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Deich Secret

von Silke Schopmeyer (Autor:in)
175 Seiten

Zusammenfassung

„Der Wolkenhimmel in den Marschlanden trug den sanft salzigen Atem des Meeres noch in sich ...“ Ein neuer Fall führt Hobbyermittler Karl Kolberg von seinem Hotel Vierländer Hof über kurvige Deiche nach Ochsenwerder. Wieso verschwinden zwei polnische Landarbeiter quasi über Nacht? Warum lernt ein Hamburger Dorf Italienisch? Was machen chinesische Schilder auf einem brachliegenden Feld? Woher stammen die Papiere eines deutschen Luftwaffenpiloten? Auch Kommissar Spannich bleibt nicht untätig und trifft auf ein Geflecht aus Erpressung, Sabotage und politischen Ränkespielen. Wird die Entführung von zwei italienischen Sportlerinnen ein gutes Ende nehmen? Mit viel Liebe zu den typisch norddeutschen Figuren und grande amore zeigt diese Geschichte, welche zwischenmenschlichen Aspekte die Hamburger Bewerbung für die Olympischen Spiele damals vernachlässigt hat.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

1 Freitagabend


 

Der Wolkenhimmel in den Marschlanden trug den sanft salzigen Atem des Meeres noch in sich. Zum Glück hatte der häufige Regen in den letzten Aprilwochen den schweren Kleiboden aufgeweicht und den Arbeitern fiel das Graben leichter. Jahrelang war der Trecker um die Stange herumgefahren, doch nun sollte sie endlich weg.

„Nu man los Männer. Rabotti! Rabotti! Wir ham keine Zeit! Heut Nacht muss dat Stück hier fertich werden!“

Peter Trumm war kein Mann großer Worte. Genauso regungslos wie der Vorarbeiter Anweisungen vom Chef entgegennahm, gab er sie nach unten weiter. Dabei verliehen ihm sein bulliger Körper mit den großflächig tätowierten Armen und der kahl rasierte Kopf gegenüber den überwiegend polnischen Arbeitern auf dem Hof eine gewisse Autorität. Vor seiner Zeit auf dem platten Land war er lange zur See gefahren und hatte sich danach mit verschiedenen Jobs auf Hamburgs sündiger Meile in St. Pauli über Wasser gehalten. Ein paar Meinungsverschiedenheiten hatten ihn vor gut fünf Jahren zu einer räumlichen Veränderung gezwungen.

Die drei Arbeiter standen allein auf dem dunklen Feld. Das nächste Haus befand sich mehrere hundert Meter entfernt. Von Zeit zu Zeit fuhren Autos über die am Ende des Ackers gelegene Straße, meist schneller als die vorgeschriebenen fünfzig Stundenkilometer. Für Ende April war es noch recht kühl und der Wind hatte gegen Abend ein wenig aufgefrischt. Dichte Wolken verdeckten die Sichel des Mondes. Peter schien darüber nicht unglücklich, denn unter diesen Witterungsbedingungen würden keine Radfahrer oder Abendspaziergänger auf dem nahegelegenen Marschbahndamm unterwegs sein.

„Um dat Ding rum graben. Bis man‘s rausziehen kann!“, befahl er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Vom hochgelegenen Kotflügel seines wuchtigen Treckers deutete er auf das flach bewachsene Feld, aus dem eine ungefähr ein Meter zwanzig lange rostige Metallstange schräg hervorragte. Sie war mit ebenso rostigen Nieten besetzt.

In der heraufziehenden Dämmerung nickte der zweiundzwanzigjährige Pawel ihm noch einmal kurz zu und fing an, seinen Spaten in die Erde zu stechen. Mit dem rechten Fuß rammte er die Schaufel jedes Mal ein Stück tiefer hinein. Sein siebzehn Jahre älterer Kollege Irek tat es ihm gleich. Die beiden Polen waren harte Arbeit gewohnt. Nach der langen Zeit in Deutschland erinnerte Ireks krummer Körper schon fast an einen muskelbepackten Bogen. Sein markantes Gesicht war durch die regelmäßige Arbeit im Freien wettergegerbt. Pawel lebte noch nicht einmal ein Jahr hier, hatte aber bereits beachtlich an Muskelmasse zugelegt. Mit der Zeit waren auch die letzten kindlichen Züge aus seinem Gesicht verschwunden. Nur die tiefgründigen blauen Augen waren dieselben geblieben. Vielleicht sahen sie ein wenig müder aus als sonst.

Am heutigen Morgen hatten sie im Gewächshaus der Gärtnerei Ruppke, auf deren Grundstück sie auch wohnten, schon ab sechs Uhr den Boden für die Tomatenpflanzen vorbereitet. Als sie endlich am späten Nachmittag ihren Wohncontainer ansteuerten, hatte Irek ihn gefragt, ob er mit ihm zusammen mal wieder ein bisschen extra verdienen wollte. Irek brauchte immer Geld für seine Familie in Polen. Seine fünfzehnjährige Tochter lernte für die Aufnahme am staatlichen Konservatorium in Danzig. So ein Internat kostete viel Geld. Nur zu Weihnachten, Ostern und drei Wochen im Sommer konnte er seine Familie besuchen. Pawel selbst sparte jeden Euro für eine gemeinsame Zukunft mit seiner Verlobten Ella, die in Polen auf ihn wartete. Er hatte sich zwei Semester des Lehrerstudiums extra frei genommen und arbeitete jeden Tag, ohne sich zu beklagen. Er war froh, Geld verdienen zu können.

Nachdem sie über eine Stunde mühevoll gegraben hatten, stellten die Männer fest, dass der schräg stehende Metallstab unter der Erde in ein breiter werdendes Blechgehäuse überging. In der Dunkelheit konnten sie stark verrostetes Metall erkennen, das wie eine überdimensionierte Zigarre geformt war. Pawel sah seinen Kollegen irritiert an. Was war das? Aufgeregt stachen sie ihre Spaten in den Boden, um den mysteriösen Gegenstand weiter freizuräumen. Peter Trumm schien genauso neugierig und unterstützte die Arbeiten vorsichtig mit seiner Baggerschaufel. Nach ungefähr einer Stunde legten die Männer ihre Spaten zur Seite und starrten ungläubig auf ihr Fundstück. Peter sprang von seinem Trecker herunter.

„Samolot!“, rief Irek in die Dunkelheit.

„Wat sachst du?“, fragte Peter ungeduldig.

„Flugzeug! Das ist alte Flugzeug!“, übersetzte Pawel.

„Du ahnst es nich!“

Drei Augenpaare richteten sich auf die Umrisse eines sehr alten und sehr kaputten Flugzeugs. Die abgebrochenen Tragflächen lagen unmittelbar neben dem Rumpf.

„Das ist bestimmt noch aus dem Krieg!“, raunte der angehende Geschichtslehrer Pawel seinem Kollegen Irek zu.

„Welcher Krieg?“, fragte der Ältere.

„Na, der Letzte. Der von Hitler gegen die Welt.“

„Ach so.“

Trotz der kühlen Luft lief ihnen der Schweiß den schmerzenden Rücken hinunter. Stumm betrachteten sie den Blechhaufen auf dem Acker.

Peter sprach als erster wieder: „Die großen Teile vom Fluchzeuch lad ich später auf’n Hänger. Buddelt ma’n büschen weider hint’n.“ Der Vorarbeiter wies auf eine Stelle, die er bereits mit der Baggerschaufel seines Treckers ausgehoben hatte. Die Männer trafen mit ihren Schaufeln wiederholt auf Metall und fanden mehrere rostige Benzinkanister.

„Alles auf’n Hänger!“

Wenige Meter von den Kanistern entfernt stach Pawel ein weiteres Mal mit seinem Spaten in den Boden: wieder etwas Hartes. Aber er traf auf kein Metall oder Steine. Das hier sah aus wie: Knochen. Das mussten menschliche Knochen sein! Daneben Uniformreste und Stofffetzen. Wahrscheinlich von einem Fallschirm! Für einen Moment unterbrach der gläubige Katholik seine Arbeit und bekreuzigte sich.

„Wat’n los? Wir ham nich de ganze Nacht Tiet!“, rief der Vorarbeiter ungeduldig herüber.

Pawel räusperte sich und antwortete mit leiser Stimme: „Toter Mann.“

„Wat?“

„Knochen von toter Mann.“

„Oha.“ Peter Trumm stieg behäbig von seinem Fahrzeug und stampfte mit schnellen Schritten zu dem Polen, der jetzt reglos da stand. Zusammen blickten sie schweigend auf die Überreste des vermutlich vor vielen Jahren verunglückten Piloten. Der Glatzkopf schluckte kurz und befahl etwas leiser: „Auch auf’n Hänger.“

Pawel nickte und tat wie ihm befohlen. Während Irek die rostigen Kanister zusammen mit den herumliegenden Wrackteilen auf den Wagen lud, griff der Jüngere kurz darauf wieder zu seinem Spaten. Ganz in der Nähe der Knochenfundstelle entdeckte er eine stark zerfledderte Brieftasche. Von den anderen unbemerkt wanderte sie in seiner ausgebeulten Hosentasche.

„So, Männer.“ Peter zeigte auf die Wrackteile vor ihnen. „Nu den Flieger.“

Pawel sah ihn irritiert an. Der Vorarbeiter kniff missbilligend die Augen zusammen. „Hast’n Problem, oder wie?“

„Muss nich Museum sagen?“

„Wat denn für’n Museum?“

„Wegen die Kriegsflugzeug.“

Der andere dachte einen Moment nach und schüttelte dann entschieden den Kopf.

„Nix Museum! Der Chef will, dat dat Feld an diese Stelle schier is. Hier kommt allens wech!“ Er hielt kurz inne und fuhr sich mit der einen Hand über den kahlen Schädel. „Kriegsfluchzeuch sachst du? Warte mal ... ich kiek mir dat Teil nochmal eben an.“

Peter Trumm knipste die Lampe seines Handys an und richtete sie auf die Maschine. Mit angestrengter Miene inspizierte er den rostigen Flugkörper der Länge nach. Von der gläsernen Kabine war nicht mehr viel übrig geblieben. Sein Lichtstrahl glitt nach unten zum zerfetzten Rumpf, aus dem ein ungefähr ein Meter langer zylindrischer Gegenstand ragte. Die auf Weisung des Chefs widerwillig abgeleisteten Jahre bei der Freiwilligen Feuerwehr zahlten sich nun aus. „Achtung Männer! Schnell wech hier! Da is ‘ne Bombe an Bord!“

Hektisch ließ Pawel seinen Spaten fallen und zerrte den verständnislosen Irek mit sich. Gemeinsam stürzten die drei Arbeiter zum Trecker mit dem Hänger. Die Polen setzten sich jeder auf einen der Kotflügel über den Reifen. Peter hastete in das gläserne Führerhaus und startete hektisch den Motor. Ohne sich noch einmal umzublicken, fuhr er mit voller Treckergeschwindigkeit über den Acker auf die Straße zu. Als sie sich ungefähr dreihundert Meter entfernt hatten, war ein ohrenbetäubender Knall zu hören. Dann bebte der Boden unter ihnen. Ein Zischen und Surren glitt durch die Luft. In der Ferne ertönte das laute Klirren mehrerer zerspringender Fensterscheiben. Die beiden Arbeiter schrien vor Schreck, als sie von der Druckwelle erfasst wurden. Stöhnend fielen sie vom fahrenden Trecker auf den harten Boden.

