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Seelische Stabilität bei lebensbedrohlicher Diagnose

Resilienztraining für gynäkologisch-onkologische Patientinnen nach Diagnosestellung

von Sabine Meyer-Böhmer (Autor:in) Peter Schust (Herausgeber:in)
101 Seiten

Zusammenfassung

Sabine Meyer-Böhmer: "Aus eigenem Erleben sowie aus umfangreicher beruflicher Erfahrung liegt mir das Thema Resilienz nach dem Schock einer lebensbedrohlichen Diagnose sehr am Herzen. Das gilt nicht nur für gynäkologisch-onkologische Patientinnen sondern für alle Menschen, die ihre seelische Stabilität in einer schweren Erkrankung erhalten oder wieder herstellen wollen. (...) Das in meiner Transferarbeit aufgezeigte Training macht eine gezielte Aktivierung unserer Ressourcen möglich, die wiederum unsere psychische und physische Gesundheit fördern. (...)"

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Impressum

© unisono institut verlag, ulm ∙ berlin

1. Auflage April 2021

ISBN eBook 978-3-948872-25-0

ISBN Paperback: 978-3-948872-34-2

Satz / Layout: Peter Schust
Erscheinungsort: Ulm

unisono institut verlag
Gudrun Jürß und Peter Schust GbR
Stuifenweg 23 ∙ 89075 Ulm ∙ www.unisono-institut.com/verlag

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sabine Meyer-Böhmer

Sabine Meyer-Böhmer, 1961 in Essen geboren, lebt und arbeitet seit 40 Jahren in Kiel. Nach 15jähriger Tätigkeit als Krankenschwester in der Anästhesie und Intensivmedizin, absolvierte sie eine Ausbildung zur Heilpraktikerin. Damit intensivierte sie ihr medizinisches Wissen, sowie ihr Verständnis für die Einheit von Körper, Geist und Seele.

 

Weitere Ausbildungen zur EMDR-Therapeutin, zum wingwave-, System- und GesundheitsCoach, zur NLP-Trainerin, Psychoonkologin, Resilienztrainerin (SHB) und eine Fortbildung in PEP nach Dr. Bohne folgten. Bis heute erweitert sie kontinuierlich ihre Expertise und ihre Erfahrung in den Bereichen physischer und psychischer Gesundheit.

 

Dieses breite Wissen und ihre umfangreichen Erfahrungen bilden die Grundlage für ihre Tätigkeit als Coach im Gesundheitsbereich, als Psychoonkologin und als Resilienztrainerin überwiegend mit Krebs- und Schmerzpatient*innen während ihrer Coaching- und Therapiearbeit in ihrer Praxis in Kiel.

 

Aus Sicht von Sabine Meyer-Böhmer sind die Menschen, die über psychische Widerstandskraft verfügen in Krisenzeiten besser gerüstet, um Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen und die anstehenden Schwierigkeiten zu bewältigen.

 

Weitere Informationen unter www.meersicht-kiel.de oder per Mail unter smb@meersicht-kiel.de.

Die nachfolgende Transferarbeit wurde im Rahmen der Ausbildung zum/zur Resilienz-Trainer/in an der Resilienz-Akademie (vgl. letzte Seite) angefertigt.

Transferarbeit: Certificate of Advanced Studies CAS – Ausbildung zum/zur Resilienz-Trainer/in

SEELISCHE STABILITÄT BEI LEBENSBEDROHLICHER DIAGNOSE

RESILIENZTRAINING FÜR GYNÄKOLOGISCH-ONKOLOGISCHE

PATIENTINNEN NACH DIAGNOSESTELLUNG

TRANSFERARBEIT

RESILIENZ-TRAINER (SHB)

STEINBEIS-HOCHSCHULE BERLIN

TRAINER: SEBASTIAN MAURITZ

SABINE MEYER-BÖHMER

NOVEMBER 2018

1. EINLEITUNG

„Wussten Sie schon? Ein ‚normaler’ Floh kann aus dem Stand etwa einen Meter hochspringen. Damit die Zuschauer die Kunststücke im Flohzirkus gut beobachten können, ist dort die Umrandung gerade mal 30 cm hoch. Warum entspringen die kleinen Artisten nicht einfach in die Freiheit? Sie werden zu Beginn ihrer Karriere ‚domestiziert’.

