicht, aus dem nach und nach jegliche Anspannung wich. Der andere Wolf legte den Kopf zurück an die Wand der Duschkabine, schloss die Augen und stieß einen entspannten Seufzer aus.

„Vorsicht mit deinem Rücken an der Wand“, warnte Jam ihn.

Steven antwortete darauf, indem er mit dem Finger gegen eine von Jams Brustwarzen schnippte. „Mein Rücken ist nicht das, worüber du jetzt nachdenken solltest.“

Jam grinste und genoss das leichte Brennen in seinem Nippel. Es verwandelte sich in ein angenehmes Kribbeln, das er bis hinunter in seinem Schwanz spürte.

„Ist das so?“, fragte Jam. Er ließ den Puschel fallen und benutzte seine seifigen Hände, um Stevens Schwanz zu voller Härte zu massieren. Er drückte seine Lippen auf Stevens Hals und fuhr leicht mit den Zähnen über dessen Haut. „Worüber sollte ich denn jetzt nachdenken?“

Steven stöhnte und presste seine Hüften gegen Jams Hände. „Denk darüber nach, dass deine Hände die ganze Arbeit machen, während dein Mund immer noch mit Reden beschäftigt ist.“

Jam lachte leise an Stevens Hals, dann biss er ganz leicht zu.

Ihre Beziehung hatte sich zu Anfang auf Sex und Freundschaft gegründet, sich aber dann in mehr verwandelt. Jam wusste nicht genug über diese Dinge und ob es normalerweise so ablief – und er war ziemlich sicher, dass Steven genauso wenig Ahnung hatte – aber zusammen hatten sie einen Weg dahin gefunden, wo sie jetzt waren. Am Ende ließ es sich kurz und knapp zusammenfassen: Jeder Aspekt seines Lebens war besser, wenn Steven bei ihm war.

Jam ließ sich auf seine Knie sinken. Erneut war er dankbar für die offene Kabinentür, die ihm genug Platz für ein solches Manöver bot. Er ließ Stevens Ständer nicht los, sondern massierte ihn immer noch, während er zu Steven aufsah, wohl wissend, was das mit dem anderen Mann machte.

„Scheiße“, murmelte Steven, dann nahm er Jams Gesicht in beide Hände.

Jam zwinkerte ihm anzüglich zu, beugte sich vor, öffnete die Lippen und nahm Steven bis zum Anschlag in den Mund. Eine der Hände an seinem Gesicht glitt hinauf auf seinen Kopf. Hätte Jam längeres Haar gehabt, hätte Steven jetzt sicher zugepackt. Seine andere Hand benutzte Steven, um sich an der Kabinenwand abzustützen.

„Gott, dein Mund, Jam“, sagte Steven und ließ mit einem Keuchen seinen Kopf an die Wand sinken.

Jam liebte seinen Geschmack und das warme Gewicht, das über seine Zunge glitt. Er bewegte seinen Kopf vor und zurück und lutschte Stevens Schwanz, als hinge sein Leben davon ab. Mit einem gedämpften Stöhnen griff Jam sich zwischen die Beine, um seinem eigenen Ständer ein wenig Aufmerksamkeit zu widmen.

Als er wieder aufblickte, sah er, dass Steven ihn mit offenem Mund unter schweren Lidern beobachtete. Er hatte eine Menge durchgemacht, und nun wollte Jam sich um ihn kümmern.

Mit seiner Hand massierte er die Wurzel von Stevens Schwanz und ließ dabei zwei Finger über seine Eier gleiten.

„Scheiße, ja“, murmelte Steven. „Oh mein Gott, so gut.“

Jam hatte Sex schon immer genossen, unabhängig vom Partner. Er hatte in seinem Leben noch nie schlechten Sex gehabt. Aber was den Sex mit Steven zu etwas Besonderem machte, war all der Kram, der damit einherging und danach kam. Zum Beispiel aufzuwachen und festzustellen, dass Steven sich von hinten fest an ihn schmiegte, weil er im Schlaf unbewusst versucht hatte, Jam so nahe zu kommen wie nur möglich. Oder die Gespräche, die sie führten, … sie fingen belanglos an und endeten belanglos, aber irgendwo in der Mitte ging es unweigerlich immer um etwas von Bedeutung.

Jam legte seine Faust um seinen Ständer und stöhnte tief, als eine Woge von Hitze in seinem Unterleib aufstieg. Er ließ Stevens Schwanz los, schob seine Hand tiefer und fuhr mit einem Finger über Stevens Eingang. Instinktiv spreizte Steven die Beine weiter. Da er kein Gleitmittel, sondern nur Wasser hatte, beschränkte Jam sich darauf, sanft mit der Fingerkuppe gegen Stevens Rosette zu klopfen. Jetzt war nicht der richtige Moment, um weiter zu gehen – schließlich war Stevens Körper noch mitten im Heilungsprozess – aber Gott, Jam hätte es gern getan.

Jam beobachtete aufmerksam Stevens Gesicht. Dessen Wangen waren gerötet vom warmen Wasser und vor Erregung. Tropfen liefen über seine Haut und hingen an seinen Wimpern. Jam drehte langsam seinen Finger und drückte ein wenig, sodass nur die Fingerspitze durch den engen Muskelring glitt.

