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Super-Pulp 11: Fleischwölfe

von Guido Rohm (Autor:in)
178 Seiten
Reihe: Super-Pulp, Band 11

Zusammenfassung

Double Noir: SUPER PULP Mondo Fiction bringt zwei rabenschwarze Kurzromane von Guido Rohm – in einem Band! In „Fleischwölfe. Der Roman zum Film“ erzählt der Autor, wie die grausamen Verbrechen eines Menschenfresser-Klans irgendwo in einer strahlenverseuchten Wüste zur Kinofiktion und schließlich zum literarischen Splatter-Text gerinnen; während es in der Noirvelle „0“ um Protagonisten und -innen geht, die sich unabhängig voneinander in Luft auflösen, deren Schicksale jedoch auf geheimnisvolle Weise miteinander verknüpft sind … Normale Mordfälle sind nicht der Fall von Guido Rohm. Der Mann aus Fulda schreibt freche, harte Texte, die allen Gewissheiten des Krimis widersprechen. Thomas Klingenmaier (Stuttgarter Zeitung) Dank Rohms rasantem Stil und sprachlicher Gewandtheit, rast man als Leser nur so durch die Erzählungen. Der einzige Kritikpunkt wäre, dass es manchmal vielleicht sogar zu schnell geht. Guido Rohm zeigt eindrucksvoll und unterhaltsam, wie experimentell und literarisch auch reißerische, heftige Geschichten erzählt werden können. Wenn man für neues aufgeschlossen und als Fan der Genres unvoreingenommen ist, dann wird man mit Guido Rohms Romanen etwas aufregendes und außergewöhnliches lesen. Das ist komplett Abseits der Norm. Marco Rauch (pressplay)

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


SUPER PULP Mondo Fiction

der abgeschlossene Roman

Band 11 – Fleischwölfe

FLEISCHWÖLFE

Der Roman zum Film

KEIN VORWORT, NIRGENDS von Georg Seeßlen


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ERSTER VERSUCH

Es war auf einer jener merkwürdigen Formen des Zusammenseins, die Preisverleihungen, Feierstunden oder auch Symposien zu folgen pflegen, und bei denen in aller Regel die Häppchen noch langweiliger sind als die Gespräche. Da fragte mich eine eifrige Dame: „Haben Sie den neuen Roman von Guido Rohm schon gelesen?“

„Nein“, sagte ich wahrheitsgemäß. „Aber ich habe den Film gesehen.“

„Und, wovon handelt der so?“ setzte die Dame nach, für einen Augenblick etwas zerstreut, weil sie gerade meinte, einen sehr bedeutsamen Bekannten in einer Gruppe ausgemacht zu haben. Sein betont gleichgültiger Blick bewegte sie indes, ihre Energien wieder auf ein „eifriges Gespräch“ mit mir, dem Filmkritiker, zu lenken, der offensichtlich zu faul ist, die Romane zu lesen, nach denen die von ihm kritisierten Filme entstehen.

„Von dem Roman“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

„Den Sie nicht gelesen haben!“ Die Dame schien sich an eigener Messerschärfe zu ergötzen, was insofern verständlich war, als es hier und jetzt sonst wenig Ergötzliches gab.

„Wie soll ich sagen“, versuchte ich zu erklären, „es handelt sich um die Verfilmung eines Romans, der einen Film zum Inhalt hat, den es nicht gibt.“

„Ach, das gibt es doch gar nicht“, sagte die Dame mit einem vagen Lächeln.

„Eben“, erwiderte ich, dem Rotwein zusprechend, der noch das Beste an diesem Abend war.

 

ZWISCHENSPIEL 1

„Was?“, bellte der Verleger. (Verleger sein in dieser Zeit ist ein hartes Geschäft, gefährlich für die körperliche wie für die geistige Gesundheit.) „Das soll ein Vorwort sein?“ Er schnaufte ein Verlegerschnaufen. „Ein ganz ein billiger Witz ist das. Und dann diese Überheblichkeit! Wenn Ihnen der Kulturbetrieb nicht passt, dann missbrauchen Sie gefälligst nicht ein Vorwort dazu! Das soll uns helfen, ein Buch zu verkaufen. Verstehen Sie: verkaufen! Sie sollen erklären, was das Besondere an dem Buch von Guido Rohm ist.“

„Aber“, wagte ich zu protestieren, „es bringt doch die Konstruktion des Werkes auf den Punkt, ohne allzu viel zu verraten …“

„Papperlapapp!“ machte der Verleger. „Jetzt gehen Sie und schreiben etwas Ordentliches, was dem Leser und der Leserin erklärt, worauf er oder sie sich einlassen sollen.“

 

ZWEITER VERSUCH

Also, es geht um Sprache. Gesprochene Sprache wie: „Ich hab bisher noch nien lebenden Toten sehen. Ich hab nur tote Tote sehen.“ Kindersprache, meinetwegen. Körperliche Sprache; man sieht die Sprache. Haben Sie das verstanden: MAN SIEHT DIE SPRACHE! (So wie bei Raymond Queneau das Gesprochene zum Bild wird.)

 

Aber eigentlich ist „Fleischwölfe“ ja auch eine doppelte Übersetzung. Aus Film und aus Amerikanisch. Also, aus übersetztem Amerikanisch. Weil es nur im Amerikanischen, das heißt im übersetzten Amerikanisch, das Gesprochene so einfach als Literatur gibt. Was glauben Sie, wie schwierig es ist, im Land der Deutschlehrer aus dem, was Deutschlehrer „schlechtes Deutsch“ nennen, Literatur zu machen!

 

Oder Film.

 

ZWISCHENSPIEL 2

„Ich verstehe kein Wort.“ Sagte der Verleger (um dessen geistige und körperliche Gesundheit wir, wie gesagt, stets bangen müssen). „Aber immerhin kommen wir der Sache näher. Was wir brauchen, ist ein Text, ein Textle, verstehen Sie, wo zum Beispiel die Rezensenten etwas herausnehmen können. Sich etwas herausnehmen, meine ich.“

„Ich kann ja einfach ‚super‘, ‚affengeil‘, ‚hat mich vollkommen umgehauen‘, oder ‚Ich habe einen Blick in die Zukunft des Filmromans getan‘ einflechten“, schlug ich vor.

„Nicht gleich übertreiben, sagen Sie einfach: ‚Ich war beeindruckt‘.“

„Ich war beeindruckt“, sagte ich wahrheitsgemäß.