2 Am selben Abend


 

Gedämpftes Licht fiel durch die bleiverglasten Erkerfenster des Bürgermeisteramtszimmers. Thorsten Schmidt stand auf dem dichten Teppich und las auf über einem Dutzend Bronzetafeln die Namen aller Bürgermeister seit 1264. Auf dem Stehpult links neben dem Türrahmen war unter Glas das Goldene Buch der Freien und Hansestadt Hamburg zu sehen. Nach wie vor beeindruckt von den imposanten Räumen des Hamburger Rathauses sah er sich um und ließ die halbhoch mit Mahagoni verkleideten Wände und die ebenso gestaltete Decke auf sich wirken. Zwei ehemalige Inhaber des höchsten Amtes der Stadt starrten gerahmt von den zur Hälfte mit Samt bespannten Wänden zu ihm herunter. Angespannt fuhr er sich durch das lichter werdende hellblonde Haar. Erst seit vier Monaten gehörte er dieser Regierungskoalition an. Vor dem überraschenden Einzug seiner Partei ‚Hamburg-Jetzt!‛ in die Hamburgische Bürgerschaft hatte er als selbständiger Finanzberater gearbeitet. Seine nüchternen Büroräume befanden sich damals noch in Hamburg-Jenfeld. Seit der feierlichen Unterzeichnung des Koalitionsvertrags war Thorsten Schmidt Zweiter Bürgermeister und als Senator zuständig für die Stadtentwicklung. Während er noch auf die Ankunft der weiteren Gäste dieses kurzfristig angesetzten Termins wartete, schweifte sein Blick durch die breiten Balkontüren auf die Alsterarkaden und den Rathausmarkt in der Dämmerung. Wiederholt rückte er seine türkis-lila gemusterte Krawatte über dem grauen Hemd zurecht.

Der Erste Bürgermeister betrat sein Amtszimmer durch die Tür neben dem imposanten Kamin aus hellem Marmor. Mit den leicht graumelierten Schläfen im vollen dunklen Haar wirkte der hoch gewachsene Veit Relin insbesondere auf seine weibliche Wählerschaft wie eine Mischung aus George Clooney und Sky Dumont. Direkt hinter ihm erschien eine äußerst attraktive Frau – zwanzig Jahre jünger als der Mittfünfziger und für Thorsten Schmidt keine Unbekannte: Nina van Haff – Olympiasiegerin im Weitsprung. Sie trug ihr blondes Haar zu einem Pferdeschwanz, dessen Spitze ihr eng anliegendes schwarzes Etuikleid berührte. Das Kleid betonte ihre üppige Oberweite, die dank einer vor Kurzem erst veröffentlichten Fotostrecke in einem Herrenmagazin einem Großteil der medial interessierten Bevölkerung bekannt war. Die opulent gestalteten Räume des Hamburger Rathauses schienen Frau van Haff nicht sonderlich zu beeindrucken. Mit einem offenen Lächeln reichte sie dem Zweiten Bürgermeister die Hand. Kurz nach ihr erschienen drei Männer und eine weitere Frau. Die beiden Herren im Rentenalter trugen hanseatisch dunkelblaue Anzüge mit goldenen Knöpfen, blau-weiß gestreifte Hemden und dazu passende dunkelblaue Krawatten mit ebenfalls golden schimmernden Krawattennadeln. Der dritte im Bunde konnte noch keine dreißig Jahre alt sein. Sein schlanker Körper steckte in einer schlichten Hose und einem blau-weiß karierten Hemd. Auch wenn sein Gesicht weiche Züge aufwies, fielen Thorsten Schmidt bei der Begrüßung dessen große raue Hände auf. Dieser Mann musste körperliche Arbeit gewohnt sein. Als Letztes reichte ihm der zweite weibliche Gast ihre sehnige Hand. Sie trug einen praktischen Kurzhaarschnitt und ein beige-farbenes Kostüm. Er schätzte sie wie den Bürgermeister auf Mitte fünfzig.

„Ach, Herr Kollege! Sie sind schon da?“, begrüßte Veit Relin seinen Stellvertreter. „Machen Sie sich doch Licht!“ Mit einem kurzen Nicken gab er einem der mit ihm eingetretenen Ratsdiener ein unmissverständliches Zeichen. Umgehend schaltete der dunkelblau Uniformierte den imposanten Kronleuchter ein. Sofort legte sich ein heller Schimmer über den rechteckigen Holztisch und die zehn gepolsterten Stühle. Der Erste Bürgermeister schritt zum Platz an der Stirnseite des Tisches und nickte seinen Gäste auffordernd zu. Thorsten Schmidt zögerte einen Moment zu lange, woraufhin ihn sein Vorgesetzter mit gönnerhaftem Ton einlud: „Werter Kollege, als Zweiter Bürgermeister dürfen Sie gerne an meine Seite. An die rechte natürlich!“

„Gut.“ Der Vorsitzende der neuen Law & Order-Partei ließ sich umgehend auf dem ihm zugewiesenen Stuhl nieder.

„Meine Damen, meine Herren, ich freue mich außerordentlich, dass Sie es so kurzfristig einrichten konnten!“ Der Bürgermeister machte eine kurze Pause, um sofort mit freudig-erregter Stimme weiterzusprechen: „Wir stehen vor einer wahrlich denkwürdigen Aufgabe! Unser schönes Hamburg will sich für die nächsten Olympischen Sommerspiele bewerben!“ Ein wissendes Raunen wanderte durch den Raum. „Wir alle können uns ausmalen, was ein Zuschlag für diese Stadt bedeuten würde! Die Infrastruktur käme voran. Der Sprung über die Elbe. Die finale Gestaltung der Hafencity. Mit Olympia kann die Welt den Weg durchs Tor zur Welt beschreiten!“

Einer der Älteren meldete sich zu Wort: „Ich verstehe und teile Ihre Begeisterung, Herr Bürgermeister, aber glauben Sie, dass nach den Erfahrungen mit der ein wenig überdimensionierten Skihalle in Harburg und dem Fiasko mit der Waterworld in Wilhelmsburg die Bevölkerung von einer Herkulesaufgabe wie Olympia zu überzeugen ist?“

„Aber ja doch!“ Gerade weil er nur ungern an die beiden für den Steuerzahler höchst kostenintensiven Projekte zurückdachte, reckte Veit Relin beide Arme beschwörend in die Luft. „Erinnern wir uns alle noch einmal an den grandiosen Empfang der deutschen Olympiamannschaft bei ihrer Rückkehr aus London. An einem ganz normalen Arbeitstag wurde das Schiff gefühlt von der Hälfte aller Hamburger begeistert umjubelt. Das hat nicht nur die Sportler tief beeindruckt.“ Er machte eine Pause, in der er innerlich auf diesen denkwürdigen Tag zurückblickte. „Liebe Mitstreiter! Eine erneute Olympiabewerbung muss in der Bevölkerung die Skepsis gegenüber Großprojekten aufweichen. Der neue schwedische IOC-Chef Erik Gustafsson betont seit seinem Amtsantritt stets den Aspekt der Nachhaltigkeit, die Idee der olympischen Familie und vor allem der Völkerverständigung. Ich darf ihn unter Berufung auf Pierre de Coubertin zitieren, ‘Solange die Jugend dieser Welt alle vier Jahre zusammenkommt, um sich im sportlichen Wettkampf nach vorgegebenen Regeln zu messen, kann sie sich nicht andernorts die Köpfe einschlagen’.“ Beschwörend glitt sein Blick von einem Teilnehmer der Zusammenkunft zum anderen. „Olympia wäre die Riesenchance für unsere Stadt! Wurde nicht in der letzten Urbanitätsstudie deutlich auf unsere Defizite hingewiesen? Die Welt liege inzwischen woanders! Der Stadt fehle die Vision. Sie sei mit sich selbst zufrieden und verliere die globalen Koordinaten aus den Augen. Das will ich nicht über mein Hamburg hören!“ Er schüttelte entschieden den Kopf und schwenkte den rechten Zeigefinger. „Die Schlafende Schöne muss erwachen! Der Hafen ist das eine. Die Förderung des Wissenschaftsstandorts ist sicherlich ebenfalls von großer Bedeutung, aber ein sportliches Großereignis wie Olympia würde sehr viele stockende Infrastrukturprojekte entscheidend voranbringen!“

„Und was ist mit Berlin?“, fragte der Zweite Bürgermeister die Runde. „Ist ja immerhin unsere Hauptstadt.“ Geringschätzend sah Veit Relin auf seinen Stellvertreter herab. Thorsten Schmidt fühlte sich wie ein minderwertiges Insekt.

Mit einer wegwerfenden Handbewegung wischte der Bürgermeister den Einwand vom filzgrünen Tisch. „Ach Berlin. Die Berliner sind wegen ihrer maroden Infrastruktur und ihrer ‚arm - aber sexy-Haltung‛ noch stärker strapaziert als wir mit unseren ein, zwei - zugegebenermaßen - schwierigen Projekten. Peanuts! Denken wir doch nur an München 1972 oder Barcelona 1992. Erst die Spiele haben diesen Nichthauptstädten zu dauerhaftem Ansehen, verlässlichem Wohlstand und kontinuierlichem Wachstum verholfen. Hamburg will und Hamburg kann Olympia!“

Währen die anderen zustimmend murmelten, starrte Thorsten Schmidt schweigend auf den Tisch.

„Da ich mich persönlich im Sport nicht so gut auskenne, haben wir uns in der Stadt nach Experten umgesehen und diese auch gefunden. Meine Damen und Herren, darf ich Ihnen meine Mitstreiter in Sachen ‚Hamburg goes to Olympia‛ präsentieren?“ Er deutete auf den älteren Herrn neben dem Zweiten Bürgermeister: „Herr Johannes Cornelsen, unser Sportamtsleiter.“

„Guten Abend“, nickte der Angesprochene einmal kurz in die Runde.

„Zu meiner Linken: Nina van Haff, Olympiasiegerin und Weltmeisterin im Weitsprung!“

„Hallo zusammen und tausend Dank für die Einladung!“

„Neben Frau van Haff begrüße ich Herrn Roger Repenbrook, den Vorsitzenden des Hamburger Landesruderverbands.“

„Danke, Herr Bürgermeister“, entgegnete der ehemalige Erfolgsruderer mit hanseatischer Euphorie.

Dann wandte sich Veit Relin wieder der anderen Seite zu: „Außerdem möchte ich Frau Annegret Winkel, die Leiterin des Olympiastützpunktes, willkommen heißen.“

„Ich freue mich, an so einem Ereignis mitwirken zu dürfen!“ Feine Lachfältchen begleiteten ihr Strahlen.

„Schließlich wollen wir auch Herrn Magnus Grünfeld, erster Vorsitzender des Bürgervereins von ... ähm …“ Er sah kurz auf seine Unterlagen und fuhr fort: „… von Ochsenwerder, in unserer kleinen Runde begrüßen.“

„Guten Abend allerseits.“ Auch wenn er innerlich eine gewisse Aufregung verspürte, antwortete Magnus Grünfeld mit fester Stimme. Die Anwesenden ließen sich ihre Irritation über den ungewöhnlichen Gast kaum anmerken und lächelten ihm freundlich zu.

„Als Letzten im Bunde möchte ich Ihnen noch unser Küken vorstellen, den Senator für Stadtentwicklung und Zweiten Bürgermeister, Herrn Thorsten Schmidt.“ Dieser hob einmal kurz die Hand und schürzte die Lippen.

„Da bei Olympia natürlich der Sport im Fokus steht, möchte zunächst unser Sportamtsleiter ein paar Worte an Sie richten.“

Der ehemalige Segler Johannes Cornelsen begann, mit bedächtiger Stimme zu den Anwesenden zu sprechen. Langatmig bekundete er seinen Dank für die Gastfreundschaft des Ersten Bürgermeisters und erteilte schließlich der Vorsitzenden seiner Arbeitsgruppe, Frau Nina van Haff, das Wort.

