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Das Tier in ihm

von Charlie Richards (Autor:in)
130 Seiten

Zusammenfassung

Doktor Gordon Digby kam nach Stone Ridge, um geretteten Wandlern zu helfen, sich nach der Gefangennahme durch Wilderer zu erholen. Einen Gefährten zu finden kam ihm dabei nicht einmal in den Sinn, doch das Schicksal macht ihm einen Strich durch seine Pläne in Form des sexy Tigerwandlers Grady Stryker. Der Mann bringt Gordons Blut in Wallung und seine Gedanken durcheinander. Doch Grady ist ein Cop, und der Arzt hat Geheimnisse, die er nicht lüften will, wie zum Beispiel die Vergehen seines eigenen Tieres. Detective Grady Stryker glaubt, dass seinen Gefährten zu finden das größte Geschenk ist, das ein Wandler erhalten kann, also versteht er Gordons Zaudern nicht, bis ein Freund ihm ein wenig Einblick in Gordons Vergangenheit gibt. Fest entschlossen, ihn für sich zu gewinnen, ist Grady überzeugt, dass der beste Weg, sein Ziel zu erreichen, auch jede Menge Spaß machen kann: Verführung. Gradys Pläne landen auf Eis, als weitere Wilderer in Stone Ridge auftauchen. Nur sind diese Menschen nicht wirklich Wilderer. Sie wissen über Wandler Bescheid, und wenn sie sie fangen können, vernichten sie sie. Kann Grady Gordon überzeugen, ihn anzunehmen, bevor die Menschen noch weiteren Freunden Schaden zufügen? Oder sind sie zu abgelenkt um zu sehen, was sich direkt vor ihrer Nase befindet? Ein homoerotischer Liebesroman für Erwachsene mit explizitem Inhalt. Jeder Band dieser Reihe geht auf die romantische Beziehung eines anderen Paares ein. Um die gesamte Handlung sowie die Geschichte aller Figuren zu erfahren, empfiehlt es sich, alle Bände in der Reihenfolge ihres Erscheinens zu lesen. Länge: rund 32.800 Wörter

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1

Gordon Digby öffnete die Tür und sah zu, wie die Elchkuh an ihm vorbei aus dem Raum ging. Als der Alpha des Stone Ridge Wolfsrudels ihn kontaktiert hatte, war er sehr neugierig gewesen. Die meisten Wandler verbrachten ihr Leben in ihrer menschlichen Gestalt und ließen ihre Tiere nur heraus, um zu laufen oder um jemanden zu beschützen, den sie liebten. Doch jetzt hatte er es mit zwei Wandlern zu tun, die sich weigerten, ihre Tiergestalten loszulassen. Als Psychiater wusste Gordon, dass sie es zu ihrem eigenen Schutz taten. Sie waren misshandelt worden, geschlagen und eingesperrt, während sie sich in ihrer tierischen Gestalt befanden. Sie waren in dieser Form geblieben, um sich dem emotionalen Trauma nicht stellen zu müssen und ihrer geistigen Gesundheit zuliebe.

Er hatte sich bereits mit Robbie getroffen, einem Pumawandler, der davon überzeugt war, dass die Elchkuh seine Gefährtin war. Wenn es ihrem Gefährten schon nicht gelang, sie zur Verwandlung zu bewegen, was wäre dann nötig? Diese Tatsache steigerte Gordons Glauben an gute Paarungen genauso wenig, wie es das Beispiel seiner Mutter getan hatte.

Gordon erhob sich und ging in seinem Büro auf und ab. Er nahm sein Telefon und scrollte durch die Kontakte, bis er den Alpha des Wolfsrudels gefunden hatte. Nachdem er die Anruftaste gedrückt hatte, lehnte er sich gegen seinen Schreibtisch und wartete.

„Declan hier.“

„Hallo, Declan. Hier ist Gordon Digby.“

„Oh, hallo, Doc. Womit kann ich helfen?“

Gordon lächelte, belustigt von der permanenten Fröhlichkeit des Mannes. Natürlich war es angesichts des niedlichen Twinks, den der Alpha zum Gefährten hatte, gut nachvollziehbar. Lark war hinreißend, wenn auch nicht Gordons Typ. Warum bloß rammelten verpaarte Wandler wie die Kaninchen? „Ich würde mir gerne ansehen, wo die Wilderer diese Leute gefangen hielten. Gibt es jemanden im Rudel, der bereit wäre, mich dort hinzuführen?“

„Ich fürchte nicht.“ Declans Antwort überraschte ihn, aber der Wolf sprach weiter. „Soweit ich gehört habe, ist es immer noch ein Tatort. Ich kann dich mit Detective Stryker in Kontakt bringen. Der ist für diesen Fall zuständig. Er sorgt dafür, dass diese Wilderer auch wirklich für alles zur Verantwortung gezogen werden.“

Gordon verkniff sich ein Seufzen. Na toll. Eine Polizeiabsperrung, die es zu überwinden galt. „Ein Detective?“, erwiderte er. „Und du denkst, er wäre bereit, mir zu helfen?“ Er konnte seinen Unglauben nicht verbergen.

„Ja. Grady ist ein guter Mann. Ein Wandler. Er wird dir helfen.“

Gordon rollte die Schultern, um die Spannung in ihnen zu lösen, und verzog das Gesicht. „Danke. Ich wäre froh, wenn du mich ihm vorstellen könntest.“

„Mache ich. Hast du einen Stift?“

Er drehte sich zur Seite und nahm Stift und Papier. „Ja.“

Nachdem er eine Nummer heruntergerattert hatte, die Gordon notierte, fügte Declan hinzu: „Ich werde ihn jetzt sofort anrufen und ihm sagen, dass du dich bei ihm meldest.“

„Das ist nett. Noch mal danke, Declan.“

„Hey. Du hast meinem Gefährten geholfen. Ich schulde dir was.“

Gordon schnaubte. Er hatte einen Wolf abgewehrt, der Lark angriff, womit er Carson, dem Vollstrecker des Rudels, ermöglicht hatte, den Mann rechtzeitig zu erreichen. „Du hättest für mich dasselbe getan. Wir reden später.“

Nachdem er aufgelegt hatte, stieß er einen Seufzer aus. Er ließ seine große Gestalt in den Bürostuhl aus schwarzem Leder sinken. Bei dem Gedanken an Declan lächelte er, als er sich daran erinnerte, wie er dem Wolf zum ersten Mal begegnet war. Nicht nur seine Größe hatte den Mann überrascht, sondern auch sein Duft. Gordon hatte die ersten fünfzig Jahre seines Lebens damit verbracht zu erlernen, wie er seinen Geruch verbergen konnte.

Als Kind war er von den Menschen in der Schule gehänselt worden, weil er mehr Speck als Muskeln hatte, und da seine Mutter menschlich war, war er der einzige Wandler in der Gegend gewesen. Dann war er zu einer Größe von einem Meter achtzig herangewachsen und hatte genug Fett angesetzt, um weiterhin etwas übergewichtig auszusehen. Er hatte versucht, abzunehmen, doch sein Tier brauchte diese Masse.

