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Die Reise des Jonathan van Buyten

Der Klabautermann

von Markus Karnahl (Autor:in)
275 Seiten

Zusammenfassung

1628 Auf dem Segelschiff Annemarie verschwinden Besatzungsmitglieder spurlos. Waren es wirklich Unfälle, so wie Kapitän Thomas Wijnvoord es beteuert oder treibt ein Mörder sein tödliches Spiel? Der dreizehnjährige Schiffsjunge Jonathan van Buyten macht sich mit seinem Freund Dirk daran, das Rätsel zu lösen. Sie stoßen auf eine Kreatur, gefährlicher als jeder Mörder.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Impressum:

Markus Karnahl

2. Südwieke 265

26817 Rhauderfehn

04952 8908973

M.Karnahl@web.de

Markus-Karnahl.de

 

1. Auflage, 2020

© 2020 Alle Rechte vorbehalten.

Markus Karnahl

2. Südwieke 265

26817 Rhauderfehn

 

Markus-Karnahl.de

 

Covergestaltung: pixelcompetence; fiverr

Bildautor: Dmitry Rukhenko; depositphotos

 

 

1628 Auf dem Segelschiff Annemarie verschwinden Besatzungsmitglieder spurlos. Waren es wirklich Unfälle, so wie Kapitän Thomas Wijnvoord es beteuert oder treibt ein Mörder sein tödliches Spiel? Der dreizehnjährige Schiffsjunge Jonathan van Buyten macht sich mit seinem Freund Dirk daran, das Rätsel zu lösen. Sie stoßen auf eine Kreatur, gefährlicher als jeder Mörder.

 

Über den Autoren:

Markus Karnahl wurde 1978 im Emsland geboren. Um seine Rechtschreibung zu verbessern, brachte er 2007 die ersten Zeilen einer eigenen Geschichte zu Papier. Diese wuchsen die im Laufe der Jahre zu einer Romantrilogie heran. 2018 erwachte bei Markus der Wunsch nach einer Veröffentlichung dieser Geschichte. Mit dem Erscheinen seines Debütromans „Die Reise des Jonathan van Buyten- Der Klabautermann“, erfüllte sich, im Sommer 2020, dieser Traum. Um mehr über seinen Weg zum Selfpublisher zu erfahren, besuche ihn auf Facebook und unter Markus.Karnahl.de.

 

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitelt 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

 

Kapitel 1

Die Insel Norowell

 

Unter Ekos Fuß brach ein Zweig.

»Du hast mich lange warten lassen«, erklang eine vertraute, aber tadelnde Stimme aus der einsamen Hütte, die in der Mitte der Lichtung stand. Einer winzigen Kuppel aus gebogenen Ästen und Blättern, die kaum einem Menschen Platz bot.

Eko nickte schuldbewusst. »Es ist ein weiter Weg und ich bin alt.«

»Das habe ich nicht gemeint.« Gestützt auf einen Stab, trat Ramelan ins Freie.

Die beiden Männer kannten sich ihr ganzes Leben.

Eko kniete nieder und senkte den Blick. »Ich grüße Ramelan, den Priester der Manusia. Mögen die Geister dich schützen.«

»Ich danke dir, Eko, Oberhaupt der Manusia. Erhebe dich, alter Freund.«

Eko stand auf und die Männer musterten sich. Sie waren nackt. Nur ein Hüfttuch verbarg ihre Scham.

»Komm.« Ramelan deutete auf ein Lagerfeuer vor der Hütte. Seine Ketten und Armbänder raschelten bei jeder Bewegung. Nur ihm gebührte es, sich mit den Zähnen des Tigers zu schmücken, und die ineinander verschlungenen Narben auf seinem Gesicht zeugten von der tiefen Demut, mit der er dies tat. Es gab niemanden in ihrer Gemeinschaft, der über dem Priester stand. Nicht einmal Eko.

