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Die Magieranstalt

von Markus Bury (Autor:in)
328 Seiten

Zusammenfassung

Phillip, der seit längerem mit seinen übersinnlichen Begabungen experimentiert, wird nach einer Gewalttat in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Zu seinem Erstaunen erweist sich die Einrichtung als Schule für Zauberei und Magie. Die Freude über diese schicksalhafte Wendung währt jedoch nicht lange. Einige Mitschüler machen ihm das Leben schwer, Albträume quälen ihn. Und in der Bibliothek lauert ein Artefakt, das schließlich die gesichtslosen Grauen in die Schule bringt. Der anfangs so verheißungsvolle Ort wandelt sich in eine Hölle, in der die Grenzen zwischen Freund und Feind, zwischen Realität und Irrsinn verschwimmen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1: Magie

 

Philip starrte seine Hände verblüfft an. Er hatte es geschafft. Endlich. Schon lange wusste er, dass etwas Besonderes in ihm steckte, dass er besondere Dinge vollbringen konnte. Niemand wollte ihm glauben. Nein, sie hielten ihn für verrückt, sagten, er würde durchdrehen und solle sich Hilfe suchen. Aber hier saß er und würde ihnen allen zeigen, wie falsch sie lagen, würde der Welt zeigen, dass er, Philip Beck, ein Magier war.

Er stand auf, den Ball, den er gerade zum Schweben gebracht hatte, immer noch in seiner Hand. Er musste es Anna zeigen. Als Mitbewohnerin und gute Freundin seit Kindheitstagen gab es niemanden, der ihm mehr bedeutete. Der gemeinsame, beschwerliche Weg hatte ihnen vor einigen Jahren die Entscheidung leicht gemacht, sich zusammen eine Wohnung zu suchen. Er liebte sie wie eine Schwester. Sie sprang ihm immer zu Hilfe, unterstützte ihn, wo sie konnte. Stets an seiner Seite, wenn er mal wieder von den anderen Jungs in die Mülltonne gestopft wurde. Wenn sie ihn mit Klopapier umwickelten, in einen Schrank sperrten oder einen Freak nannten. Sie hielten ihn für einen Spinner. Anna verteidigte ihn jedes Mal. Sie war so wie alle anderen auch, so anpassungsfähig, so klug, hübsch und nett, dass sie nur das beliebteste Mädchen der Schule hätte sein können. Sie war so — normal. Dass sie von vielen für verrückt gehalten wurde, lag nur an ihm. An ihrem Freund, ihrem Freak, ihrem Spinner. Er liebte sie für das alles, was sie für ihn aufgegeben hatte. Für ihre Hilfe und Zuneigung, die er eigentlich gar nicht verdiente.

Er musste es ihr zeigen. Von allen Menschen musste er es der Person zeigen, die immer an seiner Seite stand, auch nachdem die Therapie begonnen, als er einige Monate in der Psychoklinik verbracht hatte.

Der Gedanke an die Klinik ließ das bekannte Gefühl der Panik in ihm aufkommen. Er hasste sie. Mehr noch als die Arschlöcher aus seiner Schulzeit. Die Klinik mit ihren Doktoren, Schwestern und den Spinnern dort. Aber auch Anna trug ihren Teil zu seinem Leid bei, immerhin hatte sie ihn zum Arzt gezerrt. Zum Kopfdoktor. Dafür hasste er sie. Er hasste sie dafür, dass sie normal war — und dafür, dass sie ihn nicht unnormal sein lassen wollte. Wie hätte er es ändern sollen. Aber jetzt würde sie es endlich verstehen. Sie würde ihm glauben.

Philip riss die Tür auf und stürmte ins Wohnzimmer. Von Anna keine Spur. Die Uhr an der Wand zeigte kurz nach sechs, sie arbeitete bis vier und musste schon lange nach Hause gekommen sein. Er durchquerte den Raum und klopfte an die Tür zu Annas Zimmer. Von innen hörte er ein Klappern, dann eine zischende Stimme. Ein paar Sekunden Stille, gefolgt von Schritten, die sich der Tür näherten. Als sie sich öffnete, zögerte Philip keinen Moment.

»Anna, das musst du sehen. Ich hab’s dir gesagt! Schau, ich …« Er starrte Anna verblüfft an. Sie trug ihren Bademantel, den sie mit den Händen vor ihrer Brust geschlossen hielt. Ihre Haare standen wirr vom Kopf ab, auf dem Boden erkannte er ihre Kleidung. Vor dem Bett lag ein Paar lederner Männerschuhe, daneben ein dunkelblaues Jackett. Auf dem Bett saß ein Mann, Ende zwanzig, der gerade die Anzughose über seine Hüfte zog und zuknöpfte.

»Was … wer ist das?«, fragte Philip.

Anna sah ihn mit ihren großen, grünen Augen an. »Ich wusste nicht, dass du da bist. Solltest du nicht bei Dr. Wolf sein?«

»Wer ist das?«, wiederholte Philip, seine Augen voller Zorn auf den Typen gerichtet, der sich gerade die Schuhe zuband.

»Philip, du hast einen Termin bei Dr. Wolf, du weißt doch, wie wichtig…«

»Wer ist das?« Er schrie fast und spürte selbst das Vibrieren in seiner Stimme.

Anna schreckte zurück. Der Typ auf dem Bett hob den Kopf und starrte Philip mit großen Augen an. Philip hielt sich die Stirn und erwiderte den Blick.

»Schrei doch nicht so, das ist Michael. Ein Kollege. Er ist nach der Arbeit mit zu mir gekommen.«

»Warum? Was will er hier?«

»Ich … weißt du, wir hatten noch etwas wegen der Arbeit zu besprechen. Wir …«

»Wegen der Arbeit?« Seine Stimme wurde wieder lauter und zitterte vor Wut. »Wegen der verdammten Arbeit? Hältst du mich für blöd? Hat er deswegen sein Hemd ausgezogen? Wegen der Arbeit?«

Anna sank zusammen und drehte sich zu ihrem Kollegen um. Der starrte sie schockiert an, inzwischen wieder komplett angezogen. »Du, Anna, ich glaube, ich gehe jetzt besser.« Nervös lächelnd nahm er seine restlichen Sachen und ging zur Tür. Als er näher kam, schaute er ängstlich zu Philip, trat langsam auf ihn zu und hob seine Hände, als hätte er es mit einem wilden Tier zu tun. Mit einem wilden, dreckigen, verrückten Tier. Die Wut kochte in Philip hoch.

»Kumpel, kein Stress, ja? Lass mich einfach durch und ich bin hier raus. Ich will keinen Streit anfangen.«

»Dann hättest du zu Hause bleiben sollen, Arschloch!«, zischte Philip.

»Philip!«, kreischte Anna. »Hör mit diesem Scheiß auf!« Sie starrte ihn ungläubig an. »Michael ist ein Freund von mir!«

Philip sagte nichts. Er starrte den Fremden weiterhin an, ging aber einen Schritt zurück. Nach kurzem Zögern zwängte sich Annas Kollege durch die Tür, darauf bedacht, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Verrückten zu bringen. Das machte Philip nur noch wütender und er warf sich gegen ihn. Der andere schlug gegen die Wand und hob verteidigend die Hände.

»Philip!«, kreischte Anna. »Was fällt dir ein?«

»Was mir einfällt? Was mir einfällt? Habe ich etwa einen halbnackten Mann auf dem Bett gehabt? Bin ich die Hure, die sich durch die ganze Stadt bumst?«

Annas Gesicht verlor sofort alle Farbe. »Hure? Eine Hure? Das ist also, was du von mir denkst?«

»Was ist es denn sonst?«

»Ich bin erwachsen, Philip! Es wird Zeit, dass du es auch wirst. Du bist achtzehn, verdammt! Ja, ab und zu brauche ich ein bisschen Nähe. Was ist daran so schlimm?«

Annas Kollege ging weiter Richtung Tür, aber Philip versperrte ihm den Weg und funkelte ihn an.

»Lass mich in Ruhe, Freak.« Philip hörte die Angst in seiner brüchigen Stimme. Das brachte ihn erst recht auf.

»Lass dich hier nie mehr blicken.«

»Es reicht!«, brüllte Anna. »Philip, es reicht, wirklich. Misch dich nicht ein!«

»Ich verbiete dir, ihn weiter zu sehen«, schrie Philip sie an.

Ihr Gesicht wurde sofort knallrot.

»Du verbietest es mir? Du kannst mir nichts verbieten, Philip! Du bist mein Mitbewohner, nicht mein Vater.«

»Du siehst ihn nie wieder!« Der Kollege schlich sich an der Wand entlang, doch Philip bemerkte ihn im Augenwinkel. Er drehte sich zu ihm, holte aus und schlug mit voller Kraft in Richtung seiner Schläfe. Der andere wich noch aus, so dass Philips Schlag ihn nur streifte, stolperte nach hinten und landete auf dem harten Boden. Anna schrie und warf sich neben ihn, legte sachte ihre Hände an seinen bebenden Körper. »Alles okay, Michi? Ist bei dir alles okay? Oh Gott, es tut mir so unendlich leid. Es tut mir so leid!«

Michael rappelte sich auf und bewegte sich rückwärts zur Tür, den Blick weiter auf Philip gerichtet. Seine Augen zeigten Furcht.

»Michi, es tut mir so leid!«

Der Fremde rannte hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. Anna drehte sich zu Philip um, die Hände zu Fäusten geballt. »Du Arschloch! Du dummes Arschloch!« Sie ging auf Philip zu und schlug auf ihn ein. Er wehrte sich nicht, ließ die Schläge über sich ergehen.

»Was fällt dir ein?« Tränen liefen ihre Wangen hinunter. »Warum mischst du dich immer ein?« Ihre Stimme brach beinahe, hörte sich rau an. Sie ließ von ihm ab, drehte sich weg und wischte mit der Hand über ihre Augen.

»Du bist krank, Philip. Du bist einfach nur krank.«

»Ich will nur dein Bestes«, zischte er.

»Nein, Philip, du bist verrückt. Du bist ein kranker Spinner

Wut loderte in ihm empor. Sie nannte ihn einen Spinner? Sie? Von allen Personen ausgerechnet sie?

»Hol dir endlich Hilfe.«

Ein roter Schleier legte sich über seine Augen. Die Wut kochte in ihm und er spürte, dass sie ihn übermannte. Ohne darüber nachzudenken, rannte er auf Anna zu. Sie warf sich auf den Boden, aber er griff an ihr vorbei, schnappte sich einen Küchenstuhl, hob ihn hoch in die Luft und warf ihn mit aller Kraft gegen das Fenster, das in Tausend Teile zerbarst. Licht flackerte in den Scherben auf und der Stuhl schien kurz in der Luft stehenzubleiben, dann sauste er Richtung Straße und wenige Sekunden später hörten sie einen Knall, ein Splittern und hohe Schreie einer Frau, gefolgt von den schrillen Tönen einer Auto-Alarmanlage. Philip sah Anna kauernd auf dem Boden liegen und rannte in sein Zimmer. Er warf die Tür hinter sich zu und klappte über seinem Bett zusammen.

 

***

 

Grashalme kitzelten zwischen seinen Zehen und Philip bemerkte die Wiese mit ihrem kalten Druck unter seinen Füßen. Nebel schloss sich um ihn wie ein dichter Schleier und beschränkte sein Sichtfeld. Auf seiner Haut bildeten sich Wassertropfen, Kälte kroch durch seinen klammen Körper. Er blickte an sich hinab und bemerkte, dass er nur seinen Schlafanzug trug.

In der Stille hörte er ein merkwürdiges, dumpfes Geräusch. Es kam auf ihn zu. Er wandte sich um, versuchte herauszufinden, was dieses Geräusch verursachte. Immer wieder, bumm bumm, in regelmäßigen Abständen. Sein Herz blieb stehen, als sich ein dunkler Umriss im Nebel andeutete, näherkam und sich immer deutlicher abzeichnete. Dort stand ein Mann, dessen Konturen er nur schwach ausmachen konnte, das Gesicht in der Dunkelheit verborgen. Er ging auf den Unbekannten zu, schien ihm jedoch nicht näher zu kommen. Frustriert blieb er stehen. Die Gestalt begegnete ihm nicht das erste Mal, tauchte in seinen Träumen seit seinem zehnten Geburtstag immer wieder auf. Philip hatte große Angst vor dem Fremden gehabt, versuchte, vor ihm zu fliehen. Die Gestalt hatte darüber nur gelacht. Sie redete selten, und wenn, dann nur leise und verzerrt, nie zusammenhängende Sätze. Sie sprach seinen Namen, Annas oder den seiner Eltern. Manchmal sprach sie ein Kauderwelsch, das er nicht verstehen konnte. Oder sie zeigte ihm Bilder. Verstörende Bilder. Immer wieder erschien sie ihm, immer wieder, bis er sich an sie gewöhnt hatte. Daran, dass sie zu ihm gehörte. Er hasste sie. Er wusste nicht, was sie von ihm wollte, was ihr Dasein bedeutete, aber er hasste sie.

»Was willst du? Was willst du schon wieder?«

Das Lachen der Gestalt durchbrach die Dunkelheit.

»Lass mich in Ruhe.«

Die Gestalt lachte nur lauter. Es war kein sehr menschliches Lachen, nur ein leises Glucksen, das Philips Haare zu Berge stehen ließ.

»Verschwinde!«, schrie er.

Die Gestalt hob lachend die Hände und der Nebel schien sich zu bewegen. Philip drehte sich im Kreis, die Suppe wirbelte umher, Farben deuteten sich an und wurden immer kräftiger, bis der Nebel verschwand.

Philips Füße berührten den kalten, rauen Asphalt vor einem Gebäude, die dunkle Gestalt stand einige Meter entfernt am Ende der Straße und winkte ihm zu. Philip musterte das Gebäude genauer. Es erstreckte sich über mehrere Stockwerke und wirkte sehr alt. Efeu kletterte die Wand empor bis unter das Dach. Eine Treppe führte zu einer großen Eingangstür. Philip stieg hinauf und betrachtete das Türschild. Psychiatrische Klinik. Darunter noch einige Zeilen, die Philip aber nicht lesen konnte. Je mehr er versuchte, sich darauf zu fokussieren, umso verschwommener die Umrisse. Er drehte sich zu der dunklen Gestalt um.