Dann war er älter geworden, und Gordon hatte keine anderen Wandler seiner Art gefunden, weshalb er oft gefürchtet oder ins Lächerliche gezogen worden war. Seinen Duft zu verbergen hatte ihm etwas Erleichterung verschafft, da andere Wandler eher dazu neigten, vorsichtig zu sein, anstatt ihn zu beleidigen. Es war eine akzeptable Alternative.

Den Alphawolf hatte es definitiv überrascht, einen schwergewichtigen Wandler zu treffen. Aber man musste dem Mann lassen, er war wesentlich offener als die anderen Wandler, mit denen Gordon zu tun gehabt hatte.

* * * *

„Ja, wer ist es denn?“ Im Tippen seines Berichts innehaltend, starrte Grady das Telefon an, als könnte er seinen Hass auf dieses Gerät mit einem giftigen Blick zum Ausdruck bringen. Er hasste Technologie.

Er konnte beinahe hören, wie Michelle die Augen verdrehte. „Ein Doktor Gordon Digby. Er sagt, dass du auf seinen Anruf wartest.“

Der Seelenklempner. Natürlich. „Ja, stell ihn durch.“

Sekunden später hörte er: „Hallo, Detective Stryker. Danke, dass Sie meinen Anruf annehmen.“

Sein Atem stockte und sein Penis schwoll an. Grady fiel es schwer, ein Stöhnen zu unterdrücken. Oh Götter, Gordon klingt gut.

Der Geschmack von Blut auf seiner Lippe, wo seine Zähne sie durchstochen hatten, riss Grady aus seinen Gedanken und er zwang sich zu einem Lächeln. „Hallo, Doktor Digby. Kein Problem. Declan sagte, dass Sie anrufen würden.“ Er hielt den Mund, da er die Stimme des Onkel Doktors wieder hören wollte.

„Ja. Ich muss mit Ihnen über den Vorfall in dem Lagerhaus sprechen. Haben Sie Zeit zum Mittagessen?“

Oh ja! Er wollte den Mann mit der sexy Stimme kennenlernen. „Sicher. Wo?“

Gordons leises Lachen ließ seinen Schwanz pulsieren. „Ich bin erst seit ein paar Wochen in der Stadt. Schlagen Sie etwas vor.“

Richtig. Richtig. Er hatte seinem Schwanz das Denken überlassen. „Natürlich. Treffen wir uns im Caribou’s. Sagen wir um elf Uhr dreißig?“

„Caribou’s. Einverstanden. Bis dann.“

Die nächste Stunde zog sich dahin, aber Grady gelang es, seinen Bericht zu Ende zu tippen. Um elf konnte er nicht länger warten. Er nahm seinen Mantel und verließ das Polizeirevier. Er betrat das Lokal fünfzehn Minuten zu früh und suchte sich einen Tisch. Die Hände um seine Kaffeetasse gelegt, um sie ruhig zu halten, beobachtete er die Tür.

Zehn Minuten später erweckte ein großer, etwas kräftig gebauter Mann Gradys Aufmerksamkeit. Sein stahlgraues Haar war zu einem niedrigen Pferdeschwanz zusammengebunden, was seine breite Stirn, die hohen Wangenknochen, eine gerade Nase und schmale Lippen betonte. Er trug schwarze Jeans und ein hellblaues Hemd, das er in die Hose gesteckt hatte, sodass man seine silberne Gürtelschnalle, in die ein kompliziertes Savannenmotiv eingraviert war, gut erkennen konnte. Grady konnte eine Giraffe, ein Zebra und einen Elefanten in hohem Gras erkennen. Der Mann verharrte direkt an der Tür und sein Blick wanderte durch das Lokal. Schwarz. Die Augen des Mannes waren schwarz und ihr Fokus richtete sich auf Grady.

Er kam auf Grady zu, wobei seine Schritte für einen solch großen Mann erstaunlich leichtfüßig waren. Als er drei Meter vom Tisch entfernt war, bemerkte Grady seinen Geruch. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug und sein noch immer halberigierter Penis weiter anschwoll und gegen seinen Reißverschluss drückte. Gefährte! Heilige verdammte Scheiße. Ich begegne gerade meinem Gefährten! Mit ausdrucksloser Miene und froh darüber, dass er eine enge Jeans trug, die seine Erektion größtenteils verbarg, erhob er sich und streckte seine Hand aus. „Doktor Digby?“

Die schwarzen Augen bohrten sich in Gradys und der Mann nickte einmal. „Nennen Sie mich doch Gordon. Und wollen wir nicht einfach Du sagen?“

Du kannst zu mir sagen, was du willst! „Natürlich. Bitte, setz dich.“ Grady war stolz darauf, dass seine Stimme ruhig klang.

Gordon ließ sich auf die Bank sinken und ergriff die Speisekarte mit einer Hand. Die andere legte er um das Wasserglas vor sich. „Gibt es hier etwas besonders Empfehlenswertes?“

„Eigentlich alles, aber die machen hier einen umwerfenden Cheeseburger mit Speck.“

Der Mann betrachtete wieder die Speisekarte, dann legte er sie weg. „Danke, dass du dich mit mir triffst. Ich brauche –“ Die Kellnerin erschien und Gordon verstummte.

Ein vorsichtiger Wandler. Lag das daran, dass er Psychiater war oder an seiner Erziehung? Gordon überraschte ihn erneut, als er einen Caeser Salad mit Hühnchen und eine Tasse heißen Schwarztee bestellte. Grady bestellte den Cheeseburger mit Speck und lehnte sich zurück, um den Mann zu begutachten, der ihm gegenübersaß. Falls Gordon die gleiche magische Anziehungskraft spürte wie Grady, ließ er es sich nicht anmerken. Eine weitere besondere Fähigkeit eines Psychiaters? Seine Reaktionen vor Patienten verbergen zu müssen würde diese Fähigkeit sicherlich fördern.

Da er herausfinden musste, ob er dem Mann irgendeine Reaktion entlocken konnte, schnurrte er geradezu: „Wonach suchst du, Gordon?“

Gordon öffnete den Mund, doch dann schloss er ihn wieder und räusperte sich.

Gut. Ich bin nicht der Einzige, der etwas spürt.

Der Doktor schluckte und versuchte es wieder. „Du weißt, dass Declan mich hergebeten hat, um den … Verletzten zu helfen.“

Grady nickte einmal. „Das habe ich gehört.“ Er hob seinen Kaffee an die Lippen und wartete. In seiner Laufbahn als Detective hatte er früh gelernt, andere die Pausen füllen zu lassen. Die meisten taten es aus Nervosität. Grady glaubte nicht, dass dies bei Gordon der Fall sein würde, aber Gewohnheiten ließen sich nur schwer ändern. Während Gordon einen Schluck von seinem Tee trank, betrachtete er Grady und der Detective konnte erkennen, dass der Mann sich seinen nächsten Schritt überlegte. Offenbar tat er nichts, ohne zuerst gründlich darüber nachzudenken. In sich hineinlächelnd fragte Grady sich, ob er dies ändern konnte.