Erleichtert folgte er der Einladung und setzte sich auf die Erde. Seine Füße schmerzten und er war erschöpft. Selbst seine Insignien, die drei, seitlich ins lange, schwarze Haar geflochten, blassrosa Schwanzfedern des Cacatuas, hingen zerzaust herab. Der Weg vom Dorf hierher, zu den heiligen Stätten ihres Volkes, wurde mit jedem vergehenden Lebensjahr beschwerlicher. Trotzdem war er in besserer Verfassung als der Priester. »Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen? Deine Arme sind dünn wie Zweige und ich sehe jede deiner Rippen.«

Ramelan schüttelte den Kopf. »Es gibt Wichtigeres. Du warst lange nicht hier. Probleme quälen dich, liege ich richtig?«

Beides stimmte, dachte Eko niedergeschlagen. Seine letzte Aufwartung war eine halbe Ewigkeit her. Früher besuchte er den Priester zu jedem Voll- und Neumond. Ramelan hielt Kontakt zum Jenseits. Er betrachtete das Leben aus spiritueller Sicht und seine Ratschläge brachten Eko häufig dazu, Entscheidungen zu überdenken und besonnen zu handeln.

Aber heute lagen die Dinge anders. Die Probleme, die ihn in den letzten Monaten umtrieben, waren von weltlicher Natur. Für so etwas hielten die Geister keine Lösung parat. Vielmehr hatte Eko sogar Angst davor, dass Ramelan den Versuch unternahm, ihm seine Entscheidung auszureden. Am liebsten wäre er gar nicht herkommen, aber der Priester hatte ihn zu sich rufen lassen und ihre Tradition zwang ihn, der Aufforderung zu folgen.

»Du hast das Urteil gesprochen?«, fragte Ramelan.

Eko antwortete nicht sofort. Nachdenklich beobachtete er den aufsteigenden Rauch. Die Zeichen standen auf Sturm. Ihr Dorf wandelte sich und auf ihm lastete eine Verantwortung, der er kaum Herr wurde. »Kade wird sterben. Morgen, bei Sonnenaufgang.« Ekos Mund war trocken.

»Und seine Leiche wird verbrannt?«, fragte Ramelan.

»So schreibt es, in einem solchen Fall unser Gesetz, das weißt du.« Eko hatte befürchtet, dass Ramelan ihn dies fragen würde und er bemühte sich um eine entschlossene Stimme. Er hatte das Urteil gesprochen und es zu ändern war schlichtweg falsch, ganz gleich was der Priester sagen würde.

»Ja, die Gesetze«, seufzte Ramelan. Er zwang sich zu einem Lächeln. »Seine Seele wird sich verwandeln.«

»Soll sie. Darum kümmern sich die Geister. Das haben sie immer.« Eko wusste, dass er respektlos klang und es beschämte ihn. Nichtsdestotrotz besaß er den Schneid, bei seiner Meinung zu bleiben, was ihm zusätzlich Mut verlieh.

»Hier auf der Insel schon«, erwiderte Ramelan. »Aber draußen, in der weiten Welt? So mächtig sind ihre Kräfte nicht. Bedenke, die Zeiten, in denen wir nur für uns verantwortlich waren, sind lange vorbei.«

Eko hob gleichgültig die Schultern. »Was interessiert uns die weite Welt? Sie hat uns immer nur Ärger eingebracht.«

»Ich bin der Überzeugung, Kade sollte in geweihter Erde beigesetzt werden.«

»Er ist ein Mörder. Er hat seine Schwester erschlagen und du willst seiner Seele ewiges Leben schenken. Seit wann brichst du mit den Traditionen?«

»Ich weiß, was er angerichtet hat und es quält mich zutiefst. Doch sein Verbrechen steht in keinem Verhältnis zu dem, was geschieht, wenn aus falschem Stolz heraus egoistisch entschieden wird.« Ramelans Blick löste sich vom Feuer und er sah Eko in die Augen. »Mir scheint, dass dir die Traditionen im Grunde egal sind. Du benutzt sie als Vorwand, um deine Macht zu erhalten.«

»Das ist nicht wahr!«, platzte es aus Eko heraus. »Ich sorge mich um unser Volk. Ich muss Stärke zeigen, sonst zerbrechen wir. Wenn ich einem Mörder ewiges Leben schenke, dann reißt unsere Gemeinschaft völlig auseinander.«

Ramelan seufzte erneut, doch dieses Mal lächelte er nicht. »Bevor die Weißen hier auftauchten, war alles einfacher. Wir lebten alleine und folgten nur unseren eigenen Gesetzen und Traditionen.«