Über die Zirkusarena wird eine Glasscheibe gelegt. Jedes Mal, wenn der Floh zu hochspringen will, stößt er mehr oder weniger schmerzhaft an die Scheibe. Beim Lernvermögen eines Flohs dauert es mehrere Tage, bis er sich ein passendes Bild seiner Welt gemacht hat: ‚Meine Welt ist 30 cm hoch. Dann kommt eine feste Grenze. Jeder Versuch, diese Grenze zu überwinden, ist schmerzhaft und ohne Aussicht auf Erfolg.

Sein Weltbild sorgt also dafür, dass er keine allzu großen Sprünge macht - auch dann, wenn die Glasscheibe längst entfernt ist.“ (1)

Durch unsere Erziehung im Elternhaus, in der Schule und durch die Gesellschaft haben wir gelernt, dass es häufig besser sein kann, nicht mehr individuell hoch zu springen, sondern maximal ‚30 cm’. Dadurch haben wir früh ein Weltbild gelernt, mit dem wir uns zum Teil heute noch Schranken auferlegen - innere und äußere -, auch wenn diese längst unnötig sein könnten.

Innerhalb und/oder außerhalb dieser Schranken gab es für jeden von uns kleinere oder größere Krisen, bei deren Bewältigung wir scheinbar über uns hinausgewachsen und höher als ‚30 cm’ gesprungen sind.

1.1. MOTIVATION UND THEMENWAHL

„Kraft in der Krise - Ressourcen gegen die Angst! Konflikte, Krisen und traumatische Situationen sind Erfahrungen, die wir alle im Laufe unseres Lebens machen. Jeder Mensch erwirbt in seinem Leben auch ein Grundwissen über den Umgang damit. Jede überstandene Krise, jeder gelöste Konflikt erweitert dieses Wissen und wird als neue Erfahrung im Gehirn verankert. Diese Erfahrungen führen wiederum zu veränderten Einstellungen und Haltungen, die dann neues Verhalten (Bewerten, Denken, Fühlen, körperliche Reaktionen und Handeln) leiten.“ (2)

Inzwischen zeigen zahlreiche Studien, dass eine gezielte Aktivierung von Ressourcen positive Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit hat. Krisen, die mit dem Gefühl des ohnmächtigen Ausgeliefertseins einhergehen, aktivieren in der Regel Ich-Zustände (Ego-States), die mit Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit verbunden sind. Dadurch ist die Wahrnehmung eingeengt und das Gehirn ist nicht zu kreativen Problemlösungen fähig. Somit können individuelle Möglichkeiten nicht ausgeschöpft werden.

Die Ressourcen, die du brauchst, findest du in deiner eigenen Geschichte.

- Milton Erickson -

„Wenn Krisen, Konflikte oder Ängste erfolgreich überwunden werden, führt dies häufig sogar dazu, an den Herausforderungen zu reifen und zu wachsen. Viele Situationen erscheinen jedoch zunächst ausweglos, die verfügbaren Kräfte erscheinen nicht ausreichend für eine erfolgreiche Bewältigung.“ (2)

In meinem Workshop geht es darum, mit den betroffenen Frauen neue Auswege aus Krisen und Ängsten zu entdecken, damit sie zum Beispiel nach einem Diagnoseschock handlungsfähig bleiben oder zeitnah wieder werden.

Bei meiner Literaturrecherche für Workshop und Transferarbeit fiel mir auf, dass es fast ausschließlich Ratgeber oder Gruppen für die Zeit nach Operation, Chemotherapie und Bestrahlung gibt. Ratgeber oder Unterstützung für die Zeit direkt nach der Diagnosestellung gibt es kaum. Aus diesem Grund war und ist es mir ein Anliegen, in der neusten Literatur nach entsprechenden Beiträgen zu diesem Thema zu forschen, um in meinen Workshops - wenn gewünscht - den erkrankten Frauen selbst oder für ihre Familienangehörigen Literaturtipps geben zu können. Mit meinem Workshop möchte ich gynäkologisch-onkologischen Patientinnen die Möglichkeit geben, resilienter in die Behandlungen gehen zu können.

