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Im Bann seiner Macht SAMMELBAND

von Sabineee Berger (Autor:in)
1500 Seiten

Zusammenfassung

Der keltische Kriegsgott Condatis ist überschäumend an Macht und Energie. So zeugt er vier Söhne und teilt seine Qualitäten mit ihnen, um nicht völlig überzuschnappen. Allerdings belegt er sie auch mit einem Fluch: Sie müssen eine Gefährtin mit Feenanteil finden, um nicht in die Schattenseite ihrer göttlichen Qualitäten zu kippen. Zu allem Übel ist jedoch genau diese Frauengattung so gut wie ausgestorben. !! Alle vier Bände der Erfolgsserie in einem Sammelband !!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1.Kapitel

Silke kaute gerade an der blassroten Biotomate, als sie ein komisches Gefühl beschlich und sich die Härchen auf ihrem Unterarm aufrichteten. Seltsam! Verwirrt sah sie in alle Richtungen, um die Ursache dafür zu finden, doch eigentlich war nichts wirklich Ungewöhnliches zu erkennen. Bis auf ein paar Blätter vielleicht, die sich am Rande der Lichtung heftig bewegten. Bei genauerer Betrachtung bemerkte sie allerdings, dass diese Bewegung völlig geräuschlos und nur auf einen Teil des Gebüsches beschränkt war. Es gab keinen Wind und Tiere waren auch nicht zu sehen.

Partielle Bewegung ohne das geringste Rascheln? Das war dann doch ein wenig seltsam. Rundum schien alles völlig normal zu sein, aber in einem Abschnitt von vielleicht fünf mal fünf Metern spielte das Unterholz definitiv verrückt. Es war wohl mehr Instinkt, als das Erkennen von Gefahr, warum Silke aufstand und ein paar Schritte auf Abstand ging. Das Phänomen machte sie durchaus neugierig, aber sie wollte auch nicht riskieren unter die Hufe eines Wildschweins zu geraten. Es war Mitte April und die kleinen Frischlinge kamen zumeist zwischen März und Mai zur Welt. Mit einer wild gewordenen Bache wollte sie sich aber nicht unbedingt anlegen. Selbst als gut trainierte Sportlerin hätte sie solch einem Biest nicht davonlaufen können.

Je länger sie aber überlegte und das Ereignis beobachtete, desto eher konnte sie ein Tier ausschließen. Ab einer gewissen Größe waren diese Viecher nicht völlig geräuschlos. Und da war noch etwas, das Silke immer mehr davon überzeugte, es mit keinem Wildschwein zu tun zu haben: Die Luft stellte seltsame Sachen an, begann sich in dem Abschnitt zu verändern und irgendwie eigentümlich zu schimmern. Sogar die Farben der Blätter änderten sich. Ja, tatsächlich! Das Schauspiel wurde immer intensiver und vollkommen bizarr. Silkes Mund stand vor Staunen offen und ihre Handflächen begannen zu schwitzen, als die Blätter nun in sattem Rosa aufleuchteten, blau wurden und dann wieder zu Grün wechselten. Wie paralysiert stand sie da und konnte nicht glauben, was vor sich ging. Die Wanderstrecke zur Weichtalalm kannte sie wie ihre Westentasche und auf dieser kleinen Lichtung am Rande der Baumgrenze hatte sie wohl schon gut ein Dutzend Mal ihr Käsebrot mit Biotomaten genascht. Aber in all den Jahren hatte sie ein solches Naturschauspiel noch nie erlebt. Als würden Luftschichten brechen und sich wieder zusammenschieben, Verzerrungen hervorrufen und nebenbei seltsame Farben produzieren. Die Energie, die von diesem Platz ausging, war auf ihrer Haut zu spüren, fühlte sich elektrisch an und warm. Silke machte einen weiteren Schritt rückwärts. Allmählich wurde ihr richtig unheimlich, obwohl das Ereignis auch irgendwie schön anzusehen war. Es schien sich sogar auszudehnen oder zu intensivieren, ehe es ein puffendes Geräusch gab und alles plötzlich wieder normal wurde. Was irgendwie viel zu schnell ging.

Silke blieb stehen und wusste nicht, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Die Blätter bewegten sich nun nicht mehr und ihre Farben waren wie zuvor. Auch die Konturen und Luftschichten wirkten nun nicht mehr verzerrt. Als wäre nie etwas Ungewöhnliches passiert! Gut, das Phänomen hatte nur ein paar Sekunden gedauert und es hatte dabei auch kein Geräusch verursacht. Doch zum Schluss war es wie eine große, schillernde Seifenblase zerplatzt.

Silkes Herz klopfte wie verrückt und sie getraute sich nicht gleich näher zu kommen. Spooky, dachte sie noch etwas benommen, obwohl das Unterholz nun wieder so aussah wie zuvor. Dann allerdings wehte ein Duft von dieser Stelle zu ihr herüber, der sie völlig in den Bann zog. Er hatte eine so ungewöhnlich interessante Note, dass sie nicht nur wie verrückt schnupperte, sondern auch den ersten Schritt vorwärts wagte. Was so gut roch, konnte nicht gefährlich sein.

Aber was ist, wenn das Militär hier irgendeinen obskuren Versuch macht? Silke war ein kleiner Umweltfreak, aß so gut wie kein Fleisch und stand auf diversen Listen von Hilfsorganisationen. Dazu spendete sie regelmäßig und sammelte im Wald den Müll zusammen. Sie hatte zwar Respekt vor Männer mit Waffen, sah es aber als ihre Pflicht an zu prüfen, ob hier gerade eine Umweltsünde passiert war. Vielleicht hockte ja sogar ein schießwütiger Soldat hinter dem Gebüsch oder es war plötzlich alles verstrahlt. Sicherheitshalber schnappte sie sich ihren Rucksack und hielt ihn wie eine Waffe vor sich. Er war bereits bis zur Hälfte mit Müll gefüllt und ein wenig schwerer, als bei ihrem Aufbruch. Vielleicht wäre ein Ast besser gewesen, doch so weit dachte sie gerade nicht. Außerdem war ihre Neugier bereits so groß, dass sie einfach vorwärtsgehen musste. Noch ein Schritt, dann war sie an der Stelle, wo das betörende Aroma nach Leder, Rauch und einem Duft, der ihr gänzlich unbekannt war, in die Nase stieg. Die Luft wirkte entladen, wie nach einem Blitz, fühlte sich dünn an und klar. Silke bekam schon wieder Gänsehaut, dieses Mal dafür am ganzen Körper. Sie ging eigentlich nicht von einem fantastischen Phänomen aus, sondern eher von einer Umweltsünde oder einem militärischen Experiment, war aber nachhaltig fasziniert von der erlebten Schönheit des bizarren Farbspiels. Ein kleiner Teil von ihr wollte vermutlich sogar an Fantastisches glauben, aber als nüchtern denkende Zahnarztassistentin hatte sie nicht allzu viel Spielraum in Sachen Fantasie. Sie war ja auch stets mit rationalen Dingen und der Sterilität der Medizin konfrontiert, musste organisieren und bodenständige Arbeit leisten. Lediglich zum Ausgleich gönnte sie sich manchmal romantische und fantastische Romane. Heimlich, versteht sich, denn sie wollte sich nicht lächerlich machen.

Ihre Haut kribbelte vor Aufregung bei dem Versuch, im dichten Laubwerk mehr zu erkennen, als nur die schnöden Blätter, die sich mit einem Mal so unschuldig grün und schlicht präsentierten.

Von wegen unschuldig! Ihr seid gerade noch rosa und blau gewesen ... dachte sie und sah so provokant zu den Blättern hinunter, als müssten die sich nun ein Plädoyer zu ihrer Verteidigung überlegen. Mit einem Finger stupste sie eines der Dinger an und wurde gleich darauf durch eine schnelle Bewegung im Inneren des Gebüschs erschreckt. Da war doch etwas! Automatisch zog sie die Hand zurück und versuchte mit reiner Willenskraft den dichten Blätterschirm zu durchdringen.

Noch eine Bewegung!

Silke stolperte einen Schritt rückwärts, doch sie war nicht schnell genug. Nicht einmal annähernd! Denn völlig unvorhergesehen spuckte das Gebüsch etwas unbeschreiblich Riesiges aus! Und das stürzte sich schon im nächsten Moment mit aller Kraft auf sie. Silke konnte nicht einmal mehr schreien, so schnell und stark wurde sie zu Boden gerissen. Ihr Hinterteil landete zuerst auf dem harten Untergrund, dann folgte ihr Kopf mit einem dumpfen Geräusch. Für einen Moment sah sie bunte Sterne – mit ähnlichen Farben, wie die der Blätter. Doch viel schlimmer war das mörderische Gewicht, das nun auf ihr lastete und ihr die Luft abdrückte. Sie fühlte sich wie unter einer Dampfwalze, japste nach Sauerstoff, stemmte sich dagegen und versuchte endlich zu erkennen, was sie da überhaupt so brutal angefallen hatte. Doch die gefühlte Tonne auf ihr rührte sich keinen Millimeter, schien nur schwerer und schwerer zu werden. Silke strampelte so gut es ging und versuchte sich zu befreien, doch das Gewicht war einfach mörderisch.

Erst nach etlichen Sekunden konnte sie tatsächlich ein wenig nach oben rutschen und einen besseren Überblick gewinnen. Zuerst hatte sie nur schwarze Haare vor Augen, aber irgendwann auch die Möglichkeit mehr zu erkennen. Und diese Erkenntnis war nicht gerade einfach, denn es handelte sich weder um ein Wildschwein noch um einen Bären.

Nein, kein Tier! Ein Mensch! Und was für einer! Silke war völlig platt (und das im doppelten Sinn). Da hatte sich doch tatsächlich mitten im Grünen ein wild aussehender Mann wie ein Irrer auf sie gestürzt und niedergewalzt!

Was für ein Spinner hockt heimlich im Gebüsch und fällt fremde Frauen an? Verwirrt schüttelte sie den Kopf, doch eigentlich konnte ihr der Grund egal sein. Sie wollte sich das einfach nicht gefallen lassen! Schließlich nahm sie regelmäßig Boxunterricht, war fit und durchtrainiert und eigentlich geschult, sich aus genau solch einer erdrückenden Lage zu befreien. Sie versuchte einen ihrer legendären Hebel mit dem Bein, verstärkte ihren Druck zusätzlich mit dem Einsatz ihres Ellenbogens und ... konnte rein gar nichts ausrichten. Der Kerl war entweder tot oder schlicht bekloppt.

Übergewichtig war er allemal.

„Geht’s noch? Ich meine ...“, ächzte sie und versuchte ihn nun mit einem anderen Hebel von sich fortzudrücken. „Scheiße! Runter von mir!“ Der Mann rührte sich immer noch nicht, blieb wie bewusstlos auf ihr liegen. Silke aber gab nicht auf, arbeitete weiter und verschaffte sich tatsächlich ein wenig Freiraum. Sie stöhnte und wand sich einfach so lange wie eine Schlange, bis es ihr tatsächlich gelang unter ihm hervor zu robben. Sein schwerer Körper rollte zur Seite und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Rücken. Entweder war der Kerl wirklich tot oder ziemlich und sehr bewusstlos. Silke war ein wenig außer Puste, kam in die Hocke und ging auf Abstand, ohne den Mann aus den Augen zu lassen. Immerhin hatte er sich gerade noch wie ein tollwütiger Hund auf sie gestürzt und vollkommen überrumpelt. Sie mochte ja trainiert sein und wissen, wie man sich abrollt, aber durch seine massive Attacke war sie doch recht ungeschickt gelandet.

Jammernd rieb sie sich über ihren Allerwertesten und untersuchte ihren Hinterkopf auf Platzwunden. Der Kopf war in Ordnung, der Hintern auch, schmerzte aber und würde vermutlich blau werden. Verdammt! Sie wusste gerade nicht, ob sie wütend sein sollte oder dem bewusstlosen Riesen Hilfe leisten musste.

Die Situation war aber auch verrückt und verwirrend!

Nach ein paar Sekunden Bedenkzeit seufzte sie leise und entschied sich für beides. Schließlich konnte sie auch wütend Hilfe leisten.

Als sie näherkam, bemerkte sie wieder diesen eigentümlichen Duft, der ganz klar von ihm und seinem braunen Ledermantel ausging. Der Mann war gut einen Kopf größer als sie und um mindestens fünfzig Kilo schwerer. So wie er da lag, sah er zwar nicht dick aus, wirkte aber doppelt so breit wie sie. Nein, dick war nicht das richtige Wort. Wuchtig traf es eher. Silkes Mund wurde trocken und ihre Hände begannen zu zitterten. Selbst bewusstlos strahlte dieser fremde Mann Kraft und Macht in einer Stärke aus, die ihr die Knie weich werden ließ. Am liebsten wäre sie weglaufen, hätte alles liegen und stehen lassen und sich nicht weiter um den Irren aus dem Wald gekümmert. Lediglich ihr Ehrgefühl ließ das nicht zu. Auf der Wange hatte er einen blutigen Kratzer, aber unter seinem Mantel verbargen sich womöglich noch mehrere Verletzungen. Warum sonst sollte er bewusstlos sein? Schließlich war ER ja bei dem Sturz weich gelandet … nämlich auf ihrem Körper.

Vorsichtig stupste sie mit einem Finger an seine Schulter. Das Leder knirschte. Oder waren es seine Zähne? Nein, keine Reaktion! Sie stupste noch einmal. Fester, dieses Mal. Eine kleine Duftexplosion berauschte ihre Nase, als hätte sie eine Kapsel herrlich herben Parfums geknackt. Der Mann aber rührte sich immer noch nicht und Silke wurde allmählich nervös. So wie es aussah, musste sie wegen ihm jetzt gar die Fakten ihres Erste-Hilfe-Kurses durchgehen! Als Zahnarztassistentin gehörte so etwas zwar zum 0815-Repertoire, doch bisher hatte sie davon nie etwas anwenden müssen.

Was war noch schnell zu tun, wenn jemand bewusstlos war? Atmung prüfen, ansprechen, berühren, notfalls Herzmassage einleiten! Sie wurde deutlich nervöser, denn der riesige Kerl machte ihr selbst bewegungsunfähig noch Angst. Schwarzes, langes Haar verteilte sich über sein Gesicht, verdeckte das Meiste von seinen harten Ecken und Kanten, ließ lediglich etwas von seinem vollen Mund erkennen. Einem Mund, der in seiner Sinnlichkeit nicht ganz zum Rest seiner Züge passte. Silke musste sich konzentrieren, atmete tief durch und begann mit ihrer Hilfsaktion. Zuerst kam sie mit dem Ohr ganz nah an seinen Mund, um seine Atmung zu hören. Die Nähe kribbelte und machte die Haut auf ihrem Ohr überempfindlich, obwohl sie keine Atmung erkennen konnte. Zur Sicherheit wollte sie noch den Puls an seinem Hals ertasten und schob dafür gerade ihre Hand vor, als eine schnelle Bewegung sie ablenkte. Im nächsten Moment lag sie schon wieder auf dem Rücken und er war über ihr.

„Wen haben wir denn da?“, zischte er gehässig, und fixierte sie aus dunkelgrünen Augen durch ein Meer von schwarzen Haaren. Sein Blick war extrem und ihr Magen dadurch plötzlich ganz klein und schrumpelig. Dieses Mal hielt er sie ganz bewusst mit seinem Gewicht in Schach.

Silke konnte gar nicht fassen, dass sie schon wieder überrumpelt worden war und musste sich erst einmal sammeln. Dann aber versuchte sie sich so rasch als möglich aus seinem Griff zu befreien. Wendig und mit aller Kraft, wie sie meinte, doch die seine war einfach unglaublich. Und er strengte sich noch nicht einmal richtig an! Problemlos rammte er ihre Hände rechts und links von ihrem Kopf in den Boden und hielt ihre Beine mit dem Rest seines Körpers unter Kontrolle. Egal was Silke auch versuchte und welche kämpferischen Tricks oder Hebel sie anzuwenden versuchte ... er parierte augenblicklich so geschickt, dass sie keine Chance hatte auch nur einen Millimeter mehr Spielraum zu bekommen. Dabei begann der Typ noch nicht einmal zu schwitzen!

„Was-soll-das-denn?“, keuchte sie hektisch und versuchte wütend zu wirken. Dabei raste ihr Puls so stark, dass sie viel zu schnell atmete. Selbst ein Idiot hätte ihre Angst hundert Meter gegen den Wind gewittert. Doch dieser Mann hier schnupperte gerade an ihr wie ein wildes Tier. Laut, beinahe obszön. Als könnte er aus ihrem Duft alles Mögliche herausriechen und damit auch irgendwie ihre Seele erkennen. Seine dunkelgrünen Augen reicherten sich dadurch mit blauer Farbe an und begannen von innen heraus zu leuchten, sodass Silke wie verrückt zu zwinkern begann. Das gibt’s doch alles nicht!

„Woher kennst du diesen Ort?“, fragte der Mann mit einer tiefen Stimme, die an ein Reibeisen erinnerte. Entweder war er heiser, oder aber nur darauf aus sie noch mehr zu verwirren. Und das gelang ihm ganz gut! Alleine die Augen waren ja schon intensiv, aber dann auch noch diese Stimme! Silke war wie paralysiert und konnte nicht antworten, starrte blöd in seine Augen und zwinkerte immer wieder heftig. Der Griff um ihre Handgelenke verstärkte sich daraufhin und sein Blick wurde finster. Offenbar war er es nicht gewohnt auf Antworten zu warten.

„Verdammt, lass mich los, du Irrer“, kreischte sie plötzlich hysterisch, weil sie sein Gewicht ebenso unerträglich fand wie seinen harten Griff um ihre Handgelenke. Er aber reagierte nicht auf ihre Forderung, sondern verstärkte – im Gegenteil – nur noch mehr seinen Druck. Silkes Hysterie wechselte daraufhin augenblicklich zu einem Alarmstufe-Rot-Modus. So laut sie konnte schrie sie um Hilfe. Hatte man keine Chance auf Flucht oder Gegenwehr, musste man so laut brüllen wie möglich. Es war so die allgemein gültige Grundregel der Selbstverteidigung, die sie sich endlich doch noch in Erinnerung gerufen hatte. Für einen kurzen Moment gelang ihr das sogar recht gut. Doch nach einer Sekunde schon konnte sie nur noch ein „Hmpf“ von sich geben.

Volle Lippen schlossen sich fest um ihren Mund, Zähne bissen zu. Silke war wie erstarrt, spürte den Schmerz und versuchte nicht mehr zu schreien, nur noch zu atmen. Seine Zähne wurden augenblicklich milder, seine Lippen weicher. Schon schickte er seine Zunge als Verstärkung hinterher, drang in ihren Mund ein und begann sie auf verspielte Weise zu umgarnen. Silke war fassungslos über seine Dreistigkeit, wollte zubeißen und ihn aus ihrem Mund stoßen. Doch auch jetzt parierte er jeden Angriff und jede Ausweichtaktik so geschickt, dass sie ihn einfach nicht zu fassen bekam. Und das, obwohl sie ihn überall so intensiv spürte! Nichts an diesem Kuss war erotisch und nie hätte sie gedacht, sich je solch eine Handlung aufdrängen lassen zu müssen. Dabei war doch klar, dass man zubeißen musste! Schnapp und Zunge ab! Was wusste sie, warum das hier und jetzt nicht klappte! Frustriert stöhnte sie auf und versuchte ihn mit blödem Zungengehampel zu nerven. Doch das schien ihn kein bisschen aus der Fassung zu bringen. Im Gegenteil! Die Härte seiner Leibesmitte sprach eine deutliche Sprache und bestätigte einmal mehr, dass Männer tatsächlich anders tickten als Frauen. Auch wenn sie jedes Maß an Erotik negierte, schien es ihm doch bis zu einem gewissen Grad zu gefallen. Das-ist-jetzt-bitte-nicht-wahr! Er würde sie doch nicht hier mitten im Wald vergewaltigen? Nein, das kam ihr zu absurd vor. Obwohl ... allmählich dämmerte ihr schon, dass es eine durchaus einsame Lichtung war, wo kaum Wanderer auftauchten.

Aber dann ließ er endlich von ihr ab und sie konnte Luft schöpfen. Silke zitterte am ganzen Körper und war fassungslos, dass sie sich nicht einmal gegen einen Kuss hatte wehren können. Mein Gott, was für eine Niederlage! Sie schluchzte leise, weil sie es nicht für möglich gehalten hätte, gegen einen einzelnen Mann keine Chance zu haben. Gut, der Kerl war ein Riese und so stark wie ein Bär, aber dass er gar so leichtes Spiel mit ihr hatte, erschütterte sie. Silke fühlte sich beschämt und konnte nicht verhindern, dass sich eine leise Träne aus ihrem Augenwinkel schummelte.

Er bemerkte es.

„Na, na, Süße! Ich hatte einfach keine Hand mehr frei. Wie hätte ich dich daran hindern sollen, dämlich um Hilfe zu rufen?“ Er wollte ihr sein Vorgehen erklären, sie womöglich sogar beruhigen und nett sein, doch sie hörte nur das Wort dämlich und vergaß jede Art von Verzweiflung.

Dämlich?“, fuhr sie ihn an. „Du Perverser! Wer ist hier wohl dämlich?“ Mist, das war ihr nun doch schneller herausgerutscht, als beabsichtigt. Die Frage konnte sie dann wohl auch gleich mit ihrem eigenen Namen beantworten. Aber wer rechnete schon mit einem Giganten, der wie aus dem Nichts auftauchte, sich auf sie stürzte und küsste. Hm? Das klang gerade irgendwie gar nicht nach der Situation in der sie sich befand. Allem Anschein nach hatte sie aber mit ihrer patzigen Antwort seine Wut entfacht, denn er zog seine Augenbrauen wütend zusammen und das Grünblau seiner Augen veränderte sich zu einem dunklen, rauchigen ... jesses ... Schwarz. Silke japste schon wieder, dieses Mal aber vor Schreck. Ein Mann, der seine Augenfarbe verändern konnte, war nicht von dieser Welt, konnte nicht real sein. Sie begann automatisch wieder zu strampeln und sich zu wehren. Irgendwie bekam sie sogar eine Hand frei und fasste nach seinem Gesicht, um sich zu vergewissern, dass er aus Fleisch und Blut war. Der knurrende Ton, den er dabei ausstieß, bestätigte ihr sofort, dass er durchaus real war. Sie hörte sofort auf zu strampeln.

Scheiße, der Kerl ist echt, dachte sie. Hektisch versuchte sie ihre zitternde Hand unter Kontrolle zu bringen, doch wie unter Zwang wanderte die plötzlich zu dem schönen Schwung seines Mundes und fuhr mit den Fingerspitzen über die leicht geöffneten Lippen. Was ihm ein leises Brummen entlockte und seine Augen schlagartig milder färbte. Das Schwarz verschwand gänzlich und seine Iris wurde wieder zu diesem leuchtenden Grünblau, das zuerst Sinnlichkeit ausstrahlte und dann die absolute Gier auf Sex.

Silke bekam sofort wieder Panik.

„T‘schuldige“, kreischte sie auch sofort und presste die Augen fest zusammen, weil sie glaubte, so seiner Naturgewalt entkommen zu können. Doch der Typ war unheimlich, unberechenbar und schien völlig unter Strom zu stehen. Sie rechnete mit dem Schlimmsten, presste die Lippen ebenso fest zusammen wie die Augen und erstarrte regelrecht, als er plötzlich … zu lachen begann. Lauthals und völlig ungezwungen.

Er lacht? Verdutzt öffnete Silke ein Auge und sah geradewegs in seinen offenen Mund, der unter schallendem Gelächter vor ihrer Nase auf und ab schwebte. Ja, war der Kerl jetzt vollkommen übergeschnappt? Sofort regte sich wieder Wut in ihr. Sie öffnete auch das zweite Auge, um ihn genauer zu beobachten. Weiße, ebenmäßige Zähne, wohin das Auge reichte, keine Plomben. Er lachte immer noch und Silke hatte den Verdacht, dass er sich die ganze Zeit nur lustig über sie machte.

„Runter mit dir!“, befahl sie wütend und beendete damit seinen Lachanfall. Seine Augen tränten ein wenig und leuchteten dadurch noch intensiver. Aber er lachte nicht mehr. Vielmehr sah er ihr tief in die Augen, betrachtete ihren vollen Mund und ihre blonden Haare. Dann stand er abrupt auf, ohne sie dabei loszulassen. Es war schlicht ein Wunder, dass sie bei seiner Vorgehensweise nicht auf ihn draufpurzelte oder unelegante Komikeinlagen lieferte. Irgendwie schaffte er es also in die Höhe zu kommen und Silke vor sich aufrecht auf die Beine zu stellen. Viel zu nahe, wie sie feststellte, denn sie musste sich förmlich das Genick verrenken, um ihm weiterhin in die Augen sehen zu können. Wer oder was war auch bitteschön so groß und hatte dann noch diese Augenfarbe? Das karibische Meer ist ja ein Dreck dagegen! Verwirrt schüttelte sie den Gedanken ab und versuchte sich zu ermahnen, dass dieser Mann sie brutal überfallen hatte.

Ein Riese.

Aus dem Nichts.

Mit einem unglaublich erotischen Duft.

Scheiße! Hatte sie das gerade wirklich gedacht? Sie biss sich unbewusst auf die Unterlippe.

„Ich sehe, ich bringe dich durcheinander“, lachte er und sie trat ihm wütend gegen das Schienbein. Wirklich fest und gezielt, aber das verpuffte quasi im Nichts, denn er hob nur leicht seine Augenbrauen. Als hätte der Kerl Schienbeinschützer aus Stahl oder überhaupt kein Gefühl in den Beinen! Silke war sprachlos. Immerhin hatte sie feste Wanderschuhe an.

„Was ist? Spürst du gar nichts?“, fauchte sie frustriert und wollte noch einmal zutreten, als er ihre linke Hand fester packte und zu seiner Leibesmitte zerrte, geradewegs auf seine steinharte Erektion. Silkes Augen wurden groß wie Tennisbälle.

„Und ob ich etwas spüre“, grinste er schäbig, bevor er ihre Hand hinauf- und hinunterschob, um Reibung zu erzeugen. Das Glimmen in seinen Augen und das genüssliche Brummen dabei verschlugen ihr schlicht die Sprache. Sie war keine Zimperliese und hatte schon Erfahrung mit Männern, doch diese Dreistigkeit konnte sie kaum fassen. Mit aller Kraft wollte sie zupacken und ihm zerquetschen, was er so genüsslich rieb, doch auch dieses Mal wusste er schon im Ansatz, was sie vorhatte und schob ihre Hand rechtzeitig fort. Silke war außer sich vor Wut und Frust, versuchte ihn zu boxen und zu treten. Doch dem wich er jedes Mal geschickt aus. So cool und unbeeindruckt, dass es schon unheimlich war.

Erst nach einiger Zeit begann er mit seinem persönlichen Gegenschlag und zog sie ruckartig an seinen harten Körper. So schnell konnte Silke nicht einmal „uff“ denken, presste er schon wieder seine Lippen auf ihren Mund. Silke verkrampfte sich noch mehr, hielt ganz still und ihren Mund so fest geschlossen wie möglich. Doch der Mistkerl zeigte nicht nur Ausdauer, sondern auch eine gewisse Raffinesse. Sie wollte atmen ... ja, das war wohl der Grund, warum sie den Mund erneut öffnete, denn schon nach wenigen Versuchen, war er mit einem tiefen Brummen in ihr, kostete ihren Geschmack und bewegte sich ganz anders als zuvor.

Silke stöhnte auf ... nein! Natürlich atmete sie nur schwer, denn sie bekam ja kaum Luft! Zumindest redete sie sich das ein. In Wahrheit aber war sie vollkommen gefangen von seinem Ansturm und dem neuen Werben seiner Zunge. Das erste Mal hatte nur dazu gedient ihren Schrei zu dämpfen, doch der Kuss jetzt war eine einzige Verführung. Dieser Mann erforschte sie mit einem kühnen Interesse und einer Leidenschaft, die Silke dahinschmelzen ließen. Seine rhythmischen Bewegungen gingen dabei direkt über auf seinen Körper und ließen Silke jeden Zentimeter seiner Statur auf neue Weise spüren. Was sie vollkommen überraschte und verwirrte, denn die Intensität ihrer Empfindung ließ sie gerade erzittern, vor Lust stöhnen.

Himmel, der Mann war gut ... und überall um sie herum. Offenbar wollte er ihr auf ganz spektakuläre Weise zeigen, wer hier der Stärkere war und immer sein würde. Wie sonst sollte sie sich ihr Gefühlschaos erklären, wenn der Kuss doch nur Mittel zum Zweck sein konnte? Der Mann war schließlich rücksichtslos, draufgängerisch ... und schmeckte dennoch einfach nur teuflisch gut.

2.Kapitel

Sein Atem ging flach. Der letzte Schlag hatte ihm eine Menge gekostet und nichts gebracht. Der Dämon fletschte die Zähne und kam näher. Jeden Moment würde er sein doppelreihiges Gebiss tief in seinen Leib schlagen und so oft zubeißen, bis nur noch Matsch von seinem Körper übrigblieb. Doch er war noch nicht am Ende, wollte sich nicht geschlagen geben, lieber nach der Waffe greifen. Das runde Ding konnte er wenigstens als Wurfgeschoss verwenden. Es war nicht sonderlich groß, aber aus Metall und zurzeit seine letzte Chance. Seine Beine waren gebrochen, doch mit den Händen konnte er sich noch in die richtige Richtung ziehen. Er keuchte vor Anstrengung, während das Biest unaufhaltsam näherkam. Blutiger Geifer tropfte aus dessen Maul, fauliger Atem drang bis zu ihm herüber. Er robbte weiter, zog sich mit letzter Kraft zum Tisch und erwischte endlich das verflucht kleine Ding, das ihm jetzt noch helfen sollte. Seine Finger schlossen sich langsam um das kalte Metall, er begann zu zielen, doch genau in dem Moment ging das Ding plötzlich los ... und erzeugte einen Heidenlärm.

Wie von der Tarantel gestochen fuhr John in die Höhe. Sein Atem ging schnell, seine Haut war fahl und schweißbedeckt. Mit großen Augen starrte er auf den Wecker in seiner Hand, lauschte auf das schnarrende Geräusch ... und drückte auf den Abstellknopf. Allmählich kam er wieder ganz zu Bewusstsein und zwang sich tief einzuatmen. Sein Herz raste und seine Beine schmerzten als hätte er gerade wirklich gegen einen Dämon gekämpft. Bewusst atmete er in tiefen, langen Atemzügen weiter.

„Verdammt“, fluchte er und knallte den Wecker mit mühsam verhaltener Wut zurück auf den Nachttisch. Müde fuhr er sich mit den Händen übers Gesicht. Dieser Traum kostete ihm eine Menge Schlaf und er wiederholte sich viel zu oft, als dass er ihn ignorieren könnte. Allmählich überlegte er sich sogar ernsthaft einen Traumtherapeuten in Erwägung zu ziehen, obwohl er die meisten für Scharlatane hielt und er es als Niederlage empfinden würde. Doch dann schüttelte er wie immer den Kopf und nahm sich stattdessen vor, das Ding im nächsten Traum schon irgendwie zu erledigen.

„Irgendwann ...“, brummte er und schob das schwarze, seidene Laken zur Seite. „... kill ich dich!“ Mit einem grimmigen Ausdruck ging er, nackt, wie Gott ihn erschaffen hatte, zur Fensterfront seines 200 m² Penthouses. Er hatte kein direktes Gegenüber und selbst wenn, hätte er es sich nicht nehmen lassen nackt den Sonnenaufgang über New York abzuwarten. Er liebte es, wenn die ersten Lichtstrahlen am Horizont auftauchten und diese herrliche Stadt zum Leben erwachte. John Baxter lebte im obersten Stock des Condatis-Towers, der ihm zur Gänze gehörte und hatte den besten Überblick über jenen Stadtteil New Yorks, der zuallererst von der Morgensonne beleuchtet wurde. Als erfolgreicher Geschäftsmann war er nicht allzu oft Zuhause, doch wenn er es schaffte, dann ließ er sich sein morgendliches Ritual nicht nehmen.

Es klopfte an der Tür und John rief ein „Herein“, ohne sich wirklich umzudrehen. Vermutlich war es sein Assistent, der den frühen Morgen ebenso schätzte und Johns Vorliebe für Sonnenaufgänge kannte. Nackt hatte der ihn auch schon gesehen, also warum sollte er ihn nicht hereinbitten? Unter Männern war das kein Ding. John löste die letzten Verspannungen der Nacht, bewegte seinen Kopf und drehte seine Schultern, als ein lautes, sehr weiblich klingendes Keuchen seine Aufmerksamkeit erregte. Hoppla, der morgendliche Besuch war also doch anderer Natur!

„Verzeihung, ich ...“ Sonja fiepte, als hätte sie noch nie einen nackten Mann gesehen. „... ich komme ... ich meine, später ...“ Sie hustete verlegen in ihre Hand und John deutete ihr, dass sie sich umdrehen sollte, damit er sich ebenfalls umdrehen konnte. Ihm war das Ganze nicht wirklich peinlich, doch er wollte die Assistentin seines Pressesprechers nicht noch mehr in Verlegenheit bringen.

„Natürlich, Mr. Baxter, ich ... ich bin dann soweit“ Sie wandte ihm den Rücken zu und verdrehte die Augen, weil sie sich wie die letzte Idiotin benahm. Ihren Chef nackt zu sehen, war nicht gerade das, was ihre Karriere beschleunigen würde. Ihr Gesicht war feuerrot und dann hatte sie auch noch so etwas Schwachsinniges wie „ich komme“ oder „ich bin soweit“ von sich gegeben. Mist aber auch! Sie musste mehr an ihrer Contenance arbeiten! Baxter war ein überaus attraktiver Mann, aber dass er solch einen perfekten Körper besaß, war bis jetzt nur eine Annahme gewesen. Bis jetzt! Vor Ärger hätte sie am liebsten aufgestampft und vor Verlegenheit dafür ein Loch gebuddelt, um darin zu verschwinden. Grimmig biss sie die Zähne zusammen, während Baxter hinter ihr mit Stoff raschelte.

„Also Mrs. Light. Was kann ich so früh am Morgen für Sie tun?“, fragte er und sie wandte sich vorsichtig um. Falls er die Frage zweideutig gemeint hatte, ging sie lieber nicht darauf ein. Wenigstens hatte er sich jetzt eine Pyjamahose übergezogen, das Oberteil dazu hatte er offenbar verloren. Sonja schluckte beim Anblick seines nackten Oberkörpers. Der Mann war trainiert wie ein Leistungssportler und schlicht zu schön, um wahr zu sein. Zuerst der Knackarsch, dann auch noch ein Sixpack. Sie starrte ein wenig und fuhr sich mit der Zunge über die trocken gewordenen Lippen.

„Also?“, fragte er und wirkte genervt.

„Ihr Assistent hat mir gesagt, dass ich um diese Uhrzeit kommen dürfte. Er hat gesagt ...“

„Schon gut, Mrs. Light. Ich mache ihnen keinen Vorwurf. Das nächste Mal frage ich am besten, wer vor meiner Tür steht.“ Er sagte es so charmant, dass sie endlich ihre Befangenheit verlor und ihren Blick mehr unter Kontrolle brachte.

„Sie wollten doch den Text für die Presseaussendung so rasch als möglich haben und da ich die ganze Nacht daran gearbeitet habe, dachte ich ...“ Sie sprach nicht weiter, sondern überreichte ihm stolz die dünne Mappe. Sonjas Arbeitseinsatz war unumstritten, denn sie achtete ganz besonders engagiert auf das Image von Condatis Concern. In den letzten Tagen hatte es des Öfteren böse Gerüchte über die Firma gegeben, was als gezielte Imageschädigung zu werten war. Gestern allerdings war sogar ein Artikel über angebliche Umweltsünden der Firma in einem nichtssagenden Provinzblatt erschienen. Sonjas Aufgabe bestand nun darin, diese Rufschädigung wieder ohne gröbere Knitterfalten auszubügeln. Generell war es ihr Job, Gerüchte und Stimmungen zu beobachten und das Image der Firma regelmäßig zu polieren. John Baxter legte sehr viel Wert darauf, denn nur ein gut gepflegtes Image konnte eine Marke entsprechend stärken. Dafür musste die Pressestelle stets erste Anzeichen von Imageschädigung identifizieren und möglichst eliminieren. Manchmal genügten Telefonate, aber oft musste ein ganzes Konzept erarbeitet werden, um den Schaden gering zu halten, komplett zu eliminieren oder ins Gegenteil zu kehren. In dem Fall sollte mit Sonjas Gesamtpaket ein ausgeklügelter Rundumschlag gegen die Verleumder gelingen und das Provinzblatt zur Ordnung gemahnt werden, ohne gleich dabei vernichtet zu werden. Es musste nicht immer auf die harte Tour gefochten werden, um zu seinem Recht zu kommen. Ein kurzer Widerruf, eine ehrliche Entgegnung des Zeitungsinhabers und schon war die Sache erledigt.

John Baxter klappte die Mappe auf und überflog den Inhalt. Er war einer der schnellsten Querleser, den Sonja je erlebt hatte. Schon nach einer Minute erhellte ein zufriedenes Grinsen sein kantiges Gesicht. Als er aufblickte, sah er seine Assistentin mit neuem Interesse an. Diese schüchterne, kleine Person überraschte ihn immer wieder mit wirklich guten, ausgeklügelten Schachzügen.

„Wo haben sie denn die Information zu Ramses Enterprises her?“, fragte er interessiert und Sonja lachte ihm spitzbübisch entgegen.

„Das ist eigentlich mein Geheimnis, aber ich war mal mit einem Mitarbeiter von ihrem Erzfeind liiert. Es war nur eine kurze Sache und privat, aber er hat mir davon berichtet und ich habe es heute Nacht überprüft. Es stimmt.“ Sie war immer noch stolz, aber John Baxters Blick wurde streng.

„Das ist wirklich gute Arbeit, Sonja. Aber hätten sie mir diese Liaison nicht bei Ihrer Bewerbung mitteilen müssen?“ Er schätzte sie, aber er verlangte bedingungslose Loyalität und Ehrlichkeit.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass ich bei meiner Bewerbung alle meine Bettpartner aufzählen musste“, antwortete sie jedoch, weil sie seit über drei Jahren für ihn arbeitete und sich nie etwas zu Schulden kommen hatte lassen. Sie liebte ihren Job und sie mochte ihren Chef. Warum also stellte er jetzt ihre Loyalität in Frage, wo sie doch ein geniales Konzept lieferte? John Baxter fixierte sie noch lange aus seinen dunkelgrünen Augen, doch sie zwinkerte kein einziges Mal. Sie war eine aufrichtige Mitarbeiterin, das wusste er.

„Ist gut. Ich wollte nur noch einmal verdeutlichen, wie wichtig mir ihre Ehrlichkeit ist.“ Er reichte ihr die Mappe zurück. „Gute Arbeit! Das gibt einen Bonus für sie.“

„Danke Mr. Baxter!“ Am liebsten hätte sie einen Luftsprung gemacht und danach einen Knicks. Für sie war John Baxter der Inbegriff eines guten Chefs und dazu noch so verflucht knackig und sexy. „Auf Wiedersehen.“

„Ach, bevor sie nach Hause gehen, schicken sie mir doch bitte Dennis herein. Ich schätze ich sollte mal ein Hühnchen mit ihm rupfen.“

„Wegen mir?“, fragte sie und fühlte sich plötzlich gar nicht mehr wohl in ihrer Haut. Der Assistent des Chefs hatte sie zwar wegen dem frühen Termin in eine unangenehme Lage gebracht, aber sie wollte nicht, dass ihm wegen ihr die Ohren langgezogen wurden.

Baxter nickte nur. Er wusste genau, dass Dennis ihr einen Streich gespielt hatte. Vermutlich hatte er das süße Ding mit einem nackten Chef so richtig aus der Reserve locken wollen. Doch das sollte er ihm gefälligst selber erklären!

„Sie werden ihm doch nicht etwa den Kopf abreißen?“, fragte sie vorsichtig und John Baxter zwinkerte ihr beruhigend zu.

„Nein, ich schätze ich werde mit ihm reden und frühstücken. Aber beides wird ihm heute vermutlich nicht so ganz schmecken.“


3.Kapitel

Kurz bevor Silke ihr Auto erreichte, stürzte sie und schürfte sich die Handflächen auf. Mist! Hektisch klopfte sie ihre Jeans ab, saugte an den kleinen, offenen Kratzern und lehnte sich erschöpft gegen die Fahrertür ihres Autos. Die paar Wunden auf ihrer Handfläche waren nicht der Rede wert. Vielmehr interessierte sie, warum sie die Wurzel nicht gesehen hatte, oder warum sie so gehetzt zum Auto gelaufen war. Doch, wenn sie ehrlich war, hatte sie keine Ahnung, was in den letzten Stunden passiert war. Verwirrt schüttelte sie den Kopf. So schlimm war sie ja wohl nicht gestürzt und den Kopf hatte sie sich auch nicht gestoßen. Also was war los? Warum wusste sie nicht einmal, ob sie oben auf der Alm angekommen war oder nicht? Ihre Armbanduhr zeigte gerade einmal 16.00 Uhr und das war eigentlich viel zu früh für das Ende dieser Wandertour.

Am liebsten hätte sie laut geschrien und gegen ihr Auto geboxt, so durcheinander war sie und so verflucht abgehetzt und verschwitzt. Was war nur los mit ihr? Warum hatte sie mitten am Weg umgedreht und war zum Auto gelaufen? Außerdem spürte sie jeden Muskel ihres Körpers, als hätte sie nicht nur eine einfache Bergtour hinter sich gebracht, sondern ein stundenlanges Sparring mit einer Boxgegnerin der Extraklasse gehabt. Erschöpft stützte sie sich an ihrem Auto ab und holte tief Luft. War sie etwa den ganzen Weg nach unten gelaufen? Immer noch Kopf schüttelnd sperrte sie ihre alte Klapperkiste auf und schnappte sich das Handtuch vom Beifahrersitz. Damit wischte sie sich den Schweiß vom Gesicht, rieb sich die Achseln trocken und fuhr mit dem Handtuch unter ihr T-Shirt und ihren BH.

BH??? Verdutzt hielt sie inne und bemerkte, dass sie gar keinen mehr trug. Was zur Hölle ...? Das war dann doch die Steigerung zum Verrückten! Silke war nicht gerade mit einem kleinen Busen gesegnet und musste jeden Tag einen BH tragen. Sport mit Cupgröße C war nicht gerade ein Honiglecken. Wenn sie aber nicht einmal wusste, warum sie vorzeitig umgedreht hatte, wie sollte sie dann wissen, wo ihr BH geblieben war? Den verlor man schließlich nicht so einfach am Wegesrand! Ihr Kopf schmerzte und ihre Kehle war wie ausgetrocknet. Hastig nahm sie ein paar Schlucke aus ihrer Mineralwasserflasche. Schon beim Ansetzten bemerkte sie den leichten Schmerz, aber als sie sich die Lippen trockenwischte, zuckte sie verwundert zusammen. Ihr Mund war geschwollen und wund und ihr Kinn spürte sich an, als wäre sie ein paar Mal gestürzt oder über Schleifpapier radiert. Verständlich war das alles nicht und allmählich fragte sie sich, ob sie überfallen worden war und nun an transienter Amnesie litt. Vielleicht hatte sie nur einen Sonnenstich, aber wirklich übel war ihr eigentlich nicht. Silke rauchte nicht, trank keinen Alkohol und konsumierte auch sonst keine Drogen. In ihrem Leben gab es nur ihren Job, ihren Sport und Wandern, mehr nicht. Aber körperliche Verausgabung hatte noch nie ihren Verstand vernebelt. Zumindest bisher nicht.

Irgendwann gab sie die Grübelei auf und startete das Auto. Nach einer ordentlichen Dusche würde die Welt schon wieder anders aussehen! Mit quietschenden Reifen fuhr sie los, überschritt jede Geschwindigkeitsbegrenzung, die ihr in die Quere kam, und war schon nach zwei Stunden wieder in ihrer Wohnung. Dort riss sie sich bereits im Vorzimmer die Kleidung vom Leib, hastete ins Bad und duschte so lange, bis ihr Körper von der Hitze krebsrot war. Danach schlüpfte sie ins Bett, obwohl es erst kurz vor 19.00 Uhr war, und schlief augenblicklich ein.

Am nächsten Morgen erwachte sie nach mehr als zwölf Stunden komatösen Schlafs und fühlte sich immer noch wie gerädert. Zum Glück war Sonntag und sie hatte keine Termine oder Verpflichtungen. So konnte sie den ganzen Tag verbummeln und versuchen sich daran zu erinnern, was zur Hölle gestern eigentlich passiert war. Sie war ein ziemlicher Ordnungsfreak und hatte sich im Vorfeld für die Wanderung einen exakten Zeitplan zusammengestellt. Die Bewältigung der Höhenmeter wurde mit Kondition und Tempo auf eine Zeitschiene gelegt und durch ein oder zwei Pausen verlängert. Meist war das oberste Ziel, sich wie ein Tier zu schinden, um den Kopf frei zu bekommen. Sie hatte genug Stress im Job, mochte ihren Chef nicht sonderlich und fand so manche Patienten nervenaufreibend. Sie war auch eine sehr engagierte Tier- und Umweltschützerin, die manchmal an den Problemen der Welt verzweifeln und dennoch ihre Finger nicht vom Fleisch lassen konnte. Das war vermutlich eines ihrer Hauptprobleme, denn sie konnte keine gerade Linie ziehen. Sie wollte nicht auf ihr Schinkenvollkornbrot am Morgen oder auf das eine oder andere gute Steak verzichten. Sie konnte es während dem Essen sogar richtig genießen, hatte danach aber durchaus ein schlechtes Gewissen. Freunde verspotteten sie bereits als Öko-Freak, meinten es aber nie wirklich böse. Silke war im Prinzip beliebt, nur eben nicht blind gegenüber dem Lebensmittelwahnsinn, der sich tagtäglich in den Supermärkten abspielte. Massentierhaltung, Antibiotika und industrielle Zusätze, Transportwahnsinn und alle möglichen Umweltsünden machten ihr jeden Tag zu schaffen. Mehr als anderen jedenfalls. Kein Wunder also, dass Silke auf diversen Listen von Umweltorganisationen stand, regelmäßig spendete und im Großen und Ganzen auf ihre Ernährung achtete. Selbst während ihren Wanderungen konnte sie es ja, wie gesagt, nicht lassen den Müll zusammenzuklauben. Für sie war es eine Mission und eine Art Wiedergutmachung. Für andere war es die pure Spinnerei. Sie brauchte regelmäßiges Boxtraining und stundenlange Wanderungen, um den Kopf frei zu bekommen und zugleich ihren Körper vom gelegentlichen Fleischkonsum zu reinigen. Sie aß ausschließlich Biofleisch, aber selbst das veränderte ihren Körpergeruch. Bei ihr war es nur ein Hauch, aber die übliche Massenware konnte sie selbst über Tage am Körper anderer riechen. Von Bakterien über Chemie bis hin zur Qual des Tieres – alles wurde ihrer Meinung nach im Fleisch gespeichert und somit auch mit der Nahrung aufgenommen. Silke war bei Gott keine Heilige und nicht übersinnlich begabt, um hochwertiges Fleisch mit freiem Auge erkennen zu können, aber sie hatte gelernt sehr vorsichtig zu wählen.

Ein Krampf im Unterbauch lenkte sie für einen Moment von ihren Überlegungen ab. Außerdem hatte das Gedankenwälzen sowieso nichts gebracht. Der Filmriss vom Start der Wanderung bis hin zu ihrer Ankunft beim Auto war geblieben. Silke stöhnte auf und rieb sich über ihren Unterbauch. Offenbar bekam sie viel zu früh ihre Tage und das stimmte sie, bei Gott, nicht gerade fröhlicher.

Den Vormittag verbrachte sie mit wirrer Hausarbeit, um sich abzulenken. Als sie zum fünften Mal über ihre abgestellten Flipflops im Vorzimmer stolperte, wurde sie so derart wütend, dass sie laut losbrüllte und die Latschen extra weit durch den Raum kickte. Sie war nicht gerade von der vernünftigen Sorte, wenn sie ihre Tage hatte, aber nach einem Samstag, der ihr wie aus dem Gedächtnis gestrichen war, konnte sie schon mal den ganzen Wohnblock zusammenschreien.

Erst das Klopfen an ihrer Haustür beruhigte sie ein wenig und ließ sie tief durchatmen. Dann riss sie, ohne weiter zu überlegen, die Tür auf. Egal, welcher Idiot sie jetzt nerven wollte, sollte sie von der unangenehmen Seite kennenlernen. Wenn sie Glück hatte, war es ihre bescheuerte Nachbarin, die stets empfindlich auf Lärm reagierte und sich wegen jedem kleinen Quieks beschwerte. Wild starrte sie nach draußen, wo sie ihr Opfer erwartete. Doch statt einer süßen, kleinen Nachbarin stand dort ein Riese von einem Mann. Düster, zerlumpt und mit einer unterschwellig bösen Ausstrahlung. Silkes Wut verpuffte schlagartig. Der Typ wirkte gefährlich und kam ihr irgendwie bekannt vor.

„Was ...?“, krächzte sie, weil das plötzliche Flattern in ihrem Magen ungewohnt war. Sie war kein ängstlicher Typ, aber dieser Bettler war schlicht und ergreifend so groß wie ein Wolkenkratzer!

„Silke Environ?“, fragte er, obwohl ihr Name groß und deutlich auf dem Türschild stand. Sie verbiss sich eine spöttische Bemerkung und war sowieso zu sehr mit der Wirkung seiner Stimme beschäftigt. Rau und vibrierend war sie über sie hinweg gerollt, als hätte jemand mit einem Reibeisen eine gefährliche und doch sinnliche Note männlichen Timbres erschaffen. Noch nie hatte jemand ihren Namen wie eine Kampfansage und zugleich wie eine Streicheleinheit ausgesprochen. Diese unmögliche Mischung beeindruckte sie auf unbewusster Ebene. Dabei war der Kerl mit Sicherheit ein Obdachloser und stank erbärmlich zum Himmel.

„Wer will das wissen?“, fragte Silke schroff und räusperte sich kurz, weil der Typ sie durcheinander brachte. Sicherheitshalber straffte sie die Schulten und verbesserte ihren Stand. Es war nur eine kleine Abwehrbewegung, vielleicht kombiniert mit einem kämpferischen Ausdruck, aber der Fremde schien es mit einem amüsierten Funkeln in seinen schwarzen Augen zu registrieren.

Sehr witzig! So leicht kommst Du nicht in meine Wohnung. Sie war kein Duckmäuschen und wollte vor allem keine Angst zeigen. Vielleicht kam sie deshalb nicht auf die Idee, die Tür zu schließen.

„Ich komme vom Umweltschutzverband“, antwortete er trocken und Silke erstarrte. Das war ja wohl das Letzte!

„Wie bitte?“, japste sie verblüfft, weil sie nicht glauben konnte, was der Mann da von sich gab. Umweltschutz? Mit allem hatte sie gerechnet. Mit einem Überfall, mit Bettelei, mit sonst was. Aber sicher nicht mit einer Unterschriftensammlung.

„Das ist nicht Ihr Ernst?“

„Was?“, knurrte der Mann mürrisch, aber Silke ließ sich nicht einschüchtern.

„Sagen sie mir jetzt nicht, dass der Verband Bettler aussendet, um Unterschriften zu sammeln“, ätzte sie, weil sie doch in Sachen Umwelt recht engagiert war und es geradezu obszön fand, wenn solch ein Penner auf die Leute losgelassen wurde. Niemals würde er so auf die richtige Anzahl Unterschriften kommen.

„ICH-BIN-KEIN-BETTLER“, knurrte er lauter. „Ich brauche auch keine Unterschriften.“

„Nicht?“ Sie stellte sich dumm und sah provokant auf sein zerlumptes Erscheinungsbild. „Warum dann der Gestank?“ Sie wusste selber nicht, warum sie das fragte. Sie konnte sich auch nicht erklären, warum sie überhaupt noch mit dem heruntergekommen wirkenden Mann redete. Vielleicht war es seine Stimme, seine dunklen Augen, die schwarzen, langen Haare, die ihm strähnig ins Gesicht fielen. Ihhhh. Nein, die waren es wohl nicht. Vielleicht kam der Gestank ja gar nicht von dem zotteligen Mantel, den er trug, sondern von seinen schmierigen Haaren. Angeekelt sah sie hinauf, um nach Läusen Ausschau zu halten.

Das amüsierte Funkeln in seinen Augen erstarb zur Gänze und die Luft zwischen ihnen wurde von einer Sekunde auf die andere explosiv. Alles an diesem Mann war nun von unsichtbarer Energie umgeben und verwandelte ihn in ein brodelndes Pulverfass. Silke konnte es sehen und ganz deutlich bis in die kleinste Zehe spüren. Sein heruntergekommenes Aussehen und das Geplänkel hatten die Gefahr heruntergespielt und sie unvorsichtig werden lassen. Dabei strahlte der Kerl ein solches Maß an Aggression und Gewaltbereitschaft aus, dass ihr förmlich die Luft wegblieb. Sie war nicht feige, durchaus für einen Streit zu haben und sicher nicht auf den Mund gefallen, aber der Wandel des Mannes war so krass, dass sie instinktiv die Tür zuknallen wollte. Wollte! Denn sein Fuß war schneller und blockierte sofort die Tür.

„Nicht! Verschwinde oder ich rufe die Polizei“, schrie sie so laut, dass die lärmempfindliche Tussi von nebenan längst alarmiert sein müsste. In Silkes Gedanken war der Freund und Helfer quasi schon auf dem Weg, während sie noch mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Tür drückte. Der Fuß des Penners musste ja schier aus Beton bestehen, wenn er nicht darauf reagierte. Eine Tatsache, die ihr plötzlich ziemlich bekannt vorkam.

„Ich möchte nur reden“, knirschte er und versuchte sich weiter hereinzudrängen.

„Ja klar! Das sehe ich!“ Mit aller Kraft hieb sie ihre Ferse auf seine Zehen und drückte weiter gegen die Tür. Er fluchte laut und warf sich zeitgleich mit aller Kraft nach vorne. Die Tür wurde förmlich aus ihrem Rahmen gesprengt und Silke gut zwei Meter nach hinten geschleudert. Das ging so schnell, dass sie es erst richtig realisierte, als sie unsanft auf ihrem Allerwertesten landete. Auch das kam ihr bekannt vor.

Ein Déjà vu. Der Fremde aber stand bereits in ihrem Vorzimmer, lächelte spöttisch auf sie herab und schloss betont langsam die Tür hinter sich, die ja doch wie durch ein Wunder heil geblieben war. Silkes Herz begann zu rasen und sie versuchte in die Höhe zu kommen, nach hinten zu robben oder wenigstens zu schreien. Doch die Luft blieb aus und ihre Kraft ebenso. Wenigstens gelang es ihr, sich am Boden ein wenig nach hinten zu schieben. Doch da war der Riese schon bei ihr und packte sie hart am Oberarm. Am rechten! Als wüsste er, dass er ihr durch die Attacke genau dort weh getan hatte.

„Aua! Verdammt, was ...“ Sternchen tanzten vor ihren Augen. Selbst das spürte sich bekannt an und allmählich hatte sie die Nase voll davon, alles so zu erleben, als wäre es schon einmal passiert.

„Ab jetzt hältst du den Mund! Ist das klar?“ Er zerrte sie endgültig in die Höhe, bugsierte sie ins Wohnzimmer und schleuderte sie dort auf die Sitzbank ihrer Essecke. Dann baute er sich vor ihr auf und ließ ihr etwas Zeit, um sich zu beruhigen. Was schlicht ein Witz war im Angesicht seiner bedrohlichen Statur. Wie ein Schrank ragte er vor ihr auf, nur, dass er mit Sicherheit kein Einrichtungsgegenstand ihrer Wohnung war. Die Sternchen in ihrem Kopf beruhigten sich, aber ihr Atem ging noch viel zu schnell.

„Hier wirst du kein Geld finden“, stellte sie bemüht sachlich fest, doch das kostete ihm nicht einmal ein müdes Lächeln.

„Ich brauche dein Geld nicht. Ich brauche dich“, knurrte der Fiesling und Silke wurde gleich noch eine Nuance blasser. Das-ist-jetzt-bitte-nicht-wahr! Vergewaltigung am hellen Tag in ihrer eigenen Wohnung? So bescheuert konnte das Leben doch nicht verlaufen! Nicht ihres! Silke war versucht erneut laut zu schreien, doch ein Finger über seinem Mund deutete schon im Vorfeld, dass sie es lieber nicht probieren sollte.

„Keine Angst ich tue dir nichts.“

„Aber ... was soll das dann?“

„Es geht um eine Umweltsache und du bist im Moment die Einzige, die helfen kann.“

„Ja, klar! Wem willst du hier was vormachen?“

„Ich weiß nicht was du meinst“, sagte er, umfasste ihre Schultern und beugte sich so weit herunter, dass sie das böse Funkeln seiner schwarzen Augen noch viel intensiver sehen konnte. Oder waren es Sterne? Verwirrt starrte sie ihn an und versuchte ihre Augen von seinen zu lösen. Lieber guckte sie da schon auf seine öligen Haare, die ihm ins Gesicht hingen und einen Teil seines Mundes verdeckten, der – huch – gar nicht einmal so schlecht aussah. Woher kam ihr der sinnliche Schwung plötzlich so bekannt vor? Silke blinzelte nervös und rieb sich ihren rechten Arm. Er schmerzte immer noch, von seinem brutalen Schlag gegen die Tür.

„Sorry wegen dem Arm“, flüsterte er und kam noch näher. Der Geruch von Abwasser, Dreck und Fäkalien wurde unerträglich.

„Gott, du stinkst vielleicht“, zischte Silke und dachte sich ein leises ups, weil sie ihn ja nicht provozieren wollte.

„Du törichtes Weib, du sollst den Mund halten, sonst werde ich ungemütlich“, grollte er und seine buschigen Augenbrauen zogen sich unwirsch zusammen. Das „Noch ungemütlicher?“ lag ihr förmlich auf der Zunge, aber sie konnte es sich noch rechtzeitig verkneifen. Vielmehr schaffte sie es sogar den Blick demütig zu senken, um ihn nicht weiter zu ärgern. Was nichts daran änderte, dass sie ihre Möglichkeiten abcheckte. Selbst mit Boxkenntnissen war ihr der Typ haushoch überlegen, aber in der Küche befanden sich durchaus ein paar Utensilien, die zu erwischen erstrebenswert waren. Wenn da nur nicht ständig seine riesigen Pranken auf ihren Schultern lägen! Jede kleinste Bewegung schien er zu registrieren und vorauszuahnen. Mit nur etwas mehr Kraftaufwand könnte er ihr vermutlich sogar die Schlüsselbeine brechen. Er versuchte eine Erklärung.

„Ich komme gerade aus dem Kanal vor Deiner Siedlung. Da kann der Geruch schon mal unangenehm sein.“ Silke wollte etwas sagen, doch sein Knurren brachte sie sofort wieder zum Schweigen. „Dort unten gibt’s ein massives Problem mit Giftmüll. Es ist nicht viel, droht aber ins Wasser zu gelangen. Im Prinzip ist es eine Kleinigkeit, aber ich brauche weibliche Hilfe, um den Dreck zu neutralisieren.“

„Oh, natürlich“, japste Silke, weil sie kein Wort verstand oder glaubte. Verärgert kam er wieder näher und versuchte in ihren Augen etwas zu finden, was sie nicht mal erahnen konnte. Weibliche Unterstützung bei Giftmüll? Wie bescheuert war das denn?

„Du stehst auf einer unserer Listen“, erklärte er und sah ihr immer noch penetrant aufdringlich in die Augen. Fast schien es so, als ob er selbst nicht glauben könnte, die gesuchte Person vor sich zu haben.

„Das ist ein Irrtum“, erklärte sie daher möglichst selbstbewusst. Vermutlich hatte der Spinner sie aus dem Telefonbuch herausgesucht und ganz schlau ihren Namen aus dem Englischen übersetzt. Environ wie environment für Umwelt, Umgebung. Daher die Umweltmasche und der Giftmüll. Lediglich das mit den Englischkenntnissen passte nicht so recht zu seinem Gesamtbild. Aber egal was der Typ auch erzählte ... er hatte eine gehörige Macke und das machte ihn zur tödlichen Gefahr. Vom tödlichen Gestank einmal abgesehen.

„Kein Irrtum“, brummte er und packte sie dieses Mal am linken Arm. Mit einem Ruck zerrte er sie in die Höhe und stellte sie vor sich auf die Beine. Bei seiner Größe war selbst das eine Herausforderung, weil sie immer noch kerzengerade nach oben gucken musste. So große Männer waren eher eine Seltenheit in ihrem Leben.

„Du bist die Richtige“, zischte er und ihr Magen verkrampfte sich augenblicklich. „Also komm jetzt mit in den Kanal“, befahl er und Silkes Sicherungen brannten endgültig durch. Ihre bisher eher passive Haltung wurde schlagartig durch hysterische Gegenwehr abgelöst. Wie eine Furie begann sie zu schreien und auf ihn einzuschlagen. Und obwohl sie trainiert war, schlug sie wie die letzte Idiotin um sich. Waschechte Panik veränderte eben auch eintrainierte Schlagfolgen oder effiziente Abwehr. Der Mann war jedenfalls durch nichts zu erschüttern, wirkte wie ein Mensch ohne Gefühle oder wie ein Roboter. Sie wehrte sich dennoch mit allem was sie hatte. Fäuste, Zähne, Nägel und Füße kamen zum Einsatz, doch es half alles nichts. Sie kassierte eine Ohrfeige und hörte dennoch nicht auf. Er packte sie fester und schleuderte sie auf die Couch neben dem Esstisch. Danach warf er sich mit einem Hechtsprung auf sie und zermalmte sie regelrecht unter seinem Körper.

Was total irre war.

Wie alles an dem Mann und seinem Vorgehen.

Unter seinem Gewicht bekam sie kaum Luft, fühlte sich wie von einem Lastwagen angefahren ... und dachte an Wald, interessanten Duft, einen Kuss. Hoppla, wohin drifteten denn ihre Gedanken plötzlich ab? Silke schüttelte den Kopf, versuchte noch kurz zu kämpfen und musste sich doch eingestehen, dass sie keine Kraft mehr dafür hatte.

„Genug getobt, Lady?“, fragte er gelangweilt und hielt sie weiterhin mühelos in Schach. Am liebsten hätte sie ihm ins Gesicht gespuckt, aber das wäre nur eine kurze Genugtuung gewesen.

„Was-willst-du?“, keuchte sie, weil sie kaum Luft bekam.

„Wie gesagt: Ab in den Kanal mit dir!“ Das war ein klarer Befehl.

„Nein“, kreischte Silke und versuchte erneut sich zu wehren. Die Vorstellung in das unterirdische Kanalnetz verschleppt zu werden, aktivierte ihre letzten Kraftreserven. Aber auch das änderte nichts an ihrer Lage. Wenigstens hielt er sie nur fest und wartete ab. Klar, der Fremde hat Kraft ohne Ende und vermutlich ewig Zeit. Silke wusste, dass ihre Lage aussichtslos war und unterdrückte ein Schluchzen. Sie wollte nicht in den Kanal, um dort abgeschlachtet zu werden. Sie wollte hier nicht liegen, diesen Typen ansehen oder riechen. Eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel, obwohl sie so lange versucht hatte, sie zurückzuhalten.

„Sch, sch!“, flüsterte er plötzlich und wischte sie ihr von der Wange. „Ich sagte doch, dass ich dir nichts tun werde!“

DAS nennst du nichts? Herrgott, was ist los mit dir?“

„Naja, du hast mich provoziert. Eigentlich wollte ich ganz höflich fragen.“

„Wie bitte? Ich habe dich provoziert? Ha!“ Zu all der Angst gesellte sich gleich wieder Wut. Doch das beeindruckte den Mann nicht. Vielmehr schien er verwirrt zu sein, weil sie ihm nicht glaubte.

„Schon irgendwie. Du sollst mir schließlich nur kurz helfen. Mehr nicht. Ich werde dich nicht töten“, versicherte er und drang erneut mit seinen kohlrabenschwarzen Augen in ihre blauen ein, als würde er dort etwas suchen oder vermissen. Seinen Irrsinn vielleicht? Silke meinte schon wieder kleine Sterne in seiner schwarzen Hölle zu sehen, aber das konnte auch an seinem mörderischen Gewicht liegen, das ihr die Luft abdrückte. Trotzdem waren diese Augen seltsam und irgendwie schwärzer als schwarz. Anders als alles, was sie bisher gesehen hatte. Wenigstens war mittlerweile klar, dass der Typ kein Bettler, sondern ein total kranker Freak und Mörder war, der seine Opfer in den Kanal zerrte, sie dort aussaugte, klein schnippelte oder sonst was mit ihnen anstellte.

Giftmüll, pah, dachte sie.