„Ich habe einige schwierige Fälle“, gestand Gordon. „Ich würde gerne das Lagerhaus sehen, um zu wissen, wie sie untergebracht waren. Ich muss eine Vorstellung davon bekommen, was sie durchgemacht haben, damit ich ihnen helfen kann.“

„Und du glaubst, das Lagerhaus zu sehen, wird dir dabei helfen?“

Gordon seufzte, nippte an seinem Tee und runzelte die Stirn. „Es ist einen Versuch wert.“

Der Psychiater war sich nicht sicher. Vielleicht griff er auch nach Strohhalmen, aber Grady war das egal. Der Versuch hatte Gordon zu ihm geführt, also war er dankbar. „Es ist kein hübscher Anblick“, fühlte er sich verpflichtet zu warnen.

„Daran hege ich keinen Zweifel.“

Die Unterhaltung geriet einige Momente ins Stocken, als ihr Essen kam und sie sich beide darüber hermachten. Grady ließ die Stille andauern, zufrieden damit, seinen Gefährten zu riechen und sein Essen zu genießen. Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass Gordon die Anziehungskraft zwischen ihnen vielleicht deshalb nicht eingestand, weil er nicht schwul war. Oder vielleicht war er nicht geoutet. Grady würde es herausfinden müssen, aber nicht an einem so öffentlichen Ort. Er war nicht schüchtern, wollte den Mann jedoch nicht in Verlegenheit bringen. Wenn er mit ihm alleine war, würde er einen Vorstoß wagen.

„Wann willst du dir das Lagerhaus ansehen?“

Gordons Gabel verharrte auf halbem Weg zu seinem Mund, als er darüber nachdachte. „Ich habe heute Nachmittag einige Termine. Kann mich heute Abend jemand dorthin begleiten?“

Der Gedanke, dass jemand anderer Gordon durch den Wald begleitete, ließ Gradys Nackenhaare kribbeln. Er konnte nicht verhindern, dass seine Augen schmal wurden, doch er sorgte dafür, dass seine Stimme nicht gereizt klang. „Natürlich. Sag mir wann und wo, dann werde ich dich abholen.“

„Oh. Ich wollte nicht, dass du deinen vollen Tagesplan durcheinanderbringen musst, um mich zu begleiten. Sicher kann jemand anders –“

„Unsinn, Gordon“, unterbrach Grady ihn. „Ich war dort, als wir die Wilderer dingfest gemacht haben. Es macht doch nur Sinn, dass ich dich hinführe. Also, wann und wo?“ Er lächelte Gordon charmant an und sah, wie der seufzte.

Dann nickte der Mann. „Also gut. Ich wohne im Motel Six am Stadtrand. Zimmer drei-eins-fünf. Passt dir heute Abend um sieben?“

„Ich könnte dich um sechs abholen, dann könnten wir zuerst noch zu Abend essen“, bot Grady an.

„Nein, danke. Das wird nicht nötig sein.“ Gordons Lächeln wirkte gezwungen, eine Botschaft an Grady, sich verdammt noch mal zurückzuhalten.

Er hatte nicht die Absicht, seinen Gefährten in die Flucht zu schlagen. Grady lächelte und nahm seine Rechnung, ließ dabei Gordons auf dem Tisch liegen, damit der nicht dachte, dass er dieses Essen zu einem Date zu machen versuchte. „War nur ein Vorschlag.“ Er erhob sich, ging um den Tisch herum und beugte sich vor. „Zieh etwas Bequemes zum Wandern an. Die Wilderer haben Quads benutzt, um hin und zurück zu gelangen, und ich habe keins.“ Er zögerte, als würde er nachdenken, dann sagte er: „Es sei denn, du möchtest dich verwandeln.“

Ohne dem Psychiater die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, ging Grady zur Kasse, um sein Essen zu bezahlen.

Als er zurück auf dem Revier war, griff er nach dem Telefon. Er wählte eine Nummer, dann wartete er darauf, dass sich der Anrufbeantworter meldete. Zu seiner Überraschung antwortete stattdessen eine Stimme mit starkem englischem Akzent. „Zwölf Jahre. Womit verdiene ich die Unterbrechung?“

Die glatte, tiefe Stimme schnurrte geradezu ins Telefon und brachte Grady zum Lächeln. „Ich hätte eine Nachricht hinterlassen, Tanis. Warum bist du rangegangen?“

„Ich schulde dir etwas und hatte schon geglaubt, du wärst gestorben. Rufst du an, um die Schulden einzutreiben?“

Als er sich an sein Problem erinnerte, wurde Grady ernst. „Ja. Ich habe einen Namen. Ich muss alles wissen, was du finden kannst.“

„Wird erledigt. Schick alles, was du hast, auf mein Fax.“

Grady nickte. „Du bekommst es in weniger als dreißig Minuten. Noch etwas.“ Obwohl ihm Stille entgegenschlug, wusste er, dass sein Gesprächspartner noch da war. „Die Daten werden vermutlich falsch erscheinen. Das sind sie aber wahrscheinlich nicht.“

„Ah … Jemand wie du?“

Grady erinnerte sich, dass er sich hatte verwandeln müssen, um sich selbst und Tanis zu retten. Nun, er hatte es getan, um sich vor den Aufständischen zu retten, die ihn in Bagdad gefangen genommen hatten. Tanis war mit ihm in diesem Loch gelandet, also hatte Grady ihn entweder zu Verschwiegenheit verpflichten oder töten müssen. Da Grady aus den wirren Worten des Mannes während dessen Fieberträumen erfahren hatte, dass Tanis ein Auftragskiller war, nahm er an, dass er ein Geheimnis bewahren konnte. Außerdem konnte es recht praktisch sein, bei jemandem etwas gut zu haben, der mit Informationsbeschaffung und Auftragsmorden zu tun hatte. „Ja. So in der Art.“ Ein stiller Moment verging und Grady konnte sich das abschätzende Leuchten in Tanis’ braunen Augen gut vorstellen.

„Deine Art ist nicht die einzige?“, fragte er, langsam und ruhig.

„Nein.“

„Also gut. Das wird interessant.“ Grady hörte die Belustigung in Tanis’ seidiger Stimme. „Ich denke, ich fühle mich geehrt, dass du dich damit mir anvertraust.“

„Ich weiß, dass du diskret sein kannst“, erwiderte Grady gelassen.

„Ja. Ich werde dich bald kontaktieren.“

Die Verbindung wurde beendet. Verdammt, er hätte nie gedacht, dass er diesen Gefallen tatsächlich einmal einfordern müsste, aber Grady hatte so eine Ahnung, dass er ein wenig Hilfe brauchen würde, um etwas über seinen geheimnisvollen Gefährten zu erfahren.

