Lade Inhalt...

Im Bann seiner Macht 1

von Sabineee Berger (Autor:in)
300 Seiten

Zusammenfassung

Silke lernt auf einem Ball Multimillionär John Baxter kennen und ist von Anfang an von ihm fasziniert. Doch sie ahnt nicht, dass hinter der Fassade des attraktiven Ölmagnaten weit mehr steckt als nur ein einfacher Geschäftsmann. John Baxter ist einer von vier Söhnen des Kriegsgottes Condatis und – im Gegensatz zu seinen Brüdern – der einzige Mensch. Seine Brüder jedoch sind zur Hälfte Vampir, Drache und Zauberer und haben, so wie John, die Bestimmung eine Gefährtin zu finden. Eine wie Silke.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Prolog

Silke kaute gerade an der blassroten Biotomate, als sie ein komisches Gefühl beschlich und sich die Härchen auf ihrem Unterarm aufrichteten. Seltsam! Verwirrt sah sie in alle Richtungen, um die Ursache dafür zu finden, doch eigentlich war nichts wirklich Ungewöhnliches zu erkennen. Bis auf ein paar Blätter vielleicht, die sich am Rande der Lichtung heftig bewegten. Bei genauerer Betrachtung bemerkte sie allerdings, dass diese Bewegung völlig geräuschlos und nur auf einen Teil des Gebüsches beschränkt war. Es gab keinen Wind und Tiere waren auch nicht zu sehen.

Partielle Bewegung ohne das geringste Rascheln? Das war dann doch ein wenig seltsam. Rundum schien alles völlig normal zu sein, aber in einem Abschnitt von vielleicht fünf mal fünf Metern spielte das Unterholz definitiv verrückt. Es war wohl mehr Instinkt, als das Erkennen von Gefahr, warum Silke aufstand und ein paar Schritte auf Abstand ging. Das Phänomen machte sie durchaus neugierig, aber sie wollte auch nicht riskieren unter die Hufe eines Wildschweins zu geraten. Es war Mitte April und die kleinen Frischlinge kamen zumeist zwischen März und Mai zur Welt. Mit einer wild gewordenen Bache wollte sie sich aber nicht unbedingt anlegen. Selbst als gut trainierte Sportlerin hätte sie solch einem Biest nicht davonlaufen können.

Je länger sie aber überlegte und das Ereignis beobachtete, desto eher konnte sie ein Tier ausschließen. Ab einer gewissen Größe waren diese Viecher nicht völlig geräuschlos. Und da war noch etwas, das Silke immer mehr davon überzeugte, es mit keinem Wildschwein zu tun zu haben: Die Luft stellte seltsame Sachen an, begann sich in dem Abschnitt zu verändern und irgendwie eigentümlich zu schimmern. Sogar die Farben der Blätter änderten sich. Ja, tatsächlich! Das Schauspiel wurde immer intensiver und vollkommen bizarr. Silkes Mund stand vor Staunen offen und ihre Handflächen begannen zu schwitzen, als die Blätter nun in sattem Rosa aufleuchteten, blau wurden und dann wieder zu Grün wechselten. Wie paralysiert stand sie da und konnte nicht glauben, was vor sich ging. Die Wanderstrecke zur Weichtalalm kannte sie wie ihre Westentasche und auf dieser kleinen Lichtung am Rande der Baumgrenze hatte sie wohl schon gut ein Dutzend Mal ihr Käsebrot mit Biotomaten genascht. Aber in all den Jahren hatte sie ein solches Naturschauspiel noch nie erlebt. Als würden Luftschichten brechen und sich wieder zusammenschieben, Verzerrungen hervorrufen und nebenbei seltsame Farben produzieren. Die Energie, die von diesem Platz ausging, war auf ihrer Haut zu spüren, fühlte sich elektrisch an und warm. Silke machte einen weiteren Schritt rückwärts. Allmählich wurde ihr richtig unheimlich, obwohl das Ereignis auch irgendwie schön anzusehen war. Es schien sich sogar auszudehnen oder zu intensivieren, ehe es ein puffendes Geräusch gab und alles plötzlich wieder normal wurde. Was irgendwie viel zu schnell ging.

Silke blieb stehen und wusste nicht, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Die Blätter bewegten sich nun nicht mehr und ihre Farben waren wie zuvor. Auch die Konturen und Luftschichten wirkten nun nicht mehr verzerrt. Als wäre nie etwas Ungewöhnliches passiert! Gut, das Phänomen hatte nur ein paar Sekunden gedauert und es hatte dabei auch kein Geräusch verursacht. Doch zum Schluss war es wie eine große, schillernde Seifenblase zerplatzt.

Silkes Herz klopfte wie verrückt und sie getraute sich nicht gleich näher zu kommen. Spooky, dachte sie noch etwas benommen, obwohl das Unterholz nun wieder so aussah wie zuvor. Dann allerdings wehte ein Duft von dieser Stelle zu ihr herüber, der sie völlig in den Bann zog. Er hatte eine so ungewöhnlich interessante Note, dass sie nicht nur wie verrückt schnupperte, sondern auch den ersten Schritt vorwärts wagte. Was so gut roch, konnte nicht gefährlich sein.

Aber was ist, wenn das Militär hier irgendeinen obskuren Versuch macht? Silke war ein kleiner Umweltfreak, aß so gut wie kein Fleisch und stand auf diversen Listen von Hilfsorganisationen. Dazu spendete sie regelmäßig und sammelte im Wald den Müll zusammen. Sie hatte zwar Respekt vor Männer mit Waffen, sah es aber als ihre Pflicht an zu prüfen, ob hier gerade eine Umweltsünde passiert war. Vielleicht hockte ja sogar ein schießwütiger Soldat hinter dem Gebüsch oder es war plötzlich alles verstrahlt. Sicherheitshalber schnappte sie sich ihren Rucksack und hielt ihn wie eine Waffe vor sich. Er war bereits bis zur Hälfte mit Müll gefüllt und ein wenig schwerer, als bei ihrem Aufbruch. Vielleicht wäre ein Ast besser gewesen, doch so weit dachte sie gerade nicht. Außerdem war ihre Neugier bereits so groß, dass sie einfach vorwärtsgehen musste. Noch ein Schritt, dann war sie an der Stelle, wo das betörende Aroma nach Leder, Rauch und einem Duft, der ihr gänzlich unbekannt war, in die Nase stieg. Die Luft wirkte entladen, wie nach einem Blitz, fühlte sich dünn an und klar. Silke bekam schon wieder Gänsehaut, dieses Mal dafür am ganzen Körper. Sie ging eigentlich nicht von einem fantastischen Phänomen aus, sondern eher von einer Umweltsünde oder einem militärischen Experiment, war aber nachhaltig fasziniert von der erlebten Schönheit des bizarren Farbspiels. Ein kleiner Teil von ihr wollte vermutlich sogar an Fantastisches glauben, aber als nüchtern denkende Zahnarztassistentin hatte sie nicht allzu viel Spielraum in Sachen Fantasie. Sie war ja auch stets mit rationalen Dingen und der Sterilität der Medizin konfrontiert, musste organisieren und bodenständige Arbeit leisten. Lediglich zum Ausgleich gönnte sie sich manchmal romantische und fantastische Romane. Heimlich, versteht sich, denn sie wollte sich nicht lächerlich machen.

Ihre Haut kribbelte vor Aufregung bei dem Versuch, im dichten Laubwerk mehr zu erkennen, als nur die schnöden Blätter, die sich mit einem Mal so unschuldig grün und schlicht präsentierten.

Von wegen unschuldig! Ihr seid gerade noch rosa und blau gewesen ... dachte sie und sah so provokant zu den Blättern hinunter, als müssten die sich nun ein Plädoyer zu ihrer Verteidigung überlegen. Mit einem Finger stupste sie eines der Dinger an und wurde gleich darauf durch eine schnelle Bewegung im Inneren des Gebüschs erschreckt. Da war doch etwas! Automatisch zog sie die Hand zurück und versuchte mit reiner Willenskraft den dichten Blätterschirm zu durchdringen.

Noch eine Bewegung!

Silke stolperte einen Schritt rückwärts, doch sie war nicht schnell genug. Nicht einmal annähernd! Denn völlig unvorhergesehen spuckte das Gebüsch etwas unbeschreiblich Riesiges aus! Und das stürzte sich schon im nächsten Moment mit aller Kraft auf sie. Silke konnte nicht einmal mehr schreien, so schnell und stark wurde sie zu Boden gerissen. Ihr Hinterteil landete zuerst auf dem harten Untergrund, dann folgte ihr Kopf mit einem dumpfen Geräusch. Für einen Moment sah sie bunte Sterne – mit ähnlichen Farben, wie die der Blätter. Doch viel schlimmer war das mörderische Gewicht, das nun auf ihr lastete und ihr die Luft abdrückte. Sie fühlte sich wie unter einer Dampfwalze, japste nach Sauerstoff, stemmte sich dagegen und versuchte endlich zu erkennen, was sie da überhaupt so brutal angefallen hatte. Doch die gefühlte Tonne auf ihr rührte sich keinen Millimeter, schien nur schwerer und schwerer zu werden. Silke strampelte so gut es ging und versuchte sich zu befreien, doch das Gewicht war einfach mörderisch.

Erst nach etlichen Sekunden konnte sie tatsächlich ein wenig nach oben rutschen und einen besseren Überblick gewinnen. Zuerst hatte sie nur schwarze Haare vor Augen, aber irgendwann auch die Möglichkeit mehr zu erkennen. Und diese Erkenntnis war nicht gerade einfach, denn es handelte sich weder um ein Wildschwein noch um einen Bären.

Nein, kein Tier! Ein Mensch! Und was für einer! Silke war völlig platt (und das im doppelten Sinn). Da hatte sich doch tatsächlich mitten im Grünen ein wild aussehender Mann wie ein Irrer auf sie gestürzt und niedergewalzt!

Was für ein Spinner hockt heimlich im Gebüsch und fällt fremde Frauen an? Verwirrt schüttelte sie den Kopf, doch eigentlich konnte ihr der Grund egal sein. Sie wollte sich das einfach nicht gefallen lassen! Schließlich nahm sie regelmäßig Boxunterricht, war fit und durchtrainiert und eigentlich geschult, sich aus genau solch einer erdrückenden Lage zu befreien. Sie versuchte einen ihrer legendären Hebel mit dem Bein, verstärkte ihren Druck zusätzlich mit dem Einsatz ihres Ellenbogens und ... konnte rein gar nichts ausrichten. Der Kerl war entweder tot oder schlicht bekloppt.

Übergewichtig war er allemal.

„Geht’s noch? Ich meine ...“, ächzte sie und versuchte ihn nun mit einem anderen Hebel von sich fortzudrücken. „Scheiße! Runter von mir!“ Der Mann rührte sich immer noch nicht, blieb wie bewusstlos auf ihr liegen. Silke aber gab nicht auf, arbeitete weiter und verschaffte sich tatsächlich ein wenig Freiraum. Sie stöhnte und wand sich einfach so lange wie eine Schlange, bis es ihr tatsächlich gelang unter ihm hervor zu robben. Sein schwerer Körper rollte zur Seite und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Rücken. Entweder war der Kerl wirklich tot oder ziemlich und sehr bewusstlos. Silke war ein wenig außer Puste, kam in die Hocke und ging auf Abstand, ohne den Mann aus den Augen zu lassen. Immerhin hatte er sich gerade noch wie ein tollwütiger Hund auf sie gestürzt und vollkommen überrumpelt. Sie mochte ja trainiert sein und wissen, wie man sich abrollt, aber durch seine massive Attacke war sie doch recht ungeschickt gelandet.

Jammernd rieb sie sich über ihren Allerwertesten und untersuchte ihren Hinterkopf auf Platzwunden. Der Kopf war in Ordnung, der Hintern auch, schmerzte aber und würde vermutlich blau werden. Verdammt! Sie wusste gerade nicht, ob sie wütend sein sollte oder dem bewusstlosen Riesen Hilfe leisten musste.

Die Situation war aber auch verrückt und verwirrend!

Nach ein paar Sekunden Bedenkzeit seufzte sie leise und entschied sich für beides. Schließlich konnte sie auch wütend Hilfe leisten.

Als sie näherkam, bemerkte sie wieder diesen eigentümlichen Duft, der ganz klar von ihm und seinem braunen Ledermantel ausging. Der Mann war gut einen Kopf größer als sie und um mindestens fünfzig Kilo schwerer. So wie er da lag, sah er zwar nicht dick aus, wirkte aber doppelt so breit wie sie. Nein, dick war nicht das richtige Wort. Wuchtig traf es eher. Silkes Mund wurde trocken und ihre Hände begannen zu zitterten. Selbst bewusstlos strahlte dieser fremde Mann Kraft und Macht in einer Stärke aus, die ihr die Knie weich werden ließ. Am liebsten wäre sie weglaufen, hätte alles liegen und stehen lassen und sich nicht weiter um den Irren aus dem Wald gekümmert. Lediglich ihr Ehrgefühl ließ das nicht zu. Auf der Wange hatte er einen blutigen Kratzer, aber unter seinem Mantel verbargen sich womöglich noch mehrere Verletzungen. Warum sonst sollte er bewusstlos sein? Schließlich war ER ja bei dem Sturz weich gelandet … nämlich auf ihrem Körper.

Vorsichtig stupste sie mit einem Finger an seine Schulter. Das Leder knirschte. Oder waren es seine Zähne? Nein, keine Reaktion! Sie stupste noch einmal. Fester, dieses Mal. Eine kleine Duftexplosion berauschte ihre Nase, als hätte sie eine Kapsel herrlich herben Parfums geknackt. Der Mann aber rührte sich immer noch nicht und Silke wurde allmählich nervös. So wie es aussah, musste sie wegen ihm jetzt gar die Fakten ihres Erste-Hilfe-Kurses durchgehen! Als Zahnarztassistentin gehörte so etwas zwar zum 0815-Repertoire, doch bisher hatte sie davon nie etwas anwenden müssen.

Was war noch schnell zu tun, wenn jemand bewusstlos war? Atmung prüfen, ansprechen, berühren, notfalls Herzmassage einleiten! Sie wurde deutlich nervöser, denn der riesige Kerl machte ihr selbst bewegungsunfähig noch Angst. Schwarzes, langes Haar verteilte sich über sein Gesicht, verdeckte das Meiste von seinen harten Ecken und Kanten, ließ lediglich etwas von seinem vollen Mund erkennen. Einem Mund, der in seiner Sinnlichkeit nicht ganz zum Rest seiner Züge passte. Silke musste sich konzentrieren, atmete tief durch und begann mit ihrer Hilfsaktion. Zuerst kam sie mit dem Ohr ganz nah an seinen Mund, um seine Atmung zu hören. Die Nähe kribbelte und machte die Haut auf ihrem Ohr überempfindlich, obwohl sie keine Atmung erkennen konnte. Zur Sicherheit wollte sie noch den Puls an seinem Hals ertasten und schob dafür gerade ihre Hand vor, als eine schnelle Bewegung sie ablenkte. Im nächsten Moment lag sie schon wieder auf dem Rücken und er war über ihr.