Genervt rollte er mit den Augen.

„Noch einmal für ganz Langsame: Ich brauche dich für einen kurzen Job. Du kommst mit mir in den Kanal und bist in einer Stunde wieder gesund und munter hier. Versprochen.“ Silke hätte am liebsten gelacht, wenn ihr der Kiefer nach seiner Ohrfeige nicht so weh getan hätte. Job ... ja klar, dachte sie. Mit dem kleinen Zusatz von Blow oder wie?

Seine Augenbrauen zogen sich arrogant zusammen, als hätte er ihre Gedanken gelesen oder erkannt, dass sie ihm geistig nicht folgen konnte. Das machte ihn offenbar noch wütender, denn er schüttelte den Kopf und schaltete augenblicklich einen Gang höher.

4.Kapitel

„Wo warst du gestern?“, fragte Erika verärgert und schlürfte ihren Kaffee Latte mit Vanillegeschmack aus einem Pappbecher. Silke hasste dieses künstliche Zeug – sowohl vom Inhalt, als auch von der Verpackung her.

„Was meinst du?“, antwortete sie mit einer Gegenfrage, während sie ihr Passwort in den Computer eingab und versuchte den Geruch des Getränks zu ignorieren. Ihr Chef sah es nicht gerne, wenn sie sich länger als zehn Minuten am Arbeitsplatz befand und den Computer nicht hochgefahren hatte. Erika schnaubte erbost und knallte ihrer Kollegin demonstrativ den Kaffeebecher auf den Tisch. Sofort verbreitete sich ein intensiver Duft von künstlichem Vanillearoma.

„Verdammt, musst du so eine Scheiße trinken?“, entfuhr es Silke, während sie versuchte sich die Nase zuzuhalten.

„Lenk nicht ab! Du hast mich total im Stich gelassen“, stellte Erika fest und stupste den Becher extra noch einmal an, um Silke zu quälen.

„Redest du bitte ENDLICH Klartext, bevor ich den Becher hier nehme und ihn dir aufsetze!“ Silke war bereits ziemlich gereizt.

„Hallo-o! Wir wollten uns gestern mit Rambo und Conan treffen. Schon vergessen?“ Erika war nicht nur stinksauer, sie war vor allem fassungslos, weil ihre Arbeitskollegin so ahnungslos tat. Dabei sprachen sie seit Tagen nur von dem Boxer verliebten Forum, wo sie als Kriegerin Xena (Erika) und die Kriegsgöttin Bellona (Silke) bei Rambo und Conan chattender Weise hängen geblieben waren. Die beiden Typen hatten sich in den Mails als recht witzig erwiesen und zudem Muskelmasse und Hirn angepriesen. Seit ein paar Tagen nutzten Silke und Erika jede erdenkliche Arbeitspause um im World Wide Web wild zu flirten. Diese vier W’s waren schließlich zum running Gag bei ihren Gesprächen geworden und ihr Chef drückte ausnahmsweise beide Augen zu, wenn sie in ihrer Pausenzeit im Netz rumhingen und lachten. Sofern sie es unter ihrem privaten Account erledigten und keine Dateien herunterluden.

Endlich ging Silke ein Licht auf! Das Date am Sonntag mit den beiden Muskelheinis hatte sie total vergessen. Genervt rieb sie sich mit zwei Fingern über ihre Nasenwurzel. Höllische Kopfschmerzen bahnten sich an.

„Sorry, Erika. Ich habe das echt total vergessen. Keine Ahnung warum. Eigentlich war ich gestern zuhause und hatte keinen Termin, also ...“

„Also was?“

„Ich habe keine Ahnung“, stellte Silke erschüttert fest. Wieder ein Tag, der ihr abhandengekommen war! Auch wenn sie sich konzentrierte und versuchte sich zu erinnern, wollte es ihr nicht gelingen. Zuerst der Samstag, dann noch der Sonntag! Derart viele Blackouts machten ihr eine Heidenangst. Vielleicht war sie ja krank oder hatte sich den Kopf beim Wandern gestoßen. Gehirnerschütterung fiel aus, denn sie hatte sich nicht übergeben. Ein Tumor oder etwas Abartiges wie Schizophrenie kamen da schon eher in Frage. Scheibenkleister!

„Alte, wenn du nicht die mörderisch gute Ausrede hast, dann bekommst du heute beim Sparring so derart was auf die Nase, das kann ich dir garantieren! Hast du überhaupt eine Ahnung, was ich gestern durchgemacht habe?“ Unter Boxkolleginnen war ein rauerer Ton kein Ding und Erika sowieso nicht gewöhnt sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Silke hätte also, trotz der Frechheit, sicherlich geantwortet, war aber gerade noch zu verwirrt von ihren Blackouts. Sie war auch deutlich blasser als sonst und das bemerkte dann selbst Erika endlich einmal.

„Hey, was ist los mit dir? Geht es dir nicht gut?“, fragte sie besorgt und tätschelte die Schultern ihrer Freundin.

„Du ... ich bin ...“ Silke musste sich auf ihren Drehsessel setzen und Luft holen. Dabei atmete sie viel zu schnell. Erikas medizinisch geschultes Auge erkannte das sofort.

„Mensch, du bist ja gleich am Hyperventilieren! Jetzt machst du mir aber Angst, Süße.“ Besorgt umrundete Erika den Empfangstisch und ging neben ihrer Kollegin in die Knie. „So viel Schiss brauchst du nun auch wieder nicht vor unserem Sparring zu haben“, scherzte sie, doch in Wirklichkeit hatte sie Angst, dass etwas Gravierendes nicht stimmte. Ihre Kollegin war immer die taffe Siegerin, die Ausgeburt an Kraft und Ausdauer. So blass und nach Luft ringend hatte sie sie noch nie erlebt, selbst bei Grippe nicht.

„Angst vorm Sparring? Träum weiter, du Nuss!“, versuchte Silke im Boxerjargon zu kontern, doch schon überkam sie der nächste Schwächeanfall und sie beugte sich vornüber, um nicht zu schnell zu atmen. Sie war offenbar einer Panikattacke nahe, auch wenn sie nicht verstand was dafür der Auslöser sein könnte.

Wie durch Zauberhand hatte ihre Kollegin plötzlich eine kleine Tüte bei der Hand und hielt sie Silke vor den Mund.

„Atme sofort hier rein!“ Ihr Befehlston entlockte Silke fast ein Lächeln, doch der Versuch scheiterte kläglich. Sie hatte schlicht keine Kraft zu lächeln und nahm dankbar die Tüte in die Hand, um hinein zu atmen. Ein-aus-ein-aus …, keuchte sie selbst in Gedanken und wurde dabei immer eine Spur langsamer. Die Panik wurde besser, das Atmen tatsächlich ruhiger. Erika streichelte ihr sanft über den Rücken. In Silkes Augen hätte sie eigentlich Medizin studieren sollen, anstatt in einer Zahnarztpraxis als Helferin zu vergammeln.

„So ist es gut. Verflucht, mach so etwas nie wieder!“, zischte sie und Silke fiel prompt wieder ein, warum Erika das mit dem Medizinstudium vielleicht doch lieber lassen sollte. Mit Diplomatie und Feingefühl hatte es die liebe Kollegin nicht so.

„Sorry ...“, krächzte Silke, weil sie die Fürsorge trotzdem zu schätzen wusste.

„Das hast du zuerst schon gesagt. Aber was ist eigentlich los mit dir? War das gestern schon so? Ich meine, warst du krank, bewusstlos, beim Arzt?“

„Erika! Bitte! Ich habe nur meine Tage, mehr nicht.“

„O-kay. Und deswegen muss man ausflippen, alles vergessen und die Freundin versetzen? Zum Telefon bist du auch nicht gegangen.“ Erikas Wut kam wieder durch und Silke zuckte unbewusst mit den Schultern.

„Das Seltsame ist, dass ich mich tatsächlich an nichts erinnern kann. Ich meine, ich nehme keine Drogen und bin gesund. Aber was gestern an meinem freien Nachmittag passiert ist, weiß ich einfach nicht mehr. Als hätte mir jemand das Licht ausgeknipst.“ Dass das für den Samstag ebenfalls zutraf erwähnte sie lieber nicht. Erika begriff trotzdem, dass Silke ihr das nicht vorspielte.

„Sei mir nicht böse Silke, aber du musst zum Arzt, das ist dir doch klar? Du kannst nicht über Stunden ein Blackout haben und davon ausgehen, dass mit deiner Birne alles stimmt. Entweder du hast einen Dachschaden, oder jemand hat dir K.O.-Tropfen verabreicht. Was im Übrigen ich hätte sein können, wenn ich dich gestern nach dem Date noch erwischt hätte.“ Silke lachte. Die gute alte Erika! Mit ihr wurde es wahrlich nie langweilig.

„Ach, komm her, du ... du Vanillearoma verseuchte, schimpfende Frau!“ Silke umarmte ihre Kollegin und Freundin fest. „Ich werde versuchen mich zu erinnern und dann bekommst du deine Erklärung. Versprochen. Wenn es nicht klappen sollte, gehe ich zum Arzt und lasse eine MRT von meinem Schädel machen. Das Chatten lassen wir in nächster Zeit sein, okay? Und es gibt ein leckeres Essen nach dem Sparring bei mir. Bitte sei nicht mehr böse!“ Silke zwinkerte und Erika brummte gespielt.

„Trotzdem kriegst du heute noch eins auf die Nase!“

„Träum weiter! Am besten ich lasse das Sparring heute sowieso ausfallen.“

„Ha! Angsthase, Pfeffernase!“

„Sehr witzig. Wenn wirklich was mit meinem Kopf nicht stimmt, dann sollte ich wohl besser keine abfangen, hm? Am besten du kommst gleich nach der Arbeit zu mir und wir kochen gemeinsam.“ Jetzt verstand auch Erika worum es Silke ging, obwohl sie nicht gerade begeistert aussah.

„Kochen? O-kay.“ Verdatterte schaute sie zu ihrer Kollegin und kratzte sich hinterm Ohr. „Stell dich darauf ein, dass ich das überhaupt nicht kann!“

„Süße, das war ja wohl klar“, ätzte Silke und fing sich dafür einen kleinen Boxhieb in den rechten Oberarm ein. Silke zuckte übertrieben zusammen. Dem Schmerz nach hatte sie dort vermutlich ein Hämatom oder etwas Ähnliches. Nur, dass sie eben nicht wusste warum.

An Montagen hatten sie immer am meisten zu tun, obwohl Silke stets darauf achtete, die Termine am Wochenbeginn mit mehr Zeitspielraum einzuteilen. Dennoch war es stets der arbeitsintensivste Tag. Die Menschen bekamen offenbar immer am Wochenende Zahnprobleme, hielten die paar Tage durch und kamen dann am Montag unangemeldet zum Zahnarzt. Und Notfälle durften nun einmal nicht abgewiesen werden. Der Switch von Ordinationsgehilfin zur Zahnarzthelferin war nicht immer leicht, aber wenn Not am Personal war, dann musste sie eben auch an anderer Stelle einspringen. Außerdem gefiel ihr der Job als Zahnarztassistentin viel besser, als ständig zu telefonieren, in den Computer zu klopfen oder mit Patienten zu reden. Das Polieren und Sterilisieren von den Gerätschaften machte ihr dabei richtig Spaß. Vor allem die mörderischen Geräte, wie Spritzenkanülen, Wurzelheber, Trepanfräser und Matritzenspanner hatten es ihr angetan. Die sahen allesamt ein wenig gruselig aus und brachten sie zum Lachen. Aber das gehörte wohl zu ihrer leicht verrückten Seite, die sie auch mörderisch anstrengende Wanderungen unternehmen ließ oder zum Boxen animierte. Boxen war für viele ein eher unweiblicher Sport, doch Silke war nicht wirklich burschikos. Sie war ein hübsches Ding von 25 Jahren, hatte lange, blonde Haare, strahlend blaue Augen und eine Bombenfigur. Sie war gut trainiert und mit einer sehr sinnlichen, weiblichen Seite gesegnet. Doch sie hatte gelernt sowohl ihren Busen, als auch ihre sinnliche Seite nicht hervorzukehren. Mit übermäßig interessierten Männern konnte sie nicht allzu viel anfangen und die meisten waren sowieso nicht ihre Kragenweite. Beuteschema hatte sie keines, aber sie fand den Großteil der Männer eher uninteressant. Außerdem konnte sie mit übermäßig starker Nachfrage, Anzüglichkeiten oder hohlen Flirts nicht umgehen. Sie stand nie gerne im Mittelpunkt, schon gar nicht, wenn es um nichts Essentielles ging. Wie bei der Ernährung schien sie auch hier einem gewissen Trend entgegenzuwirken und den Mainstream zu verweigern. Tief in ihrem Inneren wollte sie eben nicht nur mit ihren körperlichen Reizen beeindrucken, sondern als Gesamtwesen flashen. Und diesen Flash sollten nicht gleich tausende Männer erleben, sondern ausschließlich der Eine, der Richtige. Sie wusste, wie kitschig das klang und wie unrealistisch, aber genau das war der Grund, warum sie seit einem Jahr alleine lebte. Den Männern war es nie ernsthaft genug und ihr daher kaum möglich, sich so voll und ganz auf einen einzulassen. Erika versuchte sie dennoch stets zu verkuppeln. Aus Nächstenliebe womöglich, aber auch, weil sie selbst gerade auf der Suche war und nicht alleine über die Häuser ziehen wollte. Silkes Arbeitskollegin und Freundin war nämlich so ganz anders, konnte nicht alleine sein und forderte die Männerwelt mit jeder ihrer Bewegungen und jedem Stückchen Stoff (das sie am Leib trug oder eben nicht) heraus. Im wirklichen Leben sah sie tatsächlich ein bisschen wie Xena, die Kriegerin, aus. Sie hatte lange, schwarze Haare, trug stets verrucht kurze Lederminiröcke und meist hohe Stiefel. Ihr Zungenpiercing und die höllische Tätowierung auf ihrem linken Oberarm verdeutlichten nur noch mehr, was für ein wildes Mädchen sie war. Gegen sie wirkte Silke wie eine blasse, schöne Blume, die auf den ersten Blick unterschätzt wurde ... vor allem beim Boxen.

Die beiden Frauen freuten sich auf den verdienten Feierabend, hatten für ihre Kochsession genug Leckereien eingekauft und standen nun erwartungsvoll in Silkes Vorzimmer. Der Geruch, der ihnen jedoch aus allen Ecken und Enden der Wohnung entgegenschlug war ekelhaft. Selbst Erika rümpfte die Nase und die war sonst nie wirklich empfindlich.

„Um Himmels Willen, hast du hier einen gekillt und dann liegen lassen?“

„Keine Ahnung“, lachte Silke. „Filmriss, schon vergessen?“ Dabei wackelte sie provokant mit ihren Augenbrauen und pfefferte ihre Schuhe auf die Seite. Ihre Freundin tat es ihr gleich, obwohl sie so aussah, als würde sie am liebsten gleich wieder kehrtmachen.

„Wonach stinkt es hier bloß?“, fragte Erika erneut und hielt sich die Nase zu. „Mein Gott, vielleicht hast du dich in jedem deiner Zimmer übergeben und erwartest jetzt, dass ich mit dir saubermache. DAS kannst du gleich wieder vergessen, Schätzchen!“

„Hör schon auf damit! Ich habe keine Ahnung warum es hier so stinkt. Und jetzt hilf mir lieber ...“

„Nein“, kreischte Erika und hatte eindeutig Bilder von ganz widerlichen Dingen vor Augen.

„... die Fenster aufzumachen! Mensch, entspann dich endlich! Ich bin mir sicher, dass ich gestern nicht gekotzt habe. Ich war gesund, ... äh, bin gesund. Nur mein Kopf scheint ein wenig angeschlagen zu sein.“

„Bei dem Gestank ist das ja wohl kein Wunder! Pffft. Gut, wir lüften durch und dann suchen wir das Tier, das hier am Verwesen ist.“

„Ich habe keine Haustiere“, lachte Silke und öffnete im Wohnzimmer die ersten Fenster, während Erika sich auf den Weg ins Bad machte. Ihr lautes „Iiiiihhh!“ alarmierte Silke sofort. Ohne zu zögern, sprintete sie zu ihr. Vielleicht hatte sie ja doch eine grauenhafte Schweinerei im Bad hinterlassen und in ihrem Blackout-Dussel vergessen?

„Mensch ... und du willst normal sein?“, empfing sie Erika schroff und hatte den Duschvorhang dabei so weit zurückgezogen, dass Silke noch von der Tür aus den kleinen verdreckten Wäscheberg sehen konnte. „Ich meine, geht’s noch? Wie verrückt ist das, seine Wäsche so zu versauen und dann einfach in die Badewanne zu schmeißen?“

„Zeig mal her!“, forderte Silke und prallte wie von unsichtbarer Hand zurück. Diese Klamotten hatte sie gestern in ihrer Wohnung getragen. Doch jetzt waren sie so derart versaut, dass sie nur noch für den Müll taugten. Erika würgte bereits und drängte sich an Silke vorbei.

„Mann, das Kochen kannst du sowas von vergessen. Bäh!“ Erika war ins Vorzimmer geflüchtet und hatte einen leicht grünlichen Teint. „Reiß wenigstens endlich das Fenster im Bad auf und schmeiß den Kram raus!“, schrie sie und lief gleich weiter ins Wohnzimmer, wo sie sich an eines der offenen Fenster lehnte und tief einatmete. Silke packte die schmutzige Wäsche in eine Plastiktüte, verschloss sie und wusch sich gründlich die Hände. Heute Früh war sie offenbar vollkommen apathisch durch ihre Wohnung gegangen und ebenso apathisch in die Arbeit gefahren, sonst hätte sie das mit der Wäsche doch bemerkt! Erst Erikas grässlicher Vanillekaffee hatte sie in der Ordi aus dem leichten Koma geholt.

„Wäre der Rest deiner Wohnung nicht so picobello aufgeräumt, würde ich dich glatt als Pennerin beschimpfen“, schrie sie von ihrem frischen Fensterplatz in Richtung Silke. Doch die zuckte bei dem Wort Pennerin wie unter einem Hieb zusammen. Nein, vielmehr ging sie in die Knie und bekam keinen Sauerstoff mehr in die Lunge. Erika konnte von ihrem Platz aus das Bad nicht sehen und bemerkte die Not ihrer Freundin erst, als es laut rumpelte.

Besorgt lief sie zurück.

Silke lag am Boden, hatte ihre Hände noch um den Duschvorhang gekrallt und ihn mit sich zu Boden gerissen. Volles K.O. in der nullten Runde. Tot durch Schmutzwäsche ... oder was auch immer. Erika war sofort bei Ihr, löste ihre Hände vom Duschvorhang, packte sie unter den Achseln und zog sie aus dem Bad. Nebenbei knallte sie noch die Tür mit einem Fußtritt zu und zog ihre Freundin weiter bis zum offenen Fenster ins Wohnzimmer. Dann fühlte sie ihren Puls und tätschelte ihre Wangen.

„Silke! Mensch, mach keinen Scheiß! Komm schon Mädel, sonst ruf ich die Rettung und dann musst du erst mal erklären, wieso du wegen Schmutzwäsche umkippst. Ausflippen ist ja irgendwie okay ...“, plapperte sie, weil sie selbst wütend hinausgestürmt war. „... aber gleich aus den Latschen kippen ist übertrieben.“ Silkes Augen flatterten. Als sie langsam erwachte, war sie orientierungslos und durcheinander. Erika saß neben ihr, nahm ihren Kopf vorsichtig und bettete ihn auf ihren Schoß.

„Ist ja gut, Süße. Geht’s wieder? Du machst vielleicht Sachen, Mädel! Ein bisschen Menstruation und dein Kreislauf ist offenbar voll im Arsch.“

„Was war‘n das jetzzzt?“ Silke lallte ein wenig, setzte sich aber bereits wieder auf und rieb sich den Kopf. Allem Anschein nach hatte sie eine waschechte Panikattacke ausgeknockt. Zum Glück hatte sie den Sturz unverletzt überstanden.

„Du bist zusammengeklappt, als hätte dir jemand eine geknallt oder laut BUH gerufen. Du musst eindeutig zum Arzt, Schätzchen. Punkt und aus. Das ist jedenfalls nicht normal. Oder bist du schwanger?“

„Waaaas? Spinnst du? Mir brummt nur der Schädel. Und ... überhaupt ... schwanger geht nicht, wenn ich menstruiere. Oder ohne Sex. Ich schätze einfach der Gestank war zu viel für meine Nerven. Ich brauche keinen Arzt!“

„Entschuldige mal. Panikattacke in der Arbeit, Ohnmacht im Bad. Was kommt als nächstes?“

„Abendessen?“, fragte Silke und zwinkerte ihrer Freundin zu. Sie hatte keine Lust auf einen Arztbesuch und noch weniger auf dämliche Fragen. Was wusste sie, warum ihre Wäsche so versaut war und nach Kanal stank. Kanal. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, aber bevor Erika das bemerken konnte, war sie schon wieder auf den Beinen. Sie war schließlich kein Jammerlappen und wollte diesen Zustand keine Sekunde länger beachten. Ein wenig schwindelig wankte sie in die Küche, aber das ließ sie sich nicht anmerken. Vor ihrer Ohnmacht hatte sie an wunderschönes, karibisches Meer gedacht, dass mit einem Schlag durch das Wort Pennerin in eine ölschwarze Kloake verwandelt worden war. Silke konnte nicht nachvollziehen, warum ein bisschen Gestank und Schmutzwäsche solch eine Vision hervorrufen konnten, aber sie erzählte es lieber nicht Erika. Die hielt sie sowieso schon für ein wenig verrückt.

„Das Bad ist bis auf weiteres gesperrt. Hände kannst du dir auch hier waschen. Schätze ich werde die Klamotten irgendwann im Freien verbrennen.“ Sie versuchte ein Lachen, doch Erika war noch nicht ganz überzeugt. Mit strengem Blick sah sie ihrer Freundin hinterher.

„Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist? Ich meine vor mir brauchst du nicht die Starke zu spielen. Ich habe dich schließlich schon mal k.o. auf der Matte liegen sehen.“ Jetzt musste Silke lachen.

„Träumerle! Wann hast du mich schon mal auf die Matte geboxt? Hm?“

„Nicht ich, aber Nadja. Schon vergessen?“ Erika grinste spitzbübisch, weil diese Russin stark wie ein Mann war und auch so kämpfte. Gut, sie hatte eine Menge Haare auf den Armen und Beinen und vielleicht sogar auf ihrer Brust, aber so genau traute sich das keine von ihnen in der Umkleidekabine abzuchecken.

„Ah, Nadjuschka. Die ist schon ein eigenes Kapitel mit ihrem Anabolikakonsum. Bitte, Erika, versprich mir, dass du mich umbringst, falls ich mal zum Kerl werde.“

„Wo sind die Messer?“

„Haha. Sehr witzig! Dort drüben. Du darfst die Champignons putzen, Süße.“

„Pfff. Ich hasse kochen.“

„Ich hasse Anspielungen auf Unweiblichkeit.“

„War nur Spaß. Bist eh ein geiles Miststück.“

Zum Essen tranken sie beide Weißwein. Für Silke war es eine Ausnahme, für Erika das Gegenteil. Gutes Essen ohne Alkohol war für sie nur die Hälfte wert. Dafür vertrug sie eine ganze Menge. Während Silke noch am ersten Glas nippte und bereits schielte, war Erika noch stocknüchtern, obwohl sie schon das dritte Glas hatte.

„Das muss ich dir lassen ... kochen kannst du“, lobte Erika und prostete ihrer Kollegin zu. Aber dann veränderte sich plötzlich ihr Gesicht und sie stellte ihr Glas überraschend schnell zur Seite, damit sie sich mit der flachen Hand auf die Stirn schlagen konnte.

„Mist, das hätte ich fast vergessen!“, zischte sie.

„Ha! Du also auch“, lachte Silke in Anspielung auf ihre Blackouts. „Vielleicht liegt es ja an meiner Wohnung. Strahlung oder so ...“ Sie wusste wie blöd das war, aber sie freute sich, dass auch jemand anderer einmal etwas vergessen hatte.

„Wir haben von unserem Chef zwei Einladungen bekommen. Warte ich hole sie schnell aus meiner Tasche!“ Damit sprintete sie ins Vorzimmer und kam kurz darauf mit zwei zerknitterten Karten zurück. Schelmisch grinsend wackelte sie damit vor Silkes Nase herum.

„Ein Ball! Wir zwei Hübschen sind auf einen Ball eingeladen.“ Und so wie sie dabei lachte, spürte sie den Alkohol ja doch ordentlich, die gute Erika. Silke musste trotzdem grinsen, denn sie waren beide nicht gerade die typischen Ballbesucherinnen. Erika noch weniger als sie.

„Dem Chef ist was dazwischengekommen und du weißt ja wie er ist, wenn er Stress hat. Dann denkt er nicht nach und schenkt schon mal was her. In dem Fall war ich zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Zuerst war ich sogar knapp daran abzusagen, doch dann dachte ich, dass es ganz lustig werden könnte. April ist zwar ungewöhnlich für einen Ball, aber es ist so ein Medizinerdingsbums und daher mit vielen geilen und reichen Ärzten.“ Dabei wackelte sie provokant mit ihren Augenbrauen und Silke musste noch viel mehr lachen. Erika war immer so schön ‚tiefgründig‘ witzig.

„Vergiss es, ich habe nichts anzuziehen.“ Silke hatte keine Lust auf einen Tanzabend zu gehen mit steifer Musik und noch steiferem Publikum. Konventionelle Tänze waren nicht so ihr Ding, obwohl sie es in der Tanzschule bis zum Goldstar geschafft hatte. Erika hingegen hatte vermutlich nie eine Tanzschule von innen gesehen. Sie hing ja auch für gewöhnlich mehr in düsteren Discotheken oder Gothicbars ab.

„Verstehst du nicht? Das Leben ist nicht nur schwarz und weiß. Es besteht aus vielen Schichten und Möglichkeiten. Wer sagt denn, dass wir uns mit Internetspinnern wie diesem Rambo oder Conan treffen müssen, wenn wir doch einen Porsche fahrenden Schönheitschirurgen absahnen können?“

„Stimmt! Genau das stelle ich mir auch schon mein ganzes Leben lang vor“, scherzte Silke und verdrehte die Augen. Erikas krampfhafte Partnersuche war ja auch eigen. „Du hast noch gar nichts von Rambo und Conan erzählt. Warum waren denn die Typen so unmöglich?“, fragte sie, weil das Ballthema nervte und sie wegen dem verpassten Date durchaus neugierig war.

„Ach, hör bloß auf mit den beiden! Conan war gar nicht so schlecht, aber Rambo? Jesses, dem haben sie glatt das Hirn ausgesaugt und in die Oberarme gespritzt.“ Dazu guckte Erika so aberwitzig, dass Silke schon wieder lachen musste. Erika hingegen wirkte irgendwie unruhig und trommelte mit ihren Fingern auf den Tisch. Für sie war die Internetsache abgeschlossen und längst ein neues Ziel geboren.

„Der Ball ist morgen. Sorry. Ich habe die Karten schon ein paar Tage, aber immer vergessen. Du gehst mit mir also gefälligst ein geiles Kleid ausborgen und dann zum Stylisten. Ich möchte, dass wir beide aussehen, als wären wir von einem anderen Stern. Hast du kapiert? Wir müssen täuschen und tarnen, abwarten und zuschlagen. Dann schnappen wir uns die zwei besten Häppchen und werden reich.“ Erika lachte und Silke verdrehte erneut die Augen. Sie war nicht der Typ für Flirts und Aufrisse. Verkleidungen lagen ihr noch weniger als steife Bälle. Genauso gut hätte Erika sie in die Gothicszene einführen können.

„Bitte geh doch mit einer anderen oder suche dir männliche Begleitung, hm?“

„Nichts da! Entweder du kommst morgen mit oder du kannst dir in Zukunft jemand anderen suchen mit dem du dich auf der Matte balgst. Und ich meine BOXEN, Süße, nicht das, was jede von uns gerne mit Männern treiben würde.“ Sie lachte anzüglich und Silke seufzte resignierend.


5.Kapitel

„Warum fliegen wir mit sowas?“, fragte Dennis und schnallte sich mit grimmiger Miene an. Durchschnittlicher Linienflieger, zweite Klasse ... was musste er noch mehr sagen? Stundenlang in sowas zu fliegen war nicht sein Fall.

„Wir sparen Geld“, erwiderte John trocken und kippte seinen Sitz ein wenig nach hinten. Wegen ihrer überdurchschnittlichen Körpergröße hatten sie die Plätze am Notausgang bekommen und konnten ihre Beine ausstrecken.

„Ha! Sagt jemand, der so stinkreich ist, dass er einen Privatjet hat.“ Dennis war sauer. Nicht nur, dass er heute im Training einen harten Tritt von John in den Magen kassiert hatte, musste er nun auch unvorhergesehen mit ihm nach Europa fliegen. John brummte nur und gab keine Antwort. Warum sollte er seinem Assistenten erklären, dass er einer Eingebung folgte und phasenweise ganz einfach die Ecken und Kanten des normalen Lebens vermisste? Er hatte so gut wie alles was er wollte ... die beste Luxusausstattung, die tollste Sonderbehandlung, das Highlife schlechthin. Und das immer. An manchen Tagen hatte er dadurch eben nur den Wunsch nach Normalität. Selbst wenn es hauptsächlich die der anderen war.

„Warum fliegen wir nochmal schnell nach Europa?“, fragte Dennis verstimmt und rieb sich unbewusst über seinen Solarplexus. John hatte ihn wegen Sonja nicht nur zur Rede gestellt, sondern beim täglichen Sparring dafür richtig fies bezahlen lassen.

„Alles okay? Was macht dein Sonnengeflecht?“ Sein Blick war ernst, der Tonfall nicht spöttisch.

„Geht schon. Aber das nächste Mal werde ich mich dafür revanchieren, das garantiere ich dir!“ Seine Augen funkelten wütend und er nahm die Hand von seinem Bauch. Die beiden hatten sich schon oft gegenseitig verprügelt und er wollte den blauen Fleck nicht höher spielen, als er war. Aber an seiner Spaßfähigkeit musste John noch arbeiten! Ein nettes Mädchen als Geschenk an die Morgenlatte war schließlich nur ein Beweis seiner Freundschaft. Und soweit er diese Sonja einschätzen konnte, war sie – so wie die meisten Frauen von Condatis Concern – sowieso in ihren Chef verliebt.

„Du weißt warum das passiert ist.“

„Weil du das Geschenk missverstanden hast?“, fragte Dennis beleidigt und John schüttelte frustriert den Kopf. Manchmal war sein Assistent einfach nur ein Ignorant.

„Du kannst sie nicht in solch eine peinliche Situation bringen. Klar? Und damit ist das Thema jetzt endgültig vom Tisch.“ Dennis hatte es durchaus verstanden, sein Ärger hinkte diesem Verständnis nur noch hinterher. Aber er nickte seinem Chef zu. Geschenke an die Morgenlatte würde es von ihm nicht mehr geben.

Die beiden waren sich beim Sparring stets ebenbürtig, spitzenmäßig trainiert und in verschiedenen Disziplinen ausgebildet. Sie hatten ihren Kampfstil aufeinander abgestimmt und waren ein gutes Team, sowohl in geschäftlichen Belangen, als auch in Fragen der Sicherheit. Als reicher Mann brauchte John in der Regel ein ganzes Heer an Sicherheitskräften, um seinen Besitz und sein Leben zu schützen, doch in Wahrheit war er ein Freiheitsfanatiker und suchte jede Gelegenheit, um der üblichen Maschinerie aus Überwachung und Vorsichtsmaßnahmen zu entkommen. Für sein Zuhause galt das freilich nicht. Dort hatte er das beste Überwachungssystem der Welt und Akim, seinen eigenen Sicherheitschef in unmittelbarer Nähe. Akim und Dennis waren Johns einzige Mitarbeiter, die im Condatis-Tower auf der gleichen Etage wie er wohnen durften und sogar mussten. Zum Leidwesen seines Sicherheitschefs neigte John jedoch zu exzessiver Spontanität und auch wenn die Einladung nach Wien schon mehrere Tage auf seinem Schreibtisch gelegen hatte, so war der Termin bis zuletzt doch nicht abgesprochen worden. Erst nach dem Training hatte er Dennis und Akim davon in Kenntnis gesetzt ... ganze zwei Stunden vor dem Abflug. Eine überstürzte Reise in einem regulären Linienflieger ohne zusätzliche Security war für seinen Sicherheitschef natürlich der reine Wahnsinn. Auf der anderen Seite war es genau diese Spontanität, die den Alltag von John Baxter unvorhersehbar und damit unberechenbar für kriminelle Vorhaben machte. Dazu waren John und Dennis ein gutes Team und durchaus in der Lage auf sich selbst aufzupassen.

„Also warum jetzt Europa?“ Dennis konnte so richtig nerven, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. Er war ein guter Assistent, zuverlässig und auf seine Weise ein sehr witziger Kerl. Doch er war eben auch nur ein Mensch mit seinen Ecken und Kanten.

„Wir besuchen Dr. Carmesin. Du weißt schon. Der Typ, der mir vor zwei Jahren das Leben gerettet hat.“

„Ah der! Und warum so plötzlich und ohne Security?“

„Das Spontane hält mich fit und die Verbrecher ab.“

„DAS hält im Normalfall nicht nur die Verbrecher ab“, ätzte Dennis und schraubte zum hundertsten Mal die Armlehne höher oder wieder niedriger.

„Komm schon! Wien ist schön! Wir werden schon Spaß haben.“

„Den habe ich jetzt schon total“, unkte Dennis und verpasste der Armlehne einen Schlag. Eigentlich wollte er noch verärgert klingen, doch er fing gerade einen süßen Blick von der schwarzhaarigen Stewardess auf. Die uniformierten Mädels im vorderen Bereich wirkten recht aufgekratzt und schienen sich ausschließlich über ihn und John Baxter zu unterhalten. Vermutlich hatten sie noch nie so große und gutaussehende Männer im Doppelpack gesehen. Dennis grinste und fühlte sich plötzlich nicht mehr ganz so unwohl. Weibliches Interesse konnte selbst üble Laune bezwingen. Die Schwarzhaarige zwinkerte ihm keck zu und deutete auf die Toilette. Dennis seufzte leise in sich hinein. Er hatte schon seit Wochen keine Frau mehr gehabt und lief quasi auf Notprogramm. Der Anflug von Gier war ihm deutlich anzusehen. Ständig war er nur auf Achse und für John Baxter und seine Interessen da. Sein Liebesleben kam eindeutig zu kurz.

„Fang dir bloß nichts ein, Kleiner. Ich brauche keinen Ausfall wegen Gonorrhoe oder sonst irgendeinem Scheiß.“

„Tripper ist nicht so schlimm. Aids sollte es halt nicht sein“, murmelte Dennis.

„Nicht so schlimm? Kleiner, hast du eine Ahnung, was so ein Juckreiz mit dir anstellt und welche Schmerzen du beim Wasserlassen hast?“

„Oh, oh. John Baxter hatte schon mal Gonorrhoe?“

„Nein, ich bin ja nicht bescheuert oder habe ungeschützten Sex. Aber ein guter Freund von mir war nicht so besonnen ... und ich kann dir sagen, DAS war kein schöner Anblick.“ John wirkte ehrlich entsetzt und Dennis hatte plötzlich ein grässliches Bild von blau verfärbten, geschwollenen Pimmeln vor Augen. Der plötzliche Anfall von Gier löste sich daraufhin spontan in Luft auf, ebenso wie die Aussicht auf ein schnelles Schäferstündchen. Außerdem war Dennis sowieso zu groß gewachsen für einen Quickie auf einer ükligen Flugzeugtoilette. John Baxter war an die zwei Meter groß und er nur 1,89 Meter, aber das genügte, um überall mit dem Kopf anzustoßen. Die paar Zentimeter waren auch der Grund, warum er manchmal „Kleiner“ von ihm genannt wurde. Das hatte also definitiv nichts mit anderen Körperteilen zu tun.

Mit einem bedauernden Lächeln sah Dennis zur Stewardess und schüttelte leicht den Kopf. Sie verstand sofort und nickte souverän. Offensichtlich hatte sie genug Selbstvertrauen, selbst wenn sie eine Abfuhr bekam. Dennis riss seinen Blick von ihrem schönen Gesicht los und versuchte sich abzulenken. Er war jetzt 29 und brauchte endlich etwas Fixes. Eine Frau, die verflucht sexy war und zugleich Köpfchen besaß ... und die immer dann verfügbar war, wenn er sie brauchte und wollte. Genervt kratzte er sich über sein stoppeliges Kinn, weil er es kaum schaffte, nicht an Sex zu denken oder an eine echte Gefährtin.

Gefährtin! Lächerlich! Die Märchenstunde war schließlich schon mit der Erwähnung von Gonorrhoe vorbei gewesen. Nun hieß es Zähne zusammenbeißen und mit John Baxter nach Wien zu fliegen und das zu einem langweiligen Date mit einem greisenhaften Arzt.


6.Kapitel

Beide Frauen waren tatsächlich nicht wieder zu erkennen. Silkes natürliche Schönheit wurde mit einfachen Mitteln drastisch hervorgehoben und Erikas, zum Teil hartes Erscheinungsbild, gedämpft. Silke trug ein enganliegendes, schwarzes Kleid mit einem tiefen Ausschnitt am Rücken und passenden High Heels. Traumhaft schön. Und selbst ihre Hochsteckfrisur war ein kleines Meisterwerk aus Locken und Blumen. Einzelne Strähnchen fielen ihr lässig ins Gesicht, ließen die Steckfrisur weicher erscheinen und gaben ihrem schönen Gesicht ein feenhaftes Aussehen. Lediglich die dunklen, verrucht anzusehenden Smokey Eyes nahmen dem Ganzen den braven Touch.

Erika aber war schlicht der Hammer! Sie trug ein sexy rotes Kleid, das ihre schlanke Taille betonte und einen langen Beinschlitz auf der Seite zeigte. Dazu trug sie schwarze High Heels und einen schwarzen Bolero, der ihre Tätowierung bedeckte. Ihre Haare waren zu einer komplizierten Flechtfrisur geschwungen und das sonst sehr satt aufgetragene Make-up wurde durch ein deutlich dezenteres ersetzt. Die Wandlung war so krass, dass Silke permanent mit offenem Mund zu ihr hinüber gaffte. Erika strahlte mit ihrem neuen Erscheinungsbild puren Sex aus, obwohl sie so bieder geschminkt war, wie noch nie.

„Wow. Wo hast du bitte meine Kollegin aus der Gothicszene versteckt?“, scherzte Silke und bewunderte ihre Kollegin, die sich in ihren neuen Sachen sichtlich wohl fühlte. Lässig fuhr sich Erika mit der Zunge über die üppigen Lippen und probierte Posen wie ein Pin-up Model. Silke lachte fröhlich über ihre übertriebenen Darstellungen und Erika warf ihr zum Dank einen Flugkuss zu.

„Du bist aber auch nicht von schlechten Eltern, Lady. Hieß deine Mutter vielleicht Grace Kelly, ehe sie es mit dem Teufel trieb und eine verrucht aussehende Blondine zur Welt brachte?“

„Ach, du spinnst doch. Ich sehe lange nicht so toll aus wie du.“

„Ja, klar. Ich kann die Schminke ganz weglassen und werde immer noch verrucht aussehen, aber du siehst aus wie ein Sahnebaiser mit Kirsche. Du bist die Verführung in Person. Schade eigentlich, dass du dich sonst nie schminkst. Und deine unglaublich schönen Titten!!! Mann, die prallen einem selbst aus dem kleinen Dekolleté entgegen. Pass bloß auf, dass dir DIE nicht Kopf und Kragen kosten!“ Sie lachte schäbig und warum sollte sie sich auch ein Blatt vor den Mund nehmen?

„Also bitte! Und überhaupt: Habe ich schon erwähnt, dass ich dort mit keinem Arzt flirten, geschweige denn nach Hause gehen möchte?“

„Wieso? Hast du Angst, dass er deinen Dachschaden bemerkt?“, ätzte Erika und schnippte ihrer Freundin mit zwei Fingern auf die Nase. Sie mochte keine Spielverderber.

„Au! Hör auf damit! Immerhin hatte ich heute noch kein Blackout, keine Panikattacke und keinen Ohnmachtsanfall.“

„Wow, was für eine Meisterleistung“, spottete ihre Kollegin, obwohl sie sich gestern noch wirklich Sorgen um Silke gemacht hatte. Wäre heute nicht alles wieder normal gewesen, hätte sie Silke beinhart zu ihrem praktischen Arzt gezerrt. Obwohl – in gewisser Weise würde sie das vielleicht immer noch tun, denn immerhin war das ja ein Medizinerball. Erika hatte sich fix vorgenommen ihre Freundin heute zu verkuppeln. Das Palais Auersperg bot dafür den ideal edlen Rahmen und die Einladungsliste genau die Basis, um an gutes Material zu gelangen. Wenn Silke ihr Glück nicht selbst in die Hand zu nehmen wusste, würde sie das Kind schon schaukeln! Beide brauchten sie endlich einen Mann. Silke noch viel mehr als sie selbst, denn soweit sie wusste, hatte ihre Freundin seit über einem Jahr keine Beziehung oder Sex gehabt. So etwas konnte schlicht nicht gesund sein. Vermutlich hatte sie auch genau deswegen bereits erste Blackouts.

„Was grinst du so, Erika?“

„Ach, nichts. Ich freue mich nur auf den Abend.“

Zwei Stunden später schwangen die beiden bereits fleißig das Tanzbein. Silke wirbelte leichtfüßig übers Parket und Erika machte gute Figur mit lasziven Bewegungen. Sie hatte keine Ahnung von Walzer und Co, aber das schmälerte nicht ihren Spaß. Die zwei Frauen waren in ihrer Schönheit und Unterschiedlichkeit sehr auffällig, doch erst als sie spontan miteinander zu tanzen begannen wurden sie zu richtigen Eye-Catchern. Ihr Frauentanz provozierte die anderen und weckte vermutlich verruchte Fantasien, ebenso wie Neid. Doch das war den beiden egal. Schließlich hatten sie recht rasch bemerkt, dass der Ball nicht das hergab, was sie sich erwartet hatten. Die Mehrheit der Besucher war über fünfzig und extrem konservativ. Die wenigen Tanzpartner, die sich bisher gefunden hatten, waren nicht annähernd an Erikas definiertes Beuteschema herangekommen. Nach drei Stunden konnte man also durchaus von einem mittelgroßen Flopp reden, obwohl sie sich den Abend dadurch nicht verderben lassen wollten. Immerhin hatten sie mit Kleid und Stylist eine Menge investiert und wollten sich weiterhin präsentieren. Also tanzten sie so lange sie wollten und wenn keine Männer greifbar waren, dann sorgten sie eben selber für ihren Spaß.

In einer Tanzpause gönnten sie sich dann je ein Glas Sekt und ein paar Erdbeeren. Der Preis dafür stellte ihnen zwar regelrecht die Haare auf, aber zum Glück hatten sie ja eine Steckfrisur. Sie zwinkerten sich also nur lässig zu und bezahlten für das bisschen Prickelzeug und Erdbeerglück.

„Hättest du gedacht, dass es hier nur alte Knacker gibt? Und jeder von denen hat eine ebenso alte Schachtel an der Hand. Kein Wunder, dass den meisten hier das Herz stehen bleibt, wenn wir gemeinsam tanzen.“ Erika prostete Silke zu. „Na, solange ihnen nicht das Gebiss rausfällt.“ Sie lachte böse.

„Du hast dir zu viel erhofft, Erika. Mal ehrlich! Auf wie vielen Bällen warst du schon?“, fragte Silke und zwinkerte einer älteren Lady zu, die immer noch empört zu ihnen herübersah.

„Null.“

„Eben. Der Altersdurchschnitt auf einem Ball ist für gewöhnlich nicht unter dreißig. Hier ist er nun einmal nicht unter fünfzig. Pech gehabt, Süße. Toll aussehende Chefchirurgen im passenden Alter, die vielleicht zusätzlich noch Porsche fahren, gibt es nur im Fernsehen oder auf wilden Partys. Was sollte ein erfolgreicher Arzt auch hier machen? Ich meine, das Tanzen ist ja schön, der Rahmen ist echt edel, aber in einer Diskothek hätte ich vermutlich genauso viel Spaß gehabt. Oder noch mehr!“

„Ach, du“, schmollte Erika, schnappte sich Silkes Sektglas und trank es leer.

„He“, protestierte Silke und wollte ihre Freundin gerade rügen, als sie ein komisches Kribbeln im Nacken verspürte. Selbst die Haut auf ihren Unterarmen schien plötzlich wie elektrisiert zu sein.

„Verzeihung, darf ich um diesen Tanz bitten?“ Die Stimme war tief und knurrig, kam rau und sinnlich. Silkes Wangen füllten sich mit spontaner Hitze, dafür wurden Erikas Augen riesengroß. Der Mann hinter Silke musste ein Fleisch gewordener Traum sein. Vibrierende Tiefe, bekannte Schwingung. Silke drehte sich um und starrte in ... unglaublich intensive, dunkelgrüne Augen. Ihr Mund wurde trocken und Erika gab ein seltsames Geräusch von sich. Der Mann war ein gutes Stück größer als die beiden Damen, die mit ihren extra hohen High Heels immerhin eine stattliche Größe von 1,80 Metern und ein bisschen mehr erreichten. Erika wiederholte das seltsame Geräusch und stupste ihre Freundin mit einem Finger an. Endlich erwachte Silke aus ihrer Erstarrung, blinzelte und nickte dem Fremden zu. Natürlich tanze ich mit dir! Mann-o-Mann! Schwarze Haare, kurz und stachelig, kantige Gesichtszüge, gepflegtes Aussehen, toller Körper in tollem Smoking. Perfekte Zähne. Als Zahnarztassistentin waren es meist die Zähne, die ihr zuerst ins Auge stachen, doch in dem Fall waren sie nur ein kleines Detail von vielen. Dieser Mann war nicht nur attraktiv, er wusste offenbar auch genau was er wollte. Irgendwie strahlte er Tiefe aus und Wichtigkeit. Silkes Knie wurden weich. Solche Männer gab es in ihrem Leben nicht. Bisher zumindest nicht. Aber warum sollte sie nicht für ein paar Minuten an einen Traum glauben? Der Mann lächelte verwegen und Erika zischte ungeduldig, sodass Silke dem Mann spontan ihre Hand reichte. Ohne Erikas geräuschvolle Anweisungen hätte sie wohl nicht entsprechend reagiert. Vermutlich dachte der Fremde schon jetzt, dass sie sich ein wenig seltsam benahm. Aber was konnte sie dafür, wenn ihr Herz nervös flatterte und ihre Beine wie auf Wackelpudding dahinschlitterten?

Was immer er sich dachte ... er überging jede peinliche Reaktion, nahm Silkes Hand und führte sie auf die Tanzfläche. Ausgerechnet zu einem Walzer! Silke konnte gut tanzen, aber bei Walzer wurde ihr im Normalfall übel.

Hoffentlich kotze ich dem Traummann nicht gleich auf die Füße! Das wäre dann wohl der beste Moment, um zu sterben. Mit einem unsicheren Lächeln ließ sie sich auf die tänzerische Umarmung ein, bewunderte seine perfekte Körperspannung und den respektvollen Abstand, den er wahrte. Dabei war sein Griff fest und die Nähe offensichtlich.

Schon nach der ersten Drehung entschwand Silke in eine vollkommen neue Welt. Sein Tanzstil war ungewöhnlich und manche Schrittfolgen vielleicht nicht unbedingt nachvollziehbar, doch er führte sie gekonnt durch alle Varianten des Stils, hielt sie sicher in den Armen und wirbelte sie manchmal wie ein Tornado über die Tanzfläche. Silke war berauscht, hätte am liebsten den Kopf in den Nacken gelegt und die wunderschöne Renaissancedecke des Palais bewundert. Doch sein Blick hielt sie wie unter einem Bann fest und das war ihr Glück, denn nur so wurde ihr von den schnellen Drehungen nicht übel. Sie ließ jede Kontrolle hinter sich, vertraute sich ganz seiner Führung an, sah weder rechts noch links und versank vollkommen in einem Meer aus wunderbar grünen Farbtönen.

„Wie ist ihr Name?“, fragte er, nachdem er sie in alle möglichen Positionen geschleudert und wieder fest in seiner Umarmung gezogen hatte.

„Silke“, hauchte sie und konnte sich plötzlich nicht mehr an ihren Nachnamen erinnern.

„Und?“, fragte er neckisch und verschlang sie regelrecht mit seinen Augen. Silke schwebte weiter übers Parkett, trippelte leichtfüßig zu seinen Vorgaben und starrte unangebracht in seine faszinierenden Augen. Stundenlang hätte sie so weitermachen können und sich treiben lassen.

„Hallo?“ Er lächelte.

„Entschuldigung, wie war die Frage?“ Silke zwang sich zur Konzentration, tauchte aus ihrer bunt schillernden Blubberblase auf und versuchte ihm besser zuzuhören.

„Wie sie heißen.“

„Silke.“

„Und?“ Allmählich schien er sich zu fragen, ob sie betrunken war.

„Environ! Klar! Ich heiße Environ. Wie Umwelt oder so.“ Sie kicherte und er hörte auf zu lachen.

„Ich heiße John Baxter und komme aus New York.“

„Ach so? Sie sind kein Arzt von hier?“

„Nein, ich bin kein Arzt und nicht von hier. Ich bin Geschäftsmann und zu Besuch bei Herrn Dr. Carmesin, der dort drüben steht. Er hat mir einmal das Leben gerettet und seitdem treffen wir uns immer wieder in Wien. Meist auf ein Essen, dieses Mal eben auf diesem Ball.“ Silke hob erstaunt ihre Augenbrauen, während ihre Füße wie von alleine über das Parkett schwebten. Er hatte sein Tempo gedrosselt und eine einfachere Schrittfolge gewählt, sonst wäre eine Unterhaltung auch mit höchster Konzentration nicht möglich gewesen.

„Kein Arzt, Mist!“ Ui, hatte sie das wirklich laut gesagt? Verlegen biss sie sich auf die Unterlippe und hätte am liebsten die letzten fünf Sekunden zurückgespult.

„Wieso? Ist das ein Problem?“, fragte er und zeigte plötzlich doch wieder ein freches Lächeln. Silke kam sofort aus dem Takt. „Ganz ruhig!“, flüsterte er und fing sie geschickt auf, um sie wieder auf Kurs zu bringen.

„Meine Freundin und ich wollten heute hier einen Arzt finden. Am besten gleich fürs Leben und so, aber das ist bei all den alten Herrschaften wohl ein ziemlicher Flopp.“ Shit! Noch eine idiotische Meldung! Warum kamen aber auch diese verrückten Sachen aus ihrem Mund? War sie geistesgestört, selbstzerstörerisch, dumm? Solch einen Schwachsinn gab sie doch sonst nicht von sich! Der attraktive Mann stutzte ja auch ein wenig, schien ihr den Blödsinn aber insgesamt nicht übel zu nehmen.

„DAS ist allerdings recht witzig“, lachte er sogar arrogant und versuchte wohl so den peinlichen Moment zu überspielen. Doch Silke fühlte sich ein wenig veräppelt. Gut, sie redete wirr, aber lustig machen brauchte er sich über sie nicht. Irgendwie lief das mit der Kommunikation gerade nicht so gut zwischen ihnen. Dabei war sie doch eigentlich von dem Mann fasziniert.

Die Musik erstarb und beide kamen am Rand der Tanzfläche zu stehen. Silke fächerte sich Luft zu.

„Puh, ich brauche eine Pause. Sie haben aber auch ein Tempo!“ Es war ihre Taktik zur Flucht, weil sie sich für ihr Benehmen schämte und über sein arrogantes Lachen ärgerte. Dass sie ihn für seinen ausgefallenen Tanzstil, seine Ausdauer und sein sicheres Auftreten bewunderte, kehrte sie lieber unter den Tisch.

„Sicher nicht!“, meinte er jedoch ernst. „Als nächstes kommt einen Tango und den tanze ich nur mit ihnen!“ So schnell konnte Silke gar nicht reagieren, hatte er sie wieder fest im Griff und in eine neue Umarmung gewirbelt. Nur dieses Mal war es nicht nur eine Tanzumarmung, sondern die Umarmung eines Liebhabers. Silke hätte über seine Bevormundung ebenso empört sein sollen, wie über die dreiste Körpernähe, doch aus irgendeinem Grund imponierte er ihr damit. Er ließ sich nicht so leicht abspeisen, zeigte was er wollte und als die Musik begann, ... brachte er sie mit dem ersten Takt des Liedes sofort in entsprechende Tanzposition. Silke hatte den Eindruck, dass er den festen Körperkontakt als Einstimmung nutzte, um das Feuer zu schüren und den Tango mit ganzer Leidenschaft zu beginnen. Seine Präsenz schien sich alleine dadurch schon um einiges zu vervielfachen. Doch zusätzlich steigerte der Mann sich auch mit einer Intensität in den Tanz hinein, die viel mehr war, als nur Schauspiel. Viel mehr!

Die Musik schwoll an, wurde lauter und sogar noch schneller, doch dieser John Baxter beherrschte den Takt und lebte förmlich die Musik. ER war durch und durch Tango, anders konnte Silke es nicht beschreiben. Jede Bewegung, jeder Atemzug und jeder Blick passten genau zur Musik, waren pures Feuer und Ausdruck eines leidenschaftlichen Liebhabers, der seine Frau mit Lust und Stärke zu verführen wusste. Silke war wie gefangen von seinem Anblick und passte sich an diesen Mann und seinen Stil an. Ihr Herz war in absolutem Aufruhr und ihre Füße so beansprucht, dass sie sich kurz vor dem Abheben befanden. Zum ersten Mal in ihrem Leben spürte Silke so richtig Feuer im Blut und verfiel mit all ihren Sinnen dieser Einheit aus Musik, Leidenschaft und Tanz. Mittlerweile war sie regelrecht infiziert von diesem dramatischen Auftreten und dem Mann, der sie lehrte, sich komplett fallen zu lassen, irgendwie neu zu fühlen und sich selbst zu präsentieren. Der Rest der Tanzfläche und die Menschen verschwanden im Nichts, die Musik wurde nun sogar noch lauter und ihr Herzschlag war so intensiv, dass sie nur noch aus Melodie und rauschendem Blut zu bestehen schien. Begehren stand ihr ins Gesicht geschrieben. Und Leidenschaft. Wie selbstverständlich befolgte sie die Befehle dieses Mannes und erteilte ihrerseits welche. Sie waren sich ebenbürtig in Kraft und Eleganz und lieferten einen charismatischen Tanz, der andere Tanzpaare innehalten ließ, um sie zu bewundern. In den letzten Sequenzen des Liedes schmiegte Silke sich an ihn, stieß ihn fort, ließ sich fallen, umgarnte ihn erneut, holte sich seine Lippen. Die Leute am Rande jubelten und feuerten die beiden an, denn die Show, die sie boten, war besser als jede Mitternachtseinlage. Silke fühlte sich wie in einem Traum, wo nichts mehr zählte, als die Intensität zwischen ihr und diesem Fremden. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, das Feuer sprühte aus ihren Augen und ihre Wangen waren so rot wie reife Kirschen. Seine Augen hingegen hatten sich drastisch verdunkelt und blitzten vor Wildheit wie dunkle Gewitterwolken. Seine Haltung war leidenschaftlich aggressiv, aber auch voller Zuwendung und Gefühl.

Erika stand am Rand der Tanzfläche und war vollkommen aus dem Häuschen. Sie jubelte vor Begeisterung und feuerte ihre Arbeitskollegin so lautstark an, dass die Leute sich nach ihr umdrehten. So selbstvergessen und leidenschaftlich hatte sie Silke noch nie erlebt und es stand ihr total gut! Ihr Tanzpartner war nicht nur eine Augenweide, er hatte auch alles gut im Griff und die Gabe jenen Teil von Silke zu aktivieren, den sie bisher unter Verschluss gehalten hatte. Erika verstand nur zu gut warum Silke das bisher getan hatte. Mit dieser Leidenschaft, dem Enthusiasmus, dem körperlichen Können und der Hingabe war Silke die umwerfendste Frau, die sie je gesehen hatte. Und mit ‚Großartigkeit‘ konnte ihre liebe, blonde Freundin nun mal nicht umgehen.

„Sie sind aber auch nicht ohne“, murmelte jemand dicht hinter ihr und streifte ihr Ohr mit seinem warmen Atem. Erika wandte sich überrascht um ... und erstarrte vermutlich genauso wie Silke zuvor bei ihrem wahnsinnig scharfen Tangotänzer.

„Wie ...?“ Sie räusperte sich kurz. „Wie bitte?“ Braune Augen sahen sie lachend an. Der Mann war groß, hatte stachelige Haare, wirkte verwegen.

„Ich sagte, SIE sind aber auch nicht ohne.“ Er grinste und sah dabei aus wie ein gezähmter Punk, der seine Tätowierungen kaum im Zaum halten konnte. Eine lugte kess aus dem Kragen seines Smokinghemdes und eine andere zeichnete sich auf seinem Handgelenk ab. Im Ohr trug er einen Flesh Tunnel. Normalerweise stand Erika nicht auf diese Loch-Dinger, doch bei ihm sah es irgendwie steil aus.

„Oh, Dankeschön“, erwiderte sie keck und blinzelte ihm spielerisch zu.

„Möchtest du tanzen?“, fragte er und wechselte unauffällig zum Du.

„Bloß nicht. Der Moment wäre denkbar ungünstig und ich ... denkbar unfähig.“ Erika meinte es genauso, denn sie hatte in ihrem Leben noch nie Tango getanzt. Selbst Profis würden neben Silke und ihrem Traumtyp abstinken und sie als Laie sowieso. Das hatte nichts mit mangelndem Selbstvertrauen zu tun, sondern mit Intellekt. Der süße Typ lachte.

„Wow. Erfrischend ehrlich. Kann ich dir was zu trinken holen?“

„Gerne!“ Erika lächelte glücklich und vergaß ihr Vorhaben augenblicklich, einen reichen Arzt mit Porsche abzustauben. So cool wie der Typ aussah und so lässig wie er sich bewegte, war er maximal Student und niemals der ersehnte Chefchirurg mit viel Kohle. Doch genau das war ihr mit einem Mal ziemlich egal.

Der Tanz von Silke und John Baxter endete und die beiden blieben atemlos stehen, sahen sich tief in die Augen und schienen selbst mit Abstand noch irgendwie aneinander zu kleben. Die Luft zwischen ihnen vibrierte, die Leidenschaft flaute nur langsam ab. Silke war wie berauscht.

„Das war ein wundervoller Tanz und mit Sicherheit mein heutiges Highlight. Danke“, flüsterte John ihr zu und meinte es sicherlich als Kompliment, doch Silke konnte ihr Lächeln kaum aufrecht halten. Für sie war der Tanz weit mehr als nur ein Tageshighlight gewesen. Mehr so ein Jahres- oder Lebenshighlight, denn in Wahrheit hatte sie solch eine Spannung zwischen zwei Menschen noch nie erlebt. Was trieb der Typ bloß jeden Tag, um diesen Tanz gerade mal als ein Plus für einen Tag abzuhaken?

„Ich habe zu danken“, erwiderte sie mit einem Kloß im Hals, weil ihr schlagartig klar geworden war, dass dieser Mann eine Nummer zu groß für sie war. Ein reicher Geschäftsmann aus New York, der vermutlich ein grandioses Highlight nach dem anderen hatte und nebenbei so an die 100 Frauen in der Woche flachlegte! Wie konnte sie da nur auf die Idee kommen, er würde ernsthaft auf eine kleine, mittelprächtige Zahnarztassistentin abfahren? Ernsthaft nämlich und nicht nur für ein kurzes Schäferstündchen.

Mit einem Mal hatte sie keine Lust mehr zu tanzen. Als die Zuschauer auch noch applaudierten, wurde ihr bewusst, wie sehr sie die ganze Zeit im Mittelpunkt gestanden hatten und noch immer standen. Je länger die Leute also applaudierten, desto unbehaglicher fühlte sie sich. Mit einer fahrigen Handbewegung deutete sie John Baxter, dass sie von der Tanzfläche verschwinden wollte. Der nickte ihr zu und ging mit ihr gemeinsam zur Bar, wo Erika und ihr neuer Begleiter schon warteten.

„Wow! Was für ein Tanz“, begeisterte sich ihre Freundin, als Silke neben ihr auf einem Barhocker Platz nahm. „Da habt ihr aber für eine Menge feuchter Träume gesorgt.“ Sie lachte und auch ihr neuer Begleiter schien ein Lachen nur mit Mühe unterdrücken zu können. Silke aber fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Vielleicht lag es an Erikas plumper Art, vielleicht aber auch an ihrer Erkenntnis, einem John Baxter nicht ebenbürtig zu sein.

„Hör schon auf und reich mir dein Glas!“, forderte Silke unwirsch, weil sie sich ausgelaugt und unrund fühlte. Mit nur einem Tanz hatte sie erkannt, dass ihr bisheriges Leben ein Witz war und sie solch einen Mann nie bekommen würde. Zumindest nicht so, wie sie sich das vorstellte. Für immer und so ... wie im Märchen eben. Sie verbiss sich die Wut und versuchte sich auf das Schöne zu konzentrieren. Es war schließlich nur eine Ballbekanntschaft und zu viel Denken allgemein hinderlich.

„Darf ich dir meinen neuen Begleiter vorstellen?“, fragte Erika, weil sie die seltsame Missstimmung ihrer Freundin bemerkte. „Das ist Dennis William und stell dir vor ... er ist Assistent von Mr. John Baxter.“ Silkes Augenbrauen schnellten in die Höhe und sie wandte sich an John, um die Bestätigung von ihm zu hören. Seitdem sie nicht mehr tanzen wollte, hatte er kein Wort gesprochen. Offenbar war sie nicht die Einzige, die gerade unlocker drauf war.

„Ihr seid Arbeitskollegen?“, fragte Silke nach und John Baxter nickte ihr zu. Sein stummes Starren machte sie jedoch nervös und so wandte sie sich wieder zu Erika und Dennis. Der Mann mit den vielen Tattoos reichte ihr spontan die Hand.

„Ja! Hallo, ich bin Dennis und arbeite für diesen Tyrannen an ihrer Seite.“ Er lachte und Silke sah erneut zu John Baxter, der immer noch in Gedanken versunken schien und viel zu ernst wirkte. Dennis‘ amerikanischer Akzent war deutlich herauszuhören, wohingegen John fast perfekt Deutsch gesprochen hatte. Zumindest bevor er stumm geworden war.

„Komm entspann dich, Süße. Wir sind einfach gut drauf und so wie du getanzt hast, müsstest du das eigentlich ebenso sein. Gott, du warst sensationell, Silke.“ Erika war ehrlich beeindruckt und so lustig drauf, dass auch Silke langsam auftaute. Der Enthusiasmus ihrer Freundin war extrem ansteckend. Lediglich Mr. John Baxter blieb davon unbeeindruckt, denn er wirkte immer noch viel zu ernst. Silke versuchte es mit einem Lächeln in seine Richtung.

„Wollen sie etwas trinken?“

„Whiskey“, antwortete er heiser und Silke spürte ein angenehmes Ziehen bei dem Klang seiner Stimme. Doch bevor Silke noch etwas bestellen konnte, hatte Dennis bereits für John Baxter den Whiskey geordert. Ein Diener in Höchstform, sozusagen. Aus irgendeinem Grund wurde Silke dadurch wieder unlocker. Was wusste sie, warum sie mit Befehlshabern so schlecht umgehen konnte, außer beim Tanz vielleicht. Silke wandte sich dem Barkeeper zu und bestellte ein Glas Prosecco für sich.

„Oder hätte ich diese Bestellung ebenfalls bei ihnen aufgeben müssen, Dennis?“, fragte sie spitz und der süße Kerl mit dem Flesh Tunnel und den stacheligen Haaren warf ihr einen Blick zu, der sagte: „Versuch nur mich zu beißen, du wirst schon sehen, wohin das führt“. Silke aber antwortete nonverbal mit einem Augenaufschlag, der ganz klar sagte „Immer und zu jeder Zeit, Süßer.“ Erika unterbrach das stumme Blickduell, indem sie sich vorbeugte und direkt an John wandte.

„Und womit machen sie denn nun ihre Kohle?“, fragte sie und Silke verdrehte die Augen, weil Erika so plump fragte. Diplomatie war nun einmal anders. Wenigstens schien Dennis Erikas Humor genial zu finden, denn er verkniff sich erneut ein Lächeln.

„Öl und Gas“, antwortete John mechanisch und Silke versteifte sich noch mehr. Verdammt, verdammt, verdammt. Musste es gerade die von ihr verhasste Branche sein? Ölmagnaten scheffelten in der Regel rücksichtslos Geld, beuteten die Erde aus, verursachten Umweltkatastrophen, gingen über Leichen. John Baxter war nicht nur gutaussehend und reich, er war im Prinzip ihr Erzfeind, weil er gegen alles stand, was ihr wichtig war. Erika bemerkte sofort, wie Silke innerlich zusammenzuckte und reagierte ohne zu zögern. Mit einer schnellen Bewegung schnappte sie sich Silkes Hand und zog sie vom Barhocker.