Kapitel 2

VerdammteverfickteScheiße! Nein. Nein, das durfte nicht passieren. Er würde es nicht zulassen. Er brauchte keinen Gefährten, wollte keinen Gefährten. Und ganz bestimmt wollte er keinen Gefährten, der ein Cop war. Die Erinnerung an viel zu viele Leichen im Keller drohte ihn zu ersticken, und Gordon bemühte sich, sein rasendes Herz zu beruhigen. Er schloss die Augen und konzentrierte sich darauf, lange und tief durchzuatmen. Schließlich hatte er sich wieder unter Kontrolle, öffnete die Augen und bemerkte, dass das Glas in seiner Hand einen Sprung hatte. Er schüttelte den Kopf und verdrängte den Gedanken an das letzte Mal, als er seiner Kraft freien Lauf gelassen hatte.

Er nahm seine Rechnung, bezahlte und verließ das Lokal. Während er auf seinen gemieteten Grand Am zuging, kam ihm der Gedanke, Declan anzurufen und ihm zu erzählen, dass sich ein Notfall ereignet hatte, weshalb er abreisen musste, aber er verdrängte ihn. Die Wandler hier brauchten ihn und er würde niemals jemanden im Stich lassen, der ihn brauchte. Er hatte bereits einen potentiellen Käufer für seine Praxis in Kansas City. Er hatte sein Haus verkauft und plante, sich an diesem Tag mit einem Immobilienmakler mehrere zur Miete infrage kommende Objekte anzusehen.

Nach diesem einen Abend würde er Grady nicht wiedersehen müssen. Er würde ihm sagen, dass es keine Zukunft für sie gab, dass er für niemanden eine gute Wahl als Gefährte war. Er verdrehte die Augen. Es liegt nicht an dir, sondern an mir, hm? Wie bitte? Bist du wieder in der Highschool?

Sein Schwanz zuckte bei dem Gedanken an den Mann und er schlug kräftig mit der Faust darauf. Er dachte an die Ratten und Mäuse, die gelegentlich in das Farmhaus eine Autostunde von der Stadt entfernt schlüpften, das ihm einst gehört hatte. Das brachte seine Erektion schnell wieder unter Kontrolle.

Er traf sich mit Phillip und Todd Abernathy, den Wolfswandlerbrüdern, die aus den Fängen der Wilderer gerettet worden waren. Phillip, der jüngere Wandler, erholte sich gut, aber sein älterer Bruder machte sehr viel langsamere Fortschritte. Gordon nahm an, dass Todd immer ein wenig schreckhaft bleiben würde, aber er hoffte, dass es im Lauf der Zeit besser werden würde.

Danach traf er sich mit dem Immobilienmakler und schaute sich drei Häuser und eine Doppelhaushälfte an. Zwei der Häuser hatten Potenzial und boten ihm viel Platz. Eines verfügte sogar über einen Seiteneingang, der zu einigen Räumen führte, die zu einem Büro und Empfangsbereich ausgebaut werden konnten. Das Problem an diesem Haus waren die Leitungen. Vor einigen Jahren war an das Haus angebaut worden, und wer auch immer die neuen Räume an das Haupthaus angefügt hatte, hatte schlechte Arbeit geleistet.

Er ließ die Pizzaschachtel auf die Theke fallen und biss in das Stück in seiner Hand. Vor Genuss stöhnend, kaute er und schluckte. Die Pizzeria im Ort war wirklich gut. Ein Klopfen an der Tür erweckte seine Aufmerksamkeit und sein Interesse regte sich. Er ging zur Tür, dann atmete er tief durch. Verdammt. Er ist früh dran.

Den Bademantel enger um sich wickelnd, spürte er, wie das Blut sich in seinem Schaft sammelte. Ein Blick nach unten zeigte ihm, dass sein Schwanz gut verborgen war. Das verdammte Ding war allein vom Geruch seines Gefährten halberigiert. Nein, nicht mein Gefährte, rief er sich in Erinnerung, der Detective. Er drehte den Türknauf und öffnete die Tür, woraufhin er Grady am Türrahmen lehnend vorfand.

„Ich glaube, ich bin zu früh dran.“

Als ihm klar wurde, dass er den eins neunzig großen, blonden Adonis anstarrte, schüttelte Gordon seine Gedanken ab. Mit einer Handbewegung lud er den muskulösen Mann ein, das Zimmer zu betreten. „Ich brauche nur noch ein paar Minuten“, murmelte er.

„Lass dir Zeit“, schnurrte Grady wie die große Katze, die er war.

Gordon beobachtete, wie Grady sich auf das Sofa fallen ließ und streckte. Er fragte sich kurz, mit welcher Art von Katze Grady seine Seele teilte, aber da er keine Fragen zu seinem eigenen Tier ermutigen wollte, hielt er den Mund. Bevor Gordon die Tür zum Schlafzimmer schließen konnte, rief Grady: „Das ist eine hübsche Suite. Als Psychiater verdient man wohl gut. Wie lange machst du das schon?“

Die Tür einen Spalt weit offen stehen lassend, vergewisserte er sich, dass Grady ihn von seinem Platz aus nicht sehen konnte, und ließ den Bademantel fallen. „Achtundsiebzig Jahre, mit kurzen Unterbrechungen“, antwortete er automatisch. Er zog eine frische Cargo-Hose und ein Sweatshirt an.

„Somit bist du über einhundert, richtig?“

Gordon lachte. „Ja.“

„Wann ist dein Geburtstag?“

Er hielt inne, während er seinen Schuh schnürte. Wann hatte ihn das zum letzten Mal jemand gefragt? Die Augen geschlossen, zog er eine Grimasse. „In meinem Führerschein steht der sechsundzwanzigste März.“

„In deinem Führerschein?“

Die Stimme direkt vor seiner Zimmertür ließ Gordon den Kopf hochreißen. „Ja, in meinem Führerschein. Und weißt du nicht, was Privatsphäre ist?“, schnappte er.

