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Spiel der Mächte

Seraphin

von Zara Kent (Autor:in)
332 Seiten
Reihe: Spiel der Mächte, Band 4

Zusammenfassung

Nach Mias Weggang stürzt sich Vince in blutige Kämpfe gegen Dämonen, um seine Wut und den Schmerz zu ersticken. Seine Freunde versuchen erfolglos, ihn auf andere Gedanken zu bringen. Nur Mia kann ihn retten. Als diese aber auftaucht, ist sie nicht mehr die Person, die gegangen ist, nicht die Mia, die er liebt. Sie steht völlig unter Michaels Einfluss und weiß kaum mehr etwas über Vince und ihre gemeinsame Zeit. Der Kampf um Mias Erinnerung und Seele beginnt - und um ihr Herz. Währenddessen beschäftigen Vince auch mysteriöse Angriffe der Schattenwesen. Als neuer Großmeister des Rates muss er nicht nur um die Liebe seines Lebens kämpfen, sondern auch für die Welt und seine Freunde.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1

 

~Vincent~

 

Minuten.

Stunden.

Tage.

Wochen.

Monate.

Ohne Atmen.

Ohne Herzschlag.

Ohne Mia.

Keiner der Engel ist seither auf einer Ratssitzung aufgetaucht. Sie überlassen uns den Unruhen, den Kämpfen. Anfangs bin ich selbst dort nicht aufgetaucht. Ich bin nirgendwo aufgetaucht. Ich tat nichts anderes, als zu trainieren und zu töten. Ich gehe jeden Tag über die Mauer und stürze mich in Kämpfe. Die Wut und die Magie erfüllen mich von Tag zu Tag mehr. Der Rausch betäubt alles Übrige. Finsternis.

Die Bilder jenes Tages dringen in mich ein …

Ich kauerte am Boden, als Eric mich irgendwann an der Schulter berührte. Ich stieß seine Hand weg. Als er es wieder versuchte, gab ich ein tiefes Grollen von mir und stand auf, ging, ohne ihn anzusehen.

Ich gebe ihm die Schuld, dass sie fort ist. Ich gebe Michael die Schuld, ich gebe sogar ihr die Schuld. Doch die größte Schuld gebe ich mir. Wenn ich ihr eher gesagt hätte, was diese Verbindungen machen können … Denn sie sind doch ähnlich wie bei Eric und mir … Ja, vielleicht wäre sie dann nicht gegangen. Wenn ich ihr versichert hätte, dass ich es verstehe, ich weiß, dass sie mich liebt … dass ich sie liebe …

Nein, ich gebe eigentlich Michael die meiste Schuld.

Dieses heuchlerische Flattervieh von Engel.

Beim Hinuntergehen überprüfe ich, ob meine Handschuhe richtig sitzen und mein Dolch nicht im Stiefel verrutschen kann. Die Tür zu meinem Turm quietscht – ich sollte sie ölen lassen, aber es interessiert mich nicht.

Der übliche Besprechungslärm der Wächter dringt aus dem Atrium in die Empfangshalle; die Türen stehen weit auf. Eric und Flynn führen die Besprechung an, stehen vorne auf dem Podium, vor ihnen mindestens zwei Dutzend Wächter. Sie sind für die Nachtpatrouillen vorgesehen.

Doch mir ist es egal. Ich gehe alleine raus. Das mache ich oft, aber nicht immer, je nachdem, wie mir der Sinn steht. Manchmal bin ich auch bei den Besprechungen dabei. Aber oft schwänze ich sie. Erst recht, wenn Eric die Einteilung macht.

Wir sehen uns zwar bei den Ratssitzungen, aber ich ignoriere ihn, sehe ihn kaum an und wechsle nur das nötigste Wort mit ihm. Er leidet darunter, das sehe und fühle ich, genauso aber auch, dass er versucht, seine Emotionen immer mehr vor mir zu verbergen, so wie ich es tue. Die Verbindung besteht auch nicht jede Sekunde, wir müssen sie bewusst nutzen, sie zulassen. Natürlich schwächt es uns, wenn wir uns dagegen sperren, aber im Moment weiß ich nicht anders mit ihm umzugehen. Denn wenn wir alleine wären, würde ich ihn anschreien. Ich würde ihn vielleicht sogar schlagen … immer wieder …

Wieso hat er mich auch aufgehalten?

Die Nachtluft ist warm, dennoch trage ich meine Jacke. Sie bietet mehr Schutz vor den Krallen und Zähnen der Lykaner und Vampyren – oder den Dämonen. Auf die habe ich es heute besonders abgesehen. Ich knöpfe mir hochrangige Dämonen vor und werde die Macht meines Dolches endgültig testen. Denn wenn er bei ihnen wirkt, wird er auch bei Engeln wirken.

Natürlich ist es gefährlich für mich, das Gelände zu verlassen. Bael versucht, an mich heran zu kommen, das ist mir bewusst. Er weiß noch immer nicht, inwieweit der Vertrag etwas mit mir zu tun hat. Vermutlich denkt er, wie so viele andere, dass ich von meinem Vater als neuer Wahrer eingesetzt wurde. Wer würde auch schon auf die Idee kommen, dass ich der Vertrag selbst bin? Das ist so absurd.

Die Magie ist mal stärker, mal schwächer, aber ich kann sie unter Kontrolle halten. Wenn es zu stark wird, lasse ich mir von Caspian helfen. Trotz meines Verhaltens steht er zu seinem Wort. Entweder weil er mir wirklich helfen will oder nur aus Angst, dass sie mich übermannt und ich doch noch alles ins Verderben stürze. Es ist mir egal, Hauptsache er hilft mir. Einige Tränke trage ich immer bei mir, für den Notfall. Aber gebraucht habe ich sie noch nie.

Die Wächter, die sich auf dem Gelände herumtreiben, halten mich nicht auf. Sie haben es nur einmal versucht, doch die vielen Nasen- und Knochenbrüche haben sie eines Besseren belehrt.

Auch Sam lässt mich ohne ein Wort hinaus. Eher selten benutze ich das Tor. Sonst bevorzuge ich den Baum, um mich unbemerkt an meine Feinde heranzuschleichen, die den vorderen Bereich anscheinend ständig überwachen. Heute allerdings sollen sie mich deutlich sehen.

Ohne meinen Dolch zu zücken, trete ich durch die Barriere und verlasse den Schutz der Uni. Ich wende mich nach rechts, laufe die Straße parallel zur Mauer entlang. Der Vollmond gibt genug Licht ab, sodass ich alles erspähen kann, jede Bewegung. Selbst im Gras am Rand der Straße flitzen sie umher und denken, ich sehe sie nicht. Ich lasse sie in dem Glauben.

Meine Hände in den Taschen meiner Jacke vergraben, schlendere ich weiter, bis sich die Straße teilt. Die linke Seite folgt einem Hügel hinunter, rechts führt sie einmal komplett um das Gelände herum.

Fast bin ich enttäuscht, als ich mich nach rechts wende und kaum Dämonen wahrnehme. Es sind gerade mal zwei hinter mir, die mich verfolgen, seit ich das Gelände verlassen habe. Drei sind vor mir. Sie stehen mitten auf der Straße, als haben sie auf mich gewartet. Was auch wohl der Fall sein dürfte. Einer, der mich an die Dämonen in Baels Saal erinnert, denen ich den Garaus gemacht habe, steht in der Mitte. Seine Haut ist schwarz, verbrannt, auf seiner Stirn prangt Baels Zeichen, ein umgekehrtes Pentagramm. Es weist ihn als Elite-Leibgarde aus. Bael markiert sie neuerdings, keine Ahnung wieso. Ein neues Faible vielleicht.

Doch was tut er hier draußen? Müsste er nicht seinen Herrn bewachen? Eigentlich trifft es sich ganz gut. Denn ich bin mir fast sicher, dass er von hohem Rang ist.

»Wanclear«, ruft er aus, noch bevor ich bei ihnen angelangt bin.

»Ich glaube, wir hatten noch nicht das Vergnügen. Doch ich kenne deine Brüder.« Ich grinse und bleibe einige Meter vor ihnen stehen.

Ein Knurren und Zähnefletschen seinerseits folgt. »Bild dir darauf ja nichts ein.« Seine Augen leuchten rot auf; er will mich am liebsten töten, aber irgendwie glaube ich, dass das gar nicht ihr Ziel ist. »Sie waren unter mir. Also falls du dein Können an mir erproben möchtest?« Er breitet die Arme aus, grinst.

Ich lege den Kopf zur Seite, tue so, als würde ich darüber nachdenken. Kurz mit den Schultern zuckend sage ich: »Eigentlich passt mir das heute ganz gut. Ich dachte, ich mische mal eure Runde hier auf. Aber …« Ich sehe mich demonstrativ um. »Irgendwie ist es heute Abend so ruhig auf eurer Seite. Habt ihr aufgegeben?«

»Wir haben Zeit, Wanclear.« Er grinst weiter und breitet wieder die Arme aus. »Wir sind Dämonen, ewiglich.«

Ich kratze mich am Kinn. »Hm … so ewiglich, dass ich deine Brüder ausgelöscht habe. Seltsam.«

Er macht einen Satz nach vorne, greift mich aber nicht an; ich bleibe, wo ich bin, ohne eine Regung.

»Pass ja auf«, zischt er, während auch die anderen Beiden neben ihm, in Lauerstellung gehen. Hinter mir rührt sich nichts, aber sie behalten mich genau im Auge, ich spüre es.

»Dann komm doch.« Mit einem Wink bedeute ich ihm, näher zu kommen.

Seine Augen glühen noch immer, aber er richtet sich auf.

»Ach bitte! Ehrlich jetzt?«, rufe ich aus und lache. »Man hat dich an die Kette gelegt? Einen Dämon deines Ranges?«

»Mich hat niemand an die Kette gelegt. Aber im Gegensatz zu dir befolge ich Befehle. Und mein Herr wünscht dich für sich.«

»Wie schade für dich.« Meine Stimme trieft vor gespieltem Mitleid. »Aber weißt du was: mir sind Befehle wirklich herzlich egal. Und erst recht, was Bael meint.«

Ein Gedanke durchfährt mich, eine Möglichkeit. Wenn ich einfach mit ihnen ginge, würden sie mich zu ihm bringen. Dann könnte ich mich endlich selbst um das Problem kümmern. Keine schlechte Idee. »Also, Bael will mich sehen?«

Misstrauisch meiner plötzlichen Wandlung gegenüber, beäugt er mich, seine Begleiter wechseln einen Blick. »So ist es.«

»Na dann bring mich zu ihm.«

Hinter mir kreischen die Dämonen und ich höre Klingen, die Fleisch zerschneiden. Als ich mich umsehe, erkenne ich Eric, allein, der anscheinend nicht gezögert hat und nun mitten im Kampf gegen einen der Dämonen ist.

Verdammt, was tut er hier?

Zwei der Dämonen, die ich gerade hinter mir gelassen habe, wollen sich ebenfalls auf ihn stürzen, während er gerade mit dem anderen noch am Ringen ist.

Ich reagiere sofort. Meinen Dolch aus dem Stiefel ziehend, stürze ich mich auf einen der Beiden und ramme ihm die Klinge mehrfach in den Körper, versenke sie zwischen seinen Augen. Ich halte das Metall dort, bis er sich rund herum in glühende Asche verwandelt; das Adrenalin ist erwacht, der Rausch beginnt, meine Sinne einzunehmen. Ich fühle, wie das Finstere durch meine Adern rast, es zum Kochen bringt und mich kräftiger macht.

Eric hat es geschafft, sich aus dem Griff des einen Dämons zu befreien, sich des anderen zu entledigen, doch noch immer steht er zweien gegenüber.

Unsere Runen leuchten für einen kurzen Moment auf und ich stürme auf den Äußeren zu. Dieser bemerkt mein Kommen, holt aus, um mich am Kopf zu treffen, doch ich ducke mich darunter durch und mit einem Schrei ramme ich ihm meinen Dolch durch die Kehle hinauf in den Kopf. Blut spritzt auf mich – es macht mich rasend. So sehr, dass ich die Klinge mit aller Wucht und Genuss wieder hinausziehe. Noch mehr Blut fließt, ehe er sich auflöst.

Ohne weiter auf Eric zu achten, wende ich mich dem Elitedämon zu – er will sich aus dem Staub machen, baut ein Höllentor auf. Ich unterbreche die Verbindung zu Eric.

»Na warte«, zische ich und habe schon den halben Weg der Strecke zwischen uns zurückgelegt, als Eric nach mir ruft. Er ruft nicht, er schreit.

Ruckartig bleibe ich stehen, wirble wieder herum und erkenne, dass ein neuer Dämon über Eric kniet, direkt auf seiner Brust. Erics Hände hat er fest in seinen Klauen. Das Gesicht ist ihm so nah, dass eine ätzende Flüssigkeit auf Erics Wange tropft und diese sich beginnt, in die Schichten zu fressen.

»Verdammt.«

Am liebsten würde ich dem Dämon nachjagen, ihn zur Strecke bringen und mich dann in der Dämonika austoben, solange ich stehen und kämpfen kann. So sehr sehne ich mich danach.

Mit einem Ruck reiße ich mich von der Vorstellung los, laufe zu Eric, ramme den Dolch in den Hals des Dämons, ziehe ihn heraus, reiße das Vieh herunter und lasse meine Magie hinaus. Von ihr gelenkt, hebe ich ihn hoch und werfe ihn gegen die Mauer. Ehe der Dämon auf dem Boden aufschlägt, bin ich wieder bei ihm, lasse den Griff auf seinen Kopf hinunter schmettern. Er rammt so fest den Boden, dass dieser ein Stück nachgibt. Ich stürze auf seine Brust und ramme ihm den Dolch tief hinein, lasse ihn anwachsen und kann einen Schrei wieder nicht unterdrücken, weil ich zu berauscht bin. Als er sich auflöst, sacke ich auf den Boden in seinen Überresten von Asche. Suchend sehe ich auf, aber der Elitedämon ist fort.

Enttäuscht sinke ich nach hinten, mit dem Dolch in der Hand. Ich winkle meine Beine an und stütze meine Hände an den Knien ab; Blut tropft von der Klinge, die wieder ihre normale Größe hat.

Scheiße! Ich war so kurz davor. So kurz davor.

»Danke«, sagt Eric, als er neben mich tritt; ich nicke nur, sehe ihn nicht an.