»Es war nie einfach. Weil Neid und Missgunst uns zu zerstören drohten, verließen wir vor Generationen unsere Häuser und wohnen seither in Hütten. Doch die jungen Leute haben es satt, im Dreck zu leben. Die Welt der Weißen zieht sie magisch an. Und ich verstehe sie sogar. Ihre Stadt wächst ununterbrochen. Stetig legen Schiffe an und bringen weitere Menschen und neue Sachen hierher. Mein eigener Enkel begeht nächsten Monat seinen vierzehnten Geburtstag, aber selbst er wird mit den alten Traditionen brechen. Er verbringt mehr Zeit in der Welt der Weißen, als bei uns. Nur die Alten leben noch nach den überlieferten Traditionen und eine Gruppe junger Männer ebenfalls. Und die bereiten mir die größten Sorgen. Sie lassen sich die Provokationen der Weißen nicht gefallen. Sie meinen, dass Norowell unsere Insel ist und die Fremden hier nichts zu suchen haben. Kade ist einer von ihnen. Er tötete seine Schwester, weil sie sich mit einem Weißen traf.«

»Und wie wirst du dich entscheiden?«, fragte Ramelan.

»Einen Krieg gegen die Weißen zu führen ist aussichtslos, doch wenn wir unsere Traditionen aufgeben, verlieren wir ebenso. Daher versuche ich, die Gemüter zu beruhigen, und befolge die Gesetze.«

»Du hast etwas Grundlegendes erkannt«, nickte Ramelan. »Egal wie du dich entscheidest, du wirst unseren Untergang nicht aufhalten. Aber du bist in der Lage, großes Unglück zu verhindern, indem du jetzt einen richtigen Entschluss triffst. Lass die Gesetze Gesetze sein und befreie Kades Seele. Setzt ihn in geweihter Erde bei.«

»Nein, das werde ich nicht zulassen!« Eko hielt es nicht mehr auf dem Boden. »Wann hast du uns aufgegeben?«

»An dem Tag, als wir die Schiffbrüchigen retteten. Damals ahnte ich, dass es unser Ende herbeiführen würde.«

»Es ist schade, dass du so denkst.« Ekos Stimme zitterte vor Wut. Er hatte befürchtet, dass Ramelan mit seiner Entscheidung nicht einverstanden war und sie ihm ausreden wollte. Dass der alte Mann ihm aber überhaupt kein Verständnis entgegenbrachte, enttäuschte ihn maßlos. »Aber ich habe mich entschieden. Kades Leiche wird verbrannt. Du wirst andere Wege finden müssen, um die restliche Welt zu retten.« Dann kehrte er Ramelan, seinem Priester, den Rücken zu und verschwand im Dschungel.

 

 

 

Kapitel 2

Burcht

21. Oktober 1628

 

Die piksende Handvoll Tannennadeln, die sich der dreizehjährige Jonathan van Buyten am Vorabend heimlich ins Nachthemd gestreut hatte, brachte ihn beinahe um den Verstand. Bald würde der Hahn krähen, es wurde Zeit. Zögernd öffnete er die Augen. Neben ihm lag seine siebenjährige Schwester Imke. Ehe sie eingeschlafen war, hatte sie ihren Kopf auf seinen Arm gelegt und jegliches Gefühl war inzwischen daraus gewichen. Vorsichtig stand er auf, wobei er Imke behutsam auf die Seite drehte. Sie nuschelte unverständlich, schlief glücklicherweise aber weiter. Leise stieg er aus ihrem gemeinsamen Alkoven und schüttelte sich. Die Tannennadeln rieselten zu Boden. Er schob sie mit dem Fuß beiseite und kratzte sich zufrieden einen Floh aus den blonden, kurzen Haaren. Auf die Idee mit den Nadeln war er beim Feuerholzholen gekommen. Seine vorherigen Versuche, waren kläglich gescheitert. Den Glauben, er könne einfach so, die ganze Nacht wach im Bett liegen, um sich früh am Morgen wegzuschleichen, hatte er nach dem dritten Mal aufgegeben. An den darauf folgenden zwei Abenden trank er jede Menge Wasser. Er dachte, seine Blase würde ihn weit vor Sonnenaufgang wecken. Stattdessen führte es aber dazu, dass er permanent pissen musste und pausenlos zwischen Stallung und Schlafkammer hin und her wanderte, bis er letztlich doch völlig erschöpft eingeschlafen war.