„Oh Gott“, stöhnte Steven leise. „Ich bin schon so kurz davor.“

Ich auch, wollte Jam ihm antworten, aber dann hätte er aufhören müssen, Stevens Schwanz zu lutschen, und das würde nicht passieren, bevor Steven in seinem Mund abgespritzt hatte.

Er fuhr fort, Steven zu reizen, drehte und bewegte seinen Finger auf eine Weise, die Steven spüren, ihm aber keine Schmerzen bereiten würde. Und er ließ seine Lippen an Stevens Schaft auf und ab gleiten, während er mit der Zungenspitze kleine Muster an die Unterseite malte.

„Ahh“, rief Steven, überwältigt von Lust. Er begann, mit den Hüften zu pumpen. Jam wichste sich selbst, während Steven seinen Hinterkopf hielt – er liebte das.

Als Steven kam und sein Stöhnen sich im Rauschen des Wassers verlor, nahm Jam alles, was Steven ihm gab und lutschte ihn weiter, bis er schlaff gegen die Wand der Dusche sackte.

Jam wichste sich bis zum Orgasmus, behielt dabei Stevens Schwanz ihm Mund und saugte weiter sanft daran, bis er fertig war. Mit einem letzten Stöhnen sah er zu, wie das Wasser den Beweis für seinen Höhepunkt fortwusch.

„Das war genau, was ich gebraucht habe“, sagte Steven. Er sah schläfrig aus und wunderschön. Wäre er nicht immer noch verletzt gewesen, hätte Jam ihn ins Bett gebracht und zärtlich geküsst, bis er eingeschlafen war. Aber sie waren so erledigt, dass sie wahrscheinlich beide einschlafen würden, sobald sie sich in der Waagerechten befanden.

Jam stand vorsichtig auf und verzog das Gesicht, als sein nackter Arsch die kalte Glastür berührte.

„Fühlst du dich jetzt besser?“, fragte er Steven, kannte aber bereits die Antwort.

Steven lächelte ihn an, befriedigt und müde. „Viel besser.“

„Gut.“ Jam küsste ihn sanft. „Trocknen wir uns ab und gehen ins Bett. Unser Flug geht morgen ziemlich früh.“

Steven stöhnte und folgte Jam aus der Dusche. „Erinnere mich nicht daran. Ich freue mich nicht gerade darauf, Alexios unter die Augen zu treten … oder Kit.“

Jam reichte ihm ein Handtuch. „Du bist am Leben, und die Mission war unter dem Strich weitestgehend ein Erfolg. Nur ein leichter Gebäudeschaden. Es wird schon nicht so schlimm werden, wie du denkst.“

„Hoffentlich hast du recht.“

Sie trockneten sich ab und putzten sich Seite an Seite die Zähne, dann gingen sie ins Bett.

Schon nach wenigen Minuten hörte Jam, wie Stevens Atem langsam und gleichmäßig wurde. Er lag auf der Seite, beobachtete Stevens Brust, die sich hob und senkte, und war sich nur allzu bewusst, wie kurz er davor gewesen war, ihn zu verlieren.


Kapitel 6

Vierundzwanzig Stunden nachdem er beinahe durch eine Explosion auf einem Dach in Ankara ums Leben gekommen wäre, war Steven zurück im Londoner Hauptquartier von C.L.A.W. und stand vor seinem Alpha. Ganz gleich, wie oft und wie gut er sich selbst bewies – sobald er vor seinem Alpha stand, kam Steven sich stets vor wie ein kleiner Junge, der eine Standpauke bekam.

„Wie fühlst du dich?“, war Alexios’ erste Frage.

Die Besorgnis des Alphas war irgendwie schlimmer, als hätte er Steven sofort vor aller Augen die Leviten gelesen. Mit Wut kam er zurecht, aber einen Alpha zu haben, der sich aufrichtig um ihn sorgte, war für Steven immer noch zu neu.

„Es geht mir gut, Boss“, beharrte er und ignorierte das Ziehen in seinem unteren Rücken. Auf das Drängen seines Gefährten hin hatte Alexios Steven eine Chance gegeben und ihn in sein Rudel aufgenommen. Steven würde den beiden nie wirklich vergelten können, dass sie ihn akzeptiert und ihm eine Familie gegeben hatten. „Ich weiß, ich hab’ Mist gebaut. Es tut mir leid. Und es wird nicht wieder vorkommen.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752142884
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
gestaltwandler wandler wolfswandler agenten gay romance gay fantasy Roman Abenteuer Fantasy Romance Liebesroman Liebe

Autor

  • Jane Wallace-Knight (Autor:in)

Jane Wallace-Knight lebt im Osten von England, in einer kleinen Küstenstadt, in einem Haus am Meer. Sie findet, dass die morgendlichen Spaziergänge am Strand mit ihrem Hund die beste Gelegenheit bieten, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen und die nötige Inspiration zum Schreiben zu finden.
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Titel: Das Wolfsrudel