„Wen haben wir denn da?“, zischte er gehässig, und fixierte sie aus dunkelgrünen Augen durch ein Meer von schwarzen Haaren. Sein Blick war extrem und ihr Magen dadurch plötzlich ganz klein und schrumpelig. Dieses Mal hielt er sie ganz bewusst mit seinem Gewicht in Schach.

Silke konnte gar nicht fassen, dass sie schon wieder überrumpelt worden war und musste sich erst einmal sammeln. Dann aber versuchte sie sich so rasch als möglich aus seinem Griff zu befreien. Wendig und mit aller Kraft, wie sie meinte, doch die seine war einfach unglaublich. Und er strengte sich noch nicht einmal richtig an! Problemlos rammte er ihre Hände rechts und links von ihrem Kopf in den Boden und hielt ihre Beine mit dem Rest seines Körpers unter Kontrolle. Egal was Silke auch versuchte und welche kämpferischen Tricks oder Hebel sie anzuwenden versuchte ... er parierte augenblicklich so geschickt, dass sie keine Chance hatte auch nur einen Millimeter mehr Spielraum zu bekommen. Dabei begann der Typ noch nicht einmal zu schwitzen!

„Was-soll-das-denn?“, keuchte sie hektisch und versuchte wütend zu wirken. Dabei raste ihr Puls so stark, dass sie viel zu schnell atmete. Selbst ein Idiot hätte ihre Angst hundert Meter gegen den Wind gewittert. Doch dieser Mann hier schnupperte gerade an ihr wie ein wildes Tier. Laut, beinahe obszön. Als könnte er aus ihrem Duft alles Mögliche herausriechen und damit auch irgendwie ihre Seele erkennen. Seine dunkelgrünen Augen reicherten sich dadurch mit blauer Farbe an und begannen von innen heraus zu leuchten, sodass Silke wie verrückt zu zwinkern begann. Das gibt’s doch alles nicht!

„Woher kennst du diesen Ort?“, fragte der Mann mit einer tiefen Stimme, die an ein Reibeisen erinnerte. Entweder war er heiser, oder aber nur darauf aus sie noch mehr zu verwirren. Und das gelang ihm ganz gut! Alleine die Augen waren ja schon intensiv, aber dann auch noch diese Stimme! Silke war wie paralysiert und konnte nicht antworten, starrte blöd in seine Augen und zwinkerte immer wieder heftig. Der Griff um ihre Handgelenke verstärkte sich daraufhin und sein Blick wurde finster. Offenbar war er es nicht gewohnt auf Antworten zu warten.

„Verdammt, lass mich los, du Irrer“, kreischte sie plötzlich hysterisch, weil sie sein Gewicht ebenso unerträglich fand wie seinen harten Griff um ihre Handgelenke. Er aber reagierte nicht auf ihre Forderung, sondern verstärkte – im Gegenteil – nur noch mehr seinen Druck. Silkes Hysterie wechselte daraufhin augenblicklich zu einem Alarmstufe-Rot-Modus. So laut sie konnte schrie sie um Hilfe. Hatte man keine Chance auf Flucht oder Gegenwehr, musste man so laut brüllen wie möglich. Es war so die allgemein gültige Grundregel der Selbstverteidigung, die sie sich endlich doch noch in Erinnerung gerufen hatte. Für einen kurzen Moment gelang ihr das sogar recht gut. Doch nach einer Sekunde schon konnte sie nur noch ein „Hmpf“ von sich geben.

Volle Lippen schlossen sich fest um ihren Mund, Zähne bissen zu. Silke war wie erstarrt, spürte den Schmerz und versuchte nicht mehr zu schreien, nur noch zu atmen. Seine Zähne wurden augenblicklich milder, seine Lippen weicher. Schon schickte er seine Zunge als Verstärkung hinterher, drang in ihren Mund ein und begann sie auf verspielte Weise zu umgarnen. Silke war fassungslos über seine Dreistigkeit, wollte zubeißen und ihn aus ihren Mund stoßen. Doch auch jetzt parierte er jeden Angriff und jede Ausweichtaktik so geschickt, dass sie ihn einfach nicht zu fassen bekam. Und das, obwohl sie ihn überall so intensiv spürte! Nichts an diesem Kuss war erotisch und nie hätte sie gedacht, sich je solch eine Handlung aufdrängen lassen zu müssen. Dabei war doch klar, dass man zubeißen musste! Schnapp und Zunge ab! Was wusste sie, warum das hier und jetzt nicht klappte! Frustriert stöhnte sie auf und versuchte ihn mit blödem Zungengehampel zu nerven. Doch das schien ihn kein bisschen aus der Fassung zu bringen. Im Gegenteil! Die Härte seiner Leibesmitte sprach eine deutliche Sprache und bestätigte einmal mehr, dass Männer tatsächlich anders tickten als Frauen. Auch wenn sie jedes Maß an Erotik negierte, schien es ihm doch bis zu einem gewissen Grad zu gefallen. Das-ist-jetzt-bitte-nicht-wahr! Er würde sie doch nicht hier mitten im Wald vergewaltigen? Nein, das kam ihr zu absurd vor. Obwohl ... allmählich dämmerte ihr schon, dass es eine durchaus einsame Lichtung war, wo kaum Wanderer auftauchten.

Aber dann ließ er endlich von ihr ab und sie konnte Luft schöpfen. Silke zitterte am ganzen Körper und war fassungslos, dass sie sich nicht einmal gegen einen Kuss hatte wehren können. Mein Gott, was für eine Niederlage! Sie schluchzte leise, weil sie es nicht für möglich gehalten hätte, gegen einen einzelnen Mann keine Chance zu haben. Gut, der Kerl war ein Riese und so stark wie ein Bär, aber dass er gar so leichtes Spiel mit ihr hatte, erschütterte sie. Silke fühlte sich beschämt und konnte nicht verhindern, dass sich eine leise Träne aus ihrem Augenwinkel schummelte.

Er bemerkte es.

„Na, na, Süße! Ich hatte einfach keine Hand mehr frei. Wie hätte ich dich daran hindern sollen, dämlich um Hilfe zu rufen?“ Er wollte ihr sein Vorgehen erklären, sie womöglich sogar beruhigen und nett sein, doch sie hörte nur das Wort dämlich und vergaß jede Art von Verzweiflung.

Dämlich?“, fuhr sie ihn an. „Du Perverser! Wer ist hier wohl dämlich?“ Mist, das war ihr nun doch schneller herausgerutscht, als beabsichtigt. Die Frage konnte sie dann wohl auch gleich mit ihrem eigenen Namen beantworten. Aber wer rechnete schon mit einem Giganten, der wie aus dem Nichts auftauchte, sich auf sie stürzte und küsste. Hm? Das klang gerade irgendwie gar nicht nach der Situation in der sie sich befand. Allem Anschein nach hatte sie aber mit ihrer patzigen Antwort seine Wut entfacht, denn er zog seine Augenbrauen wütend zusammen und das Grünblau seiner Augen veränderte sich zu einem dunklen, rauchigen ... jesses ... Schwarz. Silke japste schon wieder, dieses Mal aber vor Schreck. Ein Mann, der seine Augenfarbe verändern konnte, war nicht von dieser Welt, konnte nicht real sein. Sie begann automatisch wieder zu strampeln und sich zu wehren. Irgendwie bekam sie sogar eine Hand frei und fasste nach seinem Gesicht, um sich zu vergewissern, dass er aus Fleisch und Blut war. Der knurrende Ton, den er dabei ausstieß, bestätigte ihr sofort, dass er durchaus real war. Sie hörte sofort auf zu strampeln.

Scheiße, der Kerl ist echt, dachte sie. Hektisch versuchte sie ihre zitternde Hand unter Kontrolle zu bringen, doch wie unter Zwang wanderte die plötzlich zu dem schönen Schwung seines Mundes und fuhr mit den Fingerspitzen über die leicht geöffneten Lippen. Was ihm ein leises Brummen entlockte und seine Augen schlagartig milder färbte. Das Schwarz verschwand gänzlich und seine Iris wurde wieder zu diesem leuchtenden Grünblau, das zuerst Sinnlichkeit ausstrahlte und dann die absolute Gier auf Sex.

Silke bekam sofort wieder Panik.

„T‘schuldige“, kreischte sie auch sofort und presste die Augen fest zusammen, weil sie glaubte, so seiner Naturgewalt entkommen zu können. Doch der Typ war unheimlich, unberechenbar und schien völlig unter Strom zu stehen. Sie rechnete mit dem Schlimmsten, presste die Lippen ebenso fest zusammen wie die Augen und erstarrte regelrecht, als er plötzlich … zu lachen begann. Lauthals und völlig ungezwungen.

Er lacht? Verdutzt öffnete Silke ein Auge und sah geradewegs in seinen offenen Mund, der unter schallendem Gelächter vor ihrer Nase auf und ab schwebte. Ja, war der Kerl jetzt vollkommen übergeschnappt? Sofort regte sich wieder Wut in ihr. Sie öffnete auch das zweite Auge, um ihn genauer zu beobachten. Weiße, ebenmäßige Zähne, wohin das Auge reichte, keine Plomben. Er lachte immer noch und Silke hatte den Verdacht, dass er sich die ganze Zeit nur lustig über sie machte.

„Runter mit dir!“, befahl sie wütend und beendete damit seinen Lachanfall. Seine Augen tränten ein wenig und leuchteten dadurch noch intensiver. Aber er lachte nicht mehr. Vielmehr sah er ihr tief in die Augen, betrachtete ihren vollen Mund und ihre blonden Haare. Dann stand er abrupt auf, ohne sie dabei loszulassen. Es war schlicht ein Wunder, dass sie bei seiner Vorgehensweise nicht auf ihn draufpurzelte oder unelegante Komikeinlagen lieferte. Irgendwie schaffte er es also in die Höhe zu kommen und Silke vor sich aufrecht auf die Beine zu stellen. Viel zu nahe, wie sie feststellte, denn sie musste sich förmlich das Genick verrenken, um ihm weiterhin in die Augen sehen zu können. Wer oder was war auch bitteschön so groß und hatte dann noch diese Augenfarbe? Das karibische Meer ist ja ein Dreck dagegen! Verwirrt schüttelte sie den Gedanken ab und versuchte sich zu ermahnen, dass dieser Mann sie brutal überfallen hatte.

Ein Riese.

Aus dem Nichts.

Mit einem unglaublich erotischen Duft.

Scheiße! Hatte sie das gerade wirklich gedacht? Sie biss sich unbewusst auf die Unterlippe.

„Ich sehe, ich bringe dich durcheinander“, lachte er und sie trat ihm wütend gegen das Schienbein. Wirklich fest und gezielt, aber das verpuffte quasi im Nichts, denn er hob nur leicht seine Augenbrauen. Als hätte der Kerl Schienbeinschützer aus Stahl oder überhaupt kein Gefühl in den Beinen! Silke war sprachlos. Immerhin hatte sie feste Wanderschuhe an.

„Was ist? Spürst du gar nichts?“, fauchte sie frustriert und wollte noch einmal zutreten, als er ihre linke Hand fester packte und zu seiner Leibesmitte zerrte, geradewegs auf seine steinharte Erektion. Silkes Augen wurden groß wie Tennisbälle.

„Und ob ich etwas spüre“, grinste er schäbig, bevor er ihre Hand hinauf- und hinunterschob, um Reibung zu erzeugen. Das Glimmen in seinen Augen und das genüssliche Brummen dabei verschlugen ihr schlicht die Sprache. Sie war keine Zimperliese und hatte schon Erfahrung mit Männern, doch diese Dreistigkeit konnte sie kaum fassen. Mit aller Kraft wollte sie zupacken und ihm zerquetschen, was er so genüsslich rieb, doch auch dieses Mal wusste er schon im Ansatz, was sie vorhatte und schob ihre Hand rechtzeitig fort. Silke war außer sich vor Wut und Frust, versuchte ihn zu boxen und zu treten. Doch dem wich er jedes Mal geschickt aus. So cool und unbeeindruckt, dass es schon unheimlich war.

Erst nach einiger Zeit begann er mit seinem persönlichen Gegenschlag und zog sie ruckartig an seinen harten Körper. So schnell konnte Silke nicht einmal „uff“ denken, presste er schon wieder seine Lippen auf ihren Mund. Silke verkrampfte sich noch mehr, hielt ganz still und ihren Mund so fest geschlossen wie möglich. Doch der Mistkerl zeigte nicht nur Ausdauer, sondern auch eine gewisse Raffinesse. Sie wollte atmen ... ja, das war wohl der Grund, warum sie den Mund erneut öffnete, denn schon nach wenigen Versuchen, war er mit einem tiefen Brummen in ihr, kostete ihren Geschmack und bewegte sich ganz anders als zuvor.

Silke stöhnte auf ... nein! Natürlich atmete sie nur schwer, denn sie bekam ja kaum Luft! Zumindest redete sie sich das ein. In Wahrheit aber war sie vollkommen gefangen von seinem Ansturm und dem neuen Werben seiner Zunge. Das erste Mal hatte nur dazu gedient ihren Schrei zu dämpfen, doch der Kuss jetzt war eine einzige Verführung. Dieser Mann erforschte sie mit einem kühnen Interesse und einer Leidenschaft, die Silke dahinschmelzen ließen. Seine rhythmischen Bewegungen gingen dabei direkt über auf seinen Körper und ließen Silke jeden Zentimeter seiner Statur auf neue Weise spüren. Was sie vollkommen überraschte und verwirrte, denn die Intensität ihrer Empfindung ließ sie gerade erzittern, vor Lust stöhnen.

Himmel, der Mann war gut ... und überall um sie herum. Offenbar wollte er ihr auf ganz spektakuläre Weise zeigen, wer hier der Stärkere war und immer sein würde. Wie sonst sollte sie sich ihr Gefühlschaos erklären, wenn der Kuss doch nur Mittel zum Zweck sein konnte? Der Mann war schließlich rücksichtslos, draufgängerisch ... und schmeckte dennoch einfach nur teuflisch gut.