„Ich freue mich total, hier heute dabei sein zu dürfen! Olympia in Hamburg - der Hammer! Davon kann man nur träumen! Als ich vor fünf Jahren zu Hamburgs Sportlerin des Jahres gewählt worden bin, war dieser Traum noch in weiter Ferne. Doch jetzt scheint er zum Greifen nah. Wenn wir alle zusammen richtig gute Arbeit machen!“ Sie suchte den Augenkontakt zu ihrem Gegenüber und fragte ihn mit einem herausfordernden Lächeln: „Herr Schmidt, was können Sie als Senator für die Stadtentwicklung zu den städtebaulichen Auswirkungen und Möglichkeiten durch die Olympischen Spiele sagen?“

Warum fühlte er sich im Moment bloß wie beim Abfragen der Englischvokabeln vor der gesamten Klasse? Außerdem bekam der Jungpolitiker bei Ninas Anblick die eindeutigen Bilder dieses Herrenmagazins nicht mehr aus dem Kopf. Leicht errötet und stotternd begann Thorsten Schmidt mit seinen Ausführungen: „Wir … wir … haben das Glück, dass in der Hafencity und vor allem auf dem Grasbrook noch einige Flächenreserven für die Sportstätten und die Unterbringung vorhanden sind. Allein schon das olympische Dorf braucht eine enorme Fläche für die über zehntausend Athleten mit ihrem fast ebenso großen Betreuerstab.“

„Da muss ich leider kurz einhaken“, unterbrach ihn Nina van Haff.

Irritiert starrte der Senator sie an. „Ja, bitte?“

„Vor einigen Tagen hat es von Seiten des IOC eine neue Direktive bezüglich des olympischen Dorfs gegeben.“

„Als da wäre?“

„Es soll kein olympisches Dorf mehr geben.“

„Kein olympisches Dorf?“

„Exakt.“

„Und wo sollen dann die Sportler hin?“

Nina hielt kurz inne, bevor sie weitersprach. „Wie Herr Relin vorhin ganz treffend geschildert hat, soll das olympische Ideal der Völkerverbindung wieder stärker in den Vordergrund gerückt werden.“ Sie suchte in ihren Unterlagen und holte schließlich einen Zettel hervor. „Ich wurde gebeten, folgende Aussage des Erfinders der Olympischen Spiele der Neuzeit, Pierre de Coubertin, zu zitieren: ,Die Menschen in aller Welt aufzufordern, einander zu lieben, ist kindisch. Sie aufzufordern, einander zu respektieren, ist hingegen überhaupt nicht utopisch – aber um sich respektieren zu können, ist es erst einmal notwendig, dass sie sich kennen lernen’.“

„Und wie soll das jetzt konkret funktionieren? Ohne olympisches Dorf?“, fragte Thorsten Schmidt mit schneidender Stimme.

„Es ist ausdrücklich gewünscht, dass alle Sportler auf bereitwillige Haushalte in der Hamburger Bevölkerung aufgeteilt werden.“

„So kirchentagsmäßig?“, bemerkte ihr Gegenüber belustigt.

„Oder wie beim Turnertag?“, fragte der Sportamtsleiter nach.

„Das kann man so sehen. Natürlich in einer ganz anderen Größenordnung und Qualität. Das erfordert eine Menge Organisation, Schulung der Gastgeber in Sitten und Gebräuchen, Bereitstellung der Infrastruktur und und und ...“

„Aus Sportlersicht kann ich diese Entscheidung nur bedauern. Das olympische Dorf gehört doch zu Olympia wie die Eier zu Ostern“, gab Annegret Winkel vom Olympiastützpunkt zu bedenken.

„Es wird ja weiterhin Ostern geben, nur dass die Eier diesmal von vielen Osterhasen verteilt werden, mit denen die Sportler auch ins Gespräch kommen sollen und nicht von einem unsichtbaren Osterhasen, den keiner wahrnimmt“, versuchte Nina den Einwand zu entkräften.

„Also, ich glaube, dass sich die olympische Bewegung mit dieser neuen Regelung ein neues, ja, ein menschlicheres Image geben wird. Alle sprechen nur noch von Doping und dem Kommerz. Wenn die Sportler bei den Gastgebern des Landes wohnen, rückt die Welt wieder enger zusammen.“ Der Sportamtsleiter versuchte, der neuen Entwicklung etwas Positives abzugewinnen.

Die Leiterin des Olympiastützpunktes hielt dagegen: „Haben Sie denn dabei an die Sportler gedacht? Was diese neue Regelung für sie bedeutet? Über zehntausend junge Menschen wollen untergebracht werden! Das ist ’ne ganze Menge!“

„Auch wenn ich persönlich das Dorf immer super fand. Der ständige Trubel lenkt auch ganz schön ab. Manche Spitzensportler schlafen sogar bewusst außerhalb“, berichtete Nina van Haff.

Der Erste Bürgermeister räusperte sich kurz und meldete sich dann zu Wort: „Meine lieben Freunde! Ich finde diese Aufgabe ganz sympathisch. Wir müssen eben umdenken. Neue Wege gehen. Es ist doch so: Seit den verheerenden Ereignissen 1972 in München werden die Sportler während der Spiele von der Außenwelt abgeschottet. Bis auf die wenigen Kontakte mit den Volunteers nehmen sie von dem Gastgeberland nicht viel mit nach Hause. Mit diesem neuen Konzept ist Coubertins Idee der kulturellen Begegnung und der völkerverbindenden Freundschaft gewahrt. Er würde sich über die Idee freuen. Vor der sportlichen Höchstleistung steht immer noch die Freundschaft und der gegenseitige Respekt!“

„Aber wir haben bereits Vorgespräche geführt. Auch zum Bau des Dorfes“, gab sein Stellvertreter zu bedenken. Seine Hände begannen zu schwitzen.

„Dann wird es diesbezüglich auch bei Vorgesprächen bleiben!“, stellte Veit Relin unmissverständlich fest und fuhr fort: „Ich habe bereits dieses Bild vor Augen: Sportler mit Fahnen in den Händen, stolzgeschwellter Brust. Alle freuen sich auf gemeinsame Wettkämpfe in unserer schönen Stadt. Am Ende der Eröffnungsfeier fliegen weiße Tauben in den Himmel ...“

„Entschuldigen Sie, Herr Bürgermeister, aber seit bei den Spielen in Seoul 1988 einige Vögel in der olympischen Flamme verbrannten, hat man von diesem optisch netten Brauch Abstand genommen“, unterbrach ihn Frau van Haff, um kurz darauf weiterzusprechen: „Im Sommer entscheidet der Olympische Sportbund OSB über die deutsche Bewerberstadt. Wir haben uns nicht zuletzt wegen dieser neuen Vorgabe ein sehr vielversprechendes Pilotprojekt überlegt, das ich Ihnen im Folgenden einmal vorstellen möchte."

Der Senator für Stadtentwicklung wirkte nun nicht mehr irritiert, sondern hochgradig verärgert. Warum wurden seine Einwände derartig übergangen? Immerhin stellte seine Partei den Koalitionspartner - und er diente hier garantiert nicht als Steigbügelhalter!

„Wir werden in den nächsten Wochen einen Testlauf fahren.“ Frau van Haff räusperte sich und versuchte, jeden mit ihrem Augenaufschlag zu erreichen. „Der Bezirk Bergedorf verfügt über optimale Wassersportbedingungen. Anfang Juni wird es dort einen Ruder-Weltcup mit rund fünfzig Nationen geben. Natürlich sind die Hotels bereits gebucht und alle Mannschaften untergebracht. Nur das italienische Team hat sich sehr lange damit Zeit gelassen. Nun wollen sie doch noch mit einer gut fünfzigköpfigen Delegation daran teilnehmen. Da in Italien ein rigoroser Sparkurs gefahren wird, haben wir der Mannschaftsleitung, mit dem Gedanken eines Testlaufs im Hinterkopf, gratis Kost und Logis bei bestens vorbereiteten Privatunterkünften angeboten - in unmittelbarer Nähe zur Regattastrecke. Deshalb möchte ich nun Herrn Grünfeld aus Ochsenwerder bitten, ein paar kurze Worte an uns zu richten.“

Magnus Grünfeld hatte bisher aufmerksam zugehört. Bei seinem ersten offiziellen Besuch im Hamburger Rathaus schien ihn die würdevolle Atmosphäre nicht sonderlich einzuschüchtern. Nach Ninas Aufforderung setzte er sich aufrecht hin, fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und sprach mit einem zurückhaltenden Lächeln in die Runde: „Danke, Frau van Haff. Also, ich muss schon sagen: Ich bin echt begeistert! Eigentlich habe ich die Olympischen Spiele der letzten Jahre immer mit einem besorgten Auge betrachtet, vor allem wegen der ungeklärten Umweltfragen. Sie müssen wissen, ich bin dabei, unseren Hof auf biologische Landwirtschaft umzurüsten.“ Er erntete anerkennendes Nicken. „Neben dem hier noch nicht thematisierten Anspruch der Nachhaltigkeit wirkt das ganze Konzept auf mich sehr persönlich und nah bei den Menschen. Aus dem Grund kann ich mir durchaus vorstellen, dass die Bewohner in Ochsenwerder die italienischen Ruderer sehr gerne bei sich aufnehmen würden!“ Frau Winkel lächelte ihm wohlwollend zu. „Trotzdem ist sicherlich noch Überzeugungsarbeit zu leisten. Nächste Woche haben wir turnusgemäß eine Gemeindesitzung anberaumt. Dazu möchte ich Sie alle recht herzlich einladen!“

„Da muss ich kurz noch einmal dazwischengrätschen, Herr Grünfeld“, schaltete sich Frau van Haff ein. „Zum jetzigen Zeitpunkt werden wir Ihren lieben Nachbarn von dem Olympiagedanken hinter diesem Pilotprojekt noch nichts sagen. Im Moment werden lediglich schöne Privatunterkünfte für Weltklasseruderer gesucht. Alles andere ist selbstverständlich top secret!“

3 Sonntagnachmittag


 

„Karlo! Amore!! Karlooo!!!“, rief Gianna Moretti aus dem ersten Stock des Vierländer Hofs. Die Inneneinrichtung des neuen Apartments stand kurz vor der Vollendung. Für die restlichen Arbeiten benötigte sie die Hilfe ihres Freundes. Die beiden hellen Räume am Ende des Flurs bildeten den Abschluss der vor über einem Jahr begonnenen Erweiterungsmaßnahme. Neben dem Apartment waren zehn neue Doppelzimmer zu den bestehenden zehn hinzugekommen.

Plötzlich spürte Gianna einen Luftzug. Mit leisen Schritten hatte sich Karlo an sie herangeschlichen. Er schob ihre dichten Locken beiseite und küsste sanft den Nacken seiner Freundin.

„Karlo! Finalmente!“ Freudestrahlend drehte sie sich zu ihm um. Sofort wollte er sie in seine Arme ziehen, was sie jedoch mit einer leichten Handbewegung abwehrte. „Scusa, amore. Aber, wir haben zu tun! Heute kommen doch die Gäste aus Holland und nichts ist fertig!“

„Das wird schon klappen, meine kleine Perfektionistin. Ist doch wunderschön hier!“ Anerkennend bewunderte er den altweiß gestrichenen Raum, die grün-weiß karierte Decke auf dem Couchtisch und die frischen weißen Freesien aus Hinrichs Gewächshaus, die Gianna in einer bauchigen Glasvase arrangiert hatte. „Du musst mir helfen, die Vorhänge anzubringen.“ Sie deutete auf die lindgrünen Stoffbahnen über dem Sofa, das mit dezenten Blümchen gemustert war. „Das ist mir zu hoch. Und die Bilder dort sollen über das Bett.“ Sie zeigte auf zwei Leinwände mit abstrakten Farbverläufen.

„Mach ich gleich. Aber zuerst kommst du mal zu mir.“

Mit sanftem Druck zog er sie an sich und suchte ihren Mund. Manchmal musste er sich kneifen, weil Gianna nun schon über zwei Jahre bei ihm wohnte und jede Nacht den Alkoven mit ihm teilte. Anfangs hatte allein ihr Anblick seinen Körper in einen unkontrollierbaren Unruheherd verwandelt. Jetzt stellte sich dieses Gefühl wohldosiert ein, wenn er sie nach kurzer Zeit der Trennung wieder in seine Arme schließen konnte. Ihre Küsse wurden leidenschaftlicher. Eng umschlungen standen sie vor dem frisch bezogenen weißen Metallbett. Als Karlo sie gerade in Richtung der weichen Matratze drücken wollte, klopfte es plötzlich an der Tür. Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte Hausdame Erne Wulffke herein. Wie zwei ertappte Teenager lösten sich Gianna und Karlo eilig voneinander.