Das Adrenalin lässt nach, der Rausch vergeht, das Finstere in mir hat sich zurückgezogen. Es brennt merklich, als die Rune aufglüht.

»Hör endlich auf damit.«

»Mit was?« Ich sehe ihn nicht an, sondern dem schwarzen Dämonenblut dabei zu, wie es an der Klinge hinab rinnt. Meine Stimme klingt auf einmal müde, sehr müde. Und irgendwie fühle ich mich auch so …

»Dich umbringen zu wollen.«

Nun blicke ich zu ihm auf, lache höhnisch. »Mich? Sieh dich um. Ich habe vor, sehr viele von ihnen umzubringen.«

»Ja, das sehe ich. Aber ich fühle etwas anderes.«

Mein Lächeln erstirbt; ich versuche, die Verbindung vollends zu trennen, doch ist es mir nicht möglich.

»Vince …« Er lässt sich neben mir nieder. »Das ist lebensmüde, was du tust. Es wird sie nicht wiederbringen.«

Plötzlich steigt Wut in mir auf. Seine Sorgen schwappen wie eine Welle in meinen Geist. Eine unerträgliche Mischung. Ich presse die Kiefer aufeinander und sehe zur Seite, zur Wand. Eine Weile bleibt es still; ich wische mir mit der Hand über die Augen.

»Ich weiß, du willst es nicht hören, aber es war die richtige Entscheidung für sie. Michael und die anderen sind nun ihre Familie.«

Wütend versenke ich den Dolch im Stiefel und stehe auf. »Du hast doch keine Ahnung, wovon du da redest!«

Jetzt ist auch Eric wütend und steht auf. »Nein, du hast keine Ahnung! Weißt du, was es bedeuten würde, wenn sie nicht gegangen wäre?«

»Ich will davon nichts hören!«

»Das ist es ja.« Er packt meinen Arm. »Du hörst nie zu, wenn ich versuche, mit dir zu reden.«

Ich funkle die Hand an meinem Arm an, dann ihn.

»Du weißt so gut wie ich, dass sie das Anrecht auch mit Gewalt durchsetzen würden. Du würdest einen Krieg auslösen.«

»Krieg führen wir doch sowieso schon.« Knurrend reiße ich mich los.

»Aber keinen gegen Engel. Verdammt, Vince!« Nun spüre ich seine Verzweiflung. »Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass ihr glücklich werden könntet. Aber das ist nicht möglich. Sie gehört zu ihm. Sie ist seine Ge-«

Voller Wut stoße ich gegen seine Brust. »Hör auf.«

Er taumelt zwei Schritte nach hinten, tritt aber sofort wieder auf mich zu. »Nein. Du hörst dir das jetzt an!«

Auch er ist wütend, aber wirklich aus Verzweiflung. In mir hingegen regiert der Hass.

»Sie ist ein Seraphin und gehört nicht in uns-«

»Hör auf!«, brülle ich ihn an, und ich kann die Tränen nicht unterdrücken, die meinen Blick verschleiern. »Hör auf …«, kommen die Worte nun geflüstert über meine Lippen.

Ich sehe nicht nur sein Mitleid, ich fühle es. Und es ist zu viel für mich.

Eric kommt noch einen Schritt auf mich zu, will mich berühren, doch ich schüttle den Kopf. Versuche, den Schmerz zu verdrängen, mich auf den Hass zu konzentrieren. Dieser belebt mich wieder. Auch wenn die Rune stärker glüht, remple ich ihn beim Vorbeirennen an und laufe davon. Vor ihm und seinen Gefühlen, vor meinen. Außer dem Hass. Den schüre ich, so stark, dass selbst er beginnt wehzutun.

Ich sollte noch bei den Lykanern vorbeischauen …

 

Alles an mir ist blutgetränkt, meine Kleidung, meine Handschuhe, meine Stiefel, selbst mein Gesicht ist beschmiert. Wie in Trance laufe ich durchs Tor, über die Allee, sinke erschöpft auf den Sockel der Statur, stütze völlig fertig meine Arme auf den Knien ab und sehe zu, wie das Blut an meinen Fingerspitzen zu Boden tropft. Was davon meines ist, weiß ich nicht. Tropfen für Tropfen bildet sich eine Lache zwischen meinen Beinen, ich starre darauf, fühle mich leer.

Wie viele ich abgeschlachtet habe, kann ich nicht mal mehr sagen. Es waren viele …

»Du solltest damit aufhören.« Ähnliche Worte, eine andere Stimme. Rachel setzt sich neben mich, berührt meine Schläfe, untersucht mein Gesicht und beginnt, mich zu heilen.

»Mit dem Kämpfen?«

»Das auch«, murmelt sie. Ihre grünen Augen drücken Trauer und Besorgnis aus.

Ich sehe wieder nach unten. Meine Haut brennt kurz an den Stellen, an der sie sie heilt. Meine Wunden schließen sich, doch das Blut klebt an mir.

»Du musst das nicht tun«, bemerke ich.

»Ich weiß.« Dennoch macht sie weiter. Wir schweigen, bis sie die Hände sinken lässt und sich nach hinten lehnt, in die Sterne blickt. »Eric geht es verdammt mies. Aber das weißt du sicher.«

Ich reagiere nicht, aber langsam kehren wieder Gefühle in mich, allen voran wieder der Groll auf Eric.

»Du darfst ihm nicht weiter die Schuld geben. Er wollte dich nur vor einem Fehler bewahren.«

»Welchem Fehler? Mia davon abzuhalten, zu gehen?« Den Zorn in meiner Stimme kann ich nicht verbergen, ich spüre ihren Blick, betrachte aber weiter die Blutlache vor meinen Füßen.

»Michael umzubringen.«

Dagegen kann ich nichts sagen. Ich hätte es wahrscheinlich ohne zu zögern getan. Nein, nicht nur wahrscheinlich, ich hätte es getan, wenn ich die Gelegenheit dazu bekommen hätte.

»Ich hätte dich auch aufgehalten.«

Ich sehe sie wieder an.

Sie erwidert meinen Blick, dann streicht sie mir über den Kopf und lächelt. »Wir verstehen dich alle. Aber du darfst nicht nur dich und sie sehen. Es geht um viel mehr.«

Nun lehne ich mich zurück und sehe ebenfalls in die Sterne. »Sowas Ähnliches versuchte Eric mir auch zu sagen.«

»Und er hat recht damit. Grolle ihm deswegen nicht. Er kann dich besser verstehen als alle anderen, das weißt du. Er will nur dein Bestes.« Sie nimmt meine blutverschmierte Hand. »Wir wollen alle, dass du glücklich bist.«

»Dann lasst mich einfach«, seufze ich und ziehe meine Hand weg.

»Vince.« Sie beugt sich zu mir und sieht mich eindringlich an. »Du bringst dich noch um.« Dann sieht sie zur Seite und ich bemerke, wie sie das Gesicht verzieht.

»Oder uns alle? Willst du das sagen?«

Ihr Blick legt sich wieder auf mich. »Es tut mir unendlich leid, dass diese Last auf dir liegt. Aber du weißt, was geschieht, wenn du stirbst.«

»Komisch, alle scheinen mehr daran interessiert zu sein als an der Tatsache, dass ich es bin, der stirbt.« Meine Bitterkeit ist deutlich zu hören.

Ruckartig greift sie wieder meine Hand. »Nein, es wäre schrecklich, wenn du stirbst. Egal, was es zur Folge hat, du bist es, der nicht mehr da ist.«

Dass sie es ernst meint, ist mir klar, aber ich kann es nicht wirklich zulassen. Dennoch ziehe ich meine Hand nicht zurück, sodass sie weiter in ihrer ruht, und sehe wieder in die Sterne. Langsam graut der Morgen.

»Ich bitte dich, integriere dich wieder im Rat, beteilige dich an den Plänen. Schließlich betrifft es dich auch.«

»Wie viel wissen die anderen vom Rat?«

»Sie glauben, du bist der neue Wahrer, somit sind einige dafür, dich als Großmeister einzusetzen. Was Ana und Jeanne natürlich nicht wollen.«

»Natürlich«, knurre ich. »Aber ich will es auch gar nicht. Was soll ich mit diesem Posten?«

»Was bewirken.«

Auf dieses Gespräch habe ich noch weniger Lust. Ich stehe auf, will gehen, doch sie hält mich zurück.

»Du bist einmal über deinen Schatten gesprungen.«

Ich sehe zu ihr hinunter. »Damals habe ich es getan, um Mia zu schützen.«

»Dann schütze jetzt uns.«

Für einen Moment sehen wir uns nur an, während ich mit mir ringe. In mir toben verschiedene Gefühle. Eigentlich will ich helfen und sie nicht im Stich lassen, ich bin es allein meinen Freunden schuldig. Aber ich kann nicht anders. Ich kann nicht …

Ich reiße meine Hand los und gehe in den Keller der Unterkünfte, direkt zu den Duschen. Meine Sachen lasse ich vor einer Bank im Umkleideraum zurück. Es ist noch niemand hier, dennoch gehe ich unter die letzte Brause und lasse das Wasser auf mich hinab rauschen, welches in rot-rosa Rinnsalen in den Abfluss läuft. Ich stütze meine Hände an der Wand ab und schließe die Augen, während das Wasser auf meinen Nacken niederprasselt, der verspannt ist und schmerzt. Wie fast alles an meinem Körper. Die dutzenden blauen Flecke und Blutergüsse ziehen bei jeder Bewegung. Alte Verletzungen jucken, die Kruste an meinem Rücken weicht auf, vielleicht wird sie bald abfallen.

Die Umgebung um die Uni ist fast wie ausgestorben. Die meisten Schattenwesen lassen sich in den Dörfern und Städten aus. Für die restliche Dezimierung bin ich verantwortlich. Rachel hat recht damit, dass ich damit aufhören sollte. Ich bin wie ein Wahnsinniger, blutdurstig und unkontrollierbar aggressiv. Jetzt, wo ich zur Ruhe komme, bemerke ich die Finsternis, die mich immer mehr erfüllt. Ob ich nun doch diesen Weg beschreite, den Evrani mir angedeutet hat?

Meine Haut ist etwas gereizt, als ich es endlich geschafft habe, alles Blut von mir abzuwaschen. Doch nun fühle ich mich besser, genieße mit geschlossenen Augen das Wasser, das über mein Gesicht läuft.

Als ich zurück in den Umkleideraum komme, lehnt Isabell an der Wand und sieht mich an. Ihr Blick wandert an mir hinunter – sie kann sich ein verschmitztes Lächeln nicht verkneifen. Aus dem Regal neben der Tür ziehe ich mir ein Handtuch und binde es mir um die Hüften.

»Also ich habe den Anblick genossen. Wegen mir musst du dich nicht verhüllen. Wäre nichts, das ich nicht schon gesehen hätte.«

»Was willst du hier?«

Sie tritt von der Wand weg und macht einen Schritt auf mich zu, während ich aus meiner Jacke die Tränke heraushole, sie auf die Bank lege und meine Wäsche in den Korb werfe.

»Wir machen uns alle Sorgen um dich.«

»Ach, und deswegen kommst du hierher?« Mir fällt auf, dass ich mir keine frischen Klamotten mitgebracht habe, wohl aber Isabell, denn hinter ihr auf der Bank liegen Sachen von mir.

»Ich wollte sowieso mit dir reden und als Rachel meinte, du seist duschen, habe ich es einfach vorverlegt.« Sie grinst mich an, während ich neben ihr stehen bleibe und auf die Klamotten deute; sie nickt.

Nun doch ungeniert lasse ich das Handtuch fallen, sie mustert mich erneut. Als ich mir die Hose anziehe, seufzt sie enttäuscht, lächelt aber noch immer. »Wirklich schade.«

Was will sie eigentlich? Ist sie nur wegen dem Reden hier? »Reden hätten wir auch noch später gekonnt«, meine ich und hebe das T-Shirt auf.

Sie fasst meine Hand und sieht mich mit leuchtenden Augen an. »Es wäre aber halb so reizvoll.«

Ist das ihr Ernst? Sie weiß doch genau, dass ich mit … Tja …

Als ihre Hand meinen Arm berührt, beginnt meine Haut zu glühen und alte Gefühle erwachen, die ich lange nicht mehr gespürt habe. Aber Gefühl ist nicht das richtige Wort dafür, es ist das alte Verlangen, das Vila-Blut, wahrscheinlich auch das Blut der anderen sexuell-orientierten Wesen in mir. Es beginnt zu schwingen, meine Hand zittert, als sie mich zu sich umdreht und mein Gesicht berührt.

»Isa…« Meine Stimme ist brüchig, ich kämpfe dagegen an. Das bin nicht ich, was sie nun begehrt. Ich will es nicht. Und doch spüre ich, wie ich schwächer werde. Das erste Mal scheint mein Blut stärker zu sein als mein Wille.

»Du brauchst dringend Ablenkung«, meint sie, zwinkert, bevor ihre Hand neckend in meinen Nacken fährt, ihn aber wieder loslassen will.

Ich kann es nicht mehr steuern, mein Blut übernimmt die Kontrolle und ich sehe, wie sie kurz erstarrt und ihre Augen glasig werden und der silberne Schimmer sich ausbreitet.

Nein, verdammt! Hör auf! Hör …

Ich verliere mich. Heftig drücke ich sie gegen die Wand, sodass sie ein Bein auf der Bank abstützen muss, um nicht drauf zu fallen. Leidenschaftlich presse ich meine Lippen auf ihre, spiele mit ihrer Zunge, bin zügellos, außer Kontrolle. Meine Hand greift besitzergreifend in ihr dunkles Haar, dreht ihren Kopf, wie ich es will. Mehr und mehr rauscht und schwingt es. Mein Körper reagiert. Ich will sie.

Als Isabell meinen Namen unter den heißen Küssen stöhnt, erwacht etwas anderes in mir. Meine Lippen an ihrem Hals erstarre ich.

Mia …

Ich sehe Isabell in die Augen, das Glasige, Silberne darin. Sie wollte mich nur necken, mein Blut irrt sich. Ich will sie nicht, sie will mich nicht. Nicht wirklich. Es gibt nur eine, die ich will.

Langsam gewinne ich wieder die Kontrolle, kämpfe es zurück und lasse sie ruckartig los, ehe ich sie bestimmt von mir schiebe. Ihre Augen nehmen wieder den normalen Glanz an und ihr Lächeln erstirbt. Verwirrt berührt sie ihre Lippen, ich sehe kurz Angst in ihren Augen aufflackern, als sie erkennt, was hier gerade geschehen ist, was ich getan habe.