1.Kapitel

Sein Atem ging flach. Der letzte Schlag hatte ihm eine Menge gekostet und nichts gebracht. Der Dämon fletschte die Zähne und kam näher. Jeden Moment würde er sein doppelreihiges Gebiss tief in seinen Leib schlagen und so oft zubeißen, bis nur noch Matsch von seinem Körper übrigblieb. Doch er war noch nicht am Ende, wollte sich nicht geschlagen geben, lieber nach der Waffe greifen. Das runde Ding konnte er wenigstens als Wurfgeschoss verwenden. Es war nicht sonderlich groß, aber aus Metall und zurzeit seine letzte Chance. Seine Beine waren gebrochen, doch mit den Händen konnte er sich noch in die richtige Richtung ziehen. Er keuchte vor Anstrengung, während das Biest unaufhaltsam näherkam. Blutiger Geifer tropfte aus dessen Maul, fauliger Atem drang bis zu ihm herüber. Er robbte weiter, zog sich mit letzter Kraft zum Tisch und erwischte endlich das verflucht kleine Ding, das ihm jetzt noch helfen sollte. Seine Finger schlossen sich langsam um das kalte Metall, er begann zu zielen, doch genau in dem Moment ging das Ding plötzlich los ... und erzeugte einen Heidenlärm.

Wie von der Tarantel gestochen fuhr John in die Höhe. Sein Atem ging schnell, seine Haut war fahl und schweißbedeckt. Mit großen Augen starrte er auf den Wecker in seiner Hand, lauschte auf das schnarrende Geräusch ... und drückte auf den Abstellknopf. Allmählich kam er wieder ganz zu Bewusstsein und zwang sich tief einzuatmen. Sein Herz raste und seine Beine schmerzten als hätte er gerade wirklich gegen einen Dämon gekämpft. Bewusst atmete er in tiefen, langen Atemzügen weiter.

„Verdammt“, fluchte er und knallte den Wecker mit mühsam verhaltener Wut zurück auf den Nachttisch. Müde fuhr er sich mit den Händen übers Gesicht. Dieser Traum kostete ihm eine Menge Schlaf und er wiederholte sich viel zu oft, als dass er ihn ignorieren könnte. Allmählich überlegte er sich sogar ernsthaft einen Traumtherapeuten in Erwägung zu ziehen, obwohl er die meisten für Scharlatane hielt und er es als Niederlage empfinden würde. Doch dann schüttelte er wie immer den Kopf und nahm sich stattdessen vor, das Ding im nächsten Traum schon irgendwie zu erledigen.

„Irgendwann ...“, brummte er und schob das schwarze, seidene Laken zur Seite. „... kill ich dich!“ Mit einem grimmigen Ausdruck ging er, nackt, wie Gott ihn erschaffen hatte, zur Fensterfront seines 200 m² Penthouses. Er hatte kein direktes Gegenüber und selbst wenn, hätte er es sich nicht nehmen lassen nackt den Sonnenaufgang über New York abzuwarten. Er liebte es, wenn die ersten Lichtstrahlen am Horizont auftauchten und diese herrliche Stadt zum Leben erwachte. John Baxter lebte im obersten Stock des Condatis-Towers, der ihm zur Gänze gehörte und hatte den besten Überblick über jenen Stadtteil New Yorks, der zuallererst von der Morgensonne beleuchtet wurde. Als erfolgreicher Geschäftsmann war er nicht allzu oft Zuhause, doch wenn er es schaffte, dann ließ er sich sein morgendliches Ritual nicht nehmen.

Es klopfte an der Tür und John rief ein „Herein“, ohne sich wirklich umzudrehen. Vermutlich war es sein Assistent, der den frühen Morgen ebenso schätzte und Johns Vorliebe für Sonnenaufgänge kannte. Nackt hatte der ihn auch schon gesehen, also warum sollte er ihn nicht hereinbitten? Unter Männern war das kein Ding. John löste die letzten Verspannungen der Nacht, bewegte seinen Kopf und drehte seine Schultern, als ein lautes, sehr weiblich klingendes Keuchen seine Aufmerksamkeit erregte. Hoppla, der morgendliche Besuch war also doch anderer Natur!

„Verzeihung, ich ...“ Sonja fiepte, als hätte sie noch nie einen nackten Mann gesehen. „... ich komme ... ich meine, später ...“ Sie hustete verlegen in ihre Hand und John deutete ihr, dass sie sich umdrehen sollte, damit er sich ebenfalls umdrehen konnte. Ihm war das Ganze nicht wirklich peinlich, doch er wollte die Assistentin seines Pressesprechers nicht noch mehr in Verlegenheit bringen.

„Natürlich, Mr. Baxter, ich ... ich bin dann soweit“ Sie wandte ihm den Rücken zu und verdrehte die Augen, weil sie sich wie die letzte Idiotin benahm. Ihren Chef nackt zu sehen, war nicht gerade das, was ihre Karriere beschleunigen würde. Ihr Gesicht war feuerrot und dann hatte sie auch noch so etwas Schwachsinniges wie „ich komme“ oder „ich bin soweit“ von sich gegeben. Mist aber auch! Sie musste mehr an ihrer Contenance arbeiten! Baxter war ein überaus attraktiver Mann, aber dass er solch einen perfekten Körper besaß, war bis jetzt nur eine Annahme gewesen. Bis jetzt! Vor Ärger hätte sie am liebsten aufgestampft und vor Verlegenheit dafür ein Loch gebuddelt, um darin zu verschwinden. Grimmig biss sie die Zähne zusammen, während Baxter hinter ihr mit Stoff raschelte.

„Also Mrs. Light. Was kann ich so früh am Morgen für Sie tun?“, fragte er und sie wandte sich vorsichtig um. Falls er die Frage zweideutig gemeint hatte, ging sie lieber nicht darauf ein. Wenigstens hatte er sich jetzt eine Pyjamahose übergezogen, das Oberteil dazu hatte er offenbar verloren. Sonja schluckte beim Anblick seines nackten Oberkörpers. Der Mann war trainiert wie ein Leistungssportler und schlicht zu schön, um wahr zu sein. Zuerst der Knackarsch, dann auch noch ein Sixpack. Sie starrte ein wenig und fuhr sich mit der Zunge über die trocken gewordenen Lippen.

„Also?“, fragte er und wirkte genervt.

„Ihr Assistent hat mir gesagt, dass ich um diese Uhrzeit kommen dürfte. Er hat gesagt ...“

„Schon gut, Mrs. Light. Ich mache ihnen keinen Vorwurf. Das nächste Mal frage ich am besten, wer vor meiner Tür steht.“ Er sagte es so charmant, dass sie endlich ihre Befangenheit verlor und ihren Blick mehr unter Kontrolle brachte.

„Sie wollten doch den Text für die Presseaussendung so rasch als möglich haben und da ich die ganze Nacht daran gearbeitet habe, dachte ich ...“ Sie sprach nicht weiter, sondern überreichte ihm stolz die dünne Mappe. Sonjas Arbeitseinsatz war unumstritten, denn sie achtete ganz besonders engagiert auf das Image von Condatis Concern. In den letzten Tagen hatte es des Öfteren böse Gerüchte über die Firma gegeben, was als gezielte Imageschädigung zu werten war. Gestern allerdings war sogar ein Artikel über angebliche Umweltsünden der Firma in einem nichtssagenden Provinzblatt erschienen. Sonjas Aufgabe bestand nun darin, diese Rufschädigung wieder ohne gröbere Knitterfalten auszubügeln. Generell war es ihr Job, Gerüchte und Stimmungen zu beobachten und das Image der Firma regelmäßig zu polieren. John Baxter legte sehr viel Wert darauf, denn nur ein gut gepflegtes Image konnte eine Marke entsprechend stärken. Dafür musste die Pressestelle stets erste Anzeichen von Imageschädigung identifizieren und möglichst eliminieren. Manchmal genügten Telefonate, aber oft musste ein ganzes Konzept erarbeitet werden, um den Schaden gering zu halten, komplett zu eliminieren oder ins Gegenteil zu kehren. In dem Fall sollte mit Sonjas Gesamtpaket ein ausgeklügelter Rundumschlag gegen die Verleumder gelingen und das Provinzblatt zur Ordnung gemahnt werden, ohne gleich dabei vernichtet zu werden. Es musste nicht immer auf die harte Tour gefochten werden, um zu seinem Recht zu kommen. Ein kurzer Widerruf, eine ehrliche Entgegnung des Zeitungsinhabers und schon war die Sache erledigt.

John Baxter klappte die Mappe auf und überflog den Inhalt. Er war einer der schnellsten Querleser, den Sonja je erlebt hatte. Schon nach einer Minute erhellte ein zufriedenes Grinsen sein kantiges Gesicht. Als er aufblickte, sah er seine Assistentin mit neuem Interesse an. Diese schüchterne, kleine Person überraschte ihn immer wieder mit wirklich guten, ausgeklügelten Schachzügen.

„Wo haben sie denn die Information zu Ramses Enterprises her?“, fragte er interessiert und Sonja lachte ihm spitzbübisch entgegen.

„Das ist eigentlich mein Geheimnis, aber ich war mal mit einem Mitarbeiter von ihrem Erzfeind liiert. Es war nur eine kurze Sache und privat, aber er hat mir davon berichtet und ich habe es heute Nacht überprüft. Es stimmt.“ Sie war immer noch stolz, aber John Baxters Blick wurde streng.

„Das ist wirklich gute Arbeit, Sonja. Aber hätten sie mir diese Liaison nicht bei Ihrer Bewerbung mitteilen müssen?“ Er schätzte sie, aber er verlangte bedingungslose Loyalität und Ehrlichkeit.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass ich bei meiner Bewerbung alle meine Bettpartner aufzählen musste“, antwortete sie jedoch, weil sie seit über drei Jahren für ihn arbeitete und sich nie etwas zu Schulden kommen hatte lassen. Sie liebte ihren Job und sie mochte ihren Chef. Warum also stellte er jetzt ihre Loyalität in Frage, wo sie doch ein geniales Konzept lieferte? John Baxter fixierte sie noch lange aus seinen dunkelgrünen Augen, doch sie zwinkerte kein einziges Mal. Sie war eine aufrichtige Mitarbeiterin, das wusste er.

„Ist gut. Ich wollte nur noch einmal verdeutlichen, wie wichtig mir ihre Ehrlichkeit ist.“ Er reichte ihr die Mappe zurück. „Gute Arbeit! Das gibt einen Bonus für sie.“

„Danke Mr. Baxter!“ Am liebsten hätte sie einen Luftsprung gemacht und danach einen Knicks. Für sie war John Baxter der Inbegriff eines guten Chefs und dazu noch so verflucht knackig und sexy. „Auf Wiedersehen.“

„Ach, bevor sie nach Hause gehen, schicken sie mir doch bitte Dennis herein. Ich schätze ich sollte mal ein Hühnchen mit ihm rupfen.“

„Wegen mir?“, fragte sie und fühlte sich plötzlich gar nicht mehr wohl in ihrer Haut. Der Assistent des Chefs hatte sie zwar wegen dem frühen Termin in eine unangenehme Lage gebracht, aber sie wollte nicht, dass ihm wegen ihr die Ohren langgezogen wurden.

Baxter nickte nur. Er wusste genau, dass Dennis ihr einen Streich gespielt hatte. Vermutlich hatte er das süße Ding mit einem nackten Chef so richtig aus der Reserve locken wollen. Doch das sollte er ihm gefälligst selber erklären!

„Sie werden ihm doch nicht etwa den Kopf abreißen?“, fragte sie vorsichtig und John Baxter zwinkerte ihr beruhigend zu.

„Nein, ich schätze ich werde mit ihm reden und frühstücken. Aber beides wird ihm heute vermutlich nicht so ganz schmecken.“


2.Kapitel

Kurz bevor Silke ihr Auto erreichte, stürzte sie und schürfte sich die Handflächen auf. Mist! Hektisch klopfte sie ihre Jeans ab, saugte an den kleinen, offenen Kratzern und lehnte sich erschöpft gegen die Fahrertür ihres Autos. Die paar Wunden auf ihrer Handfläche waren nicht der Rede wert. Vielmehr interessierte sie, warum sie die Wurzel nicht gesehen hatte, oder warum sie so gehetzt zum Auto gelaufen war. Doch, wenn sie ehrlich war, hatte sie keine Ahnung, was in den letzten Stunden passiert war. Verwirrt schüttelte sie den Kopf. So schlimm war sie ja wohl nicht gestürzt und den Kopf hatte sie sich auch nicht gestoßen. Also was war los? Warum wusste sie nicht einmal, ob sie oben auf der Alm angekommen war oder nicht? Ihre Armbanduhr zeigte gerade einmal 16.00 Uhr und das war eigentlich viel zu früh für das Ende dieser Wandertour.

Am liebsten hätte sie laut geschrien und gegen ihr Auto geboxt, so durcheinander war sie und so verflucht abgehetzt und verschwitzt. Was war nur los mit ihr? Warum hatte sie mitten am Weg umgedreht und war zum Auto gelaufen? Außerdem spürte sie jeden Muskel ihres Körpers, als hätte sie nicht nur eine einfache Bergtour hinter sich gebracht, sondern ein stundenlanges Sparring mit einer Boxgegnerin der Extraklasse gehabt. Erschöpft stützte sie sich an ihrem Auto ab und holte tief Luft. War sie etwa den ganzen Weg nach unten gelaufen? Immer noch Kopf schüttelnd sperrte sie ihre alte Klapperkiste auf und schnappte sich das Handtuch vom Beifahrersitz. Damit wischte sie sich den Schweiß vom Gesicht, rieb sich die Achseln trocken und fuhr mit dem Handtuch unter ihr T-Shirt und ihren BH.

BH??? Verdutzt hielt sie inne und bemerkte, dass sie gar keinen mehr trug. Was zur Hölle ...? Das war dann doch die Steigerung zum Verrückten! Silke war nicht gerade mit einem kleinen Busen gesegnet und musste jeden Tag einen BH tragen. Sport mit Cupgröße C war nicht gerade ein Honiglecken. Wenn sie aber nicht einmal wusste, warum sie vorzeitig umgedreht hatte, wie sollte sie dann wissen, wo ihr BH geblieben war? Den verlor man schließlich nicht so einfach am Wegesrand! Ihr Kopf schmerzte und ihre Kehle war wie ausgetrocknet. Hastig nahm sie ein paar Schlucke aus ihrer Mineralwasserflasche. Schon beim Ansetzten bemerkte sie den leichten Schmerz, aber als sie sich die Lippen trockenwischte, zuckte sie verwundert zusammen. Ihr Mund war geschwollen und wund und ihr Kinn spürte sich an, als wäre sie ein paar Mal gestürzt oder über Schleifpapier radiert. Verständlich war das alles nicht und allmählich fragte sie sich, ob sie überfallen worden war und nun an transienter Amnesie litt. Vielleicht hatte sie nur einen Sonnenstich, aber wirklich übel war ihr eigentlich nicht. Silke rauchte nicht, trank keinen Alkohol und konsumierte auch sonst keine Drogen. In ihrem Leben gab es nur ihren Job, ihren Sport und Wandern, mehr nicht. Aber körperliche Verausgabung hatte noch nie ihren Verstand vernebelt. Zumindest bisher nicht.