„Na also“, sagte der Verleger zufrieden. „Geht doch.“

 

DRITTER VERSUCH

Ich war von „Fleischwölfe“ von Anfang an beeindruckt. Nicht nur wegen der literarischen Konstruktion, der kunstvoll-archaischen Sprache, sondern auch vom Mut zur Drastik. Drastik, wie wir wissen, ist der letzte Impuls der Aufklärung. Kettensägen. Lebende Tote. Fleisch! Außerdem: Selbstreferenz. Die Anwesenheit des Autors in seinem Werk. Man muss das können, und Guido Rohm kann es. Wir haben es mit einem Selbstbefreiungsversuch der Literatur in einer Situation der Erstarrung zu tun. Literatur als Selbstermächtigung in einem Betrieb der Wichser. Es handelt sich nicht um bedeutungslose Wichser, sondern um Wichser der Bedeutungslosigkeit. Diese Troglodyten und Feuilletonisten wichsen sich das letzte bisschen Bedeutung aus dem Leib. Längst haben sie keine Ahnung mehr davon, wohin Literatur gehen könnte. Alte Meister. Harry-Potter-Regale. Feuchtgebiete. Schreibende Bischöfinnen und Jakobswege. Alles, was irgendein Promi irgendwann mal in eine Fernsehkamera halten durfte. Insofern sind Bücher wie „Fleischwölfe“ vor allem Akte der Rebellion gegen einen blinden und tauben Betrieb. So muss Literatur aussehen, um zu beweisen, dass sie nicht tot ist. Im Sinne von toten Toten. Die würden doch den nächsten Hemingway nicht erkennen, wenn man ihn unter ihre Rotweinnasen hielte!

 

ZWISCHENSPIEL 3

„Hemingway ist gut. Obwohl … wer liest heute eigentlich noch Hemingway? Da muss ein anderer Name her. Stephen King? Paul Auster? Lassen Sie sich was einfallen. Und das mit der Wichserei, das lassen wir lieber. Das müsste man differenzierter sehen. Stellen Sie sich vor, ,Fleischwölfe‘ würde von der FAZ rezensiert. Und dann sowas im Vorwort. Aber sonst …“ Der Verleger tat zufrieden, was er aber keineswegs war. „Das müssen Sie vielleicht aufgreifen“, fügte er hinzu, und las einen Satz aus dem Manuskript: „ ,Wir sind doch auch wie diese Filmemacher. Wir schneiden und bearbeiten unsere Erinnerungen. Wir erstellen einen Film. Ein Kunstprodukt.‘ Das ist doch sehr schön: Das Leben – ein Film. Schnitte durch die Wirklichkeit. Ein Buch wie ein Jump Cut!“

„Ich bin nicht sicher, ob der Autor das so gemeint hat. Ich meine, man muss ja in diese Sprache eintauchen, sich von ihr tragen lassen. Das geht doch nicht mit solchen Schlagworten ab …“

„Papperlapapp! Schlagworte sind genau das, was wir brauchen. Ich finde, man sollte überhaupt das Schlagwort zur neuen Kunst erheben. Worin besteht denn der Unterschied zwischen Werbung und Kunst? Kunst ist Reklame für sich selbst.“

„Nein“, sagte ich. Energisch. Echt jetzt. „Kunst ist die Ausnahme von der Regel!“

„Das ist gut, das nehmen wir.“

 

VIERTER VERSUCH

Dieses Buch, damit ihr’s wisst

Ist kein Scheißdreck und kein Mist

Es ist feurig und brillant

Wird von der Literaturkritik verkannt

Es ist schön und ist gemein

Kann auch mal sehr heftig sein

Wer dieses Buch sich kaufen tut

Kriegt für das Leben neuen Mut.

 

ENDSPIEL

„Sie haben also das Vorwort zu ‚Fleischwölfe‘ geschrieben? Also das Buch“, sagte die übliche Dame zwischen Häppchen und Rotwein, „hat mir wirklich sehr gut gefallen. Aber das Vorwort … Ich weiß nicht. Sie albern da herum … “

„Madame“, sagte ich würdevoll, „herumalbern ist meine sehr persönliche Art, meine Hochachtung und Sympathie für etwas auszudrücken. So bin ich nun mal. Außerdem war ich ohnehin nur Ersatz. Ursprünglich nämlich sollte Marcel Reich-Ranicki das Vorwort zu ‚Fleischwölfe‘ schreiben. Aber er war verletzt.“

„Verletzt?“, fragte die Dame.

„Sehr verletzt“, entgegnete ich, „weil er in dem Film nicht mitspielen durfte.“

„Welchem Film?“

„Na dem Film, von dem ‚Fleischwölfe‘ das Buch zum Film zum Buch ist. Heißt übrigens auch ‚Fleischwölfe‘.“

„Von Wim Wenders?“

„Nein, der war auch verletzt. Weil er in dem Buch nicht vorkommt.“

„Ach, hören Sie doch auf!“

Und das tat ich denn auch.

EINS

 

Finn!

Das is Mama.

Mann, kann die vielleicht brüllen.

Papa sacht: Mit ihrer Stimme kannse Tote wecken.

Stimmt.

Wer weiß …

Ich hab bisher noch nien lebenden Toten sehen. Ich hab nur tote Tote sehen.

Is so.

Und is auch besser so.

Und was is mit dir?

Komm her!

Ja!

Komm schon her!

Ich fress dich schon nich auf.

Würd ich nie nicht tun.

Leicht später.

Mann, fängste jetzt etwa an zu flennen?

Das war doch nurn Witz. Ich hab Knartsch macht!

Pass auf! Gleich schreitse wieder. Sie hat nämlich nie keine Ruhe im Arsch.

FINN!

Sach ich doch.

Ich kennse.

Is ja auch meine Mama.

Isse, jawoll.

Setz dich neben mich. Ja, gnau, setz dich hier hin. Gut so.

Wo kommsten lich her?

Na, sonders sprächig biste wohl nich, was?

Is ja egal.

Ich bin sprächig. Merkste ja grad. Ich sprech viel. Ich sprech lich die ganze Zeit über.

Issen Tick von mir.

Mama sacht: Das kommt vom Leben hier.

Das geht aufen Kopp, sachtse.

Meistens red ich mit mir selbst.

Komm schon. Setz dich hinter mich.

Der Ast innert mich annen Oberschenkel vonnem echt fetten Typ, den ich ma drüben inner Stadt sehen hab. Ich glaub zumindest, dass ichen inner Stadt sehen hab.

Mann, verflixt und genäht.

Der war so dick und rund und fett, dass sächlich sieben oder acht Jungen in seim Schatten laufen konnten ohne je die Sonne zu Sicht zu kommen.

Da musste gar nich so gucken.

Das is die reinste wahre Wahrheit.

Eiliges Ehrenwort.

Ich schwörs!

Jetzt kannste Mama auch richtich sehen.

Na, da drüben, da isse doch.

Du bist doch nich etwa blind?

Sie trächt Männerkleidung.

Mama sacht: Hier draußen mussne Frau ihren Mann stehen.

Also trächtse die Hosen und Hemden von meim Alten.

Den wirste ja auch noch sehen.

Ganz stimmt sogar.

Was heißt: Ich will das nich!

Wie biste denn haupt auf unsern Hof kommen? Der liegt so weit von der Straße weg, dass sich …

Runter mitem Kopp! Mama soll dich noch nich sehen. Du bistne Raschung für sie.

Mama mag eigentlich keine Raschungen. Aber sie mag Jungen. Sie is ganz rückt nach ihnen.