Alle drei schienen peinlich berührt.

„Oh! Ich wusst ja nich … ähm …“ Verlegen strich Erne ihr apricotfarbenes Twinset zurecht. „Chef, da is Besuch für Sie.“

„Ja, Erne. Einen Moment. Bin gleich da.“

 

*

 

„Wadek!“ Sichtlich erfreut begrüßte Karlo den Mann in grauer Arbeitskleidung. „Das ist aber nett, wie geht’s?“ Hinter dem wettergegerbten Lächeln seines Gegenübers konnte er ernsthafte Sorgen erkennen.

„Ich brauche Hilfe.“

„Gerne. Was kann ich tun?“

„Meine kleine Nichte Elzbieta, alle sagen Ella, hat Freund, Pawel. Is nich lange in Deutschland für Arbeit. Jetzt is weg.“

„Wie weg? In Polen? Oder hier?“, fragte Karlo irritiert nach.

„Weiß nich. Is nich in Polen bei Ella.“

„Das heißt, er wohnt hier und ist plötzlich verschwunden?“

„Is guter Junge. Jeden Sonntag wir gehen nach polnische Kirche in St. Pauli. Aber heute er nich kommen.“

„Vielleicht wollte er nur mal länger schlafen. Oder er hatte keine Lust.“

„Er immer kommt!“, wies Wadek Karlos lapidaren Einwand entschieden zurück.

„Wann hast du ihn denn das letzte Mal getroffen?“

„Sonntag vor eine Woche. In Kirche. Aber heute Morgen nich. Ich war vorhin bei seine Wohnung. Da is auch nich!“

Karlo seufzte innerlich. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Seit Wadek ihn vor zwei Jahren aus dem Schuppen seines Dirigenten Manfred Eckers befreit hatte, fühlte er sich ihm verpflichtet.

„Und was soll ich jetzt tun?“

„Kannst du diese Kommissar fragen? Der auch war in Schuppen.“

„Spannich?“

„Weiß nich Namen.“ Kommissar Spannich! Insgeheim hatte Karlo gehofft, diesen Menschen mit dem akkurat gezogenen Seitenscheitel und der ständig rutschenden Nickelbrille nicht noch einmal wiederzusehen. Jedoch wirkte Wadek ziemlich verzweifelt. „Sie nächstes Jahr wollen heiraten. Pawel is Student. Sehr klug. Will Lehrer werden. Muss Geld verdienen für Haus in Polen.“

„Ich will mal sehen, was ich tun kann“, versprach Karlo.

 

*

 

Im Polizeikommissariat von Bergedorf saß Dirk Spannich an seinem Schreibtisch und brütete über dem verzwickten Fall einer Bande von Produktpiraten. Innerhalb kürzester Zeit hatten sie in seinem Bezirk drei Lager mit gefälschten Markenhandys entdeckt. Passend dazu hatte es in den letzten Tagen allein auf seiner Dienststelle drei Betrugsanzeigen wegen defekter Mobiltelefone gegeben. Alle Geräte waren von den Geprellten zu einem deutlich günstigeren als dem Listenpreis im Internet bestellt worden.

Nach einer Weile stellte der Kommissar seinen grünen Bleistift in einen silbernen Behälter, der mehrere gleichfarbige Stifte enthielt. Er schloss die grüne Mappe und legte sie auf andere ordentlich gestapelte grüne Aktenmappen, die in einem silbernen Ablagekorb auf weitere Bearbeitung warteten. Nach einem Blick auf die Uhrzeit im Computer bückte er sich nach unten, um pünktlich zur Mittagspause seine Brotdose aus dem Aktenkoffer hervorzuholen. Eine erste Prüfung ergab, dass seine Mutter heute sogar an ein Salatblatt zwischen Salami und Brot gedacht hatte. Ein paar Gurkenscheiben lagen daneben. Er wollte gerade abbeißen, als plötzlich das Telefon vor ihm klingelte. Mit einem Seufzer legte er das Brot zurück in die Dose, rückte seine Brille zurecht und nahm den Hörer ab. „Spannich?“

„Hallo, Herr Kommissar Spannich, Kolberg hier, Karl Kolberg, erinnern Sie sich?“

„Ach, der Herr Kolberg!“ Auch wenn die Angelegenheit bereits zwei Jahre zurücklag, hatte er diesen gefährlich neugierigen Hotelier nicht vergessen. „Was haben Sie denn diesmal für uns? Wieder eine Frau um den Verstand gebracht? Oder versehentlich Pflanzenschutzmittel getrunken?“

Innerlich verdrehte Karlo die Augen. Musste der Kommissar ihn unbedingt wieder an diese Biggi erinnern, die damals aufgrund seiner Zurückweisung mehrere Sabotageakte auf ihn hatte verüben lassen? Er schluckte den Ärger herunter. „Ein Bekannter von mir bräuchte Ihre Hilfe. Er vermisst den Verlobten seiner Nichte.“

„Kalte Füße gekriegt, was?“

„Wie bitte?“

„Entschuldigen Sie, seit wann wird dieser Verlobte denn vermisst?“

„Seit heute.“

„Da kann ich leider nicht viel machen. In Deutschland muss man schon ein paar Stunden länger abhanden gekommen sein, um polizeilich gesucht zu werden.“

„Wadek hat sein Verschwinden heute erst bemerkt. Der Mann könnte also auch schon länger weg sein. Er klang wirklich verzweifelt.“

„Dann erzählen Sie mal kurz und knapp.“ Spannich zückte sein schwarzes Buch und machte sich Notizen. „Gut. Wenn ich noch Fragen habe, sind Sie unter derselben Nummer wie damals zu erreichen?“

„Ja ... und was sage ich jetzt meinem Bekannten?“

„Dass sich die Polizei Hamburg um die Suche nach Herrn Pawel Olczyk kümmern wird.“ Der Kommissar räusperte sich kurz und fuhr in strengem Ton fort: „Und, Herr Kolberg, sollten Sie es wieder mal nicht lassen können, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie uns früher in Ihre eigenen Ermittlungen mit einbeziehen. An einem Ende wie beim letzten Mal haben weder Sie noch ich ein gesteigertes Interesse!“

4 Dienstagabend


 

Suppengrün. Ein penetranter Geruch nach welkendem Suppengrün begrüßte die Besucher des Alten Gasthofs von Ochsenwerder. Üppige Girlanden aus schlaffen Wurzeln, Sellerieknollen, schrumpeligen Pastinaken und Petersilie schlängelten sich um die Holzstreben der Balustrade auf der rechten Seite des Saals. An den hinteren vergilbten Wänden der Bühne hingen Großaufnahmen von jeweils einer Tomate, einer Gurke und einem Weißkohl. Geflochtene Ketten aus Radieschen und Schnittlauch zierten den verschlissenen Vorhang über der Bühne. Vor einer Woche hatte hier der alljährliche Gemüseball stattgefunden.

Der junge Pastor Benjamin Florin versuchte gerade, eine widerspenstige Leinwand vor einem Gurkenbild in der Mitte der Bühne aufzustellen. Eigentlich hätte die heutige Gemeindesitzung wie üblich im gegenüberliegenden Pastorat stattgefunden, aber wegen der ungewöhnlichen Dringlichkeit und der erwarteten hohen Anzahl an Gästen sollte der geräumige Saal im Alten Gasthof genutzt werden. In der vergangenen Woche war der neue Vorsitzende des Bürgervereins Magnus Grünfeld zumindest im Dorfkern von Haus zu Haus marschiert, um möglichst viele der knapp zweitausendfünfhundert Einwohner Ochsenwerders zur Sitzung einzuladen. Über das von Magnus noch unter Verschluss gehaltene Thema konnte auch der Pastor nur spekulieren. Irgendetwas hoch Politisches musste es sein. Von Müllverbrennungsanlage bis Windpark oder sogar der Erschließung großflächiger Neubaugebiete inklusive Spaßbad und geräumiger Kita schien alles möglich. Als langjähriger Single hätte Benjamin Florin für Letzteres wenig Verwendung. Hier auf dem Dorf war es nicht wirklich einfach, diesen Status zu ändern. Seit er vor über einem Jahr die Stelle in Ochsenwerder übernommen hatte, stand jeder seiner Schritte unter genauer Beobachtung. Außerdem verhielt sich der Pastor trotz seiner fast zwei Meter Körpergröße in Gegenwart von Frauen eher schüchtern. Eine Studienkollegin hatte ihn vor einigen Monaten dazu animieren wollen, wenigstens den dichten dunklen Bart abzunehmen. Doch als Gewohnheitstier hatte er sich bis heute nicht dazu durchringen können. Auch von seinen schwarzen Zimmermannshosen, die er in dreifacher Ausfertigung besaß, wollte er sich nicht trennen. Wenigstens waren seine langen Haare aus Studienzeiten seit Stellenantritt einem ordentlichen Kurzhaarschnitt gewichen.

Als die Leinwand endlich einrastete, vernahm er plötzlich eine weibliche Stimme hinter sich: „Hallo? Sind Sie der mir versprochene Techniker?“

Irritiert drehte er sich um und sah eine blonde Frau die drei Stufen zur Bühne hinaufsteigen.

„Van Haff. Nina van Haff!“

In Zeitlupe nahm er ihre ausgestreckte Hand entgegen. „Florin. Benjamin Florin.“

„Super, dass Sie uns helfen! Ich müsste meinen Beamer anschließen und bräuchte dafür einen kleinen Tisch. Strom wär da echt von Vorteil.“ Sie sah sich kurz um. „Haben Sie vielleicht auch ein Mikro für mich?“


 

*

 

Mit eleganten Schritten, als würde sie das Foyer eines exklusiven Grandhotels und nicht den heruntergekommenen Festsaal betreten, stolzierte die Apothekerin Hildegard von Ziesel herein. Seit über fünf Generationen befand sich ihre Ochsenwerder Apotheke bereits in Familienbesitz, wie sie zu jeder sich bietenden Gelegenheit verlautbaren ließ. Zielstrebig steuerte sie die vordere Reihe an. Gefolgt von ihrer einzigen Tochter, Pia von Ziesel. Bevor die beiden Frauen in der Mitte der ersten Reihe Platz nahmen, entledigte sich Hildegard ihres Lodenmantels, strich die weiße Bluse über dem karierten Wollrock glatt und richtete verstohlen ihre Hochsteckfrisur. Eine Lesebrille hing an einer goldenen Kette um ihren Hals. Innerlich seufzend betrachtete sie die unscheinbare Aufmachung ihrer Tochter und deutete anschließend nach vorn. „Guck mal Pia, der Pastor ist auch schon da!“, stellte sie erfreut fest. Die junge Frau sah nur kurz von ihrem Buch hoch und las umgehend weiter. Ihre Mutter erhob sich von ihrem Platz und schritt freudestrahlend auf den jungen Mann zu, der vor der Bühne stand - über seinen verwaschenen Pullover und die ausgebeulte schwarze Cordhose sah sie großzügig hinweg. „Guten Abend, Herr Pastor!“ Beschwörend nickte sie in Pias Richtung, die entnervt ihr Buch beiseitelegte. Nina van Haff stand mit dem Rücken zu ihnen gewandt auf der Bühne und sprach lebhaft in ihr Handy.

Benjamin Florin schüttelte ergeben die Hand der ersten Vorsitzenden des Kirchenvorstands. „Frau von Ziesel! Schön, dass Sie da sind!“

„Sind Sie wieder so freundlich und kümmern sich um die Technik?“, erkundigte sie sich süß lächelnd, während Pia und der Pastor sich ebenfalls die Hand gaben.

„Ist schon alles fertig“, winkte Benjamin ab. „War kein großer Aufwand.“ Suchend blickte er einen Moment hinter sich.