Er griff in der Dunkelheit nach seiner sorgsam zurechtgelegten Kleidung und nahm den Beutel, den er heimlich gepackt und hinter einem Wandbehang versteckt hatte, an sich. Große Reichtümer besaß er nicht. Zwei Paar Socken, eines mit einem großen Loch an der Ferse, und eine Unterhose. Dazu ein abgewetztes Messer - ein Geschenk seines Vaters, drei Äpfel und die trockene Kante eines Schwarzbrotes, vier Möhren und einen Löffel.

Er hatte die Tür ihrer Kammer fast erreicht, als ein Husten von Imke ihn in der Bewegung erstarren ließ. Regungslos lauschte er. Sie wälzte sich unruhig zur Seite und er rechnete damit, gleich ihre vertraute Stimme zu hören. Doch dann wurde es still und ihr gleichmäßiges Atmen erfüllte den Raum. Sie würden sich jetzt für sehr lange Zeit nicht sehen und der Stein, der seit Tagen auf sein Herz drückte, wurde noch schwerer.

Die Tür führte in den Wohnbereich des kleinen Bauernhauses, in dem sich nach getaner Arbeit das Leben der Familie van Buyten abspielte. Die Ställe, im offenen hinteren Teil standen leer. Noch war es nicht so kalt, dass die Kühe für die Nacht hereingeholt wurden. Geräuschlos schloss Jonathan die Tür und schlüpfte aus dem Nachthemd. Er streifte sich seine Sachen über und stopfte das Nachtzeug zur restlichen Wäsche in den Beutel, dann zog er die Schuhe an.

Ehe er das Haus verließ, sah er sich ein letztes Mal im Wohnraum um. Die glühenden Holzreste in der Bodenmulde erhellten die Umgebung gerade genug, dass Jonathan alles erkannte. Neben der Tür stand eine Holztruhe und ihr gegenüber in der Ecke die Anrichte. Sie war Mutters größter Schatz. Und dann gab es da noch einen länglichen Tisch mit vier Stühlen. Am Kopfende hatte immer ihr Vater, Henri gesessen. Sein Tod war auf den Tag genau einen Monat her.

Schluchzend wischte Jonathan sich übers Gesicht. Die Erinnerung an die schlimmsten Tage seines Lebens brannte ihm in den Augen. Sein Vater hatte zwei Wochen im Bett gelegen, gehustet, gefiebert und am Ende keine Luft mehr bekommen. Jonathan spürte erneut die Angst jener Zeit in sich aufkommen. Die Nächte waren am fürchterlichsten gewesen. Er dachte an die Hilflosigkeit und an die Einsamkeit. Geld für einen Arzt besaßen sie nicht und Nachbarn oder Freunde hatten sich aus Angst vor einer Ansteckung, nicht blicken lassen. An die Zeit, die seit dem Tod seines Vaters vergangen war, hatte er hingegen kaum eine Erinnerung. Nur der Regen war ihm im Gedächtnis geblieben. Es regnete, als Henri gestorben war und es schüttete immer noch, als Jonathan Hand in Hand mit Imke und seiner Mutter einsam auf dem Armenfriedhof stand und die Totengräber seinen Vater in der feuchten Erde verscharrten.

In den letzten Tagen hatte Tante Magda auf Henris Stuhl gesessen. Sie war nach seinem Tod aus Alkmaar angereist, um ihrer Schwester Annemarie beizustehen, und vor einer Woche wieder zurückgefahren.

 

»Was machst du da?«, fragte eine verschlafene Stimme hinter Jonathan.

Imke lehnte an der Tür. Ihre langen braunen Locken standen in alle Himmelsrichtungen ab und ihre nackten, dreckigen Füße schauten unter ihrem Nachthemd hervor. Sie gähnte und tappte näher heran.

»Nichts.« Jonathan hatte befürchtet, dass sie aufwachen würde, denn das geschah immer, wenn er nachts das Bett verließ. Nur hatte er gehofft, dass er bis dahin bereits weit weg wäre. »Leg dich wieder schlafen«, zischte er leise. Was ihm jetzt noch fehlte, war, dass auch ihre Mutter wach wurde. Sie lag in der kleinen Kammer gegenüber dem Wohnraum und hatte Ohren wie ein Luchs.

Imke warf einen interessierten Blick auf seinen Beutel. »Willst du weggehen?«

»Pssst! Sei doch leise. Außerdem geht dich das nichts an.«

»Tut es wohl. Nimm mich mit.«

»Nein, das kann ich nicht.« Jonathan warf einen bangen Blick zu der Tür, hinter der seine Mutter schlief.