Sie wird dich zum Einbeißen finden.

Glaubste nich?

Kannste mir aber glauben.

Is doch meine Mama. Ich kennse auswendig.

Inwendig will ichse nich kennen. Das jagt mir nen Schauer übern Rücken. Der Danke ist eklich.

Echt eklich.

Finn, du verfluchter Satansbraten!

Verflucht! Jetzt isse aber wirklich auf Hunger.

Wennse richtich wütend is, Mann, dann isse echt unrechenbar.

Wirste schon noch merken.

Jetzt guck ma nich so aus der Wäsche. Sie is doch kein Monster.

Sie is ja schließlich meine Mama.

Warte!

Streck dich ma.

Ja, so!

Siehste das? Die Staubwolke? Das ist stimmt mein Alter. Der war mitem Einäugigen unterwechs.

Weißte, wer der Einäugige is?

Nich?

Du bist mir schonne ganz eigene Marke.

Redest nich viel!

Sachst nich, woherde kommst.

Was sollen wir mit dir nur machen?

Na, Mama wird schon was fallen.

Mama hat immerne Idee. Für alles und jeden.

Also, der Einäugige is unter den ganzen Blinden hier der Könich.

Das hat Papa sacht.

Und deshalb isser auch Po-po-polizist. Der Einäugige, mein ich.

Er hat diese ganze öde und verfluchte und beschissene Arschlochge-gend unter sich.

Sach bloß nich, das wäre keine öde und langweiliche Ge-gend.

Hier gibts nich viel.

Hitze! Ja, verflucht, Hitze hammer hier wie Sand. Und der Sand gräbt alles.

Alles!

Früher gabs dort drüben noch Weide. Das hat mir der Alte zählt. Aber heut gibts da nix mehr. Rein gar nix mehr.

Nurn Sand.

Sand und Hitze.

Mehr können wir Suchern wie dir nich bieten.

Is aber schon ma was, oder?

Besser wärs, wenn dunen Hut tragen würdst. Du kommst sonstnen Sonnenstich. Die Sonne haut dich einfach um. Die Sonne issen gewaltig guter Kämpfer.

Die tritt dich innen Magen und blinzelt nich ma bei.

Hüt dich vor der Sonne!

Na, na, wer hat das sacht?

Klar!

Du hast es raten.

Mein Alter.

Solche Sätze lassense doch zu gern fallen. Machen einen auf Papa. Sollense ma. Sie meinen es ja nich wirklich böse nich. Sie nerven einen nur manchmal mächtich mit.

Da!

Eindeutich.

Die Staubwolke stammt von meim Alten und vom Einäu-äugigen.

Mama wird jetzt erstma Ruh geben.

Wir können also nochne Eile hier sitzen und uns halten. Unter-halten, mein ich.

Wartma.

Hier!

Was? Du rauchst nich? Mann, Mann, du musst ja echt nochne Menge lernen.

Ich lieb die Kippen. Ich klau sie aus der Zigarettenkiste von meim Alten. Da liegen so viele drin. Der merkt das gar nich nie. Und ständig legt er neue Zigaretten zu. Das Ding ist das reinste Wunder. Wie ausem Märchen. Der Vorrat endet einfach nie.

Ja, der erste Zuch ist der beste Zuch.

Guck nich so blöd auser Wäsche. Manchma muss ich halt noch husten.

Gar nich nett von dir, einfach so zu lachen. Wie würdeste dich denn fühlen, wenn da plötzlich n Fremder auf deim Baum sitzt und dich auslacht?

Nicht sonders gut, oder?

Ja, so kann mans Leben halten.

Ne Zigarette.

Aufem Baum sitzen.

Und nix tun!

Die Beine baumeln lassen.

Komisch Wort! Baumeln!

Siehste …

Hier, du musst dich nach vorn strecken, dann siehste auch die Tür von unserm Haus.

Na, was siehste?

Nix!

Das isses ja.

Mama is jetzt nämlich drin. Sie reitet alles vor.

Wasse vorreitet?

Nich so neugierich.

Lass dich einfach raschen.

Was könnt ich dir denn jetzt noch zählen.

Viel passieren tut hier nämlich nich.

Nie passiert hier was.

Ich könnt dir von Donny zählen.

Ich haben Bruder, musste wissen. Donny. Der hat abern paar Prob-prob-leme.

Deshalb bleibter auch die meiste Zeit über im Haus.

Mama will ihn nich draußen sehen.

Nie!

Nie stimmt nich!

Nachts darf er manchma raus. Sie führen ihn annem Strick vor die Tür.

Sie binden ihn fest.

Donny ist wien Hund. Man muss ihn so handeln. Das ist nich gmein oder so.

Das is gut fürn.

Donny is älter. Glaub ich zumindest. Er war schon da, als ich grad auf die Welt kommen bin.

Blöde Sache ist das mit dem Aufdieweltkommen, weil man sich da überhaupt nich nie mehr dran innern kann.

Ich kann mich überhaupt an wenig innern. Manchmal hab ich Probleme mich an den Tach vor einer Woche zu innern.

Oder an den Tach gestern.

Das liecht am Sand.

Sacht der Alte.

Liecht im Sand.

Ganz stimmt sogar.

Der Sand macht einen blöd und müde.

Un einsam.

Aber Donny war trotzdem früher da, weil ich mich nich innern kann, dass er irgendwie nach mir kommen wär.

Und Mama sacht manchma: Wennde nich horchst, dann sperren wir dich zu deinem ältern Bruder.

Mann! Das nenn ich mane Drohung!

Manchma sacht die das. Dann redetse von einem ältern Bruder.

Also musser auch mein älter Bruder sein. Is doch klar, oder?

Du siehst also: Aufen Kopf fallen bin ich nich nie.

Na, um die Wahrheit zu sachen: Bin schon hin und wieder ma aufen Kopf fallen.

Aber das tut hier nix nie zur Sache.

Wird nich mehr lang dauern, dann is mein Alter und der Einäugige hier.

Willste immer noch keinen Zug von meiner Kippe?

Du bist wohln Sündheitspostel?

Mit den Posteln kenn ich mich aus, weil Mama mir manchma ausem Buch liest.

Issen hartes Buch.

Nix für Schwächlinge.

Du weißt doch, wassen Buch iss, oder?

Bist doch kein Dumkopf, oder?

Ich bin keiner. Sacht Mama auch immer.

Schon ma von Kein gehört?

Das issen Name, was?

Kein schöner Name. Kein. So will ich nich nie nimmer heißen.

Kein also.

Der schlug seinen Bruder Abel.

Tot schluger den.

Ne echte Sauerei war das.

So was macht man nie nicht. Niemals nie. Ich würd mich ja auch nich nie an Donny greifen. Ich hätt auch gar keine Chance gegen den.

Aber das steht aufem andern Blatt.

Natürlich wärs mir lieber, wenn in seim Kopp alles stimmen würd.

Dann könnt ich mitem spieln. Hab nämlich keinen zum Spielen nie.