Um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten, sind im allgemeinen Teil dieser Arbeit bei allen männlichen Formen die weiblichen ebenfalls gemeint. Sobald es um die gynäkologisch-onkologischen Teilnehmerinnen geht, schreibe ich in der weiblichen Form weiter.

1.2. FACHLICHER HINTERGRUND UND ERFAHRUNGEN

Den Krankenhausalltag habe ich von drei Seiten kennenlernen dürfen - 17 Jahre als Krankenschwester, überwiegend auf Intensivstationen und in der Anästhesie, als Angehörige und selbst als Patientin.

Als Krankenschwester auf einer herz- und gefäßchirurgischen Intensivstation habe ich immer wieder die erschrocken und entsetzt schauenden besuchenden Lebenspartner erlebt, sobald sie ihren Liebsten beatmet, sediert und mit vielen Schläuchen und Kabeln verbunden im Bett liegen sahen. Zuwendung und Nähe für den Besucher waren in den Momenten wichtig, um Zuversicht und Vertrauen zu erzeugen, denn die Patienten spüren dies bei ihren besuchenden Angehörigen, auch beatmet und sediert. Auf dem Überwachungsmonitor ist zu sehen, dass die Herzfrequenz ansteigt. Faszinierend empfand ich jedes Mal, wenn ich den besuchenden Lebenspartner ermutigte, den operierten Lebenspartner zu streicheln und, trotz des Beatmungsschlauches, zu küssen. Aus einem erstaunten Blick wurde anschließend ein warmer, dankbarer Blick. Aus Angst war Vertrauen und Bindung geworden. Und das war sogar an der Herzfrequenz auf dem Monitor des Patienten zu erkennen!

Als Angehörige auf einer Intensivstation nach einer NotOP meines Mannes erklärte mir der Anästhesist, mir mit dem Rücken zugewandt das Beatmungsgerät meines Mannes einstellend, dass mein Mann fast während der Operation gestorben sei, sie ihn die Nacht durchbeatmen und hoffen würden, dass er die Nacht überlebt, um ihn am nächsten Morgen erneut zu operieren. Der Anästhesist sprach auf diese Weise mit mir, ohne zu wissen, dass ich Krankenschwester mit langjähriger intensivmedizinischer Erfahrung war. Und trotz oder vielleicht wegen meiner Erfahrung war mir das Entsetzen wohl ins Gesicht geschrieben, denn als sich der Anästhesist mir zuwandte, bot er mir einen Stuhl an, den ich ablehnte.

Als Patientin kam mir meine Krankenhauserfahrung drei Mal sehr zugute. Ich wusste genau was ich wollte und was ich nicht wollte und habe dies empathisch und mit dem Gefühl auf Augenhöhe zu sein, gegenüber den Ärzten, sowohl nach den Diagnosestellungen als auch im weiteren Verlauf, und gegenüber dem Pflegepersonal vertreten. Das machte mir in den Momenten und auch jetzt noch rückblickend ein gutes Gefühl.

Ich hatte einen Lebenstraum, der vor einigen Jahren von einer Minute auf die andere zerplatzt war, wie eine Seifenblase aus einem Pustefix. Dadurch hatte ich kein Gespür mehr dafür, was mir guttut oder wo ich hingehörte. Verwirrung. Stillstand.

Von dem Zeitpunkt an, als ich mich bewusst wieder für das Leben entschied, begann der Weg des Wiederentdeckens meiner Ressourcen und der durch die neuen Lebensumstände entstandenen Werte. So wurde es mir möglich, die Verantwortung für mein plötzlich verändertes Leben wieder zu übernehmen, um selbstbestimmt meinen neuen Weg finden und gehen zu können.

Während meiner Ausbildung zur Heilpraktikerin habe ich erfahren wie intensiv Körper, Geist und Seele eine Einheit bilden. Mein Wissen und meine Erfahrungen kommen mir nicht nur als Heilpraktikerin, sondern auch als Gesundheits-, Systemcoach, Resilienztrainerin und angehende Psychoonkologin sehr zugute - nicht nur für meine Klienten, sondern auch für meine eigene Gesundheit und mein Wohlempfinden.