Irgendwann gab sie die Grübelei auf und startete das Auto. Nach einer ordentlichen Dusche würde die Welt schon wieder anders aussehen! Mit quietschenden Reifen fuhr sie los, überschritt jede Geschwindigkeitsbegrenzung, die ihr in die Quere kam, und war schon nach zwei Stunden wieder in ihrer Wohnung. Dort riss sie sich bereits im Vorzimmer die Kleidung vom Leib, hastete ins Bad und duschte so lange, bis ihr Körper von der Hitze krebsrot war. Danach schlüpfte sie ins Bett, obwohl es erst kurz vor 19.00 Uhr war, und schlief augenblicklich ein.

Am nächsten Morgen erwachte sie nach mehr als zwölf Stunden komatösen Schlafs und fühlte sich immer noch wie gerädert. Zum Glück war Sonntag und sie hatte keine Termine oder Verpflichtungen. So konnte sie den ganzen Tag verbummeln und versuchen sich daran zu erinnern, was zur Hölle gestern eigentlich passiert war. Sie war ein ziemlicher Ordnungsfreak und hatte sich im Vorfeld für die Wanderung einen exakten Zeitplan zusammengestellt. Die Bewältigung der Höhenmeter wurde mit Kondition und Tempo auf eine Zeitschiene gelegt und durch ein oder zwei Pausen verlängert. Meist war das oberste Ziel, sich wie ein Tier zu schinden, um den Kopf frei zu bekommen. Sie hatte genug Stress im Job, mochte ihren Chef nicht sonderlich und fand so manche Patienten nervenaufreibend. Sie war auch eine sehr engagierte Tier- und Umweltschützerin, die manchmal an den Problemen der Welt verzweifeln und dennoch ihre Finger nicht vom Fleisch lassen konnte. Das war vermutlich eines ihrer Hauptprobleme, denn sie konnte keine gerade Linie ziehen. Sie wollte nicht auf ihr Schinkenvollkornbrot am Morgen oder auf das eine oder andere gute Steak verzichten. Sie konnte es während dem Essen sogar richtig genießen, hatte danach aber durchaus ein schlechtes Gewissen. Freunde verspotteten sie bereits als Öko-Freak, meinten es aber nie wirklich böse. Silke war im Prinzip beliebt, nur eben nicht blind gegenüber dem Lebensmittelwahnsinn, der sich tagtäglich in den Supermärkten abspielte. Massentierhaltung, Antibiotika und industrielle Zusätze, Transportwahnsinn und alle möglichen Umweltsünden machten ihr jeden Tag zu schaffen. Mehr als anderen jedenfalls. Kein Wunder also, dass Silke auf diversen Listen von Umweltorganisationen stand, regelmäßig spendete und im Großen und Ganzen auf ihre Ernährung achtete. Selbst während ihren Wanderungen konnte sie es ja, wie gesagt, nicht lassen den Müll zusammenzuklauben. Für sie war es eine Mission und eine Art Wiedergutmachung. Für andere war es die pure Spinnerei. Sie brauchte regelmäßiges Boxtraining und stundenlange Wanderungen, um den Kopf frei zu bekommen und zugleich ihren Körper vom gelegentlichen Fleischkonsum zu reinigen. Sie aß ausschließlich Biofleisch, aber selbst das veränderte ihren Körpergeruch. Bei ihr war es nur ein Hauch, aber die übliche Massenware konnte sie selbst über Tage am Körper anderer riechen. Von Bakterien über Chemie bis hin zur Qual des Tieres – alles wurde ihrer Meinung nach im Fleisch gespeichert und somit auch mit der Nahrung aufgenommen. Silke war bei Gott keine Heilige und nicht übersinnlich begabt, um hochwertiges Fleisch mit freiem Auge erkennen zu können, aber sie hatte gelernt sehr vorsichtig zu wählen.

Ein Krampf im Unterbauch lenkte sie für einen Moment von ihren Überlegungen ab. Außerdem hatte das Gedankenwälzen sowieso nichts gebracht. Der Filmriss vom Start der Wanderung bis hin zu ihrer Ankunft beim Auto war geblieben. Silke stöhnte auf und rieb sich über ihren Unterbauch. Offenbar bekam sie viel zu früh ihre Tage und das stimmte sie, bei Gott, nicht gerade fröhlicher.

Den Vormittag verbrachte sie mit wirrer Hausarbeit, um sich abzulenken. Als sie zum fünften Mal über ihre abgestellten Flipflops im Vorzimmer stolperte, wurde sie so derart wütend, dass sie laut losbrüllte und die Latschen extra weit durch den Raum kickte. Sie war nicht gerade von der vernünftigen Sorte, wenn sie ihre Tage hatte, aber nach einem Samstag, der ihr wie aus dem Gedächtnis gestrichen war, konnte sie schon mal den ganzen Wohnblock zusammenschreien.

Erst das Klopfen an ihrer Haustür beruhigte sie ein wenig und ließ sie tief durchatmen. Dann riss sie, ohne weiter zu überlegen, die Tür auf. Egal, welcher Idiot sie jetzt nerven wollte, sollte sie von der unangenehmen Seite kennenlernen. Wenn sie Glück hatte, war es ihre bescheuerte Nachbarin, die stets empfindlich auf Lärm reagierte und sich wegen jedem kleinen Quieks beschwerte. Wild starrte sie nach draußen, wo sie ihr Opfer erwartete. Doch statt einer süßen, kleinen Nachbarin stand dort ein Riese von einem Mann. Düster, zerlumpt und mit einer unterschwellig bösen Ausstrahlung. Silkes Wut verpuffte schlagartig. Der Typ wirkte gefährlich und kam ihr irgendwie bekannt vor.

„Was ...?“, krächzte sie, weil das plötzliche Flattern in ihrem Magen ungewohnt war. Sie war kein ängstlicher Typ, aber dieser Bettler war schlicht und ergreifend so groß wie ein Wolkenkratzer!

„Silke Environ?“, fragte er, obwohl ihr Name groß und deutlich auf dem Türschild stand. Sie verbiss sich eine spöttische Bemerkung und war sowieso zu sehr mit der Wirkung seiner Stimme beschäftigt. Rau und vibrierend war sie über sie hinweg gerollt, als hätte jemand mit einem Reibeisen eine gefährliche und doch sinnliche Note männlichen Timbres erschaffen. Noch nie hatte jemand ihren Namen wie eine Kampfansage und zugleich wie eine Streicheleinheit ausgesprochen. Diese unmögliche Mischung beeindruckte sie auf unbewusster Ebene. Dabei war der Kerl mit Sicherheit ein Obdachloser und stank erbärmlich zum Himmel.

„Wer will das wissen?“, fragte Silke schroff und räusperte sich kurz, weil der Typ sie durcheinander brachte. Sicherheitshalber straffte sie die Schulten und verbesserte ihren Stand. Es war nur eine kleine Abwehrbewegung, vielleicht kombiniert mit einem kämpferischen Ausdruck, aber der Fremde schien es mit einem amüsierten Funkeln in seinen schwarzen Augen zu registrieren.

Sehr witzig! So leicht kommst Du nicht in meine Wohnung. Sie war kein Duckmäuschen und wollte vor allem keine Angst zeigen. Vielleicht kam sie deshalb nicht auf die Idee, die Tür zu schließen.

„Ich komme vom Umweltschutzverband“, antwortete er trocken und Silke erstarrte. Das war ja wohl das Letzte!

„Wie bitte?“, japste sie verblüfft, weil sie nicht glauben konnte, was der Mann da von sich gab. Umweltschutz? Mit allem hatte sie gerechnet. Mit einem Überfall, mit Bettelei, mit sonst was. Aber sicher nicht mit einer Unterschriftensammlung.

„Das ist nicht Ihr Ernst?“

„Was?“, knurrte der Mann mürrisch, aber Silke ließ sich nicht einschüchtern.

„Sagen sie mir jetzt nicht, dass der Verband Bettler aussendet, um Unterschriften zu sammeln“, ätzte sie, weil sie doch in Sachen Umwelt recht engagiert war und es geradezu obszön fand, wenn solch ein Penner auf die Leute losgelassen wurde. Niemals würde er so auf die richtige Anzahl Unterschriften kommen.

„ICH-BIN-KEIN-BETTLER“, knurrte er lauter. „Ich brauche auch keine Unterschriften.“

„Nicht?“ Sie stellte sich dumm und sah provokant auf sein zerlumptes Erscheinungsbild. „Warum dann der Gestank?“ Sie wusste selber nicht, warum sie das fragte. Sie konnte sich auch nicht erklären, warum sie überhaupt noch mit dem heruntergekommen wirkenden Mann redete. Vielleicht war es seine Stimme, seine dunklen Augen, die schwarzen, langen Haare, die ihm strähnig ins Gesicht fielen. Ihhhh. Nein, die waren es wohl nicht. Vielleicht kam der Gestank ja gar nicht von dem zotteligen Mantel, den er trug, sondern von seinen schmierigen Haaren. Angeekelt sah sie hinauf, um nach Läusen Ausschau zu halten.

Das amüsierte Funkeln in seinen Augen erstarb zur Gänze und die Luft zwischen ihnen wurde von einer Sekunde auf die andere explosiv. Alles an diesem Mann war nun von unsichtbarer Energie umgeben und verwandelte ihn in ein brodelndes Pulverfass. Silke konnte es sehen und ganz deutlich bis in die kleinste Zehe spüren. Sein heruntergekommenes Aussehen und das Geplänkel hatten die Gefahr heruntergespielt und sie unvorsichtig werden lassen. Dabei strahlte der Kerl ein solches Maß an Aggression und Gewaltbereitschaft aus, dass ihr förmlich die Luft wegblieb. Sie war nicht feige, durchaus für einen Streit zu haben und sicher nicht auf den Mund gefallen, aber der Wandel des Mannes war so krass, dass sie instinktiv die Tür zuknallen wollte. Wollte! Denn sein Fuß war schneller und blockierte sofort die Tür.

„Nicht! Verschwinde oder ich rufe die Polizei“, schrie sie so laut, dass die lärmempfindliche Tussi von nebenan längst alarmiert sein müsste. In Silkes Gedanken war der Freund und Helfer quasi schon auf dem Weg, während sie noch mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Tür drückte. Der Fuß des Penners musste ja schier aus Beton bestehen, wenn er nicht darauf reagierte. Eine Tatsache, die ihr plötzlich ziemlich bekannt vorkam.

„Ich möchte nur reden“, knirschte er und versuchte sich weiter hereinzudrängen.

„Ja klar! Das sehe ich!“ Mit aller Kraft hieb sie ihre Ferse auf seine Zehen und drückte weiter gegen die Tür. Er fluchte laut und warf sich zeitgleich mit aller Kraft nach vorne. Die Tür wurde förmlich aus ihrem Rahmen gesprengt und Silke gut zwei Meter nach hinten geschleudert. Das ging so schnell, dass sie es erst richtig realisierte, als sie unsanft auf ihrem Allerwertesten landete. Auch das kam ihr bekannt vor.

Ein Déjà vu. Der Fremde aber stand bereits in ihrem Vorzimmer, lächelte spöttisch auf sie herab und schloss betont langsam die Tür hinter sich, die ja doch wie durch ein Wunder heil geblieben war. Silkes Herz begann zu rasen und sie versuchte in die Höhe zu kommen, nach hinten zu robben oder wenigstens zu schreien. Doch die Luft blieb aus und ihre Kraft ebenso. Wenigstens gelang es ihr, sich am Boden ein wenig nach hinten zu schieben. Doch da war der Riese schon bei ihr und packte sie hart am Oberarm. Am rechten! Als wüsste er, dass er ihr durch die Attacke genau dort weh getan hatte.

„Aua! Verdammt, was ...“ Sternchen tanzten vor ihren Augen. Selbst das spürte sich bekannt an und allmählich hatte sie die Nase voll davon, alles so zu erleben, als wäre es schon einmal passiert.

„Ab jetzt hältst du den Mund! Ist das klar?“ Er zerrte sie endgültig in die Höhe, bugsierte sie ins Wohnzimmer und schleuderte sie dort auf die Sitzbank ihrer Essecke. Dann baute er sich vor ihr auf und ließ ihr etwas Zeit, um sich zu beruhigen. Was schlicht ein Witz war im Angesicht seiner bedrohlichen Statur. Wie ein Schrank ragte er vor ihr auf, nur, dass er mit Sicherheit kein Einrichtungsgegenstand ihrer Wohnung war. Die Sternchen in ihrem Kopf beruhigten sich, aber ihr Atem ging noch viel zu schnell.

„Hier wirst du kein Geld finden“, stellte sie bemüht sachlich fest, doch das kostete ihm nicht einmal ein müdes Lächeln.

„Ich brauche dein Geld nicht. Ich brauche dich“, knurrte der Fiesling und Silke wurde gleich noch eine Nuance blasser. Das-ist-jetzt-bitte-nicht-wahr! Vergewaltigung am hellen Tag in ihrer eigenen Wohnung? So bescheuert konnte das Leben doch nicht verlaufen! Nicht ihres! Silke war versucht erneut laut zu schreien, doch ein Finger über seinem Mund deutete schon im Vorfeld, dass sie es lieber nicht probieren sollte.

„Keine Angst ich tue dir nichts.“

„Aber ... was soll das dann?“

„Es geht um eine Umweltsache und du bist im Moment die Einzige, die helfen kann.“

„Ja, klar! Wem willst du hier was vormachen?“

„Ich weiß nicht was du meinst“, sagte er, umfasste ihre Schultern und beugte sich so weit herunter, dass sie das böse Funkeln seiner schwarzen Augen noch viel intensiver sehen konnte. Oder waren es Sterne? Verwirrt starrte sie ihn an und versuchte ihre Augen von seinen zu lösen. Lieber guckte sie da schon auf seine öligen Haare, die ihm ins Gesicht hingen und einen Teil seines Mundes verdeckten, der – huch – gar nicht einmal so schlecht aussah. Woher kam ihr der sinnliche Schwung plötzlich so bekannt vor? Silke blinzelte nervös und rieb sich ihren rechten Arm. Er schmerzte immer noch, von seinem brutalen Schlag gegen die Tür.