Na, jetzt hab ich ja dich.

Ich glaub, ich halt dich erstmane Weile.

Was soll das heißen, du willst weg?

Was issen das fürn Reden?

Nix da!

Nennt man so was leicht Da-da-dankbarkeit? Verfluch mich, du bist wirklich n unda-dankbarer Junge!

Du bist doch stimmt durstig.

Ich kann dir was zu trinken geben.

Scheiße.

Jetzt hab ich die Zigarette aufraucht.

Und der Alte is noch nich ankommen.

Da!

Der Schornstein raucht.

Mama reitet das Abendessen.

Wenn der Alte und der Einäugige von ihren Touren rück kommen, dann habense immerne Menge Hunger.

Überhaupt dreht sich hier draußen alles um Hunger.

Hier draußen sin die Lebensmittel knapp.

Papa sacht: Der Bauch ist der Richter hier.

Geld is auch knapp. Aber wir haben lernt, uns zu helfen.

Wollteste doch wissen, was meine Mama da drin macht.

Sie kocht.

Sie issne prima Köchin.

Mehr machtse nich da drin. Das war schon das ganze Heimnis. Vielleicht ladense dich zum Essen ein.

Stimmt sogar.

Meine Eltern lieben kleine Jungen.

Meine Eltern lieben mich.

Das is der Weis.

Nich mehr lang, dann wirdse wieder raus kommen und nach mir rufen.

Schon komisch, dass dus von der Straße bis zu uns schafft hast.

Istne verflucht weite Strecke.

Mein Alter sacht: Auf der Straße sind nur noch wenige Menschen unterwechs.

Er sacht: Die Menscheit stirbt langsam aus.

Wir wären die letzten Menschen.

Das hat mein Alter sacht. Ich hab keine Ahnung, ob das wirklich stimmt.

Aber warum sollter lügen? Kannste mir das sachen?

Nein, kannste nich.

Finn!

Verfluchter Bengel.

Wenn dein Vater dich erwischt, dann setzt es was!

Pssst!

Ganz ruhich jetz.

Beug dich nach unten.

Tiefer.

Nich nie atmen.

Ich kletter jetzt nach unten. Du bleibst hier. Ich rate ihnen erstma nix von dir.

Später.

Ich werd dich holen. Auf jeden Fall.

Hey, was issen da? Warum siehsten nach oben?

Da iss doch nur Himmel.

Da iss doch nur der fluchte Himmel. Der is trostlos. Der is wie die Wüste.

Da is nix drin nie.

Der Himmel is immer nur blau.

Hier rechnet es nich nie.

FINN!

Jetzt isse wirklich sauer. Ich muss ma gehen. Ich komm nachher zu dir.

Keine Panik!

Ich kümmer mich um dich. Ich bin für dich da.

Wenndes hier nich mehr hältst, dann kannste ja bei Nacht runterklettern.

Versteck dich da hinten in der Hundehütte.

Die wird nicht mehr nutzt. Nicht ma von Donny.

Der Hund is schon lang tot.

Schon lang.

Ich komm rück.

Bald!

Ich werd mich um dich kümmern.

Ganz stimmt sogar.

Auf mein Wort is Lass.

Das wirste noch merken.

Ich red nich nur so in den Tach rein. Ich steh zu mein Worten.

Is so!

Bis dann also, Kleiner.

Wir sehen uns.

Stimmt gar.

ZWEI

 

Verflucht!

Ich kann es immer noch nicht fassen. Glauben auch nicht.

Das sind Bestien!

Einfach nur …

Verfluchte Bestien!

Auf die Menschen ist eben kein Verlass mehr.

Ich sehe viel. Viel zu viel. Es wäre besser, wenn ich blind werden würde.

Endlich blind!

Wir Polizisten kommen rum. Wir lernen das menschliche Elend kennen.

Mir macht so schnell keiner was vor.

Mord und Totschlag.

Die töten einen Menschen, nur um zu sehen, wie es in seinem Inneren aussieht. Gott, wie soll es da schon aussehen.

Ein Haufen Innereien und Blut.

Diese Drecksbande.

Vorsicht!

Verfluchte Köter.

Passen Sie lieber auf. Da, ja da, hat einer von den Hunden seinen Haufen hinterlassen.

Hunde sind eben Hunde.

Aber die Hunde sind mir inzwischen lieber als so mancher meiner Zeitgenossen. Habe zumindest noch nie von einem Serienkillerhund gehört. Die töten nicht einfach einen anderen Hund, um dann in seine offene Bauchdecke zu ejakulieren.

Menschen tun das.

Ja, Menschen tun so etwas.

Ich habe es gesehen.

Alles voller Kot hier. Lauter Tretminen.

Was sagen Sie? Ich würde übertreiben?

Vielleicht.

Ich bin etwas aufgebracht.

Nein, ich bin nicht aufgebracht. Ich bin wütend.

Sauwütend!

Die Vorkommnisse hier, Mann, ich sage Ihnen, die haben mich nun wirklich fertiggemacht.

Wir haben hier alles abgesucht. Mit den Hunden. Mit Hubschraubern.

Polizisten und nochmals Polizisten. So einen Einsatz habe ich noch nie erlebt.

Und ich habe schon viel erlebt.

Wir haben die Überreste von unzähligen Leichen gefunden. Hunderte.

Es hat gar kein Ende genommen. Wahrscheinlich liegen dort draußen in der Wüste noch viel mehr Leichen.

Nein, nein, das ist einfach nicht zu fassen.

Man kann das nicht in seinen Kopf bekommen.

Das sind Bestien, nein, die sind schlimmer als Bestien. Kreaturen wie aus einem Horrorfilm.

Kein Film.

Die Wirklichkeit!

Kaugummi?

Sie sollten einen nehmen. Das Kauen lenkt einen ab. Das Kauen erinnert mich an die Welt dort draußen. Daran, dass auch alles normal sein kann.

Kaugummi überdeckt den Geschmack des Todes, der einen hier überall anfällt.

Fällt einen an wie ein bissiger Hund.

Der Tod hat sich in dieser verfluchten Gegend eingenistet.

Kommen Sie hier rüber.

Zu mir!

Sehen Sie diesen Anbau? Das war früher ein Stall. Der Typ war mal Landwirt. Hat Rinder gehabt.

Er soll mal ganz normal gewesen sein.

Das muss man sich mal vorstellen.

Erst hält er sich Rinder, später dann Menschen.

Ich meine, ich kann mir das einfach nicht vorstellen.

Können Sie sich das vorstellen?

Nein! Das kann sich niemand vorstellen!

Ich habe gelesen, die wollen einen Film über diese Typen drehen. Am Ende bekommt diese kranke Familie noch eine Menge Geld. Das ist einfach widerlich.

Gesetze? Natürlich gibt es Gesetze dagegen. Aber die werden schon ihr Geld bekommen. Man weiß doch, wie so etwas läuft.

Aber jetzt sitzen sie erst mal.

Zum Glück!