„Bitte … entschuldigen die Herren uns kurz? Wir müssen einmal für kleine Mädchen.“ Damit krallte sie ihre Nägel in Silkes Handfläche und zerrte sie beinhart weiter. Die versuchte noch ein Lächeln, war aber so überrumpelt von Erikas Aktion, dass sie tatsächlich mitging. Dennis und John blieben ein wenig überrascht zurück und warfen sich dann einen Blick zu, den die beiden Damen nicht deuten konnten.

„Jetzt hör auf zu spinnen!“, schrie Erika sie bei der erstbesten Gelegenheit im Vorraum der Toilette an.

„Was meinst du?“, fragte Silke unschuldig, musste sich aber doch eingestehen, dass sie vollkommen durcheinander war. Dieser John Baxter bedeutete für sie ein Wechselbad der Gefühle und sie war sich nicht sicher, ob sie diese Aufregung wollte ... oder diese Erwartung. Was erwartete sie eigentlich? Dass jemand wie er sich in eine kleine Zahnarztassistentin verliebte und dafür sein schmutziges Geschäft mit Öl sausen ließ? Das war ja wohl ziemlicher Blödsinn und Silke nicht so naiv, auch nur eine Sekunde daran zu glauben.

„Ich weiß genau, was in dir vorgeht, Süße. Du hast dein Stringhöschen gestrichen voll. Der Typ ist schlicht der Wahnsinn und du bist gerade auf dem besten Wege ihn zu vergraulen. Mensch, Silke! Hallo-o! Du hast mit diesem Mann getanzt, als hättest du Sex mit ihm. Den besten der Welt, wohlgemerkt. Ich meine ... geht’s noch besser?“ Erika schnaubte und Silke fühlte sich den Tränen nahe. Was wusste sie, warum sie so durch den Wind war.

„Aber ...“

„Nichts aber! Vergiss das mit dem Öl und deinem unsinnigen Umweltehrgeiz. Verdammt, der Kerl ist Multimillionär, vermutlich der reichste New Yorker überhaupt. Er sieht blendend aus und er hat Interesse an dir. Süße, versau das ja nicht, sonst kriegst du beim nächsten Sparring sowas von eins auf die Nase.“ Sie lachte provokant, aber Silke erkannte durchaus, dass ihre Freundin es gut meinte.

„Aber ... der Typ ist Ölmagnat und ein rücksichtsloser Geschäftsmann. Der geht sicher über Leichen und versaut unsere Umwelt. Und dann hat er unseren Tanz gerade mal als sein Highlight des Tages bezeichnet. DES TAGES! Verstehst du?“

„Ich verstehe. Er macht dir ein Kompliment und du zuckst aus. NEIN, eigentlich verstehe ich gar nichts. Verdammt, sei doch nicht so verklemmt! Was du in Wirklichkeit drauf hast, hat jeder heute gesehen. Du hast keinen Grund dich zu verstecken oder klein zu machen. Du bist eine Granate, eine Wucht und dieser Mann ist dir gerade mal ebenbürtig. Hast du das jetzt verstanden?“ Sie bohrte ihren Zeigefinger in Silkes Schulter.

„Aber ...“

„Schon wieder ein ABER?“

„Er ist einfach zu viel des Guten ... oder des Schlechten. Ich meine Öl, mein Gott, Erika!“

„Na toll! Und wer hat ein Auto? Jetzt tu nicht so, als wäre ER der Böse. Eigentlich plagt dich doch nur das schlechte Gewissen, weil du immer noch mit deiner alten Mistkarre durch die Gegend gurkst. Sei mir nicht böse, aber wie scheinheilig ist das? Huuuu, der böse Ölmagnat versorgt mein Auto mit Benzin, damit ich meine extremen Wandertouren erledigen kann. Huuuu.“ Erika machte eine Geste wie ein Gespenst und Silke verbiss sich einen bösen Kommentar, bevor sie ja doch noch schmunzeln musste. Dabei war ihr überhaupt nicht zum Lachen.

„Stimmt schon, aber ich habe schlicht und ergreifend Angst, Erika. Ich bin Zahnarzthelferin. Nicht mehr.“

„Na und? Er ist ein Mann. Nicht mehr. Brauchst du noch weitere Anweisungen, um die Nuss zu knacken?“ Liebevoll tätschelte sie die Hand ihrer Freundin und bugsierte sie vor den Spiegel des WC-Raums. „Und jetzt mach dich frisch, du Heulsuse. Du musst ihn ja nicht gleich heiraten. Genieße die Stunden mit ihm und wenn nichts daraus wird, dann hattest du wenigstens eine rauschende Ballnacht. Und jetzt ... hopp hopp ... dein Eyeliner ist verwischt!“

Nach nur zehn Minuten kamen die beiden zurück an die Bar und fanden die Plätze der Männer verlassen vor. Zuerst versuchten sie Dennis und John in einem anderen Bereich der Bar zu finden, dann im Ballsaal und schließlich sogar bei den Garderoben, doch zu ihrer großen Enttäuschung waren die beiden „tollen“ Typen offenbar gegangen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Einfach so. Futsch und fort.

„Na toll, jetzt war meine ganze Predigt umsonst“, motzte Erika und Silke konnte sehen, wie sehr ihre Freundin wegen diesem Dennis selbst durcheinander war. Auch wenn sie das niemals zugegeben hätte. Bei ihr selbst war die Enttäuschung ebenfalls groß. Zumindest größer als sie nach ihrem Selbstzweifel und ihrem Moralgefecht geglaubt hätte. Aber sie spürte auch eine feige Erleichterung, weil dieser John Baxter auf den ersten Blick zwar ein Traumtyp gewesen war, aber in der Regel der Untergang für Frauen wie sie bedeutete. Schade war solch ein Ende allemal, noch dazu wo sie die beiden Männer noch nicht einmal richtig kennengelernt hatten.

Erika und Silke ließen sich dennoch nicht entmutigen. Die Nacht war noch jung und so bestellten sie noch einen Prosecco, stießen auf ihre Freundschaft an und verfluchten die schönen Männer und ihre Knackärsche. Vor allem dann, wenn sie sich wie welche benahmen.


7.Kapitel

„Verdammt, ausgerechnet jetzt passiert so eine Scheiße“, John war außer sich, der Helikopter bereits startklar. Dennis las ihm punktgenau den Bericht seines Pressesprechers vor. Die Bohrinsel war nicht wegen einem Fehler in die Luft geflogen, sie war einem Terroranschlag zum Opfer gefallen. Eine Explosion bei den Stahltrossen der TLP hatte die Plattform aus dem Gleichgewicht gebracht, den Bohrer beschädigt. Ersten Vermutungen nach hatten Umweltaktivisten ihre Finger im Spiel. Die Tension leg platform (TLP) wurde bewusst lahmgelegt, ohne einen Ölaustritt zu riskieren. Seine Mitarbeiter hatten ihn informiert, dass keine Gefahr einer Ölkatastrophe bestand, sofern nicht noch ein weiterer Anschlag dazu kam.

„Wieso machen die das? Diesen Umweltheinis muss doch klar sein, dass sie dem Meer damit nichts Gutes tun“, ärgerte sich Dennis, während er ständig in seinen Laptop hinein hämmerte und diverse Emails verschickte. Die Pressestelle, insbesondere Sonja, hatte zwar längst reagiert, dementiert, beschwichtigt und ein paar Fakten durchsickern lassen, doch nun brauchten verschiedenste Stellen konkrete Anweisungen und das direkt von John Baxter oder Dennis, je nachdem, wie man das sehen wollte.

„Ich glaube nicht, dass es Umweltaktivisten waren. Da tippe ich schon eher auf meinen Erzfeind. Schon seit Wochen höre ich Gerüchte dazu und letztendlich will er nur meine Aktien am Boden sehen.“

„Nein, er will dich am Boden sehen. Aber warum sollte er dann solch einen stümperhaften Anschlag durchziehen? Aus Umweltgründen kann ich mir eine milde Aktion ja noch vorstellen, aber wenn man jemanden wirklich schaden will? Da wäre doch zumindest eines dieser Superkavitationstorpedos angesagt gewesen, meinst du nicht?“

„Ramses ist nicht blöd. Vielleicht will er mich nur warnen und den Verdacht auf andere lenken. Wie du siehst klappt das ja ganz ungewöhnlich gut. Sonja und der Pressechef sind – wie du – der Meinung, dass es Umweltaktivisten gewesen sein müssen. Ich bin das nicht. Vor allem aber frage ich mich, wieso meine Sicherheitsleute vor Ort so derart versagt haben. An eines der Stahltrosse heranzukommen, eine Bombe zu montieren und sie dann auch noch in die Luft zu jagen ist schon eine Meisterleistung, selbst wenn der Anschlag im Großen und Ganzen fehlgeschlagen ist. Wenn man unsere Sicherheitsvorkehrungen bedenkt, kann so etwas eigentlich nur passieren, wenn wir in den eigenen Reihen eine undichte Stelle haben. Und DAS würde Ramses dann wieder ähnlichsehen. Er ist durchaus in der Lage, einen Spion einzuschleusen oder einen bestehenden Mitarbeiter zu bestechen oder zu erpressen. Ramses verhält sich manchmal wie ein Mafiaboss, obwohl er es vor Gericht und in den Medien immer schafft, eine exakte Grenze zum organisierten Verbrechen zu ziehen. Aber ihm traue ich alles zu. Selbst die Erpressung eines Mitarbeiters durch die Bedrohung seiner Familie. Der Mann ist eiskalt und absolut skrupellos. Aber ich schwöre dir, er wird damit nicht durchkommen!“

„Du meinst wirklich er war es? Aber warum? Seine Geschäfte gehen gut. Ihr seid natürlich Konkurrenten, aber das belebt doch in der Regel nur den Markt und macht ihn interessanter. Warum will er dich unbedingt vernichten?“ Dennis war erst seit zwei Jahren im Dienst von John Baxter und wusste natürlich genug über sein Leben, sein Umfeld und seine Feinde, aber dieses Wissen reichte nur zwanzig Jahre zurück. Woher John Baxter wirklich kam, wer seine Eltern waren oder was er vor seinem achtzehnten Lebensjahr getan hatte, war ein Geheimnis und fiel laut John unter Privatsphäre. Dennis wusste also nicht, ob es vielleicht eine Vorgeschichte mit Ramses in seiner Jugendzeit gab. Denn diesen Mann hatte Dennis in den zwei Jahren bei John nur drei Mal zu Gesicht bekommen und ihn als zielgerichteten, aber extrem kaltblütigen Geschäftsmann kennengelernt. Nicht umsonst war Ramses die Nummer Eins in der Ölbranche. John Baxter hingegen mochte nicht immer der freundlichste Mensch sein, war mindestens genauso zielgerichtet wie Ramses, hatte aber einen überraschend hohen Sinn für Ethik und Ehrlichkeit. Was nicht bedeutete, dass er nicht auch skrupellos sein konnte. Um im Geschäftsleben so derart hoch hinauf zu kommen, musste man mit einer guten Portion Rücksichtslosigkeit gesegnet sein, sonst hatte man keine Chance. Trotzdem war John für Dennis eine Ausnahme und zählte zu den Guten. Was in der Branche so selten war wie aufrichtige Liebe im Leben. John lebte im absoluten Luxus, bekam so gut wie alles, was er wollte und kämpfte doch auch jeden Tag mit dem Nachteil von Macht und Ehrgeiz. Er war schlicht und ergreifend einsam und einem immer größer werdenden Maß an Langeweile ausgesetzt. Vertrauen konnte er so gut wie nicht fassen, seine Wut manchmal nicht im Zaum halten. Dennoch war es eine Ehre für ihn zu arbeiten ... und der Verdienst war ebenfalls nicht schlecht.

„Ramses ist ein Idiot, der nie genug hat. Ich bin die Nummer zwei und das alleine stört ihn schon. Dabei ist es ganz logisch, dass es immer eine Nummer zwei geben wird.“

„Vielleicht hat er Angst, dass du Nummer eins wirst.“

„Vermutlich. Aber das will ich gar nicht. Ich bin jetzt 38 Jahre alt und möchte mich allmählich zur Ruhe setzten.“ Dennis blickte verblüfft auf, konnte aber im Gesicht seines Chefs die Ernsthaftigkeit seiner Worte erkennen.

„Mit 38 in Pension ... auch nicht schlecht“, witzelte er, doch John blitzte ihn wütend an.

„So war es nicht gemeint! Ich höre vermutlich nie auf zu arbeiten, aber ich kann durchaus mit einem Minimum von meinem Laster auskommen.“ Als Laster hatte John seine Arbeit noch nie bezeichnet. Das klang fast wie von einem Spieler, der über seine Spielsucht redete. Obwohl ... eigentlich passte das ganz gut, denn für John waren Zahlen in Millionenhöhe keine große Sache und mehr wie ein Spiel, als bitterer Ernst.

„Allmählich steht mir der Sinn nach etwas wirklich Wertvollem. Einer Familie zum Beispiel.“ Dennis musste den Blick senken, um seine Gedanken nicht zu verraten. John Baxter als Papa? Das war so verrückt wie Eiscreme am Mond. Er war der Lebemann schlechthin, wechselte Betthäschen wie andere ihr Gewand, erlebte die besten und schrillsten Partys und verbrachte seine Zeit doch hauptsächlich mit Arbeit.

„Du brauchst dich gar nicht zu verstecken. Ich weiß genau, dass du mir nicht glaubst, aber die Wahrheit ist, dass mich das alles allmählich anödet. Die Frauen sind immer die Gleichen, die Partys ebenso und die Arbeit ist nur manchmal von Highlights durchzogen. Vielleicht habe ich ja auch allmählich genug von dieser ewigen Getriebenheit und der Suche nach dem nächsten Kick.“

„Wieso? Der nächste Kick wäre dann ja wohl Familie“, konterte Dennis und sah seinem Chef erstmals wieder in die Augen. John Baxter mochte ja ein Suchender sein, aber etwas derart Bodenständiges wie Familie musste man sich schon sehr gut überlegen. Mit seiner Antwort gab er ihm indirekt zu verstehen, dass eine Familie mehr war, als nur ein kurzer Zeitvertreib. John musterte seinen Assistenten scharf und schien die unterschwellige Botschaft durchaus zu verstehen.

„Du überrascht mich jeden Tag aufs Neue, Dennis. Manchmal denke ich mir, Du bist der beste Assistent, den ich seit langem hatte. Und ich hatte schon viele, wie du weißt.“


8.Kapitel

„Guten Morgen Ladies!“, rief Dr. Gruber am Mittwochmorgen fröhlich in den Warteraum und staunte nicht schlecht, als er seine beiden Assistentinnen total erledigt vorfand. Die eine gähnte herzhaft, die andere brachte kaum ihre Augen auf. Erst als Silke ihm mechanisch zuwinkte und mit ihren Fingern deutete, dass sie viel getanzt hatten, erinnerte er sich an die verschenkten Ballkarten. Der Medizinerball der zweiten Generation war nicht so sein Ding. Mit 42 Jahren war er noch nicht gewillt einen Abend mit lauter alten Menschen zu verbringen. Nur ... das hatte er Erika natürlich nicht auf die Nase gebunden.

„Oh, verstehe! Die Damen hatten eine rauschende Ballnacht und können sich nun kaum auf den Beinen halten. Nun ja, Ladies. Die Arbeitswelt nimmt darauf leider keine Rücksicht.“ Betont laut klatschte er in die Hände und forderte Silke und Erika auf, an die Arbeit zu gehen. „Hurtig, meine Damen. Die ersten Patienten kommen in einer halben Stunde.“ Damit entledigte er sich seiner Jacke, zwinkerte den beiden laschen Ladies zu und ging in sein Büro. Silke und Erika rollten mit den Augen.

„Mann, bin ich erledigt“, seufzte Erika und gähnte laut. Nicht einmal ihr Kaffee Latte mit Vanillearoma hatte ihr heute geholfen.

„Wir hätten gleich nach dem Sekt gehen sollen“, zischt Silke und gähnte ebenfalls herzhaft.

„Warum? Nur weil zwei total attraktive Götter sich als Looser herausgestellt haben, die uns plump sitzen gelassen haben?“

„Schon ärgerlich, hm? Dabei waren wir beide so schön herausgeputzt“, murmelte Silke und grinste dann komisch. „Du, Erika, ... ich sage es nur ungern, aber davon ist heute nichts mehr zu sehen.“ Woraufhin beide laut lachten.

„Mann, waren wir steile Geräte. Nur ein Idiot hätte sich so etwas entgehen lassen“, ärgerte sich Erika und starrte gedankenverloren auf ihren Kaffeebecher.

„Du bist noch sauer, hm? Dein Dennis war aber auch irgendwie süß.“

„Yes. Dein reicher Ölheini war auch nicht ohne. Und der Tango erst! Wenn ich das dem Chef erzähle, will ER vermutlich sofort mit dir auf den nächsten Ball.“ Erika kicherte, denn Dr. Gruber war nicht sehr attraktiv, absolut talentfrei was Tanzen anging und zudem glücklich verheiratet.

„Nie wieder Medizinerbälle! Das kann ich dir garantieren. Und wer braucht schon den ultraschönen Ölfuzzi aus New York. Ich meine, wie realistisch ist es, dass der mehr will als nur kurz vögeln.“ Silke war ja doch mehr betroffen von dieser Tatsache, als sie sich bisher eingestanden hatte.

„Scht! Du böses Mädchen“, meinte Erika ernst, versuchte dann aber auf ihre Art die Stimmung wieder zu heben. „So spricht man doch nicht vom Ficken“, johlte sie nämlich und begann hysterisch zu lachen, weil sie wusste, dass ihre Freundin das F-Wort ganz besonders obszön fand. Silke war zwar betroffen und auch Wo enttäuschst, musste aber bei Erikas überdrehtem Humor doch auch wieder lachen. Ihre Verzweiflung war zwar noch ein wenig herauszuhören, aber es war nun mal die beste Medizin ausgelassen zu sein und zu lachen. Dr. Gruber brummte allerdings etwas in seinem Büro und gab zu verstehen, dass die Damen gefälligst an die Arbeit gehen sollten. Gespielt erschrocken klopften sich die beiden auf den Mund und gingen mit einem schelmischen Augenzwinkern ans Werk.

Der Vormittag wurde dann so stressig, dass Silke nicht mehr wirklich an Mr. Baxter denken konnte. Wobei ... ganz stimmte das nicht. Das schöne Grün seiner Augen mit den leichten Sprenkeln von Gold schwebte irgendwo in den Untiefen ihres Bewusstseins, schwappte mal hier hoch, dann wieder dort. Phasenweise spürte es sich an, als würde sie eine Bootsfahrt unternehmen und immer wieder einen klitzekleinen Blick auf fantastisch grünes Wasser werfen. Ihre Vision von karibischem Meer am Vortag, das sich plötzlich in eine schwarze Brühe verwandelt hatte, bekam dadurch eine viel tiefere Bedeutung. Seine Augen erinnerten zwar an Wasser, doch viel wichtiger war doch, dass John Baxter in Öl machte und vermutlich immer wieder das Meer mit seinem schwarzen Gift verseuchte. Grün wurde zu Schwarz. Die Message war eigentlich klar: Der Typ war eine einzige Umweltsünde.

Das Telefon riss sie aus ihren Gedanken.

„Ordination Dr. Gruber, mein Name ist Silke, was kann ich für sie tun?“ Von dem Spruch träumte sie bereits, weil sie ihn am Tag sicher hundert Mal herunterleiern musste. Trotzdem fand sie es richtig, dass Dr. Gruber auf diese lange Begrüßungsformel bestand. Gerade beim Zahnarzt musste man auf solche Kleinigkeiten achten, um den besonders ängstlichen Patienten den Einstieg zur Hölle zu erleichtern. Sprüche wie: „Silke, hi! Zahnfräser oder Implantat?“ wären da sicher nur halb so schlau gewesen.

„Silke Environ?“, fragte eine dunkle Stimme am anderen Ende der Leitung und Silkes Haut begann wie unter Ameisengetrippel zu jucken.

„Ja. Wer spricht denn da?“ Sie schluckte hörbar.

„Hi! Hier ist Dennis. Du weißt schon ... Dennis Williams, der kriecherische Diener von John Baxter.“ Ups, den Seitenhieb gestern hatte er wohl nicht vergessen.

„Äh. O-kay. Was kann ich für sie tun? Haben sie Zahnprobleme?“ Sie meinte es ernst, aber Dennis lachte so überrascht auf, dass sie das Gefühl hatte, die falsche Frage gestellt zu haben.

„Nein. Danke.“ Er lachte noch einmal. „Sie sind sehr herzerfrischend. Wie ihre süße Freundin.“ Silke gab ein komisches Geräusch von sich und starrte in den Warteraum, ob jemand den peinlichen Inhalt ihres Telefonats mitbekommen konnte. Doch dem war natürlich nicht so. Die meisten blätterten in den langweiligen Zeitschriften, wippten nervös mit dem Sessel oder spielten mit ihrem Handy. Konzentriert, neugierig oder ruhig war hier niemand. Wie auch? Beim Zahnarzt kämpfte man meist gegen Ängste.

„John Baxter würde sie gerne wiedersehen, Silke“, meinte er mit streichelweicher Stimme und einer Betonung, als wäre das jetzt die absolute Offenbarung. Wow … ein Geschenk oder der Hauptgewinn schlechthin. Er machte sogar eine tragende Pause, um es besser wirken zu lassen.

„Und warum ruft er dann nicht selber an?“, konterte Silke jedoch nüchtern, obwohl ihr Magen durchaus flatterte. „Und woher haben sie überhaupt diese Nummer?“

„Das war leicht. Environ ist nicht gerade ein Allerweltsname und nachdem sie privat eine Geheimnummer haben, konnte ich sie über die Arbeitswelt ausfindig machen.“

„Na, da hat sich aber jemand ins Zeug gelegt, wenn es auch nicht John Baxter war.“ Sie wusste gerade nicht, ob sie sich freuen oder lieber schmollen sollte. „Warum sind sie beide denn gestern einfach so geflüchtet, ohne eine Nachricht zu hinterlassen? Das hatte durchaus etwas von Aschenputtel. Verzeihung, bei ihnen heißt es ja Cinderella. Zum Glück sind wir nicht noch über ihre Schuhe gestolpert.“ Silke wirkte trotzig, aber Dennis lachte schon wieder und dieses Mal klang es wirklich charmant.

„Wir sind nicht geflüchtet. Wir hatten einen Notfall und konnten leider keine Sekunde länger bleiben. John ist nun einmal eine sehr wichtige Persönlichkeit und es gab geschäftliche Probleme. Sehr wichtige, geschäftliche Probleme. Deshalb sind wir bereits wieder auf dem Weg in die Staaten.“

„Toll. Echt.“ Silke bekam allmählich Kopfschmerzen. „Hören sie, Dennis. Sie beide sind zwei wirklich scharfe Typen, aber ...“

„Danke“, unterbrach er sie gekonnt. „Bevor sie jetzt ein NEIN trällern, möchte ich ihnen mitteilen, dass John nächste Woche wieder zurückkommt und sich sehr freuen würde, wenn er mit ihnen Essen gehen könnte. Das Do&Co im ersten Bezirk soll ja ganz gut sein.“ Silke holte tief Luft und unterdrückte das aufregende Gefühl von Schmetterlingen im Bauch. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen. Sie wollte diese ganze Action nicht. John Baxter war natürlich nicht zu verachten und sein Tanz mehr als inspirierend gewesen, aber sie war überzeugt, dass sie durch ihn sehr verletzt werden und mit mörderischen Kopfschmerzen übrigbleiben würde. So wie jetzt.

„Kommen sie schon, Silke. Wenn es ihnen lieber ist, gehen wir auch zu viert. Erika würde sich sicher nicht lange bitten lassen.“ Er wollte die Stimmung auflockern, doch Silke nahm es als Beleidigung wahr.

„Wagen sie es nicht meine Freundin als „leicht zu haben“ einzustufen! Sie kennen sie überhaupt nicht. Wie auch? Nach nur fünf Minuten.“ Silkes Augen funkelten wütend und Dennis seufzte am anderen Ende.

„Ich ... es tut mir leid, ich muss jetzt wieder auflegen, aber bitte, werte Silke Environ, überlegen sie es sich noch einmal. Ja? Tun sie das für mich? Bitte! Ich bekomme sonst Ärger und vermutlich ganz gehörig die Ohren langgezogen.“ Und das sagte er so kleinlaut, dass Silke erstmals lächeln musste. Zum Glück konnte er das durch den Apparat nicht sehen.

„Ich überlege es mir und jetzt lassen sie mich endlich arbeiten“, antwortete sie und er jubelte lauthals am anderen Ende.

„Endlich lächeln sie mal. Bravo!“ Er johlte immer noch und Silke ärgerte sich, dass er dieses Lächeln aus ihrer Stimme herausgehört hatte.

„Ich lächle gar nicht. Auf Wiederhören!“

„Ganz sicher! Auf Wiederhören!“ Und dieses „Ganz sicher“ bezog sich vermutlich sowohl auf das Lächeln, als auch auf das Wiederhören. Allem Anschein nach würde er nicht so schnell aufgeben. Der Frechdachs! Erst jetzt bemerkte Silke, dass doch der eine oder andere im Warteraum guckte. Eine Frau lachte ihr sogar spitzbübisch zu und Silke spürte Hitze in ihren Wangen, obwohl sie das gar nicht wollte. Dieser John Baxter war schon ein eigenes Kapitel. Wenn er wirklich ein Ölmagnat aus New York war, warum war er dann in Wien und warum interessierte er sich für eine Zahnarztassistentin, die während dem Tanz beinahe ihren Namen vergessen hatte?

Kurz vor Dienstschluss erzählte sie Erika von dem Anruf und erntete eine leichte Dachtel auf den Hinterkopf.

„He, spinnst du! Na warte, dieses Mal gibt es von mir beim Training eine saftige Revanche“, lachte Silke und rieb sich schmollend den Kopf.

„Hallo-o, geht’s noch?“ Irgendwie hatte Erika immer nur den gleichen Spruch drauf. An manchen Tagen konnte Silke diese „Hallo-o“ schon nicht mehr hören, an anderen wiederum floss es bereits auch in ihren Sprachgebrauch ein, als würde sie sich anpassen oder einfach nur daran gewöhnen. Aber Erika war nun einmal Erika und ein Unikat.

„Was bitteschön gibt es da zu überlegen?“, hakte Erika noch einmal nach. „Und natürlich komme ich mit! Ich meine Do&Co, Lady. Was gibt es Feineres?“

„Pizza?“, antwortete Silke trocken.

„Ach, du bist unmöglich! Außerdem finde ich es total romantisch, dass er nach zwei Tänzen gleich deine Telefonnummer ausfindig gemacht hat. Und das ist bitteschön gar nicht so leicht. Schließlich stehst du nicht im Telefonbuch.“

„Romantisch? Er hat das schließlich von seinem Diener erledigen lassen.“

„Assistent, bitteschön.“

„Wie auch immer! Der Kerl gibt gerne Befehle und scheint immer zu bekommen, was er will.“

„Ja, und?“

„Das regt mich auf und meinen Widerstand an.“

„Jesses, freue ich mich darauf dir heute noch die Fresse zu polieren!“

„Träum weiter, Lusche!“


9.Kapitel

Das Training verlief wie immer. Erika war nicht wirklich sauer auf Silke und auch nicht darauf aus ihr eins auszuwischen, sie konnte sie nur überhaupt nicht verstehen. Ein Traumtyp blieb nun einmal ein Traumtyp, egal wie viele Millionen er jährlich scheffelte. Die Frage war vielmehr wie lange solch ein Mann einer Zahnarztassistentin hinterherlaufen würde. Ein John Baxter hatte das wohl kaum notwendig, und wenn sich Silke zu lange zierte, würde sie schon bald merken, wie launisch ein Millionär werden konnte. Ein schneller Blick auf Wikipedia hatte Erika vor Augen geführt, dass John Baxter einer der reichsten New Yorker war und noch dazu single. Und genau DER wäre dann für immer über alle Berge und der süße Dennis mit ihm. Dennis! Insgeheim ärgerte sie sich über ihn, weil er nicht ein einziges Mal nach ihr gefragt oder ein Date vorgeschlagen hatte. Gerade mal das Essen bei Do&Co hatte er mit ihr als Notnagel angeboten. Silke hatte die Selbstverständlichkeit mit der er über Erikas Willigkeit gesprochen hatte, verärgert. Doch Erika wurmte vielmehr, dass er nicht nach ihrer Telefonnummer verlangt hatte. Im Prinzip sollte sie das nicht weiter tangieren, doch gestern hatte sie zum ersten Mal das Gefühl gehabt, Mr. Big aus „Sex in the city“ gefunden zu haben, nur viel jünger, attraktiver und verwegener. Sie hätte es niemals zugegeben, aber sie liebte diese Sendung und fand es richtig aufregend, wenn eine kleine Rebellin endlich ihren Mr. Right fand. Fürs Leben und so. Aber allem Anschein nach ging es hier immer nur um die Interessen von Mr. Baxter, nie um die von seinem Assistenten oder gar von einer Zahnarztassistentin namens Erika.

Die Mädels duschten gerade und scherzten noch über ein paar Schlagfolgen und Verrenkungen, als Gabi Ginster, die Trainerin, den Duschraum betrat.

„Silke, ein Anruf für dich! Scheint sehr wichtig zu sein.“ Silke wurde schlagartig flau im Magen. Ihre Eltern waren nicht mehr die Jüngsten und ihr Vater litt permanent unter Herzbeschwerden. Schnell schnappte sie sich ein Handtuch, hielt sich nicht mit Abtrocknen auf und wickelte es sich nur behelfsmäßig um ihren glitschigen Körper. Nass, wie ein begossener Pudel, lief sie dann über den Flur zum Büro der Trainerin, schlitterte hektisch um die Kurve und prallte just vor dem Büro in ein Hindernis aus Stein.

„Uff“, war alles was sie hervorbrachte, ehe sie zu Boden ging und das Handtuch seinen Halt verlor. Das Hindernis war keine Betonsäule, sondern ein Riese von einem Mann, der von Kopf bis Fuß in schwarzes Leder gehüllt war.

„Was ... huch“ Sie bemerkte gerade das lose Handtuch und band es schnell wieder fest. Danach rappelte sie sich umständlich in die Höhe. Der Kerl hatte sie ja wohl nicht mehr alle, stand einfach im Schatten und machte einen auf Hindernis!

„Kleiner Unfall, Süße?“, knurrte der bullige Typ und trat ganz aus dem Schatten hervor. Silke stockte der Atem. Sie kannte diese Gesichtszüge und doch waren sie anders, härter und gemeiner. Eine dünne Narbe zierte seine rechte Wange, reichte ihm bis zum Drei-Tages-Bart. Eines seiner Augen war grün, das andere schwarz. Ob Erbsache oder Kontaktlinsen war nicht zu erkennen. Der Mann sah so derart gruselig und bärenstark aus, dass Silke sofort Angst verspürte.

„Scheiße, was wollen sie?“, fragte sie und kreuzte ihre Arme vor der Brust, um nicht noch einmal das Handtuch zu verlieren. Wie viel er von ihr gesehen hatte, konnte sie nicht sagen, aber dass er hier absichtlich gelauert hatte, um sie zu stoppen, davon ging sie aus. Perverses Arschloch!

„Mitkommen! Jetzt!“, zischte der Riese, als hätte er nur zwei Gehirnzellen. Dazu grinste er böse und wirkte so, als würde er gerade eine Art Spiel beginnen. In Silkes Kopf machte es endgültig klick. Blitzartig drehte sie sich um, begann zu schreien und zu laufen. Wobei es damit auch schon getan war, denn schon in der nächsten Sekunde wurde sie wie ein Baum gefällt, schlug der Länge nach auf dem Boden auf und spürte zeitgleich einen ungewöhnlich brennenden Stich in ihrem Oberarm.

Erika wartete gut zehn Minuten, dann ging sie zum Büro, um nachzusehen wo Silke so lange blieb.

„Silke? Süße? Ist mit deinem Vater alles in O ...“ Wie vom Donner gerührt blieb sie stehen, als sie die nasse Spur am Flur sah, die plötzlich mitten am Weg endete. Silkes Handtuch lag am Boden.

„Scheiße!“ Sie wusste sofort, dass etwas Schlimmes passiert war. Niemals würde ihre Freundin einfach so ihr Handtuch ablegen. Niemals! Erika schrie nach der Trainerin und rannte zugleich ins Büro. Dort wählte sie den Notruf und meldete eine Entführung. Natürlich hätte sie noch in jedem Raum nachsehen oder auf der Toilette nach ihr rufen können, doch sie wusste instinktiv, dass jede Minute zählte. Vor einiger Zeit hatten sie von einem Spanner hier in der Gegend gehört, aber als kleine Boxlegenden hatten sie sich immer sicher gefühlt. Quasi unbesiegbar. Jetzt aber schien dieses Gerücht nicht nur Wirklichkeit geworden zu sein, sondern auch erstmals den Ernst der Lage zu verdeutlichen.

Wie selbstgerecht sie doch durch das bisschen Training und die paar Minimuskeln geworden waren! Wie unachtsam!

„Was ist los, Erika? Wo ist Silke?“ Gabi sah verwirrt aus.

„Sie wurde entführt. Vorsicht! Am besten wir lassen das Handtuch genauso liegen.“

„Was heißt entführt? Das ist doch ein Scherz oder?“

„Nein! Das ist kein Scherz! Die Spuren sind eindeutig. Silke ist bis hierhergekommen und wurde dann überfallen. Siehst du das Handtuch da? Der Entführer hat es ihr vom Leib gerissen und sie mitgenommen.“ Erika sprach so schnell, dass Gabi sich konzentrieren musste, um ihr zu folgen.

„Aber das ist doch verrückt ...“

„Nein! Es ist echt. Verdammt! Weißt du eigentlich wer sie angerufen hat? Ich meine, hat der Anrufer einen Namen gesagt? So wie ich das sehe, war das der volle Fake, um sie auf den Flur zu locken.“ Erika war außer sich und Gabi hätte normaler Weise erst einmal zur Ruhe gemahnt und die Fakten beschwichtigt, doch Erikas Hektik steckte sie richtig an. Das Handtuch schien Beweis genug zu sein und so ging sie ganz automatisch davon aus, dass Silke tatsächlich entführt worden war. Gabi versuchte sich zu erinnern.

„Es war ... es war eine tiefe Männerstimme. Namen hat er keinen genannt, aber er hat gemeint, dass es um Leben oder Tod ginge. Daher habe ich Silke ja auch aus der Dusche geholt. Ich weiß doch von ihrem Vater und da ...“ Mist! Es war genauso wie Erika befürchtet hatte. Jemand hatte sie bewusst unter der Dusche gestört und separiert, um sie noch angreifbarer zu machen.

„Zum Teufel, die nassen Spuren trocknen bereits.“ Erika war ganz blass vor Sorge. Ihre Trainerin verstand das aber mittlerweile.

„Hier! Nimm mein Handy und fotografiere alle Spuren. Vielleicht hast du ja recht und siehst nicht nur Gespenster!“


10.Kapitel

Ihr Mund war trocken, ihr Kopf schmerzte und als sie sich bewegen wollte, stellte sie fest, dass sie mit einer Hand am Bettrahmen gefesselt worden war. Mit schwarzen Handschellen, die einen Lederüberzug hatten und offensichtlich aus einem Fetischladen stammten. Heilige Scheiße! Wie hatte ihr nur so etwas passieren können? Sie lag in einem fremden Bett, war mit Sexspielzeug gefesselt und splitterfasernackt. Wenigstens hatte sie eine Bettdecke, die das Meiste verdeckte.

„Hier, nimm!“, kam es mit plötzlichem Knurren aus der Ecke und Silke wandte sich erschrocken zur Seite. Der Mann sah aus wie der reinste Kampfbomber. Alles steckte in schwarzen, enganliegenden Klamotten und sein Bizeps quoll so unnatürlich groß aus dem T-Shirt, dass Silke jeden Moment mit einer Explosion rechnete. Der Entführer hielt ihr eine offene Flasche Mineralwasser hin und forderte sie auf zu trinken. Silke dachte an Drogen oder Gift, doch sie hatte solchen Durst, dass sie die Flasche ergriff und gierig zu saugen begann. Dabei rutschte ihr die schlüpfrige Decke ein wenig nach unten. Sie bemerkte es nur, weil der Typ zu grunzen anfing. Silke trank dennoch weiter, schmiss ihm die leere Flasche wieder zu und bedeckte sich. Nachdem er sie ohne Handtuch entführt hatte, musste er – bei Gott – schon mehr von ihr gesehen haben, als einen Nippel. Trotzdem starrte er sie an, als würde er sich nur mühsam beherrschen können.

„Was ist?“, fragte sie unwirsch, aber der Riese brummte nur und zog sich mit einer einzigen Bewegung sein T-Shirt über den Kopf.

Bist du deppert ... schoss es Silke durch den Kopf, als sie seinen nackten Oberkörper zu Gesicht bekam. Der Mann war ein einziger Fleischberg. Ein Wulst neben dem anderen, ebenso wie eine Narbe neben der anderen. Dabei war seine Haut schön, sein Körper vermutlich der Traum jeder Frau. Sofern sie auf ‚Modell Knackwurst‘ stand.

„Hier, zieh das an, wenn du nicht willst, dass ich es dir besorge!“ Wie bitte? Hatte der Kerl das jetzt gerade wirklich gesagt? Silke gaffte, als wären dem Mann zwei Hörner gewachsen.

„Mach schon!“, zischt er und warf ihr das T-Shirt an den Kopf. „Und zwar flott!“ Silke tat augenblicklich, was er von ihr verlangte, stülpte sich das schwarze T-Shirt über den Kopf und erkannte recht bald, dass sie es mit gefesselter linker Hand wohl kaum ganz überziehen konnte. Das Shirt war zwar so groß wie ein Zelt, aber über einen Bettrahmen mit gefesselter Hand passte es eben nicht. Sie hing also halb in dem riesigen Shirt und zur anderen Hälfte nicht. Der Duft, der ihr von dem Stoff in die Nase stieg, erinnerte sie an etwas Wildes und Grünes. Das T-Shirt schien geradezu durchtränkt zu sein von diesem ungewöhnlichen und sehr männlichen Geruch.

„Besser geht das nicht! Ich bin schließlich gefesselt“, erklärte sie schroff und wunderte sich, dass sie sich das überhaupt zu sagen getraute. Schließlich war sie entführt und nackt an das Bett dieses aufgedunsenen Spinners gefesselt. Sie hätte eigentlich hysterisch weinen, schreien oder sich zumindest verängstig fühlen müssen. Doch in Wahrheit war ihr nicht einmal unwohl. Was wusste sie, warum sie sich nicht der Situation entsprechend benahm! Vielleicht lag es an der defensiven Haltung des Mannes, am Gewurstel mit dem Shirt oder an der Restwirkung des Medikaments, das er ihr im Flur des Boxvereins in den Oberarm gespritzt hatte. Apropos defensiv. Nachdem er sie lange genug beobachtet hatte, stieß er sich nun von der Zimmerwand ab und kam auf sie zu. Spätestens jetzt hätte sie vor Angst erstarren müssen, doch stattdessen sah sie ihn an, als wäre er ein überdimensionales Würstchen von einem anderen Stern. Seine Statur war mächtig, sein Gesicht grimmig und doch wirkte er für sie nicht bedrohlich. Er knurrte schon wieder, beugte sich über sie, packte das eine Ende des T-Shirts und riss die rechte Seite ohne jeden Kraftaufwand auseinander. Die Naht platzte, als wäre sie mit Papierfäden genäht. Mit der offenen Seite des Shirts funktionierte dann auch das Darüberstülpen. Er zog es ihr ganz über den Oberkörper und streifte dabei wie zufällig ihre Brust mit seiner Handfläche. Silke sog zischend die Luft ein.

„Ein bisschen Spaß muss schon sein“, lachte er und ging wieder auf Abstand. „Keine Angst, wenn du dich nicht vollkommen verkehrt benimmst, werde ich dir nichts tun.“ Silke schluckte hart und überlegte fieberhaft, worauf dieser Mann es abgesehen haben könnte, wenn nicht auf ihren Körper. Geld konnte es ja wohl kaum sein. Hätte er einen Blick auf ihre alte Schrottkarre geworfen, hätte er gewusst, dass sie nicht gerade vor Geld strotzte. Patient von Dr. Gruber war er jedenfalls keiner. Einen Koloss wie ihn hätte sie sich gemerkt. Vielleicht hatte sie ihm am Telefon einen schnellen Termin verweigert und sich so seinen Unmut zugezogen. Was wusste sie warum Menschen andere entführten.

„Schöner Busen übrigens“, lachte er grob.

„Danke, ebenfalls“, konterte sie im Handumdrehen und staunte wohl selbst am meisten über ihre Schlagfertigkeit. Vermutlich war sie wirklich noch auf Drogen oder irgendwie anders high, denn diese Coolness passte so gar nicht zu ihr. Immerhin war sie nackt und der Typ drauf und dran sie zu vergewaltigen oder zu ermorden. Die Antwort aber schien ihm zu gefallen, denn dieses Mal klang sein Lachen überraschend hell und angenehm. Die knurrige Masche gehörte offenbar nur zur Einschüchterungstaktik.

„Was wollen sie denn von mir?“ Silke fand es nur legitim, ihn das zu fragen, aber der Typ verstand offenbar keinen Spaß. Das Lachen brach abrupt ab, das Knurren kam wieder. „Mein Gott, das ist doch wohl klar, dass ich das frage!“ Silke rollte mit den Augen und das Knurren wurde lauter. Allmählich nervte er sie damit. „Ist ja gut Hündchen, dann beiß mich halt.“ Gut, damit hatte sie eindeutig übertrieben, doch die Reaktion, die er lieferte war trotzdem fern von Gut und Böse. Wie ein Wirbelwind fetzte er durch den Raum, warf sich regelrecht auf sie und drückte sie mit seinem Gewicht tief in die Federn. Mit einer Hand hielt er ihren freien Arm fest, mit der anderen hatte er ihren Hals umklammert und würgte sie. Seine Augen sprühten Funken.

„Ahh, das war doch nur Spaß ...“, röchelte sie und versuchte sich wegzudrehen, aber das war natürlich zwecklos. Der Koloss von Rhodos war keinen Millimeter zu bewegen.

„Du solltest dir verdammt genau überlegen, wie du mit mir sprichst und mich auf keine noch so erdenkliche Weise reizen. So etwas wie dich verspeise ich normalerweise zum Frühstück.“ Damit fletschte er seine weißen Zähne und Silkes Augen wurden groß. Die Eckzähne des Mannes waren eine Spur länger als der Rest. Nicht wirklich viel länger, aber doch so, dass es einschüchternd wirkte.

„Schon gut“, keuchte sie und versuchte unterwürfig zu schauen, obwohl sie immer noch viel zu wenig Angst hatte. Da saß ein Muskelberg auf ihr, drückte ihr die Kehle zu und sie hatte immer noch das dämliche Gefühl, er könnte ihr nichts anhaben. Dabei war seine Gewaltbereitschaft doch offensichtlich. Was für ein genialer Rausch! Es musste einfach die Droge sein oder schlicht ihr persönlicher Schutzmechanismus, der alles zu negieren wusste ... vor allem das Wahrscheinliche.

„Also, Süße. Zum Ersten bist du nicht in der Position frech zu sein. Zum Zweiten solltest du mich respektieren, denn ich bin derjenige der derzeit über dein Leben bestimmt und zum Dritten könnte ich Sachen mit dir anstellen, die dich wirklich atemlos machen.“ Er zwinkerte ihr böse zu.

„Und zum Vierten erdrückst du mich“, keuchte sie und funkelte ihn wütend an. Er lachte. Schon wieder. Wenigstens ließ er locker und ging auf Abstand. „Mann! Folter durch Tonnen von Fleisch“, murmelte sie erbost und atmete tief durch, während er sie mit einem seltsamen Ausdruck ansah und langsam rückwärts aus dem Bett verschwand. Geschmeidig wie eine Raubkatze und durchtrainiert wie ein Sportler, der jeden Muskel unter Kontrolle hatte. Seine Muskeln entsprachen zwar mehr dem Ausmaß eines Bodybuilders, doch die schränkten ihn nicht in seiner Bewegungsfreiheit ein. Im Gegenteil. Jeder straffe Wulst, jede Andeutung von geballter Kraft passte zu ihm, erbebte unter seiner Zurückhaltung, straffte sich nach seinem Willen. Wäre er nicht der Aggressor gewesen, hätte sie ihm ein gewisses Maß an Attraktivität zugesprochen. Breiter Oberkörper, schlanke Taille, lange, muskulöse Beine, Beule in der Hose. Er war ganz offensichtlich scharf auf sie und ging dennoch auf Abstand.

„Ich dachte du bist ein schüchternes Mäuschen, das zwar boxen kann, aber längst nicht so cool ist, wie du hier gerade tust.“

„Sag du mir den Grund! Du hast mich ja wie ein Irrer auf den Boden geworfen und mir dieses Mistzeug gespritzt. Vielleicht bin ich ja auf irgendetwas darin allergisch. Schon mal darüber nachgedacht? Mit solch einer chemischen Scheiße hättest du mich umbringen können, Mann.“ Er lachte erneut und obwohl sein Lachen angenehm klang, ging ihr seine Reaktion allmählich auf die Nerven.

„Keine chemische Scheiße, mein Schatz“, spottete er.

„Was dann?“ Das „Schatz“ ignorierte sie tunlichst.

„Spucke.“

„Haha, sehr witzig. Von einem doppelköpfigen Alien oder was?“

„Nein, von mir.“ Silkes Augen weiteten sich vor Schreck ... und Ekel, denn er meinte es scheinbar ernst. Dazu lachte er schon wieder.

„Mein Gott, was für eine Krankheit hast du eigentlich? Sammelst heimlich Spucke und spritzt damit wild in der Gegend herum? Wie ekelhaft ist das denn?“ Silke war fassungslos.

„Ich kann nicht behaupten wirklich etwas gegen dein freches Verhalten zu haben. Du amüsierst mich mehr als irgendjemand sonst in den letzten Jahren, aber wenn du nicht an deinem Respekt arbeitest, wirst du ein Problem mit mir bekommen.“ Seine beiden unterschiedlichen Augen bohrten sich in die ihren, wobei sie nicht sagen konnte, welches davon sie intensiver bearbeitete. Das grüne schien in sie einzudringen und das schwarze dafür alles aus ihr herauszusaugen.

„Zu deiner Information Silke Environ: Ich bin zur Hälfte Vampir und daher sowohl lebendig, als auch tot und mein Speichel enthält ein natürliches Anästhetikum, das dich in hoher Dosis vollkommen ausknockt. Kapiert?“ Silke zwinkerte kein einziges Mal.

„A-ha“, meinte sie nur und starrte ihn weiter bewegungslos an. „Du glaubst also du bist so etwas wie ein Alien ...“ Sein lautes Knurren brachte sie zum Verstummen und seine Fuß trat so fest gegen den unteren Teil des Bettes, dass ihre Zähne aufeinander klackerten. Offenbar musste sie sich ihre Worte ein wenig besser überlegen. „Ich meine ja nur, ... das klingt schon ein klitzeklein wenig verrückt. Außerdem glaube ich nicht an Vampire.“ Und das war dann wohl das Dümmste, was sie noch zusätzlich sagen konnte, denn nun schien ihm endgültig der Kragen zu platzen. Seine Augen veränderten ihre Farbe, wurden finsterer und … rötlicher. Er bewegte sich so schnell, dass seine Konturen verschwammen und erst wieder klar wurden, als sein Körper erneut auf dem ihren einschlug. Silke kreischte auf und er knurrte tiefer denn je, als er sich auf ihre Hüfte setzte und sie mit seinem Gewicht in Schach hielt. Für sie hatte es ausgesehen, als wäre er vom Ende des Bettes zu ihr hingeflogen, allerdings nicht wie ein Vogel, sondern mehr wie eine Kanonenkugel. Sein Gewicht war mörderisch und seine Aggressivität deutlich spürbar. So richtig Angst bekam Silke jedoch erst, als er mit seinem Kopf näherkam, seinen Mund öffnete und seine Eckzähne betont langsam zu langen, spitzen Waffen verlängerte. JETZT kreischte sie nicht nur, sondern brüllte in Todesangst.

Endlich eine normale Reaktion auf eine nicht normale Situation! Aber es gab keinen Grund zur Freude. Das Biest lachte nämlich, fuhr sich begierig mit der Zunge über die Vorderzähne und kam noch näher. Silke drückte sich so tief sie konnte in das Kissen zurück, doch das Tier hielt sich nicht zurück, roch an ihrem Kopf, griff ihr ins blonde Haar und wanderte abwärts zu ihrem Hals, wo es weiter schnupperte und ihre empfindliche Haut mit den Lippen berührte. Silkes Atem ging hektisch und sie versuchte zu sehen, was der Mann, das Tier, oder was auch immer er war, vorhatte. Doch er hielt ihren Kopf fest, hauchte seinen Atem auf die empfindliche Stelle an ihrem Hals, benetzte sie mit seiner Zunge und ... schlug dann blitzschnell seine Zähne hinein.

Silke schrie auf und ein stechender Schmerz zog sich über ihre gesamte linke Seite, während das Vieh ihren Hals zerfleischte, ihre Sehnen durchtrennte und sich an ihrem Blut labte.

Menschenfresser, Blutsauger! Ihr Schrei wurde zu einem Wimmern und sie sah Bilder von ihrem zerfetzten Hals, dem abgetrennten Kopf und dem völlig ausgebluteten Körper. In Todesangst riss sie mit der linken Hand an den Handschellen und versuchte sich gegen den riesigen Fleischberg zu wehren, doch gegen eine solche Urgewalt hatte sie keine Chance. Es war grauenhaft und schmerzhaft, bis ... tja, bis dann die Sache mit dem Speichel doch zu funktionieren schien. Denn, mit jedem weiteren Schlürfgeräusch beruhigte sich auch ihre Atmung und selbst ihr Herzschlag wurde langsamer. Silke fühlte sich zunehmend in angenehme Apathie gelullt und die grässlichen Visionen von zerfleischtem Hals und Blutverlust wurden durch anregende, sehr erotische Bilder ersetzt. Ihr Körper entspannte sich und wurde schlaff unter seinem Druck. Nein, eigentlich wurde er geschmeidig und wendig, denn nicht nur ihre Empfindungen hatten sich verändert, sondern auch seine Berührungen. Er war nicht länger rücksichtlos und brutal, sondern beinahe schon zärtlich. Silke reckte sich ihm entgegen, wollte den Druck, die Nähe, die Reibung. Sie stöhnte auf unter seiner Leidenschaft und ahnte von dem Rausch, den er gerade durchlebte. Selbst den kupfermetallenen Geschmack von Blut meinte sie auf ihrer Zunge zu schmecken und war plötzlich ebenfalls in einer Art Blut- und Lustrausch gefangen. Hitze wallte in ihr auf, brachte ihren Körper zum Kochen. Sie konnte nicht mehr klar denken, nur noch seine Muskeln spüren, sein Saugen genießen und sich dem Gefühl der Vereinigung hingeben. Er ließ ihre rechte Hand frei und sie krallte sie sogleich fest in seinen Rücken und spornte ihn an, weiter zu machen. Silke bereitete ihm Schmerzen und er knetete dafür ihre Brust und rieb ihre Nippel so fest, bis sie vor Lust schrie. Er stöhnte auf bei ihrer Reaktion, veränderte sein Saugen an ihrem Hals und verwöhnte sie mit der Zunge auf eine Weise, die ihr zeigte, wie gut er sie auch an anderer Stelle verwöhnen würde. Silke erzitterte unter der Fülle ihrer Empfindungen, konnte nur noch die Steigerung spüren, den Gipfel erahnen ... als ein leises Plopp-Geräusch sie völlig aus dem Konzept brachte. Zuerst das Geräusch, dann der Verlust seiner Nähe. Er hatte aufgehört zu saugen, seinen Kopf zurückgezogen und sich wieder aufgerichtet. Mit wildem Blick starrte er sie an und atmete schwer. Das Geräusch, das er von sich gab, klang frustriert, doch fürs Erste schien er seine kleine Mahlzeit als beendet anzusehen. Beinhart und rücksichtlos. Einmal noch senkte er den Kopf herab, pustete auf ihre Haut und leckte zärtlich über die zwei kleinen Punkte an ihrem Hals, um ihre Wunde zu verschließen.

Silke stöhnte auf vor Frust. Dabei gab es wenigstens keine Fleischwunde oder zerfetzte Sehnen. Nur ein wenig Blutverlust und die eine oder andere Schamlosigkeit. Doch das war gerade ohne Belang, denn sie war immer noch außer sich vor Verlangen. Auch seine Augen glühten vor Begehren. Er wollte sie und sie wiederum ihn. So verrückt das auch sein mochte. Hätte dieses Geräusch und der Verlust seiner Nähe sie nicht so derart abgelenkt, wäre sie sogar jeden Moment gekommen.

Jetzt aber fühlte sie sich durch und durch unbefriedigt.

„Und? Bist du jetzt überzeugt davon, was ich bin?“, fragte er brummend und dachte gar nicht daran, von ihr herunterzugehen. Mit einer schnellen Bewegung leckte er über seine Lippen und beseitigte den letzten Tropfen ihres Blutes.

„Küss mich!“, forderte sie unverschämt und streckte sich ihm lasziv entgegen.

„Nein“, zischt er mit einer Bestimmtheit, die Silke schlagartig aus ihrer Verzückung holte.

„Was? Aber ...“

„Wenn wir uns küssen, dann wird es nicht dabei bleiben. Meine kleine Demonstration sollte dir nur die Richtigkeit meiner Worte zeigen. Aber auch das war schon mehr als gefährlich für deine Unschuld.“

„Unschuld? Pah! Was weißt du schon von meiner Unschuld?“, ätzte sie, weil sie noch an seiner Zurückweisung arbeitete, enttäuscht und frustriert war. Dabei versuchte der Typ vermutlich gerade nett zu sein. Am liebsten hätte sie ihn angeschrien oder geboxt. Doch sein Blick war kalt, seine Hauer wieder eingefahren und sein Griff nun wieder fest um ihre freie Hand gelegt. Als würde er wissen, dass sie ihm zur Strafe weh tun wollte. Zur Strafe, weil er ihr Blut genommen hatte, und nun nicht zu Ende bringen konnte, was so anregend begonnen hatte. So kalt und gefühllos wie er sie gerade ansah, hatte er vermutlich die ganze Zeit nur mit ihr gespielt.

„Es gibt mehrere Arten von Unschuld, Süße. Und ich weiß, dass Du in mancher Hinsicht noch unschuldig bist. So wie ich weiß, dass du eben beinahe gekommen wärst.“

„Ich? So ein Blödsinn. Bilde dir bloß nicht ein ...“

„Schhh. Noch ein Wort und du hast keine Gelegenheit mehr für einen Rückzieher. Mir ist es doch egal, wem du deine Unschuld schenkst, aber du solltest dir verdammt genau überlegen, ob du Sex mit einem Vampir haben willst. Es könnte dir nämlich dein Leben kosten.“ Er sagte es vollkommen emotionslos. Als wäre ein Leben mehr oder weniger nicht weiter von Belang. Als hätte er schon zig Menschen entführt, gefoltert und getötet. Was sie bei seiner Statur und seiner Ausstrahlung sofort glaubte.

Silke schluckte hart und kam allmählich zurück auf den Boden. Das hier war schließlich nicht normal und der Kerl ein totaler Freak, der ihr das Leben nehmen konnte. Irgendwie schaffte sie es sogar ihre wild angestachelte und völlig überreizte Libido zu drosseln. Alles in ihr beruhigte sich und allmählich begann sie sich sogar ein klein wenig zu schämen. Sie kämpfte sogar kurz gegen Tränen und als er das bemerkte, stieg er von ihr herunter. Mit einer sanften Bewegung richtete er ihr T-Shirt, das sich unter seinem Körper wie von selbst in die Höhe geschoben hatte.

„Nicht traurig sein! Ich denke, ich benehme mich gerade ganz in deinem Sinne.“

„Pfff. Dann hättest du erst gar nicht meinen Hals durchlöchern dürfen!“

„Du hättest mir nicht geglaubt. Jemand wie du ist unbelehrbar, außer er sieht es mit eigenen Augen.“

„Stimmt“, gab sie kleinlaut zu und blinzelte unter halb geöffneten Augenlidern zu ihm auf. Aber trinken hättest du nicht müssen! Sie sprach ihre Gedanken lieber nicht aus, denn dafür hatte sie sein Verhalten zu offensichtlich genossen. Ihr Blick wanderte über seinen massiven Oberkörper, seine schöne Haut und seine schwarze Lederhose, wo sich seine Erektion deutlich abzeichnete. Wenigstens hatte er ihr diesbezüglich nichts vorgespielt.

„Ist es immer so, wenn ihr trinkt?“, fragte sie vorsichtig, weil sie ihren Frust überwunden hatte und sich stattdessen über seinen Ständer freute. Vermutlich stimmte immer noch etwas nicht mit ihrem Hormonhaushalt. Wie sonst hätte sie diese andere Spezies so interessant finden können?

„Nein, nicht immer. Man muss schon kompatibel sein“, knurrte er und machte eine Handbewegung, als würde er nicht mehr darüber sprechen wollen.

„Heißt das ... heißt das ... ich passe zu einem Vampir?“ Ihre Augen erschienen ihm riesengroß und so blau wie der Ozean. Die naive Frage faszinierte ihn, machte ihn an. Diese Silke war schon ein Kapitel für sich. Hinreißend schön, weiblich, taff und doch so unschuldig und rein wie ein Kind. Schon mit ihrem duschfeuchten Körper hatte sie ihn durcheinandergebracht, mit ihrer schnellen Reaktion dann sogar überrascht. Dabei hatte er nur einen Auftrag ausgeführt und bisher kein Interesse gehabt an diesem dämlichen Ehescheiß. Er war ein Krieger, ging über Leichen und ließ nichts und niemanden wirklich an sich heran. Seine Brüder waren die einzige Ausnahme und für sie hatte er die Frau organisiert. Für sie! Nicht für ihn! Er war frustriert und dachte an ihren fantastischen Geruch, ihren herrlich willigen Körper und ihren berauschenden Blutgeschmack. Sein Schwanz wurde noch härter, aber er schaltete automatisch in seinen Kampfmodus.

„Still jetzt! Das heißt nur, dass du zu unserem Geschlecht passt. Mehr nicht.“ Er knurrte grimmig und ging mehr auf Distanz. Jeder hätte seine Wut gesehen, seine Aggression gespürt. Doch Silke hatte dafür keine Antennen.

„Geschlecht im Sinne von Hoden und Penis?“, fragte sie ernsthaft und er meinte an die Decke gehen zu müssen. Bei allen Göttern, konnte dieses Weib nicht einfach den Mund halten? Sein Adrenalinspiegel stieg ins Unermessliche. Er ballte seine Fäuste so fest bis Knochen knackten und gab ein derart unheimliches Geräusch von sich, dass sie in sich zusammensank und ein schnelles „Entschuldige!“ murmelte. Das rettete ihr vermutlich das Leben.

„Nein, Herrschaftszeiten! Damit ist das Geschlecht der Condatis gemeint“, brüllte er. „Vier von uns gibt es und wir sind zufällig Brüder. Die anderen drei kennst du ja bereits.“ Und dann fiel es Silke plötzlich wie Schuppen von den Augen. Der große Mann im Wald mit seinen bestechend grünblauen Augen, der aufdringliche Typ aus dem Kanal mit seinen schwarzen Augen, dieser Vampir hier mit einer Mischung aus beiden ... ja, jetzt ergab das verrückte Wochenende plötzlich einen Sinn.

„Ich ... es stimmt, da waren zwei Männer mit großer Ähnlichkeit. Wobei ich das wohl vergessen hatte. Erst jetzt weiß ich es plötzlich wieder. Dank dir.“ Dank ihm? Die Frau war offensichtlich nicht ganz bei Sinnen, hatte keine Ahnung welche Bestie da mit ihr im Zimmer war. Immerhin schaffte sie es mit ihrer betörenden Unbekümmertheit ihn wieder zu beruhigen.

Langsam öffnete er seine Fäuste und atmete tief durch.

„Kein Wunder, wir kommen aus einer anderen Welt und können eure Erinnerungen manipulieren. Erinnerungen mit Panik zu koppeln funktioniert meist am besten.“ Daher also die Panikattacken! Silke ging sofort ein kleines Licht auf, obgleich der Rest seiner Antwort sie verwirrte.

„Aus einer anderen Welt?“, fragte sie daher und betrachtete den Vampir wie einen Außerirdischen, der am Ende des Bettes stand und sie gerade anstarrte, als würde er auf etwas lauern. Er war ganz klar ein Raubtier, ein Entführer und vermutlich sogar ein Mörder. Aber er war zugleich auch das Verlockendste, was sie je gesehen hatte. Abgesehen von seinen Brüdern vielleicht.

„Ja, wir leben in einer anderen Dimension, sind keine Menschen, haben bestimmte Talente und viele Fehler. Lediglich einer hat uns den Rücken gekehrt, ist ein Abtrünniger geworden und lebt bei den Menschen. Aber das wird dich vermutlich nicht weiter überraschen.“


11.Kapitel

Erika war außer sich vor Wut. Die Polizisten konnten keine Anzeichen von Gewalteinwirkung erkennen und spielten die ganze Angelegenheit professionell herunter. Sie nahmen zwar zur Kenntnis, dass Silke verschwunden war, doch in Wirklichkeit fanden sie Erikas Befürchtungen übertrieben.

„Vielleicht hat sich ihre Freundin nur einen kleinen Scherz erlaubt?“, wagte es dann ein Beamter zu fragen und Erika ging beinahe auf ihn los. Hätte ihre Trainerin sie nicht so geistesgegenwärtig zurückgezogen, hätte sie dem Polizisten vermutlich eine gescheuert. Der Polizist bemerkte es dennoch.

„Ganz ruhig Lady, sonst nehmen wir sie noch mit auf die Wache. Ich verstehe ja, dass sie aufgeregt sind, aber glauben sie mir, es wäre ziemlich dumm mich oder einen anderen Beamten anzugreifen.“ Er lachte böse, schließlich hatte er sie absichtlich provoziert. „Frauen wie sie glauben wohl mit ein bisschen Boxtraining einem Mann gewachsen zu sein. Falls ihre Freundin wirklich entführt wurde, können sie ja sehen, wie wenig das im Notfall hilft. Es gibt immer Menschen die besser, größer oder stärker sind.“ Erika fluchte laut und wollte sich aus Gabis Griff befreien. Doch die gab keinen Zentimeter nach und redete betont ruhig auf ihre Schülerin ein.

„Mach jetzt keinen Blödsinn! Der Typ legt es doch nur darauf an, weil er sehen will, wie du boxen kannst. Versuch cool zu bleiben. Seinen Job wird er schon machen, auch wenn es gerade nicht so aussieht.“

„Das habe ich gehört, Lady“, ätzte der arrogante Typ und wollte scheinbar gleich den nächsten Streit vom Zaun brechen. Doch dafür war Gabi zu gelassen.

„Gut! Denn ich habe gesagt, dass sie ihren Job machen. Es war ein Kompliment“, erwiderte sie lässig und überzeugte damit offenbar selbst diesen Idioten. Der brummte zwar kurz, zog aber seine Streitantennen wieder ein. Erika hingegen wäre vor Wut beinahe explodiert. Ihre beste Freundin war gerade splitterfasernackt entführt und, wer weiß wohin, verschleppt worden! Natürlich machte sie sich Sorgen und konnte daher mit Unbekümmertheit und Ignoranz noch viel weniger umgehen als sonst.

Ein anderer Beamter trat auf Erika zu.

„Wissen sie vielleicht, ob sie einen stillen Verehrer hatte?“ Er räusperte sich kurz und nestelte an seinem Notizblock herum. „Oder hatte sie gravierende Probleme mit der Familie? Im engsten Familienkreis passieren immer die schlimmsten Sachen.“ Er blätterte wieder. „Dann muss ich noch fragen, ob sie vielleicht etwas von einem Stalker erzählt hat. Oder ist sie gar überraschend zu Geld gekommen?“

„Nein, nein und nein. Nichts von alledem. Sie ist lediglich eine sehr schöne Frau. Schätze das reicht den meisten Spinnern schon.“ Der Beamte blickte einen Moment von seinen Notizen auf und sah Erika mit einem seltsamen Blick an. Ist der etwa amüsiert? Sie konnte es nicht sagen. Doch er nickte zuerst ihr, dann seinem Kollegen zu, als wären sie hier nun fertig und hätten der Ordnung Genüge getan.