„Sorry wegen dem Arm“, flüsterte er und kam noch näher. Der Geruch von Abwasser, Dreck und Fäkalien wurde unerträglich.

„Gott, du stinkst vielleicht“, zischte Silke und dachte sich ein leises ups, weil sie ihn ja nicht provozieren wollte.

„Du törichtes Weib, du sollst den Mund halten, sonst werde ich ungemütlich“, grollte er und seine buschigen Augenbrauen zogen sich unwirsch zusammen. Das „Noch ungemütlicher?“ lag ihr förmlich auf der Zunge, aber sie konnte es sich noch rechtzeitig verkneifen. Vielmehr schaffte sie es sogar den Blick demütig zu senken, um ihn nicht weiter zu ärgern. Was nichts daran änderte, dass sie ihre Möglichkeiten abcheckte. Selbst mit Boxkenntnissen war ihr der Typ haushoch überlegen, aber in der Küche befanden sich durchaus ein paar Utensilien, die zu erwischen erstrebenswert waren. Wenn da nur nicht ständig seine riesigen Pranken auf ihren Schultern lägen! Jede kleinste Bewegung schien er zu registrieren und vorauszuahnen. Mit nur etwas mehr Kraftaufwand könnte er ihr vermutlich sogar die Schlüsselbeine brechen. Er versuchte eine Erklärung.

„Ich komme gerade aus dem Kanal vor Deiner Siedlung. Da kann der Geruch schon mal unangenehm sein.“ Silke wollte etwas sagen, doch sein Knurren brachte sie sofort wieder zum Schweigen. „Dort unten gibt’s ein massives Problem mit Giftmüll. Es ist nicht viel, droht aber ins Wasser zu gelangen. Im Prinzip ist es eine Kleinigkeit, aber ich brauche weibliche Hilfe, um den Dreck zu neutralisieren.“

„Oh, natürlich“, japste Silke, weil sie kein Wort verstand oder glaubte. Verärgert kam er wieder näher und versuchte in ihren Augen etwas zu finden, was sie nicht mal erahnen konnte. Weibliche Unterstützung bei Giftmüll? Wie bescheuert war das denn?

„Du stehst auf einer unserer Listen“, erklärte er und sah ihr immer noch penetrant aufdringlich in die Augen. Fast schien es so, als ob er selbst nicht glauben könnte, die gesuchte Person vor sich zu haben.

„Das ist ein Irrtum“, erklärte sie daher möglichst selbstbewusst. Vermutlich hatte der Spinner sie aus dem Telefonbuch herausgesucht und ganz schlau ihren Namen aus dem Englischen übersetzt. Environ wie environment für Umwelt, Umgebung. Daher die Umweltmasche und der Giftmüll. Lediglich das mit den Englischkenntnissen passte nicht so recht zu seinem Gesamtbild. Aber egal was der Typ auch erzählte ... er hatte eine gehörige Macke und das machte ihn zur tödlichen Gefahr. Vom tödlichen Gestank einmal abgesehen.

„Kein Irrtum“, brummte er und packte sie dieses Mal am linken Arm. Mit einem Ruck zerrte er sie in die Höhe und stellte sie vor sich auf die Beine. Bei seiner Größe war selbst das eine Herausforderung, weil sie immer noch kerzengerade nach oben gucken musste. So große Männer waren eher eine Seltenheit in ihrem Leben.

„Du bist die Richtige“, zischte er und ihr Magen verkrampfte sich augenblicklich. „Also komm jetzt mit in den Kanal“, befahl er und Silkes Sicherungen brannten endgültig durch. Ihre bisher eher passive Haltung wurde schlagartig durch hysterische Gegenwehr abgelöst. Wie eine Furie begann sie zu schreien und auf ihn einzuschlagen. Und obwohl sie trainiert war, schlug sie wie die letzte Idiotin um sich. Waschechte Panik veränderte eben auch eintrainierte Schlagfolgen oder effiziente Abwehr. Der Mann war jedenfalls durch nichts zu erschüttern, wirkte wie ein Mensch ohne Gefühle oder wie ein Roboter. Sie wehrte sich dennoch mit allem was sie hatte. Fäuste, Zähne, Nägel und Füße kamen zum Einsatz, doch es half alles nichts. Sie kassierte eine Ohrfeige und hörte dennoch nicht auf. Er packte sie fester und schleuderte sie auf die Couch neben dem Esstisch. Danach warf er sich mit einem Hechtsprung auf sie und zermalmte sie regelrecht unter seinem Körper.

Was total irre war.

Wie alles an dem Mann und seinem Vorgehen.

Unter seinem Gewicht bekam sie kaum Luft, fühlte sich wie von einem Lastwagen angefahren ... und dachte an Wald, interessanten Duft, einen Kuss. Hoppla, wohin drifteten denn ihre Gedanken plötzlich ab? Silke schüttelte den Kopf, versuchte noch kurz zu kämpfen und musste sich doch eingestehen, dass sie keine Kraft mehr dafür hatte.

„Genug getobt, Lady?“, fragte er gelangweilt und hielt sie weiterhin mühelos in Schach. Am liebsten hätte sie ihm ins Gesicht gespuckt, aber das wäre nur eine kurze Genugtuung gewesen.

„Was-willst-du?“, keuchte sie, weil sie kaum Luft bekam.

„Wie gesagt: Ab in den Kanal mit dir!“ Das war ein klarer Befehl.

„Nein“, kreischte Silke und versuchte erneut sich zu wehren. Die Vorstellung in das unterirdische Kanalnetz verschleppt zu werden, aktivierte ihre letzten Kraftreserven. Aber auch das änderte nichts an ihrer Lage. Wenigstens hielt er sie nur fest und wartete ab. Klar, der Fremde hat Kraft ohne Ende und vermutlich ewig Zeit. Silke wusste, dass ihre Lage aussichtslos war und unterdrückte ein Schluchzen. Sie wollte nicht in den Kanal, um dort abgeschlachtet zu werden. Sie wollte hier nicht liegen, diesen Typen ansehen oder riechen. Eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel, obwohl sie so lange versucht hatte, sie zurückzuhalten.

„Sch, sch!“, flüsterte er plötzlich und wischte sie ihr von der Wange. „Ich sagte doch, dass ich dir nichts tun werde!“

DAS nennst du nichts? Herrgott, was ist los mit dir?“

„Naja, du hast mich provoziert. Eigentlich wollte ich ganz höflich fragen.“

„Wie bitte? Ich habe dich provoziert? Ha!“ Zu all der Angst gesellte sich gleich wieder Wut. Doch das beeindruckte den Mann nicht. Vielmehr schien er verwirrt zu sein, weil sie ihm nicht glaubte.

„Schon irgendwie. Du sollst mir schließlich nur kurz helfen. Mehr nicht. Ich werde dich nicht töten“, versicherte er und drang erneut mit seinen kohlrabenschwarzen Augen in ihre blauen ein, als würde er dort etwas suchen oder vermissen. Seinen Irrsinn vielleicht? Silke meinte schon wieder kleine Sterne in seiner schwarzen Hölle zu sehen, aber das konnte auch an seinem mörderischen Gewicht liegen, das ihr die Luft abdrückte. Trotzdem waren diese Augen seltsam und irgendwie schwärzer als schwarz. Anders als alles, was sie bisher gesehen hatte. Wenigstens war mittlerweile klar, dass der Typ kein Bettler, sondern ein total kranker Freak und Mörder war, der seine Opfer in den Kanal zerrte, sie dort aussaugte, klein schnippelte oder sonst was mit ihnen anstellte.

Giftmüll, pah, dachte sie.

Genervt rollte er mit den Augen.

„Noch einmal für ganz Langsame: Ich brauche dich für einen kurzen Job. Du kommst mit mir in den Kanal und bist in einer Stunde wieder gesund und munter hier. Versprochen.“ Silke hätte am liebsten gelacht, wenn ihr der Kiefer nach seiner Ohrfeige nicht so weh getan hätte. Job ... ja klar, dachte sie. Mit dem kleinen Zusatz von Blow oder wie?

Seine Augenbrauen zogen sich arrogant zusammen, als hätte er ihre Gedanken gelesen oder erkannt, dass sie ihm geistig nicht folgen konnte. Das machte ihn offenbar noch wütender, denn er schüttelte den Kopf und schaltete augenblicklich einen Gang höher.


3.Kapitel

„Wo warst du gestern?“, fragte Erika verärgert und schlürfte ihren Kaffee Latte mit Vanillegeschmack aus einem Pappbecher. Silke hasste dieses künstliche Zeug – sowohl vom Inhalt, als auch von der Verpackung her.

„Was meinst du?“, antwortete sie mit einer Gegenfrage, während sie ihr Passwort in den Computer eingab und versuchte den Geruch des Getränks zu ignorieren. Ihr Chef sah es nicht gerne, wenn sie sich länger als zehn Minuten am Arbeitsplatz befand und den Computer nicht hochgefahren hatte. Erika schnaubte erbost und knallte ihrer Kollegin demonstrativ den Kaffeebecher auf den Tisch. Sofort verbreitete sich ein intensiver Duft von künstlichem Vanillearoma.

„Verdammt, musst du so einen Unsinn trinken?“, entfuhr es Silke, während sie versuchte sich die Nase zuzuhalten.

„Lenk nicht ab! Du hast mich total im Stich gelassen“, stellte Erika fest und stupste den Becher extra noch einmal an, um Silke zu quälen.

„Redest du bitte ENDLICH Klartext, bevor ich den Becher hier nehme und ihn dir aufsetze!“ Silke war bereits ziemlich gereizt.

„Hallo-o! Wir wollten uns gestern mit Rambo und Conan treffen. Schon vergessen?“ Erika war nicht nur stinksauer, sie war vor allem fassungslos, weil ihre Arbeitskollegin so ahnungslos tat. Dabei sprachen sie seit Tagen nur von dem Boxer verliebten Forum, wo sie als Kriegerin Xena (Erika) und die Kriegsgöttin Bellona (Silke) bei Rambo und Conan chattender Weise hängen geblieben waren. Die beiden Typen hatten sich in den Mails als recht witzig erwiesen und zudem Muskelmasse und Hirn angepriesen. Seit ein paar Tagen nutzten Silke und Erika jede erdenkliche Arbeitspause um im World Wide Web wild zu flirten. Diese vier W’s waren schließlich zum running Gag bei ihren Gesprächen geworden und ihr Chef drückte ausnahmsweise beide Augen zu, wenn sie in ihrer Pausenzeit im Netz rumhingen und lachten. Sofern sie es unter ihrem privaten Account erledigten und keine Dateien herunterluden.

Endlich ging Silke ein Licht auf! Das Date am Sonntag mit den beiden Muskelheinis hatte sie total vergessen. Genervt rieb sie sich mit zwei Fingern über ihre Nasenwurzel. Höllische Kopfschmerzen bahnten sich an.

„Sorry, Erika. Ich habe das echt total vergessen. Keine Ahnung warum. Eigentlich war ich gestern zuhause und hatte keinen Termin, also ...“

„Also was?“

„Ich habe keine Ahnung“, stellte Silke erschüttert fest. Wieder ein Tag, der ihr abhanden gekommen war! Auch wenn sie sich konzentrierte und versuchte sich zu erinnern, wollte es ihr nicht gelingen. Zuerst der Samstag, dann noch der Sonntag! Derart viele Blackouts machten ihr eine Heidenangst. Vielleicht war sie ja krank oder hatte sich den Kopf beim Wandern gestoßen. Gehirnerschütterung fiel aus, denn sie hatte sich nicht übergeben. Ein Tumor oder etwas Abartiges wie Schizophrenie kamen da schon eher in Frage. Scheibenkleister!

„Alte, wenn du nicht die mörderisch gute Ausrede hast, dann bekommst du heute beim Sparring so derart was auf die Nase, das kann ich dir garantieren! Hast du überhaupt eine Ahnung, was ich gestern durchgemacht habe?“ Unter Boxkolleginnen war ein rauerer Ton kein Ding und Erika sowieso nicht gewöhnt sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Silke hätte also, trotz der Frechheit, sicherlich geantwortet, war aber gerade noch zu verwirrt von ihren Blackouts. Sie war auch deutlich blasser als sonst und das bemerkte dann selbst Erika endlich einmal.

„Hey, was ist los mit dir? Geht es dir nicht gut?“, fragte sie besorgt und tätschelte die Schultern ihrer Freundin.

„Du ... ich bin ...“ Silke musste sich auf ihren Drehsessel setzen und Luft holen. Dabei atmete sie viel zu schnell. Erikas medizinisch geschultes Auge erkannte das sofort.

„Mensch, du bist ja gleich am Hyperventilieren! Jetzt machst du mir aber Angst, Süße.“ Besorgt umrundete Erika den Empfangstisch und ging neben ihrer Kollegin in die Knie. „So viel Schiss brauchst du nun auch wieder nicht vor unserem Sparring zu haben“, scherzte sie, doch in Wirklichkeit hatte sie Angst, dass etwas Gravierendes nicht stimmte. Ihre Kollegin war immer die taffe Siegerin, die Ausgeburt an Kraft und Ausdauer. So blass und nach Luft ringend hatte sie sie noch nie erlebt, selbst bei Grippe nicht.

„Angst vorm Sparring? Träum weiter, du Nuss!“, versuchte Silke im Boxerjargon zu kontern, doch schon überkam sie der nächste Schwächeanfall und sie beugte sich vornüber, um nicht zu schnell zu atmen. Sie war offenbar einer Panikattacke nahe, auch wenn sie nicht verstand was dafür der Auslöser sein könnte.

Wie durch Zauberhand hatte ihre Kollegin plötzlich eine kleine Tüte bei der Hand und hielt sie Silke vor den Mund.

„Atme sofort hier rein!“ Ihr Befehlston entlockte Silke fast ein Lächeln, doch der Versuch scheiterte kläglich. Sie hatte schlicht keine Kraft zu lächeln und nahm dankbar die Tüte in die Hand, um hinein zu atmen. Ein-aus-ein-aus …, keuchte sie selbst in Gedanken und wurde dabei immer eine Spur langsamer. Die Panik wurde besser, das Atmen tatsächlich ruhiger. Erika streichelte ihr sanft über den Rücken. In Silkes Augen hätte sie eigentlich Medizin studieren sollen, anstatt in einer Zahnarztpraxis als Helferin zu vergammeln.