Imke entging dies nicht. »Ich schreie, wenn du mir nicht sofort sagst, was du vor hast.« Ihre verschlafenen Augen, blitzten heimtückisch auf.

»Nein, das tust du nicht, sonst versohle ich dir den Hintern«, versuchte Jonathan ihr zu drohen, doch es war sinnlos. Sie hatte ihn schon oft verpfiffen und sie würde keinen Augenblick zögern, ihre Mutter zu rufen, ganz gleich, womit er ihr drohte. Manchmal glaubte er, seine Schwester sähe ihren einzigen Lebenszweck darin, ihm das Leben zur Hölle zu machen. »Bitte sei leise«, flehte er und Imke grinste siegessicher.

»Also, nimmst du mich mit?«, fragte sie hoffnungsvoll.

»Nein, weil ich nicht wiederkomme.«

Imke senkte ihren Blick. »Aber wo willst du denn hin?«

Die Trauer in ihrer Stimme war für Jonathan kaum zu ertragen. Seine kleine Schwester wollte nach ihrem Vater nicht auch noch ihn verlieren.

»Ich gehe nach Enkhuizen. Ich muss Geld verdienen, sonst nimmt man uns den Hof weg.«

»Und wer kümmert sich um die Tiere?«

»Wir werden keine Tiere mehr haben, wenn ich kein Geld verdiene. Du hast Tante Magda gehört. Die Bank wird uns den Hof wegnehmen, wenn Mutter die Rechnungen nicht bezahlt.«

»Mama hat gesagt, es wird alles gut.« Imke stemmte trotzig ihre Hände in die Hüften.

»Natürlich hat sie das. Weil wir dabei waren. Aber du hast ihr Gesicht nicht gesehen. Sie weiß, dass Tante Magda die Wahrheit sagt.«

»Jonathan bitte.« Der Trotz war aus Imkes Augen verschwunden, dafür standen dort Tränen. »Was willst du denn machen?«

»Ich werde in Enkhuizen am Hafen auf einem Schiff anheuern. Matrosen bekommen gutes Geld und die Schätze die sie finden dürfen sie behalten.«

»Du bist doch kein Matrose?«

»Aber ich werde einer.« Jetzt war er es, der starrköpfig die Hände in die Seite stemmte. »Vater hat immer gesagt, man kann alles lernen, wenn man es will.«

»Ich will aber nicht, dass du weggehst. Bleib bei mir.«

»Imke, bitte. Ich muss. Wir brauchen das Geld, sonst schlafen wir bald draußen und betteln um Essen.«

»Aber Mama sagt, dass wir eine Kuh verkaufen und mit dem Geld alles bezahlen.«

»Ja vorerst. Aber was ist in sechs Monaten oder in einem Jahr? Die Kühe werden schnell verkauft sein. Und dann ziehen wir zu Tante Magda nach Alkmaar, wo wir niemanden kennen und wo wir keine Freunde haben.« Entschlossen hob Jonathan seinen Beutel auf und ging zur Tür. »Gib Mama einen Kuss von mir und sag ihr, sie soll sich nicht sorgen.«

»Warum gibst du ihr den Kuss nicht selbst? Morgen früh, wenn sie aufsteht.«

»Imke, leg dich bitte wieder hin, ehe Mutter aufwacht.«

»Oh Jonathan.« Imke lief auf ihn zu, schlang ihre kurzen Arme um seine Hüfte und drückte ihn fest an sich. »Versprich mir, dass du zurückkommst. Versprich es.«

»Ja, ich verspreche es. Ich komme zurück.«

Nachdem sie sich von ihm gelöst hatte, gab er ihr einen Kuss auf die Stirn, hing sich den Beutel über die Schulter und verließ das Haus.

 

Obwohl die Stadt nicht allzu weit von seinem Elternhaus entfernt lag, brach Jonathan zum ersten Mal nach Enkhuizen auf. Bisher hatte ihn nichts dorthin gezogen, denn in Burcht, dem Dorf, in dem er aufgewachsen war, gab es alles, was sie zum Leben benötigten. Einen Schmied, eine Mühle und eine Kirche. Mehr brauchte man nicht, um ein gottgefälliges Dasein zu führen, und für den Rest sorgten der eigene Hof und der Dorfmarkt.