„Gut, Frau ...“ Er guckte auf seine Notizen und schielte dabei ein wenig. „... Ginster, dann halten sie sich in den nächsten Tagen bitte für uns bereit. Wir werden sie sicher noch einmal befragen.“

„Garber!“

„Wie bitte?“

„Das hier ...“ und damit zeigte Erika genervt auf ihre Trainerin. „... ist Frau Ginster. Ich heiße Erika Garber, wenn es recht ist.“

„Oh! Kleiner Fehler, meinerseits“, lachte er entschuldigend, doch für Erika war das nur ein weiterer Beweis für Unfähigkeit. Vermutlich war es nur eine Kleinigkeit und durchaus verständlich, wenn man mit fremden Menschen zu tun hatte, aber genau dieser Fehler stachelte sie dazu an, ab nun die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Nachdem sie von den Polizisten quasi entlassen worden war, machte sie sich auf den Weg zum nächsten Internetcafé. Sie war hundemüde, aber sie konnte nicht nach Hause gehen und sich seelenruhig ins Bett legen, wenn ihre Freundin doch gerade in höchster Not war. Und davon ging sie aus, egal wie sehr die Beamten sie die ganze Zeit beschwichtigt hatten. Natürlich war es deren Aufgabe, Freunde und Angehörige zu beruhigen, aber Erika war nun einmal nicht der Typ der getröstet oder besänftigt werden wollte.

Das Café war ziemlich voll, aber sie ergatterte noch einen letzten Platz, bestellte sich Schinkentoast mit Cola und startete den Computer. Irgendwie würde sie schon die Nummer dieses John Baxters ausfindig machen und ihn davon informieren, dass Silke entführt worden war. Der Mann hatte ihre Freundin zwar nur kurz kennengelernt, aber offenbar Gefallen an ihr gefunden. Erikas Idee dahinter war, mit den Mitteln eines reichen Mannes die Angelegenheit zu beschleunigen. Wenn diesem John Baxter etwas an Silke lag – und davon ging sie nach dem exzessiven Tango aus – würde er die hiesigen Ermittlungen sicher beschleunigen und unterstützen können.

Aber was ist, wenn diese Entführung sowieso nur wegen diesem Millionär passiert ist? Im Schlepptau eines reichen Mannes fand man wohl immer zuhauf Neider und Spinner und vielleicht hatten ja kriminelle Elemente Baxters Interesse an der Frau in Erfahrung gebracht und für ihre Zwecke genutzt. Nein, murmelte sie in Gedanken und schüttelte gleich nach dieser Überlegung den Kopf. Der Zeitfaktor war hier einfach zu falsch für solch eine Möglichkeit. Silke hatte den Mann erst gestern und nur für ein paar Minuten kennengelernt und in solch kurzer Zeit konnte nicht mal der Mega-Bösewicht den ersten Funken von Interesse als etwas Tiefergehendes erkennen, geschweige denn für einen Entführungsplan verwenden. So schnell reagierte einfach niemand und trotzdem machte sie sich nun Vorwürfe, dass sie der Polizei nichts von John Baxter erzählt hatte. Es war ihr noch nicht mal in den Sinn gekommen und sie konnte nur vermuten, dass es die unangenehme Art des Polizeibeamten gewesen war, die sie zu sehr abgelenkt hatte, um alle Fakten auf den Tisch zu legen. Erika überlegte einen Moment, ob sie die Polizei noch verständigen sollte und ging lieber auf Nummer sicher. Sie wollte sich nichts vorwerfen müssen und fischte schnell die Nummer, die ihr ein Beamter zugesteckt hatte, aus der Tasche.

„Hallo? Inspektor Bertram? Hier ist Erika Garber. Mir ist noch eingefallen, was vielleicht wichtig sein könnte. Silke und ich waren gestern auf einem Medizinerball im Palais Auersperg. Und wir waren ganz schön herausgeputzt, kann ich ihnen sagen. Echte Granaten, wenn sie verstehen.“ Sie konnte sich diese Zwischenmeldung einfach nicht verkneifen. „Vielleicht hat Silke ja mit ihrem Aussehen und ihrem Tanzstil Aufsehen erregt und sich einen Verrückten eingetreten. Außerdem hat sie gestern noch einen Mann namens John Baxter kennengelernt. Nur für ihre Erhebungen.“

„Und wer ist dieser John Baxter?“, fragte der Inspektor ungeduldig und Erika schloss die Augen, um langsam bis drei zu zählen. Wie hatte sie auch nur annehmen können, dass der Beamte hier schnell schalten würde? Von einem der reichsten New Yorker Geschäftsmänner hatte er offenbar noch nie gehört.

„Ein Ölmagnat aus New York. Millionenschwer.“

„Haben die beiden etwa eine Affäre?“

„Hallo-o. Die beiden haben sich gestern gerade mal kennengelernt und sie haben nur miteinander getanzt, nicht mehr. John Baxter ist damit aber trotzdem der einzig neue und zugleich unberechenbare Faktor in Silkes Leben. Das ist doch eine Überlegung wert, oder?“ Den letzten Satz konnte sie sich nicht verkneifen, ebenso wenig wie den analytischen Ansatz davor. Sie ging davon aus, dass die Beamten jede Hilfe brauchen konnten. Trotzdem hatte sie schon wieder genug von der Art, wie der Polizist mit ihr sprach oder an die Sache heranging. Ohne eine Antwort abzuwarten legte sie auf. Sie hatte ihre Schuldigkeit getan und konnte nun guten Gewissens behaupten, jeden Hinweis gegeben zu haben.

Müde streckte sie sich durch, knabberte an ihrem Toast und begann nun ihrerseits zu recherchieren. Im Netz kannte sie sich ganz gut aus und mit den richtigen Schlagworten in der richtigen Suchmaschine, kam sie auf die Firmenseite von John Baxter. Durch Wikipedia hatte sie ja vorab schon ein bisschen etwas erfahren, doch auf seiner Homepage erwartete sie sich mehr. Er machte tatsächlich in Öl und Gas und finanzierte nebenbei noch einen Pharmakonzern. Diese geballte Ladung an Macht war richtig unheimlich und allmählich verstand sie sogar Silkes Bedenken. Männer wie Baxter waren niemals ausschließlich nett, so viel war schon mal klar. Seine Firma nannte er interessanter Weise nicht Baxter, sondern Condatis ... was Erika zu einer weiteren Recherche inspirierte. Und siehe da! Als Condatis oder Condates bezeichnete man einen keltischen Gott, der dem römischen Gott Mars und dem griechischen Gott Ares gleichzusetzen war. Condates bedeutete auch „Zusammenfluss“, konnte Regionen mit zusammenfließenden Gewässern bezeichnen oder schlicht und ergreifend den keltischen Kriegsgott benennen. Erikas Interesse war geweckt, denn der Gott des Krieges war nicht ausschließlich nur für Krieg, sondern ebenso für Vegetation zuständig. Zumindest die römische Variante davon. Auf den ersten Blick war das ein Widerspruch in sich, aber Erika reimte sich zusammen, dass ein sehr machtvoller Gott offenbar mehrere Funktionen ausüben konnte. Condatis wurde als gemeiner Dieb, als umweltliebender Agrargott, als brutaler Krieger und manchmal auch als rücksichtsloser Kapitalist bezeichnet. Interessant! Erika notierte sich alles, was ihr wichtig erschien und klickte dann weiter zur Geschäftsseite von Condatis Concern. Über das Impressum versuchte sie an die Nummer von John Baxter zu kommen und … scheiterte kläglich. Niemand konnte die private Nummer eines Multimillionärs so einfach aus dem Netz fischen. Eigentlich war das logisch und Erika dennoch zerknirscht. Immerhin gab es eine E-Mail-Hotline mit 24 Stunden-Service und das war ein Anfang. Erika mailte sofort in ihrem besten Englisch, dass sie Dennis William und John Baxter kannte, und ganz dringen (dick unterstrichen) mit einem von den beiden sprechen musste, weil eine gemeinsame Bekannte (wieder dick unterstrichen) entführt worden wäre. Das Wort „entführt“ schrieb sie gesperrt, um es noch mehr als die anderen Hervorhebungen hervorzuheben. Sie wusste freilich wie verrückt das beim Empfänger ankommen musste, hoffte aber auf einen Mitarbeiter mit Grips, der nicht alles mit nichtssagenden Antworten eliminierte. Sie hinterließ sowohl ihre E-Mail-Adresse, als auch ihre Handynummer, dann schickte sie das Ding mit hoher Priorität ab und bestellte sich noch eine Cola.

Nach einer Stunde läutete ihr Handy.

„Was gibt es Erika?“, fragte eine bekannte Stimme, die total genervt klang. Erikas Herz schlug bis zum Hals. Warum ist er so kratzbürstig? In New York musste es doch gerade mal Nachmittag sein mit den sieben Stunden Zeitverschiebung. Aber immerhin hatte ihre E-Mail-Aktion geklappt!

„Silke wurde entführt. Sie ist einfach ...“, plötzlich brach die ganze Anspannung der letzten Stunden aus ihr hervor und sie begann zu weinen. „... sie ist verschwunden. Ein unbekannter Täter hat sie nach dem Training mitgenommen und das noch dazu nackt, weil sie gerade vom Duschen kam. Kannst du dir das vorstellen? Die Polizei hat natürlich noch keinen Anhaltspunkt ... ich meine ...“

„Okay. Ich komme.“ Klack. Erika war durch seine knappe Antwort so überrascht, dass sie aufhörte zu weinen. Ich komme? Hallo-o und wohin, du Genie? Kopf schüttelnd saß sie da und starrte das verfluchte Handy an, als hätte es sie gebissen. Jetzt war sie nur noch verwirrt. Da meldete sich der schnuckelige Typ von gestern endlich auf ihrem Handy und dann benahm er sich wie ein Idiot. Wie, in Herrgottsnamen, sollte er jetzt alle Details zu Silkes Entführung erfahren? Gut, er konnte natürlich bei der hiesigen Polizei nachfragen, doch das war ja wohl nicht dasselbe. Schließlich hatte sie viel mehr gesehen und herausgefunden.

Mit einem lauten Fingerschnippen, holte sie sich die Kellnerin an ihren Tisch und bezahlte ihren Toast, die zwei Getränke und die Zeit im Internet. Wirklich glücklich war sie über das Ergebnis nicht, aber sie war inzwischen so hundemüde, dass sie nur noch nach Hause und in ihr Bett wollte.

Eine halbe Stunde später öffnete sie ihre Wohnungstür, pfefferte ihre Tasche ins Eck und ihre Schuhe gleich hinterher. Nur noch ins Bett, dachte sie und schälte sich gerade zur Hälfte aus ihrer Hose, als eine Stimme sie innehalten ließ.

„Hallo, Süße. Ich habe mich schon gefragt, wann du kommst.“


12.Kapitel

Seit Stunden ließ er Silke alleine, hatte ihr zuvor noch eine Kleinigkeit zu essen und etwas zu trinken gebracht und gefragt, ob sie auf die Toilette wollte. Zu dem Zeitpunkt war sie jedoch noch zu durcheinander gewesen, um eine vernünftige Antwort zu geben. Also war er gegangen. Einfach so, ohne entsprechende Vorkehrungen für den Notfall. Es gab keinen Topf oder Kübel, nur diese blöden Sexhandschellen, die sie ans Bett fesselten. An ein Bett, wo alles so verflucht nach ihm roch. Männlich, herb und nach Vampir. Vermutlich war es dieser Teil des Geruchs, den sie bisher nicht hatte zuordnen können.

Die ganze Zeit über kämpfte sie gegen die Erinnerung und gegen ihre Hormone, die immer noch total verrücktspielten. Auf der einen Seite wollte sie nicht an die Existenz von Vampiren glauben, auf der anderen waren seine Beweise durchaus schlagkräftig oder vielmehr bisskräftig gewesen. Automatisch musste sie wieder an seine langen Fänge und sein erotisches Saugen an ihrem Hals denken. Selbst ihre Brüste hatte er so bearbeitet, wie sie es zu dem Zeitpunkt gewollt hatte. Silke stöhnte auf und berührte sich dort, wo sie es am meisten brauchte. Die ganze Zeit hatte sie sich zurückgehalten, aber wenn er sowieso nicht da war, konnte sie es sich ja ein bisschen angenehmer gestalten. Sein Körper war so unglaublich trainiert gewesen, so massiv und kraftvoll und mit einem Duft versehen, der einen sinnlichen Rausch provoziert hatte. Alles in dem Bett war durchtränkt davon und machte sie die ganze Zeit schon verrückt. Sie hatte keine Ahnung warum sie so lüstern war, aber sie begehrte diesen Halbvampir mehr als jeden anderen Mann, den sie bisher kennengelernt hatte. Lag es nur daran, dass er als erster eine Grenze überschritten hatte? Oder hatten das seine Brüder am Wochenende womöglich sowieso schon getan? Immerhin konnte sie sich an die wesentlichen Sequenzen noch immer nicht erinnern. Und wer verflucht war eigentlich der vierte Bruder, der als Einziger bei den Menschen lebte? Wie zur Antwort tauchte das Bild von John Baxter in ihrem Kopf auf und Silke erstarrte.

Ja, natürlich! Wie hatte sie die Ähnlichkeit nur übersehen können? John Baxter, ihr schwerreicher Tanzpartner vom Medizinerball, musste einer von ihnen sein! Demnach hatte sie innerhalb von wenigen Tagen gleich alle vier Condatis-Brüder kennengelernt und war ausgerechnet dem Verrücktesten von ihnen in die Hände gefallen. Gut, er war nicht nur verrückt, sondern auch unglaublich sexy, aber das sollte ja wohl nebensächlich sein.

Dachte sie.

Hoffte sie.

Seit ihrer Entführung kannte sie sich ja selbst nicht mehr! Zumindest verstand sie nicht, warum sie so stark auf ein blutsaugendes Monster abfahren konnte. Auf ein Ungeheuer, einen Vampir! Sie stöhnte und ihre Finger bewegten sich schneller. Am liebsten hätte sie ihn ebenfalls gebissen, sein Fleisch gekostet, den metallenen Geschmack seines Blutes auf ihrer Zunge geschmeckt. Zum Glück war sie alleine und der Vampir hatte keine Kontrolle mehr über sie. Obwohl das nicht stimmte, denn er war immer noch in ihrem Kopf, in ihrer Nase, in ihrem Blut. Wenigstens hatte er nur ihre linke Hand festgeschnallt. Seit seinem Übergriff spielte ihre Libido vollkommen verrückt und sie brauchte endlich Erleichterung. Schneller wirbelten ihre Finger durchs krause Haar, bearbeiteten heißes Fleisch. Sie dachte an seine stahlharten Muskeln, seine Lippen, seine riesige Erektion und stöhnte lustvoll auf, wollte ihn am liebsten in sich spüren. Ganz tief und heftig. Bis zum Anschlag. Sie schrie auf, als die erste Welle des Höhepunktes nahte. Sie sah den Vampir bildlich vor sich, roch seinen Duft und spürte ihn tatsächlich tief in ihrem Inneren. Sie war außer sich vor Lust, klatschnass und konnte nicht aufhören sein Bild heraufzubeschwören. Bis eine zweite, noch intensivere Welle sie vollkommen überrollte.

Das Haar klebte ihr seitlich am Gesicht und ihre Augen waren lustvoll verdreht. Erschöpft ließ sie sich auf das Kissen zurückfallen. Ihr Unterleib zuckte immer noch, ihre Finger konnten nicht aufhören zu arbeiten. Zwei Orgasmen hintereinander hatte sie noch nie erlebt. Der Speichel des Vampirs beinhaltete vermutlich nicht nur ein Anästhetikum, sondern auch das reinste Aphrodisiakum.

„Arschloch“, flüsterte sie heiser und zwang ihre Finger endlich zur Ruhe.

„Durchaus anregend“, brummte eine tiefe Stimme dafür als Antwort. Silke zuckte erschrocken zusammen. Sie hatte nicht einmal mitbekommen, dass jemand das Schlafzimmer betreten hatte. Doch nun stand er vor ihr ... groß, dunkel und grimmig. Es war einer der Brüder, aber nicht der Vampir, sondern die Kanalratte mit den schwarzen Augen. Der Penner, der sie in ihrer Wohnung heimgesucht hatte. Seine Augen sprühten feurige Funken und Silkes Gesicht wurde knallrot. Vermutlich hatte er sie die ganze Zeit beobachtet, der verdammte Kerl. Vor Verlegenheit hätte sie in den Untiefen der Matratze versinken müssen, doch stattdessen fühlte sie sich nur ein wenig ertappt. Sie hatte zwar einen roten Kopf und senkte den Blick, aber sie war viel selbstsicherer als noch vor wenigen Stunden. Seltsam. Da wurde sie entführt, musste mit Folter und Tod rechnen und hatte nichts anderes zu tun, als es sich selbst zu besorgen.

„Du bist schön, wenn du kommst.“ Er knurrte, genau wie sein Bruder zuvor. „Und du solltest wissen, dass wir zumeist diese Wirkung auf Menschenfrauen haben. Es ist kaum möglich sich dieser elementaren Anziehung und dem Begehren zu entziehen, es sei denn du wärst von Geburt an frigide.“ Er lachte leise.

„Wie meinst du das?“, fragte sie, um sich abzulenken, weil sie immer noch scharf wie eine Granate war und der schwarzäugige Typ auch nicht gerade schlecht aussah. Er war schmäler als der Vampir, aber immer noch eine Riese von einem Mann ... und er stand viel zu nahe bei ihr.

Gott im Himmel! Hört das denn nie auf? Silke atmete schneller und zog die Decke entschieden höher, um ihre Erregung zu überspielen. Die Kanalratte jedoch begann anzüglich zu grinsen. Er witterte ihre Erregung.

„Wenn du willst verschaffe ich dir gerne noch einmal Erleichterung, aber ficken is nich. Das könnte mir den Kopf kosten.“ Silke zuckte angewidert zurück. Ihre Libido mochte ja verrücktspielen, aber zum Flittchen wurde sie deswegen noch lange nicht. Außerdem konnte sie seine Ausdrucksweise nicht leiden.

„Fick dich doch selber“, zischte sie erbost, weil ihr nichts Gemeineres einfiel und sie das Wort so abscheulich fand. Ebenso wie ihn.

„Das musst du mir schon zeigen wie das geht. Diesen Ausspruch habe ich – ganz ehrlich jetzt – noch nie verstanden. Wohinein sollte ich mich denn selber in meinen Körper ficken?“ Er schien tatsächlich Interesse daran zu haben, wieso Menschen sich solch einen Spruch ausdachten. Und das fand Silke dann plötzlich zum Brüllen komisch. Ihre Körperchemie war sowieso schon total meschugge, da konnte sie auch aus vollem Halse lachen.

„DAS stimmt jetzt auch wieder. Weißt du ... ich kann dieses Wort nicht leiden. Ich hasse es regelrecht“, lachte sie und sein Gesicht bekam einen völlig anderen Ausdruck. Ein wenig verwundert stand er vor ihr mit seinem schwarzen Gewand, dem Ledermantel und dem verwegenen Gesicht. Er sah ganz anders aus, als in ihrer Wohnung, wo er erbärmlich gestunken hatte und nur einem Penner gleichgekommen war. Doch seine Haare waren inzwischen frisch gewaschen und zu einem Zopf gebunden, sein Gewand sah verwegen aus und sein Geruch war ... nun ja, er war dem des Vampirs ziemlich ähnlich.

Okay, er ist unglaublich attraktiv! Genervt schloss Silke die Augen, als sie sich das eingestand. Condatis-Brüder, na toll! Gleich vier von der Sorte Mann, die man im Normalfall nicht vergessen konnte. Sie war natürlich fasziniert von diesen Typen, aber allmählich auch so weit, dass sie endlich die essentiellen Fragen stellen wollte.

„Was wollt ihr von mir? Ich meine, was habe ich mit Vampiren oder anderen Lebensformen zu tun?“

„Du bist zum Teil Fee“, antwortete er prompt und rollte das Wort mit einer Sinnlichkeit über die Zunge, die Silke erschauern ließ. „Und kompatibel.“ Noch tiefer, erotischer. Silke zitterte und hielt die Decke krampfhaft fest. Er hingegen verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich lässig an die Schlafzimmerwand.

„Ja, klar. Ich bin eine Fee. Und wieso habe ich keine Flügel? Zauberstab und Elfenstaub sind wohl gerade aus.“

„Fee. Nicht Elfe“, korrigierte er sie und sie schnaubte frustriert. Wenigstens hatte sich ihre Libido beruhigt.

„Ja, aber was bedeutet das jetzt?“

„Das bedeutet, dass wir um dich kämpfen werden.“

„Was? Wer?“ Silke begriff gar nichts und ihm schien der Geduldsfaden zu reißen.

„Bei allen Göttern! Das ist doch nicht so schwer! Wir sind vier Brüder und brauchen eine Frau. Punkt. Leider können die wenigsten Menschenfrauen uns ertragen, geschweige denn mit uns umgehen.“ Er lachte, doch es war ein verbittertes, enttäuschtes Lachen. „Es ist eine Strafe, ein Fluch! Wir sind dazu verdammt aus einer winzig kleinen Liga von Frauen zu wählen. Noch dazu von einer Sorte, die berühmt dafür ist, diese spezielle Seite von sich zu verstecken. Es ist also nicht leicht für uns die letzten Mischlinge deiner Art zu finden. Mein Bruder hat bei dir am Samstag einfach nur einen Zufallstreffer gelandet.“

„Zufallstreffer?“ Silke schluckte hart.

„Der Wald. Du weißt schon. Mein Bruder ist durch das Portal in eure Welt gekommen und hat dir deinen süßen BH gestohlen. Schon vergessen? Mein Bruder ist ein meisterhafter Dieb. Er braucht immer eine Trophäe, wenn er mit einer Frau geknutscht hat.“

„Er hat, er hat ... so ein Schuft!“ Silke stemmte empört die freie Hand in die Seite und funkelte den Condatis-Bruder an. „Wieso, zum Teufel, behandelt ihr mich so schlecht? Da sucht ihr euch eine Frau, bestiehlt sie, zerrt sie in die Abwässer und fesselt sie ans Bett. Wenigstens hat der Vierte von euch nicht ganz so einen Knaller und nur mit mir getanzt!“

„Du weißt, dass John der Vierte ist? Wer hat dir das gesagt?“

„Hallo-o? Bin ich blöd, oder was?“

„Dann weißt du auch, dass wir zum Teil Götter sind?“ Silkes Mund klappte auf.

„Was? Nein! Wieso?“ Sie war zu verblüfft, um wirklich konkreter zu fragen. Was zum Teufel waren die Vier denn noch alles?

„Also gut. Ich werde dir von unserem großen Göttervater Condatis erzählen. Er war und ist ein recht verrückter Kerl. Aufbrausend, herrisch und ein Macho durch und durch. Vermutlich muss er als Kriegsgott ein gewisses Image aufrechterhalten, aber sein Charakter war wohl ausschlaggebend dafür, dass es keine Frau lange mit ihm ausgehalten hat, ob göttlich, menschlich oder einer anderen Spezies zugehörig. Dadurch konnte der Gute stets zu wenig Dampf ablassen, selbst wenn er Kriege heraufbeschwor und zeitweise mit in die Schlachten zog. Es fehlte ihm schlicht an Entspannung und Freude und das erzeugte in ihm ein Übermaß an Macht. Er war schier am Explodieren und musste zwangsweise einen Teil seiner Kraft auf Söhne verteilen. Er schwängerte vier Damen gegen ihren Willen und teilte vier seiner Vorlieben auf seine Söhne auf. So also wurden wir zum Dieb, Umweltmanager, Krieger und Geschäftsmann.“ Silkes Kopf schwirrte und sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Götter, Vampire, Entführer ... die letzten Tage hatten es wahrlich in sich! Soweit sie das verstanden hatte, war Condatis ein Kriegsgott und hatte Teile seiner Macht auf vier Männer aufgeteilt. Und die suchten alle eine Frau. Silke sollte dabei offenbar eine tragende Rolle spielen und das womöglich im wahrsten Sinne des Wortes. Sie schluckte.

„Das heißt er hat eure Mütter einfach vergewaltigt?“

„Man erzählt es so. Und es passt ja auch zu einem Kriegsgott, nicht?“ Er lächelte spöttisch und Silke war nur noch schockiert.

„Und was hält euch davon ab, es ebenso zu tun?“ Die Frage mochte dumm sein, war aber in ihrer Lage durchaus verständlich. Sie war nackt, gefesselt und vollkommen geladen. Trotzdem hatte der Vampir sie verschont und die Kanalratte ebenso.

„Ein Pakt. Aber davon werden wir erzählen, wenn wir alle zusammen sind.“

„Vorausgesetzt ich glaube dir auch nur ein Wort. Dann bin ich also durch einen Pakt sicher. Und du? Du bist dann wohl der Ökofritze von euch.“

„Ökofritze? Pass lieber auf, wie du mit mir redest! Ich heiße Jeff und bin Umweltmanager. Der Dieb heißt Josh und der Krieger Jack. John kennst du ja schon.“ Er funkelte sie böse an, doch für Silke waren das ein wenig viele Namen auf einmal. Wenigstens das mit dem J hörte sie heraus.

„Euer Vater hatte wohl einen kleinen J-Tick bei der Namensgebung, hm? JJJJ ... bei einem Formular schreibt man dann für gewöhnlich die Jahreszahl hinein.“ Jeff lachte. Nicht unangenehm.

„Schätze es ist das Leichteste, was ihm eingefallen ist. Für Menschen sind unsere wahren Namen nicht auszusprechen. Selbst Condatis ist nur eine Hilfestellung für euch.“

„Das ist ja alles gut und schön. Aber warum hänge ich hier?“ Silke rüttelte mit der Hand an den Handschellen. „Und warum, verdammt noch einmal, gibt mir niemand etwas Ordentliches anzuziehen? Das mit dem Pakt haben wir noch zu klären und auf die Toilette muss ich auch.“

„War‘s das jetzt?“, fragte er genervt, weil er scheinbar nicht gewohnt war sich mit einer Frau länger zu unterhalten. Unwirsch holte er einen kleinen Schlüssel hervor, ging auf Silke zu und öffnete ihre Handschellen. Allerdings machte er nur die Schelle vom Bett los und klickte sie an sein eigenes Handgelenk.

„Was soll das jetzt wieder?“, kreischte Silke und überlegte, sich am Bett festzuhalten oder dem Mann mit der freien Faust einen Hieb zu verpassen. Umbringen würde er sie deswegen schon nicht gleich.

„Lass das! Wir spüren, wenn sich Aggression in einem Menschen aufbaut. Um es mit deinen Worten auszudrücken: Hallo-o, ich bin ein Kriegsgott!“ Er lachte böse und zog sie in die Höhe. Silke schluckte eine giftige Antwort herunter und stolperte auf ihre Füße. Zum Glück war das T-Shirt wirklich ein Zelt und reichte bis zu den Schenkeln. Seine Augenbrauen schnalzten dennoch überrascht in die Höhe.

„So klein und sexy habe ich dich gar nicht in Erinnerung“, stellte er trocken fest und musterte sie von oben bis unten.

„Pah! So gut riechend habe ich dich auch nicht in Erinnerung“, konterte sie schnell und erkannte mit leichter Zeitverzögerung, dass sie ihm gerade ein Kompliment gemacht hatte.

Mist, verdammter.


13.Kapitel

„Wie kommst du in meine Wohnung?“, fluchte Erika und zog sich rasch die Hose wieder in die Höhe. Sein Blick zeigte unverhohlene Anerkennung.

„Schöner Arsch!“

„Selber“, konterte sie und stemmte die Hände in die Seite.

„Warum habe ich nur das Gefühl, dass das kein Kompliment war?“ Dennis erhob sich aus ihrem Couchsessel und kam auf sie zu. Im Wohnzimmer brannte kein Licht, aber seine Umrisse hoben sich massiv vom Fenster dahinter ab. So groß hatte sie ihn eigentlich gar nicht in Erinnerung, aber das lag wohl an ihren fehlenden High Heels.

„Wie, verdammt, kommst du in meine Wohnung? Und bleib verflucht noch einmal stehen, sonst schreie ich und hole die Polizei.“ Abwehrend deutete sie mit einem Finger auf ihn und ging zugleich ein paar Schritte rückwärts, um ihre Handtasche und damit ihr Handy zu erreichen.

Dennis blieb tatsächlich stehen.

„Du fluchst ziemlich viel“, meinte er und grinste lässig. Heute sah er sogar noch besser aus, als mit Smoking. Sein T-Shirt war grausilbrig und enganliegend, sein Oberkörper muskulöser als erwartet und seine Oberarme waren von keltischen Mustern verziert, die bis zu seinem Hals ragten. Keltisch! Wie Condatis! Erika fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, schaffte noch einen Schritt rückwärts und war endlich bei ihrer Tasche. Ohne ihn aus den Augen zu lassen oder den Finger herunterzunehmen, kramte sie nach dem Handy.

„Komm schon!“, versuchte er sie zu beschwichtigen. „Immerhin wolltest du, dass ich dich anrufe.“ Er wagte noch einen Schritt und Erika hielt die Luft an, als er in den Lichtschein des Vorzimmers trat. Was heißt noch besser, als mit Smoking? Erika wusste gar nicht wohin sie zuerst gucken sollte. Alles an diesem Dennis entsprach ihrem heimlichen Beuteschema. Perfekter Body, geile Klamotten, coole Tattoos, verwegen. Sie hustete, weil sie mit dem Atmen nicht zurechtkam.

„Du sollst stehen bleiben“, forderte sie erneut und hielt ihr Handy wie eine Bombe in die Höhe. „Ein Schritt noch und ich drücke den Knopf.“ Das klang ziemlich bescheuert, aber in der Hektik fiel ihr nichts anderes ein. „Und jetzt noch mal ganz langsam: Wie-bist-du-hier-hereingekommen?“

„Damit“, antwortete er und zeigte ihr ein komisch verwundenes Metallding. „Ein Dietrich“, erklärte er, weil er ihren Blick richtig zu deuten wusste. „Keine Angst! Ich bin kein Dieb, nur Assistent und ich hatte keine Lust auf dem Gang zu warten.“ Er zwinkerte ihr zu und lullte sie mit seinem freundlichen Lächeln ein.

„Ha! Du tust auf charmant und dann bringst du mich um.“ Ihre Augen funkelten böse und ihr Finger war immer noch drohend auf eine Taste ihres Handys gerichtet. Zur Antwort zuckte er nur mit den Schultern und machte keinen Schritt mehr auf sie zu.

„Nett hast du es hier.“

„Wie bitte?“, Erika war fassungslos über seinen plötzlichen Schwenk zum Smalltalk. Sosehr, dass sie das Handy herunternahm, ihre Hände in die Seiten stemmte und den Kopf schüttelte. Vermutlich wollte sie nachdenken, doch sie konnte den Blick gar nicht schnell genug heben, war er schon bei ihr. Als hätte er sich teleportiert. Scotty beam me up! Doch zum Lachen war ihr nicht zumute, denn ihr Rücken krachte gegen die Wand, das Handy fiel zu Boden und er blickte ihr so forsch in die Augen, dass sie kaum noch Luft holen konnte. Unsinniger Weise dachte sie an den Polizisten, der über boxende Frauen gelacht und darauf hingewiesen hatte, dass es immer einen gab, der besser, schneller, stärker war. Scheiße, wie recht der doch hatte!

„Genug gespielt. Wo ist Silke?“ Der Dennis, den er jetzt heraushängen ließ, hatte so gar nichts Schnuckeliges mehr an sich. Mit einem Mal erkannte sie, dass er nicht nur ein Assistent war, sondern vermutlich auch ein Bodyguard oder sonst irgendeine Kampfmaschine. Vom ersten Eindruck eines jugendlichen Medizinstudenten war er jetzt so weit entfernt, wie sie gerade von ihrem Handy.

„Au, spinnst du? Warum glaubst du habe ich versucht Baxter zu kontaktieren? Ich weiß absolut nicht, wo Silke ist. Und überhaupt ... warum bist du nicht in Amerika? Silke hat mir erzählt ...“

„Was hat sie dir erzählt?“ Seine Stimme war plötzlich dunkler geworden, sein Blick ebenso. Selbst der Körperkontakt spürte sich anders an, obwohl er sie genauso festhielt wie zuvor. Vermutlich lag es an der Nähe. Sein Körper presste sich gegen ihren, damit sie ihre Beine nicht als Waffe verwenden konnte und sein Gesicht war so nahe, dass sie die hellen Sprenkel in seinen braunen Augen sehen konnte. Schöne Farbe.

„Sie hat gesagt, ihr hättet einen Notfall und seid daher auf dem Weg nach Amerika.“ Sie atmete viel zu schnell und konnte nicht aufhören abwechselnd in seine Augen und dann wieder auf seine Lippen zu starren. Ein kleines Loch am unteren Lippenrand zeigte ihr, dass er dort manchmal ein Piercing trug. Doch bei all den netten Details durfte sie nicht übersehen, dass er in ihre Wohnung eingebrochen war und sie ziemlich gut entwaffnet hatte. Ein Handy als Waffe zu bezeichnen mochte Unsinn sein, aber sie hatte es wie eine benutzt und der Punkt war doch, dass Dennis so schnell und effizient vorgegangen war, wie ein gut ausgebildeter Sicherheitsmann. Dass er sie dabei so brutal gegen die nächste Wand gedrückt hatte, gefiel ihr gar nicht. Oder vielleicht doch? Verflucht aber auch.

„Sagen wir, unsere Pläne haben sich kurzfristig geändert“, erklärte er kryptisch, während sein Körper und seine innere Präsenz sie wie eine Hülle umgaben. Er schien ganz Herr der Lage zu sein, konnte aber seine Augen nicht von ihren Lippen lassen. Voll und rot lagen sie vor ihm und schienen nur auf einen Kuss zu warten.

„Lass mich sofort los oder ich schreie“, forderte sie wütend und reckte das Kinn in die Höhe. Es war eine kleine, verwegene Kampfansage, doch für ihn die pure Verlockung. Die Situation zwischen ihnen war ganz klar erotisch geworden und das spürten sie beide. Zum Teil mit Verwunderung, zum Teil mit der klaren Bestimmung, die sie vom ersten Moment an gewittert hatten. Dennis reagierte als Erster, presste seinen Mund auf ihre Lippen und ihren Körper noch fester gegen die Wand. Das Begehren war mit einem Mal so übermächtig, dass sein Körper wie von alleine funktionierte. Der aufgestaute Frust und die sexuelle Durststrecke der letzten Wochen brachen sich Bahn und übernahmen das Kommando. Er sah nur noch ihre Lippen, spürte ihren weichen Körper und roch ihren berauschenden Duft. Zuerst war sie zu geschockt, um wirklich zu reagieren, doch unwillig war sie keineswegs und für ein Zurück war es längst zu spät. Begierde hatte von ihm Besitz ergriffen und alles Denken durch das Ziel nach Eroberung abgelöst. Er wollte in ihr sein, sie kosten und ausgiebig mit seiner Essenz markieren. Geschickt schlängelte er sich mit seiner Zunge durch ihre schwache Barriere und drang gnadenlos tief in sie ein. Erika stöhnte auf und Dennis‘ Körper stand augenblicklich unter Strom, kam in Bewegung und rieb sich an genau den richtigen Stellen ihres Körpers. Erika wurde regelrecht überrumpelt von seinem Ansturm und dem vielen „Zugleich“, bis sie sich mit einem leisen Seufzen seiner Leidenschaft ergab. Egal, ob er Einbrecher war oder nur Assistent, der Kuss war eine Sensation. Noch nie hatte sie jemand so derart schnell von seinem Können überzeugt, obwohl sie durchaus bemerkte, dass er sie weiterhin festhielt, als wäre sie eine mögliche Gegnerin.

„Hm, Zungenpiercing“, brummte er zufrieden, als er kurz Luft schöpfte und sich gleich wieder ihren Mund zurückholte. Er wollte eigentlich nicht sprechen, nur noch handeln und diese Frau schmecken. Für den zweiten Kuss nahm er sich Zeit, erkundete ihre Bereitschaft und verblüffte sie mit seiner Ausdauer und Hartnäckigkeit.

Erst nach Minuten gab er sie frei ... völlig berauscht und atemlos. Ihr Blick war verklärt, ihr Mund geschwollen und ihr Körper überaus bereit. Sie stöhnte immer noch, obwohl er sich längst aus ihrem Mund zurückgezogen hatte. Dann blickte sie zu ihm auf, als würde sie ihn zum ersten Mal sehen.

Was, um Himmels Willen, war in den letzten fünf Minuten mit ihr passiert? Der Typ war natürlich sexy, aber seit er sie so fest gepackt und an die Wand gedrückt hatte, war plötzlich alles aus dem Ruder gelaufen. Als hätte eine höhere Macht erotisch aufgeladene Pfeile auf beide abgeschossen und ihre Gehirne ausgeknipst. Die Begierde mit der er sie nun ansah, raubte ihr beinahe mehr den Atem, als der minutenlange Kuss zuvor.

„Du weißt, dass ich dich will. Vom ersten Moment an, war ich ganz verrückt nach dir.“ Er flüsterte es ihr ins Ohr und küsste sie gleich drauf am Hals. Erikas Knie wurden noch weicher als sie bereits waren und sie musste sich sehr konzentrieren, um die nächsten Worte fehlerfrei herauszubringen.

„Und warum hast du dann nur nach Silke gesucht?“ Es klang erbärmlich eifersüchtig, aber das war ihre egal. Wenn er sie hier verführen wollte, – und davon ging sie aus – dann sollte er sich vorher dazu äußern.

„Wer sagt denn, dass ich das habe?“ Er lachte leise. „Warum glaubst du weiß ich wo du wohnst?“

„Oh! Du hast schon vorher ...“ Endlich hatte sie begriffen, dass er nicht nur Silke ausfindig gemacht hatte.

„Natürlich. Eine sexy Schönheit wie dich, lasse ich mir doch nicht entgehen.“ Er grinste frech und küsste sie erneut. Erikas letzter Widerstand zersplitterte. Außer sich vor Verlangen krallte sie ihre Hände in seine Haare und bemerkte erst dadurch, dass er sie längst frei gegeben hatte. Er hielt sie nicht länger fest, denn ihre Hingabe war offensichtlich.

Sein Vertrauensbeweis entlockte Erika ein tiefes, unanständiges Brummen. Zum Dank für dieses erotische Geräusch wanderten seine Hände lüstern über ihren Körper, schoben sich hinten in ihre Jeans, spielten kurz mit dem Band ihres Strings und packten ihren nackten Hintern.

„Du bist so verflucht sexy. Ich möchte alles Mögliche mit dir tun.“ Seine Stimme war leise, doch sein Wollen deutlich. Er hob sie in die Höhe und Erika schlang ihre Beine um seine Hüfte.

„Wir sollten über die Entführung reden, ...“, begann er heiser und konnte an nichts anderes mehr denken, als an ihr heißes, williges Fleisch unter all dem Jeansstoff. „... aber ich kann keine Sekunde länger warten. Verstehst du? Ich brauche dich jetzt! Und ... es wird nicht sanft sein.“


14.Kapitel

Die Kanalratte zerrte Silke über einen langen Flur mit Neonbeleuchtung. Zum ersten Mal fragte sie sich in welchem Haus sie eigentlich gefangen gehalten wurde. Der elend lange, steril aussehende Gang wirkte wie ein unterirdischer Zugang, der ausschließlich zum Schlafzimmer des Vampirs führte. Keine Fenster und Türen, keine Bilder, keine Heizung. Bescheuerte Architekten gab es überall, aber der Mangel an Gemütlichkeit lag durchaus an der fehlenden Liebe für Einrichtung. So wie sie das hier einschätzte, lebten die vier Brüder in unterirdischen Katakomben ohne jeden Komfort. Igitt.

„Nicht so schnell. Du tust mit weh“, schrie sie und verpasste der Kanalratte im Lauf einen spontanen Kick mit dem nackten Fuß ... was nur halbgenial war. Nein, eigentlich war es dumm, denn es spürte sich an, als würde sie mit nackten Sohlen auf eine Betonwand schlagen.

Waren denn alle Condatissöhne wie aus Stein gehauen? Wenigstens grunzte er überrascht.

„Ha! Von wegen Kriegsgott! Da hat dich dein Instinkt aber gerade im Stich gelassen“, spottete sie böse und er blieb so schnell stehen, dass sie ihm mit vollem Karacho in den Rücken lief.

„Au!“

„Du bist ziemlich lästig.“

„Ich bin immerhin gefangen.“ Sie verdrehte die Augen und rieb sich über die Nase. Der Kerl schien überall aus Beton zu bestehen. „Und überhaupt. Wo sind wir hier? Kein Mensch kann in solch einem unterirdischen Kriechlabor leben.“

„Kriechlabor? Allmählich frage ich mich, ob bei dir alles in Ordnung ist, Süße. Vielleicht hat dir unser zahnendes Goldstück ja zu viel Blut aus dem Gehirn gesaugt.“ Silke schnaubte empört und kam zu dem Schluss, dass sie diesen Jeff am wenigsten mochte. Und was, bitteschön, konnte sie dafür, wenn man ihr gegen den Willen Spucke injizierte und Blut abnahm?

„Wir sind in keinem Labor. Wir sind in unserem Zuhause. Punkt. Außerdem sind wir in der Dimension, wo du vermutlich am liebsten nicht wärst.“ Er lachte böse und schien sich ehrlich zu freuen, dass ihre Nase nach dem Aufprall schmerzte. Am liebsten hätte sie ihm einen Kinnhaken verpasst, aber sein bohrender Blick verhieß nichts Gutes und immerhin war er derjenige, der ihr zur Toilette verhalf und ihr anständige Kleidung verschaffen wollte.

„Was ist das für eine Dimension?“, fragte sie, um sich von ihrer juckenden Faust abzulenken. Doch Jeff war nicht bereit für lange Diskussionen. Er biss die Zähne ganz fest zusammen, schloss für einen Moment die Augen und schien zu ... beten, oder etwas Ähnliches zu tun. Silke unterdrückte ein Kichern. Aber auch das schien ihn zu nerven, denn er wandte sich ab und ging ohne ein Wort weiter.

„Halt! Kannst du nicht wenigstens diese eine Frage beantworten? Komm schon!“ Silke wollte schließlich verstehen, was hier ablief und wo sie war. Mit einem Seufzen blieb er wieder stehen und wandte sich ihr zu.

„Ich dachte du musst aufs Klo?“

„Geht schon noch“, grinste sie und zappelte gespielt rum. Sie kapierte nicht, warum sie Spaß machen wollte, obwohl die Kanalratte so mies drauf war. Vielleicht war es gerade seine düstere Ausstrahlung, die sie dazu animierte.

„Also gut. Ganz kurze Erklärung! Aber danach gehst du, verdammt noch mal, aufs Klo und ziehst dir etwas Ordentliches an, klar?“ Seine schwarzen Augen schossen Blitze, denn das zerrissene T-Shirt zeigte für seinen Geschmack viel zu viel Haut.

„Pfff! Als ob ich etwas dafür könnte, dass ich nackt bin. Fast nackt, meine ich.“ Ihre Wangen färbten sich rot, denn mit einem Mal dachte sie daran, dass sie darunter nicht mal ein Höschen trug. Beide dachten sie daran. Silke konnte es an seinem Blick sehen. Nervös leckte sie sich über ihre Lippen und Jeff stöhnte genervt auf.

„DANKE! Ich weiß ja, warum ich mich nicht lange mit dir unterhalten will. Du versuchst ständig Sex mit mir zu haben.“

„Wie bitte?“ Silke fiel aus allen Wolken. Was bildete sich der Kerl eigentlich ein? Energisch boxte sie ihm in die Seite. Wenigstens hatte er nicht wieder das F-Wort verwendet. Aber wie dumm musste er sein, wenn er sie nur als sextolles Luder beurteilte? Jeffs Augen wurden schmal und er sah streng auf die Stelle, wo sie ihn getroffen hatte. Vermutlich hatte er nicht einmal etwas gespürt, aber es ging ihm ganz klar gegen den Strich, dass sie ihn geschlagen hatte.

„Lass das, sonst bist du mein nächster Sparringpartner.“

„Okay, wenn du willst, dass dich eine Frau vermöbelt“, kontert sie keck und sah ihn mit blitzenden Augen an. Silke machte Spaß. Schon wieder, nur dieses Mal unangebracht, wie sie an seiner Reaktion bemerkte. Blitzschnell packte er ihren freien Unterarm und zog sie zu sich.

„Das war dann wohl ein eindeutiges JA, hm? Und glaube mir, ich werde dich ganz schön beim Wort nehmen, süße Fee.“ Seine Augen funkelten böse und Silke schluckte ihre Überraschung herunter. Wie hätte sie wissen sollen, dass es ihm gleich so ernst sein würde?

„Bei uns gilt das Wort. Es gibt keine Rückzieher, Beschwichtigungen oder Halbwahrheiten. Also hüte dich solch einen Fehler bei Jack, unserem Vampir, zu machen! Der Gute flippt schon mal aus, wenn es um Kampf geht. Er ist derjenige mit den echten Kriegergenen und die willst du nicht in Aktion erleben. Keine Ahnung wie viele Schlachten er schon gefochten und wie viele Menschen und Andersartige er getötet hat. Seit er auf der Welt ist kennt er keinen Frieden, außer beim Sex vielleicht und selbst der geht nicht immer glimpflich aus. Für die Frau, versteht sich.“ Silke schluckte gleich noch lauter und dachte wieder an den mörderischen Muskelberg, der wirklich verdammt gefährlich war. Aber aus irgendeinem Grund, fand sie ihn auch ... süß. Als müsste sie sich seiner annehmen, ihn von seinem Wahn heilen oder einfach nur ein paar schöne Stunden mit ihm verbringen, um einmal ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern. Genau so ein Lächeln huschte nun über ihr Gesicht.

„Bei mir wirst du nur ein paar blaue Flecken abbekommen, kurz heulen und vielleicht mit einem Quickie leben müssen, aber ...“

„Wie bitte? Du sagtest, Sex mit mir könnte dich deinen Kopf kosten!“ Silke mochte in dieser Dimension nicht ganz bei Sinnen sein, aber dieses Detail mit dem Pakt hatte sie nicht vergessen.

„Ja. Vielleicht. Aber im Kampf gelten nun mal keine Regeln.“


15.Kapitel

John hatte zum ersten Mal rein nach Bauchgefühl gehandelt und noch auf dem Weg zum Flughafen seine Pläne geändert. Natürlich war es wichtig zu demonstrieren, wie souverän er mit einem Anschlag auf eine seiner TLP’s umzugehen wusste und wie gut seine Sicherheitsvorkehrungen funktionierten, aber der Anschlag war ganz klar missglückt und hatte nur einen kleinen Teil des Stahltrosses beschädigt. Was alleine seinem ausgeklügelten Überwachungssystem und seiner Pedanterie zu verdanken war. Menschen waren nicht zu Schaden gekommen und selbst der Sachschaden hielt sich in Grenzen. Der Leiter der Offshore Maschinenanlagen, hatte einen schnellen Bericht zum beschädigten Bohrer geliefert und ebenfalls Entwarnung gegeben. Die Reparaturarbeiten waren mit maximal sieben Tagen kalkuliert worden und somit nicht der Rede wert, auch wenn es mit jedem Tag um eine Menge Geld ging. Johns persönliche Anwesenheit war nicht unbedingt erforderlich, wenn auch bisher immer eine Selbstverständlichkeit gewesen. Sobald seine Firma von einer noch so kleinen Krise geschüttelt wurde, war er automatisch vor Ort, zeigte Engagement und Kampfgeist und stärkte, wie ein Heerführer,

jedem einzelnen Mitarbeiter den Rücken. Diese Vorgehensweise war ihm wichtig, entsprach seiner Philosophie und war somit ein Grundgesetz.

Bisher.

Für viele, viele Jahre.

Doch nicht mehr seit dem Abend, an dem er diese Frau entdeckt hatte! Diese Ballnacht hatte etwas Entscheidendes verändert ... in ihm und in seiner Rangordnung von Wichtigkeiten. Noch während er die Nachricht vom Anschlag erhalten hatte, war er bereits die einzelnen Schritte seines Krisenmanagements durchgegangen, hatte wie üblich in seinen Kampfmodus gewechselt und sich sofort auf den Weg gemacht. Ein jahrzehntelanges Verhaltensmuster ließ sich nicht über Nacht abschütteln und der Kampfmodus lag ihm einfach, gab ihm ein gutes Gefühl. In solch einer Situation funktionierte er wie eine Maschine, war hochkonzentriert und setzte gezielte, effiziente Maßnahmen. Doch schon im Helikopter hatte ihn eine verheerende Unruhe erfasst, die nichts mit dem Terroranschlag, einem möglichen Imageverlust oder Geld zu tun gehabt hatte. Es war das Gefühl von viel größerem Verlust und drängender Zeit ... und es betraf ganz eindeutig diese Frau, die er nur kurz in den Armen gehalten hatte. Silke Environ hatte sich nicht nur als perfekte Tanzpartnerin erwiesen, sondern als Offenbarung. Mit einem derart heftigen Bauchgefühl hatte er wahrlich nicht gerechnet. Er wusste so gut wie nichts über die blonde Schönheit, außer, dass sie sich wie eine Göttin bewegen konnte. Doch es war etwas anderes, das ihn wie magnetisch anzog. Etwas Verborgenes tief in ihr. Etwas Unschuldiges und doch sehr Mächtiges. John hatte es sofort gewittert und in ihrer Nähe beinahe wie ein Hündchen zu sabbern begonnen. Eine Vorstellung, die ihn immer noch mit Wut und Gegenwehr erfüllte. Er war kein Hund und sabbern lag ihm schon gar nicht. Er war der Sager, der Befehlsgeber, derjenige, der alles bekam was er wollte und dem alle zuarbeiten mussten. Die Vorstellung einem anderen Menschen durch ein Übermaß an Interesse und Wollen unterlegen zu sein war absurd, verrückt und zugleich so verflucht ... anziehend. Silke Environ hatte sich in der Rangtabelle der Wichtigkeiten nicht nur in Windeseile vorgedrängt, sondern sich regelrecht an die Spitze katapultiert. Zu einem Zeitpunkt, der nicht ungünstiger hätte sein können! Die TLP war nur von einer kleinen Krise betroffen, doch es war ein Angriff auf sein Unternehmen und damit auf ihn. Ein Terroranschlag war und blieb kein Kinkerlitzchen und doch hatte er sich dazu entschlossen, sich auf sein Team zu verlassen. Für die Pressearbeit hatte er Will und Sonja, für die Sicherheit Akim mit seinen Leuten und als Stellvertretung für Geschäftliches seine zweite Hand, Tom Hurt. Er konnte sich also getrost eine Auszeit nehmen und sich einer anderen Angelegenheit widmen. Einer ganz anderen. Auch wenn es ihn wurmte. Vor kurzem hatte er Dennis seine neue Lebenseinstellung in Bezug auf eine Familie angedeutet, doch nicht so schnell mit einer möglichen Kandidatin gerechnet. Und diese Schnelligkeit verunsicherte ihn etwas, obwohl ihn nie etwas wirklich verunsicherte. Also … vielleicht war er in Wirklichkeit ja noch gar nicht so weit, etwas derart Einschneidendes in seinem Leben zu verändern. Er war nicht der Typ, der sein Herz leicht öffnete oder sofort zeigte, wie sehr ihn jemand faszinierte. Dafür hatte er zu oft gelernt, dass die meisten Menschen keinen Tiefgang hatten und vor allem die tollsten Frauen mehr seinem Geld hinterher hechelten, als seinem schönen Body oder gar seiner Seele. Er grinste, weil er schon viel erlebt und durchaus die schönsten Frauen der Welt besessen hatte. Das Problem bei sehr schönen Frauen war nur, dass sie ein extremes Maß an Aufmerksamkeit und Feedback brauchten. Du bist toll in dem, die Schönste in jenem und perfekt in dem. Furchtbar anstrengend für einen Mann der genug um die Ohren hatte und sich bisher nur nach etwas Zeitvertreib gesehnt hatte. Aber genau das schien sich verändert zu haben. John brauchte nicht nur guten Sex mit einer oder mehreren Schönheiten, sondern eine Frau an seiner Seite, die auch da war, wenn er mal am Boden war. Männer wie er hatten keine Zeit für Depressionen oder gar Tränen und doch kam beides beizeiten auch mal vor.

Ungläubig schüttelte er den Kopf, weil ihm solche Gedanken vor ein paar Wochen niemals in den Sinn gekommen wären. Vielleicht bahnte sich in seinem Alter bereits die erste Midlifecrisis an, womöglich fehlte nur der Sinn im Leben. In der Regel aber waren alle seine Beziehungen nach wenigen Wochen auseinandergegangen. Für die wahre Liebe schien er kein Talent zu haben, für den richtigen Umgang mit Frauen ebenso nicht. Machten sie Probleme, wurden sie stillschweigend, aber sehr teuer entsorgt. Und sie machten immer irgendwann Probleme, klammerten wie verrückt oder wurden zu frustrierten Hexen, betrogen ihn oder versuchten ihn zu bestehlen. Lediglich diese Silke Environ war irgendwie anders und nur die Götter wussten warum. Denn er ... er wusste es definitiv nicht. Vermutlich ahnte diese Frau nicht einmal im Ansatz, wie verführerisch sie in Wirklichkeit war. Die Unschuld, die sie ausstrahlte, faszinierte ihn und spornte ihn zugleich an, ihr all die Dinge zu zeigen, die sie noch nicht kannte oder von denen sie nur zu träumen gewagt hatte. Sie war eine Perle, ein ungeschliffener Diamant und sie war ... ach, verflucht! Er wusste nicht WAS sie war! Er dachte nur ständig an sie. Sie alleine war der Grund, warum er nicht nach Amerika zurückgeflogen war. All das wegen einer Frau von der er gerade mal wusste, dass sie Zahnarztassistentin bei einem gewissen Dr. Gruber war! Dennis hatte sie mit Leichtigkeit ausfindig gemacht und ein wenig recherchiert, doch wirklich viel gab es zu Silke Environ nicht zu berichten. Sie war 25 Jahre alt, berufstätig, Single, engagierte sich für die Umwelt und boxte in ihrer Freizeit. Angeblich wanderte sie auch gerne, was ihm ziemlich egal war. Alles an der Frau klang in der Theorie uninteressant, bis auf ihre Leidenschaft fürs Boxen, vielleicht. Aber das übliche Schillern, der Kick, das Besondere ... fehlte hier völlig. Zumindest am Papier oder an der Oberfläche. Er hatte Topmodels konsumiert wie Cocktails auf einer Party, adelige Damen der Reihe nach vernascht und Millionärsgattinnen rein zum Spaß gevögelt, doch wirklich angebissen hatte er nie. Das Schillern an der Oberfläche war also scheinbar nicht das, wonach ihm wirklich der Sinn stand. Es war mehr das Besondere im Verborgenen, das er suchte. Wie bei dieser Silke Environ. Doch die hatte ihm beinhart ein erstes Date verweigert und sich darüber echauffiert, dass er seinen Assistenten mit Recherche über sie beauftragt hatte, anstatt selbst tätig zu werden. In der Regel gefiel es ihm ganz gut, wenn Frauen nicht gleich zu haben waren, doch hier hatte er das Gefühl, keine Zeit für Spielchen zu haben. Die Zeit schien zu drängen, auch wenn es keinen rationalen Grund dafür gab. Sein Verhalten war absolut untypisch, doch er wusste ganz klar, dass er diese Frau wollte und das nicht nur für einen Tanz oder fürs Bett. Obwohl der Tango schon gezeigt hatte, dass sie sich in beiden Disziplinen sehr gut verstehen würden. Aber er wollte mehr von ihr. Mehr als nur das Übliche. Er stöhnte auf und dachte an das glitzernde Blau ihrer wunderbaren Augen, das satte Rot ihrer vollen Lippen. Sie war ihm so verletzlich erschienen, so übernatürlich schön. Mit welcher Freude und Überraschung sie ihn doch angesehen hatte, als er ihr Feuer durch den Tanz erweckt hatte ... und mit welcher Angst, als er ihr am Ende des Tanzes versucht hatte ein Kompliment zu machen.

Zum zehnten Mal probierte er nun Dennis zu erreichen. Seit zwei Stunden war der Mistkerl verschwunden und hatte sein Telefon abgestellt. Dennis hatte um eine kurze Auszeit gebeten, doch er wusste, dass er als persönlicher Assistent immer erreichbar sein musste. Wütend knallte John das Handy auf den Tisch und überlegte, ob er zur Wohnung dieser Frau fahren sollte. Die Adresse hatte er und Taxis gab es genug. Es widersprach zwar der obersten Regel seines Sicherheitschefs, ohne Begleitung und Nachricht zu verschwinden, doch sein Bauchgefühl spielte verrückt und er konnte nicht länger ignorieren, dass er Silke Environ nicht nur finden, sondern auch beschützen müsste.


16.Kapitel

Wimmernd lag sie auf dem Boden und hatte die Augen geschlossen. Zur Strafe tauchte er erneut in ihre feuchte Höhle ein und setzte sein mächtiges Spiel fort. Das Vorzimmer glich einem Schlachtfeld. Jacken und Schuhe lagen verstreut, die Garderobe war aus ihrer Verankerung gerissen und das Telefon bis ins Wohnzimmer geschleudert worden. Erika blutete aus einer Wunde am Arm, hatte leichte Abschürfungen und erste blaue Flecken auf ihrem Körper. Doch auch Dennis hatte seinen Teil abbekommen, blutete aus der Nase und aus ein paar ordentlichen Kratzern.

„Es wird nicht sanft sein ...“ war die Untertreibung des Jahrhunderts, doch beide hatten es so gewollt und waren sich nichts schuldig geblieben. Zum Glück konnte sie boxen und zum Glück hatte er sich davon nicht beirren lassen. Erika stöhnte und zog ihn tiefer in sich hinein, biss ihn in die Schulter und entlockte ihm ein ungestümes Lachen.

„Du bekommst wohl nie genug!“ Er packte ihr rechtes Bein, winkelte es ab und drückte es in die Höhe, um sie noch besser und mit seiner ganzen, beeindruckenden Länge auszufüllen. Er wollte, dass sie wimmert und schrie ... vor Lust oder vor Schmerz, denn beides hatten sie in dieser Stunde zur Genüge ausgekostet, die Grenzen des anderen ausgelotet und respektiert. Diese Frau war der reinste Hurrikan und ihm in jeder Lage ebenbürtig. Es war kein liebevolles Zusammenspiel, aber es war das Beste, was er sich vorstellen konnte und so wie diese Frau sich gerade unter ihm bewegte und mit ihrer schlüpfrigen Hitze an ihm saugte, gefiel es ihr mindestens ebenso gut.

„Ja! Das ist ... gut“, keuchte sie wie zur Bestätigung und steigerte den Rhythmus ihres Körpers. Sie musste vollkommen erschöpft und wund sein, aber sie stand bereits wieder kurz vor ihrem nächsten Orgasmus. Dennis war fasziniert, wie sehr sie sich fallen lassen konnte und wie oft es ihr möglich war, Erfüllung zu finden. Gut, sie trieben es gerade zum dritten Mal, aber dieser Vulkan war drauf und dran zum fünften Mal zu explodieren. Sie war ein Wunder und einfach nur perfekt für ihn. Erika gab diese unglaublich erotischen Lustschreie von sich, atmete schneller und abgehackter, spannte ihren Körper an und ... kam.

Heftig.

Schreiend.

Womit sie ihn ebenfalls zur Explosion brachte und das scheinbar mehrmals hintereinander. Dennis konnte sein Glück gar nicht fassen. Die Erde bebte, die Zeit schien still zu stehen. Zumindest kam es beiden so vor. Es war es ein solch intensiver Kraftaustausch, dass Erika und Dennis tatsächlich meinten eins zu sein und nie mehr getrennt werden zu können.

Er küsste sie sanft und blieb noch in ihr. Das Gefühl der Verbundenheit war zu genial, um es zu schnell zu beenden. Verschwitzt lagen sie aufeinander und sahen sich staunend in die Augen.

„Das war der Wahnsinn“, seufzte er und küsste sie auf beide Augen. Wenn er nicht so derart erledigt gewesen wäre, hätte er vermutlich gleich an Runde vier gedacht. Erika fuhr ihm genüsslich über seine makellose Haut, seine festen Muskeln, seinen knackigen Hintern.

„Ja“, hauchte sie und küsste ihn aufs Kinn. „Das war Wahnsinn! Aber wir haben nicht verhütet und das ist unverzeihlich.“ Sie wusste, sie hatte irgendwann daran gedacht, doch dann war nicht nur ihr ganzer Körper erotisch explodiert, sondern auch ihr Hirn zu Matsch geworden.

Dennis sah sie ernst an.

„Ich bin gesund. Ich schwöre es dir und ich kann keine Kinder zeugen.“ Sein Blick blieb aufrichtig und Erika glaubte ihm. Nicht, dass es jetzt noch viel geändert hätte.

„Du kannst keine Kinder zeugen? Wieso das?“

„Erbsache“, antwortete er knapp, wollte aber nicht näher darauf eingehen. „Es kann dir also nichts passiert sein, süßer Vulkan.“

„Nichts passiert? Hör mal ... so würde ich das nicht gerade bezeichnen.“ Sie schnurrte wie ein Kätzchen und er lachte leise. Dann zog er sich langsam aus ihr zurück und entlastete sie von seinem Gewicht. Mit einem tiefen Seufzen legte er sich neben sie auf den Boden.

„Es hat dir also gefallen?“, fragte er, weil er es aus ihrem Mund hören wollte.

„Besser als alles, was ich je erlebt habe.“ Gab sie offen zu und strahlte ihn mit ihren dunklen Augen an. „Du musst wissen, dass ich normalerweise nicht so leicht ...“

„Du meinst du gehst nicht leichtfertig mit einem Fremden ins Bett?“

„Nein ... ja, das auch, aber ich habe was anderes gemeint. Und ins Bett haben wir es ja sowieso nicht geschafft.“ Sie kicherte. „Aber ich meinte, dass ich normalerweise nicht so leicht komme. Ich meine ... hallo-o ... hast du mitgekriegt, wie oft das war?“

„Nein. Eigentlich hatte ich den Eindruck es gefällt dir nicht.“ Er lachte böse und sie boxte ihn zur Strafe in die Seite. „Au!“

„Du weißt genau was ich meine“, zischte sie und er stützte sich auf seinen Ellenbogen, um ihr besser in die Augen sehen zu können.

„Ich weiß genau was Du meinst, Erika Garber. Ich schätze wir sind zu 100% kompatibel. Das gibt es zwar selten, doch wir beide sind der beste Beweis dafür.“ Er sagte es völlig nüchtern und doch mit einem Glimmen in den Augen, das Erika einen Schauer über den Körper jagte. Gut, sie hatte einiges einstecken müssen, war am Anfang schockiert gewesen von seiner brutalen Kraft, aber eigentlich hatte ihr alles gefallen, was er mit ihr angestellt hatte. ALLES. Ihr erhitztes Gesicht strahlte ihm mit offener Bewunderung entgegen. Wie es wohl wäre, wenn er langsam und zärtlich mit ihr Liebe machen würde? Ihr Blick schien auszustrahlen, was sie dachte, denn er wechselte gekonnt das Thema.

„Ich muss jetzt leider meinen Chef verständigen. Der hat es nicht so gerne, wenn ich unabkömmlich bin. Außerdem müssen wir über Silke reden und die Entführung John verklickern. Unter uns ... der Gute hat sich offenbar voll in deine Freundin verguckt.“ Er stand auf und begann sich konzentriert seine Klamotten zusammenzusuchen. Die wilde Sexsession war damit offensichtlich abgehakt.

„Da kenne ich noch jemanden mit Gefühlen“, erwiderte Erika leise, weil sie noch so high von ihm war und hoffte, dass mehr zwischen ihnen war, als nur purer Sex. Dennis hielt in der Bewegung inne und sah sie verblüfft an. In dem Stadium ihrer Beziehung über Gefühle zu reden, war Unsinn. Der Sex war außergewöhnlich gut gewesen, aber von Liebesgeschwafel hielt er nichts. Sein aufgestauter sexueller Frust war ausradiert worden, die Dringlichkeit nach einer Frau daher nicht mehr gegeben. Sein Bedürfnis nach einer Gefährtin hatte sich abgeschwächt und war nur noch im hintersten Winkel seines Bewusstseins vorhanden. Klein und schimmernd, aber eindeutig verkümmert.

„Eines solltest du wissen, Erika. Ich werde dich immer gerne vögeln, aber ich werde mit dir nicht über Liebe reden.“


17.Kapitel

Sie saßen vor dem Fernseher und spielten Videogames. Ego-Shooter, wie die halbwüchsigen Kids aus ihrer Nachbarschaft! „I kill him, i kill him, puff, puff, bang.“ Für Silke war das die vertrotteltste Freizeitbeschäftigung aller Zeiten.