»Was willst du?«, schrie er die Straße entlang. »Was soll das bedeuten? Was willst du verdammt nochmal von mir?«

Die Gestalt hob die Hände wie zur Entschuldigung, dann drehte sie sich um. Das Gebäude und die Straße verschwanden wieder im Nebel, alles drehte sich, Philip schien zu fallen, er fiel immer tiefer, dann wurde alles schwarz.

 

***

 

Er nahm alles nur durch einen Schleier wahr. Der Tag wirkte, als hätte er ihn in einer Seifenblase verbracht. Sein Gesicht glänzte nass und geschwollen von Tränen der Trauer und Wut. Seine Gedanken flogen im Kreis, ohne einem Faden zu folgen. Er erinnerte sich nur noch an den großen Raum, an die Bänke, die darin nur noch leerer wirkten. An Anna, die weinend in der ersten Reihe saß, allein und verlassen. An die Frau, deren Auto nun ohne Frontscheibe auskommen musste, nachdem der Stuhl das Glas durchbohrt hatte. An Michael, Annas Kollegen, im Zeugenstand. Oder an den Staatsanwalt, der die Anklage verlas. Auch an seinen Verteidiger, der auf Zurechnungsunfähigkeit plädierte. Oder an den Richter, der den Urteilsspruch verkündete. Er wusste, dass sich jetzt alles ändern würde. Jetzt war nichts mehr wie zuvor. Jetzt würde er bezahlen.

»Das Gericht verurteilt den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung. Dies sehen wir aufgrund der Tatsache, dass es sich hier um einen Wiederholungstäter handelt, als angemessen an. Er wird diese Zeit im Maßregelvollzug verbringen, der Versuch der Resozialisierung hat Vorrang.«

Die Sätze hörte er zwar, nahm sie aber nur teilweise wahr und konnte sich nicht sicher sein, ob sie überhaupt so gesprochen wurden. Er wusste nur, dass sie ihn wieder in eine Klinik stecken würden. Und dieses Mal wusste er nicht, ob er jemals wieder herauskam. Egal, ob es zwei Jahre sein würden oder zehn, ein Aufenthalt in einer Klinik war schlimmer als die Hölle selbst. Als er abgeführt wurde, nahm er im Augenwinkel Anna wahr, die zu ihm wollte. Sie wollte etwas zu ihm sagen oder sagte es sogar, aber er hörte sie nur dumpf, ohne zu verstehen. Genau genommen wusste er nicht einmal, ob dort wirklich Anna saß oder jemand anderes. Jemand, der ihr einfach nur ähnlich sah. Vielleicht nicht einmal das.

Sie nahmen ihn mit, führten ihn aus dem Gebäude hinaus. Zwei Männer packten ihn an seinen Armen, einer davon schien bewaffnet zu sein. Sie zwängten ihn in ein Auto mit Gittern an den Fenstern. Er fand das alles ein bisschen übertrieben, schließlich hatte er nur die Frontscheibe eines Autos zerstört und niemanden umgebracht. Aber das Gericht schien wohl davon auszugehen, dass er durchaus jemanden umbringen wollte. Michaels Erzählungen hatten nicht gerade zu einem positiven Bild beigetragen.

Das Auto fuhr eine Weile, holperte über mehrere Straßen. Er wusste nicht, wo sie sich befanden, seine Gedanken immer noch voller Nebel. Als das Auto stoppte, blieb er sitzen, wartete auf seine Peiniger. Die Tür öffnete sich und er wurde hinausgezogen. Es ging mehrere Treppenstufen hinauf, bis er die Tür erkannte. Bis er das Gebäude erkannte, zu dem sie ihn führten. Er sah es nicht zum ersten Mal. Er stand vor dem Gebäude, das ihm die dunkle Gestalt im Traum gezeigt hatte.

 

Kapitel 2: Doktor

 

Der Raum leuchtete merkwürdig hell. Das Licht, das zum Fenster hereinschien, brannte in seinen Augen. Er kniff sie zusammen und versuchte, den pochenden Schmerz in seinem Kopf zu ignorieren. Ein großer Mann, komplett in Weiß gekleidet, bewachte eine hölzerne Tür und trommelte mit den Fingernägeln auf dem Holz des Türrahmens. Das monotone Geräusch machte Philip nervös. Nein, nicht nervös, eher wütend. Er spürte die Wut in sich aufsteigen und unterdrückte sie, was ihm aber nur mit viel Willensstärke gelang. Er wollte schreien, den Mann packen, ihn schütteln und seinen Kopf gegen ebendiesen Türrahmen schlagen, immer wieder, im monotonen Takt. Aber er riss sich zusammen. Es würde ihm nicht helfen. Es würde alles nur noch schlimmer machen. Er wollte nicht geschlagen werden. Wollte nicht noch mehr Medikamente eingeflößt bekommen. Nicht noch mehr Nebel in seinem Kopf.

Die Tür öffnete sich und eine Frau trat ein. Philips Herz machte einen Sprung, als er Anna erkannte. Ihre Haare waren zerzaust, ihre Augen rot und geschwollen. Sie sah besorgt aus, tiefe Falten standen ihr im Gesicht. Sie hastete auf ihn zu und nahm ihn in den Arm.

»Aufpassen, junge Dame! Er ist gefährlich!«, sagte der weiße Mann und trat heran.

»Ach, lassen Sie mich in Ruhe. Er ist mein Freund!«, zischte Anna ihn an. Der Mann ging langsam wieder zurück und stellte sich neben die Tür, nun aber deutlich angespannter. Er wollte wohl bereit sein, falls Philip durchdrehen würde. Aber er hatte nichts zu befürchten, Anna würde er kein Haar krümmen.

Nicht jetzt, niemals. Sie war alles, was er hatte. Alles, was er brauchte.

»Anna! Du bist hier. Es — es tut mir so leid.« Philip hörte seine eigene Stimme und konnte nicht fassen, wie brüchig sie klang.

»Schon gut, Philip. Schon gut. Ich — ich wollte nicht, dass es so weit kommt. Ich …« Ihre Stimme brach ab. Sie nahm ihre Hände vor das Gesicht, schluchzte und ihr ganzer Körper schüttelte sich. Philip griff nach ihrer Hand. Der weiße Mann machte einen Schritt auf ihn zu, Philip ignorierte ihn und zog die Hand von ihrem Gesicht weg.

»Weine nicht, Anna, bitte. Bitte weine nicht.« Er wollte nicht schon wieder schuld an ihrer Trauer sein. Er wollte sie nicht schon wieder verletzen.

Sie blickte ihn mit ihren geschwollenen Augen an. Die Trauer stand ihr tief ins Gesicht geschrieben.

»Sollen wir uns vielleicht hinsetzen?«, fragte sie vorsichtig und führte Philip an der Hand zu einem Tisch und zwei Stühlen, die mitten im Raum standen.

»Wie geht es dir hier? Sind sie gut zu dir?«, fragte sie ihn, als beide saßen und warf einen bösen Blick zur Tür, wo der weiße Mann alles genau beobachtete. Philip beugte sich zu ihr und senkte seine Stimme. Er wollte nicht, dass der Mann hörte, was er zu ihr sagte.

»Ich muss hier raus, Anna. Die sind wie alle anderen auch. Niemand glaubt mir, alle wollen mich heilen. Ich bin nicht krank! Verdammt, ich bin doch nicht krank. Die stopfen mich mit Medikamenten voll und fesseln mich. Ich will den Nebel nicht mehr, Anna. Der Nebel soll weg! Aber du bist ja hier. Du nimmst mich doch wieder mit. Ich darf doch jetzt wieder heim, oder? Du nimmst mich doch mit heim?«

Anna stiegen die Tränen in die Augen. Er verstand, wie leid es ihr tat, welche Schmerzen ihr das alles bereitete.

»Oh Philip, ich würde dich so gerne mitnehmen.«

Sein Herz sank in die Hose. Er atmete tief ein und wieder aus. »Dann nimm mich mit.«

»Das kann ich nicht. Sie lassen mich nicht.« Jetzt stiegen ihm die Tränen in die Augen. Er wandte sich von ihr ab. »Es tut mir so leid, Philip. Wirklich. Ich wollte das alles nicht.«

Er sagte nichts. Auf diese Weise endete es also. So schnell würde er hier nicht mehr rauskommen. Sie hatten ihn eingesperrt und er würde hierbleiben müssen. Sie würden ihn mit Drogen vollpumpen, würden ihn schlagen, ihn fesseln, würden ihm den Nebel bringen. Ihn kaputt, krank machen. Wenn er es jetzt noch nicht war, dann würde er es doch bald sein. Die anderen würden schon dafür sorgen, dass er bald verrückt wurde. Damit sie endlich Recht bekämen.

Anna nahm seine Hand und drückte sie. »Philip, ich hol dich hier raus. Versprochen. So schnell es geht. Michaels Schwester ist Anwältin, die kann uns sicher helfen. Ich rede mal mit ihr, ob sie …«

»Michael?«, zischte Philip. »Der Wichser? Du redest noch mit ihm?«

»Ja, Michi ist ein guter Mensch.«

»Seinetwegen bin ich hier, Anna! Wäre er nicht gewesen, wäre alles noch wie früher!«

»Aber Philip, er hat nichts getan. Er wollte doch nur Zeit mit mir verbringen. Und du hast ihn angegriffen. Er wollte dir doch gar nichts Böses.«

Wut stieg in Philip auf. Er schloss seine Finger immer noch um ihre Hand, fester jetzt. Annas Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.

»Du tust mir weh, Philip.«

»Er war da! Er hat mich provoziert und er hat mich beleidigt. Seinetwegen bin ich hier!« Seine Stimme wurde immer lauter.

»Du tust mir weh!«, sagte Anna noch einmal, Tränen liefen ihre Wange hinunter.

»Er war es! Es ist seine Schuld! Und du fickst ihn immer noch?« Philip stand plötzlich, ihre Hand fest im Griff, und sie winselte vor Schmerz. Der weiße Mann rannte auf ihn zu, riss ihn von ihr los. Er nahm alles nur verschwommen wahr. Da war der Nebel wieder. Er schrie weiter, hörte seine Stimme aber nicht mehr. Der weiße Mann drückte ihn gegen die Wand und die Tür sprang auf. Weitere Männer kamen herein, einer zog Anna nach draußen, der andere trug eine Spritze in der Hand. Er kam auf Philip zu, der noch mehr schrie, trat, um sich schlug und den weißen Mann in die Schulter biss. Ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Arm und er spürte, wie ihn alles verließ. Wie es wieder dunkel wurde, wie der Nebel sich dichter zusammenzog. Philip erschlaffte und fiel in die Dunkelheit hinein.

 

***

 

Sie hatten ihn wieder in diesen hellen Raum gebracht. Rasende Kopfschmerzen zwangen ihn dazu, die Augen geschlossen zu halten. Das flackernde Licht der Beleuchtung, das sich auf dem hellen Tisch spiegelte, bohrte sich bis in die Tiefen seines Gehirns. Der Stuhl, auf dem er saß, drückte mit der harten Fläche auf seinen Hintern und an seinen Rücken. Er rutschte hin und her, versuchte, eine gemütliche Position zu finden. Der weiße Mann stand wieder neben der Tür und beobachtete ihn argwöhnisch. Philip ignorierte ihn, versuchte nicht daran zu denken, wie sich die Spritze beim letzten Besuch dieses Raumes in seinen Arm gebohrt hatte.

Als die Tür aufging, zuckte er zusammen. Er hoffte, dass er Anna noch einmal sehen konnte, aber herein kam ein fremder Mann. Trotzdem wirkte er irgendwie bekannt, irgendwie so, als wäre er schon einmal in einem seiner Träume aufgetaucht. Er war groß, mit dunkler Haut und einer Glatze, auf der sich das Licht der Deckenlampe spiegelte. Auf seiner Nase saß eine Brille mit dicken Gläsern, die sein Gesicht merkwürdig groß aussehen ließ. Unter seinem weißen Arztkittel trug er ein weißes Hemd und eine weiße Hose. In seiner Hand hielt er ein Klemmbrett, auf dem Philip vollgeschriebene Blätter mit Diagrammen und Tabellen sehen konnte. Was genau dort stand, konnte er aber nicht erkennen. Der Neuankömmling nickte dem weißen Mann neben der Tür zu, woraufhin dieser den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss. Er ging lächelnd auf den Tisch zu und nahm sich den Stuhl Philip gegenüber.

»Guten Morgen, Herr Beck. Haben Sie gut geschlafen?« Seine Stimme klang tief und mächtig, sie dröhnte in dem kleinen, hellen Raum. Philip antwortete nicht.

»Wie geht es Ihnen?«, fragte die tiefe Stimme erneut. Philip vermied es, dem Arzt in die Augen zu sehen. Seine Zähne knirschten, als er sie fest zusammenpresste und mit seinen Kiefermuskeln spielte.

»Vielleicht stelle ich mich zunächst einmal vor. Ich bin Doktor Holder und ich bin der leitende Arzt in dieser Klinik. Sie sind Philip, wenn ich richtig informiert bin?«

Die Stille wurde nur unterbrochen von Schritten draußen auf dem Gang, die leiser wurden und schließlich verschwanden. Der Doktor beobachtete Philip, immer noch ein Lächeln im Gesicht. Zumindest sein Mund lächelte, die Mundwinkel leicht hochgezogen. Die Augen allerdings — die dunklen Augen strahlten nichts als Kälte aus.

»Sie brauchen keine Angst zu haben, Philip. Wir sind hier, um Ihnen zu helfen.«

Philip verdrehte die Augen und unterdrückte ein Lachen. Das hatte er schon so oft gehört. Und nie hatte ihm jemand wirklich geholfen. Außer Anna vielleicht.

»Glauben Sie mir nicht?«, fragte der Doktor. Er wirkte immer noch amüsiert.

»Fick dich«, zischte Philip.

Der Doktor schwieg einige Sekunden. Er beobachtete Philip, dem es so vorkam, als würde er ihn durchleuchten. Als würde er ihn röntgen. Nicht seinen Körper, nicht seine Knochen, nein, seine Seele.

»Wovor hast du Angst?«, fragte der Doktor. Philip starrte ihn jetzt direkt an. Starrte in seine dunklen Augen.