Grady runzelte die Stirn. „Tut mir leid. Ich konnte deine Beunruhigung riechen und wollte wissen, was nicht stimmt.“

„Meine Beunruhigung?“ Er schnürte den zweiten Schuh und stand auf. Dann schob er eine Hand durch sein noch immer feuchtes Haar und ging durch den Raum. „Hör zu. Lass mich eins klarstellen: Ja, ich spüre das Gefährtenband. Nein, ich habe nicht die Absicht, diesbezüglich etwas zu unternehmen. Es ist nicht so, als würde ich dich nicht attraktiv finden, denn das tue ich. Es ist nur so …“ Er sah Gradys hochgezogene Augenbraue und errötete. Mist, er war dabei, es zu versauen. „Ich bin nicht für Beziehungen geeignet, Grady. Ich habe gesehen, wie die Wölfe sich mit ihren Gefährten verhalten. Ich bin kein Wolf. So würde es mit mir nicht sein. Wenn du danach suchst, das erwartest …“ Er schüttelte den Kopf, am Ende seiner Geduld mit sich selbst. „Ich will dir nicht wehtun, Grady, aber genau darauf würde es hinauslaufen.“

Gradys blaue Augen bohrten sich in ihn, als würde er jede Angst, jedes Geheimnis, jede Unsicherheit erkennen. Gordon wartete, wenn auch ungeduldig, dass der Mann etwas sagte. Nach einem Moment wurde Gradys Lächeln zu dem eines Raubtieres und der Mann trat näher. Bevor Gordon ausweichen konnte, packte der große Wandler seinen Arm und zog ihn an sich. Er schmiegte sein Gesicht an Gordons Hals und atmete tief ein.

„Ja, ich kann definitiv riechen, dass du dich zu mir hingezogen fühlst“, knurrte er. Gradys Atem, der über Gordons Nackenhaare strich, ließ ihn zittern. „Du stellst verdammt viele Vermutungen über uns an. Darüber, wie es zwischen uns laufen würde. Aber hast du dich noch nie einfach der Lust hingegeben, Gefährte?“, flüsterte er.

„Doch“, gestand Gordon zu seiner eigenen Überraschung. „Und dabei erlitten Leute Schaden.“

„Falls es dir entgangen ist, ich bin ein Tiger. Ich glaube, ich komme mit allem zurecht, was du mir entgegen schleuderst.“ Grady ließ seine Lippen an Gordons Hals nach oben wandern, seine Zähne strichen über die Stelle, in die seine Raubkatze beißen wollte, wie Gordon wusste. Gordons Haut kribbelte und sein Schwanz pulsierte, drückte gegen seine Unterwäsche. Wie sehnte er sich danach, sich dem Vergnügen hinzugeben, das Grady in Aussicht stellte, aber er konnte nicht zulassen, dass der Mann sich an jemanden wie ihn band. Wenn er sein Tier hinausließ, konnte er es einfach nicht kontrollieren, und er wollte nicht, dass Grady verletzt wurde.

Er ergriff Gradys Hände, beendete damit ihre Erforschung seiner Brust. Dann schob er sie weg, vermisste sie zwar sofort, aber die Erinnerung an das, was sein Tier anderen angetan hatte, festigte seinen Entschluss nur noch. „Zwischen uns darf nichts geschehen, Grady. Nicht jetzt, nicht irgendwann.“

Er konnte seine Sorge nicht verstecken. Sie erklang in seiner Stimme, und er wusste, dass sie sich auch in seinem Gesichtsausdruck zeigte. Er sah die Lust in Gradys Augen flackern, und für den Bruchteil einer Sekunde dachte er, der große Mann würde seine Warnung ignorieren. Sein Blut kochte bei dem Gedanken, sein Schaft zuckte bei der Vorstellung, dass Grady ihn vom Gegenteil überzeugte. So wie sein Körper sich gerade fühlte, fieberhaft, verlangend, wusste Gordon, dass es nicht schwer sein würde.

Doch dann trat Grady langsam zurück. Er lächelte und nickte. „Wie du willst, Gordon. Ich würde mich niemals jemandem aufdrängen.“ Er zuckte die Achseln und ging zum Wohnzimmer. Dann zögerte er und sandte ein raubtierhaftes Lächeln über seine Schulter. „Tiger sind geduldige Jäger, Gordon. Vielleicht wirst du im Lauf der Zeit deine Meinung ändern.“ Bevor Gordon den halbherzigen Widerspruch vorbringen konnte, nahm Grady seine Jacke und grinste. „Schnapp dir deine Pizza. Du kannst im Wagen essen.“

Als Grady verschwand, ließ Gordon langsam seinen Atem entweichen. Er hatte sich noch nie als Beutetier betrachtet, aber verdammt, genau so fühlte er sich gerade.

* * * *

Grady verließ das Hotelzimmer und lehnte seinen Kopf gegen einen der Metallpfeiler draußen, die den oberen Balkon stützten. Er atmete mehrmals tief durch, bevor er das Gefühl hatte, sich genug unter Kontrolle zu haben, um wegzugehen, zu seinem Wagen. Er war so kurz davor gewesen, seinen Gefährten aufs Bett zu werfen und seine Dominanz zu beweisen. Er hatte die Lust seines Gefährten gerochen, sie in seinen Augen gesehen. Aber er hatte auch Angst in Gordons Augen gesehen, und das hatte ihn aufgehalten. Was war in der Vergangenheit seines Gefährten geschehen, das ihm solche Angst vor Intimität machte?

Er sah zu, wie Gordon sein Zimmer verließ und auf ihn zukam. Wieder stellte sich ihm die Frage, mit welchem Tier sein Gefährte seine Seele teilte. Was auch immer es war, Gordon hatte Angst vor dem, was geschehen würde, wenn Grady seinem Tier begegnete, wodurch Gradys Tiger nur noch begieriger war, seine Kraft und Geschicklichkeit ihm gegenüber zu testen.

Seine tierischen Instinkte zügelnd, hielt er Gordon die Tür auf, ging um das Fahrzeug herum und stieg ein. Er zögerte, den Schlüssel im Zündschloss. „Bist du sicher, dass du das sehen willst?“

Anstatt ihm mit Worten zu antworten, schnallte der Mann sich an und warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu.

„Also gut.“

Grady trat aufs Gaspedal und lenkte den Wagen auf die Straße. Da sie sich bereits am Stadtrand befanden, brauchten sie nur dreißig Minuten zu der Stelle, wo er parken musste. „Verwandeln wir uns oder nicht?“, fragte er, als er ausstieg.

Er sah, wie Gordon die großen Bäume um sie herum betrachtete und den Kopf schüttelte. „Kommt für mich nicht infrage“, stieß er hervor.

„In Ordnung. Machen wir uns auf den Weg.“

Grady ging voraus auf dem schmalen Pfad. Nach einer Stunde hielt er inne und schnupperte in der Luft. „Rieche ich da Blut?“

„Ich schon“, bestätigte Gordon, nachdem er seine Nase in den Wind gehoben hatte. „Es riecht frisch. War jemand hier draußen?“

„Wir haben hier draußen einen Beamten positioniert, um Zivilisten fernzuhalten“, knurrte Grady, begann zu laufen und strengte seine Sinne an, um Hinweise auf jemanden in der Gegend zu finden. Er nahm jedoch nichts wahr.