»Es … es tut mir leid. Das wollte ich nicht, wirklich.« Meine Stimme ist wieder normal, ich greife in mein nasses Haar, kralle meine Hand regelrecht hinein und schüttle den Kopf.

Isabell fasst sich wieder, nickt, doch in ihren Augen ist noch immer etwas Ängstliches. »Du verlierst immer mehr die Kontrolle, Vince. Das wäre dir früher nie passiert.«

Ich schnappe mir das T-Shirt, das ich fallen gelassen habe und ziehe es schnell über den Kopf. Meine Hände zittern noch immer, aber ich bemühe mich, vor ihr beherrscht zu wirken. Doch ich muss hier raus, der Kampf in mir ist noch nicht vorbei. Noch immer schwingt und summt mein Blut, weil es sie will.

»Danke für die Kleidung«, sage ich und nehme meine dreckigen Schuhe in die Hand.

»Vince, bleib. Es ist in Ordnung.«

Ich fliehe, renne die Stufen hoch und aus dem Gebäude.

 

Kapitel 2

 

~Vincent~

 

Täglich nehme ich nun die Tränke. Sie halten mein Blut und meine Magie unter Kontrolle. Meine Gefühle zwar nicht, aber es ist besser geworden. Immer wieder versichert mir Isabell, dass sie mir nicht böse ist. Auch die anderen reagieren normal auf mich.

Mit Eric ist dies schwieriger. Ich weiß nicht, was es ist, warum ich so sauer auf ihn bin. Weil ausgerechnet er es war, der mich aufgehalten hat? Oder weil er mir einen Spiegel vorhält?

Der Rat tagt, es sind fast alle anwesend: Ana und Jeanne, wobei Ana auf Richards Stuhl sitzt. Adrian ist ebenfalls anwesend, neben ihm Caspian und Isabell. Ihnen gegenüber Lady Areni und die Hexe Alice, daneben der Zwerg Askot und der Gnom Asur. Eric und Flynn sitzen zusammen und Rachel bei mir, obwohl Stühle zwischen ihr und den anderen frei sind.

Die Engel glänzen immer noch mit Abwesenheit. Das ist mir nur recht. Ich bin gerade erst seit zwei Tagen wieder offiziell beim Rat und habe wenig Lust, die Macht der Tränke herauszufordern.

Hoffentlich bleiben sie für immer weg.

Mein Blick fällt auf Rachel, die mich besorgt mustert, auch Eric sieht ständig her. Mir fällt auf, dass Rachel die letzten Tage nie direkt neben mir saß, heute aber ließ sie sich ohne Kommentar auf dem Stuhl, der mir am nächsten ist, nieder. Eric sitzt auch näher zu mir als die Tage zuvor. Misstrauisch beobachte ich die beiden, denn sie werfen sich viel öfter als sonst Blicke zu, wissende fast.

Irgendetwas ist hier doch faul.

Als ein Rauschen die Halle erfüllt, weiß ich auch warum. Hinter Ana an der Wand öffnet sich ein Portal. Der Strudel ist silbrig mit einem Stich golden darin, was nur eins bedeuten kann: Engel!

Sofort bin ich auf den Beinen, umklammere die Ränder des Tisches so fest, dass meine Knöchel weiß hervortreten. Auch Rachel ist aufgesprungen, Eric und Flynn ebenfalls, wobei sie noch ein Stück näher an mich heranrücken. Jetzt weiß ich auch, was das sollte.

Raphael tritt in den typischen schwarzen Nietenklamotten heraus, ein Schwert an der Hüfte; das Portal schließt sich. Dass er mich fast gleichgültig aus seinen silbernen Augen ansieht, macht meine Wut nicht besser.

»Was willst du hier?«, zische ich ihn an.

Geräuschvoll schiebt er einen Stuhl zurück und lässt sich nieder, in Anas Nähe. »Ich gehöre diesem Rat an und vertrete Michael.«

Der Tisch bekommt Risse, als er seinen Namen erwähnt. Ich funkle ihn an. »Wieso? Traut er sich nicht selbst her?«

»Er muss sich um seine Geliebte kümmern.« Er betont dies mit purer Absicht, ich sehe es ihm an.

Die Stücke der Tischplatte, die ich umklammere, brechen ab und ich rucke etwas nach unten. Schnell fange ich mich aber wieder und richte mich auf, werfe die Stücke zur Seite.

»Sie könnten ja beide hier aufkreuzen«, erwidere ich und versuche dabei, gelassener zu werden.

»Ein Erzengel und ein Seraphin haben Besseres zu tun, als unter Menschen zu weilen.«

Meine Kiefer aufeinander gepresst stehe ich mit geballten Fäusten da. Aber nicht nur ich werfe ihm einen bösen Blick zu, auch die anderen wirken mehr als verstimmt.

»Du kannst auch gerne wieder verschwinden. Wir brauchen euch hier nicht«, sage ich zu ihm.

»Das sehe ich nicht so«, entgegnet er, wieder viel zu ruhig. »Ihr habt nach Monaten die Situation in den Städten noch immer nicht im Griff. Wir bezweifeln sehr stark, dass ihr dieses Mal den Schaden beheben könnt.«

Ana mischt sich ein, beugt sich vor und sieht Raphael eindringlich an. »Wir werden die Lage unter unsere Kontrolle bringen, wie wir es immer tun. Es dauert dieses Mal einfach nur länger.«

Fast herablassend sieht er sie an. »Michael und der Kronrat sehen das nicht so.«

»Gebt uns einfach noch Zeit.«

Ich blicke von einem zum anderen. Sie sehen sich an und ich habe das Gefühl, dass es hier um mehr geht. Aber ich weiß nicht was. Langsam lasse ich mich wieder auf dem Stuhl nieder und beobachte sie.

»Wir werden euch erst einmal zur Unterstützung neue Engel schicken.«

»Neue Engel?«, fährt Askot auf einmal auf. »Die sind ja wie Rehe auf der Lichtung, grün hinter den Ohren und noch nicht mal mit richtigen Flügeln.«

Er hat recht. Neue Engel sind erst frisch dazu berufen worden, haben noch keinerlei Erfahrung und noch keine richtigen Flügel, die ihnen ihre Macht verleihen. Wieso sollten sie sie zu uns schicken, wenn sie uns helfen wollten? Was ist hier los, verdammt?

»Ihr könntet uns was Mächtigeres runter schicken, meint ihr nicht?« Fragend sehe ich in die Runde; verhaltenes Nicken.

»Du bist nicht Großmeister dieses Rates, also hast du nicht darüber zu entscheiden«, mischt sich nun Jeanne ein, wendet sich dann an Raphael. »Wir werden euer Angebot natürlich sehr gerne annehmen.«

»Dies war kein Angebot.«

Jeanne wirkt irritiert, auch Ana, aber sie hat sich wesentlich schneller im Griff, lächelt und faltet die Hände. »Wir werden auch in weiterer Zukunft mit den Engeln zusammenarbeiten«, sie wirft mir kurz einen Blick zu, »egal, welche Differenzen bestehen mögen.«

Ich verschränke die Arme vor der Brust, lehne mich zurück und beobachte Raphael genau.

Er lächelt nicht, blinzelt nicht und verzieht keine Miene als er sagt: »Ihr habt auch keine andere Wahl.«

Ein Raunen geht durch den Raum, doch niemand sagt etwas dazu.

Dann steht er ohne ein weiteres Wort auf, das Portal erscheint wieder. Doch bevor er geht, wendet er sich an mich. »Auch wenn du meinst, du seist uns gewachsen, weil du eine Macht in dir birgst, die wir nicht kennen, irrst du dich. Wir sind älter und mächtiger als die Zeit.«

Ich kann es nicht lassen, beuge mich kurz vor und ziehe meinen Dolch aus dem Stiefel, lehne mich demonstrativ wieder nach hinten und fahre mit der Hand über die Klinge – er reagiert sofort und wächst an. Als ich Raphael angrinse, sehe ich einen Funken Panik in seinen Augen. Das genügt mir. Auch sein schnelles Verschwinden im Strudel ist mir Antwort genug. Dieser Dolch ist echt. Und sie fürchten ihn. Erst recht, weil er in meinen Händen ist.

 

Eigentlich sollte ich nun ruhiger schlafen, doch das Gegenteil ist der Fall. Da sie meine Drohung verstanden haben, werden sie mit Sicherheit versuchen, mir auf irgendeine Art den Dolch wegzunehmen. Auch wenn Rachel und Isabell dafür gesorgt haben, dass jedweder Schutz um meinen Turm vorhanden ist, bezweifle ich, dass es was gegen Engel bringt. Aber sie werden mich nicht hier und nicht so offen angreifen. Auch wenn sie uns angeblich überlegen sind, wie sie es so gerne betonen, werden sie einen Streit nicht riskieren, einen Riss in dem Vertrag, an den auch sie gebunden sind.

Da kommt mir etwas in den Sinn: Haben auch die Engel diesen Vertrag unterschrieben? Habe ich Engelsblut in mir?

Mit diesem Gedanken ziehe ich mich an; es ist noch dunkel draußen, aber ich brauche frische Luft in meinen Lungen.

Ich laufe meine übliche Runde, mein Körper dankt es mir. Die Luft ist frisch und rein, alles ist still. Aus dem Wald dringt seit gestern kein Jaulen mehr. Wir haben endgültig unsere Ruhe. Mit Sicherheit treiben sich ab und zu Spione im Wald herum, aber die sind schnell vertrieben.

 

Raphael hat seine Worte wahr gemacht und schon am nächsten Tag fünf frische Engel geschickt. Leider fehlt es ihnen an allem, am meisten aber an Erfahrung mit Dämonen.

Heute werden wir unseren ersten Einsatz mit ihnen haben und ich darf es leiten. Gut, ich wollte es so. Denn ich will sie im Auge behalten. Ich traue ihnen nicht. An der Sache stinkt etwas gewaltig, ich weiß nur noch nicht was.

Ich treffe Marak an der Cafeteria. Er wirkt bedrückt, daher bleibe ich stehen.

»Na Marak, alles okay bei dir?«

Er grummelt und faucht auf einmal los und zeigt mir die Zähne, gestikuliert wie wild, was irgendwie sehr lustig aussieht, wären da nicht seine bösen Augen und die spitzen Zähne. Als er auf mich zukommt und weiter keift, hebe ich eine Hand und bedeute ihm, runterzukommen.

»Wuuh, ganz ruhig, Marak. Über was regst du dich denn so auf?«

Seine Antwort bekomme ich nicht mehr mit, denn ein lauter Signalton schrillt von meinem Turm her über das Gelände. Eins muss man lassen, Rachels magische Alarmanlage funktioniert tadellos, die ganze Uni bekommt den Einbruch mit.

Ich bin schon auf dem Weg und stürme ins Atrium hinein. Die Tür zu meinem Turm ist noch immer verschlossen, hier ist der Eindringling also nicht rein. Schnell bin ich die Stufen nach oben, aber es ist niemand da. Viele Möglichkeiten gibt es bei mir ja nicht, sich zu verstecken. Gerade komme ich von meinem Trainingsraum hinunter, als mein Nacken kribbelt. In meinem Schlafzimmer ist niemand. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass mich jemand beobachtet. Ein Déjà-vu beschleicht mich, denn ich kenne das Gefühl. Ich hatte es an den Abenden, als ich mit Mia trainiert hatte. Und was hatte sie gesagt? Sie war hier gewesen.

»Mia?«, frage ich in die Stille.

Ich versuche, etwas zu erkennen, aber ich weiß, dass dies unmöglich ist. Sie würde etwas sehen, ich kann es nicht, konnte es nie.

Ein Schauer überläuft mich, mein Herz rast und ich glaube, Pfirsichduft wahrzunehmen. In meinem Herzen reißt es, als würde jemand beide Enden packen und ziehen. Meine Sehnsucht nach ihr steckt mir in der Kehle; ich schlucke hart. Fast habe ich das Gefühl von Wärme auf meiner Haut. Doch dann ist das alles schlagartig verschwunden.

Mia …

Ob sie es wirklich war?

Ich sinke kraftlos auf den Rand des Bettes, reibe mir mit Daumen und Zeigefinger den Übergang von Nase zur Stirn, kämpfe diese schmerzenden Empfindungen weg.

Wie sollte sie das gewesen sein? Sie ist fort, in der Engelsdimension. Okay, wenn sie wollte, könnte sie diese wahrscheinlich auch verlassen, schließlich kann sie ihre eigenen Portale schaffen, kann reisen wie sie will. Aber wieso sollte sie wieder hierherkommen? Sie ist gegangen, hat mich verlassen. Verlassen …

Die Wut kehrt zurück, die Leichtigkeit des Laufens ist schon längst verflogen. Und meine Wut gilt auch ihr. Ich bin wütend auf sie, weil sie uns weggeworfen hat. Dass sie sich so von Michael hat beeinflussen lassen. Denn wenn die Verbindung wirklich wie die von Eric und mir ist, dann kann sie noch immer selbst fühlen, oder nicht?

Vielleicht konnte sie es einfach nicht unterscheiden, versuche ich mir selbst einzureden.

Ich reibe mir mit Zeigefinger und Daumen über die Augen, presse sie dagegen, bevor die Tränen sich heraus kämpfen.

Ist es denn verwunderlich, dass sie ging?, fragt eine Stimme in mir. Es ist doch völlig normal, dass alle gehen, die mir was bedeuten. Deswegen habe ich doch nie jemanden an mich herangelassen.

Nein, das ist Unsinn. Das würde sie nie tun. Sie ist nicht wie andere, widerspricht eine andere.

Aber wo ist sie jetzt? Nicht hier.

Langsam kriecht die Verzweiflung in mir empor, der Schmerz kehrt zurück, meine Gefühle wollen raus. Die Magie kocht hoch und will meine Sinne übermannen. Die Qual mit heißer Wut überdecken.

Schnell stehe ich auf und eile nach unten. Auf der Couch liegen noch Fläschchen, ich entkorke eins und stürze es hinunter. Augenblicklich werden mit meiner Magie meine Gefühle stumpfsinniger, die neue Formel von Caspian wirkt. Unterschwellig brodeln sie, das weiß ich. Aber ich muss konzentriert sein für die Mission. Ich kann es mir nicht leisten, von Gefühlen beeinflusst zu werden. Wenn ich mehr über das Vorhaben der Engel erfahren möchte, muss ich mich gut mit ihnen stellen, mit den frischen Engeln. Denn ihre Unerfahrenheit kann mir von Nutzen sein.