»Ich hab gesagt, du sollst dich ficken.« Seine Stimme zitterte. Jeder Muskel in seinem Körper vibrierte vor Anspannung. Der Doktor ignorierte seine verbalen Ausraster.

»Hast du vor den Pflegern Angst? Vor den Medikamenten? Vor mir?« Der Kiefer schmerzte Philip, weil er seine Zähne mit aller Kraft zusammenpresste. An der Stuhllehne splitterte ein kleines Stückchen Holz ab, das er in den letzten Minuten mit seinem Fingernagel bearbeitet hatte.

»Davor musst du keine Angst haben. Die Pfleger und ich, wir wollen dir wirklich helfen. Und die Medikamente sind nur dafür da, dass du dir nicht selbst weh tust.«

»Ich kann dir wehtun.«

»Das bezweifle ich nicht«, sagte der Doktor. »Aber auch das würde am Ende nur dir selbst schaden.«

Die Stille, die folgte, erstreckte sich über längere Zeit. Philip wollte aufstehen und gehen. Er wollte nicht hier sein, mit diesem Arzt, der so tat, als würde er ihm helfen können.

»Warum bist du hier?«, fragte die tiefe Stimme, als die Stille beinahe unerträglich wurde.

»Schau doch auf dein beschissenes Klemmbrett.«

Der Doktor lächelte wieder sein nervtötendes Lächeln, dann griff er nach dem Klemmbrett und las, was darauf stand.

»Du hast jemanden geschlagen. Einen Stuhl aus dem Fenster geschmissen, ein Auto damit getroffen. Die Frontscheibe ist zerstört, die Fahrerin musste genäht werden und ihr Arm ist gebrochen. Das habe ich alles schon gesehen. Aber mich interessiert, warum du das alles getan hast.«

»Weil Sie sich jetzt endlich mal ficken sollen.«

»Wer hat dich denn so wütend gemacht?«

Philip dachte an Anna, wie sie in ihrem Bademantel vor ihm stand. An diesen Wichser Michael, der sich an ihm vorbeizwängte und ihn anstarrte, als wäre er ein Irrer. Und er dachte an seinen zehnten Geburtstag. An seine Mutter. Tränen stiegen ihm in die Augen. Er ballte seine Hände zu Fäusten.

»Schon gut.« Der Doktor hob beschwichtigend die Hände. Seine tiefe Stimme sprach ruhig, aber in Philip tobte das Chaos. »Schon gut, Philip. Wir sind hier, um dir zu helfen. Um diese Wut zu bekämpfen. Um den Grund für diese Wut zu bekämpfen.«

Wenn er noch einmal sagen würde, dass er Philip helfen wollte, wäre er der Nächste, der einen Stuhl an den Kopf bekam. Er konnte es nicht mehr hören. Alle wollten ihm immer helfen. Aber niemand glaubte ihm.

»Was ist mit deiner Mutter?«, fragte der Doktor und Philip wich zurück. Er starrte den Doktor mit großen Augen an. Konnte er etwa seine Gedanken lesen? Direkt nachdem er an seine Mutter dachte, fragte der Doktor nach ihr. Oder hatte er es womöglich doch laut ausgesprochen?

»Ist etwas mit deiner Mutter geschehen?«

»Lassen Sie meine Mutter aus dem Spiel.«

»Ist sie der Grund für deine Wut? Für deine Trauer?«

»Meine Mutter ist tot.« Philips Stimme ertönte lauter als zuvor.

»Das tut mir leid«, versicherte der Doktor und Philip hätte es ihm beinahe abgenommen. »Wirklich. Das muss schlimm für dich gewesen sein.«

Das Sonnenlicht warf einen Schatten auf die gegenüberliegende Wand und Philip versuchte, sich darauf zu konzentrieren. Er bemühte sich, darin nicht die dunkle Gestalt zu sehen, die ihn seit seinem zehnten Geburtstag in seinen Träumen heimsuchte.

»Ich sehe, dass du bereits in Behandlung warst. Schon eine ganze Weile sogar. Ich nehme an, dass sie dich deswegen hierhergeschickt haben, statt es mit einer Geldstrafe gut sein zu lassen?« Philip war dankbar, dass der Doktor das Thema wechselte. Er wollte nicht über seine Vergangenheit nachdenken müssen. Nicht über seine Mutter. Nicht über seinen zehnten Geburtstag.

»Die denken, ich bin verrückt. Diese Hurensöhne.«

»Hast du ihnen denn einen Grund dafür gegeben?«

»Es denken doch immer alle gleich, jemand ist verrückt, wenn er nicht ist wie alle anderen.«

»Und du bist nicht wie alle anderen?« Der Schatten an der Wand schien in Philips Augenwinkeln zu tanzen. Regelrecht zu frohlocken. »Wie bist du denn dann?«

Philip dachte an den Ball. Wie er vor seinen Augen durch die Luft glitt, von einer Hand in die andere. Er dachte daran, wie Anna ihn angesehen hatte.

»Willst du es mir nicht sagen?«

»Sie glauben mir sowieso nicht. Niemand glaubt mir.«

»Aber ich habe immer ein offenes Ohr für eine gute Geschichte.« Der Doktor lächelte, versuchte ihn zu ermutigen. Die letzten Jahre hatten Philip jedoch gegen Ermutigung abgehärtet.

»Was würden Sie denn sagen, wenn ich Ihnen die Wahrheit erzähle?« Er wusste nicht, was er tat. Warum er mit dem Doktor redete. Schließlich würde er ihn nur in eine Zelle sperren, mit Medikamenten vollpumpen und schwören, es ihm auszutreiben, so wie alle anderen Ärzte. Aber etwas an diesem Arzt war anders. Etwas an ihm ermutigte Philip, die Wahrheit zu sagen. Vielleicht seine dunklen Augen, die Philip das Gefühl gaben, dass er sowieso schon alles wusste.

»Das weiß ich nicht, bevor ich sie nicht gehört habe«, sagte der Doktor.

»Okay. Nehmen wir an, ich erzähle Ihnen, dass ich nicht normal bin. Dass ich anders bin, dass ich Dinge kann, die man normalerweise nicht können darf.«

»Wovon sprichst du?«

»Nehmen wir an, ich erzähle Ihnen, ich würde fliegen können. Oder unsichtbar werden. Oder ich würde die Zeit anhalten können. Würden Sie mir glauben? Würden Sie mir wirklich helfen? Oder würden Sie mir meine Fantasien nur austreiben wollen?«

»Denkst du, dass du das alles kannst?«

»Darum geht es nicht. Alle erzählen immer, sie wollen mir helfen. Alle erzählen immer, sie wollen nur mein Bestes. Aber alle verschließen die Augen, sobald es um etwas geht, das sie nicht verstehen. Da sind Sie nicht besser als alle anderen. Als die Ärzte vor Ihnen. Als meine Großeltern, als meine Eltern. Als Anna.« Philips Stimme wurde immer lauter und er bemühte sich, ruhig sitzen zu bleiben.

»Philip, was sind diese Dinge, von denen du redest?«

Philip überlegte. Er wollte es ihm sagen, wollte es ihm in sein Gesicht schreien. Aber er hatte Angst. Hatte schon immer Angst davor gehabt, es auszusprechen. Zumindest seit seinem zehnten Geburtstag.

»Was bringt es, mit Ihnen darüber zu sprechen? Sie glauben mir ja sowieso nicht.«

»Das weißt du nicht, bevor du es versucht hast.«

»Oh doch, das weiß ich.«

Der Doktor faltete die Hände in seinem Schoß. Er lehnte sich zurück und musterte ihn. »Versuch es.«

Entschlossenheit durchfuhr Philip. Entschlossenheit und Wut, die sich immer deutlicher in ihm manifestierte. Entschlossenheit, dem Doktor zu geben, was er wollte: die Wahrheit. Wut darüber, dass er ihm sowieso nicht glauben würde.

»Wenn Sie es genau wissen wollen. Ich kann zaubern. Schon immer. Das glaubt mir niemand und ich konnte es auch noch niemandem beweisen. Aber ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen. Es gibt Zauberei und ich bin ein Zauberer.« Der Doktor schwieg. Er lächelte immer noch, aber er schwieg. »Und jetzt können Sie mich für verrückt erklären. Sie können mich einsperren und mir Ihre Scheiß Drogen einflößen, aber das ist die Wahrheit, ob Sie es glauben wollen oder nicht.« Sein Herz pochte wild in seiner Brust. Warum hatte er es ihm erzählt? Warum konnte er nicht einfach seinen Mund halten, alles über sich ergehen lassen, seine Zeit absitzen und am Ende in Frieden wieder entlassen werden?

»Wie kommst du darauf, dass du ein Zauberer bist?«, fragte der Doktor.

»Hab ich Ihnen doch schon gesagt. Weil ich Dinge tun kann, die normale Menschen nicht tun können. Sachen schweben lassen und so.«

»Kannst du mir das zeigen?«

Philip wurde nervös. Er zupfte an dem weißen Shirt, das sie ihm gegeben hatten. »Nein. Also … ich würde gerne. Aber es klappt nie, wenn jemand da ist.«

Der Doktor nickte. »Ich verstehe.« Aber Philip bezweifelte, dass er wirklich verstand.

»Kennst du die Geschichte von Arthur Stone?«

Philip musterte den Doktor verdutzt. Er schüttelte den Kopf. Von einem Arthur Stone hatte er noch nie gehört.

»Mir wurde die Legende von Arthur Stone schon viele Male erzählt. Vielleicht gefällt sie dir ja. Es geht auch um einen Zauberer. Arthur lebte vor vielen Jahrhunderten im mittelalterlichen England. Schon damals mussten Hexen und Zauberer verdeckt leben, da sie von den Nichtmagiern gefürchtet und verfolgt wurden. Die Leute hatten Angst vor Zauberei. Sie konnten sich Magie nicht erklären und dachten, es wäre ein Werkzeug des Teufels. Du hast ja sicher schon von den Hexenverfolgungen gehört?«

Philip nickte. Sie hatten das Thema mal kurz in der Schule angeschnitten. Genau genommen wurde es von einem seiner Mitschüler in einem Referat behandelt. Der Vortrag war nicht besonders gut gewesen, viele Informationen fehlten oder passten nicht zusammen, aber Philip spürte jetzt noch Angst, wenn er darüber nachdachte. Schließlich konnte er selbst zaubern und die Vorstellung, auf einem Scheiterhaufen verbrannt zu werden, verfolgte ihn in vielen Albträumen.

»Auf jeden Fall lebte Arthur in einem kleinen Dorf im Süden Englands. Seine Nachbarn merkten über viele Jahre hinweg nicht, wer da neben ihnen wohnte. Sie hielten ihn für einen normalen, guten Bauern, der nur etwas Glück mit seiner Ernte hatte. Aber nicht alle gönnten ihm das. Einige Männer im Dorf erblassten vor Neid, weil er immer das größte Gemüse und die reichste Frucht hervorbrachte. Arthur teilte seine Erträge barmherzig mit der Dorfgemeinschaft und genoss deshalb ein hohes Ansehen, aber andere wollten das, was er hatte. Sie wollten herausfinden, was ihm zu seinem Glück verhalf. Eines Abends folgten ihm drei der Männer, als er sich zu seinem Feld aufmachte. Er ging oft am Abend dorthin, um seine Zauber zu wirken und das Gemüse wachsen zu lassen, ohne dass ihn jemand beobachtete. Es war dunkel und niemand hätte ihn gesehen, wenn ihm die drei nicht auf den Fersen gewesen wären. Sie sahen, was er tat, sahen ihn seine Zauber wirken und schienen sich nun sicher, dass er einen Pakt mit dem Teufel eingegangen war.«

Der Doktor griff nach dem Wasserglas und nahm einen Schluck, bevor er weitersprach. Philip hörte ihm aufmerksam zu. Er wartete gespannt, bis er weiterreden würde, auch wenn er noch nicht verstand, warum ihm der Doktor diese Geschichte erzählte.

»Sie schmiedeten einen Plan. Wollten ihm den Teufel austreiben, den Dämon bezwingen. Sie wollten keinen Zauberer bei sich im Dorf haben. Also schritten sie zur Tat.«

»Sie haben ihn verbrannt?«, fragte Philip schockiert.

»Das wollten sie. Sie sammelten Holz und Stroh und bauten einen Scheiterhaufen. Dann lauerten sie ihm auf, überwältigten ihn und brachten ihn zur Feuerstelle. Als Arthur das sah und verstand, was sie planten, wurde er wütend. Die Männer versuchten, ihn zu halten, aber seine Kraft ließ ihnen keine Chance. Er sprengte seine Ketten, um zu fliehen, aber sie erkannten nicht, welche Kräfte in ihm schlummerten. Sie wollten ihn aufhalten und griffen erneut an. Das war ihr Untergang. Arthur besiegte sie mit einer Leichtigkeit, wie ein normaler Mann eine Fliege erschlägt. Alle drei starben einen qualvollen Tod. Ihre Leichen waren bis zur Unkenntlichkeit entstellt und Arthur musste das Dorf verlassen. Er hatte gemordet, wenn auch nur zum Selbstschutz. Aber wenn er blieb, konnte ein Blutbad nicht mehr verhindert werden.«

»Aber sie hatten doch ihn angegriffen.«

»Das mag sein, aber die Menschen fürchteten die Zauberei. Jetzt, wo sie um seine besonderen Fähigkeiten wussten und welch große Gefahr von ihm ausging, würden sie nicht neben ihm leben wollen.