Wir sind noch dabei, alles zu rekonstruieren. Die Verhöre laufen noch.

Kommen Sie rein.

Los! Kommen Sie schon rein!

In diesem Stall hat er die Leute eingesperrt. Die, die er sich von der Straße geholt hat. Tramps. Junge Leute, die eine Reise gemacht haben. Alte Pärchen, die einen Motorschaden hatten. Er hat sie sich alle genommen. Das Alter war ihm egal. Auch ihr Aussehen.

Und dass da einer von uns mit drinsteckt.

Ein Ehemaliger. Er war ja nicht mehr im Dienst. Zum Glück. Hat trotzdem den Polizisten gespielt.

Ich kann es nicht fassen.

Glauben auch nicht.

Aber faule Tomaten gibt es inzwischen überall.

Fressen war für die Fressen.

Die wollten Fleisch. Egal, woher es auch kam.

Da drüben an dem Balken hing ein Radio. Er hat ihnen Musik vorgespielt. Irgend so eine Klassikscheiße.

Ich hasse diese Klassikscheiße. Da kann man doch nur einschlafen.

Oder zum Amokläufer werden.

Wir sehen ja hier, was aus einem wird, der Klassik hört.

Ein verfluchter Kannibale wird so einer.

Ein Monster.

Kleiner Scherz. Tut mir leid.

Er hat gesagt, er hätte keinen anderen Sender reingekriegt. Dass der überhaupt Empfang hier hatte.

Seltsam.

Wir prüfen das noch.

Wir haben den Sender auf jeden Fall nicht reinbekommen. Wir haben gar keinen Sender reingekriegt.

Das sind Lügner, sag ich Ihnen, verfluchte Lügner. Man sollte kurzen Prozess mit denen machen.

Einfach aufknüpfen.

Und Ende.

Erspart dem Steuerzahler eine Menge Geld.

Spielt denen Klassik vor.

Haha!

Wenn es nicht so traurig wäre, dann wär es zum Lachen.

Er hatte aber auch noch eine Hörspielkassette von dem Jungen. Er hatte zwei Jungen.

Das wissen Sie ja, oder?

Wissen Sie doch, oder?

Er hat den armen Leuten also eine Kindergeschichte vorgespielt.

Die saßen da in ihrem Käfig, haben sich eine verfluchte Kindergeschichte anhören müssen, während er sich einen von ihnen schnappte und vor ihren Augen fachmännisch zerlegte. Stellen Sie sich das doch mal vor.

Malen Sie es sich nur richtig aus.

Die Kreissäge kreischte.

Die Opfer zitterten und flennten.

Und die ganze Zeit über lief eine verfluchte Geschichte über einen Prinzen, der ein paar Abenteuer zu bestehen hat, um endlich an seine geliebte Prinzessin zu kommen.

Na, wenn das nicht pervers ist, dann weiß ich nicht, was pervers sein soll.

Bestien.

Die sind schlimmer als Bestien.

Ich könnt mich ständig übergeben, wenn ich dran denke.

Die haben sich seit Jahren nur noch von Menschenfleisch ernährt.

Da kann man kaum drüber reden.

Aber die werden drüber reden. Die Medien. Alle. Die sind doch wie die Hyänen. Die werden sich auf das Aas stürzen und es fressen.

Fressen oder gefressen werden.

Das Gesetz der freien Wildbahn.

Für welche Zeitung arbeiten Sie noch mal? Egal. Immerhin ist Ihr Termin mit dem Chef abgeklärt.

Schießen Sie ein paar schöne Fotos.

Aber nur von mir. Was anderes darf nicht sein.

Sie können auch gerne eins von mir in Ihrer Zeitung bringen.

Meine Frau sagt, ich wäre ein ziemlich fotogener Typ.

Bin jetzt lieber ruhig.

Geht hier ja nicht um mich.

Was soll ich Ihnen nur alles erzählen?

Ich war bei dem ersten Trupp, der den Laden hier stürmte.

Da waren all diese verschwundenen Menschen. Wir waren auf der Suche nach ihnen. Und irgendwann stießen wir auf diesen Hof. War wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit. Wir mussten auf sie stoßen.

Ist klar gewesen.

Ganz klar!

Ja!

Hier rüber.

Aber bitte nichts berühren.

Da muss ich Wert drauf legen. Bitte berühren Sie nichts. Ich kann da echt wütend werden.

Das da … Sehen Sie! Das da war der Käfig. In dem saßen sie. Und mit der Kreissäge dort hat er sie zerlegt.

Ich will mir das Geschrei gar nicht vorstellen.

Das stelle sich doch mal einer vor.

Blut.

Geschrei.

Verrückt.

Das ist der totale Wahnsinn, der sich hier ereignete.

Wir konnten nur einen Jungen retten. Das wissen Sie ja bestimmt. Das haben Sie bestimmt in der Zeitung gelesen. Vielleicht sogar in Ihrer eigenen Zeitung.

Klar!

Die Zeitungen wissen ja alles. Die wissen sogar mehr als die Polizei.

Der kleine Finn hat ihn sich als Hund gehalten. Diesen Jungen meine ich. Den wir gerettet haben.

Das war sein Glück.

Das muss man sich mal vorstellen.

Lieber nicht!

Hält sich einen kleinen Jungen als Hund.

Die Mutter sagte, sie hätten sich alle richtig in den kleinen Blondschopf verliebt. Sie haben ihm nachts eine Kette um den Hals gelegt.

Eine Kette. Wahnsinn!

Damit ihr Hündchen nicht abhaut.

Und unten im Keller … Ich meine den Keller drüben im Haus. Da haben sie ihren Sohn Donny gefangengehalten.

Völlig debiles Bürschchen. Brandgefährlich. Sie haben ihn in der Geschlossenen untergebracht.

Mann, der Kerl ist verrückt nach Menschenfleisch. Ist kein Mensch mehr.

Er heult wie ein Wolf.

Er verweigert normale Nahrung.

Hat mir ein Kumpel erzählt, der einen kennt, der dort in der Geschlossenen mal gearbeitet hat und noch Kontakt zu seinen ehemaligen Arbeitskollegen hat.

Und die Zähne von diesem Donny!

Ich habe seine Zähne gesehen.

Wie in einem Horrorfilm. Wie in einem verfluchten und kranken Horrorfilm.

Der Typ sieht wie ein Werwolf aus.

Ich habe gehört, einer von diesen verrückten Millionären hätte bereits sein Interesse am Kauf des Grundstücks bekundet. Er will eine Horrorshow aus diesem Laden machen. Eine Geisterbahn. So was kommt an. Die Leute würden kommen. Da bin ich sicher.

Die Menschen haben einfach keinen Respekt mehr.

Früher hatten sie noch Respekt.

Ich bin froh, wenn ich hier nicht mehr hin muss.

Ist eine verfluchte Gegend.

Ich freu mich auf meinen Ruhestand. Ist nicht mehr lang hin. Ich werd mich auf meine Veranda setzen, einen Eistee schlürfen, die Augen schließen und an was Schönes denken.