„Wo Sie gerade hier sind, Herr Florin. Pia wollte Sie schon lange etwas fragen.“ Die Apothekerin stupste ihre desinteressiert zu Boden blickende Tochter an, die kurz darauf mit monotoner Stimme ihr Anliegen vortrug: „Ach ja … im Rahmen meines Studiums müsste ich einige Beobachtungen zur Interaktion von Kindern durchführen. Wäre es möglich, dass ich ein paar Wochen im Kindergarten hospitiere?“

Zum großen Bedauern ihrer Mutter hatte Pia das Pharmaziestudium nach einem Semester aufgegeben und studierte seit über zwei Jahren Biologie und Deutsch auf Lehramt.

Der Pastor dachte einen Moment nach. „Aber natürlich! Kein Problem. Reichen Sie mir nur kurz eine Notiz dazu rein, dann kläre ich das gern mit der Leitung ab.“

„Danke.“

Benjamin Florin nickte den Damen noch einmal freundlich zu und begab sich wieder in Richtung Bühne, wo Nina ihr Gespräch gerade beendet hatte.

Nachdem Hildegard und Pia von Ziesel zu ihrem Platz zurückgekehrt waren, setzte sich das Lehrerehepaar Michael und Elke Meyer-Oelke neben sie. Die Apothekerin begrüßte den drahtigen Sportlehrer der Zentralschule des Dorfs mit neutraler Miene. Seiner wie immer in schwarz gekleideten Frau nickte sie nur kurz zu. Seit Elke die hohen Buchsbäume in ihrem Vorgarten an der Geschäftsstraße Ochsenwerders zu Phallussymbolen geschnitten hatte, ignorierte Hildegard von Ziesel ihre pietätlose Nachbarin. Die schien das allerdings nicht besonders zu stören, da sie ohnehin nur mit wenigen Leuten das Gespräch suchte. Seit über zwanzig Jahren betrieb die Künstlerin eine beliebte Malschule für Kinder und Erwachsene. Auch Pia hatte viele Jahre zusammen mit Elkes und Michaels Tochter Charlotte an dem Malunterricht teilgenommen. Als die Kinder jedoch einmal den Auftrag bekamen, ihre Familie nackt zu malen, durfte Pia nicht mehr an den Stunden teilnehmen.

„N‘abend, Frau von Ziesel!“, grüßte Michael seine Nachbarin mit donnernder Stimme. Die von Ziesels zählten zu den einzigen im Dorf, mit denen sich keiner duzte. „Na, wat meinen Sie denn, warum man uns heute hier zusammengerufen hat?“

„Also, ich würde es durchaus begrüßen, wenn endlich über die Sanierung des Gemeindezentrums geredet würde! Die sanitären Anlagen ...“

„Die Kirche in allen Ehren, aber dafür geht der gute Magnus doch nich Klinken putzen!“ Der Lehrer machte eine wegwerfende Handbewegung. „Nee, dat muss ’n ganz großes Thema sein! Vielleicht ’ne neue Schule?“

„Das wär cool, Michael!“ Dörthe Schulze, eine der beiden Betreiberinnen des Bioladens „Die Emmatanten“ nahm gerade direkt hinter dem Lehrerehepaar Platz. Die verschiedenen Rottöne ihres selbstgenähten Kleids in Glockenform waren ein echter Farbtupfer im eher dunklen Saal. Auch sie hatte ihre vollen roten Haare zu einer Hochsteckfrisur aufgedreht. Im Gegensatz zur akkuraten Frisur der Apothekerin hatten sich jedoch einige Strähnen widerspenstig gelöst. „Ich glaub ja, dass es irgendwie um so ’ne Umweltsache geht. Die wollen hier bestimmt vom ganzen Dorf das Okay für ’ne Riesensauerei!“ Auch wenn Dörthes zierlicher Körperbau dies auf den ersten Blick nicht vermuten ließ, galt sie vor allem in Umweltfragen als äußerst streitlustige Person.

„Das weiß du doch noch gar nicht, Dörthe!“ Ihre Geschäftspartnerin Kathrin Sommer setzte sich neben sie und grüßte fröhlich lächelnd in die Runde. Dabei wippten ihre blonden dichten Locken. „Kann doch auch mal etwas Schönes sein! Vielleicht ein Schwimmbad. Oder eine größere Kita.“

„Da wär ich dafür! Kinder brauchen echt Platz, um sich voll entfalten zu können!“

„Oh, hallo Anevke!“, freute sich Dörthe über ihre Stammkundin, die sich neben sie setzte. Aufmerksam besah sie sich die deutliche Wölbung über Anevkes Jeans. „Wie lange hast du noch?“

„Über zwei Monate!“, stöhnte die Angesprochene.

Milde lächelnd und mit Argusaugen über seine schwangere Frau wachend setzte sich der zukünftige Kindsvater Dr. Tobias Brömmer neben sie. Nach seiner erfolgreichen Promotion vor einem halben Jahr bekleidete er mittlerweile das Amt des stellvertretenden Leiters der Gedenkstätte von Neuengamme. „Guten Abend.“

„Ach nee, unser Bürgerkönig! Ja und? Wo is denn deine Kette?“, erkundigte sich Michael grinsend.

„Ach ja! Moment.“ Missbilligend sah Anevke dabei zu, wie ihr Mann eine breite Messingkette aus seiner tarnfarbenen Fahrradtasche zog. Auf dem großflächigen Anhänger war ein mit Blumenranken geschmücktes Gewehr abgebildet. Aus einer Laune heraus hatte Tobias zusammen mit seinem ehemaligen Schulfreund Karlo am letzten Schützenfest teilgenommen und durfte sich nun Bürgerschützenkönig nennen. Als ehemaliger Zivildienstleistender.

„Um den Hals hängen! Bei jedem öffentlichen Auftritt! Dat gehört dazu.“ Michael lachte. Auch er hatte sich nach seinem Umzug aus der Hamburger Innenstadt an die dörflichen Gepflogenheiten gewöhnen müssen.

Tobias tat wie ihm befohlen. Anevke schüttelte ihre asymmetrische Frisur und verdrehte die Augen in Richtung Ausgang. Dabei wurde sie Zeugin eines weiteren alten Brauchs in Teilen der Dorfgemeinschaft. Als eine Gruppe von ungefähr zehn Männern in der Nähe der Stuhlreihen aufeinandertraf, rief einer laut: „Hest em bi di?“

Fast alle fummelten in ihren Hosen, Jacken oder Hemdtaschen und reckten innerhalb von kürzester Zeit stolz einen halben Korken in die Luft. „Heb ick“, lautete die einhellige Antwort. Nur der Jüngste von allen, Versicherungsmakler Sven Töner, konnte lediglich leere Hände vorweisen.

„Nächste Runde geiht auf dich, Sven!“, feixte der voluminöse Wirt Manfred Wolf, der in einem Hinterhof der Geschäftsstraße des Dorfs die Gaststätte Zum Wolf betrieb. „Ich mach schon mal ‘n Deckel klar!“

„Nützt ja nix!“, ergab sich Sven in sein Schicksal. „Tel Aviv, die Firma dankt!“, entgegnete der allseits bekannte Sprücheklopfer.

Inmitten des allgemeinen Trubels in den mittlerweile gut gefüllten Sitzreihen öffnete sich auf der Bühne eine Tür und eine Delegation von sieben stilvoll gekleideten Personen betrat das Podium. Mit bedächtigen Schritten begaben sich vier der Herren und eine Frau im dunkelblauen Kostüm zu den Plätzen, die ihnen von Nina van Haff zugewiesen wurden. Ein Mann im schwarzen Anzug machte einen gekonnten Satz und blieb unterhalb der Delegation stehen. Sein Kollege verharrte vor einem Fenster auf der rechten Seite der Bühne. Bei jedem von ihnen schlängelte sich aus dem Hemdkragen eine Kabelspirale zu einem Knopf im Ohr. Mit unbewegter Miene scannten sie jeden Millimeter des Saals. Dabei entging ihnen nicht, wie ein vollbärtiger Mann, eine Mischung aus Wildecker Herzbuben und Alm-Öhi, schnell hinein huschte und von seiner äußerst missbilligend blickenden Ehefrau nach vorne auf einen extra frei gehaltenen Platz neben der gemeinsamen Tochter gewunken wurde.

Nina van Haff ließ ihren Blick über dem Saal schweifen und setzte sich in die Mitte des Tisches. Sie sortierte ihre Papiere vor sich und atmete einmal tief durch. Bevor sie jedoch das Wort ergreifen konnte, ereignete sich noch ein kleiner Zwischenfall: Wie von Zauberhand löste sich eine der Radieschengirlanden aus dem Vorhang über ihnen und wand sich wie eine Hawaiikette um den Hals des Ersten Bürgermeisters. Die Menge im Saal rief erschrocken und belustigt durcheinander. Schnell wie Raubkatzen stürzten sich die Leibwächter auf ihren überrascht blickenden Chef und entrissen ihm die Gemüsekette mit ruppigen Bewegungen. Von seinem Klappstuhl im hinteren Bereich der Bühne starrte Benjamin Florin besorgt nach oben. Als er erkannte, dass weiterhin mit herabfallendem Gemüse zu rechnen war, stürzte sich der junge Pastor mit seinem langen Körper auf Nina van Haff. Der letzte Rest Radieschen und Schnittlauch ergoss sich über seinen groben Wollpullover. Die beiden Bodyguards starrten den Eindringling feindselig an.

„D … d … danke“, stammelte Nina van Haff, als ihr Retter sich langsam von ihr löste.

Das Murmeln im Saal nahm zu. „Seit der Explosion letztens sitzt hier irgendwie alles locker!“, raunte Dörthe ihrer Geschäftspartnerin Kathrin zu. „Weißt du noch, wie heute unser Schild vorne runtergedonnert ist?

Die nickte kurz. „Jetzt wo du’s sagst. Meine drei hatten sich so erschrocken. Lotta ist an dem Abend sofort in mein Bett gekrochen!“

„Kjelli auch!“, erinnerte sich Dörthe.

„Was das wohl war?“, beteiligte sich nun auch Frau von Ziesel am Gespräch. „Man hat später nichts mehr von der Sache gehört.“

„So was kommt doch öfter vor. Vielleicht ham ein paar experimentierfreudige Jungs ihre alten Silvesterknaller zusammengeschmissen“, mutmaßte der Lehrer.

„Nein, da hat irgendein Bauer bestimmt mal wieder was verschwinden lassen wollen, ganz klar!“, schaltete sich Anevke Brömmer in die Spekulationen ein. Dabei strich sie sich sanft über den Bauch. „Ich kann nur hoffen, dass da keine Chemie im Spiel war! War echt heftig, unser hinterer Schuppen hat seitdem einen Riss in der Außenwand!“

„Bei unseren Nachbarn sind sogar die Scheiben ihrer Gewächshäuser zerbrochen“, berichtete Anevkes Mann Tobias, der beschützend den Arm um seine Frau gelegt hatte. „Nur merkwürdig, dass davon nichts in der Zeitung stand.“

Nachdem sie sich vom Schrecken der fliegenden Girlanden erholt und der Bürgermeister seine Contenance wiedergefunden hatte, begann Nina van Haff ins leicht pfeifende Mikrofon zu sprechen: „Meine Damen, meine Herren, ich freue mich sehr, dass heute so viele hierher gekommen sind! Vielen Dank an Herrn Grünfeld für die Gastfreundschaft in diesem ... ähm ... schönen Saal.“ Sie deutete auf den einzigen leeren Stuhl auf der Bühne. „Unser letzter Gast wird bestimmt bald hier sein.“ Ein erneutes Raunen erfasste die Menge. Unbeirrt fuhr Frau van Haff fort: „Zunächst darf ich die Runde hier oben einmal vorstellen: Sie kennen bestimmt alle Hamburgs Ersten Bürgermeister, Herrn Veit Relin.“

Auch wenn Relin der im Dorf weniger favorisierten Partei angehörte, klatschten die anwesenden Männer höflich. Der Großteil der Frauen applaudierte dem – laut einer bekannten Frauenzeitschrift – ‚sexiest Bürgermeister alive‛ wie verliebte Backfische. „Neben ihm begrüßen wir den Sportamtsleiter Johannes Cornelsen und den ersten Vorsitzenden des Hamburger Landesruderverbands, Herrn Roger Repenbrook.“ Die älteren Herren lächelten staatsmännisch. „Zur Rechten sehen Sie den Zweiten Bürgermeister und Senator für Stadtentwicklung, Herrn Thorsten Schmidt, sowie die Leiterin des Olympiastützpunktes, Frau Annegret Winkel.“ Während Frau Winkel freudig in die Menge strahlte, verzog ihr Sitznachbar keine Miene.