Arthur bereute, was geschehen war, weil er sich in dem Dorf sehr wohl gefühlt hatte. Er mochte die Menschen dort und sie akzeptierten ihn als Teil in ihrer Mitte. Er bereute, dass er sich zum Mord hinreißen ließ.«

»Er hat sich doch nur verteidigt!«

»Trotzdem war er jetzt ein Mörder. Die Zauberei hatte ihn zum Mörder gemacht. Die Wut hatte ihn zum Mörder gemacht. In diesem Moment schwor sich Arthur, nie wieder Zauberei gegen Nichtmagier einsetzen zu wollen. Er schwor, seine Kräfte zu kontrollieren und zu verbergen. Noch stärker im Geheimen zu agieren, den Menschen keinen Grund mehr zu geben, sich zu fürchten. Es reichte ihm aber nicht, dass er selbst auf Magie als Waffe verzichtete. Zu dieser Zeit, musst du wissen, haben viele Zauberer ihre Magie eingesetzt, um Kämpfe zu gewinnen. Kriege wurden mit Magie ausgetragen, die berühmtesten Krieger beherrschten unglaubliche Arten der Zauberei. Sie bestimmten das Geschehen auf dem Schlachtfeld und sie entschieden, wer auf dem Thron saß. Aber Arthur machte es sich zur Mission, das zu ändern. Er wollte die Magie vom Krieg fernhalten. Und so tat er das einzige, was er in diesem Moment sinnvoll fand. Er gründete eine Schule.«

»Eine Schule?«

»Ja, eine Schule. Die erste Zaubererschule auf der Welt. Zuvor hatten Eltern ihre Kinder zuhause unterrichtet. Viele waren sogar aufgewachsen, ohne ihre Fähigkeiten zu trainieren. Das kostete viele Leben und Arthur wollte alldem ein Ende setzen. Viele Zauberer schickten schon bald ihre Kinder zu ihm, damit er ihnen beibrachte, die Kraft zu kontrollieren. Und er brachte ihnen bei, sie nicht gegen jene einzusetzen, die sich nicht wehren konnten. Aus seiner Schule wurde eine Bewegung und schon bald sprossen überall im Land Schulen aus der Erde. Es dauerte nicht lange, bis seine Lehre auch in anderen Ländern ankam. Arthur Stone war es, der es geschafft hat, Frieden zwischen Zauberern und Menschen zu wahren. Heute gibt es Schulen nach seinem Vorbild auf der ganzen Welt. Heute vereint seine Lehre die gesamte Zaubererschaft.«

Philip ließ sich in seinen Stuhl sinken. Er beäugte den Doktor argwöhnisch. »Sie erzählen diese Geschichte, als wäre sie wahr. Als würden Sie daran glauben, dass sie mir hier Geschichtsunterricht geben.«

Der Doktor richtete sich auf, legte seine Hände auf den Tisch und sah Philip direkt in die Augen. »Philip, du bist nicht hier, weil du ein Auto zerstört hast und deswegen eine Frau einen Kratzer auf ihrer Stirn hat. Du bist hier, weil wir es so wollen.«

»Was?« Er verstand nicht, was der Doktor ihm sagen wollte.

»Es gibt einen guten Grund dafür, dass du den Weg hierher gefunden hast. Wir haben dir diesen Weg gewiesen.«

»Was wollen Sie mir sagen?«

»Philip, das hier ist keine Klinik und ich bin kein Doktor. Du bist nicht hier, weil du verrückt bist. Du bist hier, weil du Fähigkeiten besitzt, die für andere unverständlich bleiben. Du bist hier, weil Arthur auch dich auf den rechten Weg führen will. Herzlich willkommen in der Magicka, der ältesten Zaubererschule Deutschlands. Ich bin Direktor Holder und es wäre mir eine Freude, dir die Lehre Arthurs zu vermitteln.«

Philip starrte ihn mit offenem Mund an. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Damit hatte er nicht gerechnet.

»Willkommen zuhause. Jetzt kannst du endlich der sein, der du wirklich bist. Jetzt bist du unter deinesgleichen.«

»Wollen Sie mich verarschen?« Der Doktor zog die Augenbrauen hoch. »Eine Zaubererschule? Ja klar. Ist das eines Ihrer verrückten Spielchen? Da mache ich nicht mit.«

»Philip, es tut mir leid, aber das ist die Wahrheit. Ist das nicht, was du immer wolltest?«

»Natürlich ist es, was ich immer wollte! Aber ich werde hierhergebracht und dann ist das zufällig die älteste Zaubererschule Deutschlands? Und Sie sind ein Zauberer? Verarschen kann ich mich allein.«

»Es ist kein Zufall. Ich habe dir doch schon gesagt, du bist hier, weil wir es so wollen. Wir haben unsere eigenen Möglichkeiten, Dinge auf den Weg zu bringen. Du hast mich doch darum gebeten, dir zu glauben. Jetzt bitte ich dich, mir zu glauben.«

Philip dachte nach. Er hatte keine Lust, bei den Spielchen des Doktors mitzumachen. Es war immer das Gleiche. Sie wollten einfach nur in seinen Kopf, damit sie ihn brechen konnten. Das würde er nicht zulassen. Aber es bestand immer noch die Chance — die kleine Chance, dass der Doktor die Wahrheit sagte. Dass er hier wirklich das gefunden hatte, was er sein ganzes Leben suchte.

»Beweisen Sie es.« Er verschränkte die Arme vor der Brust.

»Wie bitte?«

»Beweisen Sie, dass Sie ein Zauberer sind.«

Der Doktor lachte. Er musterte Philip mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Du willst einen Beweis?«

»Ja.« Philip rechnete nicht damit, dass der Doktor seiner Aufforderung wirklich nachkommen würde. Aber Holder stand auf, zog die Ärmel hoch und bedeutete Philip aufzustehen. Der stand ebenfalls auf und ging einen Schritt zurück.

Der Doktor lächelte ihn an und hob seine Hände, die Handflächen nach oben gerichtet. Philip bemerkte zunächst nicht, was geschah. Als er es realisierte, kippte ihm die Kinnlade auf die Brust. Der Tisch, an dem sie eben noch gesessen hatten, schwebte in der Luft. Er stieg immer höher, bis Philip darunter hätte stehen können. Er starrte den Doktor mit großen Augen an. Dieser senkte die Hände wieder und der Tisch glitt nach unten, bis er auf dem Boden stand, als wäre nichts geschehen.

»Sie … Sie sind … das war … unglaublich!«, stotterte Philip. »Danke schön.« Der Doktor setzte sich, das Lächeln weiterhin auf den Lippen. »Und ja, ich bin ein Zauberer. So wie du.«

»Aber … warum … Sie wollen mich unterrichten?«

»Setz dich erst einmal.« Philip bemerkte, dass er immer noch stand. Er griff nach dem Stuhl, zog ihn zurück und setzte sich gegenüber dem Doktor hin.

»Ja, wir wollen dich unterrichten. Hier, in der Magicka. Du wirst lernen, deine Kräfte zu kontrollieren, sie zu stärken und sinnvoll einzusetzen. Natürlich nur, wenn du das auch willst.«

»Natürlich will ich!«, stieß Philip hervor. »Ich will das lernen! Wie Sie den Tisch hochgehoben haben. Und alles. Was bringen Sie mir noch bei?« Sein Herz pochte so laut, dass es seinen ganzen Körper zu erfüllen schien. Hier fand er offenbar alles, was er immer gewollt hatte. Das konnte nicht wahr sein. Aber hier saß er mit einem Zauberer, der zaubern konnte. Er hatte es mit seinen eigenen Augen gesehen, hatte es sich nicht eingebildet, er war nicht verrückt. Er war ein Zauberer.

»Ganz ruhig, Philip. Du wirst alles noch früh genug lernen. Wir werden dich zunächst einmal auf dein Zimmer bringen. Morgen beim Frühstück wird dir dann dein Stundenplan ausgehändigt und du darfst schon bald mit den anderen lernen. Bist du bereit dazu?«

»Ja! Ja, ich bin bereit!«

»Gut. Dann werden wir den Rest deiner Sachen holen und du kannst endgültig bei uns einziehen. Und dann geht es los. Dann machen wir dich zu einem echten, ausgebildeten Zauberer.«

Philip lächelte. Das erste Mal seit Langem war er wieder glücklich. So fühlte es sich also an, wenn einem geglaubt wurde. Wenn man selbst mit eigenen Augen gesehen hatte, dass man im Recht war. So fühlte es sich an, dazuzugehören.

»Dann lass uns mal zum Organisatorischen kommen«, sagte der Direktor.

 

Kapitel 3: Jason

 

Philip saß auf einer Bank vorm Schwesternzimmer und wartete. Der Direktor hatte ihm alles genau erklärt, mit ihm besprochen, wie es weiterging. Er würde einziehen, jeden Morgen zum Unterricht gehen und nach einem Jahr seine erste Prüfung ablegen. Die gesamte Grundausbildung dauerte drei Jahre, danach konnte er sich entscheiden, ob er sein Wissen noch vertiefen wollte. Es war alles so aufregend.

Außerdem durfte er noch mit Anna telefonieren. Sie wirkte zunächst verwirrt. Phillip konnte ihr nicht erzählen, was hier wirklich vor sich ging, und das fiel ihm schwer. Aber die Warnung des Direktors, dass er sie damit in Schwierigkeiten brächte, belehrte ihn eines Besseren. Sie dachte immer noch, er sei in der Klinik, und das erklärte auch ihre Überraschung darüber, wie glücklich er klang. Aber das wollte sie doch immer. Sie musste jetzt einfach glücklich darüber sein, dass er sich endlich behandeln ließ. Am Ende besann sie sich und glaubte, dass nun alles gut werden würde. Anna versprach ihm, seine Sachen zu richten und von Mitarbeitern der Schule abholen zu lassen. Dann fände er endlich ein richtiges Zuhause. Er zog den Rucksack mit den wenigen Sachen, die er bei sich trug, an sich und lächelte. Lächelte ein wahrhaft glückliches Lächeln.

Nach wenigen Minuten kam eine Krankenschwester auf Philip zu. Sie war sehr klein und beinahe so breit wie hoch. Ihre Haare hatte sie zu einem strengen Zopf nach hinten gebunden, passend zu ihren ernsten Gesichtszügen und ihrem strengen Blick. Sie trug eine weiße Schwesternuniform und einfache, weiße Schuhe. Philip dachte, dass man es sich mit ihr eher nicht verscherzen sollte. Sie musterte ihn, sah ihm dann direkt in die Augen und lächelte ihn an. Das Lächeln wirkte zwar freundlich, Philip fühlte sich aber trotzdem nicht besser. Ihre Ausstrahlung blieb kalt, streng und nüchtern.

»Du musst Philip sein!« Sie streckte ihm die Hand entgegen. »Hallo, schön dich kennenzulernen. Ich bin Schwester Clara. Folge mir, ich bringe dich auf dein Zimmer.« Sie schaute sich um. »Hast du deine Sachen schon geholt?«

Philip hob die kleine Sporttasche mit seiner Kleidung, die er schon bei sich trug. »Hier.«

Die Schwester sah sich die Tasche an und hob die Augenbrauen. »Oh, okay. Das ist alles?« Er hörte die Verwunderung in ihrer Stimme.

»Ja, der Rest wird morgen geholt.«

»Ach so, na dann. Lass uns gehen.«

Sie zeigte in Richtung des Treppenhauses und lächelte Philip an. Er schnappte seine Sachen und setzte sich langsam in Bewegung.

»Die Treppe rauf. Dein Zimmer ist im vierten Stock. Wir haben keinen Aufzug, ich hoffe, du hast kein Problem damit, Treppen zu steigen.«

Philip antwortete nicht und folgte ihr zur Treppe. Er begutachtete das Treppenhaus genau, immerhin befand er sich hier an keinem normalen Ort. Jedoch konnte er nichts Ungewöhnliches erkennen, keine Spur von Magie, einfach nur ein normales, langweiliges Treppenhaus. Auf dem gesamten Weg bis zu seinem Zimmer bemerkte Philip nichts Magisches, keine schwebenden Kerzenleuchter, keine magisch verzauberte Decke, durch die man den Himmel betrachten konnte. Stattdessen flackerte dort eine alte Neonröhre, die so weit entfernt von Magie war, wie es nur ging. Er versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.

Die Schwester blieb schließlich vor einer Holztür stehen. »So, hier sind wir. Das ist dein Zimmer.« Sie zog einen Schlüssel aus der Hosentasche und drehte ihn im Schloss herum.

Philip sah sie unsicher an, sie deutete nach innen. Er folgte ihrer Aufforderung und trat in sein Zimmer. An der gegenüberliegenden Wand zeigte ein Fenster mit Sicherheitsriegel hinaus über die Stadt, verdeckt von grauen Vorhängen. Rechts an der Wand stand ein schmales Bett, gegenüber das gleiche Modell. Neben den Betten zwängten sich jeweils ein kleiner Nachttisch sowie ein großer Kleiderschrank an die Wände des kleinen Raums. Außerdem befand sich unter dem Fenster ein langer Schreibtisch mit zwei Arbeitsplätzen.

»Du kannst deine Sachen auspacken und in den Schrank einräumen. Das Zimmer kannst du einrichten, wie du willst. Um acht schließt das Tor, falls du mal raus willst, aber das hat dir Professor Holder sicher schon gesagt. Nachtruhe ist um zehn, dann bist du auf deinem Zimmer und verhältst dich so angemessen, dass du niemand anderen störst.« Sie sah ihn mit strengem Blick an. Ihr Gesichtsausdruck verwandelte sich aber schnell in ein freundliches Lächeln.

»Dann lass ich dich mal in Ruhe. Wenn du Fragen hast, bin ich jederzeit für dich da.« Sie wollte gerade gehen, da räusperte sich Philip.

»Ja, bitte?«

»Ähm, ich wollte nur fragen. Hier sind zwei Betten, schläft hier noch jemand?« Nervös zupfte er an seinem Hemd herum. Der Gedanke an einen Mitbewohner verunsicherte ihn. Eigentlich wollte er niemanden hier haben, sondern lieber allein sein. Die anderen hatten ihn immer nur genervt, sie hatten ihn nie verstanden und sich nur die größtmögliche Mühe gegeben, ihm das Leben so schwer wie möglich zu machen. Hier war er zwar unter seinesgleichen, aber das änderte nichts daran, dass er sich in Gesellschaft nicht wohlfühlte. Außer in der von Anna vielleicht.

Die Schwester lächelte ihn an. »Bisher noch nicht. Das andere Bett ist frei, ich hoffe, das ist kein Problem für dich?«

»Nein, nein. Ist gut«, Die Erleichterung in seiner Stimme hörte man besser als beabsichtigt. Sie sah ihn noch einige Momente an, dann drehte sie sich zur Tür.