Ich will das hier vergessen.

Mann, das ist doch die Hölle hier.

Hab ich Sie eigentlich schon mal gesehen?

Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.

Nein?

Ich weiß nicht. Ich vergesse eigentlich keine Gesichter. Aber man wird mit den Jahren auch paranoid.

Wir können jetzt ins Haus rübergehen.

Den Ausweis sollten Sie sichtbar am Hemd hängen lassen. Nicht einstecken.

Vielleicht muss ich mal pinkeln. Dann stehen Sie plötzlich alleine hier.

Und meine Kollegen sind ziemlich nervös. Kann man ja auch verstehen.

Es gibt eine Menge Freaks dort draußen. Die lieben das Grauen. Wir haben schon ein paar Irre verhaftet.

Die wollen alle unbedingt etwas aus dem Haus haben. Eine Reliquie. Verstehen Sie?

Die verehren diese verfluchten Kannibalen.

So weit ist es schon mit der Welt gekommen. Der Irrsinn wird verehrt.

Das macht mich alles krank.

So!

Passen Sie auf die Stufen auf. Knarrt alles hier.

Ja, ist wie in einem Gruselfilm.

Und jetzt rein mit Ihnen.

Nach Ihnen!

Alles in Ordnung, Robby. Der Herr ist von der Zeitung. Der Chef weiß davon.

Was?

Dann frag halt nach.

Idiot!

Kommen Sie hier rüber.

Dieser Robby ist ein Idiot. Die jungen Polizisten haben keinen Respekt und keinen Anstand mehr.

Die Welt wird untergehen. Glauben Sie mir.

Hier in der Küche saßen sie. Spachtelten ihre Leichen. Ach, reden wir nicht darüber.

Das muss man sich doch mal vorstellen.

Nein, stellen wir es uns lieber nicht vor.

Passen Sie auf Ihren Kopf auf. Die Balken.

Wollen Sie auch noch den Keller sehen?

Da will man nicht rein. Und dieser Donny lebte die ganze Zeit über dort. Fast die ganze Zeit über.

Es ist zum Weinen.

Aber besser war es wohl.

Alles abgeklärt, Robby? Vielleicht glaubst du mir das nächste Mal gleich. Dann kannst du dir solche peinlichen Nachfragen ersparen.

Kommen Sie!

Sie müssen hier die Treppe runter. Inzwischen kann man den Keller auf abgesicherten Wegen besichtigen.

Die Beweise sind fotografiert und in Tütchen abgepackt.

Wir haben eine Menge Knochen dort unten gefunden.

Sie haben ihm wohl die ganzen Essensreste in das Loch geworfen.

Er war nahezu blind, als wir ihn fanden. Durfte ja auch nur in der Nacht raus.

Haben sie schon gehört, wie die den Film nennen wollen?

Welchen Film?

Hab Ihnen doch vorhin davon erzählt.

Die wollen den Film „Fleischwölfe“ nennen.

Krank sind diese Typen. Das soll wahrscheinlich auch noch lustig sein.

Hier lang.

Da können Sie die Ecke sehen, in der seine Matratze lag.

Fotos?

Nein, nein, keine Fotos hier.

Sie können mich nachher fotografieren. Das war so abgemacht. Der Chef hat mich extra drauf hingewiesen.

Keine Fotos!

Ist besser, wenn wir jetzt wieder nach oben gehen.

Das war keine Frage, das war mehr eine klare Aufforderung, mein Lieber.

Sie können es auch einen Befehl nennen.

Na, hören Sie mal: Ich bin doch nicht unfreundlich.

Irgendwann endet so eine Besichtigung.

Ich hab gleich Dienstschluss.

Rutschen Sie mir ja nicht von einer der Sprossen. Das würde mir gerade noch fehlen.

Hat es Ihnen gefallen? Wenigstens ein bisschen?

Sag „Auf Wiedersehen“ zu unserem Gast, Robby.

Das Knurren soll eine Verabschiedung gewesen sein.

Idiot!

Vorsicht! Ihr Kopf!

Die Sonne tut einfach gut.

Sehen Sie nur mal da rauf. Der blaue Himmel. Kann man sich gar nicht vorstellen, dass unter so einem schönen blauen Himmel so schreckliche Dinge geschehen sind.

Will man sich nicht vorstellen.

Ich will es mir auf keinen Fall vorstellen.

Wollen Sie jetzt noch ein Foto von mir machen?

Ich könnte mich im Stall neben die Kreissäge stellen. Die Kreissäge dürfen Sie ausnahmsweise fotografieren.

Man ist ja kein Unmensch.

Die waren Unmenschen.

Die waren nicht mal Menschen.

Das waren Tiere.

Abschaum!

Kommen Sie!

Schneller.

Sie wissen schon, mein Feierabend naht.

Und schon sind wir wieder in der Hölle.

Soll ich mich so …?

Oder lieber so?

Könnten Sie mir einen Abzug übersenden?

Gibt ja heute keine Abzüge mehr. Geht alles über Computer. Ich habe natürlich auch eine Mail-Adresse. Die geb ich Ihnen. Dann können Sie mir das Bild schicken.

Würde mich echt freuen.

Schmecken Sie das?

Das ist der Tod!

Das Grauen!

Nehmen Sie einen Kaugummi. Das hilft. Glauben Sie mir.

Man kann sich das alles gar nicht vorstellen.

Machen Sie lieber noch eins.

Sicher ist sicher.

Unvorstellbar, das Ganze.

DREI

 

Sehen Sie das hier?

Das ist eine verfluchte Augenklappe.

Hab mein Auge bei einem Einsatz verloren.

Ich bin Polizist.

Ja, gut, gut, ich war Polizist. Nach dem Zwischenfall war ich natürlich dienstunfähig.

Die haben mir alles genommen. Sogar meine Uniform. Die war wie eine zweite Haut für mich.

Sie haben ja bestimmt alles über mich gelesen. Diese verfluchten Schmierfinken schreiben eine Menge, wenn der Tag lang ist.

Die müssen ihre Zeitungen füllen.

Tag für Tag.

Könnt ich ne Zigarette haben?

Ist mächtig nett von Ihnen.

Danke!

Sie sehen, so ein Monster bin ich gar nicht. Ich bin ein ganz umgängliches Kerlchen.

Hab schon eine Menge erlebt.

Mann, ich könnte Ihnen Geschichten erzählen.

Das Auge? Ach ja, das Auge!

Wie gesagt: Habs bei einem Einsatz verloren.

Platzte mitten in einen Ehestreit. Da ging es vielleicht hoch her.

Und dann zog der Mann von der Frau mir plötzlich ne Flasche durchs Gesicht.

Was soll man da machen?

Solche Dinge geschehen eben.

Aber deshalb sind Sie bestimmt nicht hier. Wegen meinem Auge, mein ich.

Sie wollen etwas über die Sterns hören.

Ich kann da eigentlich nicht viel dazu sagen.