Nach der allgemeinen Vorstellung des Podiums eilten noch zwei späte Besucher in den Saal. Der Ältere der beiden setzte sich auf einen Platz in den hinteren Reihen. Magnus Grünfeld hingegen begab sich mit großen Schritten direkt nach vorn zur Bühne. Dabei steckte er sein kariertes Hemd in die Cordhose und fuhr sich hektisch durch das widerspenstige Haar.

„Oh, Herr Grünfeld! Dann können wir ja anfangen“, sprach Nina van Haff erleichtert in das Mikrofon. Im Gegensatz zu seinem Auftritt vor ein paar Tagen wirkte Magnus diesmal eher angespannt, stellte sie fest. Eine beginnende Sorgenfalte verlief über seiner Stirn.

In der ersten Reihe zischte Hildegard von Ziesel ihrem Mann verärgert zu: „Mal wieder zu spät. Familie Grünfeld braucht wie immer ihren Auftritt!“

Die in Ochsenwerder alteingesessenen Grünfelds bedeuteten für Hildegards Familie, die Kruthus, schon seit Generationen ein dauerhaftes Ärgernis. Weil Antonius Kruthus sich vor ungefähr zweihundert Jahren nicht um die Befestigung seines Deiches hatte kümmern wollen, war ihm vom damaligen Deichvogt ein Spaten in die Erde gerammt worden. „Wer nich will deichen, muss weichen“, lautete sein unabwendbares Urteil. Der benachbarte Hufner Hermann Grünfeld machte daraufhin vom sogenannten „Spatenrecht“ Gebrauch und zog den Spaten wieder heraus. Auf diese Weise konnte er sich das großzügige Grundstück der Kruthus aneignen. Fairerweise ließ Grünfeld der Familie noch das Haus und einen kleinen Küchengarten. So verlegten sich der Enteignete und seine Frau bald auf den Anbau von Heilkräutern und er erwarb sich binnen kürzester Zeit den Ruf eines Quacksalbers. Auch wenn sie kein schlechtes Auskommen hatten und niemand der Zeit des kraftraubenden Ackerbaus nachweinte, saß seitdem ein unverrückbarer Keil zwischen den beiden Familien. Vor allem den Kruthus respektive den von Ziesels würde es nie einfallen, Angehörige der Grünfelds zu privaten Feiern einzuladen.

„Zunächst möchte ich dem Ersten Bürgermeister das Wort erteilen.“ Nina van Haff setzte sich wieder und hielt verstohlen Ausschau nach diesem bärtigen Techniker von vorhin.

Veit Relin wusste um seine Wirkung auf die Zuhörer, vor allem auf die weiblichen. In der Regel lauschten sie seiner tiefen bedächtigen Stimme gern: „Meine lieben Einwohner von … Ochsenwerder. Ich freue mich außerordentlich, dass wir an diesem heutigen Abend endlich die Gelegenheit bekommen, diesen Teil von Hamburg zu besuchen. Bei der Vorbereitung auf diesen Abend musste ich mir erst wieder vergegenwärtigen, dass Ochsenwerder bereits seit dem Jahre 1395 zu unserer schönen Stadt gehört.“ Leises Gemurmel durchzog das Publikum. „Sie werden sich nun sicher fragen, weshalb wir in ihr malerisches Dorf gekommen sind. Nun, das will ich Ihnen gerne sagen: Hamburg hat vor, sich zukünftig im sportlichen Bereich stärker zu engagieren.“ Nach einer kleinen Pause und anwachsendem Getuschel fuhr er fort: „Und was haben Sie damit zu tun? Es verhält sich folgendermaßen: In den heutigen Krisenzeiten liegt den Vorsitzenden der internationalen Sportverbände der Aspekt der Völkerverständigung sehr am Herzen. Deshalb ist geplant, dass die Sportler in Zukunft bei ihren Wettkämpfen vorzugsweise nicht mehr anonym in Hotels untergebracht werden sollen, sondern, dass sie - wie Sie es vielleicht vom Kirchentag kennen – bei freundlichen Mitbürgern Privatunterkünfte bekommen.“

„Allens nach Ossenwarder?“, rief ein Besucher unter allgemeinem Gelächter. „Nu geiht dat aber los!“

„Natürlich nicht.“ Veit Relin lächelte charmant. „Aber wir haben ein Pilotprojekt ausgearbeitet, das Ihnen Frau van Haff nun einmal vorstellen möchte.“

Die Projektleiterin saß träumend an ihrem Platz und spielte mit einem Radieschen. Sie reagierte erst, als der Erste Bürgermeister sie erneut direkt ansprach: „Frau van Haff?“

„Ja, entschuldigen Sie!“ Sie sammelte sich kurz und wischte einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Es ist so: Hier ganz in der Nähe befindet sich ja das Regattazentrum von Allermöhe. Im Juni wird dort ein Ruderweltcup veranstaltet. Alle teilnehmenden Mannschaften haben natürlich schon längst ihre Zimmer in den umliegenden Hotels gebucht. Daran wird auch nichts mehr geändert. Nur die Italiener waren sich sehr lange nicht einig. Nun wollen sie doch kommen und werden an unserem einmaligen Pilotprojekt teilnehmen.“ Lächelnd fuhr sie fort. „Das soll folgendermaßen aussehen: Wir brauchen Unterkünfte für ungefähr sechzig Personen. In erster Linie geht es da um die Sportler. Aber auch die Betreuer, Trainer und Physiotherapeuten müssen versorgt werden.“ Sie griff zu der kleinen Fernbedienung auf dem Tisch und drehte sich zur Leinwand um. „Ich habe hier eine Liste mit den entsprechenden Wünschen. Die unterschiedlichen Bootsklassen möchten möglichst zusammenbleiben. Wie Sie sehen, reicht das Spektrum vom Einer bis zum Ach ...“

Nina van Haff konnte ihren Satz nicht mehr zu Ende sprechen, weil aus den Zuschauerreihen wütende Stimmen ertönten:

„Wat soll dat denn?“

„Wat woll’n die denn hier?“

„Spaghettis? Zu uns?“

„Die klau’n doch wie die Raben! Vor zwanzig Jahren anne Adria, da ham die mein Auto ...“

„Warum immer nach uns hier? Die können doch auch mal nach Bergedorf!“

„Warum geh’n die nich in Zelte? Da gift dat ganz gediegene.“

Alle riefen durcheinander. Die Mitglieder des Podiums tauschten ernste Blicke.

„Also, ich finde das ganz toll!“, flüsterte Kathrin ihrer Geschäftspartnerin Dörthe zu. „Wir könnten bestimmt vier Leute bei uns unterbringen! Die Kleinen rücken zusammen und Thorsten braucht sein Arbeitszimmer ja im Moment sowieso nicht.“ Kathrins Mann war als Taucher auf einer Bohrinsel noch mehrere Wochen unterwegs.

„Ruderweltcup ... voll die Kommerzkacke, ey!“ Missmutig verzog Dörthe ihre Lippen und verdrehte die grünen Augen. „Die machen sich die Taschen voll und wir dürfen arbeiten!“

„Aber du hättest doch auch Platz, Dörthe!“, gab Kathrin zu bedenken. „Die zwei Zimmer, die irgendwann mal unser Büro werden sollen, sind doch frei! Paar Möbel rein, fertig!“

„Ich denk mal drüber nach.“

Etwas weiter hinten unterhielten sich drei ältere Frauen.

„Mutt wie dann den ganzen Tach Spaghettis kochen?“

„Und Opern singen?“

„Den Itakern kannst nich trauen, Hertha. Dat sacht mein Ernst immer, wenn er Fußball kiekt.“

Plötzlich verschaffte sich der Lehrer Michael Meyer-Ölke mit sportplatzerprobter Stimme Gehör: „Wenn man den lateinischen Grundsatz Citius, altius, fortius - also ‚Schneller, höher, stärker’ in die Tat umsetzen will, dann brauchen die Sportler natürlich eine Topversorgung. Das muss allen hier klar sein. Unser Probiotisches Healthy Breakfast an der Schule wäre dafür sicherlich bestens geeignet …“

Dankbar strahlte Nina van Haff ihn an. Endlich hatte sich der Saal ein wenig beruhigt. „Da sind Sie ja schon richtig weit, Herr …?“

„Meyer-Oelke. Michael Meyer-Oelke. Oberstudienrat!“

„Herr Meyer-Ölke, wir haben hier einen Anforderungskatalog in Bezug auf die anzubietenden Mahlzeiten in den Quartieren.“

Sie hantierte mit der Fernbedienung. Auf der Leinwand erschien eine bunte Pyramide mit verschiedenen Lebensmitteln. Als sie sich wieder zu den Zuschauern umdrehte, zeigten sich ihr nach wie vor ablehnende aber auch aufgeschlossene Gesichter. „Gibt es dazu noch Fragen oder Anmerkungen?“

Aus einer der hinteren Reihen meldete sich der zuletzt erschienene ältere Herr zu Wort: „Hebbt ihr mal an den Trubel dacht, der dann in Ochsenwerder herrscht? Sechzich Lüt – dat sin ganz schön veele! Denkt mal allein an dat Verkehrskuddelmuddel!“

„Endlich ist hier mal was los!“, riefen Anevke und Dörthe.

„Dat mach ja wohl sein, aber wer weiß denn, wo dat noch hinführt. Wie damals mit der Güterumgehungsbahn, die ja Gott sei dank in letzter Minute nich gekommen is. Ich weiß nich, ob dat in Ochsenwerder so ‘ne gute Idee ist. Plötzlich wird uns hintenrum noch wat unnergeschob’n und wir lütte Bürgers ham mal wedder nich ins Kleingedruckte gekiekt.“

„Horst hat recht. Wir sollten da auf jeden Fall pingelich hinkieken!“, unterstützte Wirt Manfred die Bedenken seines Vorredners. „Wer weiß, wat da noch allens kommt!“

Aufgrund des ausbleibenden Widerspruchs im Saal nahm vor allem der Zweite Bürgermeister aufmerksam zur Kenntnis, dass das Wort dieser beiden Männer hier Gewicht haben musste.

„Herr Bürgermeister“, sagte Dörthe unvermittelt in die murmelnde Stille hinein. „Wo Sie schon mal da sind. Was ist denn nun mit dem Thema Fracking hier in der Gegend?“

Herr Relin bemühte sich, seine joviale Haltung zu bewahren: „Meine lieben Einwohner von Ochsenwerder! Ich freue mich immer über vielseitig interessierte Bürger, aber heute wollen wir uns bitte hauptsächlich mit dem akuten Thema beschäftigen. Sie können mir aber gerne jederzeit eine Mail schreiben.“

Dörthe ließ sich nicht einfach abspeisen: „Das werde ich bestimmt tun. Trotzdem finde ich, wenn wir hier für Ihre Imagekampagne herhalten sollen, dann können Sie uns hintenrum keine Chemie in den Boden jagen!“

„Genau!“, pflichtete Anevke ihr lautstark bei.