»Gut, wenn das alles ist, dann geh ich mal. Ich komme später und hole dich zum Abendessen ab. Ab morgen musst du dich selbst zurechtfinden. Wenn du willst, kannst du dir das Gebäude bis dahin schon mal genauer anschauen. Die Räume, in die du nicht reindarfst, sind abgeschlossen, ansonsten kannst du dich frei bewegen.« Sie ging zum Ausgang. »Also, dann bis später.«

Als sie die Tür hinter sich schloss, atmete Philip tief aus. Er war allein. In seinem neuen Zimmer, in der Zauberschule. Er trat ans Fenster und blickte auf die Straße. Gegenüber verschwand ein kleines, altes Gebäude in der Ahnungslosigkeit. Dahinter breitete sich die Stadt aus, die ihn so sehr abstieß, weil er nicht in ihre Vorstellungen passte. Das konnte ihm jetzt alles egal sein, das lag in der Vergangenheit. Jetzt lebte er hier, unter seinesgleichen, nicht mehr als Freak wie zuvor. Hier fiel er nicht auf, wurde zum Teil der Masse, ein Wolf unter Wölfen.

Er ging zum Bett an der rechten Seite des Raumes, ließ sich darauf fallen und sank tief ein. Ein leises Lachen entwischte ihm. Er erschrak selbst darüber und starrte kurz an die Decke. Der Gedanke daran, wie er vor seinem eigenen Lachen erschrak, kam ihm jetzt plötzlich unfassbar lustig vor. Er versuchte kurz, das Lachen zurückzuhalten, prustete dann aber einfach los. Es war egal, niemand würde ihn hören. Er konnte alles rauslassen. Und er fühlte sich so glücklich, so unfassbar glücklich! Das Lachen kam immer stärker, bald lachte er mit seinem ganzen Körper und das Bett wackelte, was ihn noch mehr anheizte. Er lachte immer lauter, hielt seinen Bauch und fiel fast vom Bett, so sehr schüttelte er sich vor Lachen.

 

***

 

Plötzlich sprang die Tür auf und eine Gestalt kam hereingestürmt. Philip blieb das Herz stehen. Er wollte zurückspringen. Im Liegen war das nicht so einfach, also rutschte er nach hinten. Dabei verhedderte er sich in der Bettdecke, fiel schließlich vom Bett und stieß sich den Kopf am Boden. Für einen kurzen Moment tanzten helle Sterne vor seinen Augen. Seine Stirn pochte und er stöhnte laut auf.

»Was war denn das?«, prustete die Gestalt los.

Philip wich zurück und richtete sich auf. Mitten im Zimmer stand ein merkwürdiger junger Mann, ungefähr in seinem Alter. Er trug eine rote Wollmütze, eine Jeansjacke, eine schwarze Hose und lederne Schuhe. Der Fremde lachte ihm entgegen und kam auf ihn zu.

»Alles klar bei dir?«, fragte er und streckte Philip die Hand entgegen.

Der musterte ihn nur misstrauisch. »Wer bist du?«

»Oh, sorry, wie unhöflich von mir«, sagte der Fremde. »Ich bin Jason! Und du bist?«

Philip rieb sich die Stirn und sah Jason weiterhin nur an. »Was machst du hier?«

Jason hob die Augenbrauen und lächelte. »Okay, erst mal ohne Namen, schon klar.« Er ließ sich auf das andere Bett fallen, richtete sich sofort wieder auf und setzte sich an den Rand. »Ich wohne hier.«

»Wie, du wohnst hier?«

»Ganz schön viele Fragen, mein Freund.« Jason lehnte sich zurück und stützte sich auf seine Arme.

»Antworte«, sagte Philip mit ernstem Ton, seine Hände zu Fäusten geballt.

»Oha, du bist ja ein ganz Harter.« Jason lachte nur, gelbe Zähne zeigend. Seine grünen Augen sahen Philip direkt an.

Philip stand auf, den ganzen Körper angespannt, und versuchte, das Pochen an der Stirn zu ignorieren. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, seine Zähne aufeinandergepresst, als er all seine Wut in einen vernichtenden Blick legte.

»Schon gut, schon gut.« Jason hob beschwichtigend die Hände. »Ich bin Schüler hier, wohne hier und das hier ist mein Zimmer.«

Philip schüttelte den Kopf. »Nein, das ist mein Zimmer«, sagte er bestimmt.

Jason lachte wieder nur. »Na dann, so ein Pech aber auch. Wenn das dein Zimmer ist, dann hab ich mich wohl geirrt.« Er stand auf. »Außer …« Er ging rückwärts durch das Zimmer, bis er an das Bett gegenüber stieß, wedelte theatralisch mit den Armen, ließ einen Schrei los und ließ sich darauf fallen. »Na, das gibt’s ja nicht! So ein Zufall aber auch. Hier ist ja noch ein zweites Bett!« Er richtete sich wieder auf und grinste Philip an. »Dann nehm ich das.«

Philip schüttelte wieder den Kopf. »Schwester Clara hat gesagt, ich bin allein. Von einem Mitbewohner war nie die Rede!«

»Ja, das war auch eigentlich gar nicht so geplant. Ich habe aber gerade mit der Schwester gesprochen. Mein bisheriger Mitbewohner ist ein Vollidiot, ein Langweiler und ein verdammtes Arschloch. Mit dem halte ich es nicht mehr länger aus. Also hab ich gefragt, ob noch ein anderer Platz frei ist. Und Schwester Clara — Engel, der sie ist — hat mich direkt hierher geschickt.«

Philip runzelte die Stirn und betrachtete Jason verwundert. Er überlegte.

»Ich bin auch ein Langweiler«, sagte er.

Jason lachte. »Na, du wirkst bisher auch nicht gerade wie eine Spaßkanone. Aber das wird schon, das treib ich dir aus.« Er zwinkerte Philip zu. »Du bist ja noch neu, Frischfleisch lässt sich formen.«

»Ich wäre, ehrlich gesagt, lieber alleine.«

»Und ich wäre lieber in einem Zimmer mit einer heißen Blondine. Und was habe ich bekommen —« Er musterte Philip von oben bis unten. Philip blickte an sich herab, betrachtete seine zerrissene Jeans, sein verblichenes altes Hemd, und trat einen Schritt zurück. Jason prustete los.

»Schon gut, Junge. Du bist zwar kein Model und auch keine Spaßkanone, aber lass es uns einfach mal zusammen ausprobieren. Wie du weißt, ist das Leben nun mal kein Bonbon. Und wenn es eines wäre, dann würde es sicher nicht schmecken.« Er grinste Philip an. »Manchmal muss man einfach mit dem leben, was man bekommt. Und, na ja, ich habe einen mageren Typen in Second-hand-Kleidung vom letzten Jahrhundert bekommen und du — du hast mich!« Er hob die Hände und zeigte mit seinen Daumen auf sich selbst. »Da machst du wohl das bessere Geschäft.«

Philip funkelte ihn an. Jason stand wieder auf und ging auf ihn zu.

»Lass es uns nochmal von vorne versuchen. Hallo!« Er streckte ihm erneut die Hand entgegen. »Ich bin Jason. Und du?«

Philip starrte kurz auf die Hand, dann hob er zögernd seine eigene und schüttelte sie. »Philip«, sagte er nur.

»Schön, dich kennenzulernen, Philip«, antwortete Jason, drehte sich weg und ging zum Fenster. »Was für eine Aussicht!«, seufzte er verträumt. »Alte Gebäude, eine lärmende Straße und mehr Dreck in der Luft als auf dem Boden. So lässt sich das Leben genießen!« Er wandte sich wieder zu Philip um und zwinkerte ihm zu. »Also, da das jetzt geklärt ist, hole ich mal meine Sachen. Machen wir es uns ein bisschen gemütlich.« Ohne einen weiteren Kommentar verließ er das Zimmer.

Es war plötzlich sehr still. Philip stand erst einmal nur verdutzt neben seinem Bett, die Bettdecke immer noch auf dem Boden. Er fühlte sich, als wäre er von einer Lokomotive überrollt worden. Mit Waggons. Hastig schüttelte er die Bettdecke, hob sie auf und legte sie wieder auf das Bett. Anschließend ging er zu seiner Tasche und begann, sie auszuräumen. Die wenigen Sachen, die er in seinen Schrank packte, ließen diesen allerdings nicht wirklich voller aussehen als zuvor. Da er dafür nur wenige Minuten benötigte und danach nicht wusste, was er mit sich anfangen sollte, holte er das alte, vergilbte und sichtbar gebrauchte Buch Harry Potter und der Stein der Weisen, das er immer mit sich herumtrug, aus seiner Tasche, setzte sich auf sein Bett und begann zu lesen. Er kam nicht weit, da öffnete sich die Tür erneut und Jason stolperte wieder herein. In seinen Händen trug er eine riesige, graue Tasche, die er auf sein Bett fallen ließ und öffnete.

»So, bin wieder da, mein Freund. Ich hoffe, du hast mich nicht zu sehr vermisst.« Er sah zu Philip, betrachtete neugierig das Buch in seiner Hand und hielt dann inne. »Harry Potter? In einer Zauberschule? Dein Ernst?«

»Problem damit?«, fragte Philip.

Jason hob beschwichtigend seine Hände. »Nein, nein. Gar nicht. Ruhig, Brauner.« Er machte sich wieder an seiner Tasche zu schaffen. »Mach du nur, was du willst. Und wenn du Alice im Wunderland liest, dann soll es mir nur recht sein. Solange ich es nicht lesen muss.«

Philip konnte sich nicht mehr auf sein Buch konzentrieren, weil Jason den Raum in Beschlag nahm und daran auch keinen Zweifel ließ. Er packte mehrere T-Shirts, Boxershorts, Socken und Hosen geräuschvoll aus und warf sie lässig in seinen Schrank. Es waren auch nicht sehr viele, sein Schrank wirkte jedoch bedeutend voller als Philips. Als Letztes griff Jason vorsichtig in seine Tasche und nahm einen kleinen Gegenstand daraus hervor. Philip konnte nicht erkennen, worum es sich handelte, es musste allerdings sehr zerbrechlich sein, so behutsam, wie Jason damit umging. Der schielte zu ihm herüber. Er lächelte, sein Gesicht zierte jedoch nicht das verschmitzte Grinsen, das Philip bisher von ihm kannte. Es wirkte geradezu andächtig.

»Das ist das mit Abstand Wertvollste, was ich besitze«, sagte er.

»Was ist es?«

Jason öffnete seine Hände und zeigte Philip, was er dort versteckt hatte. Auf der Handfläche lag ein glatter, glänzender, roter Stein. Philip betrachtete ihn verdutzt.

»Ein Stein?«

Jason blickte ihn entrüstet an. »Ein Stein? Bist du verrückt? Das ist doch nicht irgendein Stein!«

»Was ist denn so besonders an diesem Stein?«, fragte Philip.

Jason lachte. »Was daran besonders ist, fragt er. Oh Mann, oh Mann, oh Mann.« Er ging zu seinem Bett und legte den Stein unter sein Kopfkissen. »Das ist ein Spiritant

Als Philip ihn nur weiter fragend ansah, warf Jason die Hände in die Luft und verdrehte die Augen. »Meine Güte, du hast ja wirklich gar keine Ahnung«, sagte er und setzte sich auf sein Bett. »Ein Spiritant ist ein magischer Stein, der böse Geister abhält. Solange der hier im Raum ist, findet kein Dämon, kein Poltergeist, kein Gespenst und kein anderer bösartiger spiritueller Unterweltler seinen Weg hier herein. Solange der hier ist, sind wir sicher.«

Philip musterte Jason mit hochgezogenen Augenbrauen. Der hielt dem Blick für einige Sekunden stand, dann stand er auf, ging zurück zu seiner Tasche und zog ein großes Stück Papier daraus hervor. Es schien sich um eine Art Poster zu handeln, auch wenn Philip nicht erkennen konnte, was darauf zu sehen war.

»Bringen wir mal ein bisschen Leben in die Bude.« Jason stieg auf sein Bett. Er zog vier Reißnägel aus seiner Tasche und brachte mit ihnen das Poster an der Wand an. Darauf waren mehrere dunkle Personen mit bunten Frisuren abgebildet, die Philip nicht kannte. Jason blickte ihn an, grinste und zwinkerte ihm zu. »Hammer. Findest du nicht?«

Philip nickte und wandte sich dann wieder seinem Buch zu.

»Genug geplaudert, gelesen und dekoriert. Es wird Zeit, dass du dir das Gebäude mal genauer anschaust«, sagte Jason.

Philip hob den Kopf. »Schon gut, das mache ich später.«

Jason lachte. »Später? Nichts, später. Jetzt! Komm schon, lass uns gehen.«

Philip runzelte die Stirn. »Nein, danke. Ich gehe später. Allein.«

»Genau, du, allein, hier. Niemals. Ich habe dich gerade erst als neuen Mitbewohner gewonnen, da lasse ich nicht zu, dass du dich gleich am ersten Tag verläufst.«

»Ich komme schon zurecht.«

»Ach, du. Du bist so unschuldig.« Jason betrachtete ihn mitleidig. »Glaub mir, du brauchst mich. Und guter Mensch, der ich bin, zeige ich Bereitschaft, dir zu helfen! Also schwing deinen Arsch hoch und folge mir.«

Philip zögerte. Er hatte keine Lust darauf, das Zimmer zu verlassen. Er wollte seine Ruhe haben, allein sein und sich sicher fühlen. Mit Jason bekäme er allerdings auch keine Ruhe, wenn er bleiben würde.

»Ich weiß nicht, wofür ich deine Hilfe brauchen soll.« Wieder lachte Jason. »Kleiner, ich will dich nicht beleidigen, aber du bist nicht gerade der harte Typ, der du zu sein vorgibst. Hier in der Magicka wird dir nichts geschenkt. Nicht von den anderen Schülern, nicht von den Lehrern, nicht vom Direktor, nicht einmal von mir. Du musst dich hier zurechtfinden, musst alles und jeden in- und auswendig kennen, musst wissen, was sie tun, bevor sie es tun. Du musst da sein, wo es dir nützt, und dafür musst du erst einmal wissen, wo das ist. Allein findest du das alles nicht heraus, nicht bevor du bei lebendigem Leib gefressen wurdest, von denen da draußen, die dich scheitern sehen wollen. Dein Glück ist es, dass ich schon eine Weile hier bin. Ich kenne jeden Winkel des Gebäudes und ich kenne jeden Bewohner, jeden Schüler und jeden Lehrer, jeden Hausmeister und jede Schwester. Es wäre dumm von dir, mein Wissen nicht für dich zu nutzen. Ich meine, du wirkst auf mich bisher nicht gerade wie die hellste Kerze am Leuchter. Aber das solltest auch du verstehen.«

Philip starrte Jason mit zusammengepressten Lippen an. Er mochte nicht, wie er mit ihm redete. Aber er konnte auch nicht leugnen, dass er recht hatte. Er war der Neue hier, das machte ihn angreifbar. Ein bisschen etwas über die anderen zu erfahren wäre sicher von Vorteil. Er schluckte seinen Zorn hinunter und stand auf. »Gut. Lass uns gehen.« Ohne einen weiteren Kommentar trat er zur Tür.