2.1. KOMMUNIKATION UND GLAUBENSSÄTZE

Wie kann es überhaupt zu Blockaden und hinderlichen Glaubenssätzen über uns, das Leben, unsere Umwelt kommen?

Während wir einen Gedanken denken, ist uns nicht bewusst, was unser Gehirn damit macht. Wohin es die neue Information leitet, wird von unserem Unterbewusstsein bestimmt, das heißt von dem, was wir von Kindheit an gelernt und erfahren haben.

Das Unterbewusstsein ist mit einer Schallplatte vergleichbar. Am Tag unserer Geburt begann jeder von uns mit einer Kunststoffplatte, in der sich noch keine Rille befand. Je häufiger wir etwas hörten und erlebten, je intensiver und schmerzlicher das war, was wir erlebten, umso tiefer wurden die Rillen.

Unser Gehirn speicherte das, was wir hörten und erlebten, als richtig und wichtig im Unterbewusstsein ab - gleichgültig, ob die Informationen zutreffend oder unzutreffend, gesund oder ungesund, hilfreich oder nicht hilfreich waren.

Das Unterbewusstsein ist eine Art inneres Navigationssystem, vergleichbar mit dem Navi unserer Autos. Ist ein Ziel eingegeben, leitet uns das Navi dorthin. Da es die Aufgabe des Gehirns ist, unser Überleben zu sichern, muss es schnell und zuverlässig reagieren. Das tut es mit erstaunlicher Präzision. Nur wenn wir die Navigations-CD unseres Unterbewusstseins ‚updaten’, kann unser Unterbewusstsein anders reagieren und entscheiden.

Es gibt nicht nur das Unterbewusstsein, die Beziehungsebene, sondern auch das Bewusstsein, die Sachebene. Bewusst nehmen wir nur ca. 20% wahr, die restlichen 80% steuert unser Unterbewusstsein. Zur Sachebene werden Fakten und Informationen gerechnet. Auf der Beziehungsebene geht es häufig um Stimmungen, Gefühle, Wertevorstellungen, die unter anderem durch Mimik, Gestik oder den Tonfall übertragen werden. Die Beziehungsebene ergänzt die Informationen der Sachebene und beeinflusst so die Botschaft. Ein großer Anteil an Kommunikation wird auf der Beziehungsebene übertragen. Dadurch besteht ein hohes Risiko für Konflikte und Missverständnisse. Es gibt Situationen, in denen die Personen, die miteinander agieren, die gleiche Sprache sprechen und auch des gleichen Wortschatzes mächtig sind, aber dennoch kommt es zu Schwierigkeiten beim Verstehen des anderen.

Paul Watzlawick, der Begründer einer der wichtigsten Theorien über menschliche und soziale Kommunikation, stellte fest, dass wir immer kommunizieren. Nicht nur Worte sind Kommunikation, auch Verhalten ist es. Und ganz gleich, ob wir etwas sagen oder nicht oder ob wir uns in irgendeiner Art und Weise verhalten oder nicht, wir kommunizieren - immer. Sobald zwei Personen sich gegenseitig wahrnehmen können, kommunizieren sie miteinander, da jedes Verhalten kommunikativen Charakter hat.

Wir kommunizieren nicht nur mit Worten, also unserer Sprache, sondern auch mit unseren Sinnen, die sich wiederum in unserer Mimik und Gestik widerspiegeln. Studien haben ergeben, dass Kommunikation hauptsächlich über die Physiologie „übertragen“ wird, danach folgt die Tonlage der Sprache und zuletzt kommen die Worte, also die Sprache selbst.

Wie stimmen wir uns bei der Kommunikation aufeinander ein? Wir kalibrieren. Kalibrieren heißt in der Kommunikation, die beobachtbaren Signale, die ein anderer aussendet, wie zum Beispiel der Tonfall der Stimme, die Mimik oder die Gestik, wahrzunehmen. Es ist Teil der Kommunikation und hilft uns, erfolgreich miteinander umzugehen. Dabei können wir auch herausfinden, mit welchem inneren Gefühl diese Signale beim Sender verbunden sind. Wenn jemand zum Beispiel lächelt, kann das mehrere Gründe haben, es kann Verlegenheit oder Freude bedeuten oder ein Überspielen von anderen Gefühlen. Wenn wir achtsam kalibrieren, können wir herausfinden, was diese Signale wirklich bedeuten.