Enkhuizen konnte, im Vergleich zu Burcht, kaum gegensätzlicher sein. Die Hafenstadt wuchs täglich und nahm inzwischen beängstigende Ausmaße an. Eine florierende Heringfischerei bescherte den Einwohnern Arbeit und Wohlstand. Die Hafenanlagen wurden ständig erweitert und die Vereinigte Ostindien Kompanie hatte hier vor einigen Jahren eine prächtige Niederlassung eröffnet. Seitdem zählte die Stadt an der Zuidersee zu den führenden Metropolen des Handels und der Seefahrt und viele Menschen sahen in ihr das Tor in eine bessere Welt. Aus allen Teilen der vereinigten Niederlande, aber auch aus entfernten Städten wie Berlin oder Salzburg reisten Abenteurer nach Enkhuizen. Sie heuerten auf den Handelsschiffen an, um ihre Träume von Reichtum zu erfüllen oder sie verpflichteten sich zum Dienst in einer der zahlreichen Kolonien, um ihr Fernweh zu befriedigen.

Mit den Glücksrittern zog aber auch übles Gesindel nach Enkhuizen. Mob und Abschaum breiteten sich in den Straßen aus und machten das Stadtleben zu einer gefährlichen Angelegenheit.

Dieses Pack war ein zusätzlicher Grund, warum Jonathan bisher nie in der Stadt gewesen war, denn sein Vater fürchtete es mehr als den Teufel persönlich und hatte dieses gesunde Misstrauen an Jonathan weitergegeben.

 

Draußen sog er den Duft der feuchten Erde ein und stapfte über den Hof. Angst davor, sich allein auf den Weg zu begeben hatte er nicht. Die Sonne würde bald aufgehen, was sollte ihm also geschehen? Gefährliche Werwölfe streiften nur des Nachts und bei Vollmond umher und die heimtückischen Harlunde hielten sich hauptsächlich in der Nähe von kleineren Gewässern und Sümpfen auf, denen er aus dem Weg gehen konnte. Die einzigen vor denen er sich wirklich in Acht nehmen musste, waren Räuber und Diebe. Doch die, so hoffte er, machten sich nicht die Mühe, einen armen Jungen auszurauben.

Er passierte das Hoftor, schritt mutig querfeldein, über einsame, abgeerntete Felder und traf schließlich auf die Hauptstraße, die Amsterdam mit Enkhuizen verband. Hier begegnete er einem Bauern, der drei Kühe an einem Strick hinter sich her zog. Er beäugte ihn kritisch, sagte aber nichts und so entschied Jonathan sich, ihm zu folgen, wobei er sich dicht an der letzte Kuh hielt. Fremde, so überlege er, würden annehmen sie gehörten zusammen und ihn in Ruhe lassen.

So schlenderte Jonathan dahin, immer die Ärsche der Kühe vor Augen, bis er in weiter Ferne eine Turmuhr die siebte Stunde anschlagen hörte.

Seine Mutter wusste längst, dass er fortgegangen war. Ob sie nach ihm suchte? War sie ans Hoftor gelaufen, in der Hoffnung ihn einzuholen, oder bat sie Nachbarn, ihm zu folgen? Warum hatte er Imke von seinen Plänen erzählt? Er sah zurück aber der Weg war leer. Zumindest wusste Mutter jetzt, was er vorhatte. Wie ihm schmerzlich dämmerte, hatte er ihr keine Nachricht hinterlassen. Kopfschüttelnd verdrängte er die Gewissensbisse und mit jedem Schritt, wuchs seine Neugier auf das, was ihn erwartete.

Der Morgen näherte sich bereits dem Vormittag, als in weiter Ferne endlich die Stadtmauer in Sicht kam. Das mächtige Backsteinbollwerk, das die Stadt sternförmig umgab und jedes feindliche Eindringen zu verhindern wusste, erhob sich wie ein Felsen in der flachen Landschaft. Dahinter zeichneten sich vereinzelte Dächer ab und ein rundlicher Doppelturm ragte weithin sichtbar drohend in den Himmel.

Der Drommedaris. Der Wehrturm, von dem sein Vater ihm so oft erzählt hatte, war ein Teil der Stadtmauer und zum Schutz des Hafens errichtet worden. Jonathan hüpfte vor Freude. Beschwingt vom Anblick des Turms beschleunigte er seine Schritte, vorbei an den drei Kühen und ihrem Besitzer.