Jason sah ihn verdutzt an. »Oh, okay. Doch so schnell. Gut, warte, ich komme!« Er sprang auf und hetzte Philip hinterher.

 

Kapitel 4: Magicka

 

Philip war schon fast um die Ecke verschwunden, als er hörte, wie Jason hinter sich die Tür schloss. »Kleiner, warte! Du willst dich ja wohl nicht direkt am ersten Tag verlaufen.« Philip blieb stehen und sah, wie Jason auf ihn zukam. »Wir gehen erst mal runter, in den Gemeinschaftsraum. Der ist im zweiten Stock. Im dritten Stock gibt es eigentlich nichts zu sehen, da sind nur die gleichen verkackten Räume wie hier oben auch. Schlafräume. Im zweiten Stock sind außerdem die Bibliothek und Unterrichtsräume, genauso wie im Keller.«

»Und der erste Stock?«

»Da ist der große Speisesaal und der Eingangsbereich.« Philip nickte.

»Wir können auch noch hoch aufs Dach. Dort findet der Astrologie-Unterricht statt. Und man hat eine geile Aussicht. Die ganze Stadt. Das ist vor allem nachts der Hammer, wenn es überall leuchtet. Beinahe magisch.« Er lachte und zwinkerte Philip zu.

Am Treppenhaus angekommen öffnete Jason die Tür und stürmte durch, Philip dicht auf seinen Fersen. Jason zögerte nicht und hüpfte die Treppe hinunter, zwei Stufen auf einmal nehmend. Philip musste sich bemühen, um mithalten zu können. Im zweiten Stockwerk führte Jason ihn zu einem großen Saal, in den durch riesige Fenster helles Tageslicht strömte. An den Wänden hingen Bilder, auf denen Personen in merkwürdigen Aufmachungen zu sehen waren. Dazwischen standen vereinzelt Regale, gefüllt mit den merkwürdigsten Gegenständen. Im Raum verteilte sich ein großes Sammelsurium an Stühlen, Sesseln, Tischen, Bänken und Sofas. An einigen davon saßen junge Leute ihres Alters, die schrieben, lasen oder sich einfach unterhielten. Keiner schien die beiden zu bemerken, zumindest ignorierten sie alle. Philip ging auf ein Bild an der Wand in der Nähe zu. Es zeigte einen alten Mann mit langem, weißem Bart und Brille, der freundlich lächelte.

»Wer ist das?«, fragte er.

»Keine Ahnung.« Jason hob die Schultern. »Irgendein Typ, der irgendwann mal irgendetwas Magisches getan hat, vermute ich.«

Philip studierte das Bild genauer.

»Ein ganz normales Bild. Keine Bewegung«, murmelte er, mehr zu sich selbst als zu sonst jemandem. Hinter ihm lachte Jason.

»Du bist hier nicht in Hogwarts, Kleiner. Sich bewegende Bilder hast du höchstens im Fernseher.«

Philip funkelte ihn nur mit kalten Augen an und ging dann weiter in den Raum hinein. An einem Tisch in der Nähe saßen ein Junge und ein Mädchen, die beide Philip musterten. Er wandte den Blick ab und ging in eine andere Richtung. Jason folgte ihm.

»Das sind Alex und Sabine. Die sind in Ordnung, nur ein bisschen langweilig.«

Philip beachtete das nicht und ging durch den Raum.

»Was ist das für ein Raum?«, fragte er.

»Das ist der Gemeinschaftsraum. Der ist natürlich für die Gemeinschaft.«

Philip verdrehte die Augen.

»Wenn du genug von deinem Zimmer hast, wenn du andere Leute kennenlernen willst oder einen Platz zum Lesen, Reden oder sonst irgendwie die Zeit vertreiben brauchst — dann bist du hier genau richtig. Glaub mir, es wird irgendwann langweilig, nur vom Zimmer zum Speisesaal und zum Unterricht zu gehen. Da brauchst du irgendwann Abwechslung.«

Philip beobachtete eine Gruppe von Schülern, die gerade von der Treppe aus hereinkam und sich an einen Tisch setzte.

»Ach, und zum Lernen. Wenn du nicht gerade in der Bibliothek bist, dann lernst du am besten hier. Ist zwar nicht gerade der ruhigste Ort, aber dafür hast du immer jemanden, von dem du die Antworten abschreiben kannst.«

Jason setzte sich mit einem gekonnten Sprung auf einen Tisch. »Nach dem Abendessen sind eigentlich alle hier. Vor allem am Wochenende kann es dann schon mal ausarten. Nichts geht über eine schöne Party im Gemeinschaftsraum.«

Die Gruppe, die gerade hereingekommen war, hatte es sich gemütlich gemacht. Sie redeten wild durcheinander und lachten immer wieder laut auf. Philip beobachtete sie eine Weile, dann wandte er sich Jason zu.

»Gut. Gemeinschaftsraum. Was als Nächstes?«

»Da ist aber jemand ungeduldig.« Jason lächelte. »Ganz ruhig. Was willst du denn als Nächstes sehen?«

»Du hast was von einer Bibliothek erzählt.«

»Ja, die ist auch hier auf dem Stock. Sollen wir uns die verstaubten Bücher mal ansehen?«

Philip blickte sich im Raum um. »Wo lang?«

Jason sprang vom Tisch. Er zeigte auf eine Tür an der anderen Seite des Raums. »Da drüben.« Philip ging in die von Jason gewiesene Richtung.

»Aber Kleiner, in der Bibliothek kannst du nicht so gesprächig sein wie sonst immer. Halt dich im Zaum, sonst werden wir noch rausgeschmissen!« Philip verdrehte die Augen, wandte sich ab und ging weiter. »Genau das mein ich«, murmelte Jason und folgte ihm.

 

***

 

Philip lief mit großen Schritten durch den Raum zur Tür in die Bibliothek. Im Rücken hörte er Jason, der sich beeilte, ihm zu folgen. Einige der anderen, die an den Tischen saßen, beobachteten ihn argwöhnisch. Er ließ sich davon nicht verunsichern und ignorierte ihre irritierten Blicke. Die Tür führte in einen dunklen, fensterlosen Gang. An den Wänden hingen Bilder, an der Decke Lampen, die schwaches Licht ausstrahlten. Philip zögerte. Etwas hielt ihn zurück. Was genau es war, konnte er nicht erklären, aber es erzeugte ein merkwürdiges Unbehagen in seiner Magengegend. Jason tippte ihm auf die Schulter.

»Alles klar bei dir?«

Philip zuckte zusammen. Er starrte Jason mit großen Augen an.

Bei dem Anblick lachte der laut auf.

»Sorry, Kleiner, wollte dich nicht erschrecken.« Er schlug ihm erneut auf die Schulter und zeigte den Gang entlang.

»Da vorne, die große Tür, die führt in die Bibliothek.«

Als sich Philip nicht rührte, zog Jason die Augenbrauen zusammen. »Was ist denn mit dir los?«

Philip kniff die Augen zu und schüttelte sich. »Nichts. Alles gut.« Jason musterte ihn ungläubig. Philip versuchte, das zu ignorieren, atmete tief aus und ging weiter. Sie passierten eine große, schwarze Holztür. Er beachtete Jasons Blick nicht, den er in seinem Nacken spürte. Sie standen in einer großen Halle, deren Decke weit über ihren Köpfen schwebte. In der Halle reihten sich zahlreiche Regalreihen aneinander, von unten bis oben mit Büchern vollgestopft. Philip spähte nach links und rechts und staunte darüber, wie weit die Regalreihen reichten. Die Halle wirkte größer, als sie hätte sein dürfen, größer als es das Gebäude hergab. Er starrte an dem Regal, das vor ihnen stand, entlang und machte weit entfernt das Ende aus. Die gegenüberliegende Wand konnte er kaum erkennen. Nach ein paar Sekunden bemerkte er, dass sein Mund offenstand. Er schloss ihn und linste unsicher zu Jason, in der Hoffnung, dass er das nicht gesehen hatte. Jason lächelte ihn an, sagte aber nichts. Philip dankte ihm still dafür.

Nachdem die Begeisterung sich gelegt hatte, spürte Philip erneut das ungute Gefühl in der Magengegend. Hier in der Bibliothek verstärkte es sich noch und ihm wurde ein bisschen schlecht. Er konnte nicht sagen, ob er sich das nur einbildete, aber an seine Ohren drang ein leichtes, bedrückendes Summen. Es tönte konstant und monoton und machte ihm mehr Angst, als er zugeben wollte.

»Hörst du das auch!«, fragte er Jason.

»Was?«

»Das Summen.«

»Welches Summen?«

Jason starrte ihn ahnungslos an. Er hörte es also nicht. Vielleicht nur eine Einbildung, dachte Philip. »Egal. Da war … etwas.«

»Ist wirklich alles klar bei dir?«

»Ja, alles …«

»Psst!« Philip und Jason zuckten zusammen. Sie drehten sich um und blickten direkt zu einer Rezeption, die Philip beim Hereinkommen gar nicht bemerkt hatte. Dahinter saß eine ältere, dürre Frau, die die beiden mit strengem Blick ansah. Sie zeigte auf ein Schild, auf dem Ruhezone! Keine Gespräche in der Bibliothek! stand. Philip hob entschuldigend die Hände. Jason zuckte mit den Schultern und zeigte dann den Gang entlang. Philip ging voraus. Am Ende des Ganges angekommen drehte er sich zu Jason um.

»Das war Frau Demme. Bibliothekarin. Geh’ ihr lieber aus dem Weg, sie ist nicht gerade sehr verständnisvoll. Für sie gibt es nur die Bücher. Wenn es hier drin brennen würde und sie müsste sich entscheiden, entweder dich zu retten oder so viele Bücher wie möglich, dann hoffe, dass du irgendwo einen Eimer Wasser findest.«

Philip antwortete nicht. Das Summen wurde mit jedem Schritt stärker. Es dröhnte in seinen Ohren und brachte seinen Kopf zum Vibrieren. Er kniff die Augen zusammen.

»Was ist los?« Jasons Stimme wirkte besorgt. Philip antwortete nicht.

»Phil? Alles klar?« Jason berührte Philip an der Schulter. Der öffnete schlagartig seine Augen und starrte ihn an, blanke Angst im Gesicht. Jason zuckte zurück.

»Alter, was ist los? Was ist verdammt nochmal los mit dir?«

Philip zitterte, er schwitzte und blickte sich hektisch um.

»Es ist stärker hier.«

»Was ist stärker hier?«

Philip antwortet nicht und ging die Wand entlang.

»Was ist stärker hier?«, wiederholte Jason und folgte ihm.

»Weiß nicht«, zischte Philip. Er wusste es wirklich nicht. Nicht das Summen selbst beunruhigte ihn so. Er fühlte einfach, dass hier etwas nicht stimmte.

»Kleiner, du machst mir Angst.«

Das Summen schwoll Schritt für Schritt an und mit ihm auch das ungute Gefühl, dass sich immer mehr in Angst verwandelte. Er hatte beinahe das Gefühl, sein Kopf würde platzen, dann stand er vor einer schmalen, hölzernen Tür. Das Gefühl, das ungute, beängstigende Gefühl, es kam von da drin. Hinter der Tür verbarg sich etwas, das Philip nicht sehen wollte, aber musste. Etwas Starkes, Gefährliches, etwas Schreckliches, etwas Mächtiges. Worum auch immer es sich handelte, er musste es wissen. Langsam, wie in Trance, ging er auf die Tür zu. Er hob seine Hand und wollte gerade die Klinke berühren, da kreischte eine Stimme hinter ihm. »Was zur Hölle treibt ihr hier?«

Philip wirbelte herum. Vor ihm stand die Bibliothekarin. Er sah sie nur mit großen Augen an. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, die sich bei jedem ihrer schweren Atemzüge hob und wieder senkte. Ihr Kopf pochte dunkelrot vor Zorn, ihre Augen schienen Feuer zu speien.

»Ihr macht hier ein Theater, die anderen Schüler können sich nicht mehr konzentrieren, so wie ihr hier rumschreit.«

Philip schluckte und nahm all seinen Mut zusammen. »Was ist hinter der Tür?«, fragte er. Das schien Frau Demme nur noch wütender zu machen.

»Was hinter der …? Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Es geht euch Schüler nichts an, was hier oder irgendwo anders in der Schule ist. Hört auf, hier rumzuschnüffeln und verschwindet! Alles hinter dieser Tür ist Schuleigentum und ihr habt hier nichts verloren.«

»Na ja«, sagte Jason. »Das ist hier immerhin die Bibliothek, genau genommen haben wir Schüler hier schon etwas verloren.«

Das brachte die Bibliothekarin zum Platzen. Ihr Kopf färbte sich, wenn das überhaupt möglich war, noch dunkler. An ihrem Hals pulsierte eine Ader, als würde sie jeden Moment explodieren und die kleine, dürre Frau baute sich auf und wirkte plötzlich wie ein bulliger Riese.

»Raus. Ihr beide. Raus hier.« Sie bemühte sich sehr, ruhig zu bleiben. Philip eilte ohne ein weiteres Wort den Gang entlang zum Ausgang und drehte sich erst um, als er das Treppenhaus erreichte. Jason drückte sich an Frau Demme vorbei und folgte ihm hastig, huschte hinter ihm durch die Tür und sah ihn mit großen Augen an.