Vorsicht sei vor Interpretation geboten. Jeder Mensch speichert Informationen mit Hilfe seiner Sinne anders ab. Wir lernen im Laufe unseres Lebens unterschiedlich, wurden unterschiedlich erzogen und haben viele Erfahrungen gemacht, die nicht von allen gleich erlebt werden und somit auch anders in uns gespeichert sind. Je genauer wir kleinste Veränderungen beobachten, desto genauer werden wir die entsprechende Bedeutung feststellen können.

Mit unseren fünf Sinnen (sehen, hören, schmecken, riechen, fühlen) - unseren Repräsentationssystemen - nehmen wir nicht nur Informationen auf, wir denken, erinnern und entscheiden auch in diesen fünf Kategorien. Erinnerungen sind mit Gefühlen verbunden. Wir können uns erinnern, wie es ist, durch Wasser zu waten oder mit bloßen Füßen über Gras zu gehen. Und wir können das Körpergefühl in die Erinnerung zurückholen, das entsteht, wenn wir sehr rasch laufen oder Hunger haben. Das sind Gefühle, die durch die Nervenenden in unserer Haut, dem Knochengerüst und den inneren Organen hervorgerufen werden.

Und dann gibt es noch Gefühle, die durch Verletzung oder Bestätigung unserer Werte in uns entstehen, Gefühle wie zum Beispiel Freude, Ärger, Liebe, Angst, Sehnsucht. Wir haben sehr unterschiedliche Entscheidungsstrategien. Die endgültige Entscheidung treffen wir aber immer deswegen, weil wir am Schluss ein gutes oder schlechtes Gefühl haben.

Über diese unterschiedlichen Arten unserer Wahrnehmung, unsere individuellen Wahrnehmungstypen, entsteht unsere subjektive innere Landkarte von der Welt, die nach den Erfahrungen, die wir in unserem Leben gemacht haben, unseren Werten, Einstellungen, Glaubenssätzen und vielem mehr entstanden ist. Wir sehen immer vor dem Hintergrund unserer eigenen Landkarte, wahre Objektivität gibt es nicht.

2.2. STRESS

Wie so vieles im Leben hat auch Stress zwei Gesichter. Einerseits den Eustress, der für optimale Anspannung sorgt und dadurch zu maximalen Leistungen beflügeln kann. Der Gegenspieler dazu ist der Disstress, der auf Dauer zu einer Abnahme der Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit führen kann, bis hin zum Burnout.

Stress ist die physische und psychische Reaktion eines Organismus auf belastende Reize und damit eine sinnvolle Reaktion des Körpers, um uns vor Bedrohungen zu schützen. Viele Lebewesen reagieren auf Stress und dies hat wohl in gewisser Weise dazu beigetragen, dass unsere Vorfahren und dadurch unsere Art überlebt haben. Beim Knacken im Gebüsch mussten sie schnell sein, um sich vor dem Säbelzahntiger in Sicherheit zu bringen. Oder sie mussten stark und mutig sein, um das Mammut erlegen zu können.

Diese Reaktionen werden durch eine aktivierte Amygdala (Mandelkern) ausgelöst, die zum sogenannten limbischen System gehört. Sie liegt im Zwischenhirn und regelt die Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen, die Entstehung von Emotionen und vegetative Funktionen. Die aktivierte Amygdala führt zur Stimulierung einer Zellkernstruktur im Stammhirn (Locus coeruleus = blauer Kern) am Übergang zum Rückenmark, die bewirkt, dass im Gehirn massiv Noradrenalin freigesetzt wird. Dadurch wird der Sympathikus, ein Strang des vegetativen Nervensystems, aktiviert, was unter anderem dazu führt, dass im Nebennierenmark Adrenalin freigesetzt wird. Dies nennt man die Stimulierung der Sympathikus-Nebennierenmark-Achse.