 

Wenn man unsere Truppe so ansieht, könnte man meinen, wir wären junge Menschen, die einfach einen passenden Ort zum Feiern suchen. Vielleicht den nächsten Gothic-Schuppen? Wir sehen düster, aber erheitert aus. Was nicht wenig an den frischen Engeln liegt, denn diese benehmen sich wirklich so. Typische schwarze Nietenkleidung, vollkommen unterschiedliche Typen vom Aussehen her. Zwei weibliche von ihnen sehen nicht älter als wir aus, wohingegen vier davon unsere Väter sein könnten. Dennoch teilen sie alle dasselbe Verhalten, weisen sich gegenseitig auf verschiedene ganz einfach Dinge hin, wie Hot-Dog-Verkäufer, Taxifahrer, Bars und Menschen, die ganz normale Dinge tun.

»Was sind die so aufgekratzt?«, grummele ich mehr zu mir selbst.

Flynn der neben mir geht, wirft einen Blick über die Schulter und dann zu mir. »Sie waren ewig in diesem Engelreich eingesperrt, haben vielleicht einfach vergessen, was Leben heißt.« Er sieht mich an. »Würde mich nicht wundern, wenn denen jeglicher Spaß verwehrt wird.«

Mein Gesicht verdüstert sich, ich starre vor mich und kämpfe gegen meine Gedanken an.

»Du denkst an Mia, hab ich recht?«, fragt Flynn; ich gebe darauf keine Antwort. »Weißt du, auch wenn ich es nicht gerne sage, sie ist fort und du musst lernen, damit zu leben. Wenn das Training nur halb so ist, wie man hört …«

Nun hat er meine volle Aufmerksamkeit. »Was weißt du darüber?«

Er weicht meinem Blick aus und winkt ab. »Vergiss einfach, dass ich was gesagt habe.« Mit raschem Schritt will er weiterlaufen, doch ich halte ihn am Arm auf; die Engel bleiben einige Schritte von uns entfernt stehen.

»Sag mir, was du darüber weißt. Was geschieht dort?«

»Du willst etwas von mir wissen?« Flynn lacht und ich weiß, dass er wieder nur ablenken will. »Du bist doch der, der alle Bücher verschlungen hat.«

Als ich ihn noch immer nicht loslasse und eindringlich ansehe, seufzt er.

»Na gut. Aber lass uns irgendwo was trinken. Wir haben noch die ganze Nacht vor uns und meine Kehle ist trocken.«

»Wenn du nur wieder ablenken willst …«

»Nein, ich will einfach nur was trinken. Außerdem«, er sieht wieder zu den Frischlingen, »können die das auch brauchen.«

 

Wenig später sitzen wir wirklich in einem Schuppen, in einer der hinteren Sitzgruppen, tief drinnen in der Bar und weit weg von der Tür und den übrigen Gästen. Den frischen Engeln scheint dies nichts auszumachen. Sie trinken und lachen, sind außer Rand und Band. Doch ich lasse sie, vielleicht gewinne ich so ihr Vertrauen und kann herausfinden, was vor sich geht.

Flynn bekommt ein Bier vor sich gestellt, er nimmt sich einen kräftigen Zug. Vor mir steht nur ein Glas Wasser. Keine Ahnung, wie Alkohol mit den Tränken harmoniert.

»Also?«, beginne ich. »Was weißt du darüber?«

Er sieht mich über das Glas hinweg an, nimmt noch einen Schluck und stellt es dann auf den Untersetzer ab, seine Hand ruht noch am Henkel. »Hör zu, Vince …« Seine Miene sieht aus, als quäle es ihn richtig, mit mir darüber zu reden. »Ich kann in etwa nachfühlen, wie es dir geht. Zumindest im Ansatz.«

»Weswegen solltest du das können?«

»Du musst wissen, ich bin kein Einzelkind.«

Neugierig sehe ich ihn unverwandt an, er starrt auf sein Bier und sieht zu, wie die Schaumhaube kleiner wird.

»Ich hab nicht nur einfach einen Bruder, nein, ich habe einen Zwillingsbruder, um genau zu sein.«

»Das wusste ich nicht. Wie kommt es, dass du hier bist und er nie auf der Uni war, wenn ihr Zwillinge seid?«

Er sieht mich an. »Weil er sich dazu entschied, sein menschliches Leben hinter sich zu lassen.«

Eine Weile denke ich über diese Worte nach, ohne wirklich zu verstehen.

»Auch unsere Eltern wurden schon früh von Schattenwesen getötet, daher standen wir uns näher als sonst jemandem. Wir streiften lange zusammen über die Straße, damit man uns nicht trennte. Wir suchten nach den Wesen und kamen der Wahrheit verdammt nahe, stellten und kämpften sogar mit einigen: Vampyren, Lykanern, Halbdämonen, Todesfeen, Wendigos, mit so einigen. Wir machten uns sogar einen Namen. Selbst für Menschen waren wir die Monsterjäger schlechthin, obwohl wir noch nicht einmal volljährig waren. Als ein Engel auftauchte, um unsere Erinnerung zu löschen, die magische Gemeinschaft vor der Entdeckung zu wahren«, seine Stimme wird eisig, »vernebelte er meinem Bruder so den Verstand, dass er sich entschied, lieber mit ihm zu gehen und angeblich richtig gegen das Böse vorzugehen, als wir es gemeinsam könnten.«

»Hast du ihn je wiedergesehen?«

»Es ist strengstens verboten …« Er sieht wieder auf seine Hände, die beide das Bierglas umklammern. »Aber ja, das hab ich. Er hatte es geschafft, während einer Mission, sich abzusetzen, um mich zu besuchen. Er erzählte mir eine Menge.« Sein Blick wird so hart wie seine Stimme. »Sie setzen dich deinen schlimmsten Ängsten aus, Tag für Tag, zwingen jede Emotion in dir hoch«, er sieht mich wieder an, »und töten sie ab.«

»Wie bitte?«

»Jedes irdische Gefühl, das mit Menschen verbunden ist, versuchen sie an der Wurzel auszulöschen.«

»Und was heißt das?«, frage ich.

Flynn stürzt sein Bier hinunter und sieht zu den Frischlingen. »Was ich eben gesagt habe«, beginnt er wieder, »trifft nicht ganz zu. Sie haben dies nicht einfach nur lange nicht mehr gesehen.«

Auch mein Blick schweift über die Gesichter, sie wirken so unbedarft wie Teenager.

»Sie erleben das alles zum ersten Mal.«

»Aber das ist unmöglich«, werfe ich ein. »Außer …« Ich erstarre, Flynn nickt.

»Wer seine Erinnerungen und Gefühlserfahrungen, so will ich es mal nennen, nicht durch den Tod verliert, wird dies spätestens dann.«

Flynn winkt die Bedienung heran, bestellt sich noch eins, ich nehme nun doch auch was Härteres. Wir schweigen, bis wir unsere Getränke haben; die frischen Engel lachen, ihre Wangen sind schon leicht gerötet. Mein Glas ist leer, ehe die Bedienung wieder verschwunden ist und ich bestelle das nächste.

»Wie hat er es geschafft, diesem zu entgehen?«, frage ich, nachdem ich an meinem zweiten Glas genippt habe.

Seine Augen strahlen so viel Traurigkeit aus, wie ich es noch nie an ihm gesehen habe.

»Gar nicht. Als ich ihn irgendwann, nach Jahren, wiedersah, erinnerte er sich nicht mehr an mich.« Seine Augen wirken einen Moment mehr als glasig, und er wendet den Blick ab. »Ich sehe noch seine verwirrten Augen vor mir, als er mit Ceres damals, wegen einer dringenden Angelegenheit, Hilfe von Wächtern benötigte. Ich wurde gerade frisch zu einem ernannt.«

»Du hast mir nie davon erzählt.«

Sein Lächeln misslingt, das er versucht, als er mich wieder ansieht. »Was hätte das gebracht? Helfen konntest du mir sowieso nicht.«

»Bist du deswegen aus dem aktiven Dienst?« Ich nehme einen Schluck, er ebenfalls, wischt sich den Schaum von den Lippen.

»Jep. Die meisten dachten, ich wäre Dela wegen zum Ausbilder geworden, um mehr Zeit mit ihr zu haben. Viele wissen auch nicht, dass Dela und ich uns schon länger kennen.« Er seufzt. »Aber das ist alles unwichtig.« Nun sieht er mich wieder an. Eine ganze Weile sagt er nichts, sieht mir nur in die Augen.

Einer der Engel hustet, hat gerade wohl zum ersten Mal einen Schnaps getrunken. Zum ersten Mal. Dass ich nicht lache.

»Ich weiß, es geht mich nichts an«, redet Flynn weiter, »und ich bin mir auch nicht sicher, warum Mia wirklich mitgegangen ist, aber …«

Mein Glas ist leer, ich bedeute der Kellnerin, noch eins zu bringen; ich werde heute wohl keine Mission mehr leiten.

»Du meinst, sie wird mich vielleicht nicht mehr erkennen, selbst wenn sie irgendwann wiederauftaucht.« Es war keine Frage, mehr eine Feststellung.

Die Bar ist nun bis zum letzten Platz gefüllt, der Alkohol hat mich schon in einen feinen Nebel gehüllt. Meine Gefühle füllen mich aus, ich kann mich nicht wehren. Ich bin traurig, verzweifelt, wütend, alles zur gleichen Zeit. Und ich spüre eine unglaubliche Sehnsucht nach ihr, es reißt an mir, drückt mir die Kehle ab. Ich will zu ihr, in ihre mutigen Augen sehen, sie in meinem Arm halten, ihre Hand in meiner spüren, ihr Gesicht streicheln, ihre Lippen schmecken. Einfach alles.

Der Kellnerin reiße ich förmlich das Glas aus der Hand und kippe es hinunter.

»Was soll ich nur tun?« Ich blicke in das leere Glas, als könnte ich darin die Antwort finden.

»Ich sag es nicht gerne«, er schweigt kurz, ehe er weiterspricht, »aber du solltest mit ihr abschließen.«

Benebelt nicke ich, winke noch eins heran und sehe wieder zu den Frischlingen. Meine Stimme ist etwas belegt, nachdem ich am nächsten Glas genippt habe und sage: »Sollen wir die Mal wirklich betrunken machen? Besoffene Engel sind sicher amüsant.«

Diesen Vorschlag muss ich Flynn nicht zweimal machen.

Da haben sie aber genau die Richtigen mit ihnen mitgeschickt, lache ich in mich hinein, während ich den Engeln eine große Flasche Wodka kommen lasse.

 

Ich habe alle Vorsicht fallen lassen, mein Verstand ist eine leere Blase, gefüllt mit Luft. Aber alles ist unsagbar komisch. Flynn ist bei mir eingehakt, wir stützen uns gegenseitig beim Laufen. Die Engel torkeln ebenfalls hinter uns her, singen sogar. Und Flynn stimmt auch noch in den Gesang mit ein, ich gebe ein Geräusch zwischen Knurren und Lachen von mir.

Leider will kein Taxi uns in diesem Zustand mitnehmen, also machen wir uns zu Fuß auf den Weg. Doch in so einem Zustand ist der Weg verdammt weit. Selbst im nüchternen sind es mit Sicherheit zwei Stunden. Und so torkeln wir vor uns hin, singen und lachen.

»Wie … weischt duh … was, Vince …«, bringt Flynn heraus.

»Oh maaan … jetzt … hicks … sag nisch … dass du misch … liebst«, gebe ich gleich lallend zurück.

Flynn legt den Arm um meine Schulter, wuschelt kurz in meinem Haar. »Doch Mann! Jeeenau das!«

Ich bleibe stehen, Flynn fällt dabei fast hin, doch ich packe ihn an den Schultern, versuche ihm ins Gesicht zu sehen, doch ich sehe viel zu viele Augen.

»Sach mal, was …« Ich gehe näher heran.

»Hey hey.« Er weicht mit dem Kopf zurück. »Was wird … das denn …?«

»Keine Angst«, beteure ich, »ich will dich … sicher nich … küssen. Nein, nein, nein …« Die Heiterkeit schlägt in tiefe Trauer um. Sie trifft mich unerwartet und wie ein Schlag mit einem Vorschlaghammer. Ich lasse Flynn los und sinke zu Boden. »Ich will … nur eine … « Ich hebe den Zeigefinger. »Nur eine! Eine einzige! Für immer!«, schreie ich die letzten Worte und mache eine ausschweifende Handbewegung, die mich zum Wanken bringt.

Flynn lässt sich neben mir nieder, tätschelt meine Schulter. »Ja Mann … ich versteh das …«

Die Frischlinge laufen an uns vorbei; wir haben es nicht mehr weit. Der letzte Vorort.

Plötzlich stützt sich Flynn auf meiner Schulter ab, ich knicke ein und falle fast zur Seite.

»Sachte! Was’n los?«

»Ich muss zu meiner Dela.«

Genervt rolle ich die Augen, versuche auch aufzustehen.

»Die reißt dir … den Arsch auf, wenn du sturzbetrunken … nach Hause kommst.«

»Nein«, meint er gedehnt und grinst dümmlich. »Meine nich … Dela ist einfach toll … Sie is … die Beste.«

Er greift unter sein Shirt und bringt eine Kette mit einer kleinen Scheibe als Anhänger hervor. In seiner Hand glüht sie auf.

Ich beäuge es, so gut es mit dem Tunnelblick eben geht. »Was is … das denn?«

»Eine Portalscherbe. Haben wir mal von einem … Magier bekommen. Sie bringt uns immer zu dem Menschen, der das … Gegenstück trägt.« Er hebt den Finger wie ein Lehrer. »Vorausgesetzt, die Person wurde damit verbunden. Die beiden Scherben, die wir besitzen … sind nur auf mich und Dela geprägt.«

»Aha …«, murmle ich, mein Geist wird langsam wieder klarer.

»Halt dich gut fest, es wird holprig.« Dann fügt er hicksend hinzu: »Hab noch nie jemanden mitgenommen. Ob das überhaupt geht?«, sinniert er, zuckt dann mit den Schultern.

Fest presst Flynn die Augen zu – dabei bin ich mir sicher, dass das gar nicht mal nötig wäre – und mit einem Puff verschwinden wir. Ich sehe Farben, Lichter und mein Magen fühlt sich an, als sei er noch dort auf der Straße. Erst als ich festen Boden unter den Füßen habe und einen Moment stehen kann, kommt mein Magen hinterher.