»Was war denn da los?«

Philip sagte nichts. Das Summen, der Raum und das, was darin verborgen lag, machten ihm Angst. Alles machte ihm Angst. »Irgendetwas ist in dem Raum.«

»Ja nee, danke für die Info.« Jason schüttelte verdutzt lächelnd den Kopf. »Das habe ich auch bemerkt. Aber warum wolltest du da unbedingt rein? Und was für ein Problem hatte die Demme damit?«

Philip überlegte. »Ich weiß es nicht. Da muss etwas drin sein, das wir nicht sehen dürfen. Etwas Starkes.«

»Etwas Starkes? Willst du mich verarschen? Die haben sicher nichts Starkes in der kleinen Kammer hinter der Bibliothek versteckt, wo jederzeit ein Schüler drüber stolpern könnte.«

Er hatte recht. Wenn das Ding, das er dort drin spürte, wirklich so stark und gefährlich war, wie er es fühlte, dann wäre es an einem anderen Ort besser geschützt.

»Irgendetwas war da.«

»Und woher weißt du das?«

»Ich habe es gespürt.«

»Du hast es gespürt?« Jason starrte ihn an. Philip starrte zurück. »Was hast du gespürt?«

»Da war dieses Summen. Und diese … ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Es hat sich stark angefühlt.«

»Kleiner, ich weiß nicht, was mit dir da drin los war, aber ich hab einen Scheiß gespürt. Kein Summen, kein Brummen und kein sonst was.«

Philip sah ihm direkt in die Augen. »Da war etwas«, flüsterte er nur.

»Vielleicht hast du ja auch einfach nur Blähungen.«

Philip starrte ihn an. Dann lachte er auf. Jason hatte damit offenbar nicht gerechnet und zuckte zusammen, bevor er mit lachte. »Blähungen«, grinste Philip. »Ach, fick dich.«

Jason rieb sich die Tränen aus den Augen, dann klopfte er ihm auf die Schulter. »Schon gut, Kleiner.« Sie lächelten sich an. Philip spürte ein warmes Gefühl in der Magengegend, löste seinen Blick und drehte sich zur Tür gegenüber.

»Wo geht es da hin?«

»Hast du jetzt dein Summen schon vergessen, oder was?«

»Ich weiß nicht, was es war. Es macht mir Angst. Aber das bringt jetzt auch nichts. Zeig mir einfach die Dinge, die ich wissen muss.«

»Vernünftig«, befand Jason. »Da lang geht es zu den Unterrichtsräumen. Die restlichen sind im Keller, im ersten Stock gibt es noch den Speisesaal.«

»Gut.« Philip setzte sich in Bewegung, ohne auf Jason zu warten. Er eilte in Richtung der Tür, die zu den Unterrichtsräumen führte. Sie unterschieden sich nicht von den Räumen, wie sie Philip auch aus seiner alten Schule kannte. Der Speisesaal beeindruckte ihn mehr, schon aufgrund seiner schieren Größe. Er stand noch leer, aber zumindest wusste Philip jetzt, wo er am Abend zum Essen hin musste. Als sie wieder im Treppenhaus ankamen, fiel Philip etwas ein.

»Du hast vorhin von einem Dach gesprochen.«

Jason nickte. »Ja, da ist Astrologie. Aber lass uns das lieber später machen, nach dem Abendessen. Es lohnt sich, abends hoch zu gehen. Der Ausblick im Dunkeln ist gigantisch.«

»Okay«, Philip fasste sich an die Schläfe und versuchte, seine Müdigkeit zu verbergen. »Sonst noch was?«

»Nee, das war eigentlich alles. Wir könnten jetzt noch ein bisschen in den Gemeinschaftsraum, bis es Essen gibt.«

»Kannst du. Ich geh aufs Zimmer.«

»Was willst du denn auf dem Zimmer?«

»Lesen.«

»Mein Gott, Kleiner. Lesen kannste, wenn du alt bist.« Philip sagte nichts und ging die Treppe hinauf.

»Schon klar. Dann geh lesen. Wir sehen uns später!«, rief ihm Jason hinterher. Er folgte ihm die Treppe hoch und bog im zweiten Stock Richtung Gemeinschaftsraum ab. Philip ging zurück in das Zimmer, wo er sich auf das Bett warf. Er nahm sich das Buch, ließ es aber geschlossen. Der Vorfall in der Bibliothek ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Das Summen, dieses Etwas, das ihm so große Angst machte. Er würde herausfinden müssen, was es war. Aber nicht mehr heute. Die Bibliothekarin hatte ihn genau im Blick, wenn er nochmal auftauchte, das spürte er. Er musste warten. Er versuchte, die Gedanken so gut es ging aus seinem Kopf zu vertreiben, schlug das Buch auf und begann zu lesen. Es würde noch genug Zeit geben, das Rätsel zu lösen.

 

***

 

Philip lag auf seinem Bett. Er schreckte zurück, als es klopfte. Es vergingen einige Sekunden, dann antwortete er. »Ja?« Die Tür ging auf und Schwester Clara kam herein. Sie lächelte ihn an.

»Hallo Philip. Hast du dich schon gut eingelebt?«

»Ja«, antwortete er.

»Sehr schön. Ah, du liest. Liest du schon den ganzen Nachmittag?«

»Ja«, sagte er erneut.

Die Schwester lächelte ihn weiter an. »Schön. Gut, es ist Essenszeit. Ich zeige dir den Speisesaal.«

Philip starrte sie ungläubig an. Er hatte nicht auf die Uhr gesehen und drehte sich überrascht zu ihr um, bemerkte, wie schnell die Zeit vorbeigeflogen war. »Oh«, sagte er und legte das Buch zur Seite.

»Gut, du kannst dich umziehen, dann zeige ich dir den Weg.«

»Ich weiß, wo der Speisesaal ist«, sagte Philip.

»Ach, das weißt du schon? Hast du dich schon umgesehen

»Jason hat mir alles gezeigt.«

Die Schwester runzelte die Stirn. »Jason?«

»Mein Mitbewohner.« Er zeigte auf das Bett gegenüber. Die Schwester begutachtete das Bett, dann wieder Philip, dann wieder das Bett. Sie drehte ihm den Kopf zu.

»Dein Mitbewohner?«, fragte sie ungläubig.

Philip musterte sie irritiert. »Ja, mein Mitbewohner.«

»Aber … du solltest doch alleine im Zimmer sein«, sagte sie.

Nun war es an Philip, ungläubig zu schauen. »Ja, das hatten Sie mir auch gesagt. Kurz nachdem Sie gegangen sind, ist dann Jason gekommen und meinte, dass sie ihn hierhergeschickt hätten, weil er ein neues Zimmer gesucht hat.«

Schwester Clara zog ihre Augenbrauen zusammen. »Ach so … ja, stimmt. Den Jason meinst du.«

»Also kennen sie ihn?«

»Ja, natürlich. Er war gerade erst bei mir. Jetzt mach dich bereit! Den Speisesaal findest du, hast du gesagt? Dann ist ja alles super!« Sie lächelte ihn mit einem Blick an, der wohl zuversichtlich sein sollte, ihn aber nur verunsicherte.

»Was ist los?«, fragte er.

»Nichts, nichts, alles gut. Ziehe dich lieber um und beeil dich, das Essen geht bald los.« Sie drehte sich um und verließ, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, das Zimmer. Philip sah ihr hinterher, dann blickte er an sich herab. Warum er sich umziehen sollte, das wusste er nicht. Er entschied sich, einfach so zu gehen, wie er gekleidet war. Als er aufstand, sprang die Tür erneut auf. Jason kam hereingestürmt und warf sich auf sein Bett. »Kleiner, mach dich bereit, Essenszeit.«

Philip beäugte ihn argwöhnisch. Er dachte über die merkwürdige Reaktion der Schwester nach, als er ihn erwähnt hatte.

»Los, zieh dich um«, frohlockte Jason. Philip sah erneut an sich herab.

»Ich bin fertig«, murmelte er verdutzt.

»Du willst so gehen?« Jason zog eine Augenbraue hoch.

Philip betrachtete Jasons Jeansjacke und Wollmütze genauer. »Ziehst du dich noch um?«

»Ich? Warum sollte ich mich noch umziehen? Ich bin ja wohl edler gekleidet als der Adel!« Jason sprang auf und verbeugte sich vor Philip. »Mein Herr, gestatten Sie mir, Sie zum Ballsaal zu begleiten

»Verpiss dich«, zischte Philip und ging zur Tür.

»Oho, was ist denn das für ein Umgangston, mein Freund.« Auf dem Weg erzählte ihm Jason verschiedene Geschichten über das tolle Essen hier in der Schule, von Festen und Feiern, von Weihnachten und dem Jahresabschluss. Philip selbst sagte kein Wort, er ging einfach still neben Jason her und hörte ihm nur mit einem Ohr zu. Seine Gedanken wechselten zwischen dem Ding in der Bibliothek und der merkwürdigen Reaktion von Schwester Clara hin und her. Er konnte sich nicht auf die schnell gesprochenen Geschichten von Jason konzentrieren. Seine Gedanken verflogen jedoch vollkommen, als sie den Speisesaal betraten.

 

***

 

Die große, leere, düstere Halle, die sie heute Nachmittag angesehen hatten, war kaum wiederzuerkennen. Helles Licht beleuchtete sie, obwohl Philip nirgends Lampen erkennen konnte. Die Tische bedeckten alle erdenklichen Speisen, von denen sich Schüler aller Altersklassen bedienten. Philip stand mit offenem Mund da und beobachtete, wie Tabletts voller Essen durch den Gang schwebten, obwohl sie von niemandem getragen wurden. Sie flogen auf die Tische zu und nahmen den Platz von leeren Platten ein. Jeder Tisch schien besetzt zu sein, das Stimmengeschwirr der zahlreichen Anwesenden übertönte noch das Klappern des Bestecks und der Teller. Schon der Duft des leckeren Essens ließ Philip das Wasser im Mund zusammenlaufen.

»Komm«, signalisierte Jason. »Da drüben sind noch zwei Plätze frei.« Er zeigte auf einen Tisch, an dem bereits vier Personen saßen. Philip zögerte kurz, dann ging er Jason hinterher. Als sie am Tisch ankamen, starrten alle vier Gesichter Philip mit müden Augen an.

»Hallo Freunde«, säuselte Jason. »Das ist Philip, der Neue hier. Das sind Max, Tobi, Xavier und Sandra.«

»Hi«, brummte Philip.

»Hi« grunzten die anderen zurück. Max, ein dürrer, kleiner Kerl mit Brille, lächelte Philip zu. Tobi war groß, hatte blonde Haare und starrte Philip gleichgültig an. Noch größer und ziemlich dick saß Xavier neben ihm und begrüßte Philip als einziger nicht. Sandra blickte kurz auf und nickte, wandte sich dann aber wieder ihrem Essen zu und ignorierte ihn. An dem schlanken blonden Mädchen fielen Philip die intensiv-grünen Augen auf, als sie ihn kurz anblickte. Obwohl sie eigentlich sehr hübsch hätte sein müssen, wirkte sie irgendwie abstoßend auf ihn. Er konnte nicht sagen, warum, er fühlte einfach irgendetwas. So wie in der Bibliothek, nur ganz anders.

Jason schwang sich auf die Bank, Philip stieg auf den Platz neben ihm.

»Na Leute, was geht bei euch? Alles klar soweit? Gibt es was Neues?«, fragte Jason.

Max antwortete ihm, was Philip nicht überraschte. »Nichts Neues. Das Essen war super. Und du bist?«, fragte er, an Philip gewandt.

»Philip«, brummte er und erwiderte Max’ Blick unsicher. »Wie Jason schon gesagt hat.«

»Ah, Philip. Wie Jason schon gesagt hat.« Max lächelte immer noch. Er schien nicht wirklich nett zu sein, doch auch ihn konnte Philip nicht richtig einschätzen. Sie alle strahlten etwas Verunsicherndes aus. Vielleicht, weil sie Magier waren. Vielleicht waren Magier einfach nicht normal. So wie er.

»Bist du neu hier?«, fragte Max.

»Ja.« Philips Herz raste und er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Irgendetwas an Max beunruhigte ihn zutiefst.

»Na dann, viel Glück.« Er lächelte weiter.

»Ich bin fertig«, ertönte Tobis tiefe Stimme. Er stand auf. Xavier tat es ihm gleich, Sandra nahm noch einen letzten Bissen und schloss sich den anderen an.

»Gut«, säuselte Max, ein verschmitztes Lächeln auf dem Gesicht. »Dann, Philip, wie Jason schon gesagt hat. Wir sehen uns morgen, denke ich.« Er stand auf, klopfte zum Abschied auf den Tisch und ging den anderen hinterher, die die Tür schon fast erreicht hatten. »Bis dann.«

»Na, das war mal ein kurzes Gespräch«, befand Jason und lud sich den Teller voll.

»Was stimmt denn mit denen nicht?«, fragte Philip.

»Ach, so sind sie halt, so sind alle hier. Alle bescheuert, keiner normal. Magier, nehme ich an. Keiner, der zaubern kann, ist noch ganz richtig im Kopf. Da haben alle einen an der Klatsche.«

»Alle?«

»Na ja, vielleicht nicht alle. Ein paar sind schon in Ordnung. Du musst nur wissen, wie du mit ihnen umgehen musst. Aber normal? Normal ist hier wirklich niemand. Okay, außer mir vielleicht.«

Philip zog eine Augenbraue hoch.

»Du? Normal?«

»Ja, ich, normal. Für dich vielleicht nicht, aber für mich bin ich das Normalste auf der Welt«, sagte Jason mit vollem Mund. »Und jetzt greif zu. Das Essen hier ist der Hammer.«

Philip betrachtete das ganze Essen, das auf dem Tisch stand.

Hähnchenschenkel, gebratene Kartoffeln, Steak, Nudelauflauf, sogar Sushi und vieles mehr. Alles, was Philip jemals gegessen hatte, alles was er kannte, fand er. Wenn nicht bei ihnen, dann auf einem Nachbartisch. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen und sein Magen knurrte. Er aß mehr, als ihm gut tat, mehr, als eigentlich in ihn hineinpassen sollte. Jason neben ihm schien ihn jedoch um Welten zu schlagen. Er schaffte es trotzdem, zwischen den Bissen von Schülern, Lehrern und dem Leben hier an der Schule zu erzählen.