Ich habe denen nicht geholfen. Das stimmt einfach nicht. Das ist ne verfluchte Lüge.

Ich hatte ein Problem. Aber ich ermorde doch keine Menschen.

Die Uniform habe ich mir aus dem Fundus von so einer Filmfirma besorgt. Die haben da alles. Sie können alles werden, was Sie schon immer sein wollten.

Pirat!

Polizist!

Indianer!

Als Pirat und Indianer würden Sie natürlich auffallen. Aber als Polizist kommen Sie durch.

Die Gegend dort draußen ist völlig vereinsamt. Der Sand hat eine Wüste daraus gemacht.

Die sind irgendwann alle fort. Ich kann das verstehen. Was will man dort auch.

Nur Wüste und sonst nichts. Aber die Sterns sind geblieben. Und ich.

Irgendwann war die Hitze wohl zu viel für mich. Da ist irgendwas schiefgelaufen in meinem Kopf. Ich habe meinen Bauch in diese Uniform gepresst. Und dann ging es los. Ich fuhr mit meinem Wagen rum und habe ein paar Verkehrskontrollen durchgeführt.

Nichts weiter.

Nur diese verfluchten Verkehrskontrollen. Denen hätte ja auffallen können: ein Bulle mit einer Augenklappe. Da kann ja irgendwas nicht stimmen.

Früher war alles anders. Da war ich noch ein echter Polizist. Aber der Unfall hat alles verändert.

Ja.

Feuer. Feuer bräuchte ich noch.

Danke.

Und Sie? Was machen Sie hier? Hab Sie noch nie gesehen.

Könnte ich bitte mal Ihren Ausweis sehen?

Reingefallen. War doch nur Spaß.

Die haben mir eine Zelle ganz für mich besorgt. Sie sagen: Die anderen Gefangenen bringen dich sonst um!

Scheiße. Das würden die wahrscheinlich wirklich tun.

Bulle bleibt Bulle. Da ändert sich in all den Jahren nichts. Und ich war ein guter Bulle.

Jetzt sitz ich den ganzen Tag hier und grübel nach. Die Grübelei kann einen umbringen.

Ich denk immer: Hätte ich das mit den Sterns wirklich merken müssen?

Und dann geb ich mir die Antwort: Natürlich hätte ich das merken müssen.

Die haben ne Menge Menschen umgelegt. Die haben sie ja scheinbar sogar gegessen.

So etwas schlägt natürlich hohe Wellen.

Kannibalismus.

Ich meine … wie konnten die das tun?

Ich war zum Essen dort. Nicht oft. Hin und wieder. Aber mir ist da einfach nichts aufgefallen.

Wirklich nicht.

Ich will gar nichts über das Fleisch wissen, das die mir aufgetischt haben.

Nein, nein, da darf ich nicht drüber nachdenken. Dann kommt mir der Knastfraß hoch.

Die könnten sich mit dem Essen hier auch mal was überlegen. Die wollen doch keine Knastrevolten. Versteh ich.

Hier drinnen sind eine Menge übler Burschen. Wenn die keinen Ärger wollen, dann müssen die was machen. Die müssen anständige Köche einstellen.

Anders wird das nichts. Bei dem Essen wird es Gewalt im Knast immer geben. Jahr für Jahr. Bis die hier einen neuen Koch einstellen.

Es liegt nur am Essen.

Erst kommt das Fressen. Dann die Moral. Hab ich gelesen.

Das Essen ist alles.

Das Essen entscheidet über uns und unser Leben.

Man ist, was man isst.

Heißt doch so, oder?

Ja, mehr kann ich eigentlich nicht erzählen.

Nur das, was Sie ja eh bereits wissen.

Ich bin ein armer Kerl, der einen Fehler gemacht hat. Amtsanmaßung nennt man das.

Aber ich habe keine Menschen umgebracht.

Nein.

Niemals.

Gute Zigarette.

Sie gehen doch noch nicht?

Mann, mehr kann ich Ihnen nicht erzählen.

Hören Sie das?

Sie hören nichts?

Das ist es ja.

Hier!

Man muss sich mit dem HIER auf Reisen begeben. Sonst dreht man völlig durch.

Ich begebe mich oft auf eine Kopfreise. Sitz hier so rum und träume mich raus auf die Straßen.

Ja, verflucht.

Ich sitz in meinem Wagen und fahr die Hauptstraße entlang.

Sie können eine Runde mit mir drehen, wenn Sie wollen.

Steigen Sie ein.

Da sind Sie ja!

Anschnallen. Anschnallen ist das oberste Gebot. Sie sitzen hier immerhin in einem Polizeiwagen.

Sehen Sie mal raus in den Hof. Polizeiauto an Polizeiauto. Der feuchte Traum von kleinen Jungen.

Oh!

Ja!

Und jetzt drehen wir mal ne Runde.

Ist Ihnen schon etwas aufgefallen?

Hey, sehen Sie mich genau an.

Keine Augenklappe! Die brauchen wir hier nicht. Nein. Nicht hier in meinem Kopf. Hier herrscht Freiheit. Meine Freiheit. Die lass ich mir von keinem nehmen.

Also. Wir schaukeln mit dem Wagen jetzt ganz gemütlich die Hauptstraße rauf und runter.

Die Scheibe können Sie oben lassen. Der Wagen hat Klimaanlage. Ist ein prima Wagen. Ein Traumauto sozusagen.

Wir bauen keinen Unfall. Da könnte ich sogar die Augen schließen.

Ich kann es Ihnen vorführen.

Ist ja gut. Ich lass es ja.

Spielverderber.

So Typen wie Sie sollte man nicht in seinen Kopf reinlassen.

Das kann nur in die Hose gehen.

Da!

Da drüben. Da steht sie.

Was für eine Frau!

Sie steht jeden Tag dort. Seit ich diese Fahrten mache. Tag für Tag steht sie an dieser verfluchten Hauptstraße und lächelt mich an.

Das kann doch kein Zufall sein.

Es ist zum Haareraufen. Wenn ich anhalten will, beschleunige ich den Wagen.

Da stimmt was mit der Technik meines Traums nicht.

Was halten Sie von ihr?

Starren Sie nicht so hin! Die gehört mir. Die gehört ganz allein mir.

Schließlich ist das mein Traum. Sie hocken in meinem Traum. Und in meinem Traum werden Sie tun, was ich sage.

Das ist der Vorteil von Träumen im Knast.

Diese Frau. Die wird mich noch um den Verstand bringen.

Haben Sie Lust auf einen Drink? Ich kenn da eine gute Bar. Eigentlich darf ich auf Traumstreife nichts trinken, aber ich würde heute mal ne Ausnahme machen.

Zur Feier des Tages. So ein Besucher im eigenen Kopf … Das muss man doch feiern.

Was meinen Sie?

Wir könnten der Silbermine einen Besuch abstatten.

Gute Bar mit gutem Bier.

Wir müssen nicht lange fahren. Wir müssen nur blinzeln. So fährt man seinen Wagen in den Träumen, Kleiner!