Wir sind vor den Unterkünften gelandet, an dem Punkt, an dem ich mit Mia vor über einem Jahr stand. Ich wäre sicher in Traurigkeit versunken, wenn nicht Flynn plötzlich anfangen würde zu grölen.

»Deeelaaa! Delaahaa!«

»Nich so laut«, stoße ich ihn an.

»Doch, sonst hört sie mich doch nicht«, flüstert er mir zu, wendet sich wieder Richtung Haus und grölt erneut: »Deelaa!«

Mehrere Lichter gehen an, viele Fenster öffnen sich, aus einem im ersten Stock schaut wirklich Dela heraus. Ihr kurzes Haar steht etwas wirr ab und sie trägt einen luftigen Pyjama.

»Ah Dela, meine Amazone!« Er breitet die Arme aus und geht näher heran.

»Was treibst du da unten, Flynn?« Sie beäugt uns beide, wir schwanken sehr offensichtlich, dabei versuche ich wirklich, ruhig zu stehen. »Seid ihr etwa betrunken? Und solltet ihr nicht auf einer Mission sein?«

Flynn salutiert. »Mission abfüllen abgeschlossen. Bereit zum Appell, Chefin.«

Seine Worte machen mich kurz stutzig, doch ich kann kaum einen klaren Gedanken greifen und muss grinsen.

Dela lacht, verwuschelt sich das Haar noch mehr. »Das ist ja schön und gut, aber muss das so spät in der Nacht sein? Komm rauf!«

»Erst«, er hebt wieder den Finger, versucht nicht zu schwanken. »Erst musst du mir eine Frage beantworten.«

Sie wird genervter. »Flynn, jetzt beweg deinen hübschen Hintern hier hoch, oder du darfst vor der Tür schlafen.«

Er tritt noch einen Schritt näher; alle Fenster sind ausnahmslos erhellt, viele Gesichter sind hinter den Scheiben oder haben die Fenster ebenfalls geöffnet.

»Dela! Meine Amazone! Meine Xena!«

Prustend lache ich auf. »Xena? Dein Ernst?«

Er wirft mir einen bösen Blick zu, wendet sich wieder zum Fenster, räuspert sich. »Die beste Wächterin aller Zeiten! Willst du … « Schwankend sinkt er auf ein Knie nieder und ich erstarre, ebenso wie Dela. »Bitte … würdest du …« Er hebt die Hand, sie legt ihre auf die Brust, ihre Augen sind geweitet. »Willst du den Treueschwur …«, anscheinend sucht er nach Worten, doch sein Sprachschatz ist gerade etwas eingeschränkt, »mit mir schwören?«

Nicht galant, aber jeder hat verstanden, was er sagen wollte und was es bedeutet.

»Du bist betrunken, Flynn«, bringt Dela mit sichtlich belegter Stimme hervor.

»Und du weißt … ich sag dann erst recht … die Wahrheit.« Als Zeichen legt er eine Hand auf die Brust und die andere hebt er in die Luft. »Ich sage die Wahrheit und würde es auch jederzeit wieder sagen. Also: Was sagst du?«

Seine Stimme ist nun wesentlich klarer, so als würde die Situation ihn wieder ausnüchtern. Oder war er nie wirklich so betrunken wie ich?

Ich beobachte Dela, die erst den Kopf schüttelt, dann lächelt und nickt.

»Jaaau!« Flynn springt auf und macht einen Luftsprung, reckt dabei die Faust in die Luft.

Dela steigt hinaus auf das Fensterbrett, Flynn eilt darunter. Mit einem Satz ist sie in seinen Armen. Sie küssen sich stürmisch, alles klatscht und johlt für die beiden. Außer ich. Ich stehe da und fühle gar nichts mehr.

 

Kapitel 3

 

~Mia~

 

Wie soll man beschreiben, wo ich bin. Es ist eher ein Meer von Gefühlen als eine wirkliche Welt. Dennoch nimmt sie Farben und Formen an, je länger ich hier bin. Die Pflanzen, Blumen und Sträucher, sie haben solch satte vollkommene Farben, wie ich sie noch nie gesehen habe. Ein zarter Schein umhüllt alles. Kleine Bäche umgeben die Wege, von Pavillon zu Pavillon, in denen wir … ruhen? So könnte man es nennen, denn seit ich hier bin, habe ich nicht wirklich geschlafen. Zumindest nicht so, wie ich es kenne.

Regungslos liege ich in einer Hängematte und starre vor mich hin, umgeben von Gerüchen nach allem Möglichen. Sie sind angenehm, beruhigend, aber ich kann sie nicht genau definieren.

Sanft wiegt die Matte hin und her. Meine Arme hinter dem Kopf verschränkt, sehe ich zu der Halterung hinauf, die ein Netz um die Matte spinnt. Es sieht aus wie feinster Stoff, aber keine Geräusche dringen von außen herein. Hier bin ich ganz allein für mich. Auch von den Gedanken und Gefühlen der anderen bleibe ich hier verschont. Denn so kommunizieren sie, die Engel. Niemand redet hier wirklich, außer mit den neuen Engeln oder mit mir.

Anfangs war es ein Stimmengewirr, dem ich nur schwer folgen konnte. Mittlerweile kann ich sie gut auseinanderhalten. Der Einzige, der nun mit mir wirklich redet, ist Michael. Außer er wird persönlich, dann wechselt er in unsere alleinige Ebene.

Michael …

Mir ist immer so warm, wenn ich an ihn denke. Seit ich hier bin, ist es kaum zu ertragen. Es verwirrt mich noch mehr als früher.

Ein Luftzug erreicht mich und ich weiß, dass er auf dem Weg zu mir ist. Ich bleibe, wo ich bin, es ist gerade einfach viel zu angenehm für mich, diese Stille, das Alleinsein. Mit mir und meinen eigenen Gedanken. Leider werden meine Gefühle immer mehr von ihm eingenommen, je näher er kommt. Ich kann sie kaum mehr unterscheiden. So intensiv sind seine Gefühle zu mir. Fast brennt es in meinem Körper wie eine heiße Flamme, gleißend hell.

Seufzend richte ich mich auf, klettere aus der Matte, als Michael meinen Pavillon betritt. Doch ich bleibe im Schutz des Netzes.

Ich sehe seine Silhouette, wie sie näherkommt. Er schiebt das Netz viel zu selbstverständlich zur Seite und tritt zu mir herein. Leider stehen wir nun sehr dicht beieinander; er lächelt und alles scheint an ihm zu strahlen.

»Alles in Ordnung? Ich habe dich bei der Messe vermisst.«

Ich nicke nur, meine Stimme versagt mir den Dienst, denn seine goldenen Augen leuchten selbst im Halbdunkel stark, schimmern regelrecht.

Sanft berührt er meine Wange; noch immer blicke ich in seine Augen Es beginnt zu flattern, wie es das immer tut. Sein Duft steigt mir in die Nase, ein Frühlingswind, leicht und streichelnd, dann wie ein schwerer Sommerwind, durchtränkt mit Blumenduft. Sanft scheint uns auch ein solcher zu umgeben.

Wenn andere dabei sind, ist er auf Distanz, berührt mich kaum, aber sobald wir allein sind, scheint er es zu genießen. Ich habe nur keine Ahnung, wie ich mit einem Engel umgehen soll. Mit seiner Zuneigung, die ihm in seinen Augen steht, kaum dass er mich ansieht, und erst recht in solchen Momenten.

Er lässt mich los und setzt sich in die Hängematte, zieht mich neben sich und obwohl die Matte bedrohlich schwingt, fallen wir nicht.

»Wie war die Meditation und dein Lösungstraining?« Es klingt wie beiläufig, doch ich weiß, dass er aus einem guten Grund fragt.

»Ganz okay.« Was sollte ich ihm auch sagen? Erst soll ich mich entspannen und dann werde ich mit allen Gefühlen konfrontiert, die ich je gefühlt habe. Wie soll sowas schon sein? Ermüdend, erschreckend, beängstigend.

Als wäre es das Normalste der Welt, nimmt er meine Hand in seine, fährt mit dem Daumen über deren Rücken.

Ich betrachte sie nachdenklich. Seine Haut ist recht dunkel, dabei hätte ich gedacht, Engel seien heller.

Helle Haut … schimmert fast …

»Du musst Geduld mit dir haben«, reißt er mich aus meiner Trance, in die ich drohte abzudriften, nur um ihn in meinen Gedanken zu sehen. »Alles kommt nach und nach.«

»Ich bin nun schon eine ganze Weile hier«, murmle ich und versuche, durch das Netz hinaus zu sehen, meine Emotionen zu verdrängen.

Meine Hand loslassend, fährt er mir übers Haar, schweigt aber und beobachtet mich einfach und scheint alles an mir in sich aufzunehmen, so intensiv ist sein Blick.

Es ist wahr. Ich bin nun schon … naja, genau kann ich das eigentlich nicht sagen, aber es ist sicher eine Menge Zeit vergangen. Zumindest auf der Erde oder die irdische Dimension, wie sie sie hier nennen.

»Was ist nun eigentlich meine Aufgabe als Seraphin?«, frage ich, um meine erneut aufkommenden Gefühle abzuschütteln.

»Wie meinst du das?«

Ich sehe ihn an, aber rasch wieder weg, als das Flattern erneut beginnt. »Ich muss dieses Training doch sicher nicht ohne Grund machen. Also warum soll ich das machen?«

Da ich nicht weiß, wo ich hinschauen soll, sehe ich auf meine Hände, die ich in meinen Schoß gelegt habe. Nervös spielen meine Finger miteinander, reiße ich an meinem Nagelbett und kaue nun auf meiner Unterlippe.

Er dreht mein Gesicht zu sich und sieht mich eindringlich an, lächelt. »Ist das denn wichtig? Du bist hier und nur das zählt.« In mir flattert es nun gewaltig, ich ertrinke in flüssigem Gold. Er beugt sich weiter zu mir, mein Herz stockt, ich halte die Luft an, während sich seine Lippen leicht öffnen.

Eisblaue Augen blitzen in meinen Gedanken auf, ich kann es nicht verhindern, sein Gesicht vor mir zu sehen, den Schmerz zu fühlen – Michael erstarrt in der Bewegung.

Verdammt … Ich muss auf meine Gefühle und Gedanken achten!

Schnell schiebe ich es von mir, verschließe es wieder in meinem Innern, da, wo sie nicht hingelangen. Ich schotte es vor ihm ab.

Er mustert mich, berührt mein Kinn, seine Miene ist dabei mehr als merkwürdig. Dann richtet er sich auf und tritt an den Rand des Netzes.

»Vielleicht solltest du noch mehr Zeit bei unserem Lösungstraining verbringen. Ich werde morgen anwesend sein«, meint er noch, bevor er durch das Netz verschwindet.

Seufzend lehne ich mich in der Matte zurück, hänge zur Hälfte darin, bringe sie mit den Füßen zum Schaukeln.

Ich war unvorsichtig. Wenn er da ist, muss ich lernen, mich zusammenzureißen. Anfangs war es schrecklich, der Schmerz, von Vince getrennt zu sein. Sie wollten, dass ich dies schnell ablegte, aber ich konnte nicht. Irgendwann lernte ich, dass es in mir einen Ort gibt, zu dem sie nicht gelangen können. Ich bin eine Seraphin, mächtig, das ist, was ich hier wirklich gelernt habe. Und wenn ich es will, kann ich einen Ort in meinem Innern verbergen, der nur mir gehört … und Vince.

Je länger ich hier bin, desto mehr kommt mir die Entscheidung falsch vor. Doch irgendetwas sagt mir, dass ich keine Wahl habe, als hier zu bleiben. Etwas fehlt, etwas, das ich wissen muss. Und solange dieses Gefühl besteht, kann ich nicht gehen. Wenn ich dies überhaupt kann. Denn ich bezweifle stark, dass er mich gehen lassen wird.

Wenigstens bewahre ich Vince in meinem Innern. Dorthin kehre ich in den Nächten zurück, in unsere gemeinsame Zeit. Auch wenn die unkontrollierten Reisen aufgehört haben, bin ich nun wirklich geschickt darin, mich bewusst und kontrolliert durch Zeit und Raum zu bewegen. Niemand bemerkt es, denn ich will es nicht. Ich reise zu Vince, um ihn zu sehen, uns zu beobachten und die Erinnerung hält mich aufrecht. Auch wenn ich meist danach zusammenbreche vor Sehnsucht nach ihm.

Vorsichtig lege ich mich wieder in die Matte und starre nach oben. Ja, Michael verwirrt mich noch immer, weil ich deutlich etwas fühle. Aber ich spüre von Tag zu Tag, dass es anders ist. Mein Herz sehnt sich nach Vince. Wieso sollte ich sonst jede Nacht zu ihm reisen?

Weil ich vielleicht einfach nur nicht loslassen kann? Ist es das?

Was er jetzt wohl tut? Bisher habe ich mich nicht getraut, in die erst kurz zurückliegende Vergangenheit zu reisen. Immer nur in die Zeit, als wir frisch zusammen waren, in unsere Zeit in Alabama oder die wenigen schönen Tage in Caspians Haus.

Ich habe Angst davor, Angst was ich sehen könnte.

Ob er mich nun hasst? Oder vermisst er mich? Will er mich wieder zurück oder ist er zu verletzt?

Mein Atem verlangsamt sich, ich schließe die Augen und sehe sofort sein wunderschönes Gesicht vor mir.

Ich muss wissen, wie es ihm geht. Nur ein kleiner Augenblick … Ein winziger Moment …

Die Zeit reißt an mir, ich werde fortgetragen. Als ich mich aufsetze, liege ich auf seiner Couch und ein höllischer Lärm bricht los. Ich muss mir die Ohren zuhalten, so laut ist es.

Hat er etwa eine Alarmanlage installiert?

Verwirrt sehe ich mich um, sehe aber nichts.

Eine magische?

Auch wenn der Lärm mir die Ohren zum Klingeln bringt, nehme ich die Hände herunter und sauge alles in mich auf, jedes Buch, jedes Staubkorn. Seine Schuhe, die herumliegen, seine Klamotten. Ich weiß, dass ich nicht viel Zeit habe, renne nach oben und sehe das leere Bett, als wäre er gerade erst aufgestanden.