Philip hörte ihm gespannt zu, lachte, wenn Jason einen der Lehrer nachmachte, und versuchte, sich alles zu merken. Es konnte nur ein Vorteil sein, so viel wie möglich zu wissen, bevor es losging. Und die Lehrer interessierten ihn wirklich brennend, genauso wie der Unterricht. Jason erzählte ihm davon, wie sie lernten, Dinge schweben zu lassen. Wie sie lernten, sich von einem Ort an den anderen zu teleportieren, Dinge zu verwandeln, Feuer zu schießen und vieles mehr. Philip wollte sofort anfangen, er konnte kaum den nächsten Morgen abwarten, wenn er endlich seinen Stundenplan bekommen würde und der Unterricht begann. Er wollte lernen, er wollte zaubern. Er wollte endlich das sein, was er sein ganzes Leben nicht hatte sein dürfen.

Sie blieben eine ganze Weile im Speisesaal, während sich um sie herum die Plätze leerten. Philip lachte so viel wie lange nicht mehr. So viel hatte er nicht mehr gelacht, seit seine Eltern gestorben waren. Seit seinem zehnten Geburtstag. Beim Gedanken daran wurde ihm schlecht.

»Alles klar, Kleiner?«, fragte Jason.

»Ja, alles gut. Habe ein bisschen zu viel gegessen.«

»Oh, ja, das kenn ich. Ging mir am Anfang auch immer so. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, mein eigenes Körpergewicht zu verputzen.«

 

***

 

Philip lächelte Jason an. »Gehen wir?«

»Ja, können wir.« Jason stand auf. Er ging zur Tür, Philip folgte ihm.

»Dann würde ich sagen, wir gehen in den Gemeinschaftsraum, zu den Anderen.« Philip dachte an Max, Tobi, Xavier und Sandra. Wie sie ihn angesehen hatten, wie kalt sie ihm gegenüber waren.

»Nein«, sagte er. »Lass uns hoch auf das Dach.«

Jason lächelte. »Wenn du meinst, Kleiner. Dann lass uns hoch gehen.«

Sie erreichten das Treppenhaus und stiegen die Stufen nach oben. »Mach dich bereit für Magie, Kleiner. Keine Zauberei, keine Hexerei, kein merkwürdiges Energie-herauf-beschwören. Einfache, echte, pure Magie.«

Philip sah ihn mit großen Augen an.

»Was meinst du?«

»Da oben. Das Dach. Du lernst hier so viel geilen Scheiß, von dem du immer geträumt, oder nie auch nur zu träumen gewagt hast. Dinge, die unglaublich sind, die so verrückt sind, dass sie eigentlich gar nicht wahr sein können. Aber das alles ist nichts gegen das, was dir die Aussicht da oben gibt. Das ist Magie, Kleiner.«

Philip runzelte die Stirn.

»Es ist ein Dach, oder?«, lachte er.

»Es ist nicht einfach nur ein Dach.« Jason schüttelte den Kopf. »Es ist mehr als das. Es ist Freiheit, es ist Leben. Nun ja, es ist … magisch.« Jason sah ihn vielsagend an. Philip dachte kurz darüber nach, was er gerade gehört hatte. Dann prustete er los.

»Genau. Was ist denn das für eine Möchtegern-tiefgründige Scheiße? Wo hast du den Müll ausgegraben?« Er lachte. Jason sah ihn erst überrascht an, dann lachte er mit.

»Es ist ein verdammtes Dach mit Blick über die ganze verdammte Stadt. Da siehst du dort ein paar Häuser, da ein paar Häuser und hinten links noch … ach ja, stimmt. Häuser. Das ist alles kein Weltwunder, das ist einfach nur ein gottverdammtes Dach.«

Jason lächelte und schwieg.

»Freiheit. Leben. Pff. Was sonst noch? Ist es Liebe, ist es Vertrauen, ist es sich einfach mal fallen zu lassen? In was für einem Gute-Laune-Ratgeber hast du den Mist denn gelesen?«

Jason lachte. »Ganz ruhig, Kleiner. Du redest dich ja richtig in Rage.«

Philip lachte. »Es ist keine Rage. Es ist Freiheit, es ist Leben«, sagte er mit einer ernsten Stimme.

Jason lachte laut auf. »Ach fick dich.« grunzte er. »Schon gut, schon gut. Wusste gar nicht, dass du so ein Komiker bist.«

Philip sagte nichts. Er lächelte. Dass er noch heute Morgen im Büro des Direktors gesessen hatte, konnte er gar nicht fassen. Er fühlte sich so zuhause wie noch nie. Hier akzeptierten sie ihn so, wie er war. Auch wenn die anderen alles andere als normal erschienen, das konnte man von ihm schließlich auch nicht behaupten. Und allein der Gedanke daran, dass er sein ganzes Leben lang Recht gehabt hatte, dass er die ganze Zeit zu Unrecht für verrückt gehalten wurde, machte ihn zum glücklichsten Menschen der Welt. Das alles fühlte sich so gut an. Und Jason — der war zwar ein Spinner, aber er begann, ihn zu mögen.

Sie stiegen immer weiter nach oben, am Gemeinschaftsraum und den Schlafräumen vorbei. Als sie dann endlich das Ende der Treppe erreichten, verließ Philip der Atem. Jason lächelte und zeigte ihm an, dass er vorgehen sollte. Philip drückte die Tür auf, ihm kam ein kalter Luftzug entgegen. Er ging durch die Tür und fand sich auf einem flachen Dach wieder, das ein steinernes Geländer umrahmte. Dahinter sah er in der Dunkelheit zahlreiche Lichter. Eigentlich traf der Begriff Dunkelheit nicht zu. Es herrschte zwar Nacht, die Lichter der Stadt leuchteten aber hell und tauchten den Abendhimmel in schwaches Gold. Philip ging zum Geländer und lehnte sich darauf. Er atmete einmal tief durch und schaute hinab, schaute bis zum Horizont. Die Stadt leuchtete hell, überall sah er Häuser, manche ragten über die anderen hinaus und wirkten wie Leuchttürme im Lichtermeer. Er sah kleine Lichter, die wie Ameisen hintereinander eine Straße entlang schwirrten. Von irgendwo ertönte eine Polizeisirene, der Autolärm verstummte nie. Es hupte, es brummte und es kreischte überall. Ein leichter Wind strich ihm über das Gesicht, während er das bunte Treiben unter ihnen beobachtete.

Neben ihm lehnte sich auch Jason auf das Geländer. Er schwieg eine Weile. Sie ließen beide die Eindrücke auf sich wirken, genossen die Geräusche der Stadt.

»Was hab ich gesagt«, brummte Jason neben ihm. Philip sah ihn an. »Wollen wir es mal nicht übertreiben«, sagte er und wandte sich wieder der Stadt zu. Jason schwieg, beobachtete Philip kurz und lächelte dabei, dann sah auch er wieder in das Lichtermeer.

So standen sie einige Minuten da. Schließlich löste sich Philip vom Geländer und ging ein paar Schritte zurück. Jason drehte sich zu ihm um.

»Und, was sagst du?«

»Nicht schlecht.«

»Freiheit? Leben?«, fragte Jason.

»Fick dich.« Philip wandte sich ab. »Lass uns gehen.«

Jason drehte sich um und ging zurück. »Alles klar. Gemeinschaftsraum?«

»Kannst du machen. Ich gehe lieber aufs Zimmer.«

»Du und dein Zimmer, das ist eine tolle Liebesgeschichte.«

Philip lächelte. »War ein langer Tag«, sagte er.

Jason nickte. »Ja. Versteh ich.« Er klopfte Philip auf die Schulter. »Jetzt wo du’s sagst, bin ich eigentlich auch ziemlich müde.« Philip drehte sich noch einmal um und sah auf das Lichtermeer. Er atmete tief durch, sog alle Gerüche der Stadt ein und spürte den Wind auf seinem Gesicht. Dann ging er Jason hinterher.

Auf dem Weg zum Zimmer redeten sie wenig miteinander. Sie liefen einfach schweigend nebeneinander her, jeder in seinen eigenen Gedanken verloren. Im Zimmer angekommen zog sich Philip seinen Schlafanzug an, Jason platzierte seine rote Wollmütze auf dem Nachttisch und zog alles bis auf die Unterhose aus. Sie legten sich in ihre Betten.

»Und«, sagte Jason. »Nervös?«

»Wegen?«, fragte Philip.

»Morgen. Der Unterricht, die Lehrer.«

»Nicht wirklich.«

»Komm schon«, sagte Jason. »Du brauchst vor mir nicht den harten Burschen spielen, ich bin nicht dumm genug, um dir das abzunehmen.«

»Ich bin nicht nervös. Ich hab verdammt nochmal Riesenschiss.«

Jason lachte. »Schon gut, Kleiner. So geht es allen am ersten Tag. Mach dir keinen Kopf, du packst das schon.«

Philip antwortete nicht darauf. Er hatte wirklich Angst vor dem, was auf ihn zukam. Was, wenn sich herausstellte, dass er doch nicht zaubern konnte und der Direktor einem Irrtum unterlag? Was, wenn er sich blamierte? Wenn er mit dem Stoff nicht klar kam? Oder was, wenn er morgen aufwachen würde, um festzustellen, dass alles nur ein Traum gewesen war? Davor hatte er die größte Angst.

»Wenn du Hilfe brauchst, dann frag einfach«, sagte Jason, seine Stimme immer leiser werdend. »Ich bin zwar nicht gerade einer von den Strebern, aber dafür kenn ich hier alle Tricks, um zu bestehen.«

Philip lächelte. »Danke«, sagte er.

»Schon gut. Und jetzt halt deine Schnauze, ich will schlafen. Dein andauerndes Geplapper geht mir auf die Nerven.«

Philip grinste und schloss die Augen. Er hörte, wie Jasons Atem immer langsamer wurde. Es verging eine lange Zeit, bis er endlich einschlafen konnte. Bis dahin starrte er an die Decke und dachte über Vieles nach. Über den Unterricht, über die Bibliothek und das Ding darin, über Max und seine Truppe, über den morgigen Tag. Das alles lag in seiner Zukunft, darauf freute er sich. Er verschwendete keinen Gedanken mehr an seine Vergangenheit. Keine Sekunde dachte er an die Zeit, bevor Direktor Holder den Tisch hatte schweben lassen. Keine Sekunde dachte er an Anna.

 

***

 

Er stand auf dem Dach und sah über die Stadt. Es war Nacht, aber die Dunkelheit um ihn herum wirkte tiefer als alles, was er je gesehen hatte. Es war nicht einfach nur dunkel, es fühlte sich so an, als wäre dort, wo das Licht aufhörte, nichts.

Philip sah sich um. Aus der Dunkelheit kam die dunkle Gestalt auf ihn zu, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Darunter konnte er nichts erkennen. Die Gestalt umkreiste ihn, Philip hielt den Blick genau auf sie gerichtet. Hinter der Gestalt veränderte sich die Dunkelheit. Ein Leuchten breitete sich aus, bis Philip Konturen erkennen konnte. Die Gestalt hob die Arme und gab ein glucksendes Lachen von sich. Philip wich zurück. Das Bild hinter der Gestalt wurde immer deutlicher, bis Philip erkennen konnte, was es ihm zeigte. Er sah die dunkle Holztür in der Bibliothek.

»Was bedeutet das? Was willst du mir damit sagen?«

Die Gestalt zuckte mit den Achseln und ging auf ihn zu. Philip bewegte sich nicht, er starrte der Gestalt entgegen und spannte alle Muskeln an.

»Sag mir endlich, was du von mir willst! Wer bist du?«

Die Gestalt kam immer näher.

»Verschwinde und lass mich endlich in Ruhe!«

Sie stand direkt vor ihm, das Gesicht immer noch verdeckt und legte ihm eine kalte Hand auf die Brust. Voller Entsetzen stellte Philip fest, dass er auf dem Geländer stand. Seine Augen weiteten sich und er wollte einen Schritt nach vorne gehen, da streckte die Gestalt ihren Arm aus und drückte ihn zurück. Philip verlor das Gleichgewicht, seine Füße ihren Stand. Er konnte sich nicht mehr halten und fiel nach hinten. Alles um ihn herum verschwamm. Er fiel, fiel immer tiefer in die Dunkelheit hinein, bis sie ihn vollständig verschluckte.

 

Kapitel 5: Unterricht

 

»Wann geht’s bei dir los?« wollte Jason wissen.

»Weiß noch nicht.«

»Hast du deinen Stundenplan noch nicht?«

»Nee.«

»Oh, okay. Dann kommt die Schwester bestimmt gleich und gibt ihn dir.«

Sie saßen im Speisesaal beim Frühstück. Philip bestrich sich gerade ein Brot mit Butter, Jason las in einer Zeitschrift über Magie einen Artikel mit der Überschrift Magie schafft Liebe: Tipps und Tricks, deinen Schwarm von dir zu überzeugen.

»Was hast du heute?«, fragte Philip.

»Ach, bisschen Gruppenunterricht.«

»Welches Fach? Verteidigung gegen die dunklen Künste? Zauberkunst? Verwandlung?«

Jason lachte. »Kleiner, ich kann es dir nicht oft genug sagen, wir sind hier nicht in Hogwarts.«

»Na ja, immerhin gibt’s hier auch einen Gemeinschaftsraum.«

»Ja, der ist aber nun mal nicht Hogwarts exklusive.«

»Jetzt sag schon, was du hast.«

»Erst Wahrsagen, dann Geschichte der Zauberei bei Professor Binns und wenn der Unterricht vorbei ist, gehe ich zu Hagrid, Felsenkekse essen.«

»Fick dich«, zischte Philip.

Jason lachte.

»Heute Morgen sind Kampfzauber angesagt. Danach ein bisschen Zaubertheorie. Mittags habe ich Alltagszauber.«

»Alltagszauber?«

»Kochen, Putzen, Löcher flicken. Alle mögliche Scheiße, die man im Alltag gebrauchen kann. Langweilig ohne Ende.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783967410976
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Mai)
Schlagworte
Schule übersinnlich Artefakt Zauberei Bibliothek Realität Psychiatrie Albträume Magier Anstalt Urban Fantasy

Autor

  • Markus Bury (Autor:in)

Markus Bury wurde 1994 in der Nähe von Freiburg geboren und wuchs in einem kleinen Dorf im sonnigen Südbaden auf. Nach dem Abitur studierte er Englisch, Geschichte und Politik auf Lehramt an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg. Mit seinem Erstlingswerk Die Magieranstalt debütierte er in der Belletristik. Neben dem Geschichtenschreiben ist er außerdem im Internet als DerMacby unterwegs, unter anderem als Streamer auf der Videoplattform Twitch.
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Titel: Die Magieranstalt