„So ist es gut. Verflucht, mach so etwas nie wieder!“, zischte sie und Silke fiel prompt wieder ein, warum Erika das mit dem Medizinstudium vielleicht doch lieber lassen sollte. Mit Diplomatie und Feingefühl hatte es die liebe Kollegin nicht so.

„Sorry ...“, krächzte Silke, weil sie die Fürsorge trotzdem zu schätzen wusste.

„Das hast du zuerst schon gesagt. Aber was ist eigentlich los mit dir? War das gestern schon so? Ich meine, warst du krank, bewusstlos, beim Arzt?“

„Erika! Bitte! Ich habe nur meine Tage, mehr nicht.“

„O-kay. Und deswegen muss man ausflippen, alles vergessen und die Freundin versetzen? Zum Telefon bist du auch nicht gegangen.“ Erikas Wut kam wieder durch und Silke zuckte unbewusst mit den Schultern.

„Das Seltsame ist, dass ich mich tatsächlich an nichts erinnern kann. Ich meine, ich nehme keine Drogen und bin gesund. Aber was gestern an meinem freien Nachmittag passiert ist, weiß ich einfach nicht mehr. Als hätte mir jemand das Licht ausgeknipst.“ Dass das für den Samstag ebenfalls zutraf erwähnte sie lieber nicht. Erika begriff trotzdem, dass Silke ihr das nicht vorspielte.

„Sei mir nicht böse Silke, aber du musst zum Arzt, das ist dir doch klar? Du kannst nicht über Stunden ein Blackout haben und davon ausgehen, dass mit deiner Birne alles stimmt. Entweder du hast einen Dachschaden, oder jemand hat dir K.O.-Tropfen verabreicht. Was im Übrigen ich hätte sein können, wenn ich dich gestern nach dem Date noch erwischt hätte.“ Silke lachte. Die gute alte Erika! Mit ihr wurde es wahrlich nie langweilig.

„Ach, komm her, du ... du Vanillearoma verseuchte, schimpfende Frau!“ Silke umarmte ihre Kollegin und Freundin fest. „Ich werde versuchen mich zu erinnern und dann bekommst du deine Erklärung. Versprochen. Wenn es nicht klappen sollte, gehe ich zum Arzt und lasse eine MRT von meinem Schädel machen. Das Chatten lassen wir in nächster Zeit sein, okay? Und es gibt ein leckeres Essen nach dem Sparring bei mir. Bitte sei nicht mehr böse!“ Silke zwinkerte und Erika brummte gespielt.

„Trotzdem kriegst du heute noch eins auf die Nase!“

„Träum weiter! Am besten ich lasse das Sparring heute sowieso ausfallen.“

„Ha! Angsthase, Pfeffernase!“

„Sehr witzig. Wenn wirklich was mit meinem Kopf nicht stimmt, dann sollte ich wohl besser keine abfangen, hm? Am besten du kommst gleich nach der Arbeit zu mir und wir kochen gemeinsam.“ Jetzt verstand auch Erika worum es Silke ging, obwohl sie nicht gerade begeistert aussah.

„Kochen? O-kay.“ Verdatterte schaute sie zu ihrer Kollegin und kratzte sich hinterm Ohr. „Stell dich darauf ein, dass ich das überhaupt nicht kann!“

„Süße, das war ja wohl klar“, ätzte Silke und fing sich dafür einen kleinen Boxhieb in den rechten Oberarm ein. Silke zuckte übertrieben zusammen. Dem Schmerz nach hatte sie dort vermutlich ein Hämatom oder etwas Ähnliches. Nur, dass sie eben nicht wusste warum.

An Montagen hatten sie immer am meisten zu tun, obwohl Silke stets darauf achtete, die Termine am Wochenbeginn mit mehr Zeitspielraum einzuteilen. Dennoch war es stets der arbeitsintensivste Tag. Die Menschen bekamen offenbar immer am Wochenende Zahnprobleme, hielten die paar Tage durch und kamen dann am Montag unangemeldet zum Zahnarzt. Und Notfälle durften nun einmal nicht abgewiesen werden. Der Switch von Ordinationsgehilfin zur Zahnarzthelferin war nicht immer leicht, aber wenn Not am Personal war, dann musste sie eben auch an anderer Stelle einspringen. Außerdem gefiel ihr der Job als Zahnarztassistentin viel besser, als ständig zu telefonieren, in den Computer zu klopfen oder mit Patienten zu reden. Das Polieren und Sterilisieren von den Gerätschaften machte ihr dabei richtig Spaß. Vor allem die mörderischen Geräte, wie Spritzenkanülen, Wurzelheber, Trepanfräser und Matritzenspanner hatten es ihr angetan. Die sahen allesamt ein wenig gruselig aus und brachten sie zum Lachen. Aber das gehörte wohl zu ihrer leicht verrückten Seite, die sie auch mörderisch anstrengende Wanderungen unternehmen ließ oder zum Boxen animierte. Boxen war für viele ein eher unweiblicher Sport, doch Silke war nicht wirklich burschikos. Sie war ein hübsches Ding von 25 Jahren, hatte lange, blonde Haare, strahlend blaue Augen und eine Bombenfigur. Sie war gut trainiert und mit einer sehr sinnlichen, weiblichen Seite gesegnet. Doch sie hatte gelernt sowohl ihren Busen, als auch ihre sinnliche Seite nicht hervorzukehren. Mit übermäßig interessierten Männern konnte sie nicht allzu viel anfangen und die meisten waren sowieso nicht ihre Kragenweite. Beuteschema hatte sie keines, aber sie fand den Großteil der Männer eher uninteressant. Außerdem konnte sie mit übermäßig starker Nachfrage, Anzüglichkeiten oder hohlen Flirts nicht umgehen. Sie stand nie gerne im Mittelpunkt, schon gar nicht, wenn es um nichts Essentielles ging. Wie bei der Ernährung schien sie auch hier einem gewissen Trend entgegenzuwirken und den Mainstream zu verweigern. Tief in ihrem Inneren wollte sie eben nicht nur mit ihren körperlichen Reizen beeindrucken, sondern als Gesamtwesen flashen. Und diesen Flash sollten nicht gleich tausende Männer erleben, sondern ausschließlich der Eine, der Richtige. Sie wusste, wie kitschig das klang und wie unrealistisch, aber genau das war der Grund, warum sie seit einem Jahr alleine lebte. Den Männern war es nie ernsthaft genug und ihr daher kaum möglich, sich so voll und ganz auf einen einzulassen. Erika versuchte sie dennoch stets zu verkuppeln. Aus Nächstenliebe womöglich, aber auch, weil sie selbst gerade auf der Suche war und nicht alleine über die Häuser ziehen wollte. Silkes Arbeitskollegin und Freundin war nämlich so ganz anders, konnte nicht alleine sein und forderte die Männerwelt mit jeder ihrer Bewegungen und jedem Stückchen Stoff (das sie am Leib trug oder eben nicht) heraus. Im wirklichen Leben sah sie tatsächlich ein bisschen wie Xena, die Kriegerin, aus. Sie hatte lange, schwarze Haare, trug stets verrucht kurze Lederminiröcke und meist hohe Stiefel. Ihr Zungenpiercing und die höllische Tätowierung auf ihrem linken Oberarm verdeutlichten nur noch mehr, was für ein wildes Mädchen sie war. Gegen sie wirkte Silke wie eine blasse, schöne Blume, die auf den ersten Blick unterschätzt wurde ... vor allem beim Boxen.

Die beiden Frauen freuten sich auf den verdienten Feierabend, hatten für ihre Kochsession genug Leckereien eingekauft und standen nun erwartungsvoll in Silkes Vorzimmer. Der Geruch, der ihnen jedoch aus allen Ecken und Enden der Wohnung entgegenschlug war ekelhaft. Selbst Erika rümpfte die Nase und die war sonst nie wirklich empfindlich.

„Um Himmels Willen, hast du hier einen gekillt und dann liegen lassen?“

„Keine Ahnung“, lachte Silke. „Filmriss, schon vergessen?“ Dabei wackelte sie provokant mit ihren Augenbrauen und pfefferte ihre Schuhe auf die Seite. Ihre Freundin tat es ihr gleich, obwohl sie so aussah, als würde sie am liebsten gleich wieder kehrtmachen.

„Wonach stinkt es hier bloß?“, fragte Erika erneut und hielt sich die Nase zu. „Mein Gott, vielleicht hast du dich in jedem deiner Zimmer übergeben und erwartest jetzt, dass ich mit dir saubermache. DAS kannst du gleich wieder vergessen, Schätzchen!“

„Hör schon auf damit! Ich habe keine Ahnung warum es hier so stinkt. Und jetzt hilf mir lieber ...“

„Nein“, kreischte Erika und hatte eindeutig Bilder von ganz widerlichen Dingen vor Augen.

„... die Fenster aufzumachen! Mensch, entspann dich endlich! Ich bin mir sicher, dass ich gestern nicht gekotzt habe. Ich war gesund, ... äh, bin gesund. Nur mein Kopf scheint ein wenig angeschlagen zu sein.“

„Bei dem Gestank ist das ja wohl kein Wunder! Pffft. Gut, wir lüften durch und dann suchen wir das Tier, das hier am Verwesen ist.“

„Ich habe keine Haustiere“, lachte Silke und öffnete im Wohnzimmer die ersten Fenster, während Erika sich auf den Weg ins Bad machte. Ihr lautes „Iiiiihhh!“ alarmierte Silke sofort. Ohne zu zögern, sprintete sie zu ihr. Vielleicht hatte sie ja doch eine grauenhafte Schweinerei im Bad hinterlassen und in ihrem Blackout-Dussel vergessen?

„Mensch ... und du willst normal sein?“, empfing sie Erika schroff und hatte den Duschvorhang dabei so weit zurückgezogen, dass Silke noch von der Tür aus den kleinen verdreckten Wäscheberg sehen konnte. „Ich meine, geht’s noch? Wie verrückt ist das, seine Wäsche so zu versauen und dann einfach in die Badewanne zu schmeißen?“

„Zeig mal her!“, forderte Silke und prallte wie von unsichtbarer Hand zurück. Diese Klamotten hatte sie gestern in ihrer Wohnung getragen. Doch jetzt waren sie so derart versaut, dass sie nur noch für den Müll taugten. Erika würgte bereits und drängte sich an Silke vorbei.

„Mann, das Kochen kannst du sowas von vergessen. Bäh!“ Erika war ins Vorzimmer geflüchtet und hatte einen leicht grünlichen Teint. „Reiß wenigstens endlich das Fenster im Bad auf und schmeiß den Kram raus!“, schrie sie und lief gleich weiter ins Wohnzimmer, wo sie sich an eines der offenen Fenster lehnte und tief einatmete. Silke packte die schmutzige Wäsche in eine Plastiktüte, verschloss sie und wusch sich gründlich die Hände. Heute Früh war sie offenbar vollkommen apathisch durch ihre Wohnung gegangen und ebenso apathisch in die Arbeit gefahren, sonst hätte sie das mit der Wäsche doch bemerkt! Erst Erikas grässlicher Vanillekaffee hatte sie in der Ordi aus dem leichten Koma geholt.

„Wäre der Rest deiner Wohnung nicht so picobello aufgeräumt, würde ich dich glatt als Pennerin beschimpfen“, schrie sie von ihrem frischen Fensterplatz in Richtung Silke. Doch die zuckte bei dem Wort Pennerin wie unter einem Hieb zusammen. Nein, vielmehr ging sie in die Knie und bekam keinen Sauerstoff mehr in die Lunge. Erika konnte von ihrem Platz aus das Bad nicht sehen und bemerkte die Not ihrer Freundin erst, als es laut rumpelte.

Besorgt lief sie zurück.

Silke lag am Boden, hatte ihre Hände noch um den Duschvorhang gekrallt und ihn mit sich zu Boden gerissen. Volles K.O. in der nullten Runde. Tot durch Schmutzwäsche ... oder was auch immer. Erika war sofort bei Ihr, löste ihre Hände vom Duschvorhang, packte sie unter den Achseln und zog sie aus dem Bad. Nebenbei knallte sie noch die Tür mit einem Fußtritt zu und zog ihre Freundin weiter bis zum offenen Fenster ins Wohnzimmer. Dann fühlte sie ihren Puls und tätschelte ihre Wangen.

„Silke! Mensch, mach keinen Scheiß! Komm schon Mädel, sonst ruf ich die Rettung und dann musst du erst mal erklären, wieso du wegen Schmutzwäsche umkippst. Ausflippen ist ja irgendwie okay ...“, plapperte sie, weil sie selbst wütend hinausgestürmt war. „... aber gleich aus den Latschen kippen ist übertrieben.“ Silkes Augen flatterten. Als sie langsam erwachte, war sie orientierungslos und durcheinander. Erika saß neben ihr, nahm ihren Kopf vorsichtig und bettete ihn auf ihren Schoß.

„Ist ja gut, Süße. Geht’s wieder? Du machst vielleicht Sachen, Mädel! Ein bisschen Menstruation und dein Kreislauf ist offenbar voll im Arsch.“

„Was war‘n das jetzzzt?“ Silke lallte ein wenig, setzte sich aber bereits wieder auf und rieb sich den Kopf. Allem Anschein nach hatte sie eine waschechte Panikattacke ausgeknockt. Zum Glück hatte sie den Sturz unverletzt überstanden.

„Du bist zusammengeklappt, als hätte dir jemand eine geknallt oder laut BUH gerufen. Du musst eindeutig zum Arzt, Schätzchen. Punkt und aus. Das ist jedenfalls nicht normal. Oder bist du schwanger?“

„Waaaas? Spinnst du? Mir brummt nur der Schädel. Und ... überhaupt ... schwanger geht nicht, wenn ich menstruiere. Oder ohne Sex. Ich schätze einfach der Gestank war zu viel für meine Nerven. Ich brauche keinen Arzt!“

„Entschuldige mal. Panikattacke in der Arbeit, Ohnmacht im Bad. Was kommt als nächstes?“

„Abendessen?“, fragte Silke und zwinkerte ihrer Freundin zu. Sie hatte keine Lust auf einen Arztbesuch und noch weniger auf dämliche Fragen. Was wusste sie, warum ihre Wäsche so versaut war und nach Kanal stank. Kanal. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, aber bevor Erika das bemerken konnte, war sie schon wieder auf den Beinen. Sie war schließlich kein Jammerlappen und wollte diesen Zustand keine Sekunde länger beachten. Ein wenig schwindelig wankte sie in die Küche, aber das ließ sie sich nicht anmerken. Vor ihrer Ohnmacht hatte sie an wunderschönes, karibisches Meer gedacht, dass mit einem Schlag durch das Wort Pennerin in eine ölschwarze Kloake verwandelt worden war. Silke konnte nicht nachvollziehen, warum ein bisschen Gestank und Schmutzwäsche solch eine Vision hervorrufen konnten, aber sie erzählte es lieber nicht Erika. Die hielt sie sowieso schon für ein wenig verrückt.

„Das Bad ist bis auf weiteres gesperrt. Hände kannst du dir auch hier waschen. Schätze ich werde die Klamotten irgendwann im Freien verbrennen.“ Sie versuchte ein Lachen, doch Erika war noch nicht ganz überzeugt. Mit strengem Blick sah sie ihrer Freundin hinterher.

„Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist? Ich meine vor mir brauchst du nicht die Starke zu spielen. Ich habe dich schließlich schon mal k.o. auf der Matte liegen sehen.“ Jetzt musste Silke lachen.

„Träumerle! Wann hast du mich schon mal auf die Matte geboxt? Hm?“

„Nicht ich, aber Nadja. Schon vergessen?“ Erika grinste spitzbübisch, weil diese Russin stark wie ein Mann war und auch so kämpfte. Gut, sie hatte eine Menge Haare auf den Armen und Beinen und vielleicht sogar auf ihrer Brust, aber so genau traute sich das keine von ihnen in der Umkleidekabine abzuchecken.

„Ah, Nadjuschka. Die ist schon ein eigenes Kapitel mit ihrem Anabolikakonsum. Bitte, Erika, versprich mir, dass du mich umbringst, falls ich mal zum Kerl werde.“

„Wo sind die Messer?“

„Haha. Sehr witzig! Dort drüben. Du darfst die Champignons putzen, Süße.“

„Pfff. Ich hasse kochen.“

„Ich hasse Anspielungen auf Unweiblichkeit.“

„War nur Spaß. Bist eh ein geiles Miststück.“

Zum Essen tranken sie beide Weißwein. Für Silke war es eine Ausnahme, für Erika das Gegenteil. Gutes Essen ohne Alkohol war für sie nur die Hälfte wert. Dafür vertrug sie eine ganze Menge. Während Silke noch am ersten Glas nippte und bereits schielte, war Erika noch stocknüchtern, obwohl sie schon das dritte Glas hatte.

„Das muss ich dir lassen ... kochen kannst du“, lobte Erika und prostete ihrer Kollegin zu. Aber dann veränderte sich plötzlich ihr Gesicht und sie stellte ihr Glas überraschend schnell zur Seite, damit sie sich mit der flachen Hand auf die Stirn schlagen konnte.

„Mist, das hätte ich fast vergessen!“, zischte sie.

„Ha! Du also auch“, lachte Silke in Anspielung auf ihre Blackouts. „Vielleicht liegt es ja an meiner Wohnung. Strahlung oder so ...“ Sie wusste wie blöd das war, aber sie freute sich, dass auch jemand anderer einmal etwas vergessen hatte.

„Wir haben von unserem Chef zwei Einladungen bekommen. Warte ich hole sie schnell aus meiner Tasche!“ Damit sprintete sie ins Vorzimmer und kam kurz darauf mit zwei zerknitterten Karten zurück. Schelmisch grinsend wackelte sie damit vor Silkes Nase herum.

„Ein Ball! Wir zwei Hübschen sind auf einen Ball eingeladen.“ Und so wie sie dabei lachte, spürte sie den Alkohol ja doch ordentlich, die gute Erika. Silke musste trotzdem grinsen, denn sie waren beide nicht gerade die typischen Ballbesucherinnen. Erika noch weniger als sie.

„Dem Chef ist was dazwischengekommen und du weißt ja wie er ist, wenn er Stress hat. Dann denkt er nicht nach und schenkt schon mal was her. In dem Fall war ich zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Zuerst war ich sogar knapp daran abzusagen, doch dann dachte ich, dass es ganz lustig werden könnte. April ist zwar ungewöhnlich für einen Ball, aber es ist so ein Medizinerdingsbums und daher mit vielen geilen und reichen Ärzten.“ Dabei wackelte sie provokant mit ihren Augenbrauen und Silke musste noch viel mehr lachen. Erika war immer so schön ‚tiefgründig‘ witzig.

„Vergiss es, ich habe nichts anzuziehen.“ Silke hatte keine Lust auf einen Tanzabend zu gehen mit steifer Musik und noch steiferem Publikum. Konventionelle Tänze waren nicht so ihr Ding, obwohl sie es in der Tanzschule bis zum Goldstar geschafft hatte. Erika hingegen hatte vermutlich nie eine Tanzschule von innen gesehen. Sie hing ja auch für gewöhnlich mehr in düsteren Discotheken oder Gothicbars ab.

„Verstehst du nicht? Das Leben ist nicht nur schwarz und weiß. Es besteht aus vielen Schichten und Möglichkeiten. Wer sagt denn, dass wir uns mit Internetspinnern wie diesem Rambo oder Conan treffen müssen, wenn wir doch einen Porsche fahrenden Schönheitschirurgen absahnen können?“

„Stimmt! Genau das stelle ich mir auch schon mein ganzes Leben lang vor“, scherzte Silke und verdrehte die Augen. Erikas krampfhafte Partnersuche war ja auch eigen. „Du hast noch gar nichts von Rambo und Conan erzählt. Warum waren denn die Typen so unmöglich?“, fragte sie, weil das Ballthema nervte und sie wegen dem verpassten Date durchaus neugierig war.

„Ach, hör bloß auf mit den beiden! Conan war gar nicht so schlecht, aber Rambo? Jesses, dem haben sie glatt das Hirn ausgesaugt und in die Oberarme gespritzt.“ Dazu guckte Erika so aberwitzig, dass Silke schon wieder lachen musste. Erika hingegen wirkte irgendwie unruhig und trommelte mit ihren Fingern auf den Tisch. Für sie war die Internetsache abgeschlossen und längst ein neues Ziel geboren.

„Der Ball ist morgen. Sorry. Ich habe die Karten schon ein paar Tage, aber immer vergessen. Du gehst mit mir also gefälligst ein geiles Kleid ausborgen und dann zum Stylisten. Ich möchte, dass wir beide aussehen, als wären wir von einem anderen Stern. Hast du kapiert? Wir müssen täuschen und tarnen, abwarten und zuschlagen. Dann schnappen wir uns die zwei besten Häppchen und werden reich.“ Erika lachte und Silke verdrehte erneut die Augen. Sie war nicht der Typ für Flirts und Aufrisse. Verkleidungen lagen ihr noch weniger als steife Bälle. Genauso gut hätte Erika sie in die Gothicszene einführen können.

„Bitte geh doch mit einer anderen oder such dir männliche Begleitung, hm?“

„Nichts da! Entweder du kommst morgen mit oder du kannst dir in Zukunft jemand anderen suchen mit dem du dich auf der Matte balgst. Und ich meine BOXEN, Süße, nicht das, was jede von uns gerne mit Männern treiben würde.“ Sie lachte anzüglich und Silke seufzte resignierend.


4.Kapitel

„Warum fliegen wir mit sowas?“, fragte Dennis und schnallte sich mit grimmiger Miene an. Durchschnittlicher Linienflieger, zweite Klasse ... was musste er noch mehr sagen? Stundenlang in sowas zu fliegen war nicht sein Fall.

„Wir sparen Geld“, erwiderte John trocken und kippte seinen Sitz ein wenig nach hinten. Wegen ihrer überdurchschnittlichen Körpergröße hatten sie die Plätze am Notausgang bekommen und konnten ihre Beine ausstrecken.

„Ha! Sagt jemand, der so stinkreich ist, dass er einen Privatjet hat.“ Dennis war sauer. Nicht nur, dass er heute im Training einen harten Tritt von John in den Magen kassiert hatte, musste er nun auch unvorhergesehen mit ihm nach Europa fliegen. John brummte nur und gab keine Antwort. Warum sollte er seinem Assistenten erklären, dass er einer Eingebung folgte und phasenweise ganz einfach die Ecken und Kanten des normalen Lebens vermisste? Er hatte so gut wie alles was er wollte ... die beste Luxusausstattung, die tollste Sonderbehandlung, das Highlife schlechthin. Und das immer. An manchen Tagen hatte er dadurch eben nur den Wunsch nach Normalität. Selbst wenn es hauptsächlich die der anderen war.

„Warum fliegen wir nochmal schnell nach Europa?“, fragte Dennis verstimmt und rieb sich unbewusst über seinen Solarplexus. John hatte ihn wegen Sonja nicht nur zur Rede gestellt, sondern beim täglichen Sparring dafür richtig fies bezahlen lassen.

„Alles okay? Was macht dein Sonnengeflecht?“ Sein Blick war ernst, der Tonfall nicht spöttisch.

„Geht schon. Aber das nächste Mal werde ich mich dafür revanchieren, das garantiere ich dir!“ Seine Augen funkelten wütend und er nahm die Hand von seinem Bauch. Die beiden hatten sich schon oft gegenseitig verprügelt und er wollte den blauen Fleck nicht höher spielen, als er war. Aber an seiner Spaßfähigkeit musste John noch arbeiten! Ein nettes Mädchen als Geschenk an die Morgenlatte war schließlich nur ein Beweis seiner Freundschaft. Und soweit er diese Sonja einschätzen konnte, war sie – so wie die meisten Frauen von Condatis Concern – sowieso in ihren Chef verliebt.

„Du weißt warum das passiert ist.“

„Weil du das Geschenk missverstanden hast?“, fragte Dennis beleidigt und John schüttelte frustriert den Kopf. Manchmal war sein Assistent einfach nur ein Ignorant.

„Du kannst sie nicht in solch eine peinliche Situation bringen. Klar? Und damit ist das Thema jetzt endgültig vom Tisch.“ Dennis hatte es durchaus verstanden, sein Ärger hinkte diesem Verständnis nur noch hinterher. Aber er nickte seinem Chef zu. Geschenke an die Morgenlatte würde es von ihm nicht mehr geben.

Die beiden waren sich beim Sparring stets ebenbürtig, spitzenmäßig trainiert und in verschiedenen Disziplinen ausgebildet. Sie hatten ihren Kampfstil aufeinander abgestimmt und waren ein gutes Team, sowohl in geschäftlichen Belangen, als auch in Fragen der Sicherheit. Als reicher Mann brauchte John in der Regel ein ganzes Heer an Sicherheitskräften, um seinen Besitz und sein Leben zu schützen, doch in Wahrheit war er ein Freiheitsfanatiker und suchte jede Gelegenheit, um der üblichen Maschinerie aus Überwachung und Vorsichtsmaßnahmen zu entkommen. Für sein Zuhause galt das freilich nicht. Dort hatte er das beste Überwachungssystem der Welt und Akim, seinen eigenen Sicherheitschef in unmittelbarer Nähe. Akim und Dennis waren Johns einzige Mitarbeiter, die im Condatis-Tower auf der gleichen Etage wie er wohnen durften und sogar mussten. Zum Leidwesen seines Sicherheitschefs neigte John jedoch zu exzessiver Spontanität und auch wenn die Einladung nach Wien schon mehrere Tage auf seinem Schreibtisch gelegen hatte, so war der Termin bis zuletzt doch nicht abgesprochen worden. Erst nach dem Training hatte er Dennis und Akim davon in Kenntnis gesetzt ... ganze zwei Stunden vor dem Abflug. Eine überstürzte Reise in einem regulären Linienflieger ohne zusätzliche Security war für seinen Sicherheitschef natürlich der reine Wahnsinn. Auf der anderen Seite war es genau diese Spontanität, die den Alltag von John Baxter unvorhersehbar und damit unberechenbar für kriminelle Vorhaben machte. Dazu waren John und Dennis ein gutes Team und durchaus in der Lage auf sich selbst aufzupassen.

„Also warum jetzt Europa?“ Dennis konnte so richtig nerven, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. Er war ein guter Assistent, zuverlässig und auf seine Weise ein sehr witziger Kerl. Doch er war eben auch nur ein Mensch mit seinen Ecken und Kanten.

„Wir besuchen Dr. Carmesin. Du weißt schon. Der Typ, der mir vor zwei Jahren das Leben gerettet hat.“

„Ah der! Und warum so plötzlich und ohne Security?“

„Das Spontane hält mich fit und die Verbrecher ab.“

„DAS hält im Normalfall nicht nur die Verbrecher ab“, ätzte Dennis und schraubte zum hundertsten Mal die Armlehne höher oder wieder niedriger.

„Komm schon! Wien ist schön! Wir werden schon Spaß haben.“

„Den habe ich jetzt schon total“, unkte Dennis und verpasste der Armlehne einen Schlag. Eigentlich wollte er noch verärgert klingen, doch er fing gerade einen süßen Blick von der schwarzhaarigen Stewardess auf. Die uniformierten Mädels im vorderen Bereich wirkten recht aufgekratzt und schienen sich ausschließlich über ihn und John Baxter zu unterhalten. Vermutlich hatten sie noch nie so große und gutaussehende Männer im Doppelpack gesehen. Dennis grinste und fühlte sich plötzlich nicht mehr ganz so unwohl. Weibliches Interesse konnte selbst üble Laune bezwingen. Die Schwarzhaarige zwinkerte ihm keck zu und deutete auf die Toilette. Dennis seufzte leise in sich hinein. Er hatte schon seit Wochen keine Frau mehr gehabt und lief quasi auf Notprogramm. Der Anflug von Gier war ihm deutlich anzusehen. Ständig war er nur auf Achse und für John Baxter und seine Interessen da. Sein Liebesleben kam eindeutig zu kurz.

„Fang dir bloß nichts ein, Kleiner. Ich brauche keinen Ausfall wegen Gonorrhoe oder sonst irgendeinem Scheiß.“

„Tripper ist nicht so schlimm. Aids sollte es halt nicht sein“, murmelte Dennis.

„Nicht so schlimm? Kleiner, hast du eine Ahnung, was so ein Juckreiz mit dir anstellt und welche Schmerzen du beim Wasserlassen hast?“

„Oh, oh. John Baxter hatte schon mal Gonorrhoe?“

„Nein, ich bin ja nicht bescheuert oder habe ungeschützten Sex. Aber ein guter Freund von mir war nicht so besonnen ... und ich kann dir sagen, DAS war kein schöner Anblick.“ John wirkte ehrlich entsetzt und Dennis hatte plötzlich ein grässliches Bild von blau verfärbten, geschwollenen Pimmeln vor Augen. Der plötzliche Anfall von Gier löste sich daraufhin spontan in Luft auf, ebenso wie die Aussicht auf ein schnelles Schäferstündchen. Außerdem war Dennis sowieso zu groß gewachsen für einen Quickie auf einer ükligen Flugzeugtoilette. John Baxter war an die zwei Meter groß und er nur 1,89 Meter, aber das genügte, um überall mit dem Kopf anzustoßen. Die paar Zentimeter waren auch der Grund, warum er manchmal „Kleiner“ von ihm genannt wurde. Das hatte also definitiv nichts mit anderen Körperteilen zu tun.

Mit einem bedauernden Lächeln sah Dennis zur Stewardess und schüttelte leicht den Kopf. Sie verstand sofort und nickte souverän. Offensichtlich hatte sie genug Selbstvertrauen, selbst wenn sie eine Abfuhr bekam. Dennis riss seinen Blick von ihrem schönen Gesicht los und versuchte sich abzulenken. Er war jetzt 29 und brauchte endlich etwas Fixes. Eine Frau, die verflucht sexy war und zugleich Köpfchen besaß ... und die immer dann verfügbar war, wenn er sie brauchte und wollte. Genervt kratzte er sich über sein stoppeliges Kinn, weil er es kaum schaffte, nicht an Sex zu denken oder an eine echte Gefährtin.

Gefährtin! Lächerlich! Die Märchenstunde war schließlich schon mit der Erwähnung von Gonorrhoe vorbei gewesen. Nun hieß es Zähne zusammenbeißen und mit John Baxter nach Wien zu fliegen und das zu einem langweiligen Date mit einem greisenhaften Arzt.


5.Kapitel

Beide Frauen waren tatsächlich nicht wieder zu erkennen. Silkes natürliche Schönheit wurde mit einfachen Mitteln drastisch hervorgehoben und Erikas, zum Teil hartes Erscheinungsbild, gedämpft. Silke trug ein eng anliegendes, schwarzes Kleid mit einem tiefen Ausschnitt am Rücken und passenden High Heels. Traumhaft schön. Und selbst ihre Hochsteckfrisur war ein kleines Meisterwerk aus Locken und Blumen. Einzelne Strähnchen fielen ihr lässig ins Gesicht, ließen die Steckfrisur weicher erscheinen und gaben ihrem schönen Gesicht ein feenhaftes Aussehen. Lediglich die dunklen, verrucht anzusehenden Smokey Eyes nahmen dem Ganzen den braven Touch.

Erika aber war schlicht der Hammer! Sie trug ein sexy rotes Kleid, das ihre schlanke Taille betonte und einen langen Beinschlitz auf der Seite zeigte. Dazu trug sie schwarze High Heels und einen schwarzen Bolero, der ihre Tätowierung bedeckte. Ihre Haare waren zu einer komplizierten Flechtfrisur geschwungen und das sonst sehr satt aufgetragene Make-up wurde durch ein deutlich dezenteres ersetzt. Die Wandlung war so krass, dass Silke permanent mit offenem Mund zu ihr hinüber gaffte. Erika strahlte mit ihrem neuen Erscheinungsbild puren Sex aus, obwohl sie so bieder geschminkt war, wie noch nie.

„Wow. Wo hast du bitte meine Kollegin aus der Gothicszene versteckt?“, scherzte Silke und bewunderte ihre Kollegin, die sich in ihren neuen Sachen sichtlich wohl fühlte. Lässig fuhr sich Erika mit der Zunge über die üppigen Lippen und probierte Posen wie ein Pin-up Model. Silke lachte fröhlich über ihre übertriebenen Darstellungen und Erika warf ihr zum Dank einen Flugkuss zu.

„Du bist aber auch nicht von schlechten Eltern, Lady. Hieß deine Mutter vielleicht Grace Kelly, ehe sie es mit dem Teufel trieb und eine verrucht aussehende Blondine zur Welt brachte?“

„Ach, du spinnst doch. Ich sehe lange nicht so toll aus wie du.“

„Ja, klar. Ich kann die Schminke ganz weglassen und werde immer noch verrucht aussehen, aber du siehst aus wie ein Sahnebaiser mit Kirsche. Du bist die Verführung in Person. Schade eigentlich, dass du dich sonst nie schminkst. Und deine unglaublich schönen Titten!!! Mann, die prallen einem selbst aus dem kleinen Dekolleté entgegen. Pass bloß auf, dass dir DIE nicht Kopf und Kragen kosten!“ Sie lachte schäbig und warum sollte sie sich auch ein Blatt vor den Mund nehmen?

„Also bitte! Und überhaupt: Habe ich schon erwähnt, dass ich dort mit keinem Arzt flirten, geschweige denn nach Hause gehen möchte?“

„Wieso? Hast du Angst, dass er deinen Dachschaden bemerkt?“, ätzte Erika und schnippte ihrer Freundin mit zwei Fingern auf die Nase. Sie mochte keine Spielverderber.

„Au! Hör auf damit! Immerhin hatte ich heute noch kein Blackout, keine Panikattacke und keinen Ohnmachtsanfall.“

„Wow, was für eine Meisterleistung“, spottete ihre Kollegin, obwohl sie sich gestern noch wirklich Sorgen um Silke gemacht hatte. Wäre heute nicht alles wieder normal gewesen, hätte sie Silke beinhart zu ihrem praktischen Arzt gezerrt. Obwohl – in gewisser Weise würde sie das vielleicht immer noch tun, denn immerhin war das ja ein Medizinerball. Erika hatte sich fix vorgenommen ihre Freundin heute zu verkuppeln. Das Palais Auersperg bot dafür den ideal edlen Rahmen und die Einladungsliste genau die Basis, um an gutes Material zu gelangen. Wenn Silke ihr Glück nicht selbst in die Hand zu nehmen wusste, würde sie das Kind schon schaukeln! Beide brauchten sie endlich einen Mann. Silke noch viel mehr als sie selbst, denn soweit sie wusste, hatte ihre Freundin seit über einem Jahr keine Beziehung oder Sex gehabt. So etwas konnte schlicht nicht gesund sein. Vermutlich hatte sie auch genau deswegen bereits erste Blackouts.

„Was grinst du so, Erika?“

„Ach, nichts. Ich freue mich nur auf den Abend.“

Zwei Stunden später schwangen die beiden bereits fleißig das Tanzbein. Silke wirbelte leichtfüßig übers Parket und Erika machte gute Figur mit lasziven Bewegungen. Sie hatte keine Ahnung von Walzer und Co, aber das schmälerte nicht ihren Spaß. Die zwei Frauen waren in ihrer Schönheit und Unterschiedlichkeit sehr auffällig, doch erst als sie spontan miteinander zu tanzen begannen wurden sie zu richtigen Eye-Catchern. Ihr Frauentanz provozierte die anderen und weckte vermutlich verruchte Fantasien, ebenso wie Neid. Doch das war den beiden egal. Schließlich hatten sie recht rasch bemerkt, dass der Ball nicht das hergab, was sie sich erwartet hatten. Die Mehrheit der Besucher war über fünfzig und extrem konservativ. Die wenigen Tanzpartner, die sich bisher gefunden hatten, waren nicht annähernd an Erikas definiertes Beuteschema herangekommen. Nach drei Stunden konnte man also durchaus von einem mittelgroßen Flopp reden, obwohl sie sich den Abend dadurch nicht verderben lassen wollten. Immerhin hatten sie mit Kleid und Stylist eine Menge investiert und wollten sich weiterhin präsentieren. Also tanzten sie so lange sie wollten und wenn keine Männer greifbar waren, dann sorgten sie eben selber für ihren Spaß.

In einer Tanzpause gönnten sie sich dann je ein Glas Sekt und ein paar Erdbeeren. Der Preis dafür stellte ihnen zwar regelrecht die Haare auf, aber zum Glück hatten sie ja eine Steckfrisur. Sie zwinkerten sich also nur lässig zu und bezahlten für das bisschen Prickelzeug und Erdbeerglück.

„Hättest du gedacht, dass es hier nur alte Knacker gibt? Und jeder von denen hat eine ebenso alte Schachtel an der Hand. Kein Wunder, dass den meisten hier das Herz stehen bleibt, wenn wir gemeinsam tanzen.“ Erika prostete Silke zu. „Na, solange ihnen nicht das Gebiss rausfällt.“ Sie lachte böse.

„Du hast dir zu viel erhofft, Erika. Mal ehrlich! Auf wie vielen Bällen warst du schon?“, fragte Silke und zwinkerte einer älteren Lady zu, die immer noch empört zu ihnen herübersah.

„Null.“

„Eben. Der Altersdurchschnitt auf einem Ball ist für gewöhnlich nicht unter dreißig. Hier ist er nun einmal nicht unter fünfzig. Pech gehabt, Süße. Toll aussehende Chefchirurgen im passenden Alter, die vielleicht zusätzlich noch Porsche fahren, gibt es nur im Fernsehen oder auf wilden Partys. Was sollte ein erfolgreicher Arzt auch hier machen? Ich meine, das Tanzen ist ja schön, der Rahmen ist echt edel, aber in einer Diskothek hätte ich vermutlich genauso viel Spaß gehabt. Oder noch mehr!“

„Ach, du“, schmollte Erika, schnappte sich Silkes Sektglas und trank es leer.

„He“, protestierte Silke und wollte ihre Freundin gerade rügen, als sie ein komisches Kribbeln im Nacken verspürte. Selbst die Haut auf ihren Unterarmen schien plötzlich wie elektrisiert zu sein.

„Verzeihung, darf ich um diesen Tanz bitten?“ Die Stimme war tief und knurrig, kam rau und sinnlich. Silkes Wangen füllten sich mit spontaner Hitze, dafür wurden Erikas Augen riesengroß. Der Mann hinter Silke musste ein Fleisch gewordener Traum sein. Vibrierende Tiefe, bekannte Schwingung. Silke drehte sich um und starrte in ... unglaublich intensive, dunkelgrüne Augen. Ihr Mund wurde trocken und Erika gab ein seltsames Geräusch von sich. Der Mann war ein gutes Stück größer als die beiden Damen, die mit ihren extra hohen High Heels immerhin eine stattliche Größe von 1,80 Metern und ein bisschen mehr erreichten. Erika wiederholte das seltsame Geräusch und stupste ihre Freundin mit einem Finger an. Endlich erwachte Silke aus ihrer Erstarrung, blinzelte und nickte dem Fremden zu. Natürlich tanze ich mit dir! Mann-o-Mann! Schwarze Haare, kurz und stachelig, kantige Gesichtszüge, gepflegtes Aussehen, toller Körper in tollem Smoking. Perfekte Zähne. Als Zahnarztassistentin waren es meist die Zähne, die ihr zuerst ins Auge stachen, doch in dem Fall waren sie nur ein kleines Detail von vielen. Dieser Mann war nicht nur attraktiv, er wusste offenbar auch genau was er wollte. Irgendwie strahlte er Tiefe aus und Wichtigkeit. Silkes Knie wurden weich. Solche Männer gab es in ihrem Leben nicht. Bisher zumindest nicht. Aber warum sollte sie nicht für ein paar Minuten an einen Traum glauben? Der Mann lächelte verwegen und Erika zischte ungeduldig, sodass Silke dem Mann spontan ihre Hand reichte. Ohne Erikas geräuschvolle Anweisungen hätte sie wohl nicht entsprechend reagiert. Vermutlich dachte der Fremde schon jetzt, dass sie sich ein wenig seltsam benahm. Aber was konnte sie dafür, wenn ihr Herz nervös flatterte und ihre Beine wie auf Wackelpudding dahinschlitterten?

Was immer er sich dachte ... er überging jede peinliche Reaktion, nahm Silkes Hand und führte sie auf die Tanzfläche. Ausgerechnet zu einem Walzer! Silke konnte gut tanzen, aber bei Walzer wurde ihr im Normalfall übel.

Hoffentlich kotze ich dem Traummann nicht gleich auf die Füße! Das wäre dann wohl der beste Moment, um zu sterben. Mit einem unsicheren Lächeln ließ sie sich auf die tänzerische Umarmung ein, bewunderte seine perfekte Körperspannung und den respektvollen Abstand, den er wahrte. Dabei war sein Griff fest und die Nähe offensichtlich.

Schon nach der ersten Drehung entschwand Silke in eine vollkommen neue Welt. Sein Tanzstil war ungewöhnlich und manche Schrittfolgen vielleicht nicht unbedingt nachvollziehbar, doch er führte sie gekonnt durch alle Varianten des Stils, hielt sie sicher in den Armen und wirbelte sie manchmal wie ein Tornado über die Tanzfläche. Silke war berauscht, hätte am liebsten den Kopf in den Nacken gelegt und die wunderschöne Renaissancedecke des Palais bewundert. Doch sein Blick hielt sie wie unter einem Bann fest und das war ihr Glück, denn nur so wurde ihr von den schnellen Drehungen nicht übel. Sie ließ jede Kontrolle hinter sich, vertraute sich ganz seiner Führung an, sah weder rechts noch links und versank vollkommen in einem Meer aus wunderbar grünen Farbtönen.

„Wie ist ihr Name?“, fragte er, nachdem er sie in alle möglichen Positionen geschleudert und wieder fest in seiner Umarmung gezogen hatte.

„Silke“, hauchte sie und konnte sich plötzlich nicht mehr an ihren Nachnamen erinnern.

„Und?“, fragte er neckisch und verschlang sie regelrecht mit seinen Augen. Silke schwebte weiter übers Parkett, trippelte leichtfüßig zu seinen Vorgaben und starrte unangebracht in seine faszinierenden Augen. Stundenlang hätte sie so weitermachen können und sich treiben lassen.

„Hallo?“ Er lächelte.

„Entschuldigung, wie war die Frage?“ Silke zwang sich zur Konzentration, tauchte aus ihrer bunt schillernden Blubberblase auf und versuchte ihm besser zuzuhören.

„Wie sie heißen.“

„Silke.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739436661
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
Drache Götter Fantasy Fantastisches Romance Liebe Vampir Zauberer Urban Fantasy Erotik Erotischer Liebesroman Liebesroman

Autor

  • Sabineee Berger (Autor:in)

WARUM SABINE MIT DREI E? Sie passen zu mir und dienen zur Abgrenzung bei Namensgleichheit. Ich bin freischaffende Künstlerin & Schriftstellerin und schreibe seit mehr als fünfzehn Jahren Fantasy-Romane. Mein Slogan lautet "Kunst ist, was berührt und Impulse setzt!"
Zurück

Titel: Im Bann seiner Macht 1