Der Vampir blickte auf, zog die Augenbrauen unwirsch zusammen und pfefferte seine Steuerung auf die Couch. Der Dieb wollte seinen Bruder gerade anmotzen, als der Vampir ihn anstieß und auf die Tür zu Silke deutete. Leuchtende, grünblaue Augen wandten sich ihr zu und begannen vor Vergnügen zu glitzern. Silke hatte von Jeff ein Kleid bekommen und die Toilette besucht. Nun stand sie mit der Kanalratte in der Tür zum Gemeinschaftsraum und wartete auf eine klärende Unterhaltung im Kreise ihrer Entführer. Drei Männer der Sonderklasse und ich in der Mitte! Die Knie wabbelten ihr gehörig und sie hatte einen richtig großen Kloß im Hals. Doch sie war froh, dass nun endlich geklärt werden konnte, was sie hier sollte, und ob sie eine Möglichkeit hatte, jemals wieder unbeschadet nach Hause zu kommen. In die andere Dimension und so.

Mit Verwunderung hatte sie festgestellt, dass der Rest der Unterkunft durchaus sehenswert war und einer modernen Villa entsprach. Lediglich der unterirdische Gang zum Schlafzimmer des Vampirs hatte etwas Katakombenartiges, war aber offenbar mit der Eigenheit seiner Spezies zu erklären. Sie befand sich in einem einstöckigen Haus mit großen Fenstern und karger Einrichtung, aber das Wenige war geschmackvoll und sah teuer aus. Das Bad war in schwarzem und weißem Marmor gehalten und selbst das Klo war nicht nur eine Keramikmuschel, sondern aus schwarzem Stein gehauen. Woher Jeff das bunte Kleid genommen hatte, wusste sie nicht, aber es passte perfekt, betonte ihre vollen Brüste, ihre schlanke Taille und zeigte ein bisschen viel Bein. Selbst passende Unterwäsche hatte er gebracht und auch da hatte sie nicht wissen wollen, woher er die hatte. Dazu trug sie Flip-Flops. Vermutlich wäre sie mit dem T-Shirt sogar besser gefahren, weil das Kleid eindeutig zu sexy war für eine Männerrunde. Aber immerhin trug sie endlich ordentliche Kleidung.

„Was macht SIE hier?“, brummte Jack, der Vampir, und erhob sich mit seiner ganzen Masse aus der Couch. Silke spürte sofort ein Kribbeln auf ihrer Haut und griff sich unbewusst an die Stelle, wo er sie gebissen hatte. Das böse Funkeln in seinen unterschiedlichen Augen zeigte, dass er es bemerkte und ihre Unruhe witterte.

„Lass sie in Ruhe, Jack!“, forderte der Dieb und kam nun ebenfalls auf sie zu. Zu ihrer Verwunderung reichte er ihr die Hand. „Darf ich mich vorstellen ... Josh! Wir kennen uns von der Waldlichtung.“ Dazu zwinkerte er so unverschämt, dass sich Silkes Wangen rot färbten. Sie dachte daran, dass sie mit ihm geknutscht hatte und war durcheinander. Immerhin gab sie ihm die Hand, vergaß aber ihren Namen zu sagen. Den kannten sie vermutlich sowieso schon alle. Jeff machte inzwischen die Handschellen los und schob Silke weiter zu einem Tisch mit Sesseln.

„Kommt! Wir müssen reden. Diese Dame braucht Antworten und einen gründlichen Fi..., äh, das war jetzt dumm ... sorry.“ Er lachte unverschämt und zwinkerte ihr zu. Gott, wie offensichtlich! Ständig musste er sie provozieren. Silke schnaubte und stemmte sich wütend die Hände in die Seiten.

„Gar nichts brauche ich, verdammt! Ich will nur wieder nach Hause. Ohne euch! Verstanden? Ich bin keine Fee. Das bildet ihr euch nur ein!“ Frustriert stapfte sie auf und wollte gerade weiter zetern, als sich eine warme Hand auf ihre Schulter legte. Das Kribbeln in ihrem Inneren verzehnfachte sich schlagartig.

„Keine Angst, wir werden versuchen, es dir so angenehm wie möglich zu machen.“ Es war Josh, der Dieb, der sie freundlich anlächelte und Hitze durch seine Handflächen in ihren Körper strömen ließ. Silke hätte am liebsten gestöhnt, so angenehm und beruhigend empfand sie seine Berührung. Doch dann fiel ihr wieder ein, was er auf der Lichtung getan hatte.

„DU!“, zischte sie und schob seine Hand von ihrer Schulter. „Du hast mich überfallen und beraubt! Was fällt dir ein, so etwas mit mir zu machen?“ Sie stapfte schon wieder auf und der Vampir brach in knurriges Gelächter aus. Jeff rollte mit den Augen und Josh sah schuldbewusst zu ihr herunter. Eine Frau und drei riesenhafte Idioten! Herrschaftszeiten! Sie war eindeutig überfordert, sexuell frustriert und nicht mehr gewillt länger hier herumzustehen. Mit einem schnappenden Geräusch sog sie tief Luft ein und setzte sich auf den nächstbesten Stuhl.

„Möchtest du etwas trinken?“ Jeff schien sie zwar am wenigsten zu mögen, war aber eindeutig der Aufmerksamste von allen.

„Ja, bitte. Was habt ihr denn?“

„Whiskey, Scotch, Wodka.“

„Sehr witzig. Wasser bitte.“ Alle drei lachten schäbig und Jeff machte keine Anstalten ihr welches zu bringen. Jack hingegen ging lässig zum kleinen Barbereich des Raums und brachte ihr tatsächlich ein Glas Wasser. Der Krieger überraschte sie, weil er sich dazu herabließ sie zu bedienen. Sein Gesicht war undurchdringlich, aber als er sich setzte, wählte er den von ihr am weitesten entfernten Platz. Silke trank mit heftigen Zügen und knallte das leere Glas wieder auf den Tisch. Die beiden anderen nahmen ebenfalls Platz. Jeff saß nun links von ihr, Josh rechts und Jack gegenüber. Sie war quasi umzingelt von mörderisch gutaussehenden Riesen.

„Also Süße, was willst du wissen?“, frage Jeff und wackelte provokant mit seinen Augenbrauen.

„Warte, lass mich überlegen? Was könnte ich wohl wissen wollen?“ Silke tat so, als würde sie nachdenken und Josh konnte ein Kichern nicht unterdrücken. Der Vampir knurrte tief und Jeff gähnte. Silke aber wurde rot vor Wut.

„Na, was wohl!“, explodierte sie. „Wieso bin ich hier und wie komme ich wieder zurück? Und wer, verflucht, seid ihr wirklich? Und wo ist John? Gehört er auch zur Entführertruppe?“

„Seht ihr“, seufzte Jeff und massierte sich seine Schläfen. Offenbar hatte er Kopfschmerzen. „Ihre Fragerei ist nicht auszuhalten.“ Silke wollte schon etwas erwidern, als Josh seine Hand auf ihren Unterarm legte und wieder diese beruhigende Energie in sie hineinfließen ließ. Ihre Wut verrauchte und ihr Herzschlag beruhigte sich. Zumindest für einen kurzen Moment, denn der Energielevel veränderte sich rasant, wurde intensiver und aufregender. Josh lächelte verschmitzt und Silke spürte wie er sie sexuell aufzuladen begann. Der Vampir knurrte schon wieder und Silke entzog dem Dieb ihre Hand.

„Verdammt! Was soll das alles? Der dort drüben kann nur knurren, der andere nur jammern und du da ...“ Damit wandte sie sich dem Dieb mit den leuchtenden Augen zu. „... du bist nur auf Unterwäsche aus!“

„Ich bin ein halber Drache, ich stehle nun mal gerne.“ Er zwinkerte ihr zu, aber Silke war nicht zum Scherzen zumute.

„Ein Drache? Bei allen Göttern! Ein halber Vampir, ein halber Drache und was bist du Kanalratte?“ Ups, schon wieder ein Ausrutscher. Verlegen klopfte Silke sich auf den Mund. „Sorry, Herr Umweltmanager“, korrigierte sie, weil sie ein Gespräch wollte und keinen Streit. Außerdem hatte er ihr sowieso schon das Versprechen auf ein Sparring abgerungen.

„Ich bin der Magier“, antwortete er knapp und sie konnte sehen, wie sehr es ihn juckte ihr endlich eine Abreibung zu verpassen.

„Ein Drache, ein Vampir, ein Zauberer und ein Mensch.“ Silke fasste gekonnt zusammen, was sie von den Condatis-Brüdern in Erfahrung gebracht hatte, wunderte sich aber zugleich über das unglaubliche Sammelsurium an verschiedenen Lebensformen.

„Warum macht Euer Vater so etwas?“, fragte sie ehrlich interessiert.

„Bosheit?“ Der Vampir.

„Langeweile?“ Der Magier.

„Spaß?“ Der Drache.

Sie schienen es wirklich nicht zu wissen und so fragend, wie sie sich gegenseitig ansahen, fühlte Silke zum ersten Mal Sympathie für diese Männer. Was in Anbetracht ihrer Situation ziemlich bescheuert war.

„Die Antworten sagen wohl mehr über euch aus, als über euren Vater“, meinte sie einer Eingebung folgend, rechnete aber wegen ihrer Offenheit mit einem kleinen Donnerwetter von den Männern. Doch die drei zuckten gerade einmal mit den Schultern, schienen wirklich ratlos zu sein. Josh nickte sogar. Silke konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Irgendwie war diese stille Zustimmung und die leichte Hilflosigkeit von diesen Riesen ... süß. Es verstärkte sogar Silkes Selbstvertrauen, denn sie fühlte sich plötzlich wie eine Zirkus Dompteurin, die drei Urgewalten zu bändigen hatte.

„Und was ist mit John? Warum ist er nicht von der Partie?“, fragte sie, um den Zirkusgedanken aus ihrem Kopf zu vertreiben.

„John ist abgehauen, hat uns den Rücken gekehrt und über die Jahre vergessen. Condatis ist nicht unbedingt ein Segen, wie du vielleicht schon bemerkt hast.“ Es war Jeff, der die Erklärung gab. „Jack muss regelmäßig Blut trinken und stets kämpfen. Josh ist ganz verrückt nach Glitzersachen, muss stehlen und sich einmal in der Woche in seine innere Bestie verwandeln. Ich selbst bin dazu verflucht das Umweltunheil auf der Erde zu minimieren und kann gar nicht anders als mich mit all dem Dreck der Menschen auseinanderzusetzen. Und John ... John muss stets wie unter Zwang nach Geld jagen. Nur spielt Geld in unserer Dimension überhaupt keine Rolle. Daher ist John ja auch gegangen.“ Silke starrte Jeff überrascht an.

„Was ist?“, fragte er genervt und zog eine Augenbraue hoch.

„Du kannst ja ganz normal reden, wenn du willst“, stellte sie verblüfft fest und hob beschwichtigend die Hand, weil er gleich wieder wütend wurde. „Danke! Das war eine wirklich gute Erklärung. Fürs Erste.“ Die schwarzen Augen des Zauberers wurden milder und Silke wandte sich Josh zu.

„Du verwandelst dich echt in einen Drachen? Einmal in der Woche?“, fragte sie, weil sie sich solch eine Verwandlung nicht vorstellen konnte. Josh schien das Thema unangenehm zu sein, doch er nickte.

„Einmal in der Woche muss es mindestens sein, aber ich kann mich so oft verwandeln wie ich will. Es ist nur ein wenig anstrengend.“

„Kann ich ... kann ich mir das mal ansehen?“, fragte Silke spontan, weil sie die Neugier gepackt und Drachen schon immer verehrt hatte. Doch der Vampir und der Zauberer sprangen zur gleichen Zeit aus ihren Stühlen und schrien wie aus einem Mund: „NEIN!!!!“ Silke zuckte erschrocken zusammen und sah die beiden an als wären sie jetzt vollkommen durchgedreht.

„Du musst wissen, dass ich als Drache nur noch Tier bin und ich ... fresse Fleisch“, erklärte Josh und wirkte dabei ein wenig geknickt oder eben verlegen.

„Oh!“ Silke verstand augenblicklich.

„Und wenn ich nicht fresse, dann vögle ich ziemlich wüst.“

„Doppel-Oh!“ Silke starrte ihn an, weil sie nichts Bösartiges in seinen Augen entdecken konnte, nur diesen ewigen Schalk. Jacks und Jeffs Augen hingegen schossen Blitze und schienen ihrem Bruder zu sagen: Denk nicht mal dran!

„Jetzt noch mal von vorne! Ihr drei sucht eine Ehefrau und habt mich zu dem Zweck entführt. Ist das soweit korrekt?“

„Jep.“ In dem Punkt waren sich die drei also einig. Dumm nur, dass Silke genau den Punkt nicht mochte.

„Der Vampir killt, der Drache killt und du ...“ Sie warf einen bitterbösen Blick auf Jeff. „... willst mich gerne verhauen. Also warum glaubt ihr Süßen, dass ich einen von euch nehmen werde?“ Sie guckte jedem einzelnen ins Gesicht und versuchte ein Lächeln, doch eigentlich war ihr nicht nach Freundlichkeit. Die Situation war verrückt und noch viel verrückter war, dass sie die drei Mistkerle mochte, obwohl sie brutal waren und sie zu einer Ehe zwingen wollten.

„Es ist so ...“ Zu Silkes Überraschung sprach nun der Vampir zum ersten Mal. Das tiefe Brummen seiner Stimme schlug prickelnde Wellen in ihren Bauch. Was wusste sie, warum sie auf den Bösartigsten von den Dreien so abfuhr. Vermutlich hatte er sie mit seiner Spucke regelrecht kontaminiert.

„..., wenn wir nicht innerhalb von einem Jahr verheiratet sind, werden wir diesen Fluch nie wieder los. Ich werde dann vollständig zum Vampir und zur tödlichen Kampfmaschine. Josh wird zum Drachen, der Menschen fressen wird und alles stiehlt, was man sich nur vorstellen kann und Jeff ... tja, der gute Jeff würde zum Schwarzmagier werden, sich durchaus noch dem Umweltthema annehmen, aber vermutlich irgendwann die Ursache des Übels bekämpfen. Sprich, die Menschheit ausradieren!“

„Aber, aber ...“ Silke musste Luft holen. Ihr war plötzlich schlecht geworden. „Aber ihr sagtet doch, ihr seid in einer anderen Dimension. Wieso ist es so schlimm hier ein Vampir, ein Drache oder ein Magier zu sein?“

„Gute Frage!“ Josh sah sie anerkennend mit seinen leuchtenden Augen an. „Nur wären wir dann nicht mehr hier, sondern dazu verdammt in deiner Welt all das Chaos anzurichten. Nur eine Gefährtin, eine Ehefrau kann diesen Prozess aufhalten. Du siehst also, wie wichtig es ist eine Frau wie dich zu finden.“

„Wie mich?“ Silke schluckte hart. „Aber wieso wie mich? Und was soll sich ändern, wenn mich einer von euch heiratet? Ich meine so ein Zeremoniell wird doch sowieso stets überbewertet.“ Die ganze Zeit hatte sie keine Angst verspürt, doch die Panik beim Gedanken an Heirat war nicht zu leugnen.

„Es ist Magie, Schätzchen. In der Theorie also nicht wirklich erklärbar. Diese Hochzeit verändert uns ebenso wie dich.“ Es war Jeff, der Zauberer, der die Antwort gab und in seinen schwarzen Augen nichts als die Wahrheit erkennen ließ.

„Was ändert sich denn für mich?“, fragte sie unschuldig, obwohl klar war, dass eine Heirat NATÜRLICH gewisse Veränderungen mit sich brachte.

„Du bist dann nicht nur an den Mann gebunden, sondern auch an deinen Feenanteil. Vermutlich kannst du die Dimension dann wählen, aber da bin ich mir nicht sicher. Kann schon sein, dass du sogar hierbleiben musst.“ Wieder war es Jeff, der antwortete. „Die Fee in dir ist übrigens das widerborstige, aufmüpfige Ding, das hier alles so cool meistert und ständig Sex haben möchte.“ Er grinste schäbig.

„Verdammt, ich möchte doch nicht ständig Sex haben! Ihr habt mir schließlich was gespritzt“, fuhr sie ihn an und hätte ihm am liebsten die Augen ausgekratzt, weil er sie ständig provozierte.

„Wir haben dir noch lange nicht alles gespritzt, was wir zu bieten haben, Baby“, konterte der Vampir schmutzig und Silke schnappte nach Luft. Der Kerl hatte sie ja wohl nicht mehr alle, ihr solch ein Bild ins Hirn zu stellen!

„Genug von euren Schweinereien! Ich werde keinen von euch heiraten. Punkt.“ Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, stand auf und ging im Gemeinschaftsraum auf und ab. Die drei Riesenkerle gingen ihr furchtbar auf die Nerven. Wieso sollte es sie interessieren, ob sie zu Bestien wurden oder nicht und warum, verflucht, konnten sie keine anderen Frauen finden?

„Du wirst! Ob du willst oder nicht“, knurrte der Vampir böse. „Wir werden um dich kämpfen und Gnade dir Gott, wenn du dann noch NEIN zu mir sagst.“ Seine Worte wunderten ihn selbst, denn eigentlich hatte er von einer Zwangsheirat nie viel gehalten.

Allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt, wo er ihr Blut gekostet hatte.


18.Kapitel

John klingelte das zweite Mal. Ein Blick auf seine teure Armbanduhr zeigte ihm, dass es kurz nach 23 Uhr war und er vermutlich alle Grenzen des guten Benehmens überschritt, wenn er so spät noch auftauchte. Vor allem hatte er keine Ahnung, was er Silke überhaupt sagen sollte. Sicherheitshalber klopfte er noch etwas lauter und wartete. Doch statt Silkes Tür wurde die am anderen Ende des Gangs geöffnet. Eine ältere Frau mit Lockenwickler in den Haaren lugte heraus. Zuerst war ihr Blick unfreundlich, doch als sie John genauer betrachtete, hoben sich ihre Mundwinkel. Schnell richtete sie ihren Morgenmantel und verfluchte sich vermutlich gerade für die hässlichen Wickler am Kopf.

„Oh, hallo! Die Nachbarin ist nicht da. Die Polizei war heute hier und hat Fragen gestellt. Scheinbar ist Frau Environ verschwunden.“ Johns Haltung versteifte sich.

„Verschwunden? Haben die Beamten denn Genaueres gesagt?“, fragte er eine Spur zu forsch, doch die Dame war sowieso mehr mit ihrem Morgenmantel beschäftig, als mit dem passenden Umgangston eines Fremden.

„Ich glaube sie haben von Entführung gesprochen“, antwortete sie und wagte nun doch einen Schritt weiter auf den Gang. Der Mann war zwar ein Riese, aber so attraktiv und gepflegt wie er aussah, konnte er kein Gangster sein. Das war sicher nicht die klügste Schlussfolgerung, aber auch nicht die dümmste. Auffällige Menschen eigneten sich nun einmal nicht für unauffällige Jobs.

„Entführung? Und ... ich meine, weiß die Polizei schon mehr?“

„Nein, aber womöglich diese Erika. Sie wissen schon, Silkes Freundin. Ihren Nachnamen weiß ich allerdings nicht.“

„Vielen Dank! Das war sehr nett von ihnen.“ John ging auf sie zu, reichte ihr die Hand und verabschiedete sich. Er wusste wie er auf Frauen wirkte und der leise Seufzer, den die Dame von sich gab, bestätigte ihm, dass sie heute schöne Dinge von ihm träumen würde. Er lächelte souverän, nickte ihr noch einmal zu und verließ das Haus. Auf der Straße klingelte bereits sein Telefon.

„Dennis, verflucht, wo bist du? Ich war gerade bei Silkes Wohnung und habe erfahren, dass sie entführt wurde!“ John ging die Straße entlang und klang so wütend, dass sich ein entgegenkommendes Pärchen erschrocken zu ihm umdrehte. Er dämpfte seine Stimme, doch in ihm brodelte es so derart, dass er Dennis am liebsten Auge in Auge gegenübergestanden hätte, um ihn zur Verantwortung zu ziehen. Schließlich war es seine Aufgabe, ihn stets auf dem Laufenden zu halten. Der beichtete ihm dann noch, dass er bereits von der Entführung wusste und John brüllte vor Wut in den Himmel. Bei allen Göttern!

„Du weißt davon? Verflucht, wieso hast du mich nicht informiert und wo zum Teufel steckst du überhaupt?“ John blieb stehen und hatte das Gefühl explodieren zu müssen. Sein ganzer Körper stand unter Strom und war seit der Information von Silkes Entführung auf Kampf eingestellt. In seinen Ohren rauschte es und sein Handy stand kurz davor zerquetscht zu werden. Mit einer Hand lehnte er sich an einen Laternenmast und schloss für einen Moment die Augen. Es brachte nichts, sich vor Wut selbst zu zerfleischen. Sein Kampfmodus war durchaus in Ordnung, doch die Stärke des Zorns musste er dämpfen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Bewusst atmete er ein und stieß die Luft extrem langsam wieder aus. Hatte Silkes Entführung etwas mit ihm zu tun? Wer hatte sie jetzt und wie ging es ihr? Dieses Unwissen um ihr Schicksal zerriss ihm regelrecht das Herz. Dabei hatte er diese Frau noch nicht einmal geküsst ... außer in Gedanken vielleicht. Noch ein tiefer Atemzug. Er musste endlich klar denken und überlegen, ob sein Erzfeind dahinterstecken konnte und warum. Der Zeitrahmen für eine derart durchtriebene Aktion war eigentlich zu kurz. Niemand konnte so schnell eine Entführung inszenieren, wenn er gerade mal dabei war die Fühler nach einer Frau auszustrecken.

John wollte noch nach der Adresse von Erikas Wohnung fragen, als etwas Hartes gegen seinen Schädel knallte. Sterne explodierten in seinem Kopf, das Handy flog davon und er ging mit einem leisen Ächzen zu Boden.

Dennis starrte das Handy an, als wäre gerade die Welt untergegangen. Erika war zwar sauer auf ihn, weil er sie in Sachen Gefühle und Liebe so plump vor den Kopf gestoßen hatte, doch sein verzweifelter Gesichtsausdruck, aktivierte dann doch ihre Anteilnahme. Egal, was für ein Arsch der Typ nach fantastischem Sex sein mochte, er brauchte Beistand.

„Was ist los?“

„Die Verbindung ist abgebrochen. Verdammt. Ich fürchte sie haben John.“

„Was heißt haben? Und von wem redest du überhaupt?“

„Silke wurde entführt und so wie es aussieht, wurde das gerade John ebenso. Die Geräusche waren eindeutig, mein Gefühl dazu ist es auch.“ Dennis biss die Zähne so fest zusammen, dass sein Kiefer extrem aus dem Gesicht heraustrat. Seine Augen waren dunkel und seine Hände zu Fäusten geballt. Ohne ein weiteres Wort ging er in die Hocke und zog sich seine Schuhe an. Erika berührte ihn vorsichtig an der Schulter.

„Kann ich irgendwie helfen?“ Sie war immer noch ein bisschen sauer, aber dennoch vollkommen erfüllt von diesem Mann. Außerdem erkannte sie, wenn jemand in Not war. Zuerst seufzte er nur leise, dann kam er wieder in die Höhe und sah Erika tief in die Augen.

„Du hast mir schon sehr geholfen, Erika! Und ich bin ein Idiot, wenn es um Gefühle geht. Aber jetzt kannst du eigentlich nichts für mich tun. Ich muss so rasch als möglich zu John. Er war vermutlich gerade bei Silkes Wohnung“

„Silkes Wohnung?“, fragte sie und konnte das warme Gefühl nicht verhindern, das seine Worte bei ihr auslösten. Immerhin wusste er, dass er sich wie ein Arsch benommen hatte. Dennis nickte.

„Wie weit ist die entfernt?“

„Mit dem Taxi fünfzehn Minuten, mit dem Mofa fünf.“

„Mofa?“ Er zog seine rechte Augenbraue überrascht in die Höhe. „Du fährst ein ... Mofa?“ Erikas Wangen färbten sich rosa. Für das alte Teil hatte sie sich immer schon geniert.

„Magst du schnell hin oder willst du Luxus?“, antwortete sie keck und er zog sie spontan in die Arme und küsste sie. Nicht lange, aber doch so ausgiebig, dass Erika schwummerig wurde.

„Jetzt aber los!“, keuchte sie und schnappte sich den Schlüssel fürs Mofa.

Sie fuhr und Dennis saß irgendwie hinter ihr. Vermutlich hatte gerade mal ein Drittel seines Hinterns auf der elend kleinen Sitzvorrichtung Platz, doch er beschwerte sich nicht. Helme gab es keine. Immerhin kamen sie voran und das trotz Übergewicht. Dennis hielt sich mit einer Hand fest und telefonierte die ganze Zeit. Immer wieder konnte sie den Namen Akim hören und kombinieren, dass er mit einem Sicherheitsberater sprach. Vor Silkes Wohnblock hielten sie an. Dennis stieg sofort ab und ging in die falsche Richtung.

„Warte! Silkes Wohnung ist in der anderen Richtung“, schrie sie, doch Dennis ließ sich nicht beirren.

„Ich habe sein Signal. Warte! Ja, genau. Verflucht! Sein Handy liegt dort drüben und hier ...“ Dennis ging an einer Stelle in die Hocke und Erika rannte zu ihm.

„Was ist? Hast du was gefunden?“

„Ja! Blut!“

„Blut? Mein Gott, was ist denn passiert?“

„Ich habe eine Art Peilsender auf meinem Handy, musste ihn nur von Akim aktivieren lassen. So habe ich Johns Handy gefunden und jetzt eben ... sein Blut. Verdammt! Wieso hat mein Boss nur gegen jede Regel verstoßen und ist alleine hierhergefahren? Das sieht ihm überhaupt nicht ähnlich!“ Dennis klang verzweifelt.

„Iiiih. Was ist denn das für Schlabber?“ Erika zog ihre Hand angewidert von der Laterne. Glibbrige grüne Masse glitzerte auf ihren Fingern. Angeekelt schüttelte sie das klebrige Zeug ab.

„Scheiße, Dämonen!“, zischte Dennis und sah sich den grünlichen Schnodder am Boden genauer an. „Das ist ja schlimmer als erwartet.“ Für einen Moment schloss er die Augen, dann hatte er sich wieder gefasst und tippte eine Kurznummer in sein Handy. Sein Blick war finster und als sich jemand meldete, sagte er nur zwei Worte: Code Dam. Dann legte er auf und atmete tief durch.

„Dämonen? Was bitte soll das jetzt wieder heißen?“ Erika wischte sich den Rest vom grünen Zeug mit einem Taschentuch ab und sah Dennis erwartungsvoll an. Der schien jedoch zu überlegen wie viel er ihr erzählen konnte, durfte oder wollte. Er hatte es offenbar nicht so mit „Vertrauen“, denn sein Gesicht zeigte plötzlich wieder genau den Ausdruck, den sie schon beim Thema „Gefühle“ gesehen hatte.

„Erika! Wenn du nicht willst, dass deine ganze Welt Kopf steht, dann geh jetzt nach Hause und warte lieber nicht darauf, dass ich dich noch mal anrufe.“ Sein Ton wirkte aufgesetzt und doch so schroff, dass Erika zuerst blass und dann rot wurde. Als hätte sie es gewusst! Dieser Mann konnte sie schier in den Wahnsinn treiben. Mal ließ er sie an sich ran, dann schubste er sie wieder kilometerweit fort oder gleich auf einen anderen Stern. Dieses Hin und Her machte sie stinksauer.

„Wie bitte, Arschloch? Du vögelst mich ganze drei Mal, ruinierst mein Vorzimmer, benutzt mein Mofa, hilfst mir nicht mit Silke und gibst mir jetzt dezent zu verstehen, dass ich nicht klammern soll? Weißt du was ... verpiss‘ dich doch einfach!“ Sie war so wütend, dass sie ihm am liebsten eine gescheuert hätte, letztendlich aber zu stolz dafür war. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und lief zurück zum Mofa. So elend wie sie sich gerade fühlte und bei den vielen Tränen, die ihr über die Wangen liefen, war sie eigentlich nicht in der Lage zu fahren. Doch um nichts in der Welt wollte sie hier noch länger stehen und seine Abfuhr kassieren. Sie musste so rasch als möglich weg. Weg von all den Entführungen, weg von Dennis und weg von den Enttäuschungen, die ihr das Herz brechen konnten. Sie schwang sich auf das Mofa und wollte gerade starten, als Dennis plötzlich neben ihr stand und den Schlüssel abzog. Offenbar war ihm ihr Ausbruch näher gegangen als sie erwartet hatte. Zumindest sah er aus, als wäre er verzweifelt.

„Verdammt“, brüllte sie und schlug nach ihm. „Gib mir sofort den Schlüssel!“ Sie war außer sich, schwang sich wieder vom Mofa herunter und ging auf ihn los, als ginge es um ihr Leben. Sie trat, biss und schlug, doch Dennis war dem Anfall gewachsen, konnte sie in eine Umarmung ziehen und festhalten.

„Sch, sch. Ist ja gut. Es ... tut mir leid. Ich bin momentan nicht ich selbst. Ich ... Herrgott, Erika! Es tut mir wirklich leid, okay?“ Er hielt sie immer noch fest, versuchte ihr aber dabei in die Augen zu sehen. Schöne dunkelbraune Augen blitzten ihm von der Frau entgegen, mit einer Angst und Enttäuschung darin, die ihm das Herz zuschnürte.

„Es ist nur ... ich komme aus einem Land, wo alles ein bisschen anders läuft.“ Erika schniefte und wischte sich die Tränen fort.

„Ach, so anders ist Amerika nun auch wieder nicht“, versuchte sie zu protestieren, doch sein Blick blieb unergründlich und sein Mund war zu einem schmalen Strich zusammengekniffen.

„Erika ich komme nicht aus Amerika. Ich komme aus einer anderen Dimension.“ Er machte eine Pause und ließ die Aussage wirken. Erika kniff die Augen zusammen, schien aber nicht zu begreifen, was er da von sich gab. Dennis atmete tief durch, dann begann er von Neuem.

„John Baxter wurde tatsächlich von Dämonen entführt. Richtigen, leibhaftigen Dämonen. Den skrupellosesten Wesen, die du dir vorstellen kannst. Das grüne Zeug war übrigens Spucke. Sie sabbern gerne, wenn sie etwas tun, was ihnen Spaß macht.“ Er hielt sie immer noch fest und das war gut so, denn sonst wäre sie wohl so schnell fortgelaufen wie möglich. Sie hatte ja nicht ahnen können, dass dieser Traumtyp verrückt war. Irgendwo musste offenbar immer ein Haken sein, wenn man mal etwas wirklich Tolles erlebte. Vorsichtig versuchte sie sich mit ihren Händen von seinem Brustkorb fortzudrücken. Er bemerkte es und hielt sie weiter fest.

„Hör zu! Das ist alles ein bisschen viel und es klingt fantastisch ...“, beschwichtigte er.

„Nein, Dennis! Der Sex war fantastisch, das hier ist nur verrückt“, korrigierte sie ihn und versuchte sich weiter aus seiner Umarmung zu befreien. Sein Griff wurde dadurch immer fester, sein Blick eindringlicher.

„Ich weiß, dass das schwer zu glauben ist, aber du bedeutest mir etwas und ich möchte dir nichts vormachen. Ich sehe auch gar keine Möglichkeit mehr, dir die Wahrheit vorzuenthalten, denn dafür steckst du schon viel zu sehr mit drinnen.“ Er sah ihr so eindringlich in die Augen, dass sie gar nicht anders konnte, als in dem schönen Rotbraun seiner Iris zu versinken.

„Verstehst du?“, hakte er nach. „Ich wollte dir die Chance geben, all das nicht zu hören, die Möglichkeit bieten, abzuhauen. Normalität ist das Um und Auf in Eurem Leben. Aber das kannst du jetzt vergessen! Nicht nachdem ich ...“ Er sprach nicht weiter, sondern zog sie noch fester in seine Umarmung. Dennis war nicht gewohnt über Gefühle zu sprechen. Noch dazu, wo sie jung und frisch waren. Stattdessen ließ er seine Lippen auf andere Art sprechen und presste sie leidenschaftlich auf ihren Mund. Zuerst verweigerte Erika sich und wollte protestieren, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Irgendwann küsste sie ihn zurück und tauchte erneut ein in diese verrückte Welt von Dennis Williams, wo sie nicht mehr wusste, wo sie aufhörte und er anfing. Sie stöhnte in seinen Mund hinein und gab jede Hoffnung auf, diesen Mann jemals gehen lassen zu können. Sie wollte ihn und es war ihr egal, ob er gelegentlich verrückt war. Der Kuss dauerte endlos lange und als er sie doch noch freigab, sah sie ihn atemlos an.

„Das ... ist wahrlich ein sehr überzeugendes Argument“, keuchte sie und wollte noch etwas erwidern, vielleicht ihre Zuneigung unterstreichen oder auf seinen kleinen Wahnsinn eingehen, ... aber dazu kam sie nicht mehr, denn unmittelbar vor ihr explodierte schlicht die Luft. Eine heftige Druckwelle erfasste beide und schleuderte sie wie Pappfiguren zu Boden. Dennis schlang instinktiv seine Arme um Erika und milderte die Heftigkeit ihres Sturzes. Dennoch war die Explosion so stark, dass Erika benommen war und kurz verschwommen sah.

Sie blinzelte, starrte an den starken Armen ihres Beschützers vorbei und sah geradewegs in gelbe Augen mit amphibischen Schlitzen. Der Dämon hatte schwarzrote Haut, lange Zähne und sandte einen leicht fauligen Geruch aus. Erika quietschte als hätte ihr letztes Stündlein geschlagen. Hysterisch drückte sie ihr Gesicht an Dennis Brust und versuchte nicht vor lauter Panik hinein zu beißen. Der blieb übrigens überraschend cool, beruhigte Erika sanft und setzte sich auf.

„Sch, sch. Das ist nur mein Bruder. Keine Sorge. Er tut dir nichts.“ Erika gab nur einen komischen Laut von sich und weigerte sich die Augen aufzumachen oder ihr Gesicht von seinem breiten Brustkorb zu heben. Dennis blieb nichts über, als mit ihr gemeinsam aufzustehen.

„Darf ich vorstellen ...“, begann er und drehte Erika langsam zu dem Dämon herum. „Das ist Eron, mein dämonischer Bruder.“ Erika aber wollte die Augen immer noch nicht öffnen. Also kam der Dämon näher und machte vor ihrem Gesicht ein leises „Buh“. Woraufhin sie wieder quiekte und sich an Dennis schmiegte. Der sah seinen Bruder an, als würde er ihm jeden Moment den Hals umdrehen. Doch der Dämon grinste nur und zuckte mit den Schultern.

„Mach, dass er fortgeht! Bitte!“ Erika zitterte am ganzen Leib und hatte solche Angst, dass sie kaum atmen konnte.

„Da siehst du was du angerichtet hast! Du bist wieder mal viel zu knapp gelandet, du Genie. Das nächste Mal detonierst du gleich auf meinem Arsch oder wie?“ Dennis war ziemlich sauer.

„T‘schuldigung, hab ein paar Bierchen zu viel.“ Der Dämon rülpste und Erika sah sich nun doch nach ihm um. Das Geplänkel zwischen ihm und Dennis klang viel zu normal für eine Erscheinung aus der Hölle. Doch der Anblick war wieder ein Schock! Knorpelige Haut am Kopf, keine Haare. Durchdringende gelbe Augen und eine Hakennase. Hätte er nicht versucht zu lächeln, hätte sie ihre Augen gleich wieder geschlossen. Der Typ war der Albtraum schlechthin, das unbeliebte Teil aus dem Gruselkabinett, die rotschwarze Horrorfratze aus Star Wars. Und er trug ganz offensichtlich keine Maske!

„Das sieht man! Wie wäre es jetzt mit dem Tarnmodus, du Depp?“ Dennis war immer noch wütend. Der andere rülpste schon wieder und Dennis wurde richtig laut. „Mach schon! Hier kann jederzeit ein Mensch kommen.“

„Hallo-o und was bin ich?“, fragte Erika und hätte wohl alles Mögliche fragen können oder auch sollen, aber sie fühlte sich ignoriert und das ging gar nicht. Ihren ersten Schreck über grässliche Verwandtschaft hatte sie zwar kurz auf Eis gelegt, aber die Details an dem Typen waren schon extrem gruselig.

„Du bist mein Weib“, antwortete Dennis wie aus der Pistole geschossen und dem Dämon fielen fast die amphibischen Schlitze aus seinen gelben Augäpfeln.

„Dein Weib? Seit wann darfst du dich während eines Auftrages paaren? Oder ist es nur Sex? Dann kannst du ja mit mir teilen, oder?“ Der Dämon kam eine Spur näher und begann zu schnuppern. Erika quiekte gleich wieder und Dennis schubste den rotschwarzen Freak nach hinten. „Los tarne dich, oder ich schwöre dir, deine Nase bekommt einen neuen Höcker.“

„Schon gut, schon gut“, beschwichtigte der Dämon.

„Dein Weib?“, wisperte Erika und strahlte Dennis an, als wäre er ein Held oder zumindest endlich zur Besinnung gekommen. Er mochte ja sonst nicht gut mit Worten sein, aber diese archaische Beschreibung gefiel ihr. Dennis aber blieb stumm, sah sie noch nicht einmal an. Der Dämon verwandelte sich inzwischen in einen ... anderen Dämon. Aufs Erste mochte er jetzt wie ein Mensch aussehen, aber die Augen hatten weiterhin amphibische Schlitze. Er war jetzt nicht unbedingt hässlich, aber so groß und kantig, dass er wie ein glatzköpfiger Schlägertyp der übelsten Sorte aussah.

Für Erika war das freilich alles ein wenig viel. Silke und John Baxter waren verschwunden, Dennis war der beste Liebhaber der Welt und manchmal ein Arsch und dann war da noch die Geschichte mit den Dämonen. Und sie hatte immerhin mit eigenen Augen gesehen, wie dieser eine Dämon hier einfach aufgetaucht war und sich in einen menschlichen Glatzkopf verwandelt hatte.


19.Kapitel

„Ich verlange, dass ihr John auch hierherholt!“ Es war das Einzige was Silke einfiel. Wenn es um den Fluch der Condatis ging, dann waren ja wohl alle vier Brüder betroffen und wenn sie John mit ins Boot holte, hatte sie noch etwas Zeit zu überlegen, einen Fluchtplan zu schmieden oder, wenn es gar nicht anders ging, sich Gedanken darüber zu machen, wer von den Vieren am ehesten zu ihr passen würde. Einen normalen Menschen dabeizuhaben konnte nur hilfreich sein, wobei ein Multimillionär ja nicht gerade als normal zu bezeichnen war. Außerdem war da noch Jeffs Bemerkung, dass sie dann an diese Dimension gebunden sein könnte und der göttliche Condatis-Anteil von den Brüdern war vermutlich auch nicht gerade zu unterschätzen. Kriegsgötter ließen sich wohl nicht wirklich zähmen und Krieg an sich war sowieso nicht ihr Ding!

„Der Arsch weiß doch nichts mehr von uns“, knurrte Jack und nahm eine abwehrende Haltung ein. Der Vampir hatte offensichtlich eine gehörige Wut auf seinen Bruder. Seine Augen schossen Funken und seine Hände waren zu Fäusten geballt. Silke aber ließ sich nicht beirren. John musste unbedingt seinen Platz hier einnehmen. Das war ihr mit einem Mal klargeworden. Dazu hatte sie ein deutliches Bild vor Augen: Alle vier Brüder mussten sich an den Händen nehmen und in einem Viereck um sie herum aufstellen. Sie war das Zentrum, und jeder von ihnen in einer Himmelsrichtung positioniert. Wer genau wo hingehörte, wusste sie noch nicht, ahnte es aber vielleicht bei John. Wirklich sicher konnte sie vermutlich erst sein, wenn er hier war, doch spontan hätte sie ihn in den Süden verfrachtet, für das Element Feuer. Es war Instinkt, vielleicht auch das Wissen ihres Feen-Anteils, denn sie sah es wie eine Vision vor sich. Es war das Bild der Ordnung, ein Ritual oder vielleicht sogar Magie. Je länger sie das Bild visualisierte, desto stärker wusste sie, dass genau diese Formation alles ins Reine bringen würde.

Silke erzitterte. Visionen waren ihr bisher fremd gewesen. Doch alleine die Vorstellung von einem Ritual, wo sie in allen Himmelsrichtungen von diesen starken, eigentümlichen Männern geschützt und gestärkt wurde, war so berauschend, dass sie sich automatisch energetisch auflud. Mit aller Kraft drückte sie das heftige Aufwallen sexueller Erregung und ihr Begehren nieder, aber der Vampir hatte die Schwingung sofort bemerkt, knurrte tief und schickte zusätzliche, erotische Vibrationen in ihren Unterleib. Silke mahnte sich zur Ruhe und atmete tief durch. Sie konzentrierte sich auf ... John! Es ging schließlich um ihn und ihren Wunsch, ihn dabei zu haben. Sie durfte sich von der ständig erotischen Verlockung hier nicht irritieren lassen. Sicherheitshalber blickte sie nicht zu Jack hinüber, denn ein Blick in seine brummigen Augen hätte ihr wohl den Rest gegeben.

Verdammte Spucke, fluchte sie im Stillen. Das klang zwar besser als verdammte Kacke, aber sie hatte trotzdem Mühe ihre Erregung zu dämpfen. Langsam und sehr konzentriert begann sie zu reden.

„Was passiert eigentlich, wenn John keine Frau findet?“, fragte sie Jeff, der ihr immer am distanziertesten erschien, bis auf die Tatsache, dass er im Sparring einen Quickie einfordern wollte.

„Das ist recht witzig. Der Abtrünnige wäre dann dazu verdammt, in unserer Dimension zu leben. Ironie des Schicksals oder so.“

„Aber er würde eure Welt nicht zerstören, so wie ihr unsere, stimmt’s?“ Silke konnte sich nicht vorstellen, dass ein Mensch hier in der Lage wäre eine ähnliche Apokalypse einzuläuten, wie ein Drache, ein Vampir oder ein Schwarzmagier in ihrer Welt.

„Nicht ganz!“ Josh mischte sich ein und seine Brüder sahen ihn verwundert an. Offenbar wussten sie nichts von einer eventuellen Nebenwirkung. Männer! Vermutlich hatten sie bisher noch nicht einmal richtig darüber gesprochen. „John ist der Geldscheffler. Diesen Urtrieb muss er befriedigen. Nur, hier hat Geld eben keine Bedeutung. Also würde er sich mit der Zeit um einen Ersatz kümmern. Und das betrifft dann wohl das, was hier wirklich zählt.“

„Und das wäre?“ Silke und Jeff fragten zur gleichen Zeit und der Vampir knurrte unwillig. Silke deutete es als Eifersucht.

„Na, was wohl? Was ist hier mehr wert, als alles andere? Gut, ich bin ein Dieb und habe einen anderen Zugang dazu, aber ein bisschen müsst ihr euch schon anstrengen! Ihr kommt sicher drauf.“ Josh lachte und zeigte eine Reihe perfekt weißer Zähne. Der Drachenmann war wohl meist gut gelaunt und nahm alles nicht so ernst wie die anderen.

„Göttlichkeit“, zischte Jack und seine Augen flackerten vor Wut. Die Kraft, die er damit aussandte, hätte jeden Gegner bereits vor einem Kampf in die Flucht geschlagen, denn sie ließ erahnen, welche Bestie in ihm steckte. „Der Hundling würde sich jedes Quäntchen Göttlichkeit aneignen und irgendwann selbst zum Gott werden.“ Für Jack war die Sache plötzlich klar und für Silke war es ein Fakt, dass seine wütende Kraft ihr nichts anhaben konnte. Mit seiner Schlussfolgerung hatte er vermutlich recht, aber in dem Moment war für sie wichtiger, den Grund zu erkennen, warum ihr Jacks Wut nichts anhaben konnte: Sie war einfach keine Gegnerin, sondern auf seiner Seite!

„Allerdings mit den Grundgenen von Condatis und das bedeutet es würde einen zweiten Kriegsgott geben, was wiederum bedeutet ...“ Es war der Zauberer, der die Schlussfolgerung von Jack ergänzte, aber es war Silke, die mit einem einzigen, finalen Wort alles erklärte.

„Krieg!“ Sie schüttelte sich und versuchte die Gänsehaut auf ihren Unterarmen abzurubbeln. „Krieg der Superlative!“ Silke fiel es wie Schuppen von den Augen und instinktiv holte sie sich das Bild der Ordnung wieder in ihren Geist, um sich zu beruhigen. Jeff, der Zauberer, bemerkte es. Magische Schwingungen waren schließlich sein Ding.

„Was machst du da?“ Er schnupperte sogar in der Luft und versuchte mit seinen magischen Antennen in sie zu dringen. Auch der Drache war interessiert und wandte sich ihr zu. Lediglich der Vampir verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. Hauptsache weit weg von dem Weibsstück schien seine Körpersprache zu sagen. Und selbst das leuchtete Silke allmählich ein, denn er war es nicht gewöhnt, keine Angst zu verbreiten.

„Ich hatte vorhin eine Vision von einem total interessanten Bild, vielleicht sogar einem Ritual.“

„Heiliger Condatis“, rief Jeff und sah sie überrascht an. „Du hast deinen Feenanteil aktiviert!“

„Vielleicht. Ich weiß es nicht, aber es spürt sich total stimmig und richtig an.“

„Für uns auch Baby, für uns auch! Denn diesen Anteil kannst du nur aktivieren, wenn du uns magst. Mehr als magst sogar.“ Jeff lachte vulgär und Silke verdrehte die Augen, erklärte aber trotzdem in kurzen, prägnanten Sätzen, was sie gesehen hatte und welche Ordnung und Hoffnung dieses Bild vermittelt hatte. Die drei schienen zu verstehen. Vielmehr noch schien ihnen endlich ein Licht aufzugehen. Der Vampir löste seine Arme aus der Verschränkung und beugte sich interessiert vor, Jeff ergriff ihre rechte Hand und Josh ihre linke.

„Das ist es!“, sagten sie alle drei zur gleichen Zeit und rückten automatisch mit ihrem intensiven Wesen näher an Silke. Es war somit in erster Linie eine innere Zuwendung, lediglich Josh und Jeff drückten zusätzlich noch sanft ihre Hände. Der Vampir berührte sie zwar nicht, war aber genauso nahe wie seine Brüder. Silke fühlte ihre Kraft in sich strömen und konnte vor Glück kaum atmen. Erregung durchflutete sie, aber der eigentliche Energiefluss war so viel mehr als nur Lust, war wie Familie hoch zehn, reine Liebe oder ... göttliche Verbundenheit. Silke musste die Augen schließen, um nicht laut zu stöhnen und, um die Kraft des

Gefühls überhaupt ertragen zu können. Es war ein schier unendlicher Energiestrom, der ihr ganzes Wesen durchflutete und sie vollkommen erfüllte. Als auch sie dann ihre Kraft zur Gänze öffnete und den Energiefluss mit ihrer Magie bereicherte, ging ein Raunen durch die Runde. Die Ergriffenheit jedes Einzelnen war deutlich zu spüren, ihre verhaltenen Geräusche eine Folge des Rausches, den sie alle erlebten. Es wurde zu einem elementaren Akt von Geben und Nehmen. Gleißendes Licht erhellte ihre Körper, den gesamten Raum und vermutlich sogar noch den Rest des Hauses. Die Kraft die hier zusammengeführt wurde war so anziehend, dass auch Jack endlich nach Silke griff und den Kontakt intensivierte. Sein Mehr an Magie brachte das Kraftfeld schlagartig zum Pulsieren und Anschwellen. Das Stöhnen jedes Einzelnen war nicht mehr zu überhören, die Steigerung beinahe unerträglich und führte dennoch weiter und immer weiter. Das Licht wurde intensiver, die Schwingung schneller. Silke krallte sich an den Männern fest, keuchte vor Lust und erlöste sie letztendlich alle mit einem fulminanten, spirituellen Höhepunkt. Wie eine Bombe puren Glücks explodierte die Kraft zwischen ihnen und fuhr durch ihre Körper, erhellte ihre Seelen und befruchtete ihren Geist auf eine Weise, die wahrer Erkenntnis gleichkam. Es war etwas völlig Neues und Ungewohntes und so schön, dass sie alle vier nicht sprechen konnten, sich aber mit ganzer Ehrfurcht und Staunen dem Moment hingaben.

Erst nach Minuten verebbte die Kraft allmählich und Silke öffnete langsam ihre Augen. Restfetzen des Höhepunkts flackerten noch durch ihr Wesen, wiegten sie in Glückseligkeit und Harmonie. Doch das erste Sehen war ein richtiger Schock. Vor ihr saß Jack mit leeren Augen und ausgefahrenen Reißzähnen, links von ihr hockte ein Drache, der kaum in den Raum passte und rechts von ihr starrten sie teuflisch schwarze Augen an. Silkes Knie begannen selbst im Sitzen zu schlottern und sie löste sich aus der Berührung der drei Brüder.

„Ich ... brauche etwas Luft“, keuchte sie und versuchte aufzustehen. Doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Auch die drei Männer schienen vollkommen erledigt zu sein. Was hieß Männer! Da waren nur noch ein Vampir, ein Drache und ein Schwarzmagier. Silke zitterte am ganzen Leib und war so mit ihrem Körper beschäftigt, dass sie erst mit der Zeit bemerkte, wie sich die drei allmählich wieder zurückverwandelten. Langsam und mit einem Glimmen in den Augen, das Faszination und Bewunderung zeigte. Sie strahlten Silke offen an und schienen erstmals richtig zu begreifen, was für ein Wesen sie war.

Jeff fand als erster Worte.

„Bei allen heiligen Arschlöchern ...“, keuchte er und starrte Silke weiter an, als wäre sie geradewegs vom Himmel gefallen oder von der Hölle emporgestiegen. Gut, er schaffte nicht gerade die philosophisch wertvolle Abhandlung, aber er hatte immerhin den Mund aufgebracht. Josh hingegen begann heiser zu lachen. Die Rückverwandlung hatte dem Drachen ganz schön zugesetzt und es war ersichtlich, dass der Akt mit vielen Schmerzen verbunden sein musste, doch nun, als Mann, konnte Silke bereits wieder den üblichen Schalk in seinen Augen erkennen.

„Verdammt. In der Theorie klingt es immer viel harmloser. Kein Wunder, dass wir ohne Fee noch nicht mal auf die Idee gekommen sind, ein Ritual abzuhandeln. Das wäre ja so gewesen, als wenn der Herzlose von der Liebe gesprochen hätte! Bei allen Göttern. Wir brauchen tatsächlich auch John. Keine Frage!“ Seine grünblauen Augen leuchteten noch viel heller als sonst. Der Vampir hingegen nickte und wirkte, als würde seine ganze Welt plötzlich Kopf stehen. Fassungslos begann er mit seinem Kommentar.

„Mann, das war besser als ...“

„Sex“, ergänzte der Magier, der aussah als könnte er das Ereignis immer noch nicht fassen. Josh wurde daraufhin plötzlich blass.

„Heißt das etwa, dass ich mit euch zwei Säcken gerade Sex hatte?“, fragte der Drachenmann und sah dabei so indigniert aus der Wäsche, dass Silke laut lachen musste. Sie wusste selber nicht, was hier gerade passiert war, aber es musste viel mehr sein als nur Sex. Der Vampir lachte leise und Silke starrte ihn fasziniert an. Der Mann war hinreißend, wenn er entspannt war. Genau so ein Lächeln hatte sie in seinem Gesicht von Anfang an sehen wollen.

Er bemerkte ihre Faszination sofort.

„Vorsicht Süße, sonst frage ich gar nicht mehr, schnappe dich und schleife dich vor Condatis, damit er die Ehe schließt!“ Jack sah sie dabei so eindringlich an, dass sie ganz kribbelig wurde. Ganz offensichtlich hatte er die Kraft und die Macht sie und seine Brüder zu übergehen. Dennoch drohte er es lediglich an. Sein Blick aber sagte, dass er noch nie etwas so sehr gewollt hatte. Silkes Innereien fingen förmlich an zu kochen und das heftige Ziehen in ihrem Unterleib war unangebracht, aber nicht zu leugnen.

„Moment!“ Es war Josh, der dem intensiven Blickkontakt zwischen Jack und Silke Einhalt gebot. „Da haben wir alle mitzureden!“ Jacks Augen verdunkelten sich und seine Reißzähne fuhren aus.

„Jack! Keep cool! Josh hat Recht”, forderte Jeff und knallte seine Handfläche auf den Tisch, um den Vampir abzulenken. Silke bemerkte die veränderte Stimmung zwischen den Männern und ahnte, dass sie begonnen hatten ihr Revier abzustecken. Die Vereinigung war zwar der richtige Weg, das wusste sie jetzt mehr denn je, aber sie war nicht vollständig oder nur ein Anfang, denn die drei hatten noch immer nicht kapiert, dass ein Buhlen um sie keinen Sinn machte. Der Richtige würde sich erst durch das vollständige Ritual herauskristallisieren und dazu brauchten sie John.

Immerhin hatte ihr der Vorgeschmack dieser spirituellen Vereinigung gezeigt, dass sie gar nicht mehr fliehen wollte. Von Liebe konnte noch keine Rede sein, aber sie wusste, dass sie hier die Chance hatte, genau das zu finden, was sie tief in ihrem Herzen immer gewollt hatte. Silke strich jedem Einzelnen sanft über die Hände und beruhigte sie. Die Männer goutierten das mit einem sehr zufriedenen Brummen.

„Wir brauchen John! Sonst hat das alles keinen Sinn!“


20.Kapitel

John erwachte in absoluter Dunkelheit und mit höllischen Kopfschmerzen. Sein Körper zitterte, ließ sich aber nicht kontrolliert bewegen. Nicht einmal einen Finger konnte er heben. Als wäre er gelähmt, sediert worden oder zu straff gefesselt.

„Endlich bist du munter“, höhnte eine dunkle, unheilvolle Frauenstimme. Sein Atem ging schneller, doch sein Brustkorb hob und senkte sich nicht. Als wäre alles an ihm aus Stein. Selbst das Zittern kam von innen und ließ den Körper dennoch unbeweglich. Rotes Licht wurde aktiviert. Gerade mal so viel, dass John ein paar Konturen erkennen konnte. Mit dem Licht begann auch sein Körper wieder lebendiger zu werden, als hätte es die Macht seine Lähmung zu vertreiben. Anfangs konnte er ein paar Finger heben, dann den Kopf nach rechts und links drehen. So erkannte er allmählich, dass er nackt und mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf einem Metalltisch mit Rinne festgeschnallt war.

Pathologie mit Horrortendenz.

„So, jetzt wollen wir einmal feststellen, ob du tatsächlich der Condatis-Bastard bist.“ Ein Kopf schob sich in sein Blickfeld und ließ ihm die Haare zu Berge stehen. Er war nicht leicht in Angst und Schrecken zu versetzen, doch diese Frau hatte die grässlichste Fratze, die er je gesehen hatte. Zu allem Übel kam ihm die Stimme bekannt vor und zwar aus seinen Albträumen.

„Wer ... wo ...?“ Er krächzte bis seine Stimme brach. Was auch immer dieses Wesen mit ihm gemacht oder ihm gegeben hatte, schien seine Stimme ganz besonders zu lähmen.

„Was du hier sollst?“, fragte sie süffisant und kam mit ihrem wulstigen Gesicht näher. Ihre Haut sah wie eine Mischung aus Baumrinde und Schlamm aus. Ihr Geruch kam letzterem näher. John musste würgen und die Dämonin züngelte mit einer langen, schwarzen Zunge über seine rechte Wange. Ihr Speichel brannte wie Feuer auf seiner Haut.

„Mein schöner Halbgott ... oder Viertelgott ... oder noch weniger.“ Sie lachte betörend und strich mit schuppigen Händen über seinen nackten Oberkörper. Wenigstens brannte ihre Haut nicht wie ihre Zunge, obgleich sie rau war wie Schleifpapier. Er atmete schneller und sie ließ es sich nicht nehmen jede Stelle seines Körpers zu erkunden.

„Ihr Menschen seid schon sehr interessant für Unsereins, wenn auch ein wenig zerbrechlich. Am meisten liebe ich eure weiche Haut und die festen Muskeln darunter. Du bist sogar ein richtiges Prachtexemplar. Groß, gut gebaut, stark. Zu schade, dass du nicht für mein Vergnügen hier bist.“

„Was ... willst du?“ Seine Stimme hing immer noch an einem seidenen Faden. Ein paar Worte mehr und er hatte das Gefühl, sie für immer zu verlieren. Dieses Monster war gerade mit der Erkundung seines Bauches fertig und scheute sich nicht seinen Schwanz in die Hand zu nehmen und zu bearbeiten. Seine Arme spannten sich an, seine Beine ebenso. Sie ging nicht gerade zimperlich vor und sein Organ reagierte, obwohl es nicht angenehm war. John biss die Zähne zusammen und hoffte inbrünstig, dass sie nicht ihre Zunge verwenden würde.

„Keine Angst, Süßer. Ich werde dir nichts tun. Noch nicht. Zuerst muss ich ja noch herauskriegen was du weißt. Deine Stimme mag im Eimer sein, aber dein Kopf lässt sich sicher bewegen. Also antwortest du mit einem Nicken oder einem Kopfschütteln. Klar? Wenn du nämlich nicht antwortest, wird das jedes Mal Konsequenzen haben.“ John nickte. Er verstand nur zu gut. Nur nicht, warum sie immer noch seinen Penis rieb. Für eine Dämonin – und sie war ganz klar eine – ging sie vermutlich recht behutsam mit ihm um. Offenbar hatte sie ziemliches Interesse daran, wie groß seine Männlichkeit werden konnte. Nach ein paar Minuten ließ sie ihn endlich los, grinste zufrieden und kam wieder zu seinem Kopf.

„Ich würde dich gerne küssen, mein Süßer, aber ich fürchte, das würdest du nicht überleben.“ Ihre Augen blitzten gelblich und John fragte sich, wie sie wohl bei normalem Licht aussehen würde.

„Und jetzt sag mir, ob dein Vater Condatis ist!“ Johns Augen wurden wieder groß, denn er hatte keine Ahnung wer sein Vater war. Er zuckte mit den Schultern so gut das mit seinen Fesseln eben ging, denn ein Zeichen für „weiß nicht“ hatte sie ihm nicht gesagt.

„Falsche Antwort!“ Sie zischte und zog ihm einen ihrer krallenhaften Nägel fest über den linken Brustmuskel. John sog scharf Luft ein und biss die Zähne zusammen. Der Schnitt brannte wie Feuer und sein Blut quoll ungewöhnlich stark aus der Wunde. Was der Dämonin jedoch nur ein lüsternes Lachen entlockte.

„Hm. Vielleicht sollte ich mir etwas Neues einfallen lassen. Mein Bruder hat mir schon gesagt, dass Menschen ziemlich dumm sind und selbst Halbgötter ihr Wissen verlieren, wenn sie zulange bei den Menschen leben.“

„Ich ... bin John Baxter. Weiß nicht ... wovon ...“ Er hustete und hatte das Gefühl, seine Stimmbänder würden jeden Moment reißen.

„Pssst, John Baxter, sonst kannst du nie wieder einen Ton von dir geben und ich möchte dich doch noch schreien hören, mein Großer!“


21.Kapitel

Sie fuhren mit einem Taxi zurück zu Erikas Wohnung. Erst als die Tür verschlossen war und niemand mehr lauschen konnte, begann der Glatzkopf zu erzählen.

„Ich konnte seine Spur aufnehmen, aber nicht bis zum Schluss verfolgen. Ein Kraftfeld schirmt ihn offenbar ab. Aber er ist ganz klar Gefangener von Andras und seiner Schwester. Die Zeit scheint also zu drängen.“ Dennis fluchte laut und Erika wandte sich Eron zu.

„Wer ist Andras?“

„Ein Dämon der Zwietracht. Sein neuester Tick scheint zu sein ein paar Anderswesen auf die Menschheit loszulassen und sich einen Spaß daraus zu machen. Oder aber er plant etwas ganz Neues. Vielleicht mit allen Condatis-Brüdern?“

„Aber was hat das mit John Baxter zu tun?“, fragte Erika verstört. Dennis antwortete ihr.

„John ist einer von ihnen. Genauer gesagt: Er ist einer von vier Söhnen des keltischen Kriegsgottes Condatis.“ Erika wurde blass und musste sich setzen. Deshalb also Condatis Concern! Und was hatte Dennis vorher auf der Straße noch von Eron, dem Glatzkopf gesagt? Der dämonische Typ war sein Bruder? Aber wer oder was – zur Hölle – war dann Dennis? Ein verwunschener Prinz der zum Frosch wurde? Verwirrt saß sie auf ihrem Stuhl und raufte sich die Haare. In ihrem Kopf summte es permanent und sie zweifelte ernsthaft an ihrem gesunden Menschenverstand. Dennis konnte sich ein mitleidiges Lächeln nicht verkneifen und setzte sich neben sie.

„Ich habe dich gewarnt, Süße. Deine Welt wird Kopf stehen.“ Er nahm ihre Hand in seine und blickte ihr tief in die Augen. „Ich wollte dich zuerst raushalten, doch dieser Gedanke hatte keinen Bestand. Sorry, aber manchmal bin ich ein Egoist.“ Der Glatzkopf gab ein zustimmendes Geräusch von sich und machte sich an Erikas Eiskasten zu schaffen. Mit ruppigen Bewegungen durchstöberte er die einzelnen Fächer, schnappte sich drei Dosen Bier und kam damit zu den beiden zurück. Mit einem Lachen knallte er die Dosen auf den Tisch und setzte sich Erika gegenüber, um sie mit seinen unheimlichen Augen zu fixieren.

„Süß“, meinte er anerkennend, griff nach einer der Dosen und öffnete sie. Erika schüttelte den Kopf, als könnte sie nicht glauben, dass dieses Wesen überhaupt existierte und dann noch ihr Bier schlürfte. Die Augen von Eron waren aber auch krass und irgendwie außerirdisch. Schnell wandte sie sich an Dennis.

„Aber, warum entführen Dämonen einen Halbgott?“ Sie war ziemlich stolz, bei all den verrückten Neuerungen, wenigstens den wichtigen Teil des Inhaltes kapiert zu haben. „Und wer zum Teufel bist du, wenn dein Bruder ein ...“ Sie guckte zu Eron hinüber und sprach leiser. „... ein Bier schlürfender Dämon mit Schlangenaugen ist.“ Der hob daraufhin seine Bierdose in die Höhe und prostete ihr zu. Erika versuchte freundliche Miene zu machen, aber sie war viel zu durcheinander.

Wenigstens blieb Dennis ernst.

„Ich bin ein Wächter. Sohn von Heimdall, dem Wächter der Götter.“ Er löste seine Hand kurz von ihrer und griff ebenfalls zu einer Bierdose. Mit einem zischen öffnete er sie und reichte sie Erika. Offenbar glaubte er, dass sie das jetzt gebrauchen konnte. Sohn von Heimdall? Von dem hatte Erika noch nie gehört.

„Das ist wirklich viel auf einmal“, seufzte sie, griff nach der Dose und starrte Dennis an, als wäre er ein Alien. Ein sexy Alien allerdings. Mit einer hastigen Bewegung hob sie die Dose an ihre Lippen und trank sie zur Hälfte leer. Eron jaulte vor Vergnügen.

„Eine Frau nach meinem Geschmack“, rief er und prostete ihr wieder zu. Dabei sah er so freundlich aus, dass sie erstmals ein Lächeln versuchte. Dann entschlüpfte ihr ein Rülpser.

„Braves Mädchen“, meinte Dennis, der zum ersten Mal seit Johns Verschwinden ein Grinsen schaffte. Rülpsen konnte schon auch mal verschluckten Groll lösen. Aber die Wirklichkeit holte ihn rasch ein und sein Blick wurde finster. Schließlich war er mehr als nur ein Assistent. Er war der offizielle Wächter der Götter und er hatte kläglich versagt. Wegen zwei verdammten Stunden! Selbst wenn die Zeit mit Erika es wert gewesen war, konnte er nicht aufhören sich für seine Nachlässigkeit zu verfluchen. John mochte seine Herkunft sehr wahrscheinlich vergessen haben, aber er selbst war erst seit zwei Jahren bei den Menschen und wusste noch alles. Wie auch nicht? Sein Vater hatte ihm einen klaren Auftrag erteilt. John Baxter musste nicht nur beschützt, sondern seiner Bestimmung zugeführt werden.

„Wir müssen John so rasch als möglich da rausholen. Er ist zu wichtig und seine Rolle zu gefährlich. Seine Zeit ist bald gekommen und wenn er Silke nicht rechtzeitig findet, könnte das nicht nur sein Ende sein, sondern das von vielen Menschen.“ Jetzt wurde Erika hellhörig.

„Das Ende von vielen Menschen? So wie eine Apokalypse oder was? Und soll das eigentlich bedeuten, dass Silke auch von Dämonen entführt wurde? Das klingt total verrückt! Zu welchem Zweck denn?“ Eron verdrehte die Augen. Viele Fragen konnten jeden nerven, aber vor allem Männer aus der anderen Dimension. Dennis war da etwas milder gestimmt, weil er doch schon länger unter den Menschen lebte.