Es zu sehen, wühlt noch mehr in mir auf, als ich gedacht hatte. Denn in mir stürzt ein Gefühlswall nieder, den ich seit ewiger Zeit nicht mehr gefühlt habe. Dabei dachte ich, sie hätten mir alle genommen. Dies war wohl ein Irrtum. Es bricht alles hervor. Die Sehnsucht. Der Schmerz. Als würde man mir in die Eingeweide greifen und kräftig ziehen, nein, reißen, rücksichtslos, erbarmungslos.

Weinend breche ich zusammen, meine Knie schlagen auf dem Boden auf, doch diesen Schmerz spüre ich nicht. Plötzlich verstummt der Lärm und ich muss meine lauten Schluchzer unterdrücken, denn ich höre unten jemanden und weiß, dass er es ist. Ich fühle es, so wie ich ihn immer irgendwie gespürt habe.

Nun tue ich das, was ich auch eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr getan habe: ich nutze meine Runen, fülle die Täuschungsrune mit Magie und verschwinde gerade rechtzeitig, bevor er in seinem Schlafzimmer auftaucht, erst nach oben weiter rennt und dann wieder gedankenversunken herunterkommt.

Mein Herz bleibt stehen, ich kann nicht atmen, als er so dicht bei mir steht, dass ich ihn berühren könnte. Er sieht schlecht aus, seine eisblauen Augen sind von dunklen Ringen umgeben, seine Wangen wirken leicht eingefallen. Aber noch immer ist er für mich wunderschön.

Und da ist er. Sein Duft … wie nach einem Regenguss, frisch, rein …

Tränen laufen meine Wangen hinab. Wie in Trance, gebannt mit seinen Augen, die in meine Richtung schauen, hebe ich meine Hand, dicht über seiner Wange. Er sieht zu mir, aber sieht mich nicht …

»Mia?«

Ich schrecke auf, lasse die Hand sinken und trete zurück. Der Schmerz in meiner Brust ist so eindeutig. Wenn ich doch nur könnte …

Ich zwinge mich, meine Augen zu schließen, auch wenn alles in mir ihn ansehen will, berühren will. Bewusst konzentriere ich mich und reise zurück, mit seinem Bild in meinem Herzen. Er liebt mich noch immer … er wartet auf mich. Aber das darf er nicht. Sein Schmerz, sein Leid, so unerträglich …

Weinend sinke ich in meinem Pavillon zu Boden, vergrabe mein Gesicht in den Händen. Dieser Schmerz ist schlimmer als alle anderen bisher. Und meine Sehnsucht nach ihm verbrennt mich.

Es darf nicht mehr sein. Ich muss meinen Platz hier einnehmen, sagt die eine Stimme in mir.

Das kannst du aber nicht. Du liebst ihn, sagt die andere.

Ich kann den Schrei nicht unterdrücken, der mir aus der Kehle fährt. Ich schreie und weine, kralle meine Hände in mein Shirt an der Brust. Mir ist es egal, ob es jemand hört, ob mich jemand sieht. Ich kann nicht mehr.

Und er hört es. Natürlich. Michael ist fast sofort da, durch das Netz und bei mir am Boden. Er fragt nicht mal, schlingt die Arme um mich und drückt mich an seine Brust, wiegt mich. Fest. Der Wind hüllt uns ein. Sanft streicht er über mich hinweg, dringt in mich ein. Flattern. Irgendwann vergeht mein Zittern.

»Ich kann dir helfen, den Schmerz zu vergessen …«, meint er nach einer Weile. »Dann wird es leichter für dich.«

Vielleicht hat er recht. Vielleicht sollte ich das verschlossene Innere loslassen, damit es heilen kann. Damit ich von ihm loslassen kann und irgendwann wird er von mir loslassen können. Das jedenfalls rede ich mir ein.

Plötzlich überkommt mich eine Müdigkeit, die ich die ganze Zeit nicht verspürt hatte. Mir fällt es schwer, die Augen offen zu halten. Ich blinzle bemüht, verliere dennoch den Kampf.

Michael hebt mich hoch und legt mich in meine Matte. Noch ehe ich richtig liege, bin ich weggedämmert. Im Halbschlaf merke ich noch, wie er mir einen Kuss auf die Stirn gibt, es dort glüht, als würde er etwas sehr Warmes darauf drücken und dies in mich einsickern. Es dringt nicht bis ganz nach unten, legt sich nur oberflächlich, kriecht in meinen Verstand, aber nicht in mein Herz.

 

Als ich aufwache, fühle ich mich leicht und befreit.

Ich fahre mir übers Gesicht.

Was war gestern Abend geschehen? Mir ist, als hätte ich es vergessen … Wann habe ich mich eigentlich hingelegt?

Sobald ich das Netz zur Seite schiebe, spüre ich die anderen um mich herum. Jeder der neuen Engel hat hier einen Pavillon für sich. Ich setze mich an den kleinen Glastisch, der schon reichlich gedeckt ist mit Früchten und Madeleines, auch eine Karaffe Saft steht bereit.

Der Pavillon ist zwar nur aus Holz und mit dichten Vorhängen versehen, aber es reicht, um genug Privatsphäre zu haben. Aus einer Truhe nehme ich mir was zum Anziehen heraus. Die Kleidung erinnert mich an eine andere, die so unglaublich leicht und weich war. Dennoch sieht diese hier nicht danach aus, denn sie ist zwar weiß, aber enganliegend. Schwarz tragen nur die richtigen Engel. Dabei hätte ich gedacht, es sei eher umgekehrt.

Eigentlich sollte mich hier nichts mehr wundern.

Ich binde mir einen Gürtel um dieses halbe Kleid, was wohl ein langes Oberteil sein soll, es ist mir sonst viel zu weit. Es hat aber eine Kapuze, deswegen liebe ich es so sehr. Jeden Morgen ziehe ich es an.

Ich trete hinaus in den paradiesischen Garten. Es ist so hell und friedlich hier. Niemand ist sonst zu sehen. So wie jeden Morgen. Ich laufe los und falle sogleich in einen gleichmäßigen Schritt, laufe den Weg entlang, mein tägliches Ritual – wie früher.

Früher? Der Gedanke kommt mir, vergeht aber sofort.

Deswegen konzentriere ich mich auf diese herrliche Luft. Sie ist rein, und die summenden Geräusche und Klänge um mich herum, beruhigen mein Innerstes noch mehr.

Der Weg führt an den kleinen Bächen vorbei, einen Miniwasserfall und an den anderen Pavillons. Die letzten Neulinge, die mit mir hier waren, sind fort und neue Engelfrischlinge sind eingezogen. Ihnen setzt das alles noch sehr zu. Ich bin Härteres gewohnt. Glaube ich zumindest …

Das Tempo erhöhend laufe ich zu dem Allerheiligsten der Engel. Es sieht aus wie ein … Ja, wie eigentlich? Das ist schwer zu beschreiben. Es sieht aus wie ein Gebäude aus Milchglas, mit weißen Marmorsäulen unterbrochen, rechteckig, und es ist riesig.

Die ersten Engel sind schon auf Weg dorthin. Was sie darin tun, weiß ich nicht. Es ist uns Neulingen verboten, dieses zu betreten.

Ich laufe weiter, komme am Gebetshaus vorbei, welches ebenfalls schon gefüllt ist.

Schlafen Engel überhaupt? Brauchen sie Schlaf? Wenn ich von mir aus gehe, eher wenig bis gar keinen, würde ich sagen.

Was mich deswegen auch so verwundert, dass ich diese Nacht geschlafen habe. Wahrscheinlich brauchen sie zwar weniger davon, aber irgendwann ist es doch nötig und deswegen habe auch ich jetzt einfach mal geschlafen.

Aber ich kann mich gar nicht daran erinnern, mich hingelegt zu haben.

Das Haus der Erlösung kommt in Sicht. Es ist rund und eigentlich ist Haus nicht die richtige Bezeichnung dafür. Es ist eher ein Zelt, ein großes rundes Zelt, das aussieht wie eine Glocke.

Als ich Michael darin verschwinden sehe, ziehe ich mir die Kapuze dicht ins Gesicht und versuche, mein Innerstes zu schließen, mich unbemerkt vor ihm zu machen. Anscheinend spürt er immer, wenn ich in der Nähe bin. Daher fällt es mir ungemein schwer, etwas Genaueres von hier mitzubekommen. Doch wenn ich noch eines hier gelernt habe, ist es, dass mir wirklich keine Grenzen gesetzt sind. Ich vermag Dinge zu tun, die die anderen Engelfrischlinge nicht zu träumen wagen. Sogar Pflanzen wachsen lassen kann ich – aus dem Nichts. Unnötig vielleicht, aber interessant zu wissen. Also wenn mein Wille so viel bewirken kann, wieso nicht auch, dass ich mich vor ihm wirklich verbergen kann.

Nun komme ich am Haus der Runen vorbei.

Alle Runen stammen tatsächlich von den Engeln. Hier bewahren sie jegliche Schriften dazu auf, alle Ur-Runen, alte und neue. Viele habe ich noch nie gesehen, denn anscheinend gibt es unzählige mehr, die sie aber den Wächtern vorenthalten, weil sie sie für zu mächtig halten.

Ob ich dort etwas finde, um mich vollends vor Michael und den Engeln zu verbergen?

Gerade biege ich in den Weg dorthin ein, als ich meinen Namen höre.

Verdammt …

Ich wende mich um und sehe Michael auf mich zukommen.

»Was tust du da?«, fragt er und mustert mich leicht irritiert.

Ich sehe nach rechts und links, nach unten und breite leicht die Arme aus. Mit den Schultern zuckend meine ich: »Äh, laufen?«

»Das sehe ich. Aber wieso?«

»Wieso nicht?«

Lächelnd tritt er zu mir und berührt meine Wange. »Du bist meine Geliebte, du brauchst nicht mehr zu trainieren.«

Meine Augen verengen sich. »Was soll denn das nun wieder heißen?«

»Das du nie mehr kämpfen musst. Du bist hier für alle Zeiten sicher.«

Ich nehme seine Hand in meine, um das Brennen und Flattern zu beenden, was sie an meiner Wange und in mir auslöst. Er nimmt es wohl eher als Zeichen der Zuneigung wahr, denn er lächelt noch eine Spur liebevoller.

»Das wollte ich dich sowieso noch fragen. Ich bin eine Seraphin.«

»Ja, und weiter?«

»Wie lange lebe ich?« Ich sollte nicht in seine Augen sehen, doch anders würde er mir ausweichen. Das Flattern beginnt erneut, doch ich versuche, mich zu konzentrieren, auf mich.

»Für ewig.«

Auch wenn ich es mir dachte, schockiert es mich. »Aber so richtig unsterblich bin ich nicht. Man kann mich töten.«

Er lacht verständnislos. »Wieso sollte dies jemand tun? Du bist hier und in Sicherheit. Niemand wird dir irgendetwas tun.«

Nickend sehe ich zur Seite, lasse seine Hand los. Etwas rührt sich in mir, doch wird es sofort von dem Flattern verdrängt, das in mich eindringt. Michael zieht mich in seine Arme, umgibt mich mit Wind und Wärme.

»Du bist bei mir. Ich werde nicht zulassen, dass dir jemand was tut.«

Ein Hauch der Erinnerung regt sich in mir, wird abermals verdrängt, doch ich halte es fest, schiebe es weit in mein Innerstes, das ich vor ihm verberge. Denn ich habe das Gefühl, dass es dort hingehört, ohne zu wissen, was es überhaupt ist.

»Hast du die neuen Engel hinuntergeschickt?«, frage ich.

Michael schiebt mich so weit von sich, dass er mich ansehen kann. »Dein Vorschlag war gut. Aber dennoch bin ich mir nicht sicher, ob sie dem Leben dort gewachsen sind.«

»Sie können dort helfen, der Rest ergibt sich.«

»Aber dieses menschliche Dasein ist nicht gut für sie. Wieso bist du dir so sicher, dass es sie nicht beeinflussen wird?«

Genau das ist es ja, was ich will, dringt es in mein Bewusstsein ein. Die Engel treiben ihnen das Menschsein aus und auf diese Weise kann ich gegenwirken. Zumindest hoffe ich das.

Wieso will ich das überhaupt? Ich habe doch keinen Grund dazu. Oder?

»Ihr habt sie doch gut ausgebildet«, erwidere ich. »Sie sind Engel durch und durch. Und wenn, was hättet ihr dagegen?« Ich runzle selbst die Stirn über meine Frage, die mir herausgeplatzt ist.

Seine Lippen werden zum Strich und ich bemerke, dass er ebenfalls versucht, etwas vor mir zu verbergen. Denn auch ich bin feinfühliger für diese Verbindung geworden. Er hat keine Ahnung, wie tief ich ihn spüren kann. Doch ich muss vorsichtig sein, dass er es nicht wahrnimmt.

Was rede ich da schon wieder? Was ist los mit mir?

»Geliebte, wir sind Engel, keine Menschen. Diese Dinge gehören nicht in unsere Welt.«

»Verstehe.«

Plötzlich schiebt er mir die Kapuze vom Kopf, ich sehe ihn an.

»Hör auf zu trainieren. Bereite dich besser auf deine Sitzung bei Uziel vor.«

 

Während ich von meinem Pavillon zu dem Zelt der Erlösung laufe, denke ich an Uziel, der weibliche Engel, der diese Sitzungen führt. Seit meinem ersten Tag setzt sie mich den Suggestionen aus, die meine Ängste und Emotionen heraufbeschwören. Stück für Stück habe ich das Gefühl, dass sie mir etwas dadurch nehmen. Deswegen klammere ich mich an alles, als würde dies mein Leben bedeuten. Vielleicht tut es das auch. Sie jedenfalls verzweifelt an mir und ich weiß, sie ist wenig zufrieden mit meinem Fortschritt.

Daher habe ich gelernt, die Dinge, die sie nicht sehen sollen, in meinem Innersten zu verschließen.

Der Zelteingang ist verschlossen. Also befindet sie sich in einer Sitzung. Daher lasse ich mich auf dem Boden nieder und warte.

Uziels Gesänge dringen an mein Ohr. Mir läuft es jedes Mal dabei eiskalt den Rücken hinunter, obwohl es eine schöne Melodie ist und sie eine tolle Stimme hat. Aber etwas ist daran unheimlich. Überhaupt ist Uziel eine Sache für sich. Ihre Erscheinung täuscht unglaublich. Sie ist ein Sinnbild für einen Engel, wie sie sich Menschen wahrscheinlich vorstellen: blonde Lockenpracht, blaue klare Iris. Gut, das Weiß der Augen ist eher cremefarben, hebt sich aber gegen das übliche Schwarz der Engel ab. Was es wohl bedeutet, diese unterschiedlichen Augen der Engel?