Nach weiteren fünf Minuten wurde der Pfad breiter und zeigte ein langes, flaches Gebäude aus Baumstämmen mit einem Dach aus Zinnblech. „Warte hier.“

„Das soll wohl ein Witz sein“, schnappte Gordon. Grady warf ihm einen Blick zu, doch der Mann schüttelte nur den Kopf. „Du bist mein Gefährte, in guten wie in schlechten Zeiten, und ich bin nicht imstande zuzusehen, wie du dich in Gefahr begibst. Ich werde hinter dir bleiben, aber ich lasse dich nicht alleine dort reingehen.“

Grady hob eine Augenbraue, überrascht von der Eindringlichkeit in der Stimme seines Gefährten. Der Mann war also mehr beeindruckt, als er zeigte. Nach einem knappen Nicken zog er seine Glock aus einem Holster, das hinter seinem Rücken verborgen war, und ging voraus zu dem flachen Gebäude. Vorsichtig öffnete er die Tür, schlüpfte hinein und schaute sich im Innenraum um. Ein Mensch lag auf dem Boden, alle viere von sich gestreckt.

Während sein Blick über die Reihen von Käfigen glitt, bewegte Grady sich auf den Mann zu. Deputy Brody. Er musste die blicklosen blauen Augen des Deputys nicht sehen um zu wissen, dass der Mann tot war. Die Menge an Blut, die unter seiner Brust eine Pfütze bildete, sagte ihm das bereits. Er schüttelte den Kopf über den sinnlosen Verlust eines Lebens.

„Kennst du ihn?“, murmelte Gordon.

Grady nickte. „Ja. Sein Name ist Dan Brody. Ein guter Mann.“ Er kniete sich hin und drehte die Leiche um. Eine Schusswunde klaffte in der Brust. Mit zusammengebissenen Zähnen stieß Grady ein leises Knurren aus. „Ich werde denjenigen erwischen, der das getan hat.“

Gordon legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte kurz zu. „Es wird nichts bringen, wenn du dich hineinsteigerst. Lass uns den Rest des Hauses überprüfen und sehen, ob wir jemanden finden können. Wann hat Brody den Dienst angetreten?“

Sich mit einer Hand über das Kinn reibend, seufzte Grady. „Äh … heute Morgen um sieben, denke ich.“

„Dann sollten die Gerüche noch ziemlich frisch sein“, sagte Gordon.

Mit mehreren tiefen, langsamen Atemzügen witterte Grady drei verschiedene Menschen. „Ich rieche Brody, natürlich, und zwei andere.“

„Da stimme ich zu, obwohl ich nicht erkennen kann, welcher von ihnen Brody war. Der Geruch von Blut ist jetzt zu stark an ihm.“

Grady ging voraus, und der würzige Geruch des zweiten Menschen und der Zitronenduft des dritten wurde stärker. Er öffnete die Tür zum Hinterzimmer, in dem sich ein niedriger Tisch und mehrere Schränke und Arbeitsflächen befanden. Die Instrumente waren von der Polizei mitgenommen worden, aber es war nicht schwer, sich auszumalen, wofür der Raum benutzt worden war.

„Oh mein Gott“, murmelte Gordon.

Als er sich zu dem kräftigeren Mann drehte, runzelte Grady die Stirn. Das Blut war aus dem Gesicht seines Gefährten gewichen. Er legte einen Arm um Gordons Taille und zog ihn an sich. „Hier wurden sie nur betäubt, Babe. Beruhige dich.“

Gordon schüttelte den Kopf. „Du verstehst nicht. Sie haben Experimente an diesen Wandlern durchgeführt. Wie viele normale Tiere habt ihr gefunden?“

Grady runzelte die Stirn. „Die Zahlen waren in etwa gleich. Sieben Wandler und sechs normale Tiere. Was meinst du? Experimente?“ Was sah sein Gefährte, dass der Polizei entgangen war?

„Waren es die gleichen Tiere wie die der Wandler? Ein normaler Fuchs und ein Fuchswandler? Elch und Elchwandlerin?“

„Ja.“ Als er seinen Gefährten so aufgewühlt sah, konnte Grady nicht anders und strich mit den Lippen über die Schläfe des kleineren Mannes. Gordon bemerkte es kaum. „Was ist denn?“

„Mit den Gurten an der Liege konnte man den Wandler oder das Tier an den Tisch fesseln. Ich wette, ihr habt eine Vorrichtung gefunden, um den Mund des Tieres offen zu halten.“

Als er nicht weitersprach, nickte Grady.

Gordon durchlief ein Schauer. „Das diente der Zwangsfütterung, dem Ziehen von Zähne und um Speichel und Zellproben von Zunge und Mund zu entnehmen.“

„Warum denkst du, dass sie das getan haben?“

Gordon deutete auf die Wannen an beiden Enden des Tisches, den Abfluss in der Mitte und die Rinnen, die zu den Enden führten. „Wenn sie den Tisch abspülten, wurde das, was zu groß war, um durch den Abfluss zu passen, in diese Wannen gespült.“ Gordon hob den Kopf und Grady sah die Traurigkeit in seinen schwarzen Augen. „So etwas findet man nicht in der Praxis eines normalen Tierarztes, Grady.“

„Da hast du wohl recht, Babe“, stimmte er zu. „Ich glaube dir. Lass uns von hier verschwinden und die Polizei rufen.“

„Du hast kein Handy?“

Grady schüttelte den Kopf. „Ich mag Technologie nicht besonders, und selbst wenn ich es täte, würde hier draußen kein Handy funktionieren.“ Grady sah, wie Gordon sein Handy aus der Tasche zog und darauf schaute. Als er das Gesicht verzog und die Achseln zuckte, ging Grady wieder voraus, zurück durch den Bereich mit den Käfigen und zur Tür hinaus. Eine Bewegung zu seiner Rechten ließ ihn den Kopf in diese Richtung drehen, just als er ein Zischen und Klicken hörte. Schmerz schoss durch seine Brust und er schaute nach unten. Ein oranger, mit Federn besetzter Pfeil steckte in seinem rechten Brustmuskel. „Was zum Teufel?“ Seine Sicht verschwamm und Gänsehaut brach aus. „Fuck.“ Er spürte, wie Gordon den Arm um seine Taille legte, aber er erkannte an der Körperhaltung, dass die Aufmerksamkeit des Mannes auf etwas anderes gerichtet war. Er versuchte, bei klarem Verstand zu bleiben, obwohl sein Tiger sich zu befreien drohte, und erblickte einen Mann, der zwischen den Bäumen rechts von ihm hervortrat. Dann spürte er, wie sein Körper sich verwandelte und Dunkelheit über ihn kam.

Kapitel 3

Gordon spürte, wie sein Gefährte in seinen Armen zuckte, während er Stoff zerreißen hörte und Fell den Arm kitzelte, den er um Gradys Taille gelegt hatte. Sekunden später sackte ein zweihundertfünfzig Kilo schwerer Königstiger bewusstlos zu Boden. Ein wütendes Knurren entschlüpfte Gordon und er spürte, dass die Wut seines Tieres seiner entsprach. „Sie verdammter Idiot“, schäumte er. „Was haben Sie getan?“

„Wandler sind Missgeburten“, höhnte der Mann. „Wir werden ihm geben, was er verdient.“

„Was er verdient?“ Wut kochte in seinen Adern und er löste die geistigen Ketten, die sein Tier zurückhielten, ließ ihm freien Lauf. Er spürte, wie seine Nase länger wurde, seine Eckzähne veränderten sich, seine Beine und sein Körper wurden dicker. Ein kurzer Schwanz wuchs und seine Kleidung zerriss, fiel von seiner massigen Gestalt. Seine riesigen Augen funkelten den kleinen Menschen in zehn Metern Entfernung an. Er stieß einen wütenden Laut aus und stürmte vor, ließ den Boden mit jedem seiner Schritte beben.