„Alles der Reihe nach, Süße! Wir wissen nicht genau, wer Silke hat. Eron kennt Silkes Duftnote nur aus ihrer Wohnung. Bevor wir hierhergekommen sind, hat er sich kurz hingezappt. Du musst wissen, dass die Zeit bei Dämonen oft viel langsamer abläuft, sofern sie das wollen. Für uns sind es Sekundenbruchteile während sie Minuten zur Verfügung haben. Aber zurück zum Duft: Johns Geruch kennt Eron in jeder Situation und bis ins letzte Detail. Dadurch kann er in der anderen Dimension leichter seine Spur aufnehmen“, erklärte Dennis. „Bei Silke ist es bedeutend schwieriger, weil wir nicht alle Nuancen kennen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass so derart schnell auf diese Frau reagiert wird. Weder von Johns Seite, noch von anderer.“

„Andras hat nur John“, mischte sich Eron ein. „Einen anderen Menschen habe ich vor ihrer Festung nicht gewittert.“ Damit schnappte er sich die nächste volle Bierdose und wollte sie gerade öffnen, als Dennis ihm die Dose blitzschnell entwand.

„Hör auf! Du brauchst einen klaren Kopf, Mann! Außerdem habe ich selber Durst.“ Zischend öffnete Dennis die letzte Dose und trank einen ordentlichen Schluck. Eiskalt schmeckte es am besten und es war genau die Marke, die er liebte. Erika wurde langsam ungeduldig.

„Noch einmal! Welche Rolle spielt Silke nun in der Geschichte?“ Dennis setzte das Bier ab, weil ihm gerade bewusst wurde, wie schnell in letzter Zeit alles passierte. Dämonen konnten zwar begrenzt mit der Zeit spielen, doch allmählich kam es ihm so vor, als würde das Schicksal zweier Welten rasant auf einen unvorhersehbaren Höhepunkt zusteuern. Johns Interesse an Silke war plötzlich und unvorhergesehen entstanden. Die beiden Entführungen waren in viel zu rasantem Tempo erfolgt und sein eigenes Interesse an Erika ebenso. Ja, es war wie die übliche Schnelligkeit vor einem Orgasmus, nur mit dem Unterschied, dass ihr aller Schicksal auf Messers Schneide stand, die Apokalypse drohte, oder die Götter einfach nur verrückt geworden waren. Er atmete tief durch und konzentrierte sich wieder auf die Fakten.

„John muss innerhalb einer gewissen Frist heiraten, sonst ist er gezwungen in die andere Dimension zu wechseln.“ Erika verstand nur Bahnhof und verdrehte die Augen. Sie wollte nicht jammern, aber sie hatte ihre Stimme nicht recht unter Kontrolle.

„Das ist alles so verrückt! Kann ich das nicht irgendwo in einem Handbuch nachlesen oder mir mit einem USB-Stick in den Arsch stecken? Ich meine ... hallo-o ... wer soll sich das alles merken und dann noch durchblicken?“ Mit einem Seufzen griff sie zur Dose und nahm noch einen ordentlichen Schluck. Eron lachte und deutete mit dem Finger auf sie.

„Der war gut! Ich wusste immer, dass Frauen mit dem Arsch denken.“ Erika streckte ihm die Zunge raus und er zeigte dafür die schwarze Dämonenversion einer Zunge. Dennis grinste nur und zog Erika in seine Arme. Mit einem Seufzen schmiegte sie sich an seine breite Brust und genoss das warme Gefühl seines Körpers.

„Eigentlich ist es leicht, Süße. Condatis hat vier Söhne und die müssen innerhalb einer gewissen Zeitspanne ihre Gefährtin finden, sonst werden sie dazu verdammt in der jeweils anderen Dimension zu leben. Condatis liebt gemeine Spielchen, doch in dem Fall hat er wohl ein bisschen übertrieben. Es steht das Wohl vieler auf dem Spiel und Johns Brüder sind nicht gerade unproblematische Typen. Wenn sie dazu verdammt werden unter den Menschen zu leben, dann sind wir plötzlich mit einem Vampir, einem Drachen und einem Schwarzmagier konfrontiert.“ Eron schnappte sich die halbvolle Dose von Dennis und trank noch einen Schluck. Erika schnappte dafür nach Luft.

„Darauf trinke ich“, lachte der Dämon und mache eine Grimasse, als wäre das alles nur Spaß. Dennis schlug ihm die Dose aus der Hand.

„Als Spürhund in dämonischen Angelegenheiten bist du wirklich gut, aber du solltest die Sache mit dem Alkohol endlich in den Griff bekommen. Ich brauche einen klaren Verstand, Brüderchen.“

„Wieso hast du etwa keinen mehr?“, scherzte der Dämon schlagfertig, doch Dennis verstand keinen Spaß. Er schoss in die Höhe und packte seinen dämonischen Bruder fest am Kragen.

„Schon gut, Bruderherz, schon gut!“, beschwichtigte Eron. „Ich bin dabei. Zähle auf mich! Ernsthaft. Ich trinke nichts mehr. Großes Dämonen-Ehrenwort!“ Dazu hob er den Stinkefinger in die Höhe, um seinen Schwur zu besiegeln. Entweder wusste er nicht, was der gestreckte Mittelfinger im Reich der Menschen bedeutete, oder aber er machte schon wieder Spaß. Dennis ließ ihn jedenfalls los.

„Wir haben keine andere Wahl. Wir müssen zu den anderen Condatis-Brüdern und mit ihnen reden“, überlegte Dennis laut und deutete dabei entschlossen auf seinen Bruder und Erika. „Und ihr kommt mit!“


22.Kapitel

Andras war nicht ganz so zimperlich wie seine widerliche Schwester Amit. Die hatte an dem schönen Condatis-Mann Gefallen gefunden und ihn nicht allzu hart herangenommen. Wobei das nicht ganz stimmte. Hart hatte sie ihn die ganze Zeit werden lassen, weil sie ein lüsternes, verdorbenes Wesen war. Andras aber war nicht in der Stimmung für Spielchen. Er gab John seine Jeanshose zurück und kettete ihn an die Wand, statt an den Tisch. Eine lange Gefangenschaft im Stehen war viel anstrengender als im Liegen und wenn es nach ihm ging, war der Mistkerl für mindestens ein Jahr sein Gefangener. Die Qual wäre für ihn unbeschreiblich und die Frist für eine Gefährtin ein für alle Mal abgelaufen. Außerdem wollte er diesem Mann von Angesicht zu Angesicht begegnen.

„Also Condatis. Die Folter meiner Schwester hast du bereits genossen.“ Er lachte schäbig und Amit schnaubte im Hintergrund, weil er sie viel zu früh unterbrochen hatte. „Doch diese Abreibung ...“ Er betonte es mit einem boshaften Grinsen. „... war noch lange nicht alles. In den nächsten Stunden wird das Wahrheits- und Erinnerungsserum wirken und dann wird jede falsche Antwort Konsequenzen haben. Fatale, schmerzhafte Konsequenzen. Gemeinsam mit den teuflischen Nebenwirkungen des Serums wird das die Hölle für dich. Deine wunde Nudel wird dagegen die reinste Spazierfahrt sein.“ Amit schnurrte im Hintergrund und leckte sich lüstern über die Lippen, aber Andras hatte genug von ihrer Einmischung.

„Du lässt deine Finger von ihm, verstanden? Ich brauche Informationen und keinen aufgegeilten Halbgott. Haben wir uns verstanden, Schwesterherz?“ Seine dunkelgelben Augen schossen giftige Pfeile und Amit nickte schnell, weil sie ihren mächtigen Bruder nicht erzürnen wollte.

John war kaum mehr in der Lage den beiden Dämonen zu folgen. Die Schnitte auf seinem Körper schmerzten und das Serum, das ihm gespritzt worden war entfachte bereits seine Wirkung. Mit jeder Minute schien sich sein Herzschlag zu beschleunigen und sein Körper auf eine Explosion zuzurasen. Sein Kopf brüllte noch von dem Schlag, den er abbekommen hatte und sein Schwanz war so wundgescheuert, als hätte das Miststück ihn stundenlang mit einem Schäler bearbeitet. Zeitgefühl hatte er keines mehr und wenn seine Stimmbänder nicht wie gelähmt gewesen wären, hätte er nur noch geschrien. Laut, kläglich, ehrlos. Immer wieder zerrte er an seinen Fesseln, doch die Eisenketten waren stabil und er schon so entkräftet, dass seine Versuche unsinnig schienen. Die Wirkung des Serums wurde schlagartig stärker und brachte sein Blut zum Kochen. Keuchend fiel er auf die Knie, die Arme weit von seinem Körper gestreckt. Doch die Ketten hatten die wohl berechnete Länge, um ein Hinsetzen zu verhindern.

Andras wandte sich seinem Gefangen zu und deutete Amit, sie solle verschwinden. Schon seit längerem empfand er ihre Anwesenheit als lästig. Ständig versuchte sie Vergnügen bei anderen zu finden, anstatt in den eigenen Reihen einen guten Liebhaber zu suchen. Amit knurrte frustriert, gehorchte aber. Sie drückte an eine bestimmte Stelle der Wand und öffnete eine kaum sichtbare Tür. Das grelle Licht von draußen drang bis zu John vor, ließ ihn heftig blinzeln. Er konnte fast nichts sehen, doch dem gierigen Blick der Dämonin entkam er nicht. Mit ekelhafter Langsamkeit leckte sie über ihre Lippen und versprach mit ihrem Blick, ihr Werk noch zu vollenden. Irgendwann. Irgendwie. Doch dann zischte Andras etwas in fremder Sprache und die Dämonin verschwand endgültig. Als die Tür wieder zufiel, wurde alles erneut in rötlich schimmernde Dunkelheit getaucht. Johns Augen mussten sich erst wieder an das spärliche Licht gewöhnen, um die Konturen des Dämons ausfindig zu machen.

„Zuallererst will ich wissen, wo sich deine Brüder aufhalten. Jemand hat euch ein perfektes Versteck organisiert, sonst hätten meine Späher euch längst gefunden.“ Bei den Worten blitzten seine Augen böse auf, während er eine neunschwänzige Katze aus dem Bund seiner Hose zog. Der Dämon der Zwietracht hatte ein viel ansehnlicheres Äußeres als seine Schwester, doch seine Augen waren um ein Vielfaches bösartiger. John spürte richtig, wie sehr er sich darauf freute, jeden Moment zuschlagen zu können. Die Peitsche mit den vielen Riemchen war dabei offensichtlich eines seiner Lieblingsspielzeuge, denn er berührte das leblose Ding wie eine Geliebte, fuhr den Schaft auf und ab, leckte über die einzelnen Riemchen. John wusste natürlich, dass er mit ihm spielte statt mit der Peitsche und er ahnte, dass der Dämon den gleichen, ätzenden Speichel hatte wie seine Schwester. Höllische Schmerzen waren also vorprogrammiert.

„Gut. Beim ersten Mal möchte ich noch nicht so streng sein und wiederhole daher meine Frage. Wo befinden sich deine verfluchten Brüder? Wie hießen sie noch gleich? Jeff, Josh und ... Jack.“ Bei der Erwähnung von Letzterem zuckte ein Muskel im dämonischen Gesicht und John kombinierte, dass er keine guten Erfahrungen mit Jack gemacht hatte. Zu dumm, dass er sich an keinen seiner angeblichen Brüder erinnern konnte. Seine Stimmbänder waren auch noch gelähmt und er daher nicht in der Lage zu antworten.

Andras schlug unerbittlich zu, ließ die Peitsche zuerst in Johns rechte Seite knallen und dann in die andere. Wie Messer schnitten die Riemen in sein Fleisch und die ätzende Substanz auf dem Leder brannte sich tief in seinen Körper. John schrie ohne Stimme und selbst ein Idiot hätte erkannt, dass er noch nicht in der Lage war Fragen zu beantworten. Doch Andras dachte nicht daran aufzuhören. Dafür hatte ihm die Reaktion des Mannes zu sehr gefallen.

„Du wirst hier verrotten, verfluchter Condatis. Jeden Tag werde ich Informationen aus dir herausholen und dich irgendwann gnadenhalber verrecken lassen. Niemand wird dich hier finden oder befreien können und dann wirst du dazu verdammt sein mir zu dienen. Du wirst deiner Bestimmung entsprechend nach Macht dürsten und du wirst alles tun, einfach ALLES, damit ich dir ein bisschen von der Essenz gebe, die du brauchst. Und es wird nicht die Macht des Geldes sein, wie du dir sicher schon denken kannst. Eine bessere Waffe als DICH gegen deine Brüder kann ich mir gar nicht vorstellen.“ Das war es also! Andras hatte es auf Rache an allen Condatis-Söhnen abgesehen und wollte nebenbei vermutlich Göttlichkeit einstreifen. Ja, nur so konnte es sein! John durchflutete ein erster Erinnerungsfetzen. Das Serum begann also zu wirken, auch wenn es ihm die Eingeweide dabei verbrannte.

„Davon wirst du nichts bekommen“, keuchte er außer sich vor Schmerzen. „Ich habe keine Ahnung wie ich Göttlichkeit an mich raffen soll“, knurrte John und wunderte sich, dass seine Stimme plötzlich wieder funktionierte.

„Oh! Deine Stimme ist wieder da! Ziemlich rasch sogar. Aber das ist ebenso eine Nebenwirkung des Serums. Allerdings tritt diese Wirkung erst kurz vor dem Koma ein. Hoppla, hatte ich das etwas nicht erwähnt?“ Der Dämon lachte hämisch und John sackte in sich zusammen. Er verlor das Bewusstsein und hing mit den Armen wie ein gefallener Engel in den Ketten. Sein Körper hatte nicht mehr durchgehalten und seine Stimme hatte wie automatisiert dem Dämon die Verweigerung entgegen geschleudert. Allerdings hatte er dabei den Fehler gemacht, von der Gier nach Göttlichkeit zu sprechen, obwohl Andras es mit Essenz umschrieben hatte. Und woher sollte er wissen, dass hier Göttlichkeit statt Geld am Programm stand, wenn er sich nicht bereits an ein paar Bruchstücke erinnerte?

Andras hatte es sofort bemerkt und lachte laut. Die nächste Befragung würde mit Sicherheit entsprechend brutaler ausfallen.


23.Kapitel

Silke hatte eine große Portion Grillhühnchen mit Reis und Gemüse von der „guten Seele“ des Hauses bekommen. Rosella war eine ältere Dame von vielleicht siebzig Jahren und sowohl für die Putzarbeiten im Haus, als auch für das Kochen zuständig. Sie war extrem zurückhaltend, aber liebenswert und sah aus wie eine süße, kugelrunde Oma. Außerdem war sie stumm. Bezeichnender Weise, denn offenbar konnten die Brüder mit sprechenden Frauen kaum umgehen. Hätte Silke diese Tatsache nicht so armselig gefunden, wäre sie vermutlich wütend geworden. Doch speziell das Thema Kommunikation musste sie mit den Herren vermutlich noch einmal gesondert behandeln.

Immerhin hatte sie ein eigenes Zimmer mit integriertem Bad bekommen. Die Verbesserung zu vorher war nicht abzustreiten, doch wenn sie ehrlich war, vermisste sie den Geruch des Vampirs auf den Laken, den Schalk in Joshs Augen und die nervige Art des Zauberers, der sich immer noch am liebsten als Umweltmanager bezeichnete.

Kopfschüttelnd saß sie auf dem Bett und konnte nicht einschlafen. Dabei war es mitten in der Nacht und ihr Körper war total erledigt. Immerhin hatte sie mit den Brüdern einiges geklärt und sie davon überzeugt den abtrünnigen John hierher zu holen. Insgeheim konnte sie sich über die drei Machotypen nur wundern, weil sie in ihrer Situation fast noch hilfloser wirkten, als ihre Gefangene. Als hätten sie wirklich keine Ahnung wie sie vorgehen sollten. Sie fand es ja schon seltsam, dass sie ständig von einem Pakt unter Brüdern sprachen, aber einen von ihnen trotzdem bewusst ausklammerten. Als wären sie beleidigt, weil er ihnen den Rücken zugekehrt hatte und dadurch auch nicht in der Lage das große Ganze zu sehen.

Männer! Sie schnaubte leise. Offenbar waren die in jeder Dimension mehr oder weniger große Kommunikationsgenies. Wenigstens war die spirituelle Vereinigung, die sich so spontan ergeben hatte, zu einem riesigen Orientierungspfeil für die Herren geworden. Männer mussten vermutlich mehr spüren, als reden. Zumindest hatten sie so schlagartig die Wichtigkeit der Ordnung und des dafür notwendigen Rituals erkannt. Nebenbei hatten sie die Einstellung zu ihrer Gefangenen verbessert. Sie war jetzt ein Gast, um den nicht mehr gekämpft werden musste, sondern der selber wählen konnte. Gut, wahre Freiheit sah zwar anders aus, aber schließlich hatte jeder sein Schicksal irgendwann zu erfüllen. Und das war nicht nur ein gedankliches Zurechtbiegen von Fakten, sondern die Erkenntnis, die sie aus dem Energiefluss mit drei Halbgöttern gezogen hatte. Die Männer hatten Orientierung gefunden und Silke ihre Bestimmung erkannt und akzeptiert. Es war wie ein Naturgesetz und nicht nur völlig normal, sondern sogar wünschenswert. Auf spiritueller Ebene schien alles logisch und verständlich, doch in ihrem Kopf schwirrte es weiter und sie konnte kein Auge zumachen. Als würde die Materie dem Feinstofflichen ein wenig hinterherhinken und viel langsamer lernen.

Wenigstens hatte das Zimmer ein Fenster. Es war zwar Nacht, aber der optische Unterschied von dieser Dimension zu ihrer eigenen Welt schien nicht weiter aufregend zu sein. Vor ihrem Fenster sah sie Wiese, weiter unten Sträucher und Bäume. Vermutlich stand das Haus auf einem Hügel und war von schönem Wald umgeben. Soweit sie die Farben erahnen konnte, waren sie denen ihrer Welt gleich. Es gab also keine Schokoschirmchen auf Bäumen, fliegende Grillhühner oder rosafarbene Blätter aus Zucker. Wobei ihr schon klar war, dass sie diese Dimension gerade mit dem Schlaraffenland verwechselte. Aber es wirkte alles so verflucht normal, bis auf die Tatsache eben, dass es hier Vampire, Drachen und Co gab.

Müde legt sie sich zurück auf das weiche Kissen und ließ die letzten fünf Tage Revue passieren. In nicht einmal einer Woche hatte sie vier Halbgötter kennengelernt und als mögliche Ehemänner klargemacht, war in eine andere Dimension gelangt und konnte nun ihren Feenanteil ausleben. Das klang natürlich verrückt, aber in Wahrheit war sie fasziniert und fühlte sich bereichert. Sie schob diese innere Fülle auf ihren Feenanteil, der sich so sensationell stark, frivol und visionär anfühlte. Wie sonst hätte sie sich mit solch einer Situation so schnell arrangieren können? Diese innere Stärke fühlte sich gut an, mächtig und rein ... wie ein ehemals trockener Brunnen, der wieder mit Wasser gefüllt wurde. Je länger sie hier in dieser Dimension war, desto gefestigter wurde dieser Teil ihres Wesens und desto mehr wusste sie wieder von den letzten Tagen in ihrer Welt. Vermutlich konnte ihre innere Fee die Gedankenmanipulation des Drachen und des Zauberers verringern und so holte sie sich jeden einzelnen Tag wieder in ihr Gedächtnis.

Am Samstag hatte sie Josh getroffen, am Sonntag Jeff, am Dienstag John Baxter und am Mittwoch Jack, der sie betäubt und hierher verschleppt hatte. Begonnen hatte alles mit ihrer Wanderung, wo sie per Zufall das Portal entdeckt hatte, durch das Josh in ihre Welt geflüchtet war. Seinen Angaben nach hatte er etwas Wertvolles gestohlen und schleunigst verschwinden müssen. Zumindest hatte er ihr das gerade kurz nach ihrem gemeinsamen Energiefluss erklärt. Ein Portal so schnell zu benutzen war jedoch mit einem enormen Kräfteschub und einer kurzen Bewusstlosigkeit verbunden. Deshalb war er auch so unvermutet auf Silke gelandet. Er hatte schlicht keine Kontrolle über seinen Körper mehr gehabt, bevor sie ihn sanft berührt und nach seiner Atmung gesehen hatte. Der Rest war für einen Mann seines Kalibers ganz klar nach Schema F abgelaufen: Er hatte kurz von ihren Lippen gekostet und sehr rasch mehr davon gewollt. Viel mehr. Doch als Silke nachgiebig geworden war und sich seinem Ansturm geöffnet hatte, war ihr Feenanteil für ihn spürbar geworden. Wie ein Flash. Aber natürlich hatte er sich zurückgezogen, weil es für das Finden von Feenfrauen Regeln gab. Zumindest unter den Condatis-Brüdern, denn der Pakt räumte allen vier Männern die gleiche Chance ein, um eine mögliche Gefährtin zu buhlen. Keiner durfte rücksichtslos zulangen und seine Zukunft ohne das Einverständnis der anderen verändern. Das mit der Trophäe (ihrem BH) hatte Josh sich dennoch nicht verkneifen können. Er war ein Dieb, er brauchte ein Erfolgserlebnis und so frustriert und unbefriedigt wie er sich von ihr gelöst hatte, war dieses nette Wäschestück durchaus eine Ersatzbefriedigung gewesen. Den BH mit Silkes berauschendem Duft hatte er dann seinen Brüdern vorgelegt, um zu besprechen, was weiter zu tun sein würde.

Schon am nächsten Tag hatte Jeff sich dann auf den Weg gemacht, um ihre „Echtheit“ zu prüfen. Mit ihrem Duft in der Nase war es angeblich ein Leichtes ihre Spur zu verfolgen. Nur hatte ihn unterwegs in den Kanälen ihrer Siedlung ein kleines Umweltproblem aufgehalten. Bei Giftmüll der übelsten Sorte konnte er nicht so einfach wegschauen. Dazu war sein Condatisgen zu ausgeprägt. Doch mit Silkes verfluchtem Geruch in der Nase hatte er es nicht alleine geschafft, war zu abgelenkt und unkonzentriert gewesen. Entsprechend frustriert und verdreckt war er bei ihr aufgetaucht und hatte um ihre Hilfe gebeten. „Sehr höflich“, wie er mit einem Augenzwinkern betont hatte. Den magischen Akt selbst hatte er dann nur kurz angedeutet, aber Silke konnte sich mittlerweile erinnern und wusste, dass die Beseitigung von Umweltsünden mehr war als nur Magie. Der Zauber wirkte über Schwingungen, Körperberührungen und dem Austausch von weiblicher und männlicher Energie. Der ganze Akt kam einem sexuellen Austausch durchaus nahe, obwohl er doch ganz anders war. Woran Silke sich aber erinnern konnte, war auch jetzt noch sehr explosiv und geladen, obwohl Jeff die Erregung gestoppt und den Pakt eingehalten hatte. Mit einer Mischung aus Wut und Interesse hatte er sie dann verlassen. Natürlich nicht, ohne ihr vorher mit der Kraft eines Zauberers die Erinnerung zu nehmen. Gedankenmanipulation war verwerflich, ebenso wie Entführung und ... Verführung. Silke verdrehte die Augen, weil alle drei Männer etwas Besonderes waren, wenn auch nicht immer angenehm.

So war der Umweltfreak in seine Dimension zurückgegangen und hatte seinen Brüdern alles berichtet. Zuerst hatte Jack kein Ohr gerührt und desinteressiert gewirkt, doch letztendlich war er für seine Brüder aufgebrochen, um das Objekt der Begierde zu holen. Schnell, effizient und ohne Wenn und Aber. Wie hatte er es noch schnell formuliert? „Und – schwups – da war das süße Nackedei auch schon in meinem Bett.“ Silke hätte ihm am liebsten die Nase poliert, aber dafür war und blieb Jack wohl der denkbar ungünstigste Kandidat.

Nun lag sie also auf dem Bett und ihre Gedanken kreisten ständig um die drei „fantastischen“ Brüder. Jeder von ihnen war ein gutaussehender Riese und gefährlich. Zugleich aber waren sie in Herzensangelegenheiten ratlos, wenn nicht sogar hilflos. Und das rührte irgendwie ihr Herz und ihren Beschützerinstinkt. Drei Halbgötter, die im Nachhinein wie konfuse Tölpel wirkten, die aufgescheucht umherliefen und vor lauter Aufregung das einzig wesentliche Tor vor der Nase nicht sehen konnten.

Ein stechender Schmerz unterbrach ihre gedankliche Neckerei. Das schmerzhafte Gefühl kam so überraschend und intensiv, dass sie vor Schreck die Luft anhielt. Das Bild von John Baxter drängte sich in ihren Geist und sie wusste mit plötzlicher Klarheit, dass sie die ganze Zeit viel zu sehr mit den drei anderen Brüdern beschäftigt gewesen war. Bisher hatte sie ja noch nicht einmal probiert länger an den einzigen Menschen der Condatis-Brüder zu denken. Doch nun schien ihr Feenanteil sie richtig mit der Nase darauf zu stoßen. Automatisch streckte sie ihre Fühler und Sensoren aus und versuchte sich das Bild von John Baxter ins Gedächtnis zu rufen. Zuerst dachte sie an die schöne Farbe seiner Augen, dann an seine kurzen, schwarzen Haare und den sinnlichen Mund. Sie spürte ihn, fühlte sein Wesen und sah ein Bild.

Er war verwundet, bewusstlos und hing in Ketten! Ihre Vision war so deutlich, dass sie entsetzt aufschrie.

John! Er war in höchster Lebensgefahr!


24.Kapitel

Die Tür wurde aufgerissen und zwei der Brüder stürmten in ihr Zimmer.

„Was ist los? Du hast geschrien“, brüllte Josh und seine Augen leuchteten so wild, dass Silke meinte, er würde jeden Moment zum Drachen explodieren. Mit schnellen Schritten war er bei ihr, während Jeff bei der Tür blieb und das Gästezimmer nach möglichen Gegnern absuchte.

„John! Er ist gefangen. Ich habe es gerade deutlich gespürt. Jemand hat ihn an eine Wand gekettet und gefoltert.“ Silke stand unter Schock und zitterte am ganzen Leib. Josh setzte sich zu ihr und zog sie in seine Arme. Berauschender Duft umhüllte sie und die warme Kraft, die aus seinen Handflächen strömte beruhigte sie augenblicklich. Tränen liefen ihr dennoch in Strömen herunter.

„In seinem Kopf war alles leer und nichts als Schmerz, aber den Hauch eines Namens konnte ich auffangen. Er klang so wie Alexander oder Andreas.“

„Andras!“ Jeff sog zischend die Luft ein und sein Blick verhieß nichts Gutes. Sofort zückte er eine Art Telefon, das mit drei Antennen versehen war. „Ich informiere Jack. Der ist bereits auf dem Weg in Johns Welt.“ Damit lief er aus dem Zimmer, um ungestört telefonieren zu können. Josh hielt in der Zwischenzeit Silke fest im Arm und flüsterte tröstende Worte in ihr Ohr. Einmal leckte er sogar zärtlich über ihre Ohrmuschel, doch das störte sie nicht. Es war mehr so ein Freundschaftsding von einem Drachen.

Als sie sich wieder beruhigt hatte, löste sie sich aus seinen starken Armen.

„Was machen wir denn jetzt und wer ist dieser Andras?“ Silke schniefte noch eine Träne fort.

„Andras ist ein Dämon der Zwietracht und einer unserer größten Feinde. Unser kleiner Vampir hat ihn mal ziemlich in die Mangel genommen und mehr tot als lebendig liegen gelassen. Das kann er uns wohl nicht ganz verzeihen, der Arsch. Vermutlich hat er es sich zum Ziel gemacht, die ganze Condatis-Bande zu vernichten. Womöglich ist er sogar der Grund, warum wir bisher noch keine Frauen für uns gefunden haben. Ihm wäre zuzutrauen, dass er sie alle versteckt hält oder umgebracht hat.“

„U-u-umgebracht?“ Silke schluckte, weil sie sich klarerweise bedroht fühlte. Josh nickte traurig und zuckte mit den Achseln, was wohl so viel heißen sollte wie „Schon möglich, aber ich weiß es nicht.“

„Und überhaupt ... ein Dämon? Das klingt ja grässlich. Ich meine, der arme John.“ Silke starrte ins Leere und Josh wurde furchtbar eifersüchtig. Für ihn klang es nämlich so, als hätte sich die Fee längst für einen der Brüder entschieden und zwar für den Falschen, den Abtrünnigen! Ein Grollen kam tief aus seiner Kehle und Silke konnte sehen wie nahe sein Tier plötzlich an der Oberfläche lauerte. Der Schalk in seinen grünblauen Augen war einer beeindruckenden Brachialgewalt gewichen, die sich jeden Moment Bahn brechen konnte. Im normalen Leben wäre Silke sicher vor Angst erstarrt, doch in dieser Dimension wusste sie, dass dieser Zorn sich nicht gegen sie richten konnte und auch nie richten würde. Sie verstand sogar, warum er so reagierte und streichelte ihm ganz selbstverständlich über sein schönes Gesicht. Das Grollen verschwand dann auch so schnell, wie es gekommen war.

Genau in dem Moment kam Jeff zurück und blieb wie erstarrt im Türrahmen stehen. Silkes Hand auf der Wange seines Bruders gefiel ihm gar nicht. Seit der spirituellen Initiation hatten alle drei Brüder mehr denn je das Bedürfnis ihre Gefährtin zu finden. Selbst Jack, der fast seelenlose Vampir war durch den Energieaustausch völlig verändert. Und auch der Magier hoffte, obwohl er Silke noch nicht einmal leiden konnte.

„Sie soll jetzt schlafen!“, blaffte Jeff seinen Bruder an, als wäre Silke gar nicht anwesend. Es war seine Art mit brennender Eifersucht umzugehen und es war Josh, der nachgab und sich vom Bett erhob.

„Jack wird bald hier sein, dann besprechen wir, wie es weitergeht“, grollte Jeff weiter und wandte sich schließlich doch noch an Silke. „Und du machst jetzt die Augen zu! Schon morgen könnte ein anstrengender Tag werden!“ Sein Befehlston war anmaßend und die Handbewegung, die er dazu machte, erinnerte Silke an das ausständige Sparring. Irgendwie hatte sie gehofft dem auszukommen, aber womöglich war der Tick immer Wort halten zu müssen unabänderlich und die Prügelei nur aufgeschoben. Auf jeden Fall gefiel ihr sein Ton nicht und sogar Josh schien die dominante Rolle seines Bruders nur mit Zähneknirschen hinzunehmen. Weil Silke aber sowieso müde war und von dem ewigen Männergebalze genug hatte, winkte sie die beiden Brüder aus ihrem Zimmer. Und Tschüss!

Danach kuschelte sie sich unter ihre Decke und schlief augenblicklich ein.

Im Traum suchte sie nach John. Seit sie mit ihm getanzt hatte, war er ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen, obwohl ihr mangelndes Selbstvertrauen das eigentliche Gefühl dazu gedämpft, wenn nicht sogar verhindert hatte. Wie blind sie doch gewesen war, wie ängstlich und wie ... menschlich! Doch ihr Selbstwert hatte sich hier in dieser Dimension verändert, ebenso wie das Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten. Sie fühlte sich nicht mehr klein und unscheinbar neben einem Multimillionär, der alles haben konnte und zudem einen göttlichen Anteil besaß. Nein, sie war ebenbürtig, eine halbe Fee und auf ihre Weise ebenso göttlich. Mit dem Wissen um ihre Macht und ihre Wichtigkeit fühlte sie sich wie befreit und ganz in ihrer Kraft. Im Traum lächelte sie zufrieden über ihre Erkenntnis und ihr schlafender Körper lächelte verzückt mit.

Jeder der Condatis-Brüder war auf seine Weise reizend, aber John hatte gegenüber den anderen einen wesentlichen Punktvorteil ... er versprach die größte Wahrscheinlichkeit auf Normalität. Noch im Traum korrigierte sie sich und entlarvte es als faule Ausrede. John gefiel ihr einfach am besten und normal war sowieso relativ bei einem Halbgott. Seine Augen waren ganz anders als die seiner Brüder. Sie strahlten in einem Dunkelgrün, das mit goldenen Sprenkeln durchzogen war. Der Drache hatte am Anfang eine ähnliche Farbe gezeigt, ehe er sie gewandelt hatte und letztendlich bei einem Grünblau verblieben war. Der Zauberer hatte ganz schwarze, unruhige Augen und Jack eine urige Mischung aus Drachen und Zauberer. Johns Farbe aber war konstant und wie ein tiefgrüner See in wunderbarer Natur. Selbst im Traum meinte sie in der Schönheit dieser Farbe versinken zu müssen. Tiefer und immer tiefer. Sie fühlte den Rausch der Farbe und sogar die Berührung durch goldene Sprenkel, als plötzlich ein Ruck durch ihren Körper ging und ein starker Sog sie erfasste. Wie durch einen riesigen Strohhalm wurde ihr Innerstes aus dem Körper gesogen, höher gehoben und durchs Universum gewirbelt. Zuerst war sie erschrocken, strauchelte und konnte kaum atmen, doch binnen Sekunden begriff sie ihre Situation als eine Art Astralreise und damit als ein Reisen ohne Körper. Sie träumte nicht länger wie ein Mensch, sondern wanderte wie eine Fee durch Raum und Zeit und das genau zu dem Mann, an den sie zuvor so intensiv gedacht hatte. Mit nur einem Gedanken schien sie ihr Ziel erreicht zu haben, dabei war sie anfangs von absoluter Dunkelheit umgeben und ein wenig orientierungslos.

Erst allmählich konnte sie die Konturen seines Körpers erahnen und seinen Atem hören. Doch als sie näherkam, keuchte sie entsetzt auf. John hing bewusstlos in Ketten und war noch viel schlimmer zugerichtet, als in ihrer Vision. Er kniete am Boden, seine Arme waren rechts und links zur Seite gestreckt und an die Wand gekettet. Johns Kopf war vornübergebeugt, er selbst vermutlich ohnmächtig. Sein nackter Oberkörper zeigte viele, blutige Striemen, seine Jeanshose saß tief auf seinen Hüften, aber wenigstens hatten sie ihm ein bisschen Würde bewahrt und nicht auch noch nackt gefoltert. Silke konnte ein Schluchzen nicht länger unterdrücken. Etwas derart Abartiges war für sie unbegreiflich ... außer vielleicht in Zusammenhang mit Jack. Der Quergedanke verwunderte sie und sie schüttelte ihn schnell ab, denn hier ging es um John und nicht um irgendwelche Sexspielchen mit einem Vampir. John hing nämlich wie tot in seinen Ketten, war offenbar in tiefe Bewusstlosigkeit gefallen. Sein Anblick sollte ausschließlich abschreckend sein, doch die stille Bewunderung für seinen schönen Körper war nicht abzuschütteln. Silke war beeindruckt von der Stärke seiner Arme, dem harmonischen Schwung seiner Muskeln, dem muskulösen Bauch. Ja, sie war nicht nur schockiert, sondern auch fasziniert und sie hatte das unbändige Bedürfnis ihn zu retten.

Was für ein stolzer, großer Mann hier doch auf die Knie gezwungen worden war und wie viel Leid er ertragen musste! Die Tränen kamen von ganz alleine, denn sie fühlte mit ihm und wusste, dass sie seine Ketten nicht sprengen konnte. Nicht hier und nicht in ihrem astralen Zustand. Feinstoffliche Körper waren unsichtbar, nicht materiell. Sie konnten nichts berühren oder sprengen. Verärgert wischte sie die Tränen fort um kam noch näher an John heran. Mit aller Kraft versuchte sie ihn aufzuwecken und war wohl selbst am meisten überrascht, als sie mit ihren Händen Widerstand von Materie spürte und tatsächlich seinen Kopf mit etwas Anstrengung und starker Konzentration heben konnte.

Wenn sie hier aber Materie bis zu einem gewissen Grad bewegen konnte, musste dieser Seelenflug mehr sein, als nur eine Astralreise. Womöglich verstärkte die andere Dimension das Geschehen ja gerade oder ihr Feenanteil war so mächtig, dass sie hier selbst im feinstofflichen Bereich ein bisschen wie ein Mensch wirkte. So oder so … sie jubelte im Stillen, denn wenn ihre Vermutung stimmte, würde John sie spüren und bemerken können. Irgendwann zumindest, denn bis jetzt wirkte er noch wie im Tiefschlaf.

„John! Hörst du mich?“, flüsterte sie und streichelte ihm zärtlich mit ihrer Hand übers Gesicht. Die Berührung knisterte unter ihrer Handfläche und erzeugte einen glitzernden blauen Schein auf seiner Haut. Silke war fasziniert. Dieses Licht schien zu pulsieren, hinterließ eine richtige Spur auf seiner Wange, wurde erst allmählich blasser und verschwand schließlich zur Gänze. Doch John reagierte immer noch nicht darauf und Silke fragte sich, ob sie mit ihrer Vermutung von spürbarem Kontakt doch falsch gelegen hatte. Vielleicht war sie nicht sichtbar und wurde auch nicht gehört. Obwohl, ... wenn sie seinen Kopf heben konnte, dann musste John sich zwangsweise irgendwann fragen, wer das für ihn tat. Sie probierte es noch einmal und ließ etwas mehr Kraft in ihre Handfläche fließen. Das blaue Licht sprühte daraufhin kleine Funken und die glitzernde Substanz sammelte sich an der Stelle, wo John eine rote, schorfige Wunde an der Wange hatte. Offenbar war er dort mit irgendeiner Substanz verbrannt oder verätzt worden. Das blaue Licht pulsierte und verdichtete sich, ehe es wieder schwächer wurde und verpuffte. Mit Erstaunen stellte Silke fest, dass die Verwundung dadurch deutlich gemilderter aussah. Als hätte ihr blaues Feenlicht nicht nur ein schönes Aussehen, sondern auch eine Wirkung und zwar eine heilende. Sie jubelte leise und beobachtete, wie die Wundheilung selbst nach dem Verschwinden des Lichts weiter anhielt.

Wenigstens etwas ... dachte sie mit einem Lächeln auf den astralen Lippen, denn auch wenn sie ihm nicht die Ketten zerreißen oder einen Schlüssel herbeizaubern konnte, so würde sie ihm doch zumindest seine Verwundungen heilen.


25.Kapitel

Erika fiel der Länge nach hin und schürfte sich die linke Handfläche auf. Dennis rollte sich geschickt ab und Eron blieb stehen, als würde ihn der Gang durchs Portal nur mal leicht jucken. In Erikas Kopf schwirrte es und das Summen in ihren Ohren war unerträglich. Dennis rappelte sich in die Höhe und reichte ihr die Hand.

„Willkommen auf der anderen Seite, Süße!“ Er wirkte überraschend glücklich, doch Erika blickte sich verwirrt um und konnte an der neuen Dimension nichts Tolles finden. Soweit sie das beurteilte, sah hier alles aus wie in ihrer Welt, … nur, dass hier ihre Hand blutete. Sie brummte verärgert und zog sich mit der unverletzten Hand an Dennis in die Höhe.

„Was ist? Bist du verletzt?“ Dennis schien sich ernsthaft Sorgen zu machen, doch Erika wollte hier nicht die Zimperliese spielen.

„Geht schon. Nur ein kleiner Kratzer“, wisperte sie und wollte ihre Hand hinter ihrem Rücken verstecken, als er zielsicher nach ihrem Handgelenk griff und sich die Wunde genauer ansah.

„Hey. Ich brauche keinen Sanitäter!“ Insgeheim ärgerte sie sich, dass sie die Einzige war, die sich verletzt hatte – auch wenn es nur eine kleine Schürfwunde war. Am liebsten hätte sie ihm ihre Hand entzogen, doch schon in der nächsten Sekunde keuchte sie ein überraschtes „Hach!“, als er ihre Handfläche liebevoll zu lecken begann. Im Normalfall hätte sie ihn vermutlich für verrückt gehalten, doch so konnte sie ein lustvolles Stöhnen gerade noch unterdrücken.

„Hm, lecker!“ Eron konnte sich diesen Kommentar nicht verkneifen. „Leute! Wir haben wohl Besseres zu tun, als uns gegenseitig zu lecken. Oder?“ Seine Stimme troff vor Spott und Erika schnaubte empört, weil er sich mit seinen Worten so ungeniert in ihre Intimität mischte. Dennis warf seinem Bruder einen warnenden Blick zu, gab Erikas Hand aber mit einem letzten saugenden Geräusch frei. Sie war nicht schwer verletzt und eine intensivere Zuwendung nicht notwendig. Dennoch standen seine Augen in Flammen und zeigten ihr, dass sie nach ihrer Aufgabe in dieser Dimension nicht mehr sicher sein würde. Vor ihm nämlich.

Erika lächelte kokett.

„Schon gut, mein Wilder! Ich finde dich auch zum Anbeißen.“ Sie schnurrte und der Dämon seufzte im Hintergrund.

„Folgt mir jetzt! Ich führe euch zum Haus der Brüder.“ Als Sohn von Heimdall wusste er von den Halbgöttern und ihrer getarnten Unterkunft.

Nach einer geschätzten Stunde erreichten sie den Fuß eines Hügels, der mit seiner bunt blühenden Wiese wie eine gewölbte Lichtung aus dem Wald ragte. Eron ging weiterhin zielstrebig voraus, Dennis und Erika folgten ihm Händchen haltend. Soweit das Auge reichte war nur gesunde Natur zu sehen und der typische Waldduft zu riechen. Vor ihnen lag diese herrliche Wiese, umgeben von hohen Bäumen. Der Himmel strahlte im klarsten Blau und alles wirkte einfach nur schön. Für Erika war es ein Ort der Kraft, eine magische Lichtung und vermutlich das Ziel, wohin der Dämon Dennis und sie bringen wollte. Nur ... ein Haus war weit und breit nicht zu sehen. Erika wunderte sich allmählich. Auf ihrem Weg hatten sie keinen einzigen Menschen getroffen oder Anzeichen von Zivilisation bemerkt. Lediglich der Weg selbst schien ein Zeichen für Leben zu sein, denn er glich einem normalen Wanderweg in ihrer Welt. Bei all der reichhaltigen Natur erschien es ihr dennoch wie ein Widerspruch hier jemals auf Zivilisation zu stoßen.

Bisher hatte keiner der beiden Herren die Zeit gefunden, mehr über dieses Paralleluniversum zu erzählen. Ständig hieß es „Später!“ oder „Wenn wir bei den Brüdern sind.“ Als wären sie ständig in Gefahr und müssten so rasch als möglich in das schützende Haus ... von dem übrigens immer noch weit und breit nichts zu sehen war. Doch in Wirklichkeit war es hier extrem ruhig, wirkte naturbelassen schön und total friedlich. Dachte sie … zumindest bis zu dem Moment, als plötzlich die Hölle losbrach!

Ohne Vorwarnung stürzte ein riesiges Ungeheuer hinter einem der Bäume hervor und warf sich mit aller Wucht auf Eron. Erika kreischte und Dennis stürmte augenblicklich vorwärts, um seinem Bruder zu helfen. Eron aber fiel wie ein Baum und konnte sich noch nicht einmal wegzappen, weil alles so schnell passierte. Dennis schrie den beiden etwas zu, doch das Vieh brüllte so laut, dass keiner etwas davon verstand. Das Monster war der reinste Berserker und so Furcht einflößend, dass Erika sich die Ohren zuhielt und vor Angst schlotterte. Doch anstatt umzudrehen und wegzulaufen, blieb sie fest auf beiden Beinen stehen und wünschte sich ganz intensiv, dass dieses Urvieh verschwinden möge.

Weg von Eron ... dachte sie mit einem Ingrimm, der ihrer Kraft Flügel verlieh. Woher sie diese Eingebung hatte oder den Glauben an sich, wusste sie nicht, aber mit einem Mal zischte eine bläulich schimmernde Kugel aus ihrer Handfläche, schoss wie ein Torpedo nach vorne und traf das Ungetüm so stark am Rücken, dass es brüllend zur Seite fiel und liegen blieb. Erika blickte verblüfft auf das bewusstlose Vieh und dann auf ihre Hand. Auch Dennis schien vollkommen überrascht zu sein. Zumindest starrte er zu ihr zurück, als hätte sie gerade eine Kochsendung moderiert oder sonst irgendeinen Unsinn getrieben. Zuerst konnte Erika seine Verblüffung sehen, dann das Begreifen und schließlich … den puren Stolz erkennen. Dennis grinste bis über beide Ohren und hob den Daumen in die Höhe, um ihr seinen Respekt auszudrücken. Eron stöhnte inzwischen im Hintergrund und rappelte sich langsam in die Höhe. Selbst das Vieh dahinter brummte, konnte sich aber scheinbar noch nicht bewegen. Erika war ganz aufgewühlt, starrte weiterhin auf ihre Hand und konnte nicht glauben, dass sie gerade einen Energieball wie eine Waffe geschleudert hatte. Blaue Donnerkugeln kannte sie sonst nur aus Fantasyfilmen.

„Du Hexe“, lachte Dennis, kam auf Erika zu und schloss sie fest in die Arme.

„Ab jetzt werde ich nie mehr frech zu dir sein“, mischte sich Eron ein und kam leicht hinkend näher. Sein amphibischer Blick ruhte auf Erika und zeigte Respekt. „Danke“, meinte er kleinlaut, aber mit einem schiefen Lächeln, das ihn sympathisch machte. Erika zuckte mit den Schultern. Schließlich hatte sie keinen blassen Schimmer, wie sie das angestellt hatte. Gerne hätte sie mit den beiden ausführlich darüber gesprochen, doch das mörderische Vieh begann sich bereits wieder aufzurichten. Die Kraft der Kugel hatte es zwar kurz ausgeknockt, aber nicht wirklich kampfunfähig gemacht. Erikas Augen weiteten sich vor Schreck, denn das Wesen war ganz offensichtlich sauer. Dennis und Eron reagierten augenblicklich, gingen in Verteidigungsstellung und schirmten Erika so gut es ging mit ihren Körpern ab.

„Sehr witzig“, knurrte Jack und richtete sich zu seiner ganzen Größe auf. Lässig rollte er mit seinen Schultern und knackte mit seinem massigen Genick, um Verspannungen zu lösen. Als wäre die energetische Attacke nur ein Kinkerlitzchen gewesen, das mit ein paar Dehnübungen wieder beseitigt werden könnte. Erika klappte der Mund auf, bei so viel Fleischmasse und coolem Getue. Auch wenn ihre beiden Männer nicht gerade schmal waren und wie ein Schutzwall vor ihr standen, so wusste sie doch instinktiv, dass sie gegen diese Kampfmaschine nichts ausrichten würden.

Jack grinste böse und kam näher.

„Dann finden wir mal heraus, was ihr drei Witzfiguren hier zu suchen habt“, ätzte er und fuhr seine Fänge zur Gänze aus.


26.Kapitel

Ein Zittern ging durch seinen kräftigen Brustmuskel und er stöhnte leise, als ihre blau schimmernden Finger seine Wunde berührten. Seine Augen waren geschlossen, sein Kopf vornübergebeugt. Er war immer noch bewusstlos, verzog aber das Gesicht, als hätte er Schmerzen oder einen Albtraum. Silke konzentrierte sich auf das heilende Licht ihrer Hand, doch sie war vor allem fasziniert von der Schönheit und Kraft des Mannes. Seine Haut spannte sich ebenmäßig über harte Muskelstränge, fühlte sich warm und samtig an, wies kein bisschen Brustbehaarung auf. Nicht einmal Achselhaare waren zu sehen, was auf übertriebene Körperpflege zurückzuführen war oder eine Eigenart der Condatis-Brüder sein mochte. Sein Oberkörper war perfekt und sie nicht in der Lage etwas zu benennen, das sich auch nur annähernd je so gut angefühlt hatte.

Er ächzte und versuchte seine Augen zu öffnen. Sofort zog sie ihre Hand zurück und hob seinen Kopf wieder in die Höhe. Selbst kniend war er noch ein großer Mann, aber Silke stand vor ihm und musste sich ein wenig herunterbeugen, um mit ihrem Mund näher an sein Ohr zu gelangen.

„Hörst du mich? John?“ Sie flüsterte und er stöhnte ... nicht unerotisch, wie sie feststellen musste. Dabei hatte er sicherlich Schmerzen.

„Hm.“ Es war mehr ein Brummen als eine verständliche Antwort, doch er erwachte langsam. John hustete und seine Lider flatterten bei dem Versuch, die Augen zu öffnen. Ohne zu zögern küsste sie ihn sanft auf je ein Auge und gab ihm so den richtigen Impuls. Groß und dunkelgrün blickten seine Augen in ihre Richtung, sahen zuerst ins dunkle Nichts und erkannten dann eindeutig Silke.

„Du kannst mich sehen!“, jubelte sie und dämpfte gleich wieder ihre Stimme, um keine bösen Geister oder Dämonen zu wecken. John versuchte etwas zu sagen, doch seine Stimme krächzte und so nickte er nur. Seine Augen waren dabei genau auf sie gerichtet und wirkten so verwundert und erstaunt, dass Silke sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte.

„In der Dimension bin ich die voll abgefahrene Fee. Naja, noch nicht ganz, aber immerhin kann ich meinen Geist auf Reise schicken und das in einem Körper, der ganz klar mehr ist, als nur ein unsichtbarer Astralkörper.“ Er stöhnte überanstrengt und sie schlug sich mental auf die Stirn. Wieso plapperte sie hier wie verrückt, wenn er doch gegen seine Schmerzen kämpfte? Sie berührte ihn mit der Hand am Hals.

„Du kannst nicht sprechen, hm?“ Sie wusste es, ohne dass er nickte und sandte ihre heilende Kraft zu seinem Hals. Er brummte leise, doch das Licht blieb eher an der Oberfläche, drang nur wenig in seine Haut. Silke versuchte sich etwas mehr zu konzentrieren, doch die ganze Reise schien für ihren Energiehaushalt gar nicht so leicht zu sein. Jede Bewegung, jede Konzentration kostete Kraft. Sie spürte deutlich, dass die Heilkraft nur wenig tief reichte und das war zu gering, um an seine Stimmbänder heranzukommen. Silke fluchte leise, doch John seufzte selig. Ihre Berührung tat ihm trotzdem unendlich gut.

„Das ist ...“ Er war ganz klar heiser, konnte aber immerhin ein bisschen besser sprechen. „... gut.“ Für mehr reichte es leider nicht und Silke brach die Behandlung frustriert ab. Irgendwie würde sie schon noch tiefer dringen, doch sie musste auch mit ihren Kräften haushalten und überlegen, was am Wichtigsten war. So wollte sie sich zuerst einmal seinen oberflächlichen Verletzungen widmen, denn davon gab es eine Menge.

Sein Kopf schwankte, als sie ihn losließ und fiel wieder vornüber. Doch seine Augen blieben offen und so wie er sie ansah, schien er zu hoffen, dass sie ihn weiter berührte. Vorsichtig streichelte sie ihm über das Gesicht und wanderte dann weiter bis zu den Schnitten auf seiner Brust. Er sog scharf die Luft ein und biss die Zähne zusammen, doch Silke ließ sich nicht beirren, verharrte an den offenen Wunden und schickte ihr heilendes Licht direkt und gezielt.

John zuckte zusammen, warf den Kopf nach hinten und atmete so heftig, als würde er die Qual der Folter noch einmal erleben. Silkes Augen quollen über vor Tränen, doch sie wusste, dass sie ihre Hand nicht wegnehmen durfte, sie wusste, dass sie ihm nur so helfen konnte. Und dann ... setzte die Heilung endlich mit ganzer Kraft ein. Johns Körper entspannte sich augenblicklich, sein Gesicht wurde weicher und sein Stöhnen tiefer. Den brummigen Ton fand Silke unglaublich erotisch, auch wenn sie wusste, wie verwerflich es war, seine Heilung „anregend“ zu finden. Doch Johns Genuss war offensichtlich und wie magisch anziehend für sie. Was nicht weiter verwunderlich war, denn seit sie in dieser Dimension war und ‚ihre Fee‘ so stark spürte, schien das Condatis-Gen ständig alles in ihr hibbelig und kribbelig zu machen. Vor allem das von John und natürlich auch von Jack. Okay, Josh und Jeff machten sie auch fertig.

Sie seufzte leise und widmete sich mit mehr Konzentration ihrer Aufgabe. John hatte die Augen geschlossen, den Mund leicht geöffnet und bewegte sich mit kleinsten, rhythmischen Bewegungen ihrer Hand entgegen. Das mit der Konzentration geriet gleich wieder ins Schwanken, denn Silke konnte sich gar nicht sattsehen an seinem Wohlgefühl. Zu allem Übel stellte sie sich sein Gesicht auch noch beim Sex vor und stöhnte leise. Der Ansturm auf ihre Sinne war einfach unkontrollierbar und berauschend. Letztendlich konnte sie gar nicht anders und musste ihn einfach küssen. Noch nie hatte sie als Erste einen Mann geküsst und noch nie solche Fantasien dabei gehabt. Seine Lippen waren warm und nachgiebig, obwohl er zu beschäftigt mit der Heilung war, als dass er ihren Vorstellungen entsprechend reagiert hätte. Doch sie strich unaufhörlich mit ihren Lippen über seine weiche Haut, kitzelte ihn mit der Zungenspitze und drang schließlich tief in seinen Mund ein.

Was für ein verwegener Moment! Und wie schnell und bedingungslos sie dann doch plötzlich seine ganze Aufmerksamkeit bekam! Ja, er küsste sie ebenfalls. Kühn, verwegen, aber mit so viel Gefühl, dass Silkes Beine nachgaben und sie sich vor ihm auf die Knie fallen ließ. Es war wie ein Wirbelsturm der Gefühle und ehe sie sich versah, packte sie seinen Hals und Hinterkopf und drückte ihn so fest gegen ihren Mund, dass sie beide kaum noch Luft bekamen. Sie wollte das. So sehr! Ihre Zungen wanden sich immer heftiger umeinander, drangen vor, erkundeten wild und leidenschaftlich. Ihre Oberkörper berührten sich dabei und bewegten sich im völligen Einklang der rhythmischen Liebe.

Als sie sich von ihm löste, war sie außer sich, vollkommen gefangen von der Intensität seines Kusses und doch erschrocken darüber, wie stark ihre feinstofflichen Lippen nun schmerzten. Ihr bläulich schimmernder Körper war offenbar nicht sehr stabil und der Druck eines menschlichen Körpers auf diese Hülle nicht so leicht zu ertragen. Doch das Gefühl dazu war schön und genau so, als hätte sie ihn als vollständiger Mensch geküsst. Vorsichtig betastete sie ihren Mund und vermutete, dass ihr schlafender Körper, kilometerweit entfernt, es ebenso tat.

John wirkte vor allem überrascht, war atemlos. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet mit einer Astralprojektion derart intensive Gefühle teilen zu können. Doch diese Überraschung war gut und war … Hoffnung. Sie hatten beide etwas Essentielles gespürt. Etwas, das weit über sexuelles Begehren, noch dazu in ‚solch‘ einer Situationen, hinausging. Beide sahen sich mit brennenden Augen an und wussten, dass sie dazu bestimmt waren mehr voneinander zu wollen, als nur diesen einen Kuss.

„Nicht hier“, zischte er und schien seine Stimme wieder völlig zu beherrschen. Der Kuss hatte Silkes heilende Essenz offenbar an die richtigen Stellen gebracht und ihm geholfen, seine Stimme wieder zu finden. John war fasziniert vom Kuss und dankbar für die Heilung, aber er machte sich Sorgen um Silkes Energiehaushalt. Sein Blick blieb dennoch wild und die starke Erhebung in seiner Hose war ein deutliches Zeichen seiner Erregung. Trotzdem war dies der falsche Ort für Zärtlichkeiten und er ein Gefangener mit Schmerzen. Zärtlichkeiten waren nicht angebracht, ein Denken an mehr noch viel weniger. Das war auch Silke klar und dennoch hätte sie ihn am liebsten noch einmal geküsst. Nur länger und an allen möglichen Stellen seines schönen Körpers.

„Ich weiß ... wir ... entschuldige ...“ Sie stammelte und fuhr sich noch einmal über die wunden Lippen, während sie sich auf ihre Fersen setzte, um mehr Abstand zu ihm zu bekommen.

„Entschuldige???“ Er lachte schief und sah sie dabei an, als hätte sie ein klein bisschen von ihrem Verstand eingebüßt. „Wofür? Dass du mich rettest und heilst? Oder so scharf machst, dass ich am liebsten in dir wäre ... so tief, dass du meinen Namen laut schreist?“ Seine Worte machten sie ganz schwummerig und seine Augen zeigten ihr, wie sehr er das wollte und brauchen würde. Doch dann driftete sein Blick ab, wanderte zu seiner Hose hinunter und das Stöhnen, das er nun von sich gab, hatte nichts mit Lust zu tun. Er unterdrückte ein Schreien, das konnte Silke ganz klar erkennen.

„Oh, Gott, was habe ich getan? Bist du ... dort ... auch verletzt?“ Ihr Finger zeigte auf seinen Schritt und John nickte unter Schmerzen.

„Die Dämonin hatte ihren Spaß mit meinem Penis, nur waren ihre Hände wie Reibeisen.“ Er knirschte mit den Zähnen und versuchte die Tränen zurückzuhalten, die sich ganz deutlich in seinen Augen abzeichneten. Silke kombinierte rasend schnell. Sie hatte schließlich die Macht zu heilen und wenn ihre Hände nicht reichen sollten, dann würde sie sogar ihren Mund zu Hilfe nehmen. Schließlich hatte John durch ihren Kuss wieder seine Stimme gefunden und warum sollte das in unteren Gefilden nicht auch funktionieren? Doch zuerst waren einmal die Hände dran. Ohne länger zu zögern, öffnete sie seine Hose und John keuchte auf.

„Was tust du ... Silke ... ich ...“ Er zuckt zusammen, als sie seine mächtige Erektion in die Hände nahm. Die Schnitte auf seiner Brust waren bereits geschlossen, die auf seiner Seite noch in Arbeit. Zumindest hielt sich dort ein wenig von ihrem bläulichen Licht. Sie konnte sich also auf sein bestes Stück konzentrieren und schloss beide Hände um seine beeindruckende Größe. Seine Eichel war dick und vollkommen wund gescheuert. Kleine Kratzer fanden sich auf der ganzen Länge, aber aus manchen Schnitten tropfte tatsächlich Blut. Silke sandte ihr Licht und Johns Körper begann zu beben. Seine Augen wurden starr, sein Mund presste sich zu einem weißen Strich zusammen. Was er nun durchmachte, war vermutlich die Hölle, doch er gab keinen Ton von sich. Lieber hätte er sich wohl die Zunge abgebissen, als hier und jetzt vor Schwäche zu winseln.

Und dann setzte auch hier die Heilung ein. Die Anspannung verschwand augenblicklich aus seinem Körper, sein Mund begann sich zu öffnen, Erleichterung war in sein Gesicht geschrieben. Endlich! Das Geräusch, das er nun von sich gab, klang nach absoluter Befreiung. Dazu schenkte er ihre einen Blick, der so tiefe Ergebenheit und Dankbarkeit ausdrückte, dass sie sich ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen konnte. Ja, er war ein schöner Mann und hinreißend in seinem Wohlgefühl.

Noch während sie das dachte, begann sie ihn zu reiben. Sie wusste, dass das verrückt war, dass ihre Sinne völlig überreizt waren und ihre Fee einen ordentlichen Dachschaden haben musste, um ‚so etwas‘ hier anzuzetteln, doch die Lust, die sie dabei durchströmte war einfach nur einmalig und erfüllte ihren gesamten Körper. John keuchte auf und schien nicht fassen zu können, was sie da gerade tat. Sein Brustkorb hob und senkte sich unter dem Ansturm seines wilden Atems und ihrer flinken Finger. Silke konzentrierte sich, denn sie wollte ihm Freude bereiten, ihn vor Lust stöhnen hören und ihn dabei ganz genau beobachten.

„Silke! Ich ...“ Er keuchte, als ihre Hände schneller wurden. Sie wusste nicht, was in sie gefahren war, doch sie liebte seinen Gesichtsausdruck, genoss sein lautes Stöhnen und das automatische Stoßen seiner Hüfte. Sein Oberkörper glänzte im Schweiß, sein männlicher Duft stieg ihr in die Nase und sein Blick zeigte ihr ganz klar, wie sehr er das hier wollte.

„Ich komme gleich ...“ Er war schon so weit und überreizt, dass er nicht mehr aufhören konnte in ihre Hände zu pumpen. Sein ganzer Körper war erfüllt von Energie, sexueller Kraft und ihrem geschickten Tun. Er war angespannt wie ein Bogen kurz vor dem Abschuss, riss mit ganzer Kraft an seinen Ketten ... und kam so heftig zum Orgasmus, dass er seinen Lustschrei mit aller Kraft unterdrücken musste. Sein Samen spritze einfach auf den Boden und das immer und immer wieder. Als könnte die Lust, die sie ihm bereitete, niemals enden.

Er keuchte vor Vergnügen und Wonne, während sein Körper zuckte. Silke war fasziniert von seinem Anblick, der Intensität seiner Gefühle, seinem langanhaltenden Gipfel und vor allem fasziniert von dem Mann an sich. Sie wollte ihn. Für viel mehr als das hier. Und womöglich sogar für immer. Selbst wenn sie die drei anderen Musterexemplare der Condatis-Brüder auch jetzt nicht aus dem Kopf bekam.

Als Johns Höhepunkt langsam abebbte, war er außer sich vor Glück, aber auch vollkommen erledigt. Kurz fielen ihm sogar die Augen zu, doch ihre Hand lag immer noch fest auf seinem Schaft und als sie mit ihrem Daumen seine Samenflüssigkeit über seine Eichel verteilte, konnte er die Augen nicht länger geschlossen halten. Er musste sie beobachten und den lüsternen Ausdruck in ihren Augen in sich aufnehmen. Silke war ätherisch schön und wirkte wie berauscht von ihrem Tun, obwohl sie selbst keine Erfüllung gefunden hatte. Das erotische Nachspiel war ebenso faszinierend, die Intimität dabei fast noch inniger als bei ihrem Zusammenspiel davor. Hungrig starrten sie sich gegenseitig an und genossen das Gefühl der Verbundenheit. Das Versprechen in seinen dunkelgrünen Augen war dabei klar zu erkennen, ebenso wie sein Bedürfnis es so bald als möglich einzulösen. Er musste nur noch irgendwie die Ketten abstreifen und hier herauskommen.

Nur noch! Alleine der Gedanke daran war schon illusorisch, denn Silkes Astralkörper konnte keine Ketten zerstören oder Türen öffnen. Das Versprechen in seinen Augen schien dennoch zum Greifen nahe zu sein und es lautete: Revanche!


27.Kapitel

„Immer mit der Ruhe, Großer! Ich bin Johns Wächter und wir sind hier um mit dir und deinen Brüdern zu sprechen“, erklärte Dennis. Erika zitterte wie Espenlaub. Der Typ vor ihr war eindeutig ein Vampir und gut zwei Meter groß. Die Muskelberge waren sowieso nicht von dieser Welt. Oder besser nicht von ihrer Welt. Dass er sich mit all den Wülsten überhaupt bewegen konnte war ihr ein Rätsel, dass er es aber so geschmeidig wie eine Raubkatze konnte, verblüffte sie. Jacks Miene blieb ausdruckslos.

„Es stimmt“, mischte sich nun Eron ein und versuchte das Zittern in seiner Stimme zu überspielen. Was Erikas Gesichtsfarbe noch eine Nuance heller werden ließ. Wenn sich schon ein Dämon vor dem Vampir fürchtete, was sollte sie dann erst sagen?

„Sohn von Heimdall“, schrie Jack und stierte auf Dennis, während seine Hand auf Eron zeigte. „Was macht dieser Dämonenarsch auf unserem Grund?“ Den zweiten Satz brüllte er so laut, dass Erika meinte, die Bäume müssten jeden Moment ihre Blätter verlieren. „Und was verflucht macht die Hexe hier?“ Diesen Teil fragte er deutlich leiser, zischte das Wort „Hexe“ aber mit einer Abscheu, die Erika den Schweiß auf die Stirn trieb. Dennis machte sich ein wenig größer, um die schützende Haltung vor ihr zu unterstreichen und das schien Jack erneut zu ärgern. Zumindest sah er so aus, als könnte er sich nur mit Mühe beherrschen, nicht zuzuschlagen.

„Also, Jack“ Dennis wusste natürlich seinen Namen. Nur der halbe Untote von den Condatis-Brüdern konnte eine derart niederschmetternde Gewalt ausstrahlen. „Das hier ist mein Bruder Eron. Er ist über jeden Zweifel erhaben, denn mein Vater bürgt für ihn. Und das hier ...“ Und damit legte er seinen Arm um Erika. „... ist mein Eheweib Erika.“

Punkt und aus.