Je näher er dem Stadttor kam, desto voller wurde die Straße. Zahllose Männer, Frauen und Kinder kreuzten seien Weg und Fuhrwerke spritzten den vom Regen aufgeweichten Boden in alle Richtungen.

Vorsorglich nahm Jonathan den Beutel von der Schulter und drückte ihn an seine Brust. Wer vermochte schon zu sagen, was für ein Gesocks ihm hier begegnete. Beunruhigt sah er zwischen den rechtschaffenen Leuten immer häufiger finsteres Gesindel herumlungern. Hausierer tätigen ihre liederlichen Geschäfte und Gauner versuchten die ehrlichen Menschen, mit kleinen Spielchen und Versprechen auf hohe Gewinne, übers Ohr zu hauen. Bettler schlichen schnorrend umher oder saßen im Dreck der Vorbeiziehenden am Straßenrand. Einer dieser Halunken fiel Jonathan ganz besonders auf. Er hockte breitbeinig auf einem Baumstamm im langen Gras anstatt für sein täglich Brot zu arbeiten. Im Gegensatz zur restlichen Bande hatte er sich nicht stillschweigend in sein Schicksal ergeben, sondern sang lautstark ein unsittliches Lied nach dem anderen. So wie die meisten Reisenden, versuchte auch Jonathan, den Mann zu ignorieren. Aus den Augenwinkeln heraus, beobachtete er ihn jedoch genau. Von allen Menschen, die er jemals gesehen hatte, war dieser der Abscheulichste. Sein nackter Oberkörper war schorfig und das pockennarbige Gesicht ähnelte der Warzenhaut einer Kröte. Große kahle Stellen klafften auf dem Kopf und das ausgerissene Nasenloch, machte es auch nicht besser.

»… ihr holden Maiden kommt herbei und seid nicht scheu. Oh kommt herbei und seid nicht scheu.«

Soeben hatte er ein Lied beendet, welches von seiner mächtigen Flöte handelte, auf der alle jungen Mädchen spielen sollten, nun ruhten seine Augen, zu Jonathans Beunruhigung, auf ihm.

»Edler Herr«, rief er mit lauter, hoffnungsvoller Stimme. »Edler Herr, habt ihr einen Gulden für einen Kriegsversehrten?«

Jonathan zwang sich, den Taugenichts nicht zu beachten. Stur richtete er das Gesicht nach vorne, schielte dann aber doch für einen winzigen Moment in dessen Richtung.

»Edler Herr. Edler Herr. Ihr seht kräftig aus. Würde ihr mich in die Stadt tragen? Keine Angst, ich wiege nicht viel. Es ist ja kaum etwas an mir dran.« Wie ein Kleinkind, das auf den Arm genommen werden wollte, reckte er Jonathan erst die Hände entgegen und klopfte sich dann auf die Oberschenkel.

Im langen Gras war es Jonathan nicht aufgefallen, doch die Beine des Mannes waren unterhalb der Knie amputiert. Angewidert schüttelte er den Kopf und hastete an dem Krüppel vorbei.

»Du undankbarer Wicht! Soll dir das Wichtigste, das du hast, abfaulen, hörst du!?«

Jonathans Eingeweide verknoteten sich.

»Dreckiger Hurensohn!«, erschall es hinter ihm.

Er verabscheute Schnorrer ebenso wie Hausierer und die ganze andere Brut, die sich auf Kosten der rechtschaffenen Leute durchs Leben stahlen. Oft genug war solches Gesindel bei seinen Eltern auf dem Hof aufgetaucht und fragte nach Geld oder Essen. Aber sobald sie es sich verdienen sollten, verschwanden sie genauso schnell wieder, wie sie gekommen waren und wenn man nicht aufpasste, schlichen sie im Schutz der Dunkelheit zurück und klauten, was sie gebrauchen konnten. Nein, so wie der Krüppel und all die anderen Bettler die hier im Dreck vegetierten, wollte er nicht enden. Entschlossen reihte er sich in den Tross aus Bauern und Handwerkern ein, die es in die Stadt zog, um auf rechtschaffene Weise Geld zu verdienen.

Vor dem Stadttor, mit seiner engen Zugbrücke, die über den Wehrgraben führte, geriet der Pulk jedoch erst einmal ins Stocken. Soldaten mit Lanzen und Schwertern bewaffnet, warfen den Einreisenden böse Blicke zu und inspizierten jeden Karren, der in die Stadt rollte. Der dauerhafte Konflikt mit den Spaniern war allgegenwärtig zu spüren. Soeben beendeten sie die Begutachtung eines mit Äpfeln beladenen Wagens, schon stellte sich einer von ihnen Jonathan in den Weg.