„Scheiße! Du bist einer von ihnen!“, schrie der Mann, während er mit zitternden Fingern versuchte, einen weiteren Pfeil in die Waffe zu laden. „Harry! Harry!“

Den Kopf gesenkt, durchbohrte Gordons riesiger Stoßzahn die Brust des Mannes, beendete die Schreie mit einem bluterstickten Gurgeln und zerstörten Lungen. Gordon schwenkte seinen massigen Kopf und der Mann flog durch die Luft. Sein Körper landete krachend auf dem Blechdach und hinterließ eine Delle in dem Metall.

„Was zum Teufel?“

Gordon warf seinen Kopf wieder herum. Schnaubend stampfte er auf den zweiten Menschen zu. Der schockierte Mann löste sich aus seiner Schreckensstarre, gerade als Gordon ihn attackierte. Ein Pfeil traf seine gewaltige Schulter, durchdrang jedoch kaum seine dicke, graue Haut. Den schmerzhaften Stich und das seltsame Prickeln in seinen Muskeln schüttelte Gordon ab, dann schwenkte er den Kopf und stieß ihn gegen den Mann, der daraufhin durch die Bäume flog. Er kam zwanzig Meter entfernt mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf und lag dann reglos unter dem Schutz der Kiefern da.

Gordons Wut ließ nach, jetzt, da er die Bedrohung für seinen Gefährten abgewendet hatte. Er drehte sich um und stapfte über die Lichtung zu dem noch immer bewegungslosen Tiger. Mit einem sanften Schnauben durch seine Nase streichelte er über das dichte, schwarz-orange Fell. Er bekam keine Antwort. Dann umschlang er den Tiger, hob Grady unter sein Kinn und machte sich auf den Weg den schmalen Pfad entlang. Sein massiger Körper traf gegen Äste über und neben ihm. Er zog die Schultern ein und knickte die Äste, die ihm im Weg waren, ab. Er konnte spüren, wie das Gift seine Muskeln träge machte, ihn lockte, anzuhalten und sich auszuruhen. Dagegen ankämpfend, erhöhte er sein Tempo. Als er die Straße erreichte, wurde ihm klar, dass das Gift seinen viel kleineren menschlichen Körper sofort überwältigen würde, sollte er sich verwandeln.

Er schluckte schwer, wohl wissend, dass es keinen anderen Weg gab, dann wandte Gordon sich ab und marschierte die Straße hinunter. Die Sonne war untergegangen, als er schließlich die Einfahrt hinauf und hinter das Haus stapfte. Vorsichtig legte er den großen Tiger auf die Veranda, besorgt, weil der Wandler noch immer nicht zu sich gekommen war. In einigen Schritten Entfernung vom Haus, damit er kein Fenster zerbrach, hob er den Kopf und trompetete laut.

Er sah, wie die Verandatür geöffnet wurde und Declan und Lark traten heraus, nur um stehenzubleiben und ihn anzustarren. Gordon verlagerte sein Gewicht und deutete auf Grady. Declan hielt sein wachsames Auge auf Gordons Tier gerichtet, während er zu dem bewusstlosen Tiger ging. Lark legte eine Hand auf seinen Hals und seine Brust. Gordon wusste, dass der Arzt nur nach dem Puls suchte, aber er konnte sein Missfallen dennoch nicht unterdrücken und grunzte gereizt. Während Lark den Pfeil in Gradys Brust herauszog, nahm Declan sein Handy heraus.

„Ja, Rainy. Ist Travis da?“

Ohne weitere Bewegung, die es zurückhielt, begann das Gift seine Wirkung zu entfalten. Kopfschüttelnd ließ Gordon seine massige Gestalt auf die Knie sinken.

„Hallo, Travis. Ist dem Zoo ein … Warte mal“, murmelte der Alpha.

Gordon schloss die Augen und atmete mehrmals tief durch. Seine Nase und Stoßzähne bildeten sich zurück, seine Größe schmolz dahin und die dicke graue Haut verblasste. Sekunden später lag sein nackter, menschlicher Körper zitternd im Gras.

„Heilige Scheiße!“

Er hörte Declans Worte, aber das Dröhnen in seinen Ohren, ausgelöst von der Droge in seinem Körper, machte es ihm schwer, sich zu konzentrieren. Fußtritte stoppten wenige Meter von ihm entfernt.

„Bei den Göttern, Mann. Du bist ein verdammter Elefant!“

Gordon zuckte zusammen bei den Worten des Mannes. „Helft ihm“, stieß er hervor und kämpfte weiter gegen das Gift an, das ihn in den Schlaf zerrte.

Hände landeten auf seinem Arm und seiner Schulter. „Holen wir dich von diesem nassen Gras. Du musst uns erzählen, was passiert ist, Gordon.“

Seltsamerweise klang der Mann nicht angeekelt oder angewidert. Er klang besorgt. Aber Declan war wohl nicht entgangen, wie Gordon sich unter seinen Fingern versteifte, denn er sagte: „Mir ist es egal, was für eine Art Wandler du bist, Gordon, und wenn du es nicht willst, werden Lark und ich es niemandem erzählen. Du bist ein guter Mann. Das ist alles, was für mich wichtig ist, aber jetzt musst du mir sagen, was Grady zugestoßen ist.“

„Waren im Lagerhaus. Musste sehen …“ Er schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen. „Mehr Wilderer töteten Brody.“ Sein Körper begann bei der Erinnerung zu zittern. „Einer schoss mit etwas auf Grady. Ich habe mich verwandelt und ihn getötet. Ich konnte mein Tier nicht aufhalten. Nicht kontrollieren …“

„Ganz ruhig, Gordon. Alles ist in Ordnung. Komm mit.“ Mit Declans Hilfe kam Gordon auf die Beine und stolperte zur Veranda. Doch als er dort ankam, brach er neben Grady zusammen und weigerte sich, sich zu bewegen.