Ich schiebe diesen Gedanken erst einmal beiseite. Auch wenn ich es nicht darf, reiße ich eine Blume aus dem Gras und beginne, die Blütenblätter daran abzurupfen.

Vorsichtig versuche ich zu erfühlen, wie viele Engel in meiner Nähe sind, wie viele mich davon spüren. Um meine Konzentration zu steigern, verschränke ich meine Beine und schließe die Augen. Die Seraphin in mir, spürt sie alle automatisch, als hätte ich ein inneres Radar. Nun höre ich auch ihre Stimmen, manche reden miteinander. Sie werden klarer, je mehr ich mich auf eine Stimmfarbe konzentriere. Ob das normal ist? Ob Michael und die anderen das auch können? Es macht mir nicht den Eindruck, als würden sie ständig Stimmen hören.

Ich suche nach Michaels Stimme, nach dem Wind …

Nach einer Weile höre ich ihn so klar und laut, als stünde er neben mir. Sofort wird mir bewusst, dass ich dies nicht hören sollte, geschweige denn es können dürfte. Denn wenn er wüsste, dass ich es hören kann, würde er nicht über mich reden.

»Sie fügt sich noch immer nicht richtig ein«, höre ich Raphael sagen.

»Das wird sie, ich arbeite daran«, antwortet Michael.

»Wenn sie sich nicht bald fügt und zu einer von uns wird, dann weißt du genauso gut wie ich, dass der Kronrat sie nicht dulden wird. Auch wenn sie deine Auserwählte ist. Sie werden es von dir verlangen, ob du dies nun willst oder nicht.«

»Sie wird sich verlieren. Vielleicht vollkommen. Sie wäre nicht mehr sie selbst.« Den Schmerz in seiner Stimme kann ich deutlich hören und spüren.

»Willst du lieber, dass sie sie vernichten, wie sie es mit all den anderen Seraphin gemacht haben, als sie sie nicht mehr gebraucht haben?«

Ruckartig reiße ich die Augen auf und bin wieder weit weg von ihnen, doch mein Herz beginnt gegen meine Brust zu hämmern, sowie mein Atem nun eine Schnelligkeit erreicht, als wäre ich gerannt.

Von wegen, ich bin in Sicherheit. Wenn ich nicht wie sie werde, bin ich genauso tot, als wenn Bael mich in die Finger bekommt. Dabei gebe ich mir doch Mühe, oder nicht? Ich will mich ja anpassen … Ein Teil in mir lacht laut auf.

Als könnte ich mein Innerstes berühren, lege ich die Hand auf mein Herz.

Ist es ein Akt der Rebellion, wenn ich dies alles nicht ablege und in mir trage? Wirklich? Wieso sollte mich das schwach machen, wie sie behaupten? Sind nicht unsere Gefühle der Grund, warum wir uns bewegen, warum wir etwas tun? Ich will das nicht verlieren. Mich verlieren. Das hat er doch eben gesagt …

Schreie dringen an mein Ohr, verzweifelte, weinende. Wenig später wird der Zelteingang zur Seite geschoben und ein schluchzender junger Engel kommt heraus. Uziel, die hinterherkommt, wirkt ungerührt, so als ginge sie das alles nichts an.

Der Engel ist wirklich jung. Michael erzählte mir, dass dieser erst 14 war, als er auf der Erde durch einen Unfall starb. Zum Glück erinnerte er sich daran nicht mehr, denn seine Qualen, bis er wirklich tot gewesen war, wären unbeschreiblich gewesen.

Er schlurft an mir vorbei in Richtung der Pavillons. Sein dunkles langes Haar hängt bis weit ins Gesicht. Aber auch ohne es zu sehen weiß ich, wie feuchtnass die Wangen sein müssen.

»Du bist früh dran heute. Das ist schön«, meint Uziel und sieht auf mich hinunter, dabei beäugt sie kurz die kaputte Blume vor mir. »Komm herein.« Ihre Stimme ist eine Spur kühler, doch dies ignoriere ich und erhebe mich einfach von meinem Platz. Ohne ein Wort an sie zu richten, folge ich ihr in das runde Zelt.

»Setz dich«, fordert sie mich auf.

Ich sehe mich um und verstehe noch immer nicht, ob sie nun hier lebt oder nur die Sitzungen abhält. Denn im hinteren Bereich steht ein Bett. Stehen ist nicht ganz korrekt, es schwebt, hat keine Füße. Dieser rückwärtige Teil des Zelts ist mit langen, aber ebenso leichten Vorhängen abgetrennt, die aus dem gleichen Material zu bestehen scheinen, wie auch mein Netz an der Hängematte. Im vorderen Bereich liegen drei Sitzkissen um eine Kerze, die im Wasser schwimmt. Sonst hängen Duft- und Öllämpchen im Zelt, einige Räucherschalen stehen verteilt herum.

Hier drinnen ist die Luft immer am schwersten. Das Licht ist nur dämmrig, was eine seltsam mystische Atmosphäre schafft.

Bevor ich mich setze, bleibe ich stehen und sehe auf die Kissen. Sonst sind es immer nur zwei.

»Erwarten wir noch jemanden?«

»Michael.«

»Ah«, nicke ich, als wäre das selbstverständlich. Mein Blick fällt zu dem hinteren Bereich. Dort entdecke ich heute diverse Fläschchen auf einem kleinen Tisch, der neben dem Bett steht. Klein und filigran, kaum zu erkennen, worum es sich bei den Fläschchen handelt.

»Für was ist das Bett bestimmt? Machst du da deine Nickerchen?«, frage ich in einem Plauderton, mir bewusst, dass dies eigentlich falsch ist. Sofort spüre ich ihren Blick im Nacken, als ich näher an die Vorhänge heran gehe.

»Für die längeren Sitzungen«, antwortet sie knapp.

Wieder nicke ich, als verstünde ich, drehe mich dann zu ihr um, damit ich ihr Gesicht sehen kann. »Wie lange … gehen denn solche Sitzungen?« Interesse vorschiebend berühre ich eine dieser stehenden Räucherschalen, die mir bis zu den Hüften reicht; aus ihr strömt ein angenehmer Duft.

»Einige Stunden.«

»Stunden?« Ungläubig sehe ich sie an.

Sie allerdings blickt mich so ruhig an wie immer. »Manchmal auch Tage, Nächte. Je nachdem.«

Ich trete unwillkürlich einen Schritt vor. »Je nachdem – was?« In meinem Ton schwingt nun doch deutliches Misstrauen mit, das ich kaum unterdrücken kann.

Michaels Eintreten rettet sie vor einer Antwort. Sicher entgeht ihm nicht, dass eine gewisse Anspannung herrscht, doch die übergeht er und kommt sofort zu mir. Merkwürdigerweise berührt er mich vor Uziel, die sich aber sofort abwendet, indem sie sich auf eines der Kissen niederlässt und die Augen schließt.

Seine Hand streicht über mein Haar und sogleich beginnt es in mir zu flattern. »Bist du bereit, Geliebte?«, flüstert er mir zu; ich nicke nur und lasse mich ebenfalls nieder, Michael dicht neben mir.

Ohne Vorbereitung beginnt Uziel mit dem Gesang, aber ich weiß auch so, was ich zu tun habe. Ich schiebe meine Füße unter meine Beine, lege meine Hände mit den Innenflächen nach oben auf meinen Knien ab und starre in die Flamme der Kerze.

Augenblicklich tanzt diese vor meinen Augen, wiegt sich in dem Gesang und lässt meinen Kopf wie leergefegt wirken. Ich kann keinen Gedanken mehr fassen, es entgleitet mir mit jeder Sekunde mehr. Meine Augen werden schwer, ich werde fortgetragen …

 

Kapitel 4

 

~Mia~

 

Mein 16. Geburtstag. Ich bin in Magnus’ Haus, am Rande einer kleinen Vorstadt von New York. Doch spüre ich auch gleichzeitig, dass ich auf dem Kissen im Zelt sitze. Sicher sollte ich mir dessen überhaupt nicht bewusst sein.

Ich blicke in mein jüngeres Ich, sehe aber dennoch mich selbst, meine Augen, wie sie jetzt sind. Sie sind nicht mehr nur braun, in ihnen sind silberne Fragmente, wie kleine feine Pünktchen im Braun verteilt.

Mich vor dem Spiegel wendend betrachte ich mich. Meine Jeans ist etwas an den Knien und an den Schienbeinen zerrissen. Das schwarze Oberteil ist leicht durchsichtig, aber an der richtigen Stelle verdeckt es genug. Stimmt, damals war ich sehr rebellisch Magnus gegenüber. Irgendwie war ich mit allem spät dran, auch mit dem Rebell-sein. Wenn andere das mit 14 schon taten, war ich wirklich brav gewesen, bis kurz vor meinem 16. Geburtstag.

»Wieso sehe ich dich nie in einem geilen engen und kurzen Kleid?«

Im Türrahmen steht Steve, mein damaliger Freund und der Grund für meine damalige Phase.

Wieso zeigen sie mir ausgerechnet diese Erinnerung?

Steve kommt auf mich zu, zieht mich an sich und zwingt direkt seine Zunge in meinen Mund. Völlig perplex lasse ich es zu, obwohl ich diese Szene anders in Erinnerung hatte. Langsam manövriert er uns zum Bett, dort stoße ich an die Kante und falle darauf. Sofort ist er auf mir und küsst mich, schiebt mir mein Shirt hoch.

Nein, das ist falsch. So war das nicht!

»Steve«, keuche ich, versuche ihn mit Worten zum Aufhören zu bewegen. »Wir wollten noch warten …«

»Ich will nicht mehr warten«, haucht er an meinem Hals; seine Hand quetscht meine Brust, es tut weh.

»Hör auf. Ich will-« Ich versuche, ihn von mir zu drücken, stemme meine Hände gegen ihn.

Er packt sie und hält sie über meinem Kopf fest. Seine Augen sind … so kalt. »Du wolltest doch erwachsen und rebellisch sein.«

Steve war so nicht! Er war mein Erster, zwar wirklich ein Draufgänger, aber unglaublich zärtlich. Dieser hier ist ein Monster! Ja, genau das ist es, was sie doch wollen. Und schon höre ich Michaels Stimme.

»Siehst du? Die Menschen sind unkontrollierbare Monster. Sie wollen und wollen. Egal, ob jemand Nein sagt, es ist ihnen gleich.«

Ich zwinge mich von der Situation fort, spalte mein Bewusstsein, wie ich es schon so oft getan habe. Die leidende Mia lasse ich zurück und beschwöre mir die richtige Erinnerung herauf, aber so, dass sie sie nicht sehen. Nur für mich, in meinem Innersten, wo ich sie nun verschließe, für alle Zeit verborgen vor ihnen.

Ja es war mein 16. Geburtstag gewesen. In der Nacht nach der Party. Aber nicht hier, sondern bei ihm. Er hatte alles vorbereitet, wie in einem kitschigen Film: Kerzen und Musik. Zumindest lief kein Kuschelrock, das wäre wirklich ein Stimmungskiller gewesen. Aber sie passte zu uns und ich fühlte mich unendlich wohl in seinen Armen. Auch wenn es nicht gehalten hatte, waren wir anderthalb Jahre zusammen gewesen. Bis ich ihm von den Lichtern erzählt hatte. Heute weiß ich, dass es genau so kommen musste. Er war es nicht. Er war nicht der Richtige.

 

Ich schrecke auf; mein Kopf war wohl auf meine Brust gesunken, dennoch sitze ich aufrecht da. Mein Schädel dröhnt unglaublich, als hätte jemand versucht, ihn zu spalten. Gut, das habe ich auch getan. Doch dafür lohnen sich die Schmerzen gerade.

Auch vor Michael und Uziel muss ich mich nun sofort verschließen, sie dürfen nicht meine Aufgewühltheit bemerken. Denn eigentlich sollte ich nun davon losgelöst sein, von der Erinnerung und den Empfindungen, die ich eigentlich damals hatte. Alles ist vorhanden, in meinem Innersten. Vor ihnen breitet sich nun aber Leere aus, als sie in mich eindringen. Ich schließe die Augen, bleibe ruhig und verstärke meinen inneren Schild, der für sie nicht vorhanden ist.

»Wunderbar«, meint Uziel; ich öffne die Augen, sehe Michael lächeln, ich lächle einfach zurück.

»Machen wir weiter.« Uziel sieht wie immer ungerührt drein – sie ist mir echt suspekt.

Wieder setze ich mich in Position und starre in die Flamme der Kerze. Selbst wenn ich mich nicht bereit fühle, müde bin, gehorche ich. Langsam treibe ich abermals davon. Meine Hand zittert, ich verspüre Angst, was mich nun erwartet.

Auch dieses Mal bin ich in Magnus Haus, einige Jahre später, wie es scheint. Denn das Mädchen von damals ist verschwunden und mich blickt eine junge Frau an, die ihre Rebellin hinter sich gelassen hat. Zumindest äußerlich.

Ein goldenes Licht hinter mir, das ich durch den Spiegel sehe, fliegt an mir vorüber. Ich drehe mich um, erhasche einen kurzen Blick darauf, wie es durch die Hauswand nach draußen fliegt. Schnell gehe ich ans Fenster und sehe, wie einige goldene Lichter sich zum Wald bewegen. Damals habe ich es nicht verstanden, heute ist mir klar, dass es wohl Michael gewesen ist, der ein Tor erschaffen hatte.

Ich wende mich ab, frage mich, was ich hier soll, als mein Blick auf mein Bücherregal neben der Tür fällt, voller – Engelsfiguren! Stimmt. Jedes Jahr habe ich eine bekommen, von wem, weiß ich nicht. Wusste ich nicht, denn nun ist mir auch das klar.

Plötzlich stürmt Magnus die Tür herein und wirft mir etwas vor die Füße, das durch den Teppich dumpf aufprallt. Es kommt zum Liegen und erst jetzt erkenne ich eine weitere dieser Figuren.