Diese Stressreaktion des Körpers aktiviert und mobilisiert in kürzester Zeit Energie, die für lebensrettende Reaktionen, sei es Flucht oder Kampf, erforderlich ist: Bronchien erweitern sich, Atem wird schneller, Pulsrate und Blutdruck steigen, Muskelspannung erhöht sich und die Reflexe beschleunigen. Die Leber gibt zusätzliche Zuckerreserven ab, und Energie wird aus den Fettvorräten des Körpers freigesetzt. Durch den kurzfristigen Anstieg der Killerzellen im Blut erhöhen sich die Immunkompetenz und die Schmerztoleranz. Gleichzeitig werden die Verdauungstätigkeit und die Empfindlichkeit der Geschlechtsorgane gehemmt.

Der Organismus ist innerhalb kürzester Zeit in der Lage, die Bedrohungssituation zu bewältigen. Besteht eine einzelne Bedrohung, die schnell bewältigt werden kann, wird die Aktivierung wieder gehemmt. Adrenalin und Noradrenalin zerfallen nach kurzer Zeit. Der Puls beruhigt sich, die Atmung wird langsamer und die Muskeln entspannen sich.

Zehn Prozent der Stressreaktion gehen auf das Konto der Situation.

90 Prozent gehen auf das Konto der Stressbewertung im Kopf.

2.2.1. DAUERSTRESS & IMMUNSYSTEM

Die Aktivierung bleibt bestehen, wenn der Stress durch Situationen ausgelöst wird, die einer längeren Bewältigung bedürfen. Zusätzlich wird eine zweite Stressachse aktiviert: Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse. Diese deutlich langsamere zweite Stressreaktion regt in der Nebennierenrinde die Ausschüttung von Kortisol an. Dieses Hormon ermöglicht dem Körper eine längerfristige Anpassung an die Stresssituation. Das Kortisol regt unter anderem die längerfristige und vermehrte Bereitstellung von Energiereserven an und dämpft überschießende Reaktionen des Immunsystems.

Ein ständig überhöhter (Nor-)Adrenalin- und Kortisolspiegel kann bei chronischem Stress zu langfristigen Folgeerscheinungen bei Körper und Psyche führen und dadurch gesundheitlich problematisch werden. Die anfänglichen Symptome können Kopfschmerzen oder Muskelverspannungen sein, die im Laufe der Zeit zu Rückenschmerzen werden können. Langfristig wird auch das Immunsystem gestört, was wiederum zu einer verstärkten Infektanfälligkeit oder auch zu Überempfindlichkeitsstörungen im Sinne von Allergien und Autoimmunerkrankungen kommen kann. Der Verdauungsapparat kann ebenfalls beeinträchtigt sein, und damit das Risiko von Magen-Darm-Geschwüren steigern. Auch das Herz-/Kreislaufsystem kann in Mitleidenschaft gezogen sein, so dass das Herzinfarkt- und/oder Schlaganfallrisiko erhöht sein kann.

Aber nicht nur die Anfälligkeit für Erkrankungen steigt. Auch der Heilungsprozess kann sich durch chronischen Stress verlängern. Wunden heilen langsamer.

Die Entstehung von Krebs kann durch Stress begünstigt sein. Bei der Zellteilung kann es in unserem Körper häufig zu ‚Fehlern’ kommen. Mutierte Tochterzellen - Krebszellen - sind das Ergebnis. In diesem Fall werden die natürlichen Killerzellen auf den Plan gerufen und zerstören die mutierte Zelle. Bei chronischem Stress ist die Zahl und Aktivität der natürlichen Killerzellen jedoch erniedrigt. Krebszellen können sich also eher vermehren, bevor sie unschädlich gemacht werden, als bei einem intakten Immunsystem.

Die neuronalen und psychischen Auswirkungen von Stress zeigen sich anfangs nur durch eine Einschränkung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Zielgerichtetes Arbeiten ist beeinträchtigt und der Zugriff auf Gedächtnisinhalte ist häufig blockiert. Stattdessen können kreisende und grüblerische Gedanken mit Selbstvorwürfen zunehmen. Häufig bewirkt Stress ein Gefühl von innerer Unruhe und Gehetztsein, was zu einer zunehmenden Gereiztheit, Hektik oder auch einer abnehmenden Frustrationstoleranz führen kann, bis hin zu einem Burnout. Zwischen einem chronisch erhöhten Kortisolspiegel im Blut und dem Auftreten von depressiven Störungen besteht ein enger Zusammenhang. Die Überaktivierung des Sympathikus kann zu Angstzuständen und Panikattacken führen.