Bis zu dem Zeitpunkt hatte Magnus Grünfeld von seinem Bühnenplatz aus genau zugehört. Er fuhr sich noch einmal mit beiden Händen durch's Haar und griff entschlossen zum Mikrofon. „Liebe Freunde und Freundinnen aus Ochsenwerder: Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun! Ich würde mich sehr freuen, bei dieser neuen Form der Völkerverständigung über die Brücke des Sports zu gehen. Deshalb schlage ich vor: Lasst uns zunächst einmal über gute Gastfreundschaft unseren italienischen Freunden gegenüber nachdenken. Für alles andere wird es sicherlich eine sinnvolle Lösung geben! Da vertraue ich ganz unserem Bürgermeister!“

Dankbar lächelnd nahm Veit Relin Magnus das Mikrofon aus der Hand: „Ich bin davon überzeugt, dass sich die italienischen Ruderer hier in Ihrem schönen Ochsenwerder wohlfühlen werden!“ Nun schien es Zeit für seinen letzten Trumpf. „Ihre Mühe soll ja nicht umsonst sein. Wie wir alle unschwer erkennen können, ist dieses schöne alte Gebäude im Herzen Ihres Dorfes ein wenig ... nun ja ... in die Jahre gekommen.“ Er betrachtete kurz die unübersehbaren Risse in den Wänden und an der Decke. „Da es mittlerweile der Stadt gehört, können wir entscheiden, was in Zukunft damit geschehen soll. Hamburg verfügt bereits über ein sehr schönes Gästehaus an der Alster. Zusätzlich wünschen wir uns in Zukunft eine Art Dependance auf dem Lande. Denn - auch das ist Hamburg!“ Er machte eine bedeutsame Pause und versuchte jeden der Anwesenden auf seinen nächsten Gedankengang mitzunehmen. „Die Lage hier an Ihrem schönen Dorfteich mit der Kirche im Hintergrund und diese malerische kleine Geschäftsstraße hat uns auf die Idee gebracht, aus diesem altehrwürdigen Gebäude einen kleinen Wellnesstempel zu machen. Mit gehobener Gastronomie, Whirlpool, Spa, Fitnessraum ...“

Im Saal regte sich Widerstand.

„Und wo soll dann der Paschenmarkt stattfinden?“

„Und der Adventsbasar?“

„Schützenfest?“

„Gemüseball?“

„Wat is denn mit Denkmalschutz?“, wandte der Dorfgastronom Manfred Wolf ein und verschränkte die Arme vor der breiten Brust.

„Meine lieben Gäste, für all diese Fragen wird es eine sachgerechte Lösung geben. Wir nehmen Sie bei der Planung natürlich en détail mit ins Boot.“

Erneut griff Magnus Grünfeld zum Mikrofon. Aufgrund der Wärmeentwicklung im Saal hatte er sich mittlerweile die Ärmel seines karierten Hemdes hochgekrempelt. Er sprach mit fester Stimme: „In einem ersten Gespräch hat mir der Erste Bürgermeister zugesichert, dass alle traditionellen Feste wie gehabt stattfinden können. Einen Saal wird es demnach weiterhin geben. Wir müssen begreifen, dass es sich hier um eine einmalige Chance handelt! Spätestens in zehn Jahren muss sonst alles um uns herum abgerissen werden. Dann freuen wir uns doch lieber auf eine Wellness-Oase mit aufpoliertem Saal!“

Kopfschüttelnd runzelte Manfred die Stirn.

„Nu ma Butter bei die Fische: Wenn ich nu so’n paar Italienerinnen bei mir unnerbring, kriech ich da auch wat für?“, fragte Sven Töner fröhlich grinsend.

„Danke, dass Sie das ansprechen“, sagte Nina van Haff mit einem erleichterten Lächeln auf den Lippen. „Jeder Haushalt, der für ungefähr zwei Wochen, also das Trainingslager und die eigentliche Regatta, ein Doppelzimmer mit Badnutzung zur Verfügung stellen kann, bekommt dafür von der Stadt pauschal fünfzig Euro Aufwandsentschädigung pro Nacht.“ Auf der Leinwand erschien die Zahl fünfzig. „Für sportlergerechtes Essen gibt es natürlich mehr. Die übrigen Anforderungen haben wir Ihnen hier kurz zusammengefasst.“ Sie deutete auf einen Zettelstapel auf dem Tisch. „Ganz wichtig für alle interessierten Gastgeber: Nächste Woche wird für jeden verpflichtend ein kostenloser Italienischkurs beginnen.“

5 Mittwochmorgen


 

Die Oberfläche des Hohendeicher Sees lag glatt da. Eine Entenfamilie spazierte am Ufer des breiten Sandstrands entlang. In wenigen Wochen würden hier wieder unzählige Handtücher ausgebreitet und die Grillsaison eröffnet werden. Leichter Frühnebel löste sich langsam auf und machte den ersten Sonnenstrahlen Platz. Mit seinem weißen Lieferwagen bog Karlo auf den holprigen Parkplatz gegenüber dem Strand ein. Das Display im Armaturenbrett zeigte die Uhrzeit: 7:35. Auf dem Beifahrersitz saß ein nervöser Wadek, der seinen Dienst auf dem Hof Eckers heute etwas später antreten würde. Die jungen Chefs schienen darüber anfangs nicht begeistert, zeigten aber sofort Verständnis, als Wadek von dem Verschwinden Pawels berichtet hatte. Nach wie vor überwog bei ihnen die Erleichterung, dass der fleißige Pole dem Hof die Treue hielt, nachdem ihre Väter wegen gemeinschaftlichen Mordes an dem Italiener Flavio Mantova verhaftet worden waren.

Wadek deutete auf eine Gruppe von Männern in bunten Trainings- und Arbeitsanzügen, die in der hintersten Parkbucht bei mehreren Autos mit osteuropäischen Kennzeichen standen. Karlo suchte sich einen Stellplatz in der Nähe und stieg zusammen mit seinem Beifahrer aus. Sie beobachteten, wie ein weiteres Auto auf den Parkplatz einbog. Wenige Augenblicke später parkte neben ihnen ein dunkelblauer Audi, aus dessen Innenraum sich zwei lange dünne Beine den Weg nach draußen suchten. Als Kommissar Spannich neben seinem Wagen stand, rückte er sich die Brille zurecht und blinzelte in die durchbrechende Frühlingssonne. Nachdem Wadeks Familienangehöriger nun schon mehrere Tage als vermisst galt, hatte sich der Bergedorfer Kriminalbeamte des Falls angenommen und begab sich zusammen mit Karlo, der auf Wadeks Wunsch dabei sein sollte, auf Spurensuche.

„Morgen, Herr Kommissar.“

„Guten Morgen, Herr Kolberg! Guten Morgen, Herr …?“

„Woletzki. Wadek Woletzki. Wir kennen uns aus die Schuppen.“

„Schuppen?“ Spannich kramte in seiner Erinnerung. „Ach ja, Kolbergs Retter!“ Die Männer gaben sich die Hand. „Sie sollten ihn nicht aus den Augen lassen! Ein echter Gefahrensucher.“

Wadek sah irritiert zu Karlo. Der verdrehte nur die Augen.

Spannich scannte die Umgebung mit einem wachsamen Rundumblick und nickte kurz zu der Gruppe hinüber. „Und Sie meinen, dass die Herrschaften dort uns bereitwillig Auskunft geben werden?“

„Warum nich? Sind nich illegal hier. Das is Europa!“, antwortete Wadek nüchtern. Trotzdem wirkte er angespannt.

Spannich zog die Augenbrauen hoch. „Wie Sie meinen. Dann wollen wir mal.“

Als sich die drei der Gruppe näherten, wurden sie argwöhnisch beobachtet. In seinem steifen Auftreten mit stets misstrauischem Gesichtsausdruck wirkte der Kommissar eher einschüchternd. Bildete Karlo sich das nur ein, oder guckten einige der neun jungen Männer trotz der Freizügigkeit des europäischen Arbeitsmarktes nervös?

„Sie übernehmen die Übersetzung“, wies Spannich Wadek an.

„Für Polnisch ja. Rumänisch oder Bulgarisch nein.“

Umgehend zog Wadek ein Foto aus seiner Brusttasche und zeigte es der Runde. Auf Polnisch fragte er: „Kennt ihr Pawel? Pawel Olczyk?“

Nacheinander begutachteten sie die Aufnahme. Die meisten schüttelten den Kopf. Zwei Arbeiter mit kurz rasierten Haaren sahen erst das Bild und dann sich an. Dem Kleineren der beiden war sein Arbeitsanzug deutlich zu groß. Der andere trug einen lila-grünen Trainingsanzug. Unentschlossen drucksten sie herum.

„Kennt ihr ihn?“, fragte Wadek.

„Warum willst du das wissen?“

„Das ist der Verlobte meiner Nichte. Seit einer Woche ist er verschwunden.“

Der Mann im Trainingsanzug scharrte mit silbernen Turnschuhen im Sand. Verstohlen guckte er seinen Kollegen an. Der nickte ihm aufmunternd zu. „Okay. Vor einer Woche sind Pawel und Irek abends mit einem großen Trecker und Anhänger weggefahren.“

Nachdem Wadek übersetzt hatte, fragte Karlo interessiert nach: „Irek?“

„Kollege. Haben immer gearbeitet zusammen“, erklärte Wadek. „Guter Mann.“ Er wandte sich wieder an die beiden Polen. „Wisst ihr, wo sie dann hingefahren sind?“

Sie schüttelten mit dem Kopf.

„Haben Sie den Treckerfahrer vorher schon einmal hier gesehen?“, erkundigte sich Karlo.

Erneutes Kopfschütteln.

„Sie wissen schon, dass Sie der deutschen Polizei zur Hilfe verpflichtet sind?“, schaltete sich Spannich in das Gespräch ein. Nachdem Wadek übersetzt hatte, wirkten die beiden eingeschüchtert. „Haben Sie sich rein zufällig das amtliche Kfz-Kennzeichen gemerkt?“

Spannich erntete auf seine Frage nur Achselzucken und bohrte weiter nach. „Vielleicht die Marke des Treckers? Da gibt’s doch nicht so viele, oder?“ Als er nach wie vor in ahnungslose Gesichter blickte, griff der Kommissar in die Manteltasche seines Trenchcoats und zückte ein paar Visitenkarten. „Sollte Ihnen noch etwas einfallen, dann melden Sie sich bitte umgehend bei mir.“

Zögernd nahmen die Herumstehenden jeweils eine Karte entgegen und hielten diese unschlüssig in den Händen.

„Vielen Dank für Ihre Hilfe!“, bedankte sich Karlo freundlich. Wadek verabschiedete sich ebenfalls. Der Kommissar entfernte sich grußlos von der Gruppe.

Auf Höhe ihrer Autos fragte Spannich: „Hat Herr Olczyk eigentlich bei Ihnen gewohnt, Herr Woletzki?“

„Nein. Mit Irek in Container. Bei Ruppke.“

„Und wo befindet sich dieser Container? Den sollten wir uns unbedingt mal ansehen.“


 

*


 

Ein fauliger Müllgeruch lag in der sich langsam aufwärmenden Morgenluft. Hinter mehreren Abfalltonnen und einem riesigen Kompostberg standen nebeneinander fünf rostige Container, die jeweils zwei Fenster und eine Tür hatten. Jeder war vor langer Zeit in einer anderen Farbe gestrichen worden, die langsam abblätterte. Nachdem Karlo ihr gut zugeredet hatte, überließ ihnen Helga Ruppke, die skeptische Frau des Gärtners, ihren Zweitschlüssel. Eilig führte Wadek den Kommissar und Karlo zu dem grünen Behelfswohnraum.