Trocken brachte er die Lüge hervor und auch wenn Jack nicht gerade die Einfühlsamkeit in Person war, so konnte er doch Erikas große Augen sehen und ihren überraschten Laut hören. Selbst ein Idiot hätte die Lüge erkannt.

„Weiß sie das denn überhaupt, Kleiner?“, fragte Jack mit einem Knurren, das mehr aussagte als seine Worte.

„Wenn du es anzweifelst wirst du es bereuen. Ich bin ein Wächter und stehe unter dem Schutz der Götter. Sie ist mein Weib und steht somit unter dem meinen.“ Oha. Jetzt verstand auch Erika. Göttlicher Diplomatenschutz oder so. Sofort schmiegte sie sich noch fester an ihn. Jack hob verächtlich einen Mundwinkel und zeigte das obere Ende seines langen Reißzahnes.

„Die haben wirklich was am Laufen. Du solltest sie mal erleben ...“ Eron plapperte wie der letzte Vollidiot und Jack hob eine seiner Augenbrauen so an, als könnte er nicht glauben, dass er hier seine Zeit verschwendete.

„Wir müssen reden, Jack! Euer Bruder ist in Gefahr!“ Dennis machte einen Schritt auf den riesigen Vampir zu und streckte ihm seine Hand hin. „Wir kommen in Frieden und möchten nur helfen. Ehrlich.“ Jack sah auf die gereichte Hand und verdrehte gelangweilt die Augen.

„Du klingst wie ein Alien, Kleiner.“ Freundlichkeit lag ihm nicht, aber immerhin hatte er kapiert, wer die drei waren und was sie hier wollten. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging. Als die drei nicht gleich folgten, blieb er noch einmal kurz stehen.

„Was ist? Kommt ihr nun oder braucht ihr eine Extraeinladung?“

Der Schutzzauber löste sich unter den Füßen des Riesen auf und zeigte statt der blühenden Wiese auf der Spitze des Hügels ein riesiges Anwesen, das von einer weißen Mauer umgeben war. In der Mitte stand ein einstöckiges, modernes Haus, das auf guten Geschmack und nicht auf die ärgsten Hinterwäldler schließen ließ.

Alle drei folgten ihm ohne Fragen zu stellen und kamen ungehindert durch den Schutzwall, den Jeff sorgsam um das Condatis-Zuhause gezaubert hatte. Das Tor öffnete sich, indem der Vampir seine Hand darauf hielt und auch die Eingangstür zum Hauptgebäude ließ sich auf diese Weise öffnen. Erika nahm das alles wie durch einen Nebel war, denn eigentlich war sie immer noch ziemlich durcheinander von dem Überfall durch den Riesen. Auch der Tarnzauber war schlicht und ergreifend so neu für sie, dass sie starr nach vorne guckte und ihren süßen Dennis dabei nicht losließ.

Sie wurden bereits von Jeff und Josh erwartet. Im Hintergrund sahen sie eine ältere Dame, die als Perle des Hauses mit dem Namen Rosella vorgestellt wurde. So wie sie nickte, schien sie nicht oft zu sprechen oder stumm zu sein. Die Hand reiche sie ihnen jedenfalls nicht. Aber dennoch genügte der Anblick der Frau, um Erika ein bisschen zu beruhigen.

„Wer sind denn die?“, fragte der dunkeläugige Condatis dann grimmig und Erika stellte fest, dass sie ihn auf Anhieb unsympathisch fand. Josh hingegen streckte seine Hand vor und begrüßte jeden freundlich. Seine Augen leuchteten hell und Erika wurde total nervös, als er ihr die Hand schüttelte und dabei ihren Duft inhalierte.

„Sie gehört zu mir“, blaffte Dennis und schob sich zwischen Erika und Josh. „Ich bin der Sohn von Heimdall. Das ist mein dämonischer Halbbruder Eron und Erika ist mein Weib. Wir sind hier, um euren Bruder zu befreien.“ Damit hatte er endlich die ganze Aufmerksamkeit der drei Brüder.

„Und, um Silke zu finden“, ergänzte Erika und kippte damit die Stimmung gleich wieder ins Gegenteil. Mit einem Mal spürte sie die drei riesenhaften Brüder als Gegner vor sich. „Huch, was ist jetzt los?“, keuchte sie und trat einen Schritt zurück, weil die Urgewalt der Brüder erschreckend war. Dennis aber hielt Schritt, blieb an ihrer Seite und Eron stellte sich auf der anderen Seite neben sie.

„Was willst du von Silke Environ?“, knurrte der Vampir gehässig und Erika fiel es wie Schuppen von den Augen. Vielleicht war es nur eine Ahnung, vielleicht der wilde Ausdruck in diesen befremdend unterschiedlichen Augen.

„Ihr habt sie!“ Es war eine Feststellung. Erika wusste es einfach. „Verflucht! Silke ist meine beste Freundin und ihr habt sie ... ihr habt sie einfach entführt! Und dann auch noch nackt! Ich meine, geht’s noch?“ Erika stemmte ihre Hände in die Seite und reckte ihr Kinn energisch in die Höhe.

„Die Hexe hat Stacheln“, knurrte der Vampir ließ seine Fänge demonstrativ langsam aus seinem Kiefer fahren und schaltete ganz offensichtlich in seinen Kampfmodus. Seine Vorfreude, Erika gleich in Stücke zu reißen, war offensichtlich. Eron reckte inzwischen seine Nase in die Höhe, schnupperte und deutete mit einem erhobenen Daumen an, dass Silke tatsächlich hier sein musste. Erika bemerkte es sofort und fühlte sich bestärkt. Dennis hielt weiterhin ihre Hand, um zu zeigen, dass er auf ihrer Seite war.

„Ich bin keine Hexe“, zischte Erika. „Und ich will zu Silke und sehen, ob es ihr gut geht! Mehr nicht!“ Der Drache lachte, der Vampir knurrte und der schwarzäugige Satan kniff die Augen zusammen als würde er sie am liebsten scannen. Alle hielten sie wohl kurz die Luft an, denn es wurde mucksmäuschen still. Das Schwarzauge rasterte immer noch ihren Körper und alle anderen schienen nur auf eine falsche Bewegung zu warten.

„Hexenanteil. Eindeutig. Kein Feenanteil.“ Erklärte Jeff schließlich trocken und seine zwei Brüder atmeten erleichtert aus.

„Okay, Süße. Kein Problem. Wir müssen nicht auch noch um dich buhlen. Silke schläft und sie wird diesen Ort nicht verlassen, verstanden?“ Es war Josh mit den hellen Augen, der das sagte und obwohl er meist freundlich lächelte, waren seine Augen so intensiv auf Erika gerichtet, dass sie das schwelende Tier dahinter erkennen konnte. Sie zuckte wie unter einem Hieb zurück.

„Du bist ... du bist ...“ Sie stammelte und quetschte Dennis Hand, um nicht den Halt zu verlieren.

„Ich bin Josh, ein Drache. Jeff ist Magier und Jack kennst du ja schon besser.“ Er lachte wieder und Erikas Wut flackerte auf.

„Warum habt ihr Silke?“

„Hat dir das dein schöner Lover nicht gesagt? Wir Condatis-Brüder haben einen Pakt geschlossen. Finden wir eine Frau, die in Frage kommt, dann können wir sie uns teilen.“

„WAS?“ Erika kreischte und Josh lachte. Schon wieder.

„Das war ein Scherz, Hexchen. Entspann dich! Wir werden sie nicht teilen, wir werden nur um sie buhlen. Zu gleichen Teilen.“

„Ich will sie sehen! Sofort!“ Erika war erstaunlich gefasst und Dennis bewunderte sie für ihr Auftreten, doch die finsteren Mienen der Brüder zeigten ihm, dass sie so nicht weiterkommen würden. Befehle waren nichts für diese Kerle.

„Wir wissen, dass John entführt wurde und ihr das Ritual nur vollenden könnt, wenn er dabei ist.“ Dennis sagte nur diesen einen Satz und doch war die Wirkung beeindruckend. Jack knurrte verwundert, Josh konnte seinen Mund nicht mehr schließen und Jeff wurde so wütend, dass er auf Dennis zustürmte und seine Nasenspitze auf seine drückte.

„Was weißt du schon von unserem Ritual? Du bist noch nicht mal ein Magier“, blaffte er aggressiv, griff den Wächter aber nicht körperlich an. Dennis aber ließ sich nicht einschüchtern. Auch nicht von den bösen, pechschwarzen Augen, die den Schwarzmagier dahinter kaum noch verbergen konnten.

„Im Gegensatz zu euch rede ich noch mit meinem Vater. Und Götter haben für gewöhnlich ihren eigenen Zugang zu solchen Angelegenheiten.“ Das Gesicht des Magiers verzog sich zu einer wütenden Fratze und Erika fielen fast die Augen aus dem Kopf. Nicht wegen Jeff, sondern wegen dem was Dennis gesagt hatte.

„Ein Gott?“ Sie keuchte. „Du sagtest dein Vater wäre der Wächter der Götter, aber nicht, dass er selbst ein Gott ist.“  Dennis wandte sich ihr zu und gab so Jeff die Möglichkeit sich wieder zu beruhigen.

„Nur ein Gott kann Götter schützen, Liebes“, erklärte er gefühlvoll, aber Erika wurde aschfahl und sackte leicht in die Knie. Dennis stützte sie sofort. Sie wusste nicht, warum dieses Detail plötzlich ein Problem für sie war, nachdem sie heute wahrlich schon eine Menge an Absonderlichkeiten gehört und gesehen hatte. Vermutlich war ihr nur schlagartig bewusstgeworden, dass sie sich neben ihrem Traummann plötzlich klein und nichtig fühlte.

Dennis zog sie fest in seine Arme.

„Keine Angst! Bis zu einem gewissen Grad sind wir auch nur Menschen und ich persönlich habe ein Faible für süße Mischlingsfrauen.“


28.Kapitel

Ein seltsames Rütteln erfasste Silkes Körper und ihre Kraft begann wahnsinnig schnell zu verblassen, ebenso wie ihr feinstofflicher Körper.

„Silke“, rief John verzweifelt und versuchte trotzt seiner Ketten nach ihrem flackernden Leib zu greifen. Aber beide konnten sie ihre Auflösung nicht verhindern. Ihr wahrer Körper brauchte offenbar dringend Silkes Lebensessenz.

„John ... ich kann mich nicht mehr halten“, wisperte sie erschrocken und verblasste schließlich gänzlich. John sagte noch etwas, zerrte an den Ketten, kam sogar einigermaßen auf die Beine, doch Silke konnte gegen den starken Sog nichts ausrichten. Der Energiestrom überwältigte sie regelrecht, trieb sie von ihm fort und brachte sie zurück an jenen Ort, wo ihr Körper schlief.

Mit voller Wucht detonierte sie in ihn hinein, als würde sie aus hundert Metern Höhe auf Beton schlagen. Das Zusammentreffen war schmerzvoll und sie keuchte heiser, als sie sich einklinkte, die Augen aufriss und sich kerzengerade im Bett aufsetzte. Ihr Körper zitterte, aber viel mehr noch bebte ihr Innerstes. Als wäre sie gerade noch dem Tod von der Schippe gesprungen, weil sie zu viel Energie verbraucht oder zu lange auf Reisen gewesen war.

„Silke! Ich dachte schon du bist tot! Scheiße nochmal. Tu sowas nie wieder!“ Das Gezeter kam ihr sofort bekannt vor. Erika saß an ihrem Bett und rubbelte permanent über Silkes Oberarm. Ihre Haut war schon krebsrot, von der heftigen Zuwendung. Erikas besorgter Blick sprach Bände und Silke bemerkte dafür die neue, dunkle Farbe von ihren Augen. Sie hatte immer schon eine dunkelbraune Iris gehabt, doch nun waren schwarze und violette Sprenkel hinzugekommen. Silke blinzelte verwirrt.

„Wie siehst du denn aus?“, fragte sie verwundert und Erika begann hysterisch zu lachen.

Ich? Ja, Süße, geht’s noch? Was soll ich denn von dir sagen? Schon mal in den Spiegel geguckt?“ Silke stutzte, denn das hatte sie freilich noch nicht. Im Hintergrund standen ganze vier Männer und ein Dämon. Und allmählich fragte sie sich, wo sie war und wie sie hierhergekommen war. Verwirrt blickte sie sich noch einmal um, dann fiel ihr wieder alles ein. Alles! Der Schock des Aufpralls hatte ihr Gehirn nur für einen kurzen Moment ausgeknockt.

„Oh! Jetzt weiß ich wieder alles!“ Sie lächelte und alle im Raum entspannten sich. Heftig umarmte sie ihre Freundin und drückt ihr einen Kuss auf die Wange. „Bin ich froh, dich zu sehen, aber wie kommst du hierher? Ich meine das ist schließlich keine kleine Taxifahrt.“ Silke war ehrlich verwundert, obwohl sie sich persönlich ja nicht an ihren Übertritt in diese Dimension erinnern konnte. Sie hatte nur durch die Erzählungen mitbekommen, dass der Wechsel nicht so ohne war.

„Mit Dennis. Er ist nicht nur Johns Assistent, er ist auch ...“ Sie unterbrach sich, als Dennis vortrat und ihr seine Hand auf die Schulter legte.

„Ich bin ein Wächter und suche John.“ Die drei Brüder brummten im Hintergrund etwas Unverständliches und Silke warf ihnen einen amüsierten Blick zu. Jeff flüsterte mit seinen Brüdern hinter vorgehaltener Hand.

„Aha, ein Wächter also“, antwortete sie inzwischen gedankenverloren, weil sie eigentlich versuchte das Geflüster der Drei zu entschlüsseln. Als es ihr jedoch nicht gelang und die Herrschaften keine Anstalten machten, sich mitzuteilen, fragte sie laut nach.

„Was gibt’s denn zu tuscheln, meine Herren?“ Silke schaute dabei so ungewohnt herrisch zu ihnen hinüber, dass Erika kichern musste.

„He, kontrollierst du den Haufen etwa?“, flüsterte sie ihrer Freundin ins Ohr und Silke deutete ein leichtes Nicken an. Dennis musste daraufhin schmunzeln und die drei Brüder sahen zu ihnen herüber, als wären sie ertappt worden oder ihnen diese Tatsache zumindest ein klein bisschen unangenehm.

„Du warst offenbar auf Reise“, erklärte Jeff, der die Magie witterte und ihr abruptes Erwachen zu deuten wusste. „Ungewöhnlich, wenn man bedenkt wie kurz du erst hier bist. Sehr ungewöhnlich.“ Seine schwarzen Augen fixierten sie, als hätte sie ihn schon wieder überrascht. Silke lächelte zaghaft, obwohl sie sich von ihrer Reise noch geschwächt fühlte.

„Es stimmt ich war bei John!“ Und damit sah sie wieder zu Dennis, der offenbar den Atem anhielt.

„Er lebt!“

„Den Göttern sei Dank!“, stieß er atemlos hervor und zog Erika in seine Arme. Die hing zuerst wie ein nasser Sack in seiner festen Umarmung, schmiegte sich dann aber sichtlich glücklich an ihn. Silkes Augenbrauen hoben sich im Moment der Erkenntnis.

„Ihr seid zusammen? Ja, aber ihr kennt euch doch erst ...“ Sie schluckte und stoppte ihren Redefluss. Schließlich konnte sie auch nicht gerade behaupten von der langsamen Sorte zu sein. Ein Fakt, der ihr schon länger im Kopf herumschwirrte und Probleme machte, obwohl die Energie hier durchaus berauschend war. Sie wollte trotzdem nicht, dass sich alles nur um Schicksal und sexuelle Schwingungen drehte. Sie wollte mehr. Viel mehr. Ihre Seele schrie nach Liebe, Geborgenheit und Glück. Gefühle, die sie ganz deutlich bei Erika sehen konnte. Selbst nach solch kurzer Zeit.

Also sollte sie sich endlich für ihre Freundin freuen und nicht mit verkorkster Moral kommen. Doch in Wahrheit versuchte sie in ihr Innerstes zu horchen und herauszufinden, ob sie selbst vielleicht auch schon solch ein Gefühl für einen der vier Brüder entwickelt hatte. Nachdem was sie gerade noch mit John angestellt hatte, sollte man meinen, dass die Sache klar war, doch hier – inmitten der drei anderen Urgewalten – kam sie plötzlich zu keiner klaren Erkenntnis mehr. Schnell lenkte sie sich von diesem verwirrenden Gedanken ab und brachte das Thema wieder auf John.

„Er wurde gefoltert und hängt in Ketten. Ich konnte den größten Teil von ihm ...“ Sie räusperte sich verlegen. „Ich meine, den größten Teil seiner Verletzungen heilen. Wenn ich reise, kann ich blaues Licht senden. Und ich bin sichtbar. Zumindest war ich das für John.“ Die drei Brüder rückten näher an sie heran und allmählich fühlte Silke sich nicht mehr wohl, weil sie doch als Einzige im Bett saß. Sie schob die Decke zur Seite und stand auf. Da sie mit ihrem Kleid geschlafen hatte, machte sie sich keine Gedanken über ihr Aussehen.

Jack knurrte, Josh hustete und Jeff sah sie an, als wollte er sie am liebsten umbringen. Erika deutet auf den Saum ihres Kleides, der mit einem Zipfel in ihrer Unterhose steckte und somit viel Bein und Po offenbarte. Genervt verdrehte Silke die Augen und zog sich das Kleid herunter.

„Also bitte, meine Herren! Sind wir da nicht längst drüber?“ Doch das Knurren hörte nicht auf und auch die anderen beiden Brüder schienen irgendwie unrund zu laufen.

„Was ist denn noch?“

„Hast du mit ihm geschlafen?“, fragte Josh und seine Augen leuchteten so intensiv, als würde er sich gleich wandeln. Jacks Körper wirkte angespannt und Jeff schien sie innerlich zu verfluchen.

„Jetzt hört schon auf! NEIN! Ich habe nicht mit ihm geschlafen!“ Und sie sagte ja auch die Wahrheit. In deren und ihren Augen war sie noch unschuldig und würde es bis zum Ritual bleiben – außer sie würde noch einmal reisen und derart in Versuchung geraten. Als Fee war sie schließlich nicht ganz so kontrolliert und zurechnungsfähig. Aber eine Vereinigung im herkömmlichen Sinn hatte bisher eben nicht stattgefunden.

Die Brüder reagierten nicht sofort, doch die Antwort sickerte langsam in ihr Bewusstsein und kühlte die erhitzte Atmosphäre ein wenig ab.

Im Gemeinschaftsraum machten sie es sich dann alle gemütlich. Nein, eigentlich machten es sich die Gäste gemütlich und die drei Condatis-Brüder blieben steif und unnahbar. Sie waren Fremde nicht gewohnt und nicht darauf eingestellt, ihre Probleme zu teilen.

„Wie gehen wir vor, um John aus den Händen des Dämons zu befreien?“ Dennis war die Anspannung deutlich anzusehen, die Dringlichkeit in jedem Wort und in jeder Bewegung zu erkennen. Eron hingegen saß lässig da, knabberte Chips und ließ die Menschen und Andersartigen einmal auf sich wirken.

„Sozialstudie“, flüsterte er Silke zu, die dafür überhaupt nichts übrighatte. Immerhin ging es hier um das Leben von John. Jack richtete sich etwas mehr auf und ergriff das Wort.

„Ich gehe hinein. Ich habe Andras schon einmal an den Eiern gepackt, ich kann es ein zweites Mal.“

„Alleine?“, fragte Erika, die zwar seine Kraft erlebt hatte, aber sich nicht vorstellen konnte, dass ein einzelner Mann in eine dämonische Festung hineinstürmen und überleben konnte. Jack wandte sich ihr zu.

„Wieso möchtest du mich begleiten, Hexchen?“ Er zwinkerte und Erika errötete. Dennis legte automatisch seinen Arm um ihre Schultern und blitzte den Riesen böse an.

„Lass das Jack! Erika weiß gerade einmal, dass sie einen Hexenanteil hat. Mehr nicht. Und lass auch deine Anzüglichkeiten! Ich kann sehen, dass du sie aufregend findest.“ Erika starrte von Dennis zu Jack und zurück. Der Vampir fand sie geil? Das hatte sie ja noch nicht einmal bemerkt. Jack grinste, machte aber eine beschwichtigende Handbewegung.

„Schon gut, Sohn des Heimdall. Ich werde versuchen das zu respektieren.“ Er lachte böse und sah ein letztes Mal zu Erika. Für Silkes Geschmack lief das jedenfalls alles zu unorganisiert ab. Sie wusste nicht, woher sie das Recht nahm, sich als Rädelsführerin aufzuspielen, doch sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie hier Ordnung hineinbringen musste. Schon wieder!

„Okay. Hier mein Vorschlag! Ich kann mich quasi zu John beamen und die Lage dort checken. Josh kann dafür als Drache über der Festung seine Runden ziehen und aus der Luft auskundschaften, wie viele Dämonen dort sind und welche baulichen Voraussetzungen wir vorfinden werden. Falls die Festung von einem Schutzzauber umgeben ist, muss Jeff dafür sorgen, dass Josh nicht davon behindert wird. Eron ist ein Dämon, vermutlich kann er sowieso in die Festung hineinspazieren und wird somit unser dritter Spion sein.“ Im Raum war es schlagartig still geworden. Nicht einmal Jack knurrte mehr.

„Was ist jetzt schon wieder?“ Überrascht blickte Silke rundum. Für sie ging das alles viel zu langsam, aber so wie alle guckten, hatte sie entweder zu schnell gesprochen oder sie alle überfordert.

„Ich schätze sie sind einfach geplättet, Schätzchen!“ Erika tätschelte Silkes Hand und strahlte reinste Bewunderung für ihre Freundin aus.

„Verdammt, die Frau ist gut“, zischte Josh, Jack knurrte und Jeff nickte erstmals. Dann meldete sich Dennis zu Wort.

„Das ist echt gut! Jack und ich bleiben dann in der Nähe der Festung und wenn alles klar ist und Jeff den Schutzzauber neutralisiert hat, stürmen wir mit Eron und Josh hinein und befreien John.“ Alle nickten bis auf Erika.

„Und ich? Hallo-o ich bin auch noch da und ich kann immerhin zaubern, ihr Luschen!“ Sie versuchte überheblich zu wirken, weil sie sich übergangen fühlte. Von Jeff, dem Zauberer, erntete sie jedoch nur ein abfälliges Lachen.

„Zaubern? Du bist hier gerade mal ein Baby. Ich sage es nur ungern, aber von einer Hexe bist du Lichtjahre entfernt, Süße!“ Dazu schnalzte er geringschätzig mit seiner Zunge und ... flog im nächsten Moment vom Stuhl. Erika hatte augenblicklich reagiert und ihm einen zischenden, blauen Donnerball vor den Latz geknallt. Ihr Reflex war wirklich gut und die Dosis des Balls deutlich geringer, als bei Jack, der wegen ihrer Angst die volle Ladung abkassiert hatte. Sie lernte also durchaus schnell und auch wenn sie noch ein wenig unsicher war, so war sie doch zufrieden mit ihrer Leistung. Wie eine Revolverheldin pustete sie über ihre Handfläche und wackelte provokant mit ihren Augenbrauen.

„Na, und was ist jetzt, Bürschchen?“, zischte sie, während Jeff sich mit wutverzerrtem Gesicht in die Höhe rappelte und die anderen vor Vergnügen johlten. Natürlich hätte er sich sowohl magisch, als auch auf handgreifliche Weise revanchieren können, doch er hatte es als Wink mit dem Zaunpfahl verstanden und wandte sich nun Zähne knirschend an Erika.

„Okay, wenn das alles hier vorbei ist, dann werden eine Menge Sparrings fällig. Ist das klar? Silke bekommt noch eine Lektion und dir, cooles Hexchen, werde ich ebenso den Arsch versohlen.“ Dennis wollte gerade etwas sagen, als Erika ihn mit einer kurzen Handbewegung stoppte.

„Gut, großer Meister, dann werden wir uns eben prügeln. Das macht mir keine Angst. Aber bis dahin werde ich gefälligst bei der Mission helfen und nicht einfach nur hier hocken und Däumchen drehen. Ist das klar?“


29.Kapitel

John war noch ganz gefangen von Silkes Energie, dabei mussten seit ihrem Verschwinden bereits Stunden vergangen sein. Sicherlich war er kurzzeitig wieder eingeschlafen, denn der Heilungsprozess rang ihm Kraft ab. Lediglich die Verletzungen durch die neunschwänzige Katze an seiner Seite waren noch nicht ganz verheilt. Diese zu heilen, hätte vermutlich Silkes ganze Aufmerksamkeit und Konzentration benötigt. Doch stattdessen hatte sie sich ablenken lassen und sich zum Glück einer anderen Körperregion zugewandt ... und, verdammt, wie gut sie das gemacht hatte! Er stöhnte bei der Erinnerung an ihr schönes Gesicht und den lüsternen Ausdruck in ihren Augen. Ihre Hände waren magisch über seinen Schwanz gestrichen und hatten mit ihm experimentiert. Am liebsten hätte er sich sofort bei ihr revanchiert, doch dafür war sie zu schnell entschwunden.

Er dachte an den endlosen Strom seines Höhepunkts, konnte die Spuren davon ganz klar am Boden erkennen und trotzdem nicht begreifen, wie so etwas möglich war. Er hatte schon viele Frauen besessen und manche von ihnen waren wirklich geschickt darin Männer zu verführen und Dinge anzustellen, die man sich in den kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte. Es gab schöne und durch und durch verdorbene Frauen und die hatten bisher immer perfekt in sein Beuteschema gepasst. Er wollte eigentlich keine Heilige, sondern durchaus lieber die Hure. Doch bei Silke verhielt sich das irgendwie anders. Sie war so eine eigentümliche Mischung aus beidem und dazu offenbar auch noch mit einer überdurchschnittlich großen Portion Feenanteil gesegnet. Silke Environ war schön, leidenschaftlich und experimentierfreudig, aber selbst jetzt witterte er noch diese unglaublich reine Unschuld in ihr. Eine Qualität und Essenz, die über die Maße verlockend war, erstrebenswert und ... womöglich sogar liebenswert.

Liebe! Er keuchte und verspürte ein Gefühl der Wärme in seinem Bauch. Für einen Moment konnte er das neue Gefühl genießen, sich darin wärmen und Energie tanken, doch dann drängte er den Gedanken zur Seite und riss mit aller Kraft an seinen Ketten. Er hatte es so satt hier zu hängen. Die längste Zeit schon fragte er sich, wann es seinen Brüdern oder vielleicht sogar seinen Sicherheitsleuten in der anderen Welt gelingen würde, ihn hier zu finden. Und natürlich überlegte er, warum es Silke so leicht gelungen war ihn ausfindig zu machen, während ausgebildete Männer offenbar nicht dazu in der Lage waren.

Liebe! Wieder durchzuckte ihn dieser Gedanke. Dabei hatte er noch nicht einmal im Ansatz damit gerechnet oder gehofft, jemals von wirklich tiefgehender Liebe berührt zu werden. Selbst beim Wunsch nach Familie hatte er in der Theorie von etwas gesprochen, was er bis zu diesem Zeitpunkt noch nie wirklich durchschaut hatte. Und der Gedanke war auch jetzt verrückt! Er kannte Silke noch viel zu kurz ... als Mensch und als schimmerndes Geistwesen, das heilen und erotische Dinge anstellen konnte. John seufzte leise.

Durch das Serum wusste er nun wieder von seiner Herkunft und seinen Brüdern. Aber woran er sich vor allem erinnerte, war der Pakt. Und der machte tatsächlich Sinn! Denn endlich begriff er dieses abgefahrene Abkommen unter Brüdern und wusste von der Verzweiflung, die dahintersteckte. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatten sie die Chance ihr Leben neu zu ordnen, den Sinn ihres Daseins zu erfahren und Liebe zu erleben. Der Gedanke war verlockend, die Hoffnung wie ein Lichtfunke. In seinem Menschenleben hatte er wahrlich alles erreicht, was man nur erreichen konnte, war durchaus schon einmal verliebt gewesen oder einer Schwärmerei erlegen. Doch Liebe im eigentlichen Sinne war etwas ganz anderes und nichts im Vergleich zu dem, was er bisher darunter verstanden hatte. Jetzt, wo er den Ansatz witterte und den Beginn eines tieferen Gefühls spürte, wusste er, dass diese Frau eine Chance bot, die mit keinem Schatz dieser oder einer anderen Welt überboten werden konnte.

Er war ein Gefangener und die Aussicht auf Befreiung stand nicht gerade zum Besten, aber selbst, wenn er hier nie wieder herauskommen sollte, wusste er nun, wonach er insgeheim schon immer gesucht hatte.

Als die Tür aufging und helles Licht bis zu ihm drang, ahnte John, dass die nächste Folter bevorstand und er sie nur mit all seiner Kraft überleben würde. Andras war ein Teufel in Dämonengestalt und er scheute sicher nicht davor zurück, ihm mehr anzutun, als ein paar Peitschenhiebe mit Ätzfaktor. Amputationen waren wohl das Schlimmste, was er sich noch vorstellen konnte und genau die würden kommen. Er wusste es, noch bevor er die riesige Zange sah, die Andras mit einem gehässigen Lächeln in den Raum brachte.


30.Kapitel

Sie hatten sich alle vorgenommen ein paar Stunden zu schlafen und gleich danach aufzubrechen. Es nutzte nichts, wenn sie vollkommen erledigt in die Schlacht zogen und dadurch schlechtere Chancen hatten. Silke aber wusste, dass sie nicht ausschließlich schlafen konnte. Ihr Körper würde rasten, ihr Geist nicht. Sie hatte versprochen keine Alleingänge zu wagen, doch sie konnte nicht anders. Zuerst schlief sie vermutlich wirklich, denn auch ihr Geist brauchte Entspannung, doch sobald sie zu träumen begann, machte sie sich auf die Reise.

Das Licht war dieses Mal anders, schimmerte rötlich und verstärkte das intensive Gefühl von Unheil und Schmerz. Als wäre die Luft geschwängert mit zerstäubtem Blut und regelrecht durchsetzt von der Qual des Gefangenen. Silke musste mit aller Kraft gegen ihren Schrecken kämpfen und biss verzweifelt in ihre Faust, um ein lautes Geräusch zu unterdrücken. John war nicht alleine! Der Dämon stand genau vor ihm und mit dem Rücken zu ihr. Noch hatte er keine Ahnung von ihrer Anwesenheit und widmete sich ausschließlich seinem Gefangenen. John hatte die Zähne gefletscht und die pure Wut im Gesicht. Andras hingegen lachte schaurig und setzte gerade eine riesige Zange bei Johns Finger an. Silke erfasste die Situation augenblicklich und zögerte keinen Moment.

„NEIN!“, brüllte sie selbstvergessen und stürzte sich auf den Dämon. Mit aller Kraft, die ihre astralen Hände boten, fuhr sie dem Widerling ins Gesicht und versuchte ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Andras war tatsächlich so überrascht, dass er die Zange von Johns Hand wegriss und sogar fallen ließ. Der ärgerliche Laut, der ihm dabei entschlüpfte, fabrizierte eine unangenehme Druckwelle auf Silkes Astralkörper. Der Dämon mochte vielleicht kurz überrascht worden sein, hatte aber gute Reflexe. Er wirbelte herum, streifte Silke wie ein lästiges Insekt von seinem Körper und stellte sich mit grimmigem Blick seiner unvorhergesehenen Gegnerin. John hing währenddessen hilflos in seinen Ketten und konnte nicht fassen, dass Silke versuchte hatte ihn zu retten ... mit nichts als ihrem Mut und ihrer verletzlichen Feinstofflichkeit.

„Silke! Nein!“ John schrie verzweifelt, sein Gesicht war schmerzverzerrt. Was sie aber in seinen Augen sehen konnte, war ausschließlich die Angst, die er wegen ihr durchlitt. Was sie doch recht verwunderte, weil doch ER der Gefangene war.

„Er kann dich festhalten“, krächzte er, weil ihr Erstaunen offensichtlich war. Doch Andras wollte keine Unterhaltung, stellte sich gekonnt zwischen John und Silke und kam auf seine Gegnerin zu.

„Du warst das also“, zischte er wütend und bei jedem Wort züngelte etwas schleimig Schwarzes aus seinem Mund hervor. Silke war wie paralysiert von dem widerlichen Anblick. „Du hast ihn also geheilt und nebenbei noch deinen Spaß mit ihm gehabt. Was seid ihr Weiber doch leicht zu beeindrucken!“ Die Augen des Dämons waren zu kleinen, bösen Schlitzen verengt und als er zupackte, war sein Griff so fest und unbeirrbar, dass Silke aufschrie ... und sich wunderte, dass sie sich nicht auflösen konnte. Was hatte John ihr noch schnell zugerufen? Er kann dich festhalten?

„Oh, verdammt“, fluchte sie und verstand nun endlich wovor er sie gewarnt hatte. Mit aller Kraft versuchte sie ihren Astralkörper aus dem dämonischen Griff zu entwinden, doch genau das gelang ihr nicht.

„Du Scheusal! Du verfluchtes, elendes ...“, keifte sie, doch die Ohrfeige, die er ihr verpasste war so hart, dass Silke augenblicklich bewusstlos in sich zusammensank. Gewalt vertrug ihr feinstofflicher Körper offenbar überhaupt nicht.

„Du Schwein“, ächzte John und riss an seinen Ketten, bis seine Handgelenke bluteten. „Bitte Andras! Lass sie gehen. Ich bitte dich!“ Er war verzweifelt. Selbst unter der härtesten Folter hatte er nicht gejammert oder um Gnade gefleht, doch nun stand Silkes Leben auf dem Spiel und das veränderte für ihn alles! Der Dämon hatte nicht nur die Macht sie festzuhalten, sondern sie auch für immer von ihrem Körper zu trennen. Je länger sie aber auf Reise war, desto leichter konnte sie die Kontrolle über ihren Körper und damit über ihr Leben verlieren. Das bedeutete im Normalfall Koma, Autismus, Demenz oder Tod. John war daher außer sich vor Sorge. Silkes feinstofflicher Körper war alleine durch böse Schwingungen verletzbar. Körperliche Gewalt konnte tödlich sein.

„Nun kommen wir endlich ein Stück weiter, Condatis!“ Andras lachte böse und entblößte dabei seine weißen, spitzen Zähne. Vermutlich war er der einzige Dämon, der sich regelmäßig die Zähne putzte.

„Endlich habe ich genau das Druckmittel in Händen, das dich zum Sprechen bringen und deine Brüder in die Knie zwingen wird.“ Er lachte und strich Silke über den Kopf, als wäre sie ein bewusstloses Hündchen. „Eure Auserwählte war doch tatsächlich so dumm sich in die Höhle des Löwen zu begeben. Ihr Feenanteil stinkt ja geradezu erbärmlich.“ Er schüttelte den Kopf und sah John mitleidig an. „Schon traurig, dass ihr nur ganz wenige Weiber zur Verfügung habt und die Hälfte davon bereits von mir gefressen wurde. Denn ihr … ihr seid ja offenbar zu dämlich diese Frauen rechtzeitig zu finden.“ John blickte überrascht auf und starrte ihn dann so wütend an, als könnte er Andras alleine durch seine Gedanken explodieren lassen. Endlich verstand er, warum es so schwer war diese speziellen Frauen zu finden. Andras hatte offenbar schon einige umgebracht. Der Dämon lächelte gehässig.

„Weißt du ... ich mache mir nichts aus Menschenfrauen. Aber mit Feenanteil sind sie noch einmal so widerlich. Schon interessant, dass ihr Condatisärsche gerade auf diesen stinkenden Frauentyp abfahrt … oder abfahren müsst.“ Wie zum Beweis seiner Abneigung trat er Silke brutal in die Eingeweide. Der blau schimmernde Körper gab so stark nach, dass der dämonische Fuß beinahe durch sie hindurch fuhr. Selbst bewusstlos stöhnte Silke auf und ihr Licht begann zu flackern.

„Andras!“ John wusste nicht was er sagen sollte. Nichts konnte diesen Dämon aufhalten, nichts ihn davon abhalten ihr weh zu tun. Die Verzweiflung schnürte ihm die Kehle zu, Tränen standen ihm in den Augen. Doch er kämpfte dagegen an. Mahlte mit seinen Zähnen und versuchte nicht zu schreien.

„Oh, das ist schon interessant, wie sehr du dich bemühst, deinen Schmerz zu unterdrücken.“ Das Knurren von Andras klang plötzlich wie ein Schnurren. „So wie du jetzt vor mir kniest und am liebsten meinen Schwanz lutschen würdest, nur um sie zu befreien, genauso werden auch deine Brüder vor mir knien und dann ... werdet ihr einer nach dem anderen fallen!“ Er schnaubte verächtlich, packte Silke brutal an den Handgelenken und schleifte sie lachend aus der Zelle.


31.Kapitel

„Da stimmt etwas nicht!“ Erika kam zu Dennis gelaufen und weckte ihn aus dem Tiefschlaf. Gemeinsam hatten sie es sich auf der riesigen Couch gemütlich gemacht, bis Erika wegen einem seltsamen Gefühl munter geworden war und instinktiv nach Silke gesehen hatte. Kein Rütteln, kein Schreien, kein Zwicken und noch nicht einmal eine Ohrfeige hatten sie munter werden lassen. Atmung war kaum spürbar gewesen.

„Was ist ...?“ Dennis wirkte verwirrt.

„Wir müssen alle wecken! Silke scheint irgendwo festzustecken. Ich fühle ganz deutlich, wie sehr sie in der Zwickmühle steckt. So wie es aussieht müssen wir unsere Taktik vorverlegen und genau jetzt mit unserem Schlachtplan beginnen.“

Und genau DAS war dann der Startschuss für die geplante Aktion.

Zwei Stunden später befanden sie sich bereits knapp vor der Festung der Dämonen. Josh war geflogen, Eron hatte sich hingezappt und die anderen Vier waren wie die Teufel auf Pferden geritten. In dieser Dimension gab es keine Autos und Technik funktioniert nur begrenzt. Für Computerspiele schien die Energie zumindest stundenweise durchaus zu funktionieren. Dafür waren die Pferde schneller als alles, was Erika bisher erlebt hatte. Zum Glück hatte sie sich eines der Riesenviecher mit Dennis geteilt, sonst hätte sie den Ritt vermutlich nicht überlebt.

In entsprechend sicherer Entfernung zur Dämonenfestung stiegen Jack, Jeff, Dennis und Erika ab, banden ihre Pferde fest und versteckten sich im Wald. Josh flog in enormer Höhe über das Areal und Eron mochte – wer weiß wo – mitten in der Festung stecken. Sie konnten nur hoffen, dass er seine Sache gut machen und sich nicht fangen lassen würde. Jack war wohl der Unruhigste von ihnen und wäre vermutlich am liebsten gleich und alleine losgestürmt. Er war Krieger und der Berserker in jeder Schlacht, doch Dennis hatte ihm verständlich gemacht, dass es hier vor allem um Teamplay ging.

„Und Silke kann nichts passieren?“, fragte Erika wohl zum hundertsten Mal den genervten Zauberer, weil der sich mit Astralreisen am besten auskannte. Ein bisschen ärgern wollte sie ihn scheinbar auch. Es war wie eine natürliche Reaktion auf sein destruktives Wesen.

„Derzeit ist ihr Körper sicher. Niemand kommt in unser Haus. Aber was mit ihrem Geist geschieht ... das wissen wir erst, wenn wir sie finden. Andras hat sie sicher in ein eigens dafür geschaffenes Gefängnis gesteckt. Aus einem Bleikäfig kann sie nämlich nicht fliehen.“

„Und wenn wir zu spät kommen?“ Erika konnte diese Frage einfach nicht unterdrücken. Sie wusste, dass sie lästig war, aber sie musste ihre Angst überbrücken.

„Dann sind beide tot“, antwortete er schmissig. Doch so hart auf den Punkt gebracht hatte sie es nicht hören wollen. Dennis stieß verärgert die Luft aus.

„Was ist Wächter? Ist doch so!“, blaffte Jeff unfreundlich, drehte sich von den beiden fort und starrte hinüber zur Burg. Ihm war nicht nach Plauderei und Erika formte mit der Hand hinter ihm ein rundes Zeichen, um Dennis lautlos zu deuten, dass der Kerl in ihren Augen ein Arschloch war. Woraufhin Dennis ihr sogar kurz zunickte und lächelte, ehe sich beide wieder auf das konzentrierten, was ihnen bevorstand.

Eron zappte sich mit einigem Abstand neben die beiden und sah in seiner wahren Dämonengestalt gar nicht mehr so erschreckend aus. Erika wunderte sich, wie schnell sie sich an all die Verrücktheiten hier gewöhnt hatte. Dämonen, Halbgötter, Vampire und ... jesses ... Drachen! Sie fiel vor Überraschung auf ihren Allerwertesten, als Josh mit beeindruckender Kraft und Eleganz auf der kleinen Lichtung neben ihrem Versteck landete. Die Größe und Anmut seines Tieres waren unbeschreiblich, die Gefährlichkeit unmissverständlich. Erika starrte mit offenem Mund zu dem schönen Urtier und Dennis klappte ihr mit zwei Fingern den Unterkiefer zu.

„Mund zu, sonst kommt Drachenschnodder rein“, scherzte er und küsste sie zärtlich auf die Nase. In dem Moment wusste sie, was sie die ganze Zeit vermisst hatte und holte sich mit wilder Entschlossenheit seinen Mund. Sie brauchte das jetzt, wollte ihre Art von Doping und diesen herrlichen Mann endlich einmal wieder schmecken.

„Hallo, hallo!“, mahnte Jeff.

„Schluss ihr beiden!“, forderte Jack.

„Scheiße, wie kitschig!“, lachte Eron und der Drache wurde einfach nur brünstig, stemmte seine Vorderbeine kraftvoll in die Erde, schnupperte mit seinen riesigen Nüstern und drehte sich abrupt zu Erika. Jack reagierte als Erster, dann Dennis. Beide stellten sich wie Bodyguards vor Erika auf und schirmten sie mit ihrem Körper ab.

„Ganz ruhig Josh!“, rief Jack und streckte seinem tierischen Bruder die flache Hand entgegen. „Diese Pussy ist nicht für dich. Los, verwandle dich und halte Deinen Schwanz im Zaum!“ Es waren klare Befehle und eine noch viel klarere Ausdrucksweise, doch für Empörung hatte Erika keine Zeit, denn sie konnte das riesige Ding zwischen den Beinen des Drachen sehen und nicht glauben, dass er wirklich vorhatte sie damit zu pfählen. Nur wegen einem Kuss und ein bisschen Erregung! Gut, jeder Kuss mit Dennis war eine Sensation und sie nicht nur ein bisschen erregt, aber dieses grünblaue Biest war ja wohl irre, wenn es darauf so krass reagierte und glaubte hier seinen Prügel landen zu können.

Der Drache schnaubte und seine intensiv leuchtenden Augen wanderten wild von Jack zu Dennis und immer wieder zu Erika. Doch dann schien Josh wieder die Oberhand über sein Tier zu bekommen und verwandelte sich langsam zurück in seine menschliche Gestalt.

Schaurig schön mit einer Metamorphose wie im Zeitraffer.

Erika starrte fasziniert auf das Naturschauspiel und konnte sich nur wundern, wozu Magie, Göttlichkeit oder was auch immer … in der Lage war. Alleine der Größenunterschied war ja kaum zu begreifen, geschweige denn das völlig andere Aussehen.

Ächzend fiel der Mann schließlich auf die Knie. Sein Gesicht war Schweiß bedeckt, sein Blick starr und glasig. Die Verwandlung kostete ihm offensichtlich eine Menge Kraft und war schmerzhaft, aber wenigstens hatte er Klamotten an! Vermutlich jene, die er vor seiner Wandlung zum Tier getragen hatte.

Sein Blick suchte den von Erika.

„Spinnst du völlig?“, fragte Josh heiser und kam langsam auf die Beine. Er war eindeutig außer sich und ziemlich wütend.

„Ganz ruhig, Josh!“ Dennis wollte ihn beruhigen. „Sie konnte nicht wissen, wie gefährlich ein Kuss in der Nähe eines Drachens ist. Zum Glück ist ja nichts passiert.“

„Nichts passiert, Spatzenhirn? Hast du eine Ahnung, wie nahe ich dran war, dein Weibchen zu fressen, zu vögeln oder umgekehrt? Ihr habt sie ja wohl nicht alle! Wenn ihr in ein anderes Land reist, studiert ihr auch vorher den Reiseführer und die Landesgepflogenheiten. Also solltet ihr – verflucht noch einmal – ein paar Grundregeln im Umgang mit Drachen beherzigen! Sofern euch euer Leben lieb ist.“ Knurrend ging er an den beiden vorbei und hatte die Hände zu Fäusten geballt. Seine Hose schien zum Bersten voll zu sein und wenn Erika nicht so zittrig gewesen wäre, hätte sie ihn womöglich sogar bedauert. Solch eine Erektion musste verdammt schmerzhaft sein.

„Ich habe wahrlich besseres zu tun, als mich wegen euch zu erleichtern. Idioten, verdammten!“ Der sonst immer freundliche Josh schimpfte unaufhörlich weiter, bis er im Wald verschwand. Erika schaute ihm mit riesengroßen Augen nach und Jack begann böse zu lachen.

„Guck nicht so. Er kann ja wohl kaum mit einer Monsterlatte gegen Dämonen kämpfen. Wobei das schon ein Anblick für sich wäre.“ Er lachte rau und selbst Jeff wirkte amüsiert. Für einen kurzen Moment wenigstens.

„Ich konnte doch nicht wissen ...“, begann Erika und Jeff fiel ihr unwirsch ins Wort. Das Lächeln war sofort wieder verschwunden.

„Stimmt. DU konntest es nicht wissen. Aber der werte Wächter sehr wohl. Wenn du also jetzt Schaschlik wärst, dann hätte ER das ganz alleine zu verantworten.“ Er sagte es wie immer trocken, genervt und mit einem gemeinen Blitzen in den Augen. Doch Dennis hatte sich von ihm noch nie provozieren lassen. Zumindest nicht richtig.

„Ich war kurz unkonzentriert! Das kann einem Mann schon mal passieren“, meinte er und zog Erika fest an sich. Die kicherte, obwohl sie durchaus verstanden hatte, dass sie viel zu wenig Information über ‚all das hier‘ von ihrem geliebten Traummann erhalten hatte. Irgendwie war nie die Zeit gewesen für eine ausführliche Einschulung, eine schlichte Unterhaltung oder einen Quickie. Ups. Erika schlug sich in Gedanken auf den Mund.

Ein seltsames Geräusch und das Zittern eines Baumes in weiterer Entfernung lenkten ihre Aufmerksamkeit von der Unterhaltung ab. Erika fragte sich gerade was da vor sich ging, als Jack bereits eine eindeutige Handbewegung machte. Josh hatte Erleichterung gebraucht und war gerade fertig geworden. Erika wurde dafür knallrot.

Ein paar Minuten später setzten sie sich zusammen und besprachen die Lage, als wäre der Zwischenfall nie passiert. Josh hatte in der Luft erkundet und Eron im Inneren. Beide berichteten, was sie gesehen hatten und machten entsprechende Vorschläge. Jack wollte am liebsten durch das Haupttor hinein preschen und alles niederwalzen, was sich ihm in den Weg stellte, doch Dennis konnte ihn davon überzeugen, dass solch ein Frontalangriff für die Geiseln das Ende bedeuten könnte. Seufzend sank der Riese in sich zusammen und überlegte weiter. Er mochte ja mit den besten Kriegergenen ausgerüstet worden sein, doch Taktieren lag ihm weniger. Eron berichtete Jeff inzwischen jedes Detail, das Aufschluss über den Schutzzauber der Festung geben könnte und Jeff arbeitete fieberhaft an einem Zauberspruch, der ihnen ein unauffälliges Eindringen ermöglichen sollte. Josh bezeichnete die Nordseite als Schwachpunkt, weil sie über einem steilen Abhang lag. Dadurch waren die Mauern weniger hoch und deutlich weniger Wachen postiert. Offenbar fühlten sich die Dämonen durch den Schutzzauber und den steilen Abhang sicher, oder aber sie wollten die Aufmerksamkeit eventueller Angreifer direkt dorthin lenken. Dämonen waren nicht gerade als Intelligenzbestien verschrien, doch in ihrer Durchtriebenheit nicht zu unterschätzen. Alleine schon die Tatsache, dass ihre Festung sichtbar war, zeigte, wie selbstgefällig sie waren und wie sicher sie sich fühlten. Es war also höchste Vorsicht geboten!

Gemeinsam schmiedeten sie einen Plan, verwarfen einen Teil wieder und justierten nach. Am Ende waren ganze drei Stunden vergangen, aber dafür hatten sie endlich eine Idee, wie sie in die Festung gelangen konnten, ohne gleich wie die Fliegen zu sterben.


32.Kapitel

Der widerliche Mistkerl hatte sie doch tatsächlich in eine kleine Metallkiste gesteckt! Gerade so groß, dass er ihren Körper nicht auch noch zusammengefaltet hatte. Die brutale Ohrfeige hatte ihr mächtig zugesetzt, aber was ihr wirklich Sorge machte, war ihr Bauch. Als hätte sie dort einen schweren Schlag abbekommen, der ihren Astralleib verwundet hatte. Ihre Kraft war am Versiegen und ihr Gefängnis so klein und undurchdringlich, dass sie vor Angst kaum amten konnte. Dabei wusste sie nicht einmal, ob sie in dieser Körperform atmen musste. Nichts wusste sie! Silke verfluchte sich gerade für ihre Dummheit, noch einmal gereist zu sein, ohne wirklich etwas über Astralreisen erfragt zu haben. Gut, die Zeit war ihnen förmlich durch die Finger geglitten, aber gar so unwissend hätte sie sich nicht in Gefahr begeben dürfen! Auf der anderen Seite beruhigte sie sich damit, dass sie ausschließlich durch diese Unbesonnenheit Johns Finger gerettet hatte. Oberflächliche Wunden mochten ja zu heilen sein, aber amputierte Finger waren wohl kaum zum Nachwachsen zu animieren.

Sie seufzte schwer und versuchte ihre gekrümmte Position ein wenig zu verbessern. Der Schmerz in ihrem Bauch war jedoch kaum zu ertragen und bei jeder Bewegung schien ein bläulich schimmernder Teil von ihr aus dem Bauchraum heraus zu schwappen. Silke handelte instinktiv und hielt mit aller Kraft ihre Hände auf die Wunde, um die astrale Blutung zu stoppen. Soweit sollte es nicht kommen, dass sie hier in diesem Minigefängnis zugrunde ging und ihren menschlichen Körper für immer im Stich ließ. Trotzdem wurde sie beständig schwächer.

Am Rande ihrer Wahrnehmung konnte sie sogar den Sog orten, der sie zwar zu ihrem Körper zurückbringen wollte, aber nicht durch dieses verfluchte Metallding kam. Schon beim ersten Mal hatte sie viel Energie verbraucht und daher ihre Probleme bei der Rückkehr gehabt, doch wenn der teuflische Dämon sie hier tagelang gefangen hielt, konnte das für ihren Körper dramatische Folgen haben. Und das durfte nicht passieren! Nicht jetzt, wo sie doch endlich die Chance hatte zu leben und mehr zu sein als nur eine einfache Zahnarztassistentin! Mehr als ein Mäuschen, das sich vor den Männern versteckte oder klein machte. Eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel. Sie fühlte sich total schlecht und irgendwie ‚schwindend‘. Doch so dumm die Aktion auch gewesen sein mochte, so selbstverständlich würde sie es wieder tun. Wenn sie allerdings daran dachte, was dieser Andras mit ihr noch anstellen würde, um John weiterhin unter Druck zu setzen, dann wurde ihr erst so richtig übel.

Nach Stunden in der Metallkiste war sie so geschwächt, dass sie überhaupt nicht mehr reagierte, als der Deckel nun gehoben wurde und eine krallenbewehrte Hand nach ihr griff. Sie bemerkte nur wie im Dämmerschlaf, dass die Hand von Andras anders ausgesehen hatte und kicherte dämlich bei dem Gedanken „Andras war aber anders“, weil Sauerstoffmangel offenbar auch einem astralen Gehirn zusetzen konnte.

„Och, wie schade. Die ist ja fast schon kaputt“, zwitscherte eine weibliche Stimme und Silke versuchte zu erkennen, wer sie da überhaupt aus dem grässlichen Metallding herausgeholt hatte. Doch der Anblick war schlicht und ergreifend entsetzlich. Das entstellt matschige Gesicht der Dämonin war ganz nahe und ihre gelben Augen zeigten eine Gehässigkeit, die Silke durch und durch ging. Silkes angewiderter Gesichtsausdruck musste Bände sprechen, denn die Dämonin fing an zu kichern.

„Bin ich dir etwa nicht hübsch genug, kleine Fee?“, lachte sie und grollte dabei so wüst, als hätte sie Steine im Hals. „Aber das spielt ja wohl keine Rolle. Der Schweinebraten hat sich noch nie beschwert, bevor ich ihn gefressen habe.“ Sie kicherte schon wieder und hob Silkes bläulich schimmerndes Kinn an, damit sie ihr besser in die Augen sehen konnte. „Du wirst mir gut schmecken. Wir Dämonen lieben die Feinheit Eures ätherischen Leibs. Man sagt, es verjüngt uns und macht uns schön.“ Sie lächelte böse und züngelte mit ihrer schwarzen Zunge, als würde sie am liebsten gleich zubeißen.

„Das wird Andras aber ... nicht schmecken.“ Silke war kaum bei Sinnen, aber diesen Hinweis schaffte sie und dann auch noch mit einer Doppeldeutigkeit in Bezug auf Essen. Irgendwie gab ihr das eine kleine, stille Genugtuung, wenn auch nur kurz. Äußerlich war sie nämlich ziemlich am Ende und hatte kaum noch Kraft die Augen offen zu halten. Die Augen der Dämonin hingegen zogen sich vor Wut zusammen und sie schnalzte mit ihrer Zunge so weit vor, dass sie die Stirn von Silke erwischte. Bösartig leckte sie über die astrale Köstlichkeit und schmatzte dabei wie ein Tier. Silke schrie vor Schmerz laut auf und sackte im nächsten Moment bewusstlos in sich zusammen. Hämisch grinsend beugte sich Amit über das bewusstlose Astralwesen, gab offenbar einen Dreck auf den Hinweis von Andras Wichtigkeiten und riss ihr monströses Maul auf, um mit ihrer Mahlzeit zu beginnen.

Genau in dem Moment erschien Eron wie aus dem Nichts hinter ihr, reagierte blitzschnell und knallte der Dämonin einen Holzprügel mit ganzer Wucht auf den wulstigen Schädel. Natürlich war er nicht unbewaffnet in die Dämonenburg gekommen und seine Reflexe waren schon immer legendär gewesen. Zack, ein gezielter Schlag auf grässliches Material und Amits Augen weiteten sich vor Schreck und wurden starr. Dann ging sie wie in Zeitlupe in die Knie und kippte ungebremst vornüber auf den harten Steinboden. Dem klackenden Geräusch nach, schlug sie sich dabei mindestens einen ihrer Schneidezähne aus. Was ihrem Antlitz allerdings auch nichts mehr schaden konnte.

Eron hatte gerade nach John Baxter gesucht, als er Silkes Schrei vernommen und sofort nach ihr gesehen hatte. John musste also noch warten, aber wenigstens hatte er die Auserwählte gefunden. Er lachte gehässig und kickte der Dämonin mit der Schuhspitze in den Bauch. Ein grässlicheres Dämonenweib, als dieses, hatte er noch nie gesehen. Nachdem sie sich aber nicht mehr rührte, ließ er sie in Ruhe und ging vor Silke in die Knie. Unnötig brutal musste er ja nicht sein.

Die Astralreisende schien kaum noch am Leben zu sein, dennoch berührte er sie vorsichtig, um sie zu wecken. Sie war die Einzige, die John jetzt schnell genug finden konnte, denn Andras hatte, vermutlich mit einem magischen Trick, John Baxters Duftspur verwischt. Zumindest war es Eron bisher nicht gelungen ihn zu finden.


33.Kapitel

Andras hatte ein seltsames Gefühl und witterte fremde Magie in der Luft. Als Dämonenfürst war er Herrscher über die Dämonen dieser Festung und ihm alleine war es gestattet zu zaubern. Wenn also Magie aus anderer Quelle in der Luft lag, konnte das nur einen Angriff von außen bedeuten.

Mit einem frustrierten Ächzen löste er sich von seiner schönen Gespielin und ging zum Fenster, um nach dem Rechten zu sehen. Selina war die begehrenswerteste Gefangene, die er sich je in sein Bett geholt hatte und ihr Feenanteil war so gering, dass er ihn nicht nur ertragen konnte, sondern im Gegenteil überaus anziehend fand. Die leisen Geräusche ihrer Qual während er in ihr war, waren jede Art der Zuwendung wert und er nur allzu gewillt, ihr diese Zuwendung jeden Tag und jede Nacht zu geben. Seit ihrer Gefangenschaft war sie quasi nicht mehr aus seinem Bett herausgekommen, auch wenn sie regelmäßig um Erlösung flehte oder ihn auf ganz entzückende Weise verfluchte. Sie war eine köstliche Mischung aus Dämon, Mensch und Fee und er nicht gewillt sie jemals wieder frei zu geben oder durch den Tod zu erlösen. Er lachte schäbig und dachte an all die anderen Frauen, die er geraubt, getötet oder für alle Zeiten in seinen Kerkern verrotten ließ. Er konnte sich nicht einmal mehr erinnern, wie viele es gewesen sein mochten, oder ob überhaupt noch welche am Leben waren. Schließlich hatte er ein höheres Ziel: Er wollte den Condatis-Brüdern jede Möglichkeit auf eine Gefährtin nehmen. Nicht umsonst war er der Dämon der Zwietracht. Dafür nahm er gerne die Bürde auf sich, regelmäßig zu den Menschen zu pilgern und alle Mischlingswesen auszurotten. Bis auf die paar süßesten Leckerbissen, versteht sich. Sein Blick wanderte von Selinas nacktem Körper hinüber in den Burghof, um die Quelle der Magie ausfindig zu machen. Seine magischen Sensoren wanderten unruhig umher, kontrollierten jeden Winkel der Festung und ihrer Wehrmauern. Auf den ersten Blick konnte er nichts entdecken, nur eine gewisse Unruhe wahrnehmen, die in ihm brodelte und sich mit jeder Sekunde zu verstärken schien. Doch dann blieb sein Blick an einer Stelle hängen und er entdeckte an der Nordseite eine Art Riss. Einen hauchdünnen, aber flexiblen Spalt im unsichtbaren Schutzfeld.

„Bei allen Scheißgöttern!“, fluchte er und hieb mit der Faust auf das Mauersims des Fensters. Sein Gefühl hatte ihn also nicht betrogen. Sie wurden tatsächlich angegriffen! Sofort wandelte er seine Gestalt in ihr ursprüngliches Aussehen und schlüpfte in sein Gewand. Er wusste schon sehr viel über die Condatis-Brüder, aber eben nicht alles. Nun aber konnte er mit Sicherheit davon ausgehen, dass einer von ihnen ein Zauberer war. Denn es war klar, dass nur sie es sein konnten, die einen Angriff wagten.

„Verdammten Bastarde“, schrie er und drückte den Alarmknopf, der in jedem seiner Privatgemächer installiert war. Es war eine primitive Errungenschaft, aber sie funktionierte und würde seine beachtliche Armee unterhalb der Festung aktivieren. Die Brüder wollten einen Kampf? Nun gut, dann würden sie sich wundern, wie viele Krieger in den Katakomben unter seiner Festung auf ihren Einsatz warteten. Sie mochten schon lange auf Eis gelegt sein, doch in nur wenigen Sekunden würden sie aus allen Ritzen und Ecken seiner Festung hervorquellen und die Eindringlinge wie Schwärme von Heuschrecken überwältigen.

Angriffslustig fletschte er die Zähne und wandte sich in seiner dämonischen Gestalt Selina zu. Hätte er sie in dieser ursprünglichen Gestalt benutzt, wäre sie nach wenigen Sekunden tot gewesen. Das war wohl der Fluch, der wiederum ihn begleitete, denn Mischlingswesen konnte er ausschließlich in der abgemilderten Form seines Wesens benutzen.

„Bleib genau so mein Schatz!“, lachte er provokant, weil sie sowieso an sein Bett gefesselt war und keinen Spielraum für eigene Bewegungen hatte. „Wir sind noch lange nicht fertig miteinander.“ Seine amphibischen Augen wanderten lüstern über ihren üppigen Körper und sie wimmerte, als könnte sie seinen Blick wie eine Berührung spüren. Andras wurde gleich wieder hart, doch er wandte sich ab, konzentrierte sich intensiv und zappte sich zum Anführer seiner Armee.


34.Kapitel

Jack lief durch das Gebäude und erledigte einen Dämon nach dem anderen. Zum Glück gab es in dieser Dimension keinerlei Schusswaffen, nur so etwas wie Schwerter, Messer, Äxte oder Morgensterne. So hatte der Vampir freie Bahn und selbst wenn er einmal einen Kratzer abbekam, schien ihn das kein bisschen zu bremsen. Dennis versuchte an seiner Seite zu bleiben, doch gegen die Schnelligkeit und Effizienz eines halben Kriegsgottes wirkte er wie eine lahme Schnecke. Lediglich die Taktik brüllte er ihm immer wieder zu, während er ebenfalls einen Dämon nach dem anderen fällte. Das teuflische an den Biestern war jedoch, dass sie zappen konnten und zum Teil höchst unvermutet an Stellen auftauchten, wo man sie am wenigsten gebrauchen konnte. Aber die Brüder hatten ganz gute Schutzgewänder aus dünnem Metall spendiert und so waren ein paar einkassierte Hiebe kein Problem.

Schon kurz nach ihrem Eindringen in die Burg war ihnen klargeworden, dass sie sich in der Menge der Gegner geirrt hatten. Quantität vor Qualität schien hier das Motto zu sein, denn die Dämonen kämpften schlecht und ihre Waffen waren ein Witz. Andras hatte sich offenbar zu sehr auf die Kraft seines Schutzzaubers verlassen und musste nun die Rechnung dafür kassieren.

„Die haben vermutlich die ganze Zeit nur gerastet“, ächzte Dennis und kickte einen jammernden Dämon zur Seite.

„Die waren mit der Produktion beschäftigt, Kleiner. Dämonischer Sex statt Kampfübungen, schätze ich. Na, mir soll‘s recht sein“, brüllte Jack und hieb seinen Angreifer mit einem Schlag entzwei. Sie kamen gut voran die beiden, doch John und Silke hatten sie noch nicht entdeckt. Die Gänge hier waren das reinste Labyrinth und Eron, der den Auftrag hatte John zu suchen, schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Wenigstens hatten sie Josh im Rücken oder besser sein Tier, denn der Drache hockte dick und mächtig im Burghof und stoppte die größte Flut von nachkommenden Dämonen. Entweder röstete er sie, fraß sie auf oder erledigte sie mit der Wucht seines Schwanzes. Er war im Dauereinsatz und glücklich dabei, weil er seinen Jagdtrieb endlich ausleben konnte. Durch seine Panzerhaut war er gut geschützt und den verletzlichen Teil seines Bauches wusste er geschickt zu bewachen. Ohne ihn hätten Jack und Dennis keine Chance gehabt gegen die Flut der Gegner. Sie waren das perfekte Team und Jack beeindruckt, mit welch wenigen Überlegungen und Befehlen Dennis die Lage stets nachjustierte und wieder in den Griff bekam. Nicht umsonst war er der Sohn Heimdalls und ein Wächter. So kamen sie nie wirklich in ernsthafte Bedrängnis. Dazu lagen sie gut im Zeitplan und mussten nur noch zu den Privatgemächern und den Kerkern vordringen.

Jeff war inzwischen damit beschäftigt den magischen Schutzwall beständig zu durchbrechen. Er hatte sich außerhalb der Festung versteckt und sprach in einem endlosen Mantra seine Zauberformel. So konnte er den Riss offenhalten und dafür sorgen, dass die Hilfsmannschaft innerhalb der dämonischen Mauern nicht geröstet wurde. Erika war als Assistentin abgestellt worden, um im Notfall zauberhaft zu helfen. Und das machte Sinn, denn ein Kraftfeld zu bearbeiten war genauso anstrengend, wie ständig zu kämpfen. Außerdem war Erika in dem Versteck nicht in Gefahr, sondern nur den Anweisungen eines mürrischen Zauberers ausgeliefert. Bisher hatte er sie allerdings eher links liegen gelassen und gerade einmal provokant eine Rückenmassage verlangt. Was zwar zu Jeff passte, aber auch nicht wirklich ernst gemeint gewesen war. Trotzdem hatte es seinen Zweck erfüllt: Erika hatte sich geärgert und schmollte seitdem ein bisschen.

Doch dann schien dem Magier plötzlich rasend schnell die Puste auszugehen.