»Nun sag mir nicht, dass du noch immer nicht weißt, von wem die sind! Sie kommen jedes Jahr am gleichen Tag und liegen wie von Zauberhand vor unserer Tür!«

Sein Brüllen überrascht mich noch mehr. So war er nie. Niemals in all den Jahren. Ich erinnere mich, dass er damals wieder mit einer Figur hereinkam, aber ganz ruhig gefragt hatte. Mich bat, mich zu setzen und mir dann auch von Engeln erzählt hatte, dass es sie wirklich gibt. Aber wieso er das erst dann tat, ist mir bis heute nicht bewusst. Vielleicht, weil ich ein Jahr danach zur Uni kam und es dann sowieso herausgefunden hätte? Auch drängt sich mir die Frage auf, wie viel er wirklich wusste oder weiß …

Dieser Magnus hier packt mich hart an den Schultern und schüttelt mich. »Ich sollte dich hierbehalten! Du lügst und hintergehst mich. Dankst du es mir so, dass ich dich aus dem Loch des Heims geholt habe?«

Seine Augen blicken mich wütend an, er tut mir weh, weil seine Finger sich regelrecht in meine Schulter bohren. Aber der Schmerz ist nicht nur körperlich. Er war mir immer wie ein liebevoller Vater, in all den Jahren. Ich erinnere mich jedoch immer an seine lieben Worte, seine Blicke, wenn er mich tröstete. Er war für mich da, obwohl er selbst manchmal keine Ahnung hatte, wie man mit einem Mädchen umging. Aber er tat sein Bestes.

So will ich Magnus in Erinnerung behalten. Das hier ist nicht Magnus, nur ein eifersüchtiges, selbstsüchtiges Monster mit seinem Äußeren.

Seine Schimpftirade höre ich nicht mehr. Wieder spalte ich mich ab, mein Kopf will zerspringen und etwas drückt mir auf den Brustkorb. Nimmt mir den Atem. Ich spüre, wie Realität und Fiktion kämpfen und mir mehr und mehr Kraft rauben. Doch ich schaffe es, meine eigene Erinnerung zu sehen und sie in mir zu verschließen. Sie ist meine. Ich gebe sie nicht her.

Abermals höre ich Michaels Stimme. »Sieh, sie wollen dich alle aus selbstsüchtigen Gründen. Menschen sind so schrecklich unvollkommen.«

Magnus Gesicht wird zu einer Fratze, seine Züge verzerren sich, seine Augen werden rotglühend – diese Darstellung zieht mich zurück in diese entstellte Erinnerung.

Er macht mir wirklich Angst, stößt mich so heftig durchs Zimmer, dass ich hart an die Kante meines Schreibtisches stoße. Den Schmerz spüre ich sehr real und keuche auf, als er mir das Bein hinaufschießt. Wieder stürzt er sich auf mich, packt mich an der Kehle. Doch es ist nicht mehr Magnus. Ich sehe jemand anderen in ihm, zwinge das Bild aber sofort weg, bevor Michael oder Uziel es bemerken. Ich darf nicht an ihn denken. Nicht jetzt!

Deswegen setze ich mich mit diesem Magnus auseinander. Stemme mich gegen ihn, packe seine Handgelenke und abermals kommt es mir vor wie ein Déjà-vu. Mein Herz beginnt zu rasen und die Enge in meinem Brustkorb wird schier unerträglich.

Denke nicht an ihn. Tu es nicht!

Ein Teil in mir stemmt sich dagegen, doch ein anderer will genau das: ihn sehen. Die Person, die ich in mir verschlossen habe und an die ich nicht mehr gedacht habe, bis zu diesem Moment.

Ich will ihn … sehen …

Dieser Wunsch schmerzt und reißt.

Ich darf nicht!

Aber ich kann es nicht verhindern. Es geschieht, ohne dass ich es noch steuern kann.

Meine Beine geben nach, falle auf den Rücken. Ich bin nicht mehr in diesem Zimmer, sondern in der anderen Dimension und es ist Vince, der nun über mir kniet und mich würgt.

»Vince …«

Die Tränen brennen in meinen Augen und nicht nur er schnürt mir die Kehle zu. Ich spüre alles erneut. Meine Panik, die Angst, ihn zu verlieren, ist stärker als die Furcht vor ihm und seiner Kraft.

»Erwehre dich dem Monster! Du kannst es besiegen!«, erklingt Michaels Stimme. »Töte ihn!«

»Nein!«, schreie ich. »Nein, das kann ich nicht.«

Mit allem was ich habe, kämpfe ich gegen dieses verzerrte Bild an, das eigentlich keines ist.

Ich will hier raus. Ich will es nicht tun. Auch wenn er dann weiß, dass ich mir des Hier und Jetzt bewusst bin, weiß, dass dies eine Suggestion ist. Und dass ich mich weigere, mich gegen Vince zu stellen.

Mein Kopf birst fast, mein Körper scheint in Flammen zu stehen. Der Gesang dröhnt stärker in meinem Kopf, hallt und will mich bezwingen. Ich spüre Druck auf meinen Schultern, als würde mich jemand fest dort packen und niederdrücken.

Nein … nein … Nein!

Mit einem Schrei erwache ich und finde mich auf dem Boden liegend wieder. Mein Kopf ruht neben der Schale mit der Kerze im Wasser. Ich blinzle die Tränen weg und richte mich benommen auf, berühre meine Stirn, um zu sehen, dass mein Kopf wirklich noch da ist.

Dann bemerke ich, wie sie mich anstarren. Keinen ihrer Blicke erwidere ich, versuche wankend, auf die Beine zu kommen. Als Michael mich aufhalten will, stoße ich seine Hand weg, taumle kurz und muss einen Moment innehalten, um das Schwindelgefühl unter Kontrolle zu bringen.

Beide stehen auf, wollen mich mit Sicherheit festhalten, doch ich habe mich so weit unter Kontrolle, dass ich zum Eingang wanke und das Tuch, das als Eingang dient, energisch zur Seite schiebe.

Ich muss hier raus. Einfach raus.

Die Luft tut meinem Kopf gut und ich kann ohne Probleme weiterlaufen. Ich höre und spüre Michael mir nachkommen, laufe aber einfach weiter. Als ich mich halbwegs sicher auf meinen Beinen fühle, beginne ich zu rennen. Anfangs ist es mehr ein Stolpern, weswegen die Runen auf meinem Körper mir helfen müssen.

Ich laufe. Weit weg von allem hier. Nur: wo soll ich lang? Es gibt keinen Zufluchtsort für mich, wo ich allein bin; Michael hat aufgeholt. Also tue ich das Einzige, das mich schnell hier wegbringt. Ich konzentriere mich auf nichts Bestimmtes. Und ehe er was tun kann, zerrt die Zeit an mir und trägt mich fort.

 

Wind stößt mir entgegen, ich taumle, sacke zu Boden, weil meine Beine mich keinen Moment mehr tragen wollen. Keine Ahnung, in welcher Zeit ich bin, aber ich kauere zitternd auf der Liberty, über mir die Sterne.

Hier kann ich meinen Tränen freien Lauf lassen. Niemand hört mein Leid, sieht meine Verzweiflung. Hier bin ich ganz allein nur für mich. Meine Gedanken. Meine Gefühle.

Und ich weine, weine meinen Schmerz heraus, meine Sehnsucht, meine Qual. Schreie, vergrabe mein Gesicht in den Händen und lege mich einfach hin, rolle mich zusammen wie ein kleines Kind. Nein. Wie eine Frau, die ihre Liebe verloren hat. Ihr Leben. Und eine Zukunft, für die sie doch hatte kämpfen wollen.

Was habe ich nur getan?

 

Irgendwann liege ich da und starre in den Sternenhimmel. Sie funkeln und leuchten, wie kleine Diamanten. Es wäre am schönsten, einfach hier liegen zu bleiben. Aber ich weiß, ich muss zurück und mich Michael stellen. Ich habe mich dafür entschieden. Jetzt muss ich da durch.

Wieso tun sie das mit mir? Wenn sie mich einfach ließen, hätten sie keine Probleme mit mir. Oder ahnen sie, dass ich mich niemals von ihm lösen werden kann?

Aber ich kann das … mit Sicherheit. Ich kann es versuchen … wenigstens etwas … ein klein wenig …

Ich setze mich auf und sehe zu den Lichtern der Stadt, wische mir die letzten Tränen aus den Augenwinkeln. Wem mache ich etwas vor? Wie sollte ich das je können? Eine Weile kam es mir so vor, als hätte ich ihn vergessen, und durch diese Suggestion, diesen Traum, kam alles zurück.

Ob ich doch mit Michael darüber reden sollte? Darauf vertrauen, dass er weiß, was das Beste für mich ist? Schließlich weiß ich noch viel zu wenig über meine Kraft als Seraphin. Und wer sollte es mir beibringen und mich lehren, wenn nicht Michael?

Als ich ging, dachte ich, meine Verwirrtheit würde sich lösen und meine Gefühle eindeutiger. Aber stattdessen wird das Flattern in mir von Tag zu Tag stärker und ich kann meine eigenen Empfindungen immer schwerer erkennen, wenn er in der Nähe ist. Oder sind es einfach die gleichen, die er hat? Vielleicht erkennt die Seraphin in mir ihn und will mit ihm leben, wie es ihr bestimmt ist.

Sanft berühre ich das Metall der Liberty und versuche, die Erinnerung an damals in mir heraufzubeschwören.

Merkwürdig …

Die Bilder sind verschwommen, als läge ein Film über ihnen. Ich kann sie nicht genau erfassen.

Was ist los?

Bevor ich eine Antwort finde, spüre ich, wie die Zeit an mir reißt und mich wieder zurücktragen will. Doch an welchen Punkt will ich zurück? Nicht an den, von dem ich verschwunden bin.

Nein, es soll Nacht sein, in meinem Pavillon, inmitten meines Netzes.

Ich stehe auf und überlasse mich dem Sog. Genauso wie ich es wollte, lande ich, stehe neben der Hängematte und seufze, kaum dass ich im Augenwinkel etwas wahrnehme. Denn ich sehe Michaels Schatten durch das Netz. Aber er kommt nicht herein, bleibt außerhalb und wartet. Noch einmal atme ich ein und aus, trete dann hinaus und stehe direkt vor ihm.

Seine goldenen Augen sind traurig, sein Schmerz ist deutlich zu spüren.

»Ich habe mir Sorgen gemacht.«

»Ich weiß, tut mir leid. Ich …« Ich sehe zu Boden, habe Angst, seine Augen würden das Flattern zurückbringen. »Ich brauchte einfach etwas Zeit für mich. Mich ganz allein.«

Plötzlich zieht er mich in seine Arme, das Flattern breitet sich schlagartig aus, wird stärker und stärker. Selbst der Wind, der uns immer zu umgeben scheint, zerrt kräftiger an mir. Ich habe nicht einmal Zeit, mich dagegen zu wappnen. Er gräbt sich in meine hintersten Winkel, nicht aber in mein Innerstes. Erinnerungen, Bilder, sie alle verblassen und ich kann nichts mehr davon greifen. Ich fühle nur noch uns. Seine Lippen berühren meine, unsere, ich weiß es nicht. Eine Welle durchströmt mich, löst etwas in mir ab, vage Fetzen von etwas, das ich nicht wirklich erfassen kann. Aber bevor ich bewusst darüber nachdenken kann, wird mir schwarz vor Augen.

 

Kapitel 5

 

~Vincent~

 

Der Wald liegt ruhig da. Rachels Atem kann ich aber deutlich hören, auch wenn sie auf der anderen Seite der Lichtung im Unterholz kauert.

Wir sind in einem Wald irgendwo in Nevada. Uns wurde von einer Erscheinung berichtet, die Menschen in den Wald lockt und die nicht mehr gesehen wurden. Angeblich sei es eine Legende, aber die Vorfälle häufen sich und deswegen sind wir hier.

Wieder ist ein Monat verstrichen. Auf Rachels Drängen hin habe ich es bisher unterlassen, mich mitten in das Gewühl aus Dämonen zu werfen. Aber irgendetwas muss ich tun, sonst nehmen meine Gedanken überhand. Ich habe beschlossen, Mia zu vertrauen. Sie wird zurückkehren und erkennen, wer sie wirklich ist und wo sie hingehört.

So richtig scheint mir Rachel aber nicht zu glauben, dass ich nur mehr normale und relativ ungefährliche Wächter-Missionen durchführe, denn neuerdings besteht sie darauf, mich zu begleiten. So wie heute.

Ein leiser Gesang schallt durch den Wald – mein Stichwort. Ich trete aus meinem Versteck und beginne, die Lichtung entlang zu schlendern.

Wenn es sich um eine reine Nachterscheinung handelt, wird sie versuchen, mich zu locken. Es sind Geister von Bräuten, die kurz vor der Hochzeit ihren Tod fanden, sich damit aber nicht abfinden konnten und nun ruhelos umher streifen auf der Suche nach ihrem Bräutigam. Dass sie diese allerdings töten, ist tragisch.

Nicht weit von hier haben wir ein Grab entdeckt, eine Gedenkstätte zu Ehren einer gestorbenen Jungfrau, die für ihre Hochzeit Wildblumen auf dieser Lichtung pflücken wollte. Dies ist schon Jahrhunderte her, aber sie streift noch immer als Erscheinung durch diese Welt. Vermutlich wurde ihr ohnehin schon ruheloser Geist durch irgendeinen Vorfall in seinem Schlummer gestört und nun ist sie auf der Suche.

Der Gesang kommt immer näher, ich kann ihre fauligen Ausdünstungen riechen, als sie hinter mir herschwebt. Jeden Muskel angespannt, laufe ich weiter, auf den Punkt zu, den ich mit Rachel ausgemacht habe. Dicht im Gras verborgen liegen Kristalle, die die Erscheinung dort gefangen halten sollen. Rachel wird sie aktivieren, sobald ich den Kreis betrete. Leider werde ich ebenfalls dort gefangen sein.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783967411058
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Juni)
Schlagworte
Vila Werwolf Kampf Seraphin Magie Engel Dämon Wächter Zeit Vampir Fantasy düster dark Urban Fantasy

Autor

  • Zara Kent (Autor:in)

Zara Kent wurde 1987 im schönen Saarland geboren, wo sie auch heute wieder lebt. Sie ist die Jüngste von drei Geschwistern. Der Traum, Autorin zu werden, stand für sie schon sehr früh fest, da sie sich gern in Bücher entführen lässt und es liebt, eigene Welten zu erfinden. Zwischen Arbeit, dem Schreiben und Familie, kümmert sie sich noch um eine Katze, Madame oder auch Hexe genannt. Da sie ihren Traum leben wollte, hielt sie sich an ihr Motto: »Kämpfe für deine Träume, denn sonst tut es keiner.«
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Titel: Spiel der Mächte