»Wohin willst du?«, schmatzte er und biss ein so großes Stück von einem Apfel ab, dass Jonathan sich fragte warum er ihn sich nicht gleich ganz in den Mund steckte.

»In die Stadt, mein Herr. Zu meinem Onkel. Er ist Schmied.« Jonathan hatte geahnt, dass ein einzelner, umherschleichender Junge, Misstrauen erwecken würde und er hatte sich daher diese kleine Lüge überlegt, damit es keine Probleme gab.

»Tatsächlich? Wie heißt er denn, dein Onkel, der Schmied?«

»Jonathan«, sagte Jonathan und hätte sich für seine Dummheit am liebsten selbst in den Hintern getreten.

»Onkel Jonathan, der Schmied?« Der Soldat schob sich den letzten Rest des Apfels, samt Kerngehäuse, in den Mund. »Kenne ich nicht. Aber wenn es stimmt, was du sagst, dann hast du ja ganz bestimmt nichts dagegen, wenn wir dich einsperren, bis er dich abholt, oder?«

»Lass den Wicht und hilf uns lieber bei den Birnen.« Die anderen Wachen waren über einen, mit Kisten beladen Wagen, hergefallen.

»Hast Glück, dass ich wichtigere Aufgaben habe«, grinste die Wache und schritt zügig auf die Birnen zu.

 

Kapitel 3

Das war knapp. Erleichtert atmete Jonathan durch und er fragte sich, ob es das Risiko eingesperrt zu werden überhaupt wert war, um in die Stadt zu gelangen. Er schielte zu den Soldaten hinüber, die wie ein Heuschreckenschwarm über die Birnen herfielen. Keiner von ihnen interessierte sich mehr für ihn und er hastete durchs Stadttor, ehe sie es sich anders überlegten.

Hinter der Mauer gelangte Jonathan an den Rand eines kleinen Platzes, der nicht halb so groß war, wie der Marktplatz in Burcht. Doch gegen den Rummel der hier herrschte, war es vor dem Tor geradezu beschaulich zugegangen und Jonathan wusste sogleich, dass es das Risiko eingesperrt zu werden, in jedem Fall wert war.

Unzählige Menschen liefen kreuz und quer durcheinander, Hühner flatterten aufgeregt umher und zwei keifende Frauen zogen die Aufmerksamkeit vorübergehender Männer auf sich. Kleine Marktstände flankierten den Platz und auf einem Podest stand ein wunderlicher Kerl. Er trug Ringe durch Nase und Ohren und die Hälfte seines Kopfes hatte er sich kahlrasiert. Die Haare auf der anderen Hälfte waren dafür umso länger und zu Dutzenden, dünner Zöpfe geflochten. Er versuchte, den vorübergehenden Leuten kleine Beutel mit verschiedenen Tees anzudrehen. »Liebestränke aus dem Orient. Warzenmittel aus dem Schwarzwald. Kräutermischungen, gegen schlappe Schwänze, aus einem Land, in dem es im Winter nie hell wird und Tinkturen, die den schwarzen Tod in die Flucht trieben. Soeben aus den Kolonien Afrikas eingetroffen. Alles, selbstverständlich, nur eine Frage des Geldes«, rief er und warf den Neugierigen ein gewinnbringendes Lächeln zu.

Und unter all das mischte sich leise aber schrille Musik.

Jonathan schlenderte über den Platz und sah sich gespannt um, bis sich ihm ein schlanker, junger Mann in den Weg stellte und breit angrinste.

»Hallo der Herr, ich heiße Peter. Wie geht es dir?«

Erschrocken wich Jonathan einen Schritt zurück und drückte seinen Beutel fest an sich.

Peter lachte. »Oh, entschuldige bitte. Ich wollte dir keine Angst einjagen. Ich habe dich nur gerade zum Stadttor hereinkommen sehen und dachte mir, dass du vielleicht auf der Suche nach Arbeit bist. Die Kompanie stellt kräftige und mutige Burschen ein, die bereit sind, ihre Taschen in fernen Ländern mit Gold und Edelsteinen vollzustopfen. Und meine Aufgabe ist es, diese unerschrockenen Glücksjäger zu finden. Aber ich glaube