Ich soll Sie nicht so nennen?

Hier nenne ich dich so. Du bist in meinem verdammten Reich. Hast du mich verstanden?

Das hier gehört

ALLES

mir!

Du willst aussteigen?

Geh doch!

Musst nur in die Zelle zurücksteigen. Du musst dir nur die Realität vorstellen.

Und schon bist du zurück.

Ist doch ganz einfach.

Aber was ist das: die Realität?

Und was ist der Traum?

Du bist ja immer noch hier!

Du machst mich wirklich wütend, weißt du das?

Wo die Häuser sind?

Die Häuser sind fort, Kleiner.

Das liegt an meiner Wut.

Sieh dich nur um. Wüste. Überall Wüste. So sieht es in meiner Seele aus.

Die wolltest du doch unbedingt kennenlernen.

Sandkorn auf Sandkorn. So sieht es in meiner Seele aus.

Wo wir jetzt hinfahren?

Wir besuchen die Sterns. Du wolltest doch alles über die Sterns wissen.

Jetzt wirst du den Sterns begegnen.

Steig aus.

Kehr in die Zelle zurück.

Was soll das heißen: Das geht nicht!

Du musst doch nur deine Augen aufschlagen. Deine verfluchten Augen!

Keine Angst!

Die Sterns sitzen doch im Gefängnis. Dir kann nichts passieren.

Wir machen nur eine kleine Tour durch meinen Kopf. Das wolltest du doch. Du warst doch ganz geil darauf.

Also bleib bei mir!

Die Sterns sitzen bestimmt beim Abendessen. Eine nette Familie. Du wirst die Sterns mögen. Ach, was sag ich da. Du wirst sie lieben.

Und schon sind wir da.

Siehst du ihren Hofhund?

Was soll das heißen: Das ist kein Hund?

Natürlich ist das ein Hund. Da ist kein Kind.

Mann, was ist mit dir los? Was stimmt mit deiner Phantasie nicht?

Du bist doch krank.

Komm jetzt mit da rein.

Du willst nicht aussteigen?

DAS IST MEIN TRAUM!

Also, Kleiner, steig jetzt aus.

Na, da bist du ja wieder.

Das sind die Sterns.

Darf ich vorstellen: Mama Stern, Papa Stern, dort drüben sitzt der kleine Finn Stern, und das Poltern kommt von Donny Stern. Der muss leider im Keller bleiben. Im fehlen die rechten Manieren für ein solches Abendessen.

Was es gibt?

Na, sieh dich doch mal um!

Dich!

Du bist das verfluchte Abendessen.

Das geht doch in Ordnung, oder?

VIER

 

Scheiße, du Motherfucker!

Siehst du das?

Das ist meine geballte Faust. Das ist die Faust eines Siegers. Die Faust von einem, der überlebt hat.

Ich war drin. Ich hab es getan.

Hast du etwa was anderes von mir erwartet?

Und dieser Film …

Was soll ich sagen?

Dieser Film ist ein verfluchter Horrortrip.

Megakotztütenkino!

Der absolute Film. Was für ein abgefucktes Erlebnis.

Schon der Titel.

Fleischwölfe.

Ja, das sind sie.

Fleischwölfe.

Kranke Freaks.

Denen möchte ich lieber nicht im Dunkeln begegnen.

Könntest du mal kurz meine Cola halten?

Danke.

Zitter nicht so. Du verschüttest ja noch meine ganze Cola.

Ja. Du bist auch so ein Freak. Läufst ständig rum und willst alles über diesen Fall von Kannibalismus wissen.

Ich will mir nur schnell meine Jacke anziehen.

Kalt. Verflucht kalt.

Du kommst aus dem Kino, aufgeheizt – und dann? Kälte!

Das wahre Leben ist zum Kotzen.

Weißt du eigentlich, was so eine Cola kostet? Du willst es nicht wissen. Sie kostet ein Vermögen.

Weißt du, wie lange ich jobben muss, bis ich mir so eine Cola kaufen kann?

Eine halbe Stunde am Tag wird es wohl sein.

Zum Glück habe ich einen Traumjob.

Ich habe DEN Job.

Ich bin der Herr über die Filme.

Sie kommen zu mir und fragen: Könntest du uns einen echt kranken Film empfehlen?

Ich lächle sie nur kurz an und sage: Leih dir „Höllenfresse“ aus. Der bringt es. Der bringt dich auf Trab. Der Film wird dich fertigmachen. Der verfluchte Film wird dich zum Schreien bringen. „Höllenfresse“ ist das Ende für deinen Verstand.

Sie hören auf mich. Sie leihen sich den Film aus. Und wenn du sie beim nächsten Mal siehst, dann leihen sie sich garantiert einen Disney-Film aus.

Warum?

Meine Filmempfehlung hat sie fertiggemacht.

Die totale Hirnexplosion.

Horrorfilme ficken dein Hirn durch.

Ein paar von ihnen kommen trotzdem wieder zu mir. Sie wollen einen weiteren Namen haben.

Einen weiteren Titel.

Das sind die Süchtigen.

Die Süchtigen kommen immer wieder zu ihrem Dealer. Der Dealer ist ihr König und Gott.

ICH bin ihr König und Gott.

Fortan wandeln sie auf den Spuren des menschlichen Leids. Sie haben den Schmerz gesehen. Und nun wollen sie ihn wieder und wieder erleben.

Sie können ohne den Schmerz und das Leid der anderen einfach nicht mehr leben.

So läuft der Hase.

Hey, ist das da drüben auf der anderen Straßenseite nicht …? Ja, das ist sie.

Wink mal!

Du sollst nicht wie ein Idiot winken. Ganz normal. Einfach aus dem Handgelenk raus.

Mann, hast du noch nie einem Mädchen gewinkt? Du bist doch nicht etwa schwul, oder?

Das ist Sylvia.

Kennst du Sylvia?

Natürlich nicht. Woher solltest du sie auch kennen!

Sie ist der absolute Hammer.

Sie arbeitet bei LARRYS. Kennst du LARRYS? Das ist diese Ladenkette. Natürlich kennst du LARRYS. Jeder kennt LARRYS. Es gibt ein LARRYS gegenüber von meiner Wohnung. Dort arbeitet sie.

Du müsstest sie sehen, wenn sie sich bückt, um Sachen in die Regale zu räumen.

Die Jungs aus meiner WG sind alle scharf auf sie.

Die hat vielleicht Kurven, Mann! Diese Kurven können dich um den Verstand bringen.

Diese Kurven, ich bin mir sicher, diese Kurven können deinen verfluchten Schwanz sprengen.

Ja, das ist es. Das braucht der Mensch: Frauen und Horrorfilme.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783957199843
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
Menschenfresser rabenschwarz Kurzromane Splatter

Autor

  • Guido Rohm (Autor:in)

Guido Rohm (* 26. August 1970 in Fulda) ist ein deutscher Schriftsteller, Künstler und Satiriker.
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Titel: Super-Pulp 11: Fleischwölfe