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Teufelsbraut

von Sabineee Berger (Autor:in)
300 Seiten

Zusammenfassung

„Der schönste Tag meines Lebens war der, als ich starb … auch wenn danach die Hölle losbrach.“ Genauso beschreibt Cindy Wallenstein ihren Wandel, nachdem sie an einem scheinbar tödlichen Stromschlag als völlig neuer Mensch erwacht. Allerdings stellt sich sehr rasch heraus, dass sie dieses neue Leben mit dem perfekten Körper nur einem zu verdanken hat, nämlich keinem Geringeren als Azazel höchstpersönlich! Der Teufel wird demnach ihr neuer Arbeitgeber. Doch von ihrer wahren Aufgabe erfährt Cindy erst, als Azazel plötzlich spurlos verschwindet und sie gemeinsam mit dem (überraschend jungen) ältesten Wächter der Gilde nach ihm suchen muss. Dabei riskiert sie allerdings nicht nur ihre Seele und ihr Herz, sondern auch die Apokalypse, die seit Jahrtausenden in einer Prophezeiung angekündigt wurde.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Prolog

„Der schönste Tag meines Lebens

war der, als ich starb…

auch, wenn danach die Hölle losbrach.“

Die Wächter waren hinter ihm her.

Ein schneller Blick in den Rückspiegel zeigte ihm deutlich, dass sie immer mehr aufholten. Zwei, drei Autos trennten sie noch, doch er wusste, was für Teufel sich hinter dem Steuer befanden. Wer selbst kein Stuntman oder Rallyefahrer war, der hatte gegen diese Brut keine Chance.

„Verdammt!“, fluchte er laut und hieb auf das Lenkrad ein. „Ich bin der Falsche!“, brüllte er in die Richtung seines Beifahrersitzes, obwohl er in seinem lächerlich schwachen BMW alleine war. Das Auto war ein Witz. Sein ganzes Leben war es gewesen und dann DAS! Warum nur hatten sie es so schnell auf ihn abgesehen? Eigentlich hätte er doch noch das neuere Modell, das mit dem M6-Motor und den 1001 PS bekommen sollen.

Er zitterte und als er seinen Fokus im Rückspiegel von den Verfolgern hinter sich auf sein eigenes Spiegelbild richtete, sah er das blanke Entsetzen in seinen Augen. Heinrich war gerade einmal 45 Jahre alt und im besten Mannesalter, aber so wie es derzeit aussah, würde er die nächsten zehn Minuten nicht mehr überleben.

„Vermaledeite Teufelsbrut!“, fluchte er und fing an zu lachen. „Aber euch werde ich es zeigen! Ihr bekommt mich nicht! Ihr nicht!“, kreischte er und fuhr bewusst ungebremst bei Rot über die Kreuzung. Es war ein spontaner Entschluss und es gab kein Anhalten und Zögern, nur Rücksichtslosigkeit und … Vollgas. Sollte doch Gott entscheiden oder sonst wer, was zu passieren hatte! Mit ihm, versteht sich, denn andere Menschen waren ihm nicht wichtig. Letztendlich standen doch alle nur für sich und waren alleine.

Reifen quietschten, irgendwer hupte panisch. Heinrich hielt die Luft an und schloss für einen Moment seine Augen. Wenn er ehrlich war, konnte er das Gefühl sogar einen Moment genießen. Es war ein Kick und auch irgendwie erregend. Alles loszulassen, die Kontrolle aufzugeben, nichts mehr zu verlieren zu haben. Der kalte Schweiß war ein wenig unangenehm, aber für einen Moment … für einen winzig kleinen Moment rauschte das Adrenalin durch seine Venen und er konnte so etwas wie Freiheit fühlen.

Doch wie durch ein Wunder ging alles gut. Er flitzte mit seinem BMW geradewegs durch all das Chaos hindurch, das er anrichtete, streifte kein anderes Auto, erwischte keinen Fußgänger und kam am anderen Ende der Kreuzung heil an. Als hätte eine höhere Macht ihn oder alle anderen Verkehrsteilnehmer beschützt … oder speziell ihn boshaft am Leben gelassen, um sich an seinem bevorstehenden, qualvollen Ende durch die Teufelsbrut zu erfreuen.

„Das gibt’s doch nicht!“, schrie er verblüfft und lachte im ersten Moment sogar laut auf, weil er noch am Leben war. Er schlug auf das Lenkrad und warf einen Blick in den Rückspiegel, wo zwei Autos seltsam verdreht auf der Kreuzung standen. „Gibt’s doch nicht“, murmelte er erneut, denn solch ein Selbstmordkommando mit Vollgas und geschlossenen Augen überlebte man im Normalfall nicht. Zur Freude gab es jedoch keinen richtigen Grund, denn ein ordentlicher Verkehrsunfall wäre zumindest eine Möglichkeit für einen schnellen Tod gewesen. Rücksichtslos und ungerecht für andere, aber warum sollte ihn das scheren? Ihn scherte nur, dass er genau diese Möglichkeit nun nicht mehr hatte.

Sie waren hinter ihm her, also war seine Zeit abgelaufen. Diese Erkenntnis holte ihn schlagartig ein und ließ ihn erzittern. Das bevorstehende Ende und die mögliche Höllenqual schlugen förmlich über seinem Kopf zusammen und brachten ihn zum Heulen. Angst schnürte ihm die Kehle zu und er machte sich gerade in die Hose. Ausgiebig. Bis zum letzten Tropfen.

Doch letztendlich trat er so heftig auf die Bremse, dass er seinen BMW schleudernd am Straßenrand zum Stillstand brachte. Schönes Einparken war in seinen Augen überflüssig.

„Nichts macht mehr Sinn …“, murmelte er mit starrem Blick und schüttelte den Kopf. Im Wagen verbreitete sich bereits der Geruch von Angst, Schweiß und Urin. „Ich kann einfach nicht mehr“, krächzte er weiter und sein ganzer Leib zitterte, weil er unter Schock stand. „So schnell hätte das nicht passieren dürfen! Ich habe doch … ich habe doch noch keinen neuen BMW“, jammerte er und war sich sogar bewusst, dass er die letzten Wochen seines Lebens ausschließlich auf dieses ‚leblose‘ Ziel ausgerichtet gehabt hatte. Als wäre ein wenig Blech und ein M6-Motor tatsächlich das Wichtigste im Leben eines Mannes! Seine Hände waren knallrot, weil er immer wieder fest auf das Lenkrad geschlagen hatte und seine Augen brannten, waren unnatürlich groß und verquollen. Ob er sich am Ende doch geirrt hatte? Mit allem? Ein Auto hatte das andere abgelöst, nichts war wirklich lange von Dauer und genug gewesen, ständig hatte er mehr gewollt, sich getrieben gefühlt. Und das alles wegen ein bisschen Blech? In dem Moment überlegte er zum ersten Mal, ob er nicht kostbare Zeit mit einer Illusion verschwendet hatte. Mit etwas, das doch eigentlich nicht wichtig war.

„Auch schon egal“, keuchte er angewidert, denn er war längst am Ende. Vollkommen und ganz am Ende.

Als jemand heftig an seine Fensterscheibe klopfte, meinte er sein letztes Stündlein hätte geschlagen. Sie sind da … dachte er panisch und beobachtete mit völlig irrem Blick, wie seine Hand – ohne bewusstes, willentliches Zutun – den Fensterknopf betätigte, um die Scheibe herunterzufahren. Es war eine automatische Handlung, denn er hatte tatsächlich längst mit allem abgeschlossen. Noch während das Fenster abwärts in die Türverkleidung des Wagens glitt, brüllte ein Mann von außen aufgebracht in das Innere.

„Sie wissen schon, dass Sie bei Rot über die Kreuzung gerast sind?“, blaffte der Mann mit finsterem Gesicht und dunkler Uniform. Heinrich blinzelte verwirrt und kannte sich im ersten Moment gar nicht aus, … bis er den Mann nicht als Wächter des Teufels, sondern als Polizist erkannte. Was ihn dann spontan so amüsierte, dass er hysterisch zu lachen anfing.

Polizei? Ei, ei … lachte es irre in seinem Kopf, weil er nicht mehr klar denken konnte, sondern nur noch aus Angst, Lebensabschluss und Höllenschlund bestand.

Der Beamte bemerkte recht rasch den seltsamen Zustand des Mannes, sah den irren Blick, roch den beißenden Gestank, der aus dem Wagen kam und schaltete automatisch einen Gang höher. Unauffällig ließ er seine Hand zu seiner Waffe gleiten und stellte klare Forderungen.

„So … und jetzt die Hände auf das Lenkrad, damit ich sie sehen kann! Dann steigen Sie langsam … ganz langsam … aus, verstanden?“ Der Mann hatte eine befehlsgewohnte Stimme und seine Haltung war eine einzige Bedrohung, doch Heinrich achtete nicht darauf, befolgte auch keinen einzigen Befehl. Er lachte nur und steigerte sich in seine Hysterie, verschluckte sich und … erbrach sich im nächsten Moment auf den Beifahrersitz.

Der Polizist war in höchster Alarmbereitschaft und sehr achtsam, ging aber dann doch ein wenig auf Distanz und sah dem Häufchen Elend im Wagen angewidert zu. Als normalen Schock verbuchte er die Reaktion des Mannes nicht. In seinen Augen war er vermutlich bis oben hin zu mit Drogen oder krank, denn die Kotzerei im Wageninneren wollte kein Ende mehr nehmen. Niemand konnte sich derart verstellen oder so abartig lange und heftig erbrechen. Der Polizist verließ sich diesbezüglich auf seinen Instinkt. Vielleicht behielt er den Abstand zum Fenster aber auch bei, weil er gestern einen von diesen gruseligen Endzeitfilmen gesehen hatte, wo ein Virus die halbe Menschheit zu Zombies gemacht hatte. Das mulmige Gefühl zum Film saß ihm noch in den Knochen und wer wusste schon, ob die Krankheit des Mannes nicht ansteckend war?

Als der kranke Typ sich dann aufs Neue erbrach und sich dabei so heftig krümmte, als würde ihm jeden Moment der Bauch platzen, schrillten die Alarmglocken des Beamten bereits so deutlich, dass er seinen Abstand zum Wagen noch vergrößerte und zum Funkgerät griff. Irgendwo dachte er schon an Erste Hilfe, hatte aber vor allem seine eigene Gesundheit im Sinn. Der Mann in dem schicken BMW war ihm nicht geheuer, aber er alarmierte die Zentrale und forderte einen Krankenwagen. Immerhin. Ganz im Stich lassen, konnte er den Mann schließlich nicht, aber die Tür zum Wagen wollte er um nichts in der Welt öffnen. Auch wenn noch nie jemand wegen Brechdurchfall auf offener Straße gestorben war, so kam ihm die Situation dennoch so extrem vor, dass er damit rechnete. Schweiß stand ihm auf der Stirn und er hatte mit einem Mal unerklärliche, furchtbare Angst.

Zwölf Minuten später traf der Rettungswagen ein. Der Zentrale hatte der Polizist seinen dringenden Verdacht auf infektiöse Erkrankung mitgeteilt, woraufhin die Rettungskräfte sich entsprechend vorbereitet hatten. Die drei jungen Männer, die aus dem Wagen stiegen, hatten sich eine spezielle Schutzausrüstung übergezogen, die an ein weißes Ganzkörperkondom erinnerte, aber sicher nicht hundertprozentig dicht war. Sparmaßnahmen … dachte der Polizist und schüttelte den Kopf. Junge Menschen, die sich jeden Tag in Gefahr begeben, um andere zu retten. Insgeheim betete er für die Gesundheit dieser Männer, weil er so stark der Meinung war, dass der Idiot im Auto gleich zum Zombie werden und alle anstecken würde. Die Rettungssanitäter hatten ja noch nicht einmal so etwas wie Gasmasken umgeschnallt. Also nicht so, wie etwa in dem Film gestern. Sie trugen nur einfache OP-Gesichtsmasken. Dennoch waren sie eindeutig mehr geschützt, als er mit seiner einfachen Polizeiuniform. Pestilenz, dachte er die ganze Zeit, auch wenn der Begriff veraltet war und an Pest erinnerte, so hatte er speziell gerade an einen der vier apokalyptischen Reiter vor Augen. Warum auch immer und so verrückt das auch sein mochte.

„Ich muss aufhören solche Filme zu sehen!“, murmelte er leise, während er der Rettungsmannschaft aus sicherer Entfernung zusah. Seine Nackenhaare stellten sich dennoch vor Grauen auf, als der Notarzt nach fünf Minuten seine schlimmsten Befürchtungen bestätigte und nur noch den Tod des Mannes feststellen konnte.


1.Kapitel

Es war einmal …

Vielleicht sollte sie aufhören daran zu glauben! In ihrem Leben hatte noch nie etwas mit „Es war einmal…“ begonnen oder mit einem Happy End geendet und ein Traumprinz war sowieso weit entfernt. Sie war keine schöne Frau. Sie war fett und hatte ihre besten Jahre hinter sich. Keine andere Beschreibung traf es besser und keine war schonungsloser. Doch es war ihr egal. Sie war des Lebens müde und eigentlich hatte sie nie wirklich Freude daran gehabt. Keine Stunde in den letzten 42 Jahren war es in ihren Augen wert gewesen zu leben. Es war nur ein Dahinsiechen und ein ‚Über-die-Runden-kommen‘, ein schlichter Ablauf von Körperfunktionen und wie das Wandeln in einer leblosen Hülle. Wer brauchte schon Horrorfilme über lebende Untote, wenn man selbst ein wandelnder Zombie war? Jahrelang hatte sie über derartige Splatterfilme gelacht und doch irgendwann begriffen, dass es solche Wesen tatsächlich gab und das … im alltäglichen Leben, also in der Wirklichkeit.

In jungen Jahren hatten ihre Schulkameradinnen Freunde gehabt. SIE NICHT.

Später waren sie dann alle verheiratet gewesen. SIE NICHT.

Mittlerweile war die Hälfte dieser Frauen wieder geschieden. SIE NICHT.

Wobei ihr schon auffiel, dass der letzte Punkt eigentlich einen positiven Aspekt hatte. Sie zuckte dennoch frustriert mit den Schultern, weil sie ihr Leben hasste und schon immer gehasst hatte. Sie war über 40 und noch Jungfrau. Halleluja, was für eine Niederlage! Kein Mann hatte sich je für sie interessiert. Nicht mal zum Spaß oder zum Schein. Und sie war auch schon einmal an einen Punkt angekommen, wo ihr das egal gewesen wäre. Doch wer behauptete, dass es immer Gelegenheiten gab und Frauen sowieso alle mal flachgelegt wurden, irrte sich. SIE war der lebende Beweis dafür. Der untote, lebende Beweis, weil sie sich ja für einen Zombie hielt. Denn, zu ihrem Unglück war sie nicht nur unschön, sondern auch schüchtern und schaffte es daher nicht sich anzubieten, aufzudrängen oder in ein besseres Licht zu rücken. Zum Glück aber hatte sie wenigstens eine Wohnung, ein Handy und einen Job, auch wenn damit ihr Lebensinhalt auch schon wieder aufhörte. Mehr an Leistung hatte sie nicht zu verbuchen, mehr an Kontakt auch nicht. Da gab es nur ein paar virtuelle Seiten und wenige Arbeitskollegen, mehr nicht. Haustiere konnte sie sich nicht leisten und allergisch war sie obendrein auf alles was Fell hatte. Katze und Hund kamen also nicht in Frage und auf Reptil oder Fisch stand sie nicht, außer wenn das Zeug schön knusprig auf dem Teller lag, mit einem Hauch von Chili.

Sie seufzte und dachte noch einmal an den Spruch mit dem alle Märchen anfingen. Nein! Sie wollte kein neues „Es war einmal …“ denken. Märchen gab es nicht und sie … sie sollte vielleicht einfach nur aufhören zu atmen! Jetzt und hier. Auf ihrer zerschlissenen, verschissenen Couch, dem scheiß flimmernden Fernseher und dem miefigen Geruch ihres kackbraunen Teppichs! Wie passend … dachte sie und konnte die Flut der Schimpfwörter und ihre Selbstgeißelung nicht stoppen. Einen kurzen Moment dachte sie an ein Messer in der Küche … groß genug, um ein Schwein abzustechen und auch groß genug, um sich selbst zu erledigen. Doch dann knirschte sie nur mit den Zähnen und rief sich in Erinnerung, dass sie kein Blut sehen konnte und zudem feige war. In Gedanken hatte sie sich schon oft umgebracht, doch in Wahrheit war es wohl dieser verrückte Anfang, mit dem alle guten Märchen anfingen, der sie allmählich in den Irrsinn trieb. Denn Märchen gaukelten einem vor, dass alles anders sein konnte. Fantastisch irgendwie, außergewöhnlich und schön. So voller Freude halt. Moderne Märchen oder Kunstmärchen hatten es ihr besonders angetan und sie hatte eine richtige Sucht danach entwickelt. Eine Sucht auf Flucht. Aus der Realität, hinein in die Möglichkeiten der Fantasie. Dabei handelten die meisten Kunstmärchen doch viel zu oft von attraktiven Frauen und noch schöneren Männern und alle hatten sie dann irgendwann den ultimativen Sex und die unglaublich intensive Seelenverwandtschaft.