„Nein. Helft ihm. Sie haben mit etwas auf uns geschossen, aber die Größe meines Tieres erlaubte mir, es zu verdrängen, doch jetzt bin ich kleiner …“ Gordon spürte, wie die Dunkelheit über ihn hereinbrach, aber er musste noch etwas mitteilen. „Muss Brodys Tod melden … und die Wilderer …“

„Ich werde Detective Sullivan anrufen, da mach dir keine Sorgen. Er ist Gradys Partner und weiß über Wandler Bescheid. Er wird sich um das Durcheinander kümmern.“ Declan hob das Handy wieder an sein Ohr. „Ja, Travis. Du und Rainy müsst sofort herkommen. Grady und Gordon sind gerade in Tiergestalt hier angekommen. Man hat ihnen irgendein Mittel verabreicht. Nein, ich weiß nicht, was es war.“

Die restlichen Worte ignorierend, schob Gordon seine Finger in den dichten Pelz an Gradys Hals, legte den Kopf auf die Schulter des Tigers und ließ sich von der Dunkelheit fortspülen.

Gordon erwachte mit einem Ruck, als er Hände auf seinen Fingern spürte. „Nein“, knurrte er und umklammerte Gradys Tiger noch fester.

„Ganz ruhig, Gordon. Wir wollen euch beide nur nach drinnen bringen. Es ist viel zu kalt, um die ganze Nacht auf der Veranda zu bleiben.“

Beim Klang von Larks beruhigender Tenorstimme lockerte er seinen klammerartigen Griff im Fell seines Gefährten. Verdammt, dieser Beschützerinstinkt hat sich schnell aufgebaut. Aber wenigstens hatte der Schmerz in seinem Kopf nachgelassen. Nachdem er Grady losgelassen hatte, rutschte er weg von dem Tiger und bemerkte endlich, dass eine Decke über ihn gebreitet worden war, wahrscheinlich eher, um ihn zu wärmen, als um seine Nacktheit zu verbergen. Wandler waren nicht sehr schamhaft. Er schlang die Decke um seine Schultern und folgte den vier Männern, die Gradys schlaffe Gestalt trugen.

Sie legten Grady auf eine Decke, die auf dem Boden des Wohnzimmers ausgebreitet war. Gordon setzte sich in die Nähe eines lodernden Kaminfeuers und versuchte, die Wärme in sich aufzunehmen, um die Kälte zu vertreiben, die seinen Körper zum Zittern brachte. Plötzlich spürte er, wie Gänsehaut ausbrach. „Mist“, zischte er und versuchte, auf die Füße zu kommen. Aber seine Kraft war dahin und er fiel auf die Knie. „Nein, nein, nein“, knurrte er und schüttelte den Kopf.

„Ganz ruhig, Gordon. Du musst dich ausruhen“, sagte Lark, eine Hand auf seine Schulter gelegt.

Mit Blick in besorgte blaue Augen brachte er hervor: „Muss mich verwandeln.“

Larks Augen wurden groß, als er verstand. „Oh. Oh!“ Der kleine Mann packte Gordons Arm und schlang ihn um seine Schultern. „Declan!“, rief er. Der Alpha schaute von seinem Gespräch mit Rainy auf und zu ihnen herüber. „Hilf mir, ihn wieder nach draußen zu bringen.“

Ohne Zögern kam Declan auf Gordons andere Seite und legte einen Arm um seine Taille. „Was ist los?“, fragte er.

„Er muss sich wieder verwandeln“, keuchte Lark.

Den beiden Männern gelang es, Gordon halb tragend, halb zerrend wieder hinaus aufs Gras zu bringen. Gordon ließ sich auf den Boden fallen und die Verwandlung über sich kommen, während er betete, dass er seine Freunde nicht verletzen würde. Als die Gänsehaut stärker wurde, hörte er Travis rufen: „Hey! Was ist los? Er sollte drinnen sein!“

„Nein“, sagte Declan sanft. „Das wäre keine gute Idee.“

„Oh“, murmelte Travis. „Ich wusste nicht, dass es Elefantenwandler gibt.“

„Ich habe noch nie von so großen Wandlern gehört. Er muss sehr selten sein“, erwiderte Declan.

Gordon schaffte es, seinen Kopf zu heben und die anderen anzusehen, aber in ihren Gesichtern sah er nur Sorge und Erstaunen. Lark umkreiste ihn, legte eine Hand auf seinen Kopf und kraulte ihn hinterm Ohr. Wenn es sich nicht so verdammt gut angefühlt hätte, wäre Gordon wegen der Forschheit des jungen Mannes gereizt gewesen.

„Du musst dich entspannen, Gordon“, sagte Lark. „Niemand hier wird dir etwas antun.“

Der kleine Mensch streichelte sanft seinen borstigen Kopf. Verdammt, der Mann merkte viel. Mit leisem Stöhnen legte Gordon den Kopf ins Gras und schloss die Augen.

Lark sprach weiter. „Travis muss dir Blut abnehmen. Wir müssen herausfinden, was dir und Grady injiziert wurde. Hau uns nicht deinen hübschen Rüssel um die Ohren, wenn du den Stich der Nadel spürst.“

Gordon stieß ein Grunzen als Antwort auf die Worte des Mannes aus und spürte gleich darauf das Pieksen einer Nadel in der Schulter. Sein Rüssel zuckte, aber es gelang ihm, seine instinktive Reaktion zu unterdrücken, nach dem unangenehmen Gefühl zu schlagen.

„Ruh dich etwas aus.“

Larks Worte schienen aus großer Entfernung zu kommen, aber es war ein wunderbarer Vorschlag. Gordon nahm ihn an und ließ sich von der seligen Dunkelheit des Schlafes überwältigen.

* * * *

Grady erwachte orientierungslos. Mit leisem Knurren hob er den Kopf und schaute sich um. Er entdeckte Rainy und Travis zusammengerollt nebeneinander auf der Couch. Travis’ Kopf ruhte auf Rainys Schoß, seine Augen waren geschlossen und seine tiefen Atemzügen sagten Grady, dass der Mann schlief. Als er den Blick zu Rainy hob, sah er, dass der Wolf seine grünen Augen auf ihn gerichtet hatte. „Willkommen zurück“, murmelte Rainy. „Wir haben uns Sorgen gemacht.“

Mit einem tiefen, beruhigenden Atemzug zog er den Tiger zurück. Sein Körper verwandelte sich langsam wieder in den eines Menschen. „Wie bin ich hierher gekommen? Wo ist Gordon?“, fragte er, als er endlich sprechen konnte.

„Gordon hat dich hergebracht. Er ist vor einer halben Stunde gegangen. Er sagte, er hätte einen Termin“, sagte Rainy leise, während er mit einer Hand gedankenverloren Travis über das Haar strich. „Erinnerst du dich an das, was passiert ist?“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739459851
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Juli)
Schlagworte
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Autor

  • Charlie Richards (Autor:in)

Charlie begann im Alter von acht Jahren mit dem Schreiben von Fantasy-Geschichten und als sie mit neunzehn ihren ersten erotischen Liebesroman in die Finger bekam, erkannte sie ihre wahre Berufung. Jetzt konzentriert sie sich auf das Schreiben von homoerotischen Romanen, zumeist aus der Kategorie Paranormal, mit Helden jeglicher Art.
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Titel: Das Tier in ihm