„So, jetzt musst du mir helfen“, forderte er und hielt ihr seine linke Hand hin. Erika hatte keine Ahnung, was zu tun war, reichte ihm aber spontan ihre Hand ... und wurde sofort in einen Strudel puren Wahnsinns gerissen.

Es war eine völlig unbekannte, leuchtende Kraft und sie wirkte wie ein Wirbelwind. Erika hatte das Gefühl, als würde sie in eine andere, noch viel unbegreiflichere Dimension eintauchen. Grelles Licht explodierte hinter ihren Augen und zischte mit der Kraft eines Lasers mitten in ihren Schädel hinein. Erika stöhnte, als müsste sie sich jeden Moment übergeben.

„Ganz ruhig, Hexchen. Ich brauche nur etwas von deiner Energie. Versuche dich zu entspannen und denke an Dennis. Stell dir seine Lippen vor und küsse ihn! Schnell!“ Er sagte es so emotionslos, dass Erika endlich ihre Augen öffnen konnte. Sie war in einem solch heftigen inneren Aufruhr, dass sie sich nicht vorstellen konnte an einen erotischen Kuss mit Dennis zu denken. Zumindest für den Bruchteil einer Sekunde dachte sie das, denn offenbar reichte alleine schon der Name aus dem Mund eines Magiers für eine Initialzündung und … schwups … war das Bild auch schon in ihrem Kopf!

Der Wirbelsturm und das grelle Licht lösten sich zwar nicht auf, doch sie fühlte deutlich die Präsenz von Dennis, konnte seine weichen Lippen spüren und seinen Duft riechen. Dennis! Heiße Erregung durchflutete ihren Körper und sie war mit einem Mal so bereit, dass sie an weit mehr dachte, als nur an einen Kuss. In ihrer Erregung klammerte sie sich stärker an Jeffs Hand und infizierte ihn schlagartig mit der Kraft ihrer Schwingung. Die Macht ihrer Erregung ging auf ihn über und Erika begriff, dass dieser Zauber vermutlich immer so ablief, wenn Mann und Frau beteiligt waren. In dem Fall hatte Jeff ihr nur die Möglichkeit geboten, Dennis mit einzubeziehen. Und das rechnete sie ihm hoch an.

Beide stöhnten sie durch die Heftigkeit ihrer Schwingungen. Erika ergriff Jeffs zweite Hand, verstärkte den Bund und konzentrierte sich auf den reinen Energieaustausch zwischen ihnen. Ihr Zauber schwoll an, begann zu vibrieren und zu schwingen, wurde immer stärker. Erika fiel sogar in den melodiösen Singsang des Zauberers ein, obwohl sie die Sprache nicht kannte und die Worte nicht verstand. Ihre Fingernägel krallten sich tief in Jeffs Haut und seine Hände hielten sie im Gegenzug so fest, dass ihre Knochen knackten. Doch um nichts in der Welt hätten beide jetzt noch losgelassen. Erika und Jeff sahen sich tief in die Augen, ließen die Kraft fließen, sahen das Verständnis in den Augen des anderen, spürten die alles befreiende Energie nahen, die letzte Steigerung und ... sprengten mit einem Mal den gesamten Schutzwall der vermaledeiten Festung in die Luft.


35.Kapitel

Andras und Bark, sein Armeeführer, wurden heftig zu Boden geschleudert.

„Verfluchte Hölle“, schrie er und kam augenblicklich wieder auf die Beine. Bark tat es ihm gleich und sprang dynamisch elegant in die Höhe.

„Der Schutzzauber ist gefallen!“ Andras wusste es so klar, wie die Erde weiter bebte. Die Detonation war eindeutig gewesen, das Nachbeben eine Folge der starken Druckwelle. Wild fuhr er seine Krallen aus und überlegte was er nun tun sollte. Mit einem Überfall dieser Größenordnung hatte er nicht gerechnet. So gar nicht nämlich. Die Brüder waren zwar immer schon lästig gewesen, aber sie hatten keine nennenswerten Freunde und schon gar keine Armee. Dazu waren sie mit ihrem Göttervater offenbar zerstritten und göttliche Schützenhilfe nicht zu erwarten. Woher also kam mit einem Mal diese Übermacht?

Von den Brüdern kannte er zwar alle Namen, aber über ihre Spezies wusste er nur zum Teil Bescheid. Für eine genauere Recherche war ihre Tarnung einfach zu gut gewesen und er hatte seine Zeit nun mal mit anderen Dingen verbracht. Immerhin wusste er, dass es den Kampfvampir gab, diesen verabscheuungswürdigen Jack. Dann noch John Baxter, das Menschlein, Josh, den Gestaltwandler und Jeff.

Andras knurrte, weil er die Schwachstelle seiner ganzen Überlegungen entdeckte. Genau dieser Jeff war es wohl, den er von Anfang an unterschätzt hatte. Verschrien war er als Ökomanager für Menschen und ihm dadurch lächerlich und unbedeutend erschienen. Doch in Wahrheit war er vermutlich weit mehr als nur ein Freak für Menschendreck. Er war ein Magier, womöglich sogar ein Großmeister. Denn nur als solcher hätte er seine dämonische Schutzmauer durchbrechen und zerstören können. Allerdings gab es schon lange keine Großmeister mehr. Zumindest nicht, dass er wüsste. Oder aber der vierte Bruder hatte sich Unterstützung durch eine Hexe geholt und selbst das war im Prinzip unmöglich, denn der letzten dieser verfluchten Art hatte er höchstpersönlich vor Jahren schon die Kehle durchgeschnitten.

In seiner Wut hätte er am liebsten jemanden getötet oder etwas anderes ‚Banales‘ zerstört, doch er musste sich konzentrieren und seine nächsten Schritte überlegen. Er hatte seine Gegner unterschätzt und musste retten, was zu retten war. Mit wütend gefletschten Zähnen wandte er sich seinem Oberhauptmann zu.

„Bark, du wirst mit den besten Kämpfern den innersten Kern der Burg schützen. Töte jeden, der sich dir in den Weg stellt. Hörst du? Ich werde mich inzwischen um meine Schwester und die Gefangenen kümmern.“ Damit meinte er, dass er seine Schwester retten und die Gefangenen töten würde. Denn selbst wenn ihm und seiner Schwester nur noch die Flucht übrigblieb, so konnte er diesen John Baxter nicht lebend entkommen lassen. Und seine astrale Gefährtin noch viel weniger.

Mit voller Wucht detonierte er neben der kleinen Bleikiste, in die er die Gefangene hineingepfercht hatte. Wenn er wütend war, konnte das Zappen für eventuell Anwesende durchaus gefährlich werden, doch um Silke machte er sich dabei keine Gedanken. Die würde sowieso in wenigen Sekunden sterben – in ihrer astralen Form und somit auch in ihrem körperlichen Dasein.

„Was zur Hölle ...?“ Andras drehte sich blitzschnell und kampfbereit im Kreis, denn die Bleikiste stand offen und die Gefangene war verschwunden. Stattdessen lag seine Schwester mit blutigem Gesicht am Boden und rührte sich nicht mehr. Ihre verkohlten Füße waren wohl eine Folge seines wütenden Zappens, aber so wie es aussah, war seine Schwester schon vor seiner Ankunft halbtot geschlagen worden. Schnell beugte er sich zu ihr herab, griff nach ihrem Hals und fühlte den Puls. Sie lebte gerade noch mal so.

Ohne weiter zu überlegen hob er sie auf seine Arme und teleportierte sich in seine Privatgemächer. Sie mochte ihm zwar nie viel bedeutet haben, doch unterm Strich war sie seine Schwester und Dämonenblut verband ja doch irgendwie. Zumindest konnte er sie nicht einfach so sterben lassen.

Seine Geliebte befand sich in der üblichen Stellung und stellte kein Problem dar. Ohne Worte warf er seine Schwester neben Selina aufs Bett und holte ein Mittel, das er Amit in den blutigen Mund träufelte. Wenn er Glück hatte, war damit ihr Kreislauf stabilisiert und ihre Wunden würden schneller heilen. Bis auf die Zähne. Die waren selbst für eine Dämonin ihres Kalibers für immer verloren. Dann deckte er sie noch mit einer Notfalldecke aus einem stinkordinären Erste-Hilfe-Kasten irgendeines Menschen zu, den er mal überfallen hatte. Die dünne Aluschicht der Decke würde auch ihren Wärmehaushalt stabilisieren.

Mehr konnte er im Moment für sie nicht tun.


36.Kapitel

Silke hatte sich mit letzter Kraft zu John geschleppt und dadurch Eron den Weg gewiesen. Ihr astraler Leib lag bewusstlos auf dem Boden und flackert immer wieder in einem kranken Blaugrau auf. Die Zeit drängte also.

„John! John Baxter“, rief Eron und prüfte, ob der Gefangene überhaupt noch am Leben war. Die Wunden auf seinem Oberkörper waren zahlreich, aber nicht weiter schlimm. Warum er also in solch tiefer Bewusstlosigkeit verharrte, konnte er sich nicht erklären. Und es machte ihn auch wütend, denn zwei Bewusstlose gleichzeitig zu retten war in seinen dämonischen Augen kaum möglich. Er würde sich also entscheiden müssen, WEN er zuerst in Sicherheit brachte. Und da war der Auftrag von seinem Bruder nun mal klar gewesen: John Baxter hatte oberste Priorität! Allerdings war die potentielle Gefährtin dann mit Sicherheit tot, wenn Johns Rettung zu viel Zeit in Anspruch nahm.

Wenigstens waren die Ketten kein Problem. Mit einem verächtlichen Lächeln auf den Lippen hob Eron die riesige Zange vom Boden, die Andras offenbar achtlos im Kerker liegen gelassen hatte. Mit viel Kraft und geschicktem Hebel knackte er dann ein Kettenglied nach dem anderen durch und befreite die Hände des Gefangenen. Bevor der Condatis-Mann dann, ebenso wie die grässliche Dämonin zuvor, vornüberkippte, fing Eron den schweren Körper auf und verlagerte das Gewicht so, dass John sich sitzend an die Wand lehnen konnte. Eron versuchte den Bewusstlosen wachzurütteln und als das nicht gelang, verpasste er ihm einen festen Schlag ins Gesicht.

„Verflucht ...“, zischte John und versuchte die Augen zu öffnen. „Geht es schon wieder weiter, Andras?“

„Ich bin nicht Andras, sondern Eron und ich bin hier, um dich hier herauszuholen. Dennis schickt mich“, flüsterte der Dämon und widmete sich nun den Ketten an Johns Beinen. Der wiederum wurde durch Erons Worte sofort hellwach. Sein Blick wanderte von seinen freien Händen zu seinen Beinen und dann weiter zu Silke, die wie ein Häufchen Elend am Boden lag und nur noch aus wenigen Resten Energie zu bestehen schien.

„Mein Gott, was ist mir ihr? Ist sie ... ist sie ...“ Er konnte vor Angst gar nicht weitersprechen. Nicht auszudenken, wenn sie bereits am Ende war oder kurz vor dem energetischen Aus stand. Ihr Anblick zerriss ihm das Herz, denn mit jeder Sekunde schien das Leben nur so aus ihrem Körper herauszufließen. Wie zum Beweis flackerte dann sogar ihr blaugraues Licht stärker als zuvor.

„Nein, sie ist noch nicht tot. Aber wir müssen uns verdammt beeilen.“ Die letzte Kette fiel und Eron warf die Zange zur Seite, um John beim Aufstehen zu helfen. Der biss die Zähne zusammen und kam schnaufend in die Höhe. Nur, um gleich ein paar Meter weiter neben Silke wieder auf die Knie zu fallen.

„Silke! Mein Gott ... du musst ... versuchen zurückzureisen!“ Seine Stimme war die pure Verzweiflung und sein Versuch, sie zu halten zum Scheitern verurteilt. Sie war bereits zu durchscheinend, als dass er sie hätte berühren können, ohne in ihren Körper einzudringen.

„Nein!“ Er mahlte wild mit seinen Zähnen, um nicht laut zu brüllen. Andras hatte sie fast umgebracht mit seiner Aggression und der Gewalt, denn sie war nicht nur durchscheinend, sondern vielmehr verschwindend. Als würde ihr Leben tatsächlich nur noch an einem seidenen Faden hängen, der mit jeder Sekunde mehr an Farbe verlor und dafür an totem Grau gewann. In dem Moment schwor er sich so inbrünstig wie nie, dass er den Dämon dafür büßen lassen würde und zwar gnadenlos. Nicht für seine Schmerzen, nicht für sein Elend, sondern ausschließlich wegen ihr und der Qual, die sie durchleiden musste.

Doch der Gedanke an Rache war müßig solange er noch hier festsaß. Außerdem war es jetzt viel wichtiger Silke zu helfen. Nur wie? Wenn Aggression sie verletzen konnte, dann musste Zuwendung und positive Schwingung ihr ja wohl zwangsweise helfen. Es war eine einfache Rechnung, aber es war die einzige Chance die er sah. John führte seine Hand knapp vor ihren Körper und strich wenige Zentimeter über ihrer astralen Haut hinweg. Dazu begann er leise zu singen. Es war eine verrückte, abnorme Situation und er nicht gerade der beste Sänger, aber er wusste wie wichtig es war positive Schwingungen zu erzeugen. Und Gesang konnte diese Schwingungen nur verstärken. Er summte ein Weihnachtslied, weil Stille Nacht, heilige Nacht nun mal die einzige Melodie war, die er sich merken konnte. Im Geiste rollte er mit den Augen, weil ihm nichts einfallen wollte und er sich ständig im Ton vergriff, aber er sang beständig weiter. Leise, eindringlich und mit der Liebe, die er für diese Frau aufbringen konnte. Er mochte sie überdurchschnittlich gerne und sie hatte ihr Leben für ihn riskiert, aber was wusste er schon von Liebe? Liebe musste sich entwickeln, um Bestand zu haben. Liebe war ein dehnbarer Begriff und veränderbar, Liebe war ... hach, Liebe war kompliziert und vermutlich doch ganz simpel. Er raufte sich die Haare bei all dem Wirrwarr und fühlte doch diese beständige Wärme in sich, die er durch seinen Gesang an Silke weitergab. Eron stand dabei im Hintergrund und wippte wie verrückt vor und zurück, weil die Zeit so drängte. Doch er sagte nichts, lachte auch nicht über Johns Gesang. Er war sogar zum ersten Mal in seinem Leben gerührt von einer so einfachen und zugleich ergreifenden Geste. Wer sang schon mal ein Lied für den anderen, obwohl er nicht singen konnte?

Und … es funktionierte! Langsam, aber merkbar. Silkes Körper bekam wieder Farbe, gewann mit jedem Ton mehr Kraft und begann letztendlich sogar wieder zu schimmern. John atmete tief aus und beugte sich näher zu ihr herunter.

„Komm, schöne Fee! Wach auf für mich! Ich möchte dich so gerne in meine Arme schließen. Komm, kleine Fee! Ich warte auf dich!“ Diese Aufforderung wiederholte er ständig und als sie tatsächlich die Augen aufschlug, konnte er sich nicht länger zurückhalten und umarmte sie vorsichtig, aber doch so innig, als hätte er sie gerade aus dem Reich der Toten erweckt.

„John? Was ... ist passiert?“ Silke blinzelte verwirrt. „Ich fühle mich so schwach.“ Ihre Augenlider flatterten, doch John ließ sie nicht noch einmal abdriften, berührte ihre Lippen vorsichtig mit seinen. Sein Kuss war zart, nur ein Hauch, doch das Aufglühen ihres Körpers zeigte ihm, dass es genau das war, was sie jetzt brauchte. Er spürte die zurückgewonnene Festigkeit ihres Leibes, konnte ihre Lippen köstlich schmecken und küsste sie endlich so, wie er es sich die ganze Zeit gewünscht hatte. Ihre Lippen spürten sich echt an, ihr Geschmack war berauschend und Silke hing bereits an ihm, wie am Leben selbst. Als sie sich ihm dann seufzend entgegen bog und seinen Kuss mit ganzer Leidenschaft erwiderte, hätte er bereits vor Glück weinen können.

Eron hüstelte nervös im Hintergrund und deutete an, dass es höchste Zeit war, sich vom Acker zu machen. Hätte er eine Armbanduhr besessen, hätte er wohl wie blöd draufgetippt. Doch so hampelte er halt nur blöd herum, weil sowieso nie jemand auf einen Halbdämon hörte. Dabei hatte er absolut recht die beiden anzutreiben, denn schon in der nächsten Sekunde knallte Andras mit voller Wucht neben den beiden in den Kerker und verbreitete nicht nur eine Unmenge an Energie, sondern auch einen Geruch von dämonischer Fäulnis.

Dazu trug er ein ganzes Waffenarsenal am Körper und hatte zusätzlich noch ein paar dämonische Soldaten mitgebracht. Sein Anblick war mehr als schaurig und seine Augen strahlten die pure Mordlust aus.

„Na sowas!“, brüllte er dann angriffslustig. „Da bin ich ja gerade noch rechtzeitig gekommen“, lachte er böse weiter und gab seinen Männern das Zeichen vorwärts zu stürmen.


37.Kapitel

Erika küsste so intensiv wie immer. Die Erschütterung der Explosion hatte sie geradewegs in seine Arme getrieben und … nach kurzem Zögern … hatte Dennis sich ihrem Ansturm ergeben und sie leidenschaftlich geküsst. Endlich in seinen Armen, dachte sie nun euphorisch, weil die Lust mit diesem Mann so berauschend war und die Magie rundum wie ein prickelndes Aphrodisiakum wirkte.

Erika stöhnte vor Glück.

„Vorsicht Hexchen! Ich bin auch nur ein Mann“, murmelte Jeff und Erika erwachte wie aus einem Traum, riss die Augen auf und starrte geradewegs in die schwarzen Augen des Magiers. Schnell zog sie ihre Zunge zurück und löste ihren Mund.

Ups. Was ... wie ...“ Sie stotterte und sah offenbar so verdattert aus, dass Jeff schief grinsen musste.

„Allmählich kann ich den Wächter verstehen“, brummte er und sah sie so eindringlich aus seinen schwarzen Augen an, dass Erika ein Schauer über den Rücken lief. Schnell befreite sie sich aus seinen Armen.

„Bitte was ist denn gerade passiert?“ Verwirrt berührte sie ihre Lippen und versuchte ihren Atem wieder unter Kontrolle zu bringen.

„Du hast mich geküsst. Ganz schön heiß, übrigens.“

„Danke, das habe ich auch gemerkt. Aber wieso?“

„Weil du es wolltest.“

„Moment! So simpel ist das nicht ...“

„Doch. Eigentlich schon.“ Jeff ließ sie kurz zappeln, aber nachdem sie tatsächlich fassungslos wirkte, kam er ihr ein wenig entgegen. Dabei hatte ihm der Kuss überraschend gut gefallen.

„Wir haben gezaubert, mehr nicht. Du hattest dabei Dennis vor Augen. Im magischen Höhepunkt hast du dich dann einfach ein bisschen verirrt ... in meinen Mund hinein. So etwas kommt schon mal vor unter Anfängern.“ Den kleinen Seitenhieb konnte er sich nicht verkneifen.

„Verirrt? Ja, aber …“ Sie musste sich kurz sammeln. „Sorry, aber wieso das denn? Ich meine, Dennis ist ein Gott und ich ...“

„Halbgott! Er ist ein Halbgott, Süße! Und das bin ich übrigens auch.“

„Danke, das habe ich gemerkt. Oh. Ich meine ... ich wollte sagen ...“

„Schon gut, Hexchen. Ist nicht weiter tragisch. Mir hat dein Kuss ebenso gefallen. Aber ich weiß, dass du zu Dennis gehörst. Keine Panik also! Ich bin nicht interessiert.“

„Nicht interessiert? Keine Panik? Gott, du bist so ein arroganter, kleiner ...“

„Na, na! Du willst doch nicht, dass ich Dennis davon erzähle? Und von klein kann keine Rede sein.“ Er lachte böse und sie boxte ihm spontan in den Magen. Sein Lachen endete abrupt und Erika landete erneut in seinen Armen.

„Du willst spielen?“ Für einen Moment war er versucht sie so zu küssen, wie es ihm gerade in den Sinn kam, doch dann besann er sich auf Idiotien wie Ehre und Moral und schubste sie kraftvoll von sich fort. „Besser du probierst keinen von uns Condatis-Brüdern, Hexchen. Du könntest keinen Gefallen mehr finden an einem Heimdall.“ Er lachte und Erika zischte ihn wütend an.

„Wenn ich nicht wüsste, dass du im Grunde ein netter Kerl bist, würde ich dich jetzt verachten. Doch ich weiß, dass dieser Höhepunkt eben nur magischer Natur war und natürlich ein paar sexuelle Schwingungen nicht auszuradieren sind, aber letztendlich ist dir klar, dass ich Dennis liebe und nicht dich. Und ich ... danke dir, dass du die Situation nicht ausgenutzt hast.“ Damit verblüffte sie ihn derart, dass er einen Moment gar nichts mehr sagte, sondern nur noch in ihre schönen Augen starrte, als würde er darin etwas erkennen, das er bis dahin noch bei keiner Frau gesehen hatte. Sein Blick verfinsterte sich und seine ganze Haltung wurde abweisend.

„Du kannst von Glück sagen, dass du nur einen Hexen- und keinen Feenanteil hast, sonst wäre es mit meiner Ehre nicht ganz so weit bestellt, das kannst du mir glauben, Hexchen.“ Er sagte es so emotionslos wie immer, doch Erika konnte die Schwingung dahinter durchaus wahrnehmen und gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange.

„Danke“, sagte sie und verblüffte ihn aufs Neue.

„Oh, verfluchte Scheiße!“ Jeffs Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig und er wandte sich von Erika ab.

„Was ist los? Ist was mit Silke?“

„Schon möglich. Ich habe gerade einen mentalen Hilfeschrei erhalten. Deine Freundin hat offenbar wirklich mehr Talent, als ich geahnt habe. In ihrem astralen Leib kann sie offenbar mit mir Kontakt aufnehmen.“

„Das heißt sie lebt“, jubelte Erika, doch Jeffs Gesicht wurde aschfahl. „Nein, sie sind ... so gut wie tot. Andras hat sie gerade aufgespürt und seine Soldaten mitgebracht.“

Erika wusste, dass er die Wahrheit sagte, denn das Bild, das er vor Augen hatte, schwappte automatisch in ihr Bewusstsein. Andras war gerade dabei, sich auf John zu stürzen, während seine Soldaten sich über Eron und Silke hermachten. Sie wusste es so klar, als wäre sie selbst in dem Raum anwesend. Und sie reagierte sofort. Ohne auch nur den geringsten Zweifel an ihrer Macht zu hegen, packte sie erneut die Hand des Zauberers, um ihre gemeinsame Magie zu schüren. Egal welche sexuellen Konflikte daraus erwachsen würden. Sie wollte mit all ihrer mentalen Kraft einen blauen Donnerball gigantischen Ausmaßes in diese verfluchte Festung schicken. Einen Ball, der ausschließlich Andras und seine Leute treffen sollte. Sie dachte nicht an die Mauern, die sie behindern konnte, sie dachte nicht an Querschläger oder zu wenig Kraft, sondern sie konzentrierte sich ausschließlich auf die Gewissheit, dass sie die Dämonen treffen würde. Jeff sah das Bild ebenfalls vor sich, staunte über den unglaublich starken Willen der frisch geborenen Hexe und verstärkte mit aller Kraft die Macht von Erikas Donnerball.


38.Kapitel

Jack und Dennis hatten sich bis zum obersten Stockwerk der Festung „durchgearbeitet“. Sie vermuteten die Gefangenen unterhalb, doch genau von dort kamen die absoluten Massen an Dämonen. Einzeln und in Gruppen waren sie kein Problem, wirkten wie leere Körperhüllen ohne Kampftechnik, doch in Massen waren sie ein nicht zu unterschätzendes Hindernis und durchaus Kräfte raubend. Zumindest für Dennis, der nicht mit solch göttlichen Kampfgenen gesegnet war wie Jack. Der schien noch nicht mal ins Schwitzen gekommen zu sein.

Am Ende der Treppe entdeckten sie dann die persönliche Leibgarde von Andras. Zumindest wirkte der Anführer im Vergleich zu den einzelnen Dämonen wie ein König und ein paar der Mitstreiter sahen kräftiger und erstmals wirklich wie Soldaten aus.

„Wir stehen vermutlich vor seinem verschissenen Privatreich“, ätzte Dennis und stieß zwei Dämonen zur Seite, ehe er sie mit seinem Schwert vernichtete.

„Dann knöpfen wir uns Andras mal höchstpersönlich vor“, antwortete Jack und blieb kurz stehen, um auf Dennis zu warten. Der Vampir wirkte, als hätte er einen Trank für unendlich viel Energie und Ausdauer getrunken, während bei Dennis erste Ermüdungserscheinungen sichtbar wurden.

„Geht’s noch, Kleiner?“, fragte er und Dennis schnaubte beleidigt, wischte sich den Schweiß von der Stirn und das Blut aus dem Mundwinkel.

„Wenn du noch einmal Kleiner sagst, wirst du deine Eier zum Frühstück fressen.“ Einen kurzen Moment stützte er sich auf sein Schwert und verschnaufte, dann atmete er tief durch und stellte sich kampfbereit neben Jack. Der lachte tief und so entspannt, als würde er gerade vorm Fernseher hocken und Popcorn essen.

„Das ist mein Mann! Zuhause müssen wir unbedingt ein Bier miteinander trinken. Aber jetzt auf zu Andras! Haben wir erst einmal ihn, können wir auch die Massen an Dämonen stoppen. Wenn er stirbt, wird seine Zombie-Armee zerbröseln. Glaube ich zumindest.“ Damit stürzte er vor und hackte den ersten beiden Soldaten gleich einmal ein paar Finger und Arme ab. Dennis atmete noch einmal tief durch und stürzte sich ebenfalls ins Kampfgetümmel. Ein paar Hiebe trafen ihn sofort am Rücken, andere auf den Beinen, doch die Wucht der Schläge war deutlich stärker, als bei den Dämonen aus der Masse. Für Dennis wurde es eng, denn vier der Soldaten hatten es zeitgleich auf ihn abgesehen. Ihre Kampftechnik war nicht nur geschickt, sie war vor allem unfair und hinterhältig. Jack erledigte einen der Kerle für den Heimdall-Sohn, doch ein anderer zappte sich so schnell hinter Dennis, dass er keine Chance hatte dem Schlag auf seinen Kopf auszuweichen.

Wie vom Blitz getroffen ging Dennis in die Knie und fiel der Länge nach zu Boden. Jack war nicht in Reichweite und Dennis nicht in der Lage sich weiter zu verteidigen. Bevor der grässliche Dämon ihm jedoch den tödlichen Streich verpassen konnte, geschah etwas Merkwürdiges. Der Stiegenaufgang und der Bereich vor Andras Zimmer füllte sich schwallartig mit blauem Licht und das so schnell und derart massiv in alle Richtungen, dass keiner wirklich reagieren konnte. Fluoreszierend und wie lebendig hüllte es im Bruchteil einer Sekunde alle ein und begann sofort irrsinnig wild zu pulsieren, bis es letztendlich explodierte. So mächtig und voller Kraft, dass selbst Jack kurz die Besinnung verlor.

Nach ein paar Sekunden war tatsächlich alles vorbei. Das blaue Licht hatte ganze Arbeit geleistet, dabei hatten Erika und Jeff nicht nur Andras und seine Soldaten mit der Energie ihres Donnerballs erwischt, sondern gleich alle Dämonen in dieser Festung. Sie waren nicht tot, aber so tief bewusstlos, dass sie vermutlich Tage brauchen würden, um sich je wieder zu erholen. Sofern die Brüder das nicht verhindern konnten.

Jack rappelte sich als Erster in die Höhe. Die Druckwelle hatte ihn zwar kurz ausgeknockt, aber er war schließlich kein Dämon und somit nicht Ziel des Donnerballs gewesen. Ein wenig benommen rüttelte er Dennis wach und gab ihm sogar eine Ohrfeige, damit er wieder ganz zu sich kam.

„He! Lass das“, zischte der und sah sich überrascht um, weil alle Angreifer ausgeknockt waren. „Mann, Jack! Wie hast du die alle erledigt? Hat Condatis höchstpersönlich mitgeholfen?“ Die Stille in der Burg war unheimlich, ebenso wie die vielen, leblosen Körper der Dämonen. Die meisten von ihnen waren noch nicht einmal verwundet und doch waren sie so tief bewusstlos, dass sie mit Sicherheit in den nächsten Stunden nicht mehr aufwachen würden.

Doch Jack hielt nichts von falschem Lob und seine Miene wurde noch finsterer, als sie von Grund auf schon war.

„Mein Vater hasst mich. Er würde mir nie beistehen.“ Es war eine trockene Antwort, aber der Schmerz dahinter nicht zu überhören.

„So wie es aussieht, brauchst du den Scheißkerl auch nicht“, antwortete Dennis beeindruckt und Jack klopfte ihm wie einem Freund auf die Schultern.

„Nein, die gehen nicht auf mein Konto. Das war Magie. Mein Bruder und dein Hexchen haben dem ganzen Spuk hier schneller ein Ende gesetzt, als erwartet.“

„Erika?“ Dennis schluckte einen großen Kloß herunter. Erika hatte ihn gerettet? Das stellte irgendwie ganz komische Sachen mit seinem Herz an. Schließlich hatte er einen ordentlichen Schlag auf den Hinterkopf abbekommen und fast schon mit seinem letzten Stündlein gerechnet. Und dann rettete ihm diese Menschenfrau das Leben? Sein Herz wurde ganz weit vor Stolz und Zuneigung. „Ich wusste es! Diese Frau ist etwas ganz Besonderes.“

„Ja, das ist sie wohl“, brummte Jack und stieg über ein paar Leichen und Bewusstlose, um zu der Tür zu gelangen, die diese Soldaten so vehement verteidigt hatte. Wenn sie Glück hatten, befand Andras sich genau dahinter.

Mit nur einem Fußtritt öffnete er die Tür zu Andras Privatgemächern und stürmte auch schon hinein. Er musste sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass der Scheißkerl entweder tot oder ebenso bewusstlos war, wie all die anderen. Doch statt Andras, fand er nur zwei Frauen auf dem Bett. Eine davon wunderschön, nackt und in ausgesprochen delikater Stellung. Die andere hässlich, blutüberströmt, unter einer Erste-Hilfe-Notfalldecke und bewusstlos.

„Was ist?“, fragte Dennis, der ebenfalls ins Zimmer trat und an dem breiten Mann vorbeiguckte.

„Andras Geliebte“, knurrte Jack und ging näher zum Bett. Sein Schwanz zuckte verdächtig, doch ein Blick neben die Schönheit genügte und es verging ihm jeder Appetit auf fleischliche Gelüste. „Und seine hässliche Schwester.“

„Das ist Amit?“, fragte Dennis, weil er schon viele Grässlichkeiten von ihr gehört hatte und entsetzt war, wie schaurig sie in Wirklichkeit aussah. Selbst in der Dämonenwelt war sie deswegen gefürchtet und hatte kaum Männer.

„Ich ...“ Selina konnte kaum sprechen, so geschwächt war sie von der wochenlangen Tortur durch Andras und dem blauen Licht, das gerade einen Teil ihres Selbst regelrecht ins Koma gejagt hatte. „... bin eine Gefangene, keine Geliebte.“ Sie seufzte und Jack knurrte misstrauisch. Dennis aber sah sich die Frau genauer an

„Sie sagt die Wahrheit! Sie ist keine Dämonin. Zumindest nicht ausschließlich.“


39.Kapitel

John warf sich gerade über Silke, um sie vor den Dämonen zu schützen, als das blaue Licht wie gallertige Masse in den Raum schoss, aufquoll und im nächsten Moment auch schon die Luft zum Explodieren brachte. Das ging so rasend schnell und war unabweichlich, dass auch hier kaum jemand reagieren konnte. Die Druckwelle war enorm, der Schmerz auf Johns Körper unbeschreiblich und doch schaffte er es mit seinem Leib den astralen Körper Silkes so abzuschirmen, dass sie nicht ebenso explodierte.

Andras und seine Männer wurden von der starken Magie jedenfalls vollkommen überrascht und gingen zu Boden, ehe sie wirklich zu kämpfen beginnen konnten. Dabei waren sie gerade noch so voll in Fahrt gewesen, so mörderisch besessen und derart blutrünstig, dass einem alleine von ihrem Anblick schon das Blut in den Adern hätte gefrieren können. Und jetzt? Nur eine Sekunde nach dem blauen Lichteinfall lagen sie plötzlich alle in tiefer Bewusstlosigkeit am Boden und Silke und John hatten überlebt. Allerdings lag auch Eron am Boden, der zwar einer von den Guten war, aber in dem Moment schlicht und ergreifend der falschen Spezies angehörte, denn Erikas und Jeffs Kraft hatte ausschließlich auf Dämonen abgezielt. Und in der Schnelligkeit hatte es keinen Spielraum gegeben für eine Unterscheidung von Angreifer und Helfer.

Auch für John war die Druckwelle eine enorme Anstrengung, vor allem, weil er sich selbst nicht schützte, sondern ausschließlich auf Silkes zarten Astralleib achtete. Sie verschwand förmlich unter seinem großen Körper, passte ideal in jede Erhebung und Vertiefung, schmiegte sich mit prickelnder Geschmeidigkeit an ihn, obwohl er im Moment der Explosion schon bemerkte, dass die blaue Magie vermutlich die gleiche Urquelle hatte wie Silkes Feenlicht. Vermutlich hätte ihr dieses Licht gar nicht so sehr geschadet, doch die Druckwelle an sich hätte sie vermutlich in alle Windrichtungen verstreut oder zumindest sehr durcheinandergebracht.

Aber wie auch immer! Sein Körper und ihr eigenes, blaues Feenlicht hatten sie genügend geschützt und ein kurzer Kontrollblick bestätigte ihm, dass sie noch ganz war und atmete. Als er sie dann vorsichtig losließ, kroch er auf allen Vieren zu Eron hinüber, stieß einen von Andras bewusstlosen Soldaten von seinem Körper und kontrollierte den Puls des Dämons.

„Ist er ... tot?“, fragte Silke und wirkte dabei so schwach, dass Johns Herz nervös zu flattern begann.

„Sscchhht, Liebling. Er ist nicht tot. Er wird nur vermutlich noch länger nicht aufwachen. Aber ...“ Damit kroch er wieder zu ihr zurück. „... DU musst jetzt unbedingt wieder zurückreisen. Silke dein Körper braucht dich. Ich brauche dich.“ Er zog sie in seine Arme, so vorsichtig, als wäre sie aus Glas.

Silke war so gerührt von seiner Sorge und seiner Zuneigung, dass sich ihre Augen mit blau schimmernden Tränen füllten.

„Aber ich weiß nicht wie. Ich fühle mich so schwach, so verschwindend, so ...“

„Sscchhht. Nicht sprechen, Schatz! Küss mich!“ Er hatte kaum zu Ende gesprochen, hatten seine Lippen schon von den ihren Besitz ergriffen. All seine Gefühle, seine Zuneigung und sein Wollen lagen in diesem Kuss und in seiner Hingabe. Denn wenn er eines endlich wusste, dann war es der Umstand, dass er sie liebte. Mehr noch als sein eigenes Leben, denn warum sonst hätte er sich vorhin völlig selbstlos über sie geworfen? Im entscheidenden Moment WUSSTE man einfach was Sache war und er … er hatte noch nie so stark empfunden wie in diesem kurzen Moment oder jetzt bei diesem Kuss. Alles hätte er getan, um diese Frau zu retten. ALLES.

Silke öffnete sich aus ganzem Herzen für ihn, ließ ihre Kraft fließen und bekam dafür ein Meer von Zuneigung und Energie geschenkt. Ihr astraler Körper tankte regelrecht und erholte sich binnen kürzester Zeit. Johns Lippen waren weich, seine Zunge zärtlich und gefühlvoll und doch war es die Leidenschaft, die ihre Kraftreserven aktivierte und wieder ganz zu sich kommen ließ. Es war die pure Magie und ein unbeschreiblicher Moment der Innigkeit.

Josh stürmte – als Mann, nicht als Drache – laut brüllend in den Kerker und unterbrach den Moment der stillen Zweisamkeit. Er wirkte abgekämpft und war außer Atem. Trotzdem hatte er noch seinen berüchtigten Schalk in den Augen.

„Da seid ihr ja endlich! Verdammt, hört auf zu knutschen! Wir haben gewonnen, Leute! Versteht ihr? Bei allen verschissenen Dämonen dieser Welt: WIR HABEN GEWONNEN!“ Er lachte so herzhaft laut und glücklich, dass auch Silke und John lachen mussten, sich aber dennoch nicht aus den Augen, geschweige denn aus den Armen ließen. Zu intensiv war das Gefühl, das sie hier und jetzt verband.

Der Gestaltwandler war noch ganz euphorisch, selbst wenn er seinen Bruder und eine mögliche Gefährtin in solch inniger Umarmung sah. Lachend blickte er rundum, um zu sehen, wer aller zu Schaden gekommen war und am Boden lag. Eron lag ebenfalls da, atmete aber gleichmäßig. Deswegen machte er sich keine Sorgen um ihn. Als er dann aber Andras entdeckte, verstummte sein Lachen augenblicklich und seine Miene wurde ernst. Die Dämonen waren schließlich nicht tot. Sie waren nur tief bewusstlos und Andras hatte noch nicht einmal einen einzigen blutigen Kratzer abbekommen. Ein dunkles Grollen löste sich aus seinem Hals, denn Andras war die Wurzel allen Übels. Ohne zu zögern reichte er John sein Schwert.

„Hier, Bruder. Bring es zu Ende! Wir können nicht riskieren, dass dieser Scheißkerl am Leben bleibt.“ Und das stimmte. Sie konnten es nicht wagen einen Gegner wie diesen Dämon am Leben zu lassen. Nie würden sie Ruhe vor ihm haben, nie ihre Frauen finden, nie unbesorgt sein können, sondern immer damit rechnen müssen, dass der Dämon der Zwietracht stets versuchen würde Unheil über die Condatis-Brüder und die Menschheit zu bringen.

John nickte. Er war nicht gerade in bester körperlicher Verfassung, doch er griff sofort nach dem Schwert. Zuerst benutzte er es als Stütze, um aufzustehen, doch dann hinkte er zu dem Dämon der Zwietracht und stellte sich vor ihm auf. Sein Blick zeigte keinen Rachedurst, auch keine Wut mehr. Er zeigte nur einen Ernst, den er tief in seinem Wesen fühlte, weil er nun mal enormen Respekt vor dem Leben hatte. Und dennoch ... Andras hatte verloren und durfte ihm und seiner Familie nie wieder Schaden zufügen. Nie wieder!

„Es mag kein heroischer Sieg sein, einen bewusstlosen Dämon zu töten ...“, murmelt er und hob die Klinge. „... doch es ist eine verfluchte Notwendigkeit.“

Damit rammte er ihm das Metall tief ins dämonische Herz und beendete den Spuk ein für alle Mal.


40.Kapitel

Im Burghof trafen alle ziemlich erledigt zusammen. Bis auf Silke, denn die hatte durch John tatsächlich genug Kraft geschöpft, um sich wieder in den universellen Sog ihrer Astralreise einzuklinken. John wusste nicht, ob sie gut in ihrem Körper ankommen würde, doch er war zuversichtlich, nachdem sie zuletzt so viel Energie getankt hatte.

Er selbst hinkte neben Josh in den Burghof. Nach der Folter und dem stundenlangen Knien hatte er überall Schmerzen, doch im Großen und Ganzen fühlte er sich großartig. Immerhin hatten sie eine ganze Dämonenburg auf den Kopf gestellt und waren alle mehr oder weniger heil aus der Sache herausgekommen. Lediglich Eron blieb tief bewusstlos, wurde aber nun auf den Schultern von Josh herausgetragen. Der Gestaltwandler war müde und kämpfte mit dem Gewicht des Dämons, doch er und John wirkten wie zwei siegreiche Filmhelden nach einer heroischen Schlacht. Fehlte nur noch Zeitlupe und entsprechend tragende Musik.

Erika und Jeff kamen durch das Haupttor auf sie zugelaufen und wirkten nicht nur erschöpft, sondern auch irgendwie peinlich berührt. Doch für Fragen blieb keine Zeit, denn auf der anderen Seite erschienen bereits Jack und Dennis, die ebenfalls Lasten auf ihren Schultern trugen. Jack hatte zwei ausgemergelte Körper geschultert, Dennis einen. Allem Anschein nach hatten sie in der Burg ein paar Gefangene gefunden und befreit. Hinter ihnen ging sogar noch eine fremde Frau mit wallend rotem Haar. Ihren nackten Körper hatte sie behelfsmäßig in ein seidenes Bettlaken gewickelt und obwohl sie sehr geschwächt wirkte, bewegte sie sich mit der Geschmeidigkeit einer Katze. Sie war ziemlich groß und beeindruckend schön, doch bei genauerem Hinsehen, erkannte man, dass sie hier die Hölle durchlebt haben musste. Ebenso wie die geschundenen, bewusstlosen Kreaturen, die Jack und Dennis auf ihren Schultern trugen.

Alle Beteiligten fielen sich in die Arme und gratulierten sich gegenseitig. Doch zu wirklichen Lobeshymnen waren sie nicht in der Stimmung und sowieso viel zu müde. Erika graute vor dem langen Ritt und Josh vor der Verwandlung in seinen Drachen. Aber sie schafften auch den letzten Part dieser Befreiung ... und kamen nach Stunden der Heimreise wieder gut im Hause der Condatis-Brüder an.

Die nächsten Tage wurden einzig und allein der Heilung aller gewidmet. Silke hatte ihre Rückreise geschafft und schlief ganze zwei Tage und Nächte. Die geretteten Gefangenen waren ausschließlich Frauen, die Andras aus dem Menschenreich entführt hatte. Die Gründe dafür waren unbekannt, denn die drei Frauen waren immer noch bewusstlos und Selina verweigerte zu sprechen. Der Schock hatte sie in eine Apathie versetzt, die ebenfalls durch viel Schlaf und liebevolle Pflege von Rosella, der stummen Hausdame, geheilt werden sollte. Gemeinsam mit einem schamanischen Heiler kümmerte sich die Hausdame um die drei bewusstlosen Frauen. Doch auch der Schamane pochte ausschließlich auf Zeit. Sie brauchten alle Ruhe, Schlaf, gutes Essen und liebevolle Zuwendung. Der Rest kam – seiner Meinung nach – von den Göttern. Was bei den Brüdern natürlich Unverständnis und ein verärgertes Schnauben hervorrief.

John wurde von Jack medizinisch versorg, Erika von Dennis verwöhnt und aufgepäppelt und Josh und Dennis kümmerten sich um Eron, der ganze zwei Tage lang bewusstlos blieb. Danach war der Dämon seltsam schweigsam und nicht mehr ganz so fröhlich wie sonst. Aber auch das würde sich mit der Zeit sicher wieder ändern.

Nach ausreichender Ruhe und Pflege trafen die ersten dann im Gemeinschaftsraum aufeinander.

„Was machen deine Wunden, John?“ Es war Josh, der ihn das fragte, nachdem er ebenfalls Ruhe getankt und viel geschlafen hatte.

„Danke, Drache! Es heilt alles ganz gut. Jack kennt sich mit Wunden wirklich aus, dabei hat unser Vampir nicht mal einen wirklich nennenswerten Kratzer abbekommen. Er muss in einer Schlacht wie der Teufel selbst sein.“

„Das kann ich bestätigen“, mischte sich Dennis ein und öffnete eine Dose Bier. „Noch wer eins?“, fragte er und gönnte sich ein paar Schlucke. Die anderen schüttelten den Kopf. Nur Jack griff nach einer Dose. Immerhin hatten sie sich gegenseitig versprochen miteinander anzustoßen.

„Auf uns, Sohn von Heimdall!“

„Auf uns, Sohn von Condatis!“ Beide schnaubten und ergänzten wie aus einem Munde: „Scheiß auf die Abstammung!“ Sie waren eben nicht nur Söhne von irgendwem, sie waren Dennis und Jack und jetzt Freunde.

„Mann, wir waren so gut, Alter!“ Josh grinste bis über beide Ohren. „Aber auf den grauenhaften Geschmack von Dämonen kann ich in Zukunft gerne verzichten.“

„Du hast sie echt gefressen?“, fragte John und sah seinen Bruder leicht angewidert an.

„Ja! Und ich habe sie auch geröstet und zermatscht und ...“

„Schon gut! Das genügt, danke!“ John lachte und tätschelte Josh den Rücken. „Gut gemacht, kleiner Bruder“, meinte er und fühlte sich an das übliche Geplänkel von früher erinnert.

„Das ist mir richtig abgegangen“, brummte Josh, weil er seinen Bruder über die Jahre vermisst hatte. Der Vorwurf, der in den Worten mitschwang ging an John nicht spurlos vorbei.

„Josh! Es tut mir leid. Es ist nur so, dass man in der Welt der Menschen wirklich sehr viel vergisst. Als würde sich ein Nebel über das Bewusstsein legen.“

„Aber selbst seine Brüder, die eigene Familie?“ Josh wirkte traurig und John nahm den jüngeren Bruder spontan in die Arme.

„Ach, komm her! Wenn ich mich erinnert hätte, hätte ich dich bestimmt vermisst. Dessen bin ich mir sicher.“ Es war der pure Schwachsinn, den er da von sich gab, aber er war so herzerfrischend und ehrlich, dass Josh lachen musste und ihn ebenfalls umarmte.

„Schön, dich wiederzuhaben“, sagte der Drache und klopfte seinem Menschenbruder fest auf den Rücken.

„Was ist hier los? Tolle Wiedersehensfeier oder was?“, knurrte Jack aggressiv.

„Lass sie doch Jack! Wir sollten wirklich feiern! Immerhin haben wir eine ganze Schar von Dämonen in die ewigen Jagdgründe gefickt“, ätzte Dennis und nahm noch einen Schluck von seinem Bier.

„Aber Schätzchen! Diese vulgären Ausdrücke darfst du doch nur in unserem Schlafzimmer verwenden!“ Erika kam zeitgleich mit Jeff in den Gemeinschaftsraum. Seit ihrer Magiesession waren die beiden sich tunlichst aus dem Weg gegangen. Das gemeinsame Eintreffen war nur Zufall, oder auch nicht.

„Wie geht es den Frauen?“, fragte Jeff, um sich abzulenken, während er ganz deutlich auf Abstand zu Erika ging. Er wollte ganz klar nicht riskieren, ihre Schwingung aufzufangen. Sie war zwar keine Fee, aber dennoch eine sehr attraktive Frau und sie konnte genauso küssen, wie er es mochte. Dennis gegenüber war ihm das doch ein wenig unangenehm.

„Selina ist am Weg der Besserung, die anderen drei sind noch nicht ansprechbar, aber stabil. Aber sie haben alle einen geringen Feenanteil“, antwortete Jack und nahm lässig einen Schluck vom Bier. Dabei hatte er gerade eine kleine Sensation offenbart.

„Feenanteil?“, krächzte Jeff. Der Rest blieb stumm. Selbst ein Streichholz hätte man fallen hören können.

„Woher weißt du das?“, knurrte Josh und seine Augenbrauen zogen sich unwirsch zusammen.

„Na woher wohl? Ich habe von ihnen gekostet.“

„Du hast waaas?“ John war fassungslos. „Vollkommen geschwächte Wesen hast du lässig nach mittelalterlicher Manier zur Ader gelassen, oder wie?“

„Ganz cool, Alter! Bei einer war es Zufall. Die hatte etwas Blut an ihrem Handrücken. Das ist in etwa so, als würde für Euch etwas zum Naschen rumliegen. Also habe ich darüber geleckt und sofort bemerkt, dass ihr Blut nach Fee vibriert. Dann wurde mir plötzlich klar, dass Andras vermutlich ausschließlich Frauen gefangen hat, um sie vor uns zu verbergen ...“

„Aber du kannst doch nicht kranke Frauen aussaugen!“ Josh schloss sich der Meinung von John an.

„Klar kann ich! Und ausgesaugt habe ich sie ja nicht. Außerdem ist mein Speichel heilend.“ Er lachte. Schäbig … wie die anderen drei Brüder ihm zu verstehen gaben. Woraufhin der Vampir ein Einsehen hatte und einlenkte.

„Schon gut! Es war wirklich nur wenig und absolut kein Problem für die holde Pracht im Krankenlager.“

„Wisst ihr was das bedeutet?“, fragte Josh und seine Augen leuchteten hell. „Wenn sich die drei Mädels erholen, können wir bald alle Gefährtinnen haben.“

„So einfach siehst du das?“, fragte Jeff, der viel zu ernst war für diese fantastische Nachricht. „Soweit ich das sehe, geht es in der nächsten Zeit vor allem einmal um Silke. Erst wenn sie sich entschieden hat, werden wir uns weiteren Optionen öffnen. Ich weiß nicht, ob ihr das schon bemerkt habt, aber Silkes Feenanteil ist ungewöhnlich hoch und das Ritual, das sie erwähnt hat, ist wohl wie die Basis für alles. Vielleicht ist sie ja die Nummer eins, die Auserwählte oder die Anführerin. Und sie braucht einen Anführer an ihrer Seite. Erst nachdem diese Ordnung hergestellt ist, ergibt sich auch der Rest. Wir brauchen also nicht jetzt schon zu überlegen, was wir danach machen werden, wenn das DANACH womöglich vollkommen anders aussieht. Versteht ihr nicht? Vielleicht sind wir dann nicht mehr gebunden an den Fluch oder brauchen keine Feen mehr und können frei wählen ... oder auch alleine bleiben.“

„Woher weißt du das denn jetzt plötzlich?“ Josh war sauer, weil Jeff stets seine Euphorie zu dämpfen wusste. Der alte Griesgram ging ihm ziemlich auf die Nerven.

„Ich weiß es einfach. Silke ist alleine durch ihr Wesen schon sehr befruchtend für unsere Art. Sie bereichert offenbar auch meinen Geist, ebenso wie das Hexchen dort drüben.“ Damit warf er einen verstohlenen Blick zu Erika und die zwinkerte ihm zu, weil auch sie noch eine leichte Befangenheit verspürte. Im Strudel der Magie hatte sie keinen Unterschied gemacht zwischen ihm und Dennis und ... er war nun einmal ein Halbgott und höllisch gut. Die leichte Röte ihrer Wangen verriet Jeff genau, woran sie dachte. Doch er war zuversichtlich, dass sie diese Befangenheit noch in den Griff bekommen würden. Magie war eine natürliche Sache, ebenso wie Sex und sofern man sich klar war, wo man hingehörte, konnte das für eine Beziehung kein Problem darstellen. Erika wusste genau wo sie hinwollte und hingehörte. Dumm nur, dass Jeff bei sich selbst überhaupt keine Ahnung hatte.

„Wir sollten das Ritual so rasch als möglich abhalten“, meinte er heiser und senkte seinen Blick. Er brauchte endlich Ordnung¸ Sicherheit und die richtige Richtung. Und es war genau das, was auch alle anderen wollten, denn die Männer nickten ihm wie auf Kommando zu.


41.Kapitel

Das Licht war erloschen. Nicht eine Kerze brannte mehr. Nur silbriges Mondlicht fiel durch die Fenster in den Raum, tauchte alles in blau schimmernde Lumineszenz und wunderschöne Kontraste. Silke atmete tief durch, ließ zuerst den linken Träger ihres Kleides, dann den rechten über ihre Schultern gleiten. Ihr Atem ging schneller, doch sie war nicht nervös, nur voller Zuversicht. Fest blickte sie jedem von ihnen in die Augen, bevor sie mit einer anmutigen Bewegung ihr Kleid abstreifte. Die Zustimmung der Männer war offenkundig, das leise Brummen aus ihren Kehlen wie eine erotische Vibration. Silke genoss die dichte Atmosphäre von Erregung, Erwartung und Hoffnung. Dennoch war es vor allem eine friedliche Stimmung und eine Einigkeit, die sie alle erfüllte.

Erika begann im Hintergrund die Trommel zu schlagen und Eron fiel am anderen Ende mit einer zweiten Trommel in den Rhythmus ein. Beide summten sie eine Melodie, die Erika vorgab und die das Brummen der Männer verstärkte. Silke trat einen Schritt vor und wandte sich zuerst an Jeff, den Magier und den Condatis-Bruder, der im Osten stehen würde. Mit tiefschwarzen Augen blickte er zu ihr herab und hieß sie willkommen. Seine Zuneigung und sein Vertrauen waren deutlich spürbar und so küsste sie ihn sanft auf den Mund, ehe sie ihre Hände auf seine Schultern legte und ihm den seidenen Morgenmantel abstreifte. Zärtlich fuhr sie über seinen festen Oberkörper und bewunderte das Spiel des kühlen Mondlichts auf makellos warmer Haut. Jeff war der schmälste der Condatis-Brüder, doch sein Körper war schön, ebenso wie der Mann selbst. Mit einem tiefen Seufzer der Zufriedenheit nahm sie seine beiden Hände und legte sie auf ihr Herz. Jeff schluckte die aufwallende Emotion herunter, verspürte das Aufsteigen von Tränen, doch Silke hielt ihn fest, gab ihm Sicherheit und Zuversicht. Dann führte sie ihn an den Platz, wo sie ihn haben wollte. Eine letzte, zärtliche Geste und sie ging weiter zu John, dem Condatis-Bruder, der im Süden zu stehen hatte.

Lächelnd kam sie auf ihn zu, genoss den Rhythmus der Trommeln und das Strahlen seiner Augen. Auch er hieß sie willkommen und erwartete ihren Kuss. Sanft und doch ganz anders als Jeff. Von ihm musste sie mehr kosten, konnte ihr Wollen diesbezüglich nicht verhindern. Ihr Kuss wurde tiefer, inniger und als sie ihm den Morgenmantel langsam abstreifte, hätte sie ihn am liebsten an allen Stellen seines Körpers berührt. Und, … weil das hier so richtig und gut war, tat sie das letztendlich auch. Sie berührte seinen Oberkörper, fuhr über seine festen Brustmuskeln, wanderte zu seinem Sixpack, umfasste seinen Penis.

Bei allen Göttern! Er war der Mann im Süden! Er stand für das Element Feuer und das war nun einmal verdammt schwer zu kontrollieren. Hier die Hitze und Leidenschaft zu ignorieren, war so gut wie unmöglich. Doch der Rhythmus der Trommeln wurde langsamer und das half den beiden nicht vollkommen die Kontrolle zu verlieren. Erika war die Wächterin der Zeremonie und diese Aufgabe erfüllte sie gut. Ihre Melodie war träge geworden, ihr Trommelschlag viel langsamer als ein Herzschlag.

Silke konnte sich wieder fangen, griff nach Johns Händen und legte sie sich über ihr Herz. Ihr Blick zeigte ihre Gefühle und dennoch das Wissen, dem Ritual und der göttlichen Fügung zu vertrauten. Dieses Ritual würde Ordnung schaffen, alles vervollständigen und verschwommene Konturen beseitigen. Ja, sie vertraute auf das Schicksal, das Leben und die Götter. Mit genau der Intention nahm sie seine Hände wieder von ihrem Herzen und führte John an seinen Platz. Ein letztes, leises Lächeln, dann ging sie weiter zu Jack, dem Condatis-Bruder, der im Westen stehen würde.

Jack hieß sie mit seiner ganzen Wucht und Präsenz willkommen. Das Kribbeln, das Silke immer bei ihm verspürte schwoll so stark an, dass sie sich kurz an seinem mächtigen Oberkörper abstützten musste, um den Ansturm zu ertragen.

„Ganz ruhig“, flüsterte er leise und versuchte sie zu trösten, indem er ihr vorsichtig über den Kopf strich. Er wusste von der Gier, der Macht und dem Dunklen, das einen Menschen vollkommen in den Bann ziehen und um den Verstand bringen konnte. Dennoch vertraute er ihr und der göttlichen Fügung. Als Silke sich wieder unter Kontrolle hatte, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn mit bebenden Lippen auf den Mund. Ein kurzes Eintauchen, konnte sie nicht verhindern, doch sie wusste, dass sie hier mit einer Macht spielte, die sie kaum beherrschen konnte. Jacks Knurren vibrierte in ihrem Mund, verstärkte den Kuss und erfüllte ihren ganzen Körper. Erika schlug die Trommel langsamer, aber viel lauter als zuvor. Das Zurück war hier mit mehr Kraftaufwand und eindringlicherem Signal notwendig. Das Hexchen war ein richtiges Naturtalent und bereits so sehr in ihrer Kraft, dass sie instinktiv das Richtige machte.

Silke löste sich von Jacks Mund, streifte auch seinen Morgenmantel ab und nahm seine beiden Hände, um sie auf ihre linke Brust zu legen. Dazu sahen sie sich in die Augen und wussten, dass auch sie die göttliche Entscheidung akzeptieren würden. Egal, auf wen letztendlich die Wahl fallen würde. Silke löste schließlich seine Hände und hatte plötzlich Tränen in den Augen. Sie wusste nicht warum, aber sie spürte deutlich, dass sie mit Jacks geschundener Seele mitfühlte. Sie mochte ihn. Mehr als das sogar und doch ahnte sie, dass er sich am schwersten öffnen würde, womöglich nie eine Gefährtin finden könnte. Sie weinte um ihn, sein verlorenes Glück, seine Sehnsucht nach Liebe, nahm seine linke Hand und führte ihn an seinen Platz im Westen. Dann streifte sie die Tränen ab und ging weiter zu Josh, dem Condatis-Bruder, der im Norden stehen sollte.

Josh war stets der Fröhlichste von den Vieren, doch nun blickte er ernst zu ihr herab und hieß sie willkommen. Seine Aura vibrierte und das Tier in ihm schien unruhig zu sein oder darauf zu warten, hervorbrechen zu können. Silke berührte sein Gesicht und flüsterte ein leises „Schhhht“, was den Drachen aufhorchen ließ und deutlich beruhigte. Es war ein leiser, gezischter laut von einer Fee, doch für Josh war ihr „Schhhht“ wie heilender Baldrian. Die ganze Zeit schon hatte er Höllenqualen durchlebt, weil er um die Begierde seines Tieres wusste und ständig befürchtete, dieses Ritual damit zu sprengen. Wenn ein kleiner Kuss von anderen schon verheerende Reaktionen bei seinem Drachen auszulösen vermochte, war es ihm als Mann fast unmöglich einem Ritual mit sexueller Kraft beizuwohnen. Doch Silkes Aura war so erhaben, ihre Haltung sicher und ihr Flüsterton die pure Magie für ihn und sein Tier. Die Bestie in ihm wurde tatsächlich zahm und Silke wusste genau, wann sie den schönen Josh küssen konnte. Was sie dann auch zärtlich tat und zu ihrer Freude sofort wieder den gewohnten Schalk in seinen Augen entdecken konnte. Auch ihn befreite sie von dem seidenen Mantel, fuhr langsam über seinen wunderbaren Oberkörper und nahm seine beiden Hände, um sie auf ihr Herz zu legen. Josh stöhnte auf, doch das Tier brach nicht aus ihm hervor. Es beobachtete nur mit solch intensivem Interesse was Silke tat, dass sie davon Gänsehaut bekam, denn der Blick eines Drachen war magisch und zeigte die pure Kraft. Silke war beeindruckt und fasziniert, denn zum ersten Mal erlebte sie das ganze Ausmaß von dem Bündnis zwischen Mann und Tier, sowie die Vielschichtigkeit dieses anziehenden Wesens. Josh war wunderschön und überaus entdeckenswert, wenn auch vermutlich nicht für sie bestimmt. Aber sie wollte der Macht des Rituals nicht vorgreifen und jeden vorzeitigen Gedanken auf die mögliche Wahl ausklammern. Schließlich ging es vor allem um Vertrauen. So nahm sie seine Hände von ihrem Herzen fort und führte ihn auf seinen Platz im Norden, wo er für das Element Erde stand.

Rosella, die stumme Hausdame, entfernte alle unnötig gewordenen Kleidungsstücke und warf sie auf einen Haufen. Danach bezogen sie und Dennis Stellung und bildeten zu Erika und Eron das ergänzende Kreuz am Rande des eigentlichen Rituals. Alle vier hatten sie Trommeln, doch während Erika und Eron die ganze Zeit schon ihren Rhythmus getrommelt und mit Gesang untermauert hatten, begannen Rosella und Dennis mit dem ersten Schlag, als Silke sich in die Mitte stellte und die Männer aufforderte, sich an den Händen zu nehmen.

Erika bestimmte weiterhin den Rhythmus, veränderte aber allmählich die Melodie und schlug ein schnelleres, kräftigeres Tempo an. Die drei anderen Trommeln folgten im Gleichklang und verstärkten die Schwingung im Raum. Silke kam augenblicklich außer Atem und ihr Körper vibrierte so derart, dass sie aufpassen musste, nicht abzuheben. Sie begann sich zu bewegen, zu drehen und die Schwingung aus ihrem Innersten nach außen zu tragen. Erregung lag in der Luft, verband sich mit dem Rhythmus der Trommeln, verstärkte sich und brachte alle auf eine höher schwingende Ebene. Silke wand sich in anmutiger Geschmeidigkeit, drehte sich weiter im Uhrzeigersinn. Die Männer hielten sich gegenseitig fest an den Unterarmen und erzeugten eine Hitze um Silke, die selbst den Umstehenden Trommlern zu schaffen machte. Silke aber konnte nicht aufhören, diese Schwingungen zu verstärken, die Hitze zu schüren.

Die Trommeln wurden lauter, intensiver, der Rhythmus schneller und immer schneller. Silke wirbelte im Kreis umher und die Männer bewegten sich in entgegengesetzter Richtung und langsamer um sie herum. Erikas Trommelschlag wurde noch kräftiger, hämmerte durch den Raum. Silke schrie, sie sang, sie tanzte. Sie war außer sich, wie ein Kraftfeld aus purem Licht. Flammen züngelten aus ihrem Körper, Flammen von Energie und bläulicher Intensität. Das Tempo der Männer wurde schneller, heftiger und eckiger. Der Kreis der Ordnung schien sich zu schließen, wurde zu einem inneren Kern aus blitzendem Licht und einem Viereck aus Fleisch, Wärme und purer Lust. Die Kraft schwoll an, das Licht schien zu bersten, die Reibung zwischen den Elementen wurde spürbar, greifbar. Schneller und immer schneller drehten sich die Menschen, züngelte das Licht, schwoll der Rhythmus der Trommeln an. Silke konnte den ersten Funken der Ekstase spüren, den leuchtenden Punkt um sich herumwirbeln sehen und noch im Aufbäumen ihres Höhepunkts ergreifen. Ja, sie packte zu, griff nach dem Licht und nahm es in sich auf. Tief und immer tiefer glitt es in sie hinein, erfüllte sie mit Kraft und Liebe.

Sie ließ sich zu Boden fallen und wurde endgültig eins mit ihrem Gefährten, mit der Kraft seiner Stöße, dem Rausch seines Körpers. Eins mit seinem Körper, seinem Geist und seiner Seele.

Eins mit ... John.


42.Kapitel

Silke erwachte in Johns Armen wie aus einem Traum. Wäre die Luft nicht derart überhitzt gewesen und voll mit Gerüchen von Sex, Schweiß und Erlösung, hätte sie nur an einen außergewöhnlichen Traum mit dem Gefühl von Unendlichkeit geglaubt. Unendliche Liebe, unendliche Schönheit, unendliche Lust. All das sah sie nun in diesen wunderbar dunkelgrünen Augen und spürte doch zugleich auch die herrliche Begrenzung ihrer beiden Körper. Wärme, Kraft und Verbundenheit. John lag auf ihr und ein Teil von ihm war immer noch in ihr.

„Du bist mein!“, flüsterte er und wirkte dabei nicht nur besitzergreifend, sondern vor allem ehrfürchtig und dankbar. Er bewegte sich ein wenig und Silke seufzte glücklich.

„So, wie du mein“, erwiderte sie und schlang ihre Arme fest um seinen schönen Körper. Sie hatte nicht erwartet, dass ihr die Kontrolle irgendwann aus den Händen gleiten, oder das Ritual derart intim enden würde. Und doch hatte die Naturgewalt des Rituals sie alle überrascht und in die Knie gezwungen. In ihrer Welt hätte sie es wohl eher als Orgie bezeichnet, doch hier war es lediglich das Bild der Ordnung und spürte sich richtig und gut an. Es war ein Ritual und die Basis für ihrer aller Zukunft.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739438511
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
Drache Halbgötter Liebesroman Götter Fantasy Romance Spannung Liebe Vampir Zauberer Urban Fantasy

Autor

  • Sabineee Berger (Autor:in)

WARUM SABINE MIT DREI E? Sie passen zu mir und dienen zur Abgrenzung bei Namensgleichheit. Ich bin freischaffende Künstlerin & Schriftstellerin und schreibe seit mehr als fünfzehn Jahren Fantasy-Romane. Mein Slogan lautet "Kunst ist, was berührt und Impulse setzt!"
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Titel: Im Bann seiner Macht SAMMELBAND