„Wird das parasympathische Nervensystem aktiviert, tauchen Körper und Geist in einen Ruhemodus ein. Würde das sympathische Nervensystem abgeschaltet, könnten wir weiterleben (obwohl uns dieser Löwe, der uns da auf den Fersen ist, dann ganz sicher fressen würde). Die Stilllegung des parasympathischen Nervensystems dagegen würde unseren Tod bedeuten. Fällt der Körper durch eine Stressreaktion aus seinem stabilen Zustand heraus, sorgt es dafür, dass unser Geist in die Ruhe zurückfindet, der Körper entspannt und in unserem Inneren Stille einkehrt. [...] Wird eine Entspannungsreaktion ausgelöst, übernimmt das parasympathische Nervensystem das Steuer. Und nur in diesem Zustand der inneren Ruhe können die Selbstreparaturmechanismen greifen und in Ordnung bringen, was aus dem Lot geraten ist - so, wie es die Natur vorgesehen hat. Entspannung verbessert gleichzeitig unsere Stimmung. Es ist schwer, ängstlich oder deprimiert zu sein, wenn das parasympathische Nervensystem die Oberhand hat.“ (3)

„Wir müssen uns nicht mehr vor Säbelzahntigern fürchten und auch nicht davor, von einem anderen wilden Tier gefressen zu werden. Natürliche Feinde existieren für den Menschen in der fortschrittlichen, westlichen Welt nicht mehr. Und er ist in der Lage, sämtliche Grundbedürfnisse ausreichend zu decken. Der Garant für ein stressfreies Leben!

Schön wäre es. Der Fortschritt brachte leider nicht nur Segen, sondern auch einen Beipackzettel voller Nebenwirkungen.“ (4)

2.3. WERTE

„In ‚unserer’ Gesellschaft herrscht offensichtlich ein unstillbares Bedürfnis, über Werte zu reden und sich als ‚Wertegemeinschaft’ zu bestimmen. Diese Selbstverständlichkeit, das Eigene und Relevante über Werte zu bestimmen, überrascht historisch distanzierte Betrachter, denn tatsächlich hat man erst im 19. Jahrhundert angefangen, ‚Werte’ zu dem zu machen, als was sie heute gelten. Davor hatte man zwar dem Guten, Schönen und Wahren gehuldigt, aber nicht ‚Werten’ als exklusiven und universalen Referenzgrößen des gesellschaftlichen und persönlichen Selbstverständnisses. Werte sind eine junge Erscheinung und stehen trotz aller Modernisierungsturbulenzen unvermindert hoch im Kurs.“ (5)

Nun wird niemand in Abrede stellen, dass Menschen Gegebenheiten bewerten indem sie handeln, denken, fühlen. Leben heißt bewerten und das eine dem anderen vorzuziehen. Diese Bewertungen sind Ausdruck von Präferenzen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783948872250
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
Entlastung Gynäkologie Onkologie Krebs Schock Gesundheit Diagnose Patientin Gesundheitsförderung

Autoren

  • Sabine Meyer-Böhmer (Autor:in)

  • Peter Schust (Herausgeber:in)

Sabine Meyer-Böhmer lebt und arbeitet seit 40 Jahren in Kiel. Nach 15jähriger Tätigkeit als Krankenschwester in der Anästhesie und Intensivmedizin, absolvierte sie eine Ausbildung zur Heilpraktikerin. Damit intensivierte sie ihr medizinisches Wissen sowie ihr Verständnis für die Einheit von Körper, Geist und Seele. Weitere Ausbildungen zur EMDR-Therapeutin, zum System- und GesundheitsCoach, zur NLP-Trainerin, Psychoonkologin, Resilienztrainerin (SHB) und eine Fortbildung in PEP folgten.
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