Als sie die leicht verzogene Tür öffneten, schlug ihnen ein muffig-metallischer Geruch entgegen. Vorsichtig traten die drei Männer nacheinander ein. Rechts neben dem Eingang hing ein dreckiges Waschbecken, worin ein Topf und zwei Teller auf den Abwasch warteten. Auf der ehemals weißen Plastikablage lagen zwei ausgefranste Zahnbürsten und eine fast leere Tube Zahnpasta. Unmittelbar neben dem Waschbecken stand ein rostiger Campingkocher. Darunter befand sich der Kühlschrank. Von den zwei Etagenbetten an den hinteren Wänden schienen nur die unteren beiden belegt. Auf den Matratzen lagen jeweils eine bunt gemusterte Decke und ein Kopfkissen. Ordentlich gefaltet. Auf dem einen Kissen saß ein brauner Plüschteddy. Dreckige Arbeitsklamotten verteilten sich auf dem Boden. Karlo trat näher heran und besah sich diese genauer. Spannich tat es ihm gleich. Karlos Augen weiteten sich. Die Kleidung war blutverschmiert. Unverzüglich zog der Kommissar Gummihandschuhe aus dem Inneren seines Trenchcoats.

„Hier wird nichts angefasst! Darum muss sich die Spurensicherung kümmern.“

Wadek schluckte schwer, bekreuzigte sich und schlich wieder nach draußen. Karlo ließ indessen seinen Blick durch den übrigen Raum schweifen. Unter dem einen Bett hatte etwas seine Aufmerksamkeit erregt. Verstohlen guckte er zu Spannich. Der tippte konzentriert eine Nummer in sein Handy und beachtete ihn im Moment nicht. Karlo tat, als wäre ihm etwas auf den Boden gefallen und bückte sich. Mit einem beherzten Griff nahm er ein dreckiges Lederetui an sich und ließ es unbemerkt in seine Jackentasche gleiten.

„Jens? ... Dirk hier. Hör mal, ihr müsst euch hier draußen einen Wohncontainer ansehen. Arbeitskleidung mit Blutspuren. Eventuell von einem vermissten polnischen Wanderarbeiter. … In zwei Stunden? Alles klar. Adresse schick ich dir.“ Alarmiert sah er zu Karlo herüber, der gerade den Kühlschrank öffnen wollte. „Nein! Finger weg! Die Kollegen werden hier gleich alles auf den Kopf stellen. Nichts verändern - die sollen ja nicht umsonst kommen.“

Umgehend zog Karlo die Hände zurück und steckte sie in die Taschen seiner Jeans.

Kurz darauf sah ein blasser Wadek wieder zur Tür herein. Er hatte Neuigkeiten. „Mit Nachbar sprechen ...“

„Und? Was wusste er?“, fragte Spannich.

„Ich fragen, wann hat letzte Mal Pawel und Irek gesehen.“

„Ja?“ Karlo trat einen Schritt auf ihn zu.

„Vor ein paar Tagen kommen nur Pawel. Spät Abend. Fast Nacht.“

„Der andere nicht?“

„Nein, nur Pawel. Aber war nächste Tag weg und dann nicht mehr wieder gesehen.“ Wadek hielt einen Moment inne, bevor er mit leiser Stimme weitersprach: „Nachbar hat gesehen Blut an Kopf von Pawel und er gehen ganz langsam. Nächste Tag war weg.“

„Wie weg?“, fragten Karlo und Spannich wie aus einem Munde.

„In die Nacht hat nur gehört Auto. Tür von Auto. Und Motor. Dann nix mehr.“

 

*

 

Wie immer stand der rote Mercedes mit der gelben Motorhaube auf dem mit Kopfsteinen gepflasterten Parkplatz. Karlo stieg aus seinem Lieferwagen und ging um das geräumige weiße Fachwerkhaus herum. An die weiß verputzte Hauswand gelehnt saß Anevke mit geschlossenen Augen auf einer Bank in der Sonne. Sie hatte eine karierte Wolldecke um ihren Körper geschlungen. Aus der Küche war Tobias’ Stimme zu hören. „Soll ich dir noch ein Kissen holen, Schatz?“

„Ja, und kannst du auch meinen Tee mitbringen? Und die Zeitung!“

„Mach ich, Schatz!“ Kurz darauf erschien der Göttergatte mit den gewünschten Dingen.

Karlo grinste in sich hinein. Von dem früheren Macho Tobias war seit Anevke nicht mehr viel übrig geblieben.

„Hallo ihr zwei!“

„Zweieinhalb“, entgegnete Tobias mit stolzem Blick auf Anevkes kariert umhüllten Bauch.

„Ach ja! Und, alles klar soweit?“

„Anstrengend. Voll anstrengend!“, stöhnte Anevke.

„Das soll ja nach der Geburt nicht unbedingt besser werden, hab ich mal gehört“, feixte Karlo.

„Dann bin ich aber endlich wieder Herrin über meinen Körper!“

„Wann zieht ihr denn nach?“, stichelte Tobias.

„Och, mal gucken“, wich Karlo aus. Im Moment gefiel ihm die Zweisamkeit mit Gianna. Auch wenn seine italienische Freundin hier und da kleine Bemerkungen in Richtung Familienplanung fallen ließ. „Habt ihr heute frei, oder was?“

Tobias sah auf die Uhr. „Ich hab später noch einen Termin in Hamburg und Anevke ist total fertig. Du legst dich heute mal auf’s Sofa, Schatz. Hat auch Gitta gesagt!“

„Gitta?“, fragte Karlo nach.

„Unsere Hebamme“, klärte Tobias ihn fachmännisch auf, während er aus einer kleinen braunen Flasche wenige weiße Kügelchen in Anevkes schlaffe Hand rieseln ließ. „Nux vomica, gegen Schwangerschaftsbeschwerden. Gitta ist echt klasse! Die arbeitet eng mit unserem Doc von Ziesel zusammen. Rein homöopathisch. Zu dem kommen sie aus ganz Norddeutschland!“

Anevke steckte sich die süße Medizin in den Mund und schloss erneut die Augen.

Tobias wandte sich wieder an Karlo: „Nimm Platz! Was führt dich so früh zu uns?“

Nachdem er sich auf einen unbequemen Holzstuhl gesetzt hatte, berichtete Karlo bemüht sachlich: „Ach … da wird ein Arbeiter vermisst und wir haben mal ein bisschen nachgeforscht.“

„Wir?“

„Kommissar Spannich, Wadek und ich.“

„Geht das schon wieder los?“ Tobias schüttelte ungläubig den Kopf. „Reicht dir der Tatort am Sonntag nicht?“

„Sehr witzig. Pawel ist der Verlobte von Wadeks Nichte. Seit ein paar Tagen ist er verschwunden.“

„Und was willst du jetzt von mir?“, erkundigte sich Tobias gespannt.

Karlo rutschte auf dem Stuhl hin und her. „Wir waren vorhin in seinem Wohncontainer. Neben ein paar blutigen Arbeitsklamotten habe ich das hier gefunden.“ Er zückte das zerfledderte Portemonnaie.

„DU hast das gefunden?“ Tobias kniff die Augen zusammen. „Also weiß der Kommissar mal wieder nichts davon?“

„Der ist immer so umständlich mit seiner Spurensicherung und dem Verwaltungsapparat und so“, druckste Karlo herum. „Da hab ich gedacht, dass mein persönlicher Chefhistoriker vermutlich schneller rausfindet, was es mit diesen alten Dokumenten auf sich hat.“

Geschmeichelt lehnte sich Tobias zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Geht klar, ich nehm das gleich mal mit und guck nach, was ich so in Erfahrung bringen kann.“

„Danke. Je schneller desto besser. Diese Blutflecken haben Wadek ziemlich beunruhigt.“

„Verständlich.“ Einen Moment starrten sie stumm auf die gegenüberliegende Gewächshausreihe. „Übrigens, Karlo, wo du gerade hier bist. Hast du schon von dem Megasportevent hier auf dem Dorf gehört?“

„Nee, wieso?“

In kurzen Sätzen berichtete Tobias von der Gemeindesitzung des vorigen Abends. „Jetzt ist es so, dass alle interessierten Gastgeber in ein paar Tagen Italienisch lernen sollen. Sonst gibt’s keine Kohle. Ich hab mich am Ende der Sitzung bereit erklärt, eine geeignete Lehrerin zu finden ...“

„Du denkst da nicht zufällig an Gianna?“

„An wen sonst!“

„Ich könnte sie mal fragen.“

6 Mittwochabend


 

Diesmal hatte er keinen Sinn für die malerische Aussicht auf die gemächlich dahinfließende Elbe. Auch das vorzügliche Essen im besten Restaurant der Vier- und Marschlande konnte ihm nicht über seine Nervosität hinweghelfen. Am allerwenigsten interessierte ihn der Auflauf fröhlicher Maitänzer, die langsam in den großen Saal hinter den exklusiven Gasträumen strömten. Immer wieder raufte er sich das noch volle Haar. Sein Leben lang wurde ihm eine ungewöhnlich hohe Gelassenheit nachgesagt. Auch den Tod seiner Frau vor wenigen Jahren hatte er nach außen hin relativ gefasst aufgenommen. Doch im Moment beschlich ihn zunehmend das Gefühl, als würde alles aus dem Ruder laufen und die gesamte Situation ihm entgleiten. Zuerst die verunglückte Nacht- und Nebelaktion auf dem Acker. Dann die dämliche Freiwillige Feuerwehr, die überall ihre Nase reinsteckte! Zum Glück hatte Peter den Wehrführervertreter mit gutem Zureden davon abhalten können, eine genaue Untersuchung der Explosionsstelle anzuordnen. Relativ schnell hatte der die Erklärung geschluckt, eine alte Maschine mit vollem Tank sei plötzlich in die Luft geflogen. Mit Peters Versprechen, die Stelle fachgerecht zu säubern und das verunreinigte Erdreich abzutragen, hatte er sich zufriedengegeben. Hoffentlich hatten zudem die großzügige Spende in die Vereinskasse und ein paar Kisten Bier die Verschwiegenheit der Feuerwehrmänner gewährleistet! Schwieriger war die Sache mit dem verletzten Arbeiter. Der Doc musste den unbedingt wieder hinbekommen!

Als er zu seinem Bierglas griff, kam ihm die gestrige Dorfversammlung wieder in den Sinn. Diese wahnwitzige Sportlergeschichte schlug dem Fass noch den Boden aus! Was hatten sich die Großmäuler in Hamburg da nun wieder ausgedacht? Was sollte das mit den Italienern? Warum mussten die gerade jetzt nach Ochsenwerder kommen? Seine Pläne erforderten dörfliche Ruhe und Beschaulichkeit - noch mehr neugierige Gaffer konnte er im Moment nicht gebrauchen! Wenn die Sache in Ruhe über die Bühne ging, konnte er sich endlich in seine Wohnung auf Mallorca verabschieden. Das hatte er sich nach all den Jahren mehr als verdient!

„Warten Sie schon lange?“, holte ihn sein Gesprächspartner, den er bisher nur vom Telefon kannte, in die Gegenwart zurück. Herr Wiesel war nur wenige Jahre älter als sein Sohn Magnus, schlank und etwa einsachtzig groß. Sein grauer Anzug saß äußerst eng.

„Nein.“

Ohne die geschmackvolle Einrichtung des Lokals mit einem Seitenblick zu würdigen, kam Herr Wiesel gleich zur Sache: „Wie weit sind Sie?“

Der Ältere antwortete betont gelassen: „Noch ’n paar Tage, dann können Sie’s haben.“

„Laut Vertrag haben Sie nur noch drei Wochen Zeit. Je früher Sie fertig werden, desto höher wird Ihre Marge ausfallen.“ Er beugte sich weit über den Tisch und senkte die Stimme. „Meine Auftraggeber wollen nicht mehr lange warten. Sonst suchen die sich was anderes.“

„Es hat da kleine Komplikationen gegeben.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752143324
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
Deich Fracking Olympia Ochsenwerder Hamburg Land Dorf Cosy Crime Whodunnit Krimi Thriller Spannung

Autor

  • Silke Schopmeyer (Autor:in)

Die Krimis von Silke Schopmeyer spielen vor ihrer Haustür - in den Hamburger Vier- und Marschlanden. Das Kinderbuch "Pepita und das Inselabenteuer" entführt die kleinen Leser und Leserinnen auf die Hamburger Nordseeinsel Neuwerk. Ein haptischer Stadtteilführer über Bergedorf zählt ebenfalls zum Programm.
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Titel: Deich Secret