Zum Kotzen war das, denn ihr persönliches IRGENDWANN würde wohl in diesem Leben nicht mehr in Erfüllung gehen. Und was bedeutete schon Attraktivität? Geschmäcker waren bekanntlich verschieden. Was der eine als schön empfand, war für den anderen ausschließlich ekelhaft. Und diese Bewertungsbandbreite konnte man wohl auf alle Bereiche des Lebens umlegen.

Ihre Arbeitskollegin zum Beispiel hatte stets von ihrem Vetter geschwärmt. Wie toll der nicht wäre und wie interessant. Blabla, äffte Cindy in Gedanken nach, weil sie den Mann einmal zufällig gesehen hatte und entsetzt gewesen war, wie wenig ansehnlich der dann im realen Leben gewesen war. Weiß der Teufel was ihre Kollegin in ihm gesehen hatte! Vielleicht einen Traumprinzen aus einem Vorleben?

Sie kicherte kurz. Allerdings wirklich nur kurz, denn Lachen passte nicht zu ihrem Leben und in einem waren sich sowieso alle einig: Dicke, mittelalterliche Frauen waren nie attraktiv. Nie, nie, nie! Cindy knirschte mit den Zähnen, als wollte sie dieses verhasste Wort damit zermalmen.

Wieder eine Inkarnation verschissen … dröhnte es in ihrem Kopf und sie begann schlagartig zu heulen. Wie sie eben immer heulte, wenn sie diese Gedanken in ihrem geistigen Hamsterrad wälzte. Sie fühlte sich erbärmlich und genauso klang auch ihr Schluchzen. Natürlich wusste sie, dass ihr Grübeln nur alles schlimmer machte, aber sie war in diesem Muster schon so lange gefangen, dass sie nicht mehr herauskam. Schließlich hieß es nicht umsonst Hamsterrad der Gedanken. Die kleinen, realen Scheißerchen in ihren Käfigen meinten ja auch durch die Gegend zu rennen in dem Rad, obwohl sie stets am Stand blieben.

„Und es ist mir egal“, blaffte sie die kahle Wand ihres Wohnzimmers an. Was sonst hätte sie auch tun können? Etwa Gott beschimpfen?

„Hol mich endlich, verdammt! Beschere mir einen anständigen Abgang, du Feigling!“, schrie sie dann doch noch und heulte dabei was das Zeug hielt. Klar war sie verzweifelt und voller Zorn, denn sie war eine der vielen unscheinbaren und unbedeutenden Menschen dieser Erde. Alle sprachen immer nur von den Tollen und Schönen oder den total Verrückten. Nie sprach jemand von den Unschönen, den Versagern, den Unsichtbaren. Und „unsichtbar“ traf es durchaus, außer wenn die Menschen sie doch einmal entdeckten und sie ins Visier ihres Spottes nahmen. Denn dazu neigten diese grausamen Geschöpfe nun einmal! Ja, ein Großteil der Menschen war grausam und genau die Grausamen waren es, die in regelmäßigen Abständen auf sie aufmerksam wurden, sie aus ihrer Blase der Unsichtbarkeit herauszerrten und sich mit geiferndem Maul und spitzer Zunge auf sie stürzten. Mal ganz deutlich, mal weniger offensichtlich. Aber selbst wenn die Spotter subtiler vorgingen, meinte sie ihren energetischen Sabber grässlich dunkel übers Maul tropfen zu sehen.

Zur Hölle mit ihnen allen! Denn Cindy konnte immer nur zwischen zwei Optionen wählen … unsichtbar zu sein oder verspottet zu werden. Früher hatte sie alle dafür gehasst, doch mittlerweile hasste sie sich ausschließlich selbst. Alte Frau, an die hundert Kilo. Was brauchte es auch schon mehr an Erklärung? Wenigstens würde von ihrer Existenz nichts bleiben, keine Erinnerung und auch keine materielle Verlassenschaft. Nichts war eben außergewöhnlich an ihr, außer ihr Gewicht. Selbst ihre Augenfarbe war, seit sie denken konnte, mit einem faden Grau langweilig und unscheinbar. Wie ihr braunes, halblanges Haar.

Dann noch ihr Name! Cindy! Um Himmels Willen! Am liebsten hätte sie deswegen gekotzt. Gleich hier auf den kackbraunen Teppich. Vor allem, weil sie nichts mit Aschenputtel gemein hatte. Cinderella. Ach, Gott! Mit diesem amerikanischen Namen in einem europäischen Land hatten sich ihre Eltern wahrlich ein Glanzstück geleistet und sie schon als Kind bei den anderen ausgegrenzt. Und je älter sie wurde – und das ließ sich ohne Selbstmord nun mal nicht stoppen – desto dämlicher klang der Name in ihren Ohren. Cindy Wallenstein. In Gedanken sah sie den Namen in rot blinkender, penetranter Leuchtschrift vor sich. Das rollt aber auch gut über die Zunge!

Ihr Fernseher flackerte.

„Ja, genau! Krepier du noch vor mir!“, kreischte sie, weil sie einfach keinen Gang herunterschalten wollte. Hätten Blicke töten können, wäre das alte Teil noch in der Sekunde in Flammen aufgegangen. Doch den Gefallen tat ihr der Apparat nicht, forderte sie stattdessen mit seinem Geflimmer auf, dass sie in die Höhe kam, sich bewegen musste. Mühsam stemmte sie sich mit ihren 92 Kilos hoch, schnaufte und schwitzte dabei. Zuerst verzog sie die Nase, weil sie sich selbst riechen konnte, dann stieß sie mit dem Knöchel auch noch an den Couchtisch.

„Au!“, fluchte sie laut und schwor sich das hässlich massive Ding doch endlich einmal zu entsorgen. Aber wo sollte sie dann ihre Beine ablegen, wenn sie wieder einmal auf der Couch lümmelte? Beine, die dazu neigten sich mit Wasser zu füllen, wenn sie in einem ungünstigen Winkel gelagert wurden. Bei dem Wort ‚gelagert‘ musste sie automatisch an einen großen Kühlraum mit grässlich anzusehenden Schweinebäuchen auf diversen Haken denken. Diese Gedankengeißelung war wohl die schlimmste Folter, die sie sich selbst antun konnte, doch sie lief automatisch ab, war eigentlich nie rechtzeitig zu bremsen. Manchmal hatte sie das Gefühl gar nichts ändern zu können und oft waren es eben die Kleinigkeiten, die Zeit und Substanz kosteten. Neben Traurigkeit, Enttäuschung und Frust.

Grimmig sah sie den Couchtisch an und wischte dann doch irgendwann das Bild vom Kühlhaus beiseite, ehe sie mit festen Schritten auf ihren alten Bildröhrenfernseher zustapfte. Von LED oder Plasma war der so weit entfernt wie sie von einem Miss-Universum-Titel. Bei dem Gedanken lachte sie zwar kurz auf, aber ohne jeden Funken Humor. Eine Frau wie sie konnte schließlich alles verhässlichen … selbst ein Lachen.

Ihre Faust krachte auf den oberen Rand des klobigen Fernsehapparats und das Bild wurde tatsächlich wieder stabil. Der Trick mit dem Schlag hatte bisher immer funktioniert. Allerdings ärgerte sie sich, dass sie überhaupt aufstehen hatte müssen.

„Das ist für dich!“, ätzte sie und knallte ihre Faust erneut auf den oberen Rand des Geräts. Irgendwer oder irgendwas musste endlich auch mal bezahlen! „Weil du mich so ärgerst und zum Aufstehen gebracht hast!“ Das Bild flimmerte kurz, stabilisierte sich dann aber wieder. Allerdings schien sich dadurch der Kanal verstellt zu haben.

„Da machst du dir aber etwas vor! Das ist für dich!“, dröhnte es nämlich plötzlich dumpf aus dem alten Teil und Cindy meinte sich im ersten Moment verhört zu haben, weil der Spruch so passend klang. Gleich darauf kapierte sie aber, dass sich offenbar der Sender verstellt hatte.

„Blöder Zufall“, murmelte sie noch, ehe der Bildschirm plötzlich ein komisches Zischen von sich gab und vollkommen schwarz wurde.

„DAS-IST-JETZT-NICHT-WAHR!“, heulte sie hysterisch auf und war in ihrer Wut versucht das alte Ding einfach vom Kasten zu fegen. Kraft genug hatte sie ja. „Da hege und pflege ich dich und dann gibst du tatsächlich vor mir den Geist auf?“ Sie war fassungslos, wütend und empfand es wie einen Vertrauensbruch, sodass sie gar nicht bemerkte, wie sich ihre Fingernägel in den Handrücken der jeweils anderen Hand krallten. Manchmal passierten solch unkontrollierten Dinge und dann tat sie sich selbst weh, aber zum Glück hatte sie verlernt das wirklich zu spüren. Zum Glück? Alleine das Wort war ja schon ein Witz, denn sie hatte kein Glück. NIE.

Der schwarze Bildschirm zischte erneut, veränderte das Bild und zeigte plötzlich eine weiße Schrift am rechten, äußeren Rand, die wie aus dem schwarzen Nichts aufgetaucht war. Cindy starrte überrascht auf den Schirm, als diese Schrift sich langsam, wie zähe Masse, von rechts nach links zu schieben begann und sich dabei leicht ausdehnte, als wäre sie aus Gummi. Falsche Richtung … dachte sie komischer Weise, bevor sie überhaupt zu lesen begann. Das Lesen selbst passierte dann eigentlich automatisch, denn wozu sonst war Text am Fernseher da? Bilder mussten geguckt werden, Texte gelesen. Das Prinzip war recht einfach, das MUSS für schwache Gemüter eine Folge.

„Vielleicht ein Sendeausfall“, murmelt sie kurz, dann versuchte sie wieder die ersten Buchstaben der weißen Linie zu erhaschen und fing konzentriert und laut zu lesen an. „Es war einmal …“, murmelte sie und zuckte innerlich zusammen, weil die Worte ein sehr komisches Gefühl in ihr auslösten. Ihr Hals wurde trocken, ihre Stimme heiser. Dennoch starrte sie gebannt weiter auf die bewegte Schrift, weil dieses „Es war einmal …“ sich mit etwas schwarzem Abstand zu wiederholen begann. Und dann noch einmal. Wie, um ihre Aufmerksamkeit vollständig einzufordern.

„Das gibt’s doch nicht. Was ist hier los?“, keuchte sie und sah kurz mit einem Rundumblick durch ihre Wohnung. Gerade eben noch hatte sie sich über den Beginn von Märchen lustig gemacht und dann erschien genau dieser Text am Bildschirm?

„Versteckte Kamera, oder was?“, rief sie aufgebracht und versuchte vermeintliche Einbrecher oder versteckte Webcams zu entdecken. Was schlicht lächerlich war und auch zu nichts führte. Denn, natürlich waren da keine Cams versteckt! Warum auch? Schließlich interessierte sich niemand für sie!

Trotzdem war das TV-Gerät gerade komisch und der Spruch ebenfalls. Cindy überlegte, aber sie wusste, sie war nicht eingenickt und träumte auch nicht. Nein, nein. Sie war munter, halbwegs bei Verstand und mit ihrem Fernsehapparat völlig alleine in ihrer Wohnung. DAS war die Tatsache und die Situation. Allerdings verstärkte diese Erkenntnis das flattrige Gefühl in ihrem Bauch nur umso mehr.

Aber es war auch noch nicht vorbei! Die Schrift veränderte sich weiter, wurde ein wenig krakeliger. Dafür blieb der Satz nun in der Mitte des Geräts stehen und bewegte sich nicht mehr … was schon ziemlich unheimlich war und Cindy Gänsehaut bescherte. Besonders die krakelige Verzerrung wurde immer schauriger. Fehlte noch ein wenig Horrormusik und der Gruseleffekt wäre perfekt gewesen. Cindy überlegte kurz das Gerät auszuschalten, bemerkte aber zeitgleich ein leichtes Kribbeln, das von dort auszugehen schien. Wie ein Sog oder eine magnetische Anziehung, die sie zu spüren bekam. Und das machte sie natürlich neugierig. Also ließ sie den Apparat eingeschaltet und blieb noch etwas stehen, um die Metamorphose jedes einzelnen Buchstaben zu betrachten. Wobei die Situation schon sehr ungewöhnlich und verrückt war.

„Merkwürdig“, murmelt sie noch und hatte dennoch dieses kribbelige Gefühl, das ihr irgendwie suggerierte, gleich einen großen Gewinn einsacken zu können. Die Buchstaben verzerrten sich indes weiter, waren immer grässlicher anzusehen und veränderten selbst ihre Bedeutung. Drei neue Worte wurden geformt, allerdings wie es schien, nur aus den bestehenden Buchstaben. Dann veränderten sie sich weiter und bildeten wieder neue. Zuerst langsam und dann immer schneller. Cindy starrte wie in Trance, hatte ihren Mund offen und betrachtete die neuen Worte, bis sich ganze Sätze herauskristallisierten.

Dann setzte sie sich irgendwann auf den Boden und ließ sich nur noch berieseln, starrte weiter auf den schwarzen Fernseher, wo weiße Buchstaben sich ständig schneller veränderten und bereits wie Zahlencodes über den Bildschirm rasselten. Ihre Augen tränten, ihr Mund war halb geöffnet und sonderte Speichel ab. Cindy bemerkte es nicht, saß nur da und starrte auf die ehemaligen Worte „Es war einmal…“, die sich binnen Sekunden zu anderen Worten und Sätzen bildeten. Die Flut an Information dahinter oder das, worum es eigentlich ging, bekam sie nicht mit, denn schon mit den einleitenden Worten war sie längst in einen anderen Bewusstseinszustand geschleudert worden.

Phasenweise meinte sie eine Stimme zu hören, dann wiederum nichts als Rauschen. Ihr Hintern schmerzte vom harten Untergrund und ihre Beine füllten sich gerade mit Wasser, weil sie zu abgewinkelt saß. Doch Cindy hatte die Kontrolle über ihren Körper verloren, ließ sich mental füttern und bearbeiten und … tauchte tief ein in eine Welt aus Schwarz und Weiß.

Nach zwei Stunden meinte sie zum ersten Mal zu blinzeln, auch wenn das rein körperlich nicht möglich war. Ihr Körper fühlte sich kalt und starr an, ihre Augen tränten. Sie ächzte leise, konnte sich aber noch nicht wirklich bewegen. Auf ihrem Fernsehgerät blinkte indes ein kleines Feld und schien mit der Heftigkeit dieses Blinkens etwas von ihr einzufordern. Es war ein viereckiges Kästchen mit einer Linie aus Punkten darin. So wie bei einem Formular, wo man eine Nummer eintragen musste oder einen Namen. Vermutlich war es so eine Art Bestätigung für „Text gelesen“ oder so. Doch Cindy wusste eigentlich nichts mehr von den letzten zwei Stunden, fühlte nur Kälte in ihrem Körper und blinzelte ständig, um das Brennen ihrer Augen unter Kontrolle zu bringen.

Dann allerdings spürte sie sich wieder etwas mehr und die wahren Schmerzen setzten ein! Ihre Beine brannten wie die Hölle und waren mittlerweile doppelt so dick. Ihr Hintern schmerzte, als hätte sie drei Tage hier am Boden gesessen und allem Anschein nach hatte sie sich irgendwann in die Zunge gebissen, denn sie schmeckte Blut. Dazu schlug ihr Herz viel zu wild und schnell.

„Heilige Scheiße! Wie soll ich hier je wieder ohne Herzinfarkt hochkommen?“, ächzte sie, als das blinkende Ding am Bildschirm noch eindringlicher wurde. Dabei wurde es gar nicht größer oder blinkte schneller, es wurde nur irgendwie … intensiver.

„Jetzt mach schon!“, forderte eine dumpfe Stimme aus dem Fernsehapparat, die in Cindys Kopf laut und penetrant wirkte.

„Was?“, krächzte sie überfordert und fragte damit allen Ernstes nach. Als könnte sie mit dem Fernsehapparat sprechen! Wie verrückt war das denn? Eigentlich war klar, dass das Ding kaputt sein musste oder falsch funktionierte. Oder, dass hinter diesem schwarzen Bild mit dem blinkenden weißen Feld eine Sendung mit Ton lief. Warum sonst sollte sie plötzlich eine Stimme hören?

„Jetzt lege schon deine Hand darauf! Vertraue mir!“, flüsterte die Stimme und Cindy fühlte ein Flattern im Magen, das schon an Schmerzen grenzte. So etwas derart Unheimliches gab es doch im normalen Leben nicht! Und das hier hatte gerade etwas ziemlich Krasses von ‚Big brother is watching you‘. Cindy hatte Angst, wenn auch nicht mehr vor einem drohenden Herzinfarkt oder der Möglichkeit, hier nie wieder in die Höhe zu kommen. Sie hatte schlicht und ergreifend Angst vor ihrem verdammten Fernsehgerät.

„Ich weiß nicht …“, murmelte sie verdattert.

„Papperlapapp! Du hast ein Handy. Du weißt wie das funktioniert! Finger aufs Display und los geht‘s!“

„Das ist doch …“, ächzte sie überfordert und versuchte eine Erklärung zu finden. „… ein alter Bildröhren…“. Zu mehr kam sie jedoch nicht, denn die fremde Stimme hinter all der Dunkelheit unterbrach sie knallhart und kippte erstmals in ihre wahre Lautstärke. Sie schwoll an zu einem lauten Orkan, schien aus mehreren Stimmen gleichzeitig zu bestehen und war so furchteinflößend, dass Cindy gar nichts mehr sagen oder denken konnte.

„Tu gefälligst, was ich dir sage!“, brüllte es da ungeduldig aus ihrem Fernsehapparat und auch wenn der Grund fragwürdig war, so war es doch die Befehlsgewalt dieser Stimme, die auch noch das letzte Fünkchen logischer Überlegung bei Cindy eliminierte. Ein Teil von ihr sträubte sich zwar und ihre Angst war größer denn je, aber ein anderer Teil handelte vollkommen automatisch und machte genau das, was die Stimme sagte. Es war ein Reflex, antrainiert aus ihrer Kindheit, wo sie gelernt hatte das zu tun, was größere, mächtigere Personen von ihr verlangten. Im Gegensatz zum Automatismus war dieser Reflex eben eine Reaktion auf einen Reiz. Und in ihrem Fall war dieser Reiz die Macht des Stärkeren. Selbst, wenn es – im jetzigen Fall – ein dämlicher Fernsehapparat war.

Cindy legte also ihre Handfläche auf das blinkende Kästchen am Bildschirm, spürte kurz ein Knistern und bekam dann einen derart heftigen Stromschlag, dass sie augenblicklich das Bewusstsein verlor.

Drei Tage später erwachte sie, weil es an ihrer Tür klingelte.

„Einschreiben für Frau Wallenstein“, tönte es da ungeduldig, während noch einmal die Türklingel betätigt wurde. Cindy sprang verschlafen vom Boden auf, hielt sich kurz den Kopf und sprintete dann zur Tür. Einen Moment wunderte sie sich warum sie im Wohnzimmer am Boden eingeschlafen war, aber da klingelte der Wicht doch tatsächlich noch einmal. Unverschämtheit, dachte sie und öffnete just in dem Moment die Tür, als der Mann gerade gehen wollte.

„Halt, halt! Ich bin ja schon da! Wo muss ich unterschreiben?“, fragte sie und der Postbeamte drehte auf dem Absatz um.

„Oh“, meinte er nur kurz, sah sie komisch an und hielt ihr ein Schreiben vor die Nase. „Hier, bitte!“, meinte er und räusperte sich kurz. „Sind Sie neu hier eingezogen?“, fragte er dann mit einem Blick, den Cindy nicht deuten konnte. Den Postboten hatte sie auch noch nie gesehen. Außerdem hatte sie gelernt nicht auf solche persönlichen Fragen einzugehen. Schnell senkte sie daher den Blick und sah wieder auf das Schreiben und das elektronische Ding, auf dem sie unterschreiben sollte. Cindy Wallenstein … der Name war wirklich einen Lacher wert. Also lächelte sie dem Mann sogar kurz zu, schnappte sich das Kuvert und verabschiedete sich.

Ein wenig blieb der junge Postbeamte noch stehen und starrte von der Unterschrift zu ihr und wieder zurück. Doch für Gaffer hatte Cindy noch nie viel übergehabt. Sie lächelte ihm daher kurz verkrampft entgegen und knallte dann schnell die Tür zu, ehe er irgendeine blöde Bemerkung über ihre Fettleibigkeit machen konnte. Ebenso schnell drehte sie auch den Schlüssel ein paar Mal um und versperrte so demonstrativ den Weg zu ihrem Reich. Einen kurzen Blick durch den Türspion riskierte sie dennoch, weil der Mann gar so belämmert geguckt hatte. Sie sah ihn auch noch kurz mit großen Augen vor ihrer Tür stehen, ehe er den Kopf schüttelte und dann seines Weges ging.

Cindy hatte gelernt so abweisend zu reagieren und scheinbar harmlosen Fragen auszuweichen. Allzu oft hatte sie schon erlebt, dass sie letztendlich doch nur geschickte Tarnung waren, um Spott über sie zu ergießen … über die fette, alte Jungfrau.

Sie seufzte tief und schloss für einen Moment die Augen. Doch das, was sie gerade empfand, war nicht wie immer. Der drohende Spott fühlte sich nicht mehr so gefährlich an und die unschönen Bezeichnungen, die sie selbst immer für sich fand, schienen irgendwie falsch zu sein. Wenn sie ehrlich war, empfand sie gerade ALLES irgendwie anders. Eigenartig und unwahr, einfach nicht stimmig. Cindy öffnete ihre Augen und stellte noch etwas anderes fest: Sie fühlte sich klarer und mit einer ungewohnten Portion Kampfgeist gesegnet. Als hätte sie irgendwo Kraft getankt oder einen kleinen Zaubertrunk konsumiert. Auf versteckte Gehässigkeiten hatte sie jedenfalls keine Lust mehr. Und zwar nie wieder! Den gaffenden Postbeamten hatte sie zwar ignoriert, aber so cool und freundlich behandelt wie nie zuvor. Das wurde ihr mit einem Mal sonnenklar und sie war ganz aufgeregt, wie gut sie die Situation gemeistert hatte. Cindy hatte ihm sogar ein verkrampftes Lächeln geschenkt und das, obwohl sie mit einer Lacheinlage seinerseits gerechnet hatte. Ja, auf ihr neues Verhalten war sie stolz, denn im Normalfall wäre sie beim ersten längeren Blickkontakt wie ein geprügelter Hund davongelaufen. Man konnte die Fragen und Blicke der anderen auf viele Arten ignorieren, doch so, wie sie es eben geschafft hatte – souverän und cool – war es richtig. Und das mit der Verkrampfung würde sie auch noch hinbekommen und irgendwann locker und leicht lächeln. Ja, das spürte sich gut an.

Es spürt sich etwas gut an? Einen Moment blinzelte sie verwirrt, denn das Gefühl war neu, oder zumindest schon wirklich lange her, dass sie es bewusst wahrgenommen hatte. Überhaupt schien sich ihre ganze Energie verändert zu haben, war deutlich leichter und zugleich kraftvoller. Als hätte sie gut geschlafen und eine Überdosis Vitamin D oder andere Glückshormone zu sich genommen. Sie hatte ja noch nicht mal das Bedürfnis nach Selbstzerfleischung! Wenn sie ehrlich war, fühlte sie sich sogar großartig und konnte die letzten Tage ihres furchtbar grüblerischen Zustands gar nicht verstehen. Warum war sie eigentlich immer so niedergedrückt gewesen? Nur weil sie übergewichtig war und alleine? Na und? Rom wurde schließlich auch nicht an einem Tag erbaut … lachte sie in sich hinein. Und sie lachte gleich darauf wirklich laut. Der träge, emotionale Sumpf aus Frust und Traurigkeit war nicht länger zu fühlen, aber auch ihre Wut war irgendwie verschwunden.

„Sowas!“, stellte sie überrascht fest und labte sich an einer Frische in ihrem Herzen, wie sie es schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gespürt hatte. Sie fühlte sich jung, schön und frei. Außerdem rief sie sich gerade in Erinnerung, wie schnell sie doch eigentlich in die Höhe gekommen war und ohne Schnaufen zur Tür gesprintet war. Das Interessante an all dem war jedoch, dass sie alles zuerst spürte, ehe sie auch nur auf die Idee kam, sich einmal genauer zu betrachten. Doch dann irgendwann … sah sie endlich bewusst an sich herunter.

Und staunte. Ehe der Schock einsetzte und sie zu keuchen begann. Gleich darauf wurde ihr schwindelig und sie hielt sich an ihrer Garderobe fest, um nicht zu fallen. Sie atmete hektisch und musste sich bewegen. Aufgeregt taumelte sie dann durch ihr Vorzimmer in Richtung Bad, sah weder rechts noch links, wollte nur schnell vorwärtskommen. Als könnte sie vor dieser krassen Veränderung davonlaufen!

„Das ist … unmöglich …“, krächzte sie und handelte sich an der Mauer vorwärts, bis sie im Bad vor dem großen Spiegel zu stehen kam. Dort dröhnte ihr Herzschlag in den Ohren und sie zitterte am ganzen Leib, aber das, was den Schock letztendlich wirklich vergrößerte, war der erste Blick in den Spiegel und … ihr eigener Anblick. Das Blut pumpte plötzlich rasend schnell durch ihren Körper und in ihren Ohren hörte sie ein singendes Geräusch, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen oder einen Tinnitus bekommen. Dann begann sie noch viel mehr am ganzen Körper zu zittern. Als würde Energie von oben nach unten und dann wieder von unten nach oben wandern. Wellenförmig und stark. Einzig ihre Augen waren nicht in Bewegung, blieben starr und weit aufgerissen, waren fassungslos und fixierten doch das zitternde Etwas im Spiegel. Wie in einem Horrorfilm.

Denn … alles war anders als sonst.

ALLES.

Cindy war fassungslos, ungläubig und doch voller Staunen. Sie sah in diesem Spiegel etwas, das nicht sein konnte und fühlte doch zugleich diesen herrlich Funken Hoffnung. Hoffnung auf … ein Wunder, ein Geschenk oder schlicht auf Echtheit.

Cindy fuhr sich über die Arme und übers Gesicht, machte Grimassen und begann zu lachen und zu weinen. Dann schluchzte sie und fiel auf die Knie, heulte und gab noch andere komische Geräusche von sich, vor Freude und Unverständnis, womöglich auch vor Verzückung. Hysterie und Staunen lieferten sich einen Schlagabtausch nach dem anderen und dazwischen starrte sie immer wieder wie gebannt auf ihr Spiegelbild und damit auf ihr NEUES ICH.

Es dauerte dennoch eine Weile, bis sie kapierte, dass sie nicht träumte oder gar den Verstand verloren hatte. Sie erinnerte sich sogar an die seltsame Fehlfunktion ihres alten Fernsehapparats und an diesen wirklich elend schmerzhaften Stromstoß, der ihr bis in die Eingeweide gefahren war und ihren Körper förmlich von innen heraus gegrillt hatte. Einen Moment war sie sicher gewesen zu sterben, alles hinter sich lassen zu können und nie wieder erwachen zu müssen, … bevor sie bewusstlos geworden war und nichts mehr gespürt oder gefühlt hatte.

Eine Stimme war ihr noch in Erinnerung. Zuerst war sie flüsternd und subtil gewesen, dann eindringlich, machtvoll und wirklich laut. Und dann hatte sie irgendetwas unterschrieben. Mit ihrem Handabdruck. Auf dem Bildschirm? Wie verrückt ist das denn? Sie hätte sich selbst wohl für bescheuert erklärt, wenn die anderen Fakten nicht so eindeutig für eine ungewöhnliche Situation gesprochen hätten. Für eine sehr, sehr ungewöhnliche Situation. Es war nämlich so: Cindy hatte sich körperlich vollkommen verändert und das nicht gerade im herkömmlichen Sinn. Gewandelt traf es wohl eher, denn sie hatte gut vierzig Kilo abgenommen, keine Falten davon und ein schönes Gesicht.

Es war vollkommen unerklärlich. Nein, eigentlich UNMÖGLICH und doch wusste sie nach einer gewissen Zeit, dass sie nicht träumte und auch nicht gestorben war. Das Erscheinen des Postbeamten alleine war ja schon ein Beweis von relativer Normalität … zumindest in ihrem Umfeld. Ebenso wie der Brief, den sie entgegengenommen und nun auf das Waschbecken gelegt hatte, weil sie sich so besser im Spiegel betrachten konnte. Auch ihre Wohnung hatte sich nicht verändert, war in ihrer dumpfen, abgewohnten Hässlichkeit so geblieben, wie sie immer gewesen war. Es lag auch noch jedes Ding dort, wo es hingehörte oder wo es – wegen Cindys Hang zur Unordnung – eben nicht hingehörte. Das ganze Rundherum wirkte wie immer, aber was sie und ihren Körper betraf, war einfach alles nur noch … fantastisch.

Immer wieder musste sie ihren Körper berühren, über ihr Gesicht streichen, die Zähne begutachten, das braune, halblange Haar durchwuscheln. Sie grinste, machte weiterhin Grimassen, zwickte sich in den Oberarm und hob immer wieder vorsichtig ihr schlabbriges T-Shirt, weil sie DEN Teil noch am wenigsten glauben konnte.

Tatsächlich alles echt … dachte sie, ehe sie geistesgegenwärtig ihr Handy holte und sogar ein paar Fotos machte. Nur, um später sicher zu gehen, dass sie nicht doch verrückt geworden war und DAS HIER wirklich passierte. Aber sie zog sich nicht aus. Noch nicht … dachte sie, weil sie Angst hatte etwas zu entdecken, das wie ein Reset-Knopf oder ein Return-Schalter aussehen könnte. Irgendetwas halt, das alles wieder rückgängig machen würde. Wenigstens hob sie immer wieder ihr schlabbriges Shirt und machte Fotos von ihrem flachen Bauch.

Langsam … dachte sie ständig. Nur nichts überstürzen, nichts verlieren oder verbocken. Als könnte eine einzige falsche Bewegung oder ein Blick wieder alles zunichtemachen. Denn, auch wenn es unlogisch und unmöglich war, … sie wollte, dass das ‚Unmögliche‘ blieb. Bleib! Sei echt! Lass es wahr sein! All das dachte sie in einem fort und fotografierte dabei immer wieder ihr Gesicht und ihre dünnen Ärmchen. Es war einfach herrlich, unbeschreiblich, ekstatisch und dennoch auch mit dieser Angst verbunden und dem Mangel an Vertrauen. Noch getraute sie sich nicht ihr viel zu groß gewordenes Gewand abzulegen. Das T-Shirt hing rechts und links von ihr herab, als wären die Ärmel nun zu riesigen Flügeln geworden. Die einst enge Stretch-Jean war mehr als locker und mit dem Gürtel so festgezogen, dass es komisch aussah. Wenigstens war ihr dadurch die Hose beim Sprint zur Tür nicht gleich heruntergerutscht. Sonst hätte der Postbeamte nicht nur komisch geguckt, sondern wäre wohl gleich aus seinen Schuhen gekippt.

Hallo, hier ist die neue Cindy und ich trage meine Hose nur noch bei den Knöcheln“, veräppelte sie sich und kicherte von Herzen, weil die Vorstellung zur Szene so fantastisch war. Alleine solch ein Kichern war ja schon eine Ewigkeit her! Jetzt verstand sie auch, warum der Mann sie so seltsam angesehen und irgendetwas gefragt hatte. Er hatte sie gar nicht provozieren wollen, sondern sie wirklich noch nie zuvor gesehen. Wie auch? Eine Cindy in halber und dazu perfekter Portion hatte es bisher noch nie gegeben.

Wird der Postbeamte deswegen Alarm schlagen? Sie überlegte kurz und horchte in sich hinein. Doch auch nach ein paar Sekunden wollte sich kein wirklich mulmiges Gefühl einstellen. Aber nein … beruhigte sie sich. Sie lebte in einer Großstadt und verschwand in der Anonymität der riesigen Wohnanlage. Als Unsichtbare noch viel mehr. Natürlich war das auch ein Widerspruch, weil sie zugleich als fetteste Frau des Wohnblocks verschrien war, aber sie hatte über die Jahre gelernt Hauptwege und Ballungszentren zu meiden und die richtigen Zeiten für ihre Wege zu wählen. Manchmal war sie sich dabei sogar wie eine (recht runde) Ninja Kriegerin vorgekommen, die tatsächlich unsichtbar wurde, weil sie eben nicht gesehen werden wollte. Als hätte sie eine unsichtbare Schutzhülle errichtet, um mögliche Gefahren schon im Vorfeld abzulenken. So war sie im Laufe der Zeit wohl mehr eine Legende geworden, als ein lebendiger Beweis für ihre Existenz. Die Angst vor Demütigung war ihr täglicher Begleiter gewesen und so war sie, trotz ihrer Auffälligkeit, geschickt ausgewichen, hatte stets woanders eingekauft und sich in ihrer Wohnung verkrochen. Selbst ihren Nachbarn im gleichen Stock war sie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr begegnet, weil sie immer rechtzeitig auf kleinste Geräusche reagiert hatte. Schlüsselgeräusche oder Stimmen in Türnähe hatten sie immer dazu veranlasst in Deckung zu gehen, zuzuwarten oder schlicht wieder umzudrehen. Selbst diesen Nachbarn würde es daher nicht auffallen, wenn die dicke Frau irgendwann gar nicht mehr da war. Egal, ob die schlanke Version nun ein neuer Mensch und frisch eingezogen oder gar dieselbe Person war.

Dieselbe Person … kicherte sie leise und hielt sich kurz vor Vergnügen den Mund. Mit einer Turbodiät, oder wie? Immer noch lächelnd schüttelte sie den Kopf. Wenn die Leute wüssten! Dann würde sich niemand mehr je einen schicken Flat-TV kaufen, sondern nur noch alte Flimmerdinger. Schließlich können die Wunder bewirken! Doch sie würde sich hüten irgendjemandem etwas davon zu erzählen! Den Leuten war sie doch sowieso egal und warum sollte sie solch ein Ereignis an die große Glocke hängen? In ihren Augen hatte niemand ihr Wohlwollen verdient und die Wahrheit in diesem speziellen Fall auch nicht.

Was ihren Arbeitsplatz anging, sah es freilich anders aus, denn DORT kannte man sie. Hier als ‚neue Cindy‘ aufzutauchen war ohne Erklärung schlicht unmöglich. Aber was sollte sie erzählen? Die Verzweiflung, die bei diesem Gedanken hochkam, brachte ihren Atemrhythmus ganz schön durcheinander und dämmte ihr euphorisches Gefühl. Was nur zur Folge hatte, dass sie jeden weiteren Gedanken an ihr bisheriges Leben und ihre Arbeit sofort wieder abwürgte. Sie wollte sich jetzt nicht damit auseinandersetzen oder gar Probleme wälzen, sondern sich ausschließlich dem neuen Geschenk – also ihrem Körper – widmen. Probleme hatte sie schließlich schon über vierzig Jahre lang gehabt, aber nun war endlich mal das Richtige für sie passiert und die Zeit zu leben angebrochen! Endlich, endlich, endlich, kreischte es regelrecht durch ihren Kopf. Jetzt konnte das wahre Leben starten und der Genuss beginnen, überhaupt am Leben zu sein.

Wie auch immer die Wandlung also passiert sein mochte – sicherheitshalber sah sie noch einmal begierig in den Spiegel – sie sah ihren Zustand als richtig große Chance, die sie auskosten wollte.

Für immer.

Sie musste sich nur erst einmal beruhigen und viel, viel ausführlich betrachten. Allmählich hielt sie es auch nicht mehr aus mit dem grässlichen Gewand vor dem Spiegel zu stehen und ihren perfekten Körper durch diesen Schlabberlook zu betrachten. Es waren ja auch schon einige Minuten vergangen und der Zauber hatte gehalten, sodass sie davon ausging, auch noch länger schlank verwandelt zu bleiben. Ich riskiere es!

Zuerst fiel das T-Shirt, dann die Hose, dann die lächerlich grausige Unterwäsche. Der übergroße Slip war ihr einfach heruntergerutscht und der BH hatte sich auch verselbständigt. Alleine die Wäsche war ja schon Zeugnis dafür, dass sie bisher in einem völlig anderen Körper festgesteckt hatte. Nein … ich träume das nicht und NEIN, ich bin nicht verrückt oder tot. Zu dieser Erkenntnis kam sie mit jeder weiteren Minute und mit jedem Zentimeter nackter Haut. Wie paralysiert betrachtete sie sich nun noch einmal ‚ohne allem‘ im Spiegel, war voller Ehrfurcht und Bewunderung. DAS bin ich … lachte sie glücklich, drehte sich und wackelte mit ihrem perfekten Herzpopo. Dabei fühlte sie eine Richtigkeit, als wäre ihr Leben davor sowieso nur eine einzige Lüge gewesen. Es gab auch keinen Reset-Knopf oder eine Return-Taste. Nichts verschob sich da, verformte sich wie Kaugummi oder ploppte plötzlich wieder fett auf. Nein! Alles war straff und stabil … und eine Wucht.

Cindy war wie gebannt und zugleich völlig aus dem Häuschen. Sie erkannte auch ein paar typische Merkmale, die eine starke Ähnlichkeit zu ihrem „alten“ Körper hatten. Muttermale, Zehenformen, Augen. So etwas in der Art eben. Allerdings waren ihre Zähne jetzt perfekt, der Busen ebenso und Bauch, Bein, Po zu einem wahren Traum mutiert. Sie wusste nicht was passiert war und sie wusste auch nicht, ob sie für den Rest ihres Lebens so weiterleben durfte, aber sie hatte jetzt verschiedenste Stadien von Emotionen im Schnelldurchlauf durchlebt. Vom ersten Schock über Ungläubigkeit, hin zu Freude, Misstrauen, dann wieder Euphorie und letztendlich auch Akzeptanz. All das hatte wie ein Feuerwerk in ihrem Inneren getobt, war ein wahrer Dauerbeschuss von Emotionen gewesen und hatte sie erschöpft, aber letztendlich auch zu Dankbarkeit und Frieden geführt. Selbst wenn dieser Zustand nur eine paar weitere Minuten oder Stunden andauern sollte, war es das Glücksgefühl allemal wert, das sie gerade empfand.

Sie beschloss daher diesen Körper anzunehmen, egal welche Konsequenzen es mit sich bringen sollte. Falls es überhaupt Konsequenzen geben sollte, denn sie glaubte an eine zweite Chance und wollte ausschließlich positiv denken. Jetzt endlich würde das wahre Leben beginnen! Mit einem Traumkörper, wie diesen … lachte sie still in sich hinein und brüllte gleich darauf ein lautes „JA, JA, JA, JA!!!!“ wie eine Gewehrsalve durch ihr Badezimmer.

Nach einer Weile hatte sie sich mit dieser unglaublichen Veränderung arrangiert, hörte auf sich zu drehen, zu wenden und alles bis ins Detail zu begutachten. Jemand oder etwas hatte ihre gesamte Gestalt verändert und scheinbar auch gleich ihr Wesen von einigem Ballast befreit. Die dumpfe Depression, das Niedergedrücktsein, die Verzweiflung … all das war wie weggeblasen und hatte einer Leichtigkeit Platz gemacht, die sie ans Fliegen denken ließ. Und an Freiheit.

„40 Kilo weniger!“, lachte sie laut und hüpfte durch ihre ganze Wohnung. Sie bedankte sich sogar für die Umsicht, ihre Hose am Anfang enger geschnallt bekommen zu haben und sah genau diesen Umstand auch als Bestätigung, dass die Energie, die der Wandlung zugrunde lag, gut sein musste. Sie war ja auch durch und durch glücklich und um ihren Arbeitsplatz würde sie sich irgendwann später Gedanken machen. Schließlich hatte sie noch nie in ihrem Leben so intensiv empfunden oder ihren Körper derart toll und gesund gespürt. Sie hüpfte noch einmal zurück zum Badezimmerspiegel, drehte sich ein letztes Mal herum und nickte zufrieden, weil da immer noch keine Dellen, Falten oder Speckröllchen waren. Ich bin tatsächlich schön, dachte sie ehrfürchtig und explodierte fast vor Freude, weil sie das einfach nur noch fantastisch, wunderbar und großartig fand. Im Prinzip war sie zu einem völlig neuen Menschen umgeformt worden, obwohl sie sich immer noch ganz tief drinnen wie Cindy Wallenstein fühlte. Nur eben glücklich und schön.

Gestorben und wieder neu geboren … ging es ihr durch den Kopf, obwohl ihr das beinahe wie Blasphemie vorkam. Doch es war eigentlich der beste Vergleich. Hätte sie selbst in ihrem Alter so viel abgenommen, würde ihr die Haut nun bis zu den Oberschenkeln hängen und diverse Operationen notwendig werden. Abgesehen davon, dass die Reduktion nie so schnell gegangen wäre, hätte sie sich die unzähligen Operationen danach einfach nicht leisten können.

Schnell umfasste sie noch einmal ihre neuen, perfekt straffen Brüste und schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Es saß eben alles an der richtigen Stelle, wirkte gesund und deutlich jünger. Eine Tatsache, die nur mit starker Magie zu erklären war, oder doch mit einem Traum oder einem Schuss Wahnsinn. Sie lachte laut, weil sie an die Negativversionen nicht glaubte. DAS hier war einfach wie es war … ein neues Leben und super. So etwas konnte ausschließlich göttlicher oder dämonischer Natur sein.

Was? Sie überlegte kurz, weil ihr dieser Gedanke wie selbstverständlich gekommen war und ihr ein unangenehmes Gefühl bescherte. Dämonisch? Nein, nein! Für eine böse Sache spürte sich hier alles viel zu gut an. Viel zu GUT! Und das war ja bekanntlich das Gegenteil von BÖSE. In ihren Augen konnte doch bitte nichts Negatives solch ein geniales Wunder und Gefühl erzeugen, keine Art von Teufel sich etwas derart Schönes ausdenken oder gar leisten. Nein, nein, wiederholte sie in Gedanken und schob das mit den Dämonen gleich wieder zur Seite. Sie war glücklich und das war sie davor noch nie wirklich gewesen. Es war ein Geschenk. Ein wunderbar göttliches Geschenk. Anders konnte es nun einmal nicht sein. Bewusst zerdrückte sie den letzten Rest Zweifel, der sich wie ein dunkler Fleck in ihrer Seele angefühlt hatte und schnippte ihn aus ihrem Lichtfeld hinaus. Danach tanzte sie euphorisch aus dem Bad und war so voller Hoffnung und Freude, dass sie meinte vor Glück platzen zu müssen.

Ein Neubeginn … ging es ihr durch den Kopf und schob auch noch die letzten Bedenken zur Seite. Sie wollte nicht nachdenken, nicht das WARUM überlegen oder an der Veränderung zweifeln. Sie war dankbar und durch und durch erfüllt von einer Zuversicht, die sie ihr ganzes Leben lang nie gehabt hatte. Mit einem derart neuen Zustand war alles möglich. Sie würde die Welt aus den Angeln heben oder das Leben erst einmal ganz still und schlicht für sich neu entdecken.

Es war einmal … so hatte dieser neue Abschnitt begonnen. Sie lächelte glücklich und versuchte sich keinen Kopf zu machen, denn wie es enden würde, wussten sowieso nur die Sterne.

Die Nachwirkphase dauerte dann doch etwas länger als erwartet. Heulend vor Glück war sie wieder in ihr viel zu weites Gewand gestiegen, allerdings ohne Unterwäsche, und hatte sich den eingeschriebenen Brief geschnappt. Die erste Euphorie war ein wenig abgekühlt und der Endorphinrausch hatte sie erschöpft, obwohl sie natürlich immer noch sehr, sehr glücklich war. Dennoch war die Phase nach einem Rauschzustand wohl nie so toll wie der Rausch selbst. Also stellte sie sich nun innerlich auf mehr Ruhe ein und nahm auf ihrer Couch Platz, obgleich ihr vor dem durchgewetzten, farblosen Ding mittlerweile grauste. Die gewohnte Sitzgelegenheit bot eben keinen richtigen Anreiz mehr zur Entspannung oder gar zur Förderung ihres neuen Lebensgefühls.

Den Absender des Briefes kannte sie nicht. Johann Georg Azazel und seine Adresse waren ihr unbekannt. Der ganze Brief erschien ihr auch nicht wirklich wichtig. Sie war zwar ein wenig müde geworden, schwelgte aber auch jetzt noch in diesem neuen Zustand, der eigentlich viel unfassbarer und unwirklicher hätte sein müssen. So, als wäre das alles nur ein Betrug oder schlicht eine Sinnestäuschung. Das Komische aber daran war, dass sich alles stimmig und absolut gerechtfertigt anfühlte. Weiß der Kuckuck warum! Als stünde ihr dieser Teil des Kuchens schon die längste Zeit zu. Und wie auch nicht? Schließlich hatte sie mehr als vierzig Jahre im falschen Körper verplempert.

Das Papier unter ihren Fingern fing plötzlich an zu brennen und zu jucken. Als würde es sich durch den Wust ihres Glückstaumels in ihr Bewusstsein reklamieren. Cindy hatte zwar die Spitze der Euphorie hinter sich, schwebte aber immer noch förmlich auf einer imaginären Wolke, fühlte sich trunken vor Glück und Wohlbefinden, taumelte selbst im Sitzen wie durch einen Traum und war doch ganz wach. Das Jucken wurde stärker und sie sah den Brief richtig erbost an.

Wer stört? … hätte sie am liebsten gefragt und gab dem drängenden Impuls des leblosen Dings in ihrer Hand nach.

„Also gut!“, zischte sie und öffnete das Kuvert. Mit zwei Fingern holte sie den dicken Packen Papier daraus hervor und faltete ihn auf. Kurz blätterte sie darin herum und erkannte recht rasch, dass es sich um kein Formular oder eine Strafe handelte, sondern um einen Vertrag.

„Cindy Wallenstein verpflichtet sich hiermit …“, begann sie laut zu lesen und unterbrach sich gleich selbst mit einem lauten: „Was?“ Den plötzlichen Knoten in ihrem Brustkorb ignorierte sie und stürzte sich stattdessen, wie früher, auf ihre Wut.

„Ich habe nichts unterschrieben und mich auch zu nichts verpflichtet!“, blaffte sie das Papier an, als wäre es lebendig geworden oder hätte plötzlich Ohren bekommen. Sie fühlte sich überrollt und überfordert, schwelgte in Empörung und dem Gefühl ausgetrickst worden zu sein. Von irgendeinem Versicherungsheini, oder weiß der Teufel von wem. Schließlich las man immer wieder von betrügerischen und ausgefeilten Tricks, wie Verkaufsgenies neue Kunden köderten und verpflichteten. Beinahe fühlte sie die Wut so stark wie früher … mit dieser Enge in der Brust und der Übelkeit in ihrem Magen, dabei wusste sie doch eigentlich, dass dieses extreme Gefühl nicht mehr notwendig war. SIE war doch nun völlig anders und irgendwie frei geworden. Oder etwa nicht? Denn in diesem dicken Wisch stand etwas von Verpflichtungen!

Sie atmete tief durch, versuchte sich zu beruhigen. Dann las sie den Anfang der ersten Zeile noch einmal und schluckte hörbar, als ihr bewusst wurde, dass dies offenbar wirklich ein Vertrag war und, dass der – was für ein Zufall! – kurz nach ihrer extremen Veränderung bei ihr eingetrudelt war. Stimmt ja, murmelte sie in Gedanken. Es hatte sich gerade etwas Gravierendes in ihrem Leben verändert und das sollte sie wohl langsam auch mit diesem Brief in Zusammenhang bringen. Ihr Herzschlag verdoppelte sich automatisch, weil sie plötzlich so eine Ahnung hatte, hiermit nicht nur einen Vertrag, sondern vor allem die Rechnung präsentiert zu bekommen. Eine Rechnung, wo sie sich die Art der Bezahlung oder die Höhe erst gar nicht ausmalen wollte.

Hektisch begann sie weiter zu lesen.

„Cindy Wallenstein verpflichtet sich hiermit zu absolutem Gehorsam!“ Dieser Punkt leuchtete als fette Überschrift über den kaum lesbaren, kleinen Buchstaben des restlichen Vertrags. Cindy war eigentlich nicht weitsichtig, aber die Schriftgröße war schlicht ein Witz und selbst mit zusammengekniffenen Augen kaum lesbar. Fünf Punkt oder noch weniger, sicher keine normale Schriftgröße! Dazu war der Text in einer Schriftart gedruckt, die schwer lesbar war. Irgendwie verschnörkelt und doch mit harten Kanten.

„Puh, das wird mühsam!“, meinte sie überfordert, wusste aber, dass sie vor allem schon wegen der Überschrift ein mulmiges Gefühl hatte. GEHORSAM klang jetzt nicht gerade prickelnd und auch alles andere als göttlich und gut. Weiterlesen … mahnte sie sich selbst zur Ruhe und zur Konzentration. Sie wollte auch nicht gleich den Teufel an die Wand malen und immer noch vom Guten ausgehen.

„Dieser Vertrag wurde geschlossen zwischen Cindy Wallenstein und ihrem neuen Arbeitgeber, Johann Georg Azazel. Wie unschwer zu erkennen ist, wurde die körperliche Leistung bereits erbracht und zur vollsten Zufriedenheit ausgeführt. Die Transformationszeit von drei Tagen wurde eingehalten, der Brief im entsprechenden Zeitraum zugestellt.“

Was? Drei Tage? Mit offenem Mund senkte sie den dicken Packen Papier ab und warf einen schnellen Blick auf das Datum ihres Handys, wo sie sich die Bestätigung holte, dass tatsächlich drei Tage vergangen waren. Tage, die sie ausgeknipst gewesen sein musste. Dass sie so lange ohnmächtig in ihrem Wohnzimmer gelegen hatte, war ihr bisher nicht klar gewesen, aber offenbar hatte der Zauber diese Zeit nun einmal gebraucht. Schwerstarbeit … dachte sie, weil sie zwar mittlerweile an Wunder glaubte, aber ahnte, dass vierzig Kilo und die mörderisch schwere Depression eben kein Pappenstiel waren. Ebenso wenig wie das ganze Straffungsprogramm! Vermutlich waren drei Tage da gerade mal so das Minimum.

Glück gehabt, dass es überhaupt möglich war … dachte sie, obwohl sie verständlicher Weise seit der ersten Zeile und diesem ‚absoluten Gehorsam‘ immer noch ein unangenehmes Gefühl hatte. Dennoch holte sie sich den dicken Packen Papier wieder auf Augenhöhe, um weiterzulesen. Was sonst hätte sie auch tun können? Das Geschenk vielleicht wieder zurückgeben? NEVER … dachte sie nur, ehe sie sich wieder dem Text zuwandte. Einem Text, der fast schon abgedroschen klang, als würde er jeden Tag zigtausende Male über den Ladentisch gehen und Menschen an ein Geschäft binden. Zumindest wirkte alles sehr professionell und ausgeklügelt.

Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken und das mulmige Gefühl in ihrem Bauch wurde ein wenig unangenehmer, als sie genauer darüber nachdachte. Natürlich drängte sich so etwas wie ein teuflischer Pakt in ihre Gedankenwelt, aber noch schaffte sie es, diese Angst beiseite zu schieben. Allerdings fragte sie sich schon, wer von all den anderen Menschen, den Nachbarn und Arbeitskollegen, den Passanten oder Postbeamten dieser Welt, wohl bereits solch einen Pakt eingegangen war. Wenn das viele machen, wer ist dann noch echt oder in seinem ursprünglichen Zustand? Irgendwie verursachte das so einen seltsamen Beigeschmack von ‚Aliens sind unter uns‘ oder aber die halbe Menschheit war bereits ‚beim Teufel‘.

Doch auch diese Gedanken schüttelte sie schnell ab. Sie wollte diese Angst nicht fühlen, wollte an das Glücksgefühl von davor anknüpfen und weder Wut noch Angst jemals wieder zulassen. Also versuchte sie Nerven zu bewahren und weiterzulesen, auch wenn ihre Hände bereits zitterten.

„Im Gegenzug wurde Cindy Wallensteins bisheriges Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt und ihr neues Dienstverhältnis mit heute bestätigt. Eine persönliche Kündigung ist obsolet, lediglich der Vorstellungstermin beim neuen Arbeitgeber einzuhalten! Dieser findet am 06. Juni um 23.10 Uhr in der Feiststraße 15 statt. Weitere Angaben erhält Cindy Wallenstein vor Ort. Pünktlichkeit ist erforderlich!“ Cindy las die erste Passage noch einmal leise, wiederholte Punkt für Punkt, rubbelte sich über die Augen und griff mit plötzlichem Herzrasen zum Telefon. Wie sollte ihr alter Job ohne Gespräch mit ihrem Chef oder einer Unterschrift gekündigt sein? War ihr neuer Boss etwa Jurist und hatte sie entmündigt oder war das alles nur ein übler Scherz oder Teil des Zaubers?

Fürs Erste rief sie ihre langjährige Bürokollegin an. Sie musste sich einfach überzeugen, ob sie wirklich keinen Job mehr hatte und, ob die Welt da draußen überhaupt noch existierte oder sie selbst womöglich doch verrückt geworden war.

„Hallo, Annemarie! Ich wollte nur fragen …“, begann Cindy und wurde augenblicklich von einer Flut lästerlicher Schimpfwörter unterbrochen. Im ersten Moment verschlug es ihr den Atem, denn sie kapierte gar nichts, doch als sich ihre Arbeitskollegin wieder beruhigte, kamen auch klare Ansagen.

„Du wagst es noch hier anzurufen? Verschwindest von einem Tag auf den anderen, weil du abgeworben wurdest und lässt mich hier mit einer Menge Akten sitzen! Einfach, weil du ab jetzt angeblich eine Menge mehr Kohle verdienst. So etwas ist der pure Egoismus und das tut man keiner Kollegin an! Lässt mich hier auf einem Haufen Scheiße sitzen, machst keine Übergabe und wartest auch keine Nachfolgerin ab. Na vielen Dank, Miststück!“

„Aber ich …“

„Nichts aber! Wir zwei sind durch! So etwas ist unkollegial, asozial, gemein.“

„Schon, aber …“

„Ich bin fertig mit dir. Ruf hier nie wieder an und steck dir deine viele Kohle in deinen viel zu großen, fetten Arsch!“ Wumms. Damit legte die ehemalige Kollegin auf und ließ eine völlig verdatterte Cindy am anderen Ende zurück. Die konnte den Mund erst nach geraumer Zeit schließen und gar nicht fassen, dass offenbar alles aus dem Vertrag stimmte und sie nicht einmal mehr ins Büro gehen musste. So derart gemein hatte Anni auch noch nie mit ihr gesprochen! Aber es zeigte einmal mehr, dass die Menschen alle gleich waren. Eine winzig kleine Kleinigkeit und sie waren alle gemein oder zeigten ihren wahren Kern. Vermutlich hatte auch diese Kollegin sich ständig den Mund über Cindy, über ihr Aussehen (ihren Arsch!) und ihr Gewicht zerrissen. Allerdings hinter ihrem Rücken und nicht ganz so offensichtlich, wie die anderen. Was im Moment noch mehr Enttäuschung war, als wenn sie es vorher schon bemerkt hätte.

Ich werde trotzdem noch im Personalbüro anrufen, meinte sie traurig und bemerkte, wie ihr eine Träne über die Wange lief. Sie war schockiert und hatte alleine durch das Telefonat wieder solch einen intensiven Erinnerungsschub an ihr „altes Leben“, dass sie nicht nur wegen der Gemeinheit der ehemaligen Kollegin weinte, sondern vor allem um sich selber und darum, was sie doch alles in den letzten Jahren ertragen hatte. Ihre Vergangenheit war schwer und fühlte sich selbst im Nachhinein noch furchtbar an. Wie hatte sie nur so lange ein derart mieses und unglückliches Leben ausgehalten?

„Nein, ich telefoniere nicht noch einmal! Ich lese mir zuerst den Vertrag genauer durch!“, beschloss sie laut, legte das Handy aus der Hand und widmete sich wieder dem dicken Packen Papier. Sie hatte gerade erst einmal einen winzigen Absatz davon gelesen und war jetzt bereits schon total erschöpft, weshalb sie sich lieber über den Rest hermachen sollte, ehe sie es gar nicht mehr zusammenbrachte sich zu konzentrieren. Der Rest von dem Zeug würde vermutlich noch Stunden dauern.

Das Problem dabei war nur, dass ihre Augen offenbar nicht richtig scharf stellen konnten. Zumindest hatte sie bereits zum fünften Mal versucht, das erste Wort im zweiten Absatz zu verstehen. Entweder hatte sie alle ihre Gehirnzellen bei der Wandlung eingebüßt, oder aber um ihre Konzentration war es nicht allzu gut bestellt.

Sie versuchte es weiter, kämpfte sich vorwärts und las jedes Wort mindestens zehn Mal, ehe sie dessen Bedeutung so halbwegs erfassen und zum nächsten weiterspringen konnte. Dennoch bemerkte sie, dass sie kaum etwas wahrnahm und sich ähnlich fühlte, wie zu dem Zeitpunkt, wo ihr alter Fernsehapparat angefangen hatte zu spinnen. So innerlich überladen irgendwie und völlig überfordert.

„Blablabla … juristisches Kauderwelsch“, murmelte sie schließlich nach ein paar Minuten völlig fertig, atmete tief durch und versuchte es dennoch erneut. Schließlich ging es hier um ihr neues Leben. Oder auch nur um ihr Leben. Ein wenig kam sie weiter, aber es war ein kaum verständlicher Text. Er wirkte extrem verworren mit vielen Fremdwörtern und seltsamen Abkürzungen … und sie hasste es wegen jedem zweiten Wort in einem Fremdwörterlexikon nachzuschlagen, das sowieso gerade nicht griffbereit war. Überhaupt hasste sie Verträge. Dann erinnerte sie sich wieder an den ersten Absatz und wunderte sich, wie leicht sie den dafür lesen hatte können.

„Heute um 23.10 Uhr beginnt meine neue Arbeit und ich muss in die Feiststraße 15. Na super! Dabei habe ich noch nicht mal eine Ahnung, welche Arbeit das überhaupt ist. Hier steht vor allem … absoluter Gehorsam. Ts!“ Sie sprach es laut aus und wunderte sich dennoch, wie unwichtig ihr das letztendlich erschien und wie sehr ihr mittlerweile der Schädel brummte. Als hätte sie bereits den ganzen Papierkram in ihrer Hand durchgearbeitet, anstatt nur ständig ein paar Wörter oder gar nur den ersten Absatz zu wiederholen. Es war starke Magie im Spiel und natürlich hätte sie den Vertrag auf Biegen und Brechen prüfen müssen, aber es war ihr körperlich und geistig einfach nicht möglich. Dazu stellte sich mit jeder Minute mehr ein Gefühl von Gleichgültigkeit ein. Sie hatte einen wunderschönen Körper geschenkt bekommen und musste dafür arbeiten. Na und? Cindy versuchte ihre Bedenken erneut zur Seite zu schieben und den kurzen Quergedanken an Prostitution zu verdrängen. Allerdings musste sie sich auch jetzt wieder eingestehen, dass sie immer mehr an einen Pakt mit dem Teufel dachte. Wie auch nicht? Alles war scheinbar möglich, wenn jemand oder etwas die Macht besaß ihr Leben so derart umzukrempeln. Auch wenn sie es natürlich lieber einer guten, göttlichen Natur zuschieben wollte. Egal, ob da der Vertrag vermutlich lesbar gewesen wäre.

Sie konnte es drehen und wenden wie sie wollte: Im Moment war sie nicht in der Lage den Vertrag zu lesen und konnte nur hoffen, dass es hier keine negativen Folgen oder Forderungen gab. Warum auch nicht weiterhin an ein ‚bedingungsloses‘ Geschenk glauben? Sie mochte vielleicht nie ein wertvoller Mensch gewesen sein, aber sie war mit Sicherheit nie ein böser gewesen … außer sich selbst gegenüber. Ein Ende in Höllenqualen oder der Verlust ihrer Seele erschien ihr daher übertrieben und auch irgendwie veraltet. So etwas war doch nur im Mittelalter vorstellbar gewesen, wo das Gute immer einen extremen Gegenpart gebraucht hatte. Wo also die Menschen etwas konstruiert hatten, um Macht auszuüben. Die Dualität war doch angeblich sowieso am Schwinden und alles im Begriff zu einer neuen, leichteren Dimension überzugehen! Cindy hatte sich über diese angeblich hoch schwingende Veränderung bisher immer lustig gemacht, doch mit ihrer neuen Klarheit kam ihr das plötzlich alles nicht mehr ganz so hohl und dumm vor. Okay, womöglich war es auch nur eine Möglichkeit die Teufelsversion zu verdrängen. Aber sie hatte doch so oft schon mitbekommen, dass die Zeit von extremen Gegensätzen, wie Gut und Böse, längst vorbei war. Wobei, … wenn sie an die Ausbeuter dieser Welt, den Hass, den Fanatismus und die Kriege dachte, war das Böse offenbar noch nicht ganz von der Erde verschwunden.

Sie seufzte schwer und bemerkte, dass sie sich gedanklich immer noch im Kreis drehte. Dazu erinnerte sie sich auch wieder an die Stimme, die sie dazu aufgefordert hatte, endlich ihre Hand auf den Bildschirm zu legen. Diese tiefe Stimme war von erdiger, männlicher Natur gewesen, hatte hart und rücksichtslos gewirkt. Sogar auf subtile Weise erotisch. Also mit Sicherheit nichts, was an etwas Heiliges erinnert hätte, sondern eher an etwas, das Angst verbreiten konnte. Nämlich so richtig. Der Teufel … ging es ihr erneut durch den Kopf, obwohl sie den Begriff sofort wieder beiseite schob. Sie wollte an diese Möglichkeit nicht lange denken und keine Bilder heraufbeschwören, die Angst machten, sondern mit aller Kraft weiterhin an das Gute und Unkomplizierte glauben.

Warum hatte sie noch mal schnell ihre Hand auf den Bildschirm gelegt? Ach, ja! Sie war bedrängt worden, hatte Angst gehabt und das Gefühl nicht zu funktionieren oder peinlich zu sein, wenn sie die Hand nicht endlich richtig platzieren würde. So war das gewesen! Als hätte sie all die Qual der letzten Jahre, die Demütigungen und das Gefühl von Unzulänglichkeit in geballter Ladung zu spüren bekommen und dadurch nicht mehr wirklich nachgedacht, sondern nur reagiert. Ja, sie war dem Druck ausgewichen und hatte ihre Zustimmung gegeben. Zu was auch immer! Zu ALL DEM eben, einschließlich Vertrag mit allen Konsequenzen. Wozu ihn also noch lesen? War nicht sowieso alles gesagt? Und … hatte sie sich nicht sowieso längst verkauft?

Cindy atmete schnell und versuchte das kribbelige Gefühl zu verdrängen, das sie bei der Erinnerung an die Stimme durchzuckte. Irgendwer hatte sie zu einem Vertrag gedrängt, ihr quasi befohlen zu unterschreiben. Jemand mit einem eisernen Willen und einer magischen Macht, die jede Vorstellungskraft sprengte. Etwas Unangenehmes und doch Anziehendes. Wie viele Hinweise brauchte sie denn eigentlich noch? Sie mochte Angst haben und es vielleicht nicht wahrhaben wollen, doch eine derartige Wandlung, die ungewöhnliche Stimme und der unverständliche Vertrag waren doch deutliche Zeichen. Sie atmete tief durch und wollte sich nicht länger etwas vorzumachen.

Ich habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen … gestand sie sich schweren Herzens ein. Egal, wie unschuldig ich mich fühle oder wie wenig ‚böse‘.

2.Kapitel

Sie hatte es sich nicht so genial vorgestellt.

Bisher war EINKAUFEN für sie immer der absolute Horror gewesen, doch mit ihrem neuen Körper und den idealen Maßen, hätte sie am liebsten ein Vermögen ausgegeben. Nicht nur, dass sie mit einem tollen Aussehen gesegnet war und nun alles tragen konnte, war auch ihre ‚innere‘ Leichtigkeit einfach so unbeschreiblich erfüllend, dass sie ständig lächelte, mit den Verkäuferinnen scherzte und jede Sekunde ihres Daseins genoss. Aufgebrochen war sie in Schlabbersachen und eng zugeschnürter Hose, doch dieses Zeug hatte sie rasch gegen neue, einfache Sachen getauscht. Der dicke Trübsinn, die vielen Verletzungen, der Frust und die herbe Enttäuschung im Leben gänzlich versagt zu haben, … all das wurde für sie nun klar sichtbar. Als hätte sie einen anderen Blickwinkel oder gar den neuesten Röntgenblick abbekommen. Sie erkannte Reste ihrer alten, negativen Emotionen als dunkle, fäkale Substanz in ihrem Wesen. Oder in ihrer Aura. Was wusste sie schon von dem ganzen neuen Zeug und wie man es zu benennen hatte! Sie konnte es nur plötzlich deutlich erkennen. Und egal wie es hieß, … sie erkannte vor allem, dass sie viel größer war, als sie je für möglich gehalten hätte. Mit ihrer neuen Sichtweise war der Mensch eben mehr, als nur materieller Körper. Da war vor allem diese Energie um sie herum. Vermutlich um jeden, aber Cindy war sich vor allem ihrer eigenen bewusst und eben auch dem Rest ihrer Schatten von negativen Emotionen. Schattenarbeit, dachte sie und schickte sie noch im selben Moment des Erkennens fort. Zur gleichen Zeit entsorgte sie auf ganz realer Ebene ihre alten Kleidungsstücke und ersparte sich damit eine rituelle Verbrennung oder das Rausbrüllen irgendwelcher tiefsitzender Ängste.

Die meisten Schatten verschwanden, die Erinnerungen blieben. Vielleicht blitzten auch manchmal noch kleine, energetische Narben auf, denn mit den verblüfften Blicken der anderen konnte sie auch nach ihrer erfolgreichen Einkaufstour und der fantastischen Entsorgung ihrer Altlast und der Kleider noch nicht ganz unbekümmert umgehen. Sie trug nichts Auffälliges, lediglich Jeans und ein T-Shirt und doch sah sie darin aus wie ein Model. Schlank und elegant, gesund, sehr weiblich und sogar verführerisch. Es war also kein Wunder, wenn die Menschen – vor allem aber die Männer – ihr nachblickten. Sie wusste ja selbst, wie toll ihre Erscheinung mittlerweile war. Und doch war es ungewohnt. Früher waren solche Blicke ja auch negativer Natur gewesen und hatten sie oft bis ins Mark erschüttert! In ihren Augen hatte das sogar zusätzlich zum Frustessen beigetragen, weil sie sich einen dicken Panzer, also eine simple Schutzschicht aus Fett, angeeignet hatte. Ausgestoßene mussten schließlich irgendwie über die Runden kommen und Cindy hatte definitiv etwas gebraucht, wo sie sich und ihr Wesen verbergen und vergraben hatte können.

Im Nachhinein gesehen, war das nur zum Teil eine Ausrede, denn es war vor allem eine Tatsache. Sie war immer schon dick gewesen, aber fett war sie erst geworden, als sie mit dem Verhalten der anderen gar nicht mehr klargekommen war. Krankheit war nun einmal nicht logisch. Sich noch fetter zu machen und damit auch mehr Angriffsfläche zu bieten, war eigentlich selbstzerstörerisch, aber eben eine unbewusste und nach einer vermeintlichen Lösung suchende Handlung. Verzweiflung und Verstrickungen aus Angst. Und das mit dem Vergraben hätte ja fast geklappt, denn vor dieser Wandlung war sie ja bereits wirklich lebensmüde gewesen und hatte ihr Leben nur noch im Büro und zuhause verbracht. In meiner persönlichen Gruft, stellte sie erschüttert fest und fühlte zum ersten Mal tatsächlich so etwas wie Mitgefühl für sich selber.

Und dann, als alles erledigt war, straffte sie ihre Schultern, konzentrierte sich auf das Jetzt und sah nach vorne. Die Blicke der anderen waren mittlerweile gänzlich anderer Natur … zumindest zu einem Großteil, denn ausschließlich Schönes und Nettes gab es bei größeren Menschenansammlungen wohl selten. Viele sahen sie natürlich mit einer Bewunderung an, die sie noch nie erfahren hatte, andere aber blickten eher verstohlen in ihre Richtung und taxierten sie dann genau von oben bis unten, um nach einem Makel zu suchen. Als könnten sie es kaum ertragen etwas Perfektes zu sehen. Wiederum andere vergingen förmlich vor Neid und Eifersucht. Es war eine ungewohnte Mischung aus neuen Empfindungen, aber die meisten waren offenbar wohlwollender Natur.

Sie seufzte erleichtert. Positive Aufmerksamkeit war ja richtig Balsam für die Seele, auch wenn sie nicht gewohnt war damit umzugehen. Männer stierten sie zeitweise sogar mit einer Gier an, die sie noch ungewohnter traf, als alle anderen Emotionen. Diese lustvollen Blicke beflügelten sie regelrecht, ließen etwas in ihrem Bauch vor Aufregung flattern und ein völlig neues Gefühl von … Macht und Begehren entstehen.

Das Gehen in hohen Schuhen war eine ziemliche Herausforderung, aber mit ihrem neuen Körper hatte sie offenbar auch mehr Körperbeherrschung gewonnen. Mit nur zwei Längen im Schuhgeschäft hatte sie sich bereits recht wohlgefühlt. Auch das Richtige zu kaufen und nicht völlig auszuflippen, nur, weil sie jetzt einen schönen Körper hatte, war gar nicht so ohne. Das rechte Maß war nicht leicht in Einklang zu bringen mit ihren lang unterdrückten Wünschen. Und das fing bei Schuhen an und hörte bei der Unterwäsche auf. Einen Stil hatte sie bisher nie gehabt und auch keine Marken bevorzugt, schließlich hatte sie immer nur auf Größe und Zweckmäßigkeit geachtet. Doch das ALLES WAR VON GESTERN. Heute hatte sie eine Bandbreite an Auswahlmöglichkeiten und das war nicht nur toll, es war wie ein Sinnesrausch.

Der Einkaufstag hatte sich auf jeden Fall richtig gelohnt! Sie hatte nicht nur Kleidung gekauft, die zum Niederbrechen schön war, sondern zugleich auch bemerkt, wie hochsensibel ihre Wahrnehmung geworden war und wie klar sie die anderen Menschen und ihre eigenen Gedanken jetzt erkennen konnte. Diejenigen mit den steinernen Masken entgingen ihr am wenigsten, denn sie selbst war eine von ihnen gewesen. Sie hatte sich ganz tief in sich zurückgezogen gehabt und niemanden mehr an sich herangelassen. Aus Angst und aus Wut. Ihr Leben hatte sie zurecht gehasst, doch aus einer gänzlich anderen Sicht und mit diesem neuen Körper hätte sie ihr „altes Dasein“ am liebsten gerettet oder dieser früheren Existenz zumindest eine Chance gegeben, sich besser zu fühlen … selbst in einem Körper, der nicht ideal gewesen war. Sie hatte sogar das Gefühl, als hätte sie schon früher etwas Besseres daraus machen können.

Hä? Sie schüttelte den Kopf und raffte ihre vielen Einkaufstaschen zusammen. Das stimmt doch nicht, dachte sie und stieg ins nächste Taxi. Nein, nein, nein. Nicht um viel Geld wollte sie je wieder ihre alte Existenz haben, um sie verbessern zu können. Nicht auszudenken, was sie alles auf sich nehmen hätte müssen, um je so auszusehen, wie sie jetzt aussah! Vierzig Kilo in ihrem Alter waren kein Pappenstiel, brachten selbst bei erfolgreicher Diät Hautfalten und verschobene Körperteile. Nein. Es war nicht vorstellbar, dass sie in ihrer „alten Existenz“ jemals solch ein Glücksgefühl erreicht hätte, oder solch ein Aussehen. Nicht ohne Medikamente, körperlicher Schinderei und einer Menge Operationen, die wiederum Schmerzen und Narben verursachten.

„Sicher nicht!“, murmelte sie und der Taxifahrer sah sie komisch an.

„Wie bitte? Wo möchten Sie hin?“

„Los Angeles, Paris, Dublin …“, kicherte sie in ihrer aufgewühlten Hochstimmung, zwinkerte dem Taxifahrer dann aber zu und meinte: „Entschuldigung. Ich möchte zur St. Anna Straße 6.“ Wobei ihr sofort auffiel, dass sie dort eigentlich gar nicht mehr wohnen wollte. Ihr neues Leben hatte begonnen und dafür brauchte sie nicht einfach nur einen neuen Job, sondern schleunigst auch eine neue Wohnung. WIE war natürlich eine andere Frage, aber aus irgendeinem Grund war sie der Meinung das Geld dafür schon irgendwie zu bekommen. Schließlich hatte ihre Glückssträhne doch gerade erst angefangen!

Zuhause öffnete sie alle Fenster und lüftete gründlich durch, um den alten Mief aus ihrer Wohnung zu vertreiben. Danach begann sie … nein, nicht etwa die Einkaufstüten zu öffnen und alle Kleidungsstücke zu probieren, sondern zu putzen und aufzuräumen. Ihre Wohnung mochte heruntergekommen sein, aber für die Zeit, in der sie hier noch zu wohnen hatte, würde sie alles in Ordnung bringen. Erst danach, also zur Belohnung, wollte sie all ihre neu erworbenen Kleidungsstücke probieren und entzückt vor dem Spiegel herumhüpfen. Sie hatte ein kleines Vermögen für Spitzenwäsche, String Tangas, Miniröcke, Tank Tops, Jeansleggins in Minigröße, Kleider, hohe Schuhe und eben all das Zeug ausgegeben, das sie noch nie in ihrem Leben besessen hatte.

Cindy lachte laut, krempelte die Ärmel hoch, begann ein Lied zu singen und stürzte sich für Stunden in die Arbeit. Mit ihrer neuen Energie war das kein Problem und wenn die Wohnung angeblich der Spiegel der Seele war, dann hatte sie so einiges in Ordnung zu bringen.

Vier Stunden später war sie, trotz neuer Energie, vollkommen erledigt. Dafür strahlte ihre Wohnung in neuem Glanz. Sie hatte ihr Bett abgesaugt, neu überzogen und über die zerschlissene Couch eine bunte Decke geworfen. Den Teppich hatte sie gründlich schamponiert und festgestellt, dass er sogar eher einen Orangeton besaß und nicht weiter als kackbraunes Teil durchging. Die Farbe davor war also tatsächlich über die Jahre nur durch Verunreinigung entstanden … was schon ziemlich ekelig war. Die ganze Putzarbeit hatte sie an ihre Grenzen gebracht, denn das Hinsehen und Säubern hatte ihr schonungslos gezeigt, wie sehr sie ihre Wohnung in den letzten Jahren verkommen hatte lassen. Und dabei ging es noch nicht einmal direkt um ihr Leben und ihren Körper! Sondern nur um eine Art Spiegel, der ihr verdeutlichte, welchen Schaden sie sich selbst in den letzten Jahren zugefügt hatte. Krankheit hin, Schicksal her … es machte sie traurig, dass sie vor ihrer ‚Wandlung‘ den vergammelten Zustand nicht einmal mehr bemerkt hatte. In ihrem selbstzerfleischenden Modus hatte sie einfach keine Zeit und Kraft gehabt etwas an sich oder ihrer Wohnung zu ändern.

Sie weinte ein paar dicke Tränen. Weinte, um die verlorene Zeit und die Unbarmherzigkeit mit der sie sich selbst begegnet war. Egal wie gemein die anderen auch gewesen sein mochten, … sie war immer noch eine Spur gemeiner zu sich gewesen und wer hätte letztendlich an ihrem Zustand etwas ändern können, außer sie selbst? Das war ihr mittlerweile durchaus klargeworden. Aber sie wollte auch nach vorne blicken und nicht zu lange in der Vergangenheit und dem falschen Gefühl verharren. Schließlich hatte alles seine Zeit und die IHRE war nun endlich gekommen … und das ganz im positiven Sinn. Ihre Wandlung konnte sie zwar gerade mal einen Tag bewusst erleben und genießen, aber alleine in den letzten Stunden hatte sie viel gelernt. Sie wusste jetzt, dass jeder Fokus auf das falsche Gefühl ihrem Unterbewusstsein eine Richtung vorgab und zwar logischer Weise auch eine falsche. Ihr Unterbewusstsein war offenbar nichts anderes als ein riesiger Auffangtopf, der alles – und zwar wirklich alles – aufnehmen und verarbeiten musste. Jeden Satz, jeden Gedanken, jeden Unsinn. Dieser riesige Pott konnte offenbar nicht differenzieren, sortieren oder selbst lenken, sondern wurde durch die Aufmerksamkeit des Menschen gesteuert. Durch IHRE Aufmerksamkeit. Das war ihr plötzlich so klar, als hätte eine unsichtbare Kraft mit dem Finger auf ihre Stirn getippt und diesbezüglich das pure Wissen injiziert. Gesteuert wurde durch das Wiederholen von Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen. Daher erkannte Cindy nun auch, dass sie ihr Leben bisher nicht nur durch ihr Hamsterrad gesehen, sondern auch gelenkt und gelebt hatte. Ihr Unterbewusstsein traf da keine Schuld, denn es hatte nicht bewertet, sondern nur wie eine Marionette funktioniert. Je nachdem, wo Cindy ihre Wichtigkeit eben hingelenkt hatte, war die Energie eben verblieben. Und das war in ihrem Fall … im fetten Mist.

Cindy seufzte und schüttelte den Kopf, weil es gar nicht so leicht war, plötzlich klar zu sehen. Es erschien alles irgendwie einfacher, obwohl sie ziemlich daran arbeiten musste, keine Schuld zu empfinden. Alles hatte seine Zeit und der Blick zurück war zwar notwendig, aber der Blick nach vorne noch viel wichtiger. Zumindest wusste sie nun, dass sie mental sehr viel verändern konnte und auch musste. Was mit einem herrlichen Körper, dieser neuen Energie und der besseren Wahrnehmung natürlich schon deutlich einfacher war.

Erschöpft, aber mit einem Lächeln auf den Lippen, weil sie sich vermutlich gerade eine jahrelange Psychotherapie erspart hatte, zog sie ihr Gewand aus und stieg unter die Dusche.

JETZT. Erst jetzt konnte das neue Leben beginnen! Sie würde sich all den Dreck der letzten Jahre abwaschen und sich gleich danach so herausputzen, wie sie es nie zuvor gewagt hatte. Vielleicht musste sie erst ein paar Stile und Schminkvariationen ausprobieren, um das Richtige für sich zu entdecken, aber dafür hatte sie ja Zeit. Es war gerade einmal 21.00 Uhr und das Vorstellungsgespräch erst in zwei Stunden. Alleine bei dem Gedanken daran schlug ihr Herz gleich wieder viel schneller. Den ganzen Tag über war sie mit sich, ihrer Vergangenheitsbewältigung und den neuen Eindrücken beschäftigt gewesen, doch einen dunklen Brocken in ihrem Energiefeld hatte sie bisher tunlichst zur Seite geschoben und der betraf die Angst vor ihrem neuen Arbeitgeber und ihre Befürchtung, es mit dem Teufel höchstpersönlich zu tun zu bekommen. Nun aber rückte der Moment der Wahrheit immer näher und sie war schon verdammt aufgeregt.

Gehorsamkeit … zischte es durch ihren Kopf, weil sie sich an diese Passage des Vertrages erinnerte, den Rest aber eigentlich nicht verstanden hatte. Verwundert hatte sie nur, dass sich ihre Unterschrift bereits am Ende des Dokuments befand. Als hätte sie selbst und erst vor kurzem mit Tinte unterschrieben. Dabei hatte sie das nie getan, sondern nur ihre Hand auf diesen uralten, flimmernden Bildschirm gelegt!

Magie … sagte sie sich vor und verdrängte gleich wieder das aufkommende Wort mit ‚T‘ und dem Schwefelgeruch, sowie den Gedanken an einen Pakt mit ihm. Sie hatte Angst, aber sie wollte sich nicht kleinkriegen lassen und im Moment nur Fakten zulassen. Magie war eine gute Lösung und auch ohne dunkle Mächte möglich, und wenn mit Magie eine derartige Wandlung möglich war, dann war eine Unterschrift am Ende eines Vertrages ja wohl auch nur noch ein Klacks.

Sie entschied sich für ein mittellanges, schwarzes Kleid, hohe Schuhe und ein dezentes Make-up. In nur einer knappen Stunde im Bad war sie zu einem völlig neuen Menschen geworden. Okay, sie war den ganzen Tag schon ein völlig neuer Mensch gewesen, aber jetzt war sie nochmal ein Quäntchen anders … und wahnsinnig stolz darauf, zu welch heißem Feger sie geworden war. Steile Schuhe, kleine Tasche, ein paar Locken in ihrem braunen Haar. Wer hätte gedacht, dass graue Augen je so gut aussehen können? Sie starrte aufgewühlt in den Spiegel und war wieder einmal den Tränen nahe. Seit fast einem ganzen Tag hatte sie nun den Status X (also Miss Wonderland) erreicht und war tatsächlich nicht rückfällig geworden, sprich sie hatte sich nicht mehr zurückgewandelt. Das war freilich fantastisch und machte sie völlig hibbelig. Außerdem fühlte sie sich mit dem neuen Styling sogar noch besser. Etwas, das sie kaum für möglich gehalten hätte, weil ein Superzustand doch kaum zu optimieren war.

Cindy drehte sich beschwingt vor dem Spiegel, betrachtete ihre wohlgeformten Beine, den knackigen Po und den perfekten Busen. Ja, das Kleid saß wie angegossen, aber die eigentliche Sensation war und blieb das, was sich darunter befand. Und damit meinte sie nicht etwa die kesse, sexy Unterwäsche, die sie nun endlich einmal tragen konnte.

Das Taxi brachte sie in 35 Minuten zur Feiststraße 15, wo sie um 22.56 Uhr aus dem Wagen stieg. Die Adresse hatte sie dem Fahrer vom Umschlag abgelesen, den ganzen Vertrag sicherheitshalber einmal in ihre Handtasche gepackt. Vielleicht galt es ein paar Punkte mit ihrem neuen Arbeitgeber zu besprechen, auch wenn sie nicht wusste welche, denn schließlich hatte sie kaum etwas von dem Kauderwelsch verstanden. Das mochte zwar ein Armutszeugnis für ihren Verstand sein, war aber auch eine Lobbekundung an ihren Mut! Wer würde sich auch schon auf so etwas Außergewöhnliches einlassen, wenn der Vertrag unverständlich war? Sicher nur ein mutiger und unerschrockener Mensch … oder aber ein sehr, sehr dummer. Wobei sie diesen Quergedanken gleich wieder verdrängte, denn sie war nicht dumm und war es nie gewesen. Sie konnte nur nicht mit derart starker Magie und doofen Vertragstexten umgehen. Es blieb ihr also gar nichts anderes über, als sich auf ihr neues Glück zu verlassen. Oder auf ihr wahres Schicksal. Eines nämlich, das sie nicht länger zum Loser der Nation stempelte oder erneut ‚unsichtbar‘ machte.

Ihre Knie waren dennoch ein wenig wackelig. Die noble Bürogegend der Feiststraße war um diese Nachtzeit so gut wie ausgestorben, versprühte aber immer noch diese eigentümliche Bank- und Börsenatmosphäre. Die Gebäude waren hier alle modern und neu, verspiegelt und elend hoch gebaut. Ein paar Bäume waren gepflanzt worden, wirkten aber wie verloren gegangene Lebendigkeit zwischen all dem Metall, Asphalt und Stahlbeton. Cindy rümpfte die Nase, weil es hier ein wenig seltsam roch. Zuerst konnte sie es nicht recht zuordnen, hatte dann aber das Gefühl, als könnte sie den ganzen Stress der Menschen riechen, die hier untertags wie Tiere schufteten. Sie spürte förmlich die Hektik und die Gier, wenn diese Menschen alles taten und gaben, um Geld zu scheffeln und immer mehr Geld. Es roch auch irgendwie nach Angst und Beklemmung, was durch ihre neue Wahrnehmung dunkel und unangenehm wirkte.

Als der Taxifahrer dann schließlich wegfuhr, verlor sie kurz die Nerven und wäre ihm am liebsten hinterher gelaufen … mit ihren bescheuert hohen High Heels! Und das nur, weil die Atmosphäre hier so dicht war und so unheilvoll. Doch mit ihren Schuhen konnte sie gerade mal stolzieren und sicher nicht laufen, geschweige denn davonlaufen. Und was hätte es auch für einen Sinn gemacht? Sie musste zu dem Treffen. Nichts führte daran vorbei. Allerdings fragte sie sich schon gerade, warum sie sich so ausstaffiert hatte. Nur der dunklen Stimme aus dem Fernsehapparat wegen, oder was? Nur … dachte sie und fühlte ein Flattern in ihrem Bauch, das unangenehme Ausmaße annahm. Genau diese Stimme war ihr seitdem nicht mehr aus dem Kopf gegangen, hatte sich als sehr machtvoll und rücksichtslos eingeprägt … mit einem Hauch von Boshaftigkeit. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken und doch waren ihre Hände mittlerweile leicht verschwitzt. Sie hatte Angst, schlicht und ergreifend wirklich große Angst. Zugleich aber war sie auch neugierig und konnte es kaum erwarten ihren neuen Boss kennenzulernen.

Wird er groß oder klein sein, alt oder jung? Ist er gut gebaut oder hat er einen fetten Bauch? Hoppla, was dachte sie denn da? Schließlich war sie selbst erst seit heute gertenschlank und hatte solche Bewertungsschemen doch immer verurteilt. Waren es nicht die hochgelobten inneren Werte gewesen, die bisher immer gezählt hatten?

Cindy knirschte mit den Zähnen und mahnte sich zu mehr Authentizität. Den Gedanken an einen furchterregenden Teufel oder einen teuflisch schönen Mann verdrängte sie tunlichst. Vielleicht war der Boss ja ganz harmloser Natur, wie eine männliche Zauberfee zum Beispiel, die ihr einfach einen Wunsch erfüllt hatte. Völlig altruistisch. Ohne Hintergedanken. Haha. Sie verspottete sich selbst. Wer oder was war im 21ten Jahrhundert bitteschön noch altruistisch? Sie schüttelte den Kopf und wollte sich auf der einen Seite nicht als naives Kindchen sehen, auf der anderen Seite aber dennoch hoffen. Auf Glück, Gott, die Liebe. Auch wenn diese düstere Bürogegend hier nicht gerade passend erschien für derartige Werte.

Auf jeden Fall brachte es nichts noch länger herumzustehen und das spiegelglatte Bürogebäude mit der Nummer 15 anzustarren. Angst hin oder her … irgendwann musste sie in das Gebäude hinein. Schließlich war es nur ein Haus und dazu eines von vielen. Obgleich ihr speziell dieses wuchtiger und höher erschien. Düster war es allemal mit seinem dunklen Design und der spärlichen Beleuchtung rundum. Alles in diesem Viertel war um diese Zeit nun einmal auf Sparflamme gestellt.

„Kein Wunder, wer bestellt einen auch um 23.10 Uhr zu einem Vorstellungsgespräch? Und warum überhaupt 10 Minuten nach einer vollen Stunde? Das ist doch mehr als seltsam!“, murmelte sie in ihren nicht vorhandenen Bart, straffte aber zugleich ihre Schulten und hob ihren Kopf eine Nuance höher. Sie wollte nicht quengeln und auch nicht ängstlich wirken. Also stolzierte sie möglichst elegant zum Eingang des riesigen Glasgebäudes. In Wahrheit konnte sie mit hohen Schuhen zwar gehen, aber natürlich noch nicht perfekt und so musste sie jeden Schritt genauer bedenken. Aber immerhin ging sie in die richtige Richtung! Die Schuhe hatten also wenigstens kein Eigenleben und das war beruhigend, obwohl der Quergedanke sie kurz erheiterte und an Märchen mit „Es war einmal …“ erinnerte. Letztendlich aber mahnte sie sich zu mehr Konzentration. Gedanklich abzuschweifen brachte nichts und sollte sie vermutlich sowieso nur von ihrer Unsicherheit ablenken. Dabei machte es wohl kaum Sinn vor einem Bürogebäude Angst zu haben oder sich von der kühlen, lichtarmen Atmosphäre einschüchtern zu lassen. Sie brauchte einfach Mut, Kraft und eine gewisse Portion Stolz … Eigenschaften, die ihr doch seit heute Morgen eigentlich zur Verfügung standen. Also drückte sie ihren Rücken etwas mehr durch und schritt wie eine Königin weiter.

Zu ihrer Überraschung ging die Tür von alleine auf und aus der Sprechanlage tönte eine dunkle, sarkastisch klingende Stimme: „Haben Sie sich endlich entschlossen hereinzukommen?“ Es war eine seltsame Frage und Cindy blieb kurz stehen und starrte in die Kugelkamera, als hätte die sich gerade selbstständig gemacht. Frechheit, dachte sie noch, als es kurz knackte und die Stimme sich erneut meldete.

„Na, kommen Sie schon! Hopp hopp! Ich beiße nicht!“ Noch frecher, dachte sie, obwohl sie hinter den Worten ein Lachen heraushörte und der Mann sie vermutlich nur beruhigen oder lockerer machen wollte. Alleine die Vorstellung war schon irgendwie komisch, aber auch … charmant. Zu ihrer Überraschung bemerkte sie, dass ihre Angst tatsächlich etwas nachließ, ebenso wie die unnatürliche Spannung in ihrem Rücken. Dabei wären die Worte ohne lachenden Unterton wohl eher unpassend gewesen.

Sie schaffte jedenfalls ein Lächeln und nickte der Kamera zu, als wäre die ein lebendiges Wesen.

„15ter Stock, Zimmer 15“, kam es daraufhin kurz angebunden, ehe es knackte und die Unterhaltung damit zu Ende war. Wobei ‚Unterhaltung‘ eine reine Übertreibung war, denn eigentlich hatte dieser Jemand ja nur einen kurzen Monolog gehalten.

Zielstrebig, aber immer noch mit leicht wackeligen Beinen, ging Cindy weiter. „Nur nicht den Mut verlieren!“, sagte sie sich leise vor und kam in die große Empfangshalle des Bürogebäudes, wo ein paar wenige, exakt platzierte Grünpflanzen wie in luftleerem Raum standen. Alles war mit dunklem Marmor, Spiegel und Metall ausgekleidet, sah extrem teuer aus und wirkte wie der elegante, dunkle Gegensatz zum typischen Casino-Stil, wo alles mit Gold, Spiegeln und teurem, meist buntem Design punktete. Es war wie das dunkle, weniger verschnörkelte Pendant, obwohl auch hier alles nach Geld und Reichtum roch. Wobei Cindy Vergleiche mit Casinos nur durch Fernsehsendungen von früher anstellen konnte. Selbst hatte sie nie einen Fuß in ein solches Etablissement gesetzt. Und warum auch? Dort wäre sie nur das Gespött der Leute geworden und hätte sich unpassend und minderwertig gefühlt. Ihr Geld hätte sie ebenfalls verloren, denn bis zu diesem Tag hatte sie noch nie wirklich Glück gehabt. Sie lachte kurz auf, weil sie mittlerweile keinen Grund mehr hatte sich zu schämen und ihr einmal mehr bewusst wurde, dass ihr Leben gerade mal begonnen hatte. Mit all dem Glück und dem Reichtum, der ihr nun vermutlich ebenso zustand. Zumindest ging sie davon aus, wenn sie hier tatsächlich arbeiten sollte.

Ein Nachtwächter, der hinter dem Empfangstisch saß, wirkte gelangweilt und blickte nur kurz auf. Das Klackern ihrer Stöckelschuhe hatte ihn offenbar davon informiert, dass sie die Halle betreten hatte. Vermutlich auch ein verstecktes Überwachungssystem oder ihr Bild auf einem der Bildschirme. Der Mann war jedoch nicht sonderlich interessiert an ihr und ihrer Anwesenheit, nickte nur kurz und widmete sich dann wieder den vielen Überwachungsbildschirmen am Tresen. Cindy ging davon aus, dass der Nachtwächter von ihrem Vorstellungsgespräch wusste, noch dazu, wo ihr neuer Boss (und vermutlich auch der seine) die Tür persönlich geöffnet hatte. Beides machte sie wohl vertrauenswürdig, denn es gab auch keinerlei Sicherheitscheck. Hier waren sowieso überall Kameras und elektronischer Firlefanz … und eine Leibesvisitation in ihrem engen Kleidchen hätte sie auch nicht begrüßt. Obwohl sie doch zumindest mit einem zweiten Blick auf sie – als Frau – gerechnet hätte. So schön, wie sie gerade war, hätte der Mann doch eigentlich vor Verzückung schielen oder aus seinen Schuhen kippen müssen. Sie kicherte leise und drückte beim schwarzen Metallic-Aufzug betont lässig auf das Aufwärtszeichen. Ja, ich will nach oben … dachte sie und betrachtete den Aufzug gerade als reinste Metapher. Mit diesem Körper wird mir das auch zum ersten Mal in meinem Leben gelingen.

Als sich die Aufzugtür geräuschlos zur Seite schob, eröffnete sich vor ihr ein unwirklich erscheinender, dunkler Innenraum. Hier hatte der Architekt es mit seinem dunklen Spiegeldesign eindeutig übertrieben, denn im Inneren des Aufzugs war alles so schwarz, dass die Größe und Höhe des Aufzugs nicht abzuschätzen und selbst der Boden kaum zu erkennen war. Fehlten gerade noch die Sterne und Cindy hätte sich vermutlich wie schwebend im Weltraum gefühlt. Was der idiotische Architekt vermutlich auch bezweckt hatte. Für sie wirkte das Transportmittel dadurch aber wie eine Fehlkonstruktion oder nein … eigentlich wie der Zutritt in eine andere Dimension. Sinnbildlich oder echt. Das wusste sie nicht. Es war nur ein Aufzug, aber er war eben völlig anders, übertrieben bodenlos und überhaupt total komisch. Nicht im Sinne von lustig.

Entsprechend aufgeregt trippelte sie auf ihren hohen Schuhen dann doch noch hinein, hätte aber am liebsten laut um Hilfe geschrien, als sich die Türen wieder zuschoben und es augenblicklich noch dunkler wurde. Mit schokobrauner Haut und diesem schwarzen Kleid wäre sie dann wohl einfach nur verschluckt und unsichtbar geworden. Völlige Assimilation an die Dunkelheit, dachte sie kurz, ehe sie die Augen extra weit aufriss und in einer der verspiegelten Innenplatten nach dem Weiß ihrer Augen und dem hellen Teint ihres Gesichts und ihrer Arme und Beine suchte. Ein wenig Licht flirrte ja doch in dem Innenraum herum, aber ein wirkliches Spiegelbild gab es nicht. Da war hauptsächlich Dunkelheit, die schnelle Aufwärtsbewegung und die leicht leuchtende, gedrückte Taste zum fünfzehnten Stockwerk. Man kann es aber auch übertreiben mit dunklem Edeldesign, motzte sie im Stillen, weil sie sich unwohl fühlte und nicht verstehen konnte, warum Stararchitekten so derart auf Schwarz standen. Sie selbst liebte helle Räume und Weite. Hoppla, dachte sie so ziemlich im gleichen Moment. Und der kackbraune Teppich? Die heruntergekommene Wohnung? Sie hatte ja wohl kaum Grund hier zu motzen, nur, weil sie sich wie im Inneren eines riesigen Hinterteils fühlte.

Als der Aufzug im fünfzehnten Stock hielt, schlug ihr das Herz jedenfalls bis zum Hals und sie hasste mittlerweile dieses laute, kräftige Pochen an der falschen Stelle. Wobei … nein … in diesem Körper hasste sie wohl gar nichts mehr und sie hatte sich ja auch vorgenommen netter zu denken. Vor allem von sich selber. Mit ihrem neuen Körper und ohne Depression war einfach alles super. Friede, Sonne, Eierkuchenund am Ende ein kleiner, verschissener Teufel. Sie schluckte hart und versuchte nicht die Nerven zu verlieren. An der perfekten Gelassenheit und Nettigkeit musste sie offenbar noch arbeiten.

Sie stakste auf ihren überhohen Schuhen aus dem Aufzug und ging auf die einzige Tür zu, die es in diesem Stockwerk gab. Das Licht hier war ebenfalls notdürftig, aber durch die vielen, hohen Fenster auf der linken Seite konnte sie die Skyline der Stadt wie eine Lichterquelle wahrnehmen. Als wäre sie auf einem Berg mit Verglasung und würde von den unzähligen Lichtern anderer beleuchtet werden. Obwohl … schon in der nächsten Sekunde kam es ihr so vor, als würde dieser Tower das Licht der Stadt förmlich in sich aufsaugen. Das war irgendwie gruselig und der Ausblick doch zugleich wunderschön. Bei Tageslicht musste dieser Teil des Gebäudes jedenfalls eine Wucht und von Licht durchflutet sein.

Staunend und mit einem Gefühl von Ehrfurcht ging sie weiter, hörte das Klappern ihrer Absätze am steinernen Boden und fragte sich einmal mehr, wer hinter ALL DEM stecken könnte. Hier wirkte alles so abgehoben, futuristisch und auch irgendwie fantastisch. Wie eine völlig andere Welt. Zumindest wie eine, die sie bisher noch nicht kennengelernt hatte.

Ich werde mit Ehrlichkeit punkten, nahm sie sich vor, als der automatische Türöffner drei Meter vor ihrer Ankunft ansprang. Das schwere Metallding schwang wie von Geisterhand auf und Cindy hatte keine Chance mehr ein Türschild oder gar einem Firmenamen zu erkennen. Dennoch zögerte sie nicht weiterzugehen und redete sich ein, dass derart geldgebeutelte Menschen sowieso nie Türschilder montierten. Ohne die schwere Tür zu berühren (oder gar noch einmal umzudrehen, um dieses verdammte Türschild zu suchen), schlüpfte sie in das unbekannte Reich dahinter. Und sie beeilte sich, denn die Tür begann sich bereits wieder zu schließen, als wollte sie den Neuankömmling schneller und vehementer in eine Richtung drängen.

Der Raum, in dem sie nun stand, war riesengroß und wirkte wie ein Wohnzimmer mit einem Rundumblick auf die Stadt. Das Licht war auch hier dämmrig, aber immerhin eine Spur heller als zuvor am Gang. Es gab kein Vorzimmer, nur einen einzigen, unendlich großen Raum. Überall waren Fenster, nirgendwo Vorhänge. Das fünfzehnte Stockwerk in diesem Hochhaus bestand offenbar nur aus einer einzigen, gigantischen Wohnung ohne Zwischenwände. Und Wohnung traf es wohl am ehesten, denn sie konnte nichts erkennen, das auch nur annähernd an ein Büro erinnerte.

„Wow!“, japste sie beeindruckt. Cindy musste dieses Wort laut aussprechen, wenn auch ein wenig unverständlich. Der Anblick von einem derart luxuriösen Loft war einfach zu viel für sie. All das hier war einfach nur unbeschreiblich.

„Es gefällt dir also!“, ertönte eine tiefe Stimme hinter ihr und sie fuhr erschrocken herum, weil sie beim Eintreten in dieses Reich absolut niemanden gesehen hatte. Der Mann stand nun zu ihrer Linken im Halbdunkel und war nicht richtig zu erkennen. Doch sein Umriss zeigte, dass er groß war und kein Fliegengewicht sein konnte.

„Äh … ich … ja, es ist toll“, antwortete sie, ehe sie sich mehr konzentrierte und auf ihre neue Stärke besann. „Ich bin Cindy Wallenstein und soll mich heute um diese seltsame Uhrzeit bei Ihnen vorstellen.“ Warum sie ‚seltsame Uhrzeit‘ sagte, war ihr nicht klar. Vermutlich hatte sie das die ganze Zeit gedacht und so war es ihr in ihrer Nervosität einfach so herausgerutscht. Oder sie war plötzlich dazu verdammt ausschließlich die Wahrheit zu sagen, weil sie sich das kurz zuvor noch vorgenommen hatte. Ich punkte mit Ehrlichkeit. Oder so. Nein, nein. Sie war nicht verdammt, nur überreizt! Schließlich befand sie sich in einer völlig verrückten Situation und hatte Angst vor ihrem neuen Boss.

Der Mann lachte daraufhin leise und doch so eindringlich, dass Cindy am ganzen Körper Gänsehaut bekam. Außerdem kam er näher und mit jedem Schritt, den er auf sie zumachte, schien sich die Atmosphäre in diesem riesigen Loft zu verdichten. Wieso hatte er sie eigentlich in seine Wohnung bestellt?

Sie wankte leicht, als er ins dämmrige Licht trat und erste Konturen seines Gesichts sichtbar wurden. Zuerst bemerkte sie seinen dunklen Teint, seine schwarzen Haare und dann die scharfen Kanten seines Gesichts. Wie mit dem Messer geschnitten, dachte sie kurz, obwohl sie die Vorstellung eklig fand. Dann blieb ihr Blick an seinen dunklen Augen hängen, weil die eigenartig blitzten, zu eng standen und sie mit einer Gier ansahen, die ihr ein nervöses Prickeln bis in die Wirbelsäule bescherte. Wenigstens kein Vollbart, Turban und kein Geruch von Fanatismus und Terror, schoss es ihr seltsamer Weise durch den Kopf, obwohl sie solche Vorurteile nie gepflegt hatte. Jeder sollte schließlich seine Religion so ausleben dürfen, wie er wollte, sofern er niemandem damit schadete. Aber der Mann hier vermittelte mit seiner ganzen Haltung längst, dass er durchaus über Leichen gehen könnte und sie selbst womöglich gerade sein Mitternachtssnack werden würde.

Der Mann war nicht wirklich attraktiv. Dafür wirkte er zu rau, brutal und irgendwie auch ursprünglich. Mit seinem Anzug sah er zwar nicht gerade aus wie ein Höhlenmensch aus der Steinzeit, aber etwas in seiner Ausstrahlung erinnerte Cindy an Neandertaler, Beutezug und Keule. Ursprünglich war in dem Fall wohl eher im Sinne von … der Urzeit entsprungen. Zumindest schwappte da eine so machtvolle Präsenz in ihr Energiefeld, dass sie an Echsen und Schlangen dachte, vielleicht auch an Drachen. Dinosaurierzeitalter … ging ihr dann als Erklärung durch den Kopf und … sehr, sehr alt. Als hätte der Mann ihr eine telepathische Botschaft geschickt und ihr mitgeteilt, dass er einen ordentlichen Teil der Evolution übersprungen und direkt nach der Phase der Dinosaurier als Mensch auf die Welt gekommen war. Alt bedeutete in dem Fall allerdings nicht körperlich alt, denn seinem Aussehen nach hätte sie ihn auf Mitte Vierzig geschätzt.

„Jesses, wer sind Sie?“, rutschte es ihr heraus. Eigentlich hatte ihr „Wer zum Teufel sind Sie?“ auf der Zunge gelegen, aber sie wollte ihrer Angst keine treffenden Worte geben. Automatisch hatte sie an die Bibel gedacht und daran, dass am Anfang das Wort gestanden hatte und eben eine ungeheure Macht besaß. Und stammte Jesses nicht irgendwie von dem Wort Jesus ab? Oder brachte sie gerade alles durcheinander? Cindy seufzte leise, weil ihre Gedanken verrücktspielten. Dennoch hatte sie lieber etwas Heiliges benannt, als den Teufel, obwohl … so schaurig und gefährlich wie seine Präsenz gerade wirkte, hatte sie es wohl eher mit Letzterem und kaum mit einer altruistischen Zauberfee zu tun.

Er lachte leise und kam noch eine Spur näher. Fast erwartete sie schon Hörner, Schwefelgeruch und ein dezentes Schwänzchen, das sich jeden Moment aus seinem feinen Anzug winden würde. Und damit meinte sie jetzt nichts Anzügliches. Doppelter Wortwitz, wegen dem Anzug, kicherte sie hysterisch in sich hinein und versuchte ihren Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Wenn sie so richtig Angst hatte, reagierte sie eben komisch. Und der Typ war gruselig. Sehr sogar.

Cindy hatte alle Mühe weiterhin auf ihren hohen Schuhen aufrecht und ruhig zu stehen, denn all ihre Instinkte sagten ihr, dass sie davonlaufen sollte. Einfach nur kehrtmachen und rennen … bis zum Ende der Welt oder zum Mond. Doch was sollte sie tun, wenn die Eingangstür längst geschlossen war und der Mann mit Sicherheit schneller und stärker war als sie? Also atmete sie tief durch und versuchte sich mit aller Kraft aus der Angst herauszukatapultieren, sich irgendwie auf Augenhöhe zu bringen und weiterhin auf Ehrlichkeit zu setzen. Was im ersten Ansatz bedeutete, dass sie ihre Frage wiederholte. Mit den Worten, die ihrem ersten Impuls entsprochen hatten.

„Wer zum Teufel sind Sie also?“, fragte sie so brüsk, dass der Mann überrascht stehen blieb und offenbar überlegte, ob er sauer reagieren sollte oder nicht. Sein Blick bohrte sich noch intensiver in ihre Augen, dann begann er eigentümlich zu lachen. Zuerst leise, dann lauter und immer unangenehmer. Manchmal schien sich sogar ein Knurren dazwischen zu schieben und das machte ihn noch viel unheimlicher.

„Du versuchst tapfer zu sein“, stellte er mit abfälliger Miene und einem ähnlichen Knurrlaut wie beim Lachen fest.

„Ja“, bestätigte Cindy und nickte schnell. „Sie sind aber auch gruselig“, ergänzte sie mit großen Augen und heiserer Stimme, obwohl sie sich im selben Moment fragte, warum sie eigentlich auf Ehrlichkeit gesetzt hatte. In Wahrheit hatte sie ja doch nur Angst.

„Ich bin dein neuer Arbeitgeber und du … bist gerade eine Überraschung, Cindy Wallenstein“, ergänzte er und schüttelte fast unmerklich den Kopf, als hätte er nicht mit ihrem Kampfgeist oder mit dieser dummen Ehrlichkeit gerechnet. Er kam noch ein wenig näher und Cindy plumpste ihr Herz endgültig in die Hose. Der Mann hatte komische Augen. Sie waren nicht so schwarz wie erwartet, sondern braun, aber seine Pupillen waren nicht ganz rund, sondern eher oval. Wie bei einer Ziege, dachte sie kurz und nahm sich ganz fest vor, das wegen ihrem Ehrlichkeitswahn nicht auch noch auszuplaudern. Doch der Vergleich zu einer Ziege wurde sowieso lächerlich, als sie endgültig die volle Wucht seiner Präsenz traf und sie bis ins Innerste erschütterte. Automatisch dachte sie wieder an Urzeit und Reptilien. Vor allem aber an RAUBTIER und FRESSEN!

Durch den Schock zuckte sie merklich zusammen. Hatte sie zuvor schon Angst gehabt und versucht, sich tapfer zu geben, hatte sie nun keine Chance mehr, sich gegen seine übermächtige Präsenz zu wehren.

„Bitte … ich dachte …“, stammelte sie und fragte sich, wie sie je aus ihrer Angst herauskommen sollte, wenn dieser Mann so ganz offensichtlich anders war.

„Was denn? Dass du hier den Weihnachtsmann triffst? Wie lächerlich!“ Sein Blick wurde härter und sein Mund bekam einen grausamen Zug. Er verstellte sich nicht und strahlte gerade die pure Bösartigkeit aus.

„Deine illusorische Märchenstunde ist hiermit vorbei!“, zischte er und Cindy meinte von der Stärke seines Blicks versengt zu werden. „Magie kann von Anfängern oft nicht von selbstkonstruierten Illusionen unterschieden werden, aber das lernst du noch.“ Seine Stimme wurde ein wenig tiefer und der grausame Zug um seinen Mund milder. „Mein Zauber hat offensichtlich das Beste aus dir herausgeholt, meinst du nicht?“

Ihr Zauber?“, fragte sie, obwohl es doch eigentlich klar war, dass er die Macht dazu haben musste. Alleine seine Präsenz und diese unglaublichen Augen waren doch der beste Beweis dafür.

„Das ist doch klar, dass ich als dein neuer Boss auch der große Zauberer bin. Logisch, oder?“, lachte er böse und Cindy wurde vor Verlegenheit rot. Allerdings wollte sie hier auch nicht als Blödel dastehen.

„Natürlich, aber es ist trotzdem kaum vorstellbar. Was auch irgendwie logisch ist, oder?“ Cindy biss sich auf die Unterlippe, weil sie schnippisch war und das Reptil ja eigentlich nicht provozieren wollte. „Ich … äh … Entschuldigung. Eigentlich wollte ich fragen, warum Sie mich ausgewählt haben?“

„Du hast den Vertrag nicht gelesen?“, fragte er forsch und so treffend, dass Cindy zusammenzuckte und noch mehr Farbe aufzog.

„Äh, doch, aber ich habe ihn nicht verstanden!“, ärgerte sie sich und fügte dann ein leises „Sorry“, kleinlaut hinzu. Was den Mann erneut zum Lachen brachte, seine Pupillen aber auch verengte. Cindy hatte immer mehr das Gefühl einem Alien gegenüber zu stehen. Er ist ein Reptil als Mensch getarnt. Mit seinem dunklen Maßanzug passt er absolut zum Gebäude, wo alles nach Schnösel mit Schlips und Anzug und unverständlichen Vertragstexten riecht.

„Na, na, Cindy! Solche Frechheiten verbitte ich mir!“, warf er plötzlich ein und Cindy blieb einen Moment wie versteinert stehen.

„Haben Sie … haben Sie gerade meine Gedanken gelesen?“, fiepte sie und er grinste schief und kam noch einen Schritt näher. Was wie ein direkter Angriff auf ihr Energiesystem zu werten war, denn er strahlte eine Hitze aus, als würde sie einen Meter vor der Sonne stehen oder eben direkt vor dem Höllenschlund.

„Ja, das habe ich. Aber wie du weißt, habe ich noch viel mehr. Ich habe dich zu dem geformt, was du immer sein wolltest.“ Cindy war versucht einen Schritt nach hinten zu gehen, nach Wasser zu verlangen oder nach Eiswürfel und blieb dennoch – Zähne knirschend – stehen. Sie wollte kein ängstliches Häschen sein, obwohl ihr Herz genauso raste, wie bei einem kleinen Nager, dessen letztes Stündlein geschlagen hatte.

„Stimmt“, flüsterte sie leise und wankte leicht, weil ihr so heiß war, dass sie allmählich mit ihrem Kreislauf Probleme bekam. „Aber wie haben Sie das eigentlich gemacht und … puh, könnten Sie die Klimaanlage vielleicht aufdrehen? Sie sind so …“ Sie unterbrach sich gerade noch rechtzeitig, weil „Sie sind so heiß“, nicht gerade das war, was sie ihm vermitteln wollte.

„Hier ist es total überhitzt“, seufzte sie daher schwer und wischte sich erste Schweißperlen von der Stirn. Der Mann aber reagierte kein bisschen auf ihre Forderung, nahm sie die ganze Zeit nur weiter unter die Lupe und drang dabei jede Sekunde tiefer in sie ein. Mit seinen Augen, seinem Wesen oder mit irgendwelchen energetischen Aliententakeln. Was wusste sie, was er da anstellte! Jedenfalls fühlte sie sich total bedrängt.

„Könnten Sie das bitte lassen? Ich verbrenne hier förmlich und Sie bohren weiter ungeniert Ihr Ding in mich hinein …“, maulte sie und biss sich sofort auf die Lippen, weil sie es ziemlich ungeschickt ausgesprochen hatte.

„Mein Ding?“, hakte er auch prompt nach und war mittlerweile so nahe, dass seine Nasenspitze beinahe die ihre berührte. Wenigstens roch er nicht nach Schwefel, sondern nach Aftershave. Doch die Nähe war alles andere als angenehm.

„Du findest mich heiß und behauptest ich bohre mein Ding in dich. Das sind doch ganz erfreuliche Fantasien, wie ich meine“, lachte er böse, war aber zugleich so gnädig einen Schritt nach hinten zu gehen, um ihr etwas mehr Luft zum Atmen zu lassen. Cindy fühlte sich schwindelig. Dieser Mann war nicht von dieser Welt. Seine Augen hatten das gleich gezeigt, aber dieser Fokus gerade hatte ihr eine Übelkeit beschert, die mit normaler Angst nicht mehr zu erklären war.

„Sind Sie der Teufel?“, fragte sie daher, weil sie keinen Sinn mehr darin sah noch weiter um das heiße Höllenfeuer herumzureden.

„Ich bin was ich bin und dein neuer Auftraggeber. So, wie es auf dem Kuvert steht, das du mitgenommen hast.“

„Sie wissen, dass ich den Vertrag und das Kuvert mitgenommen habe?“

„Ich weiß alles über dich. Sonst hätte ich dir wohl kaum diese zweite Chance geboten“, meinte er und seine Stimme hatte einen spöttischen Unterton.

„Aber WER sind Sie, um all das tun zu können? Ich meine … nicht, dass ich undankbar erscheinen möchte, aber wie komme ich zu der Ehre, plötzlich so derart perfekt auszusehen?“

„Hm. Dein Selbsthass war schon ziemlich anziehend“, antwortete er trocken und Cindy wurde kreidebleich.

„WAS?“, kreischte sie empört und taumelte einen Schritt nach hinten.

„Selbstgeißelung ist etwas Wunderschönes, findest du nicht?“

„Nein … ich … äh … habe es gehasst.“

„Nicht wirklich!“

„Was? Ich verstehe nicht?“

„Im Gegenteil: Du hast es geliebt! Vielleicht verstehst du es, wenn ich dir sage, dass du es geliebt hast zu hassen? DAS ist nämlich eine Qualität, die ich durchaus unterstütze.“

„Aber das wollte ich doch nicht …“, erwiderte sie aufgebracht.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739438856
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
Lucifer Teufel Fantasy Spannung Romance Liebe Humor Urban Fantasy Liebesroman

Autor

  • Sabineee Berger (Autor:in)

WARUM SABINE MIT DREI E? Sie passen zu mir und dienen zur Abgrenzung bei Namensgleichheit. Ich bin freischaffende Künstlerin & Schriftstellerin und schreibe seit mehr als fünfzehn Jahren Fantasy-Romane. Mein Slogan lautet "Kunst ist, was berührt und Impulse setzt!"
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Titel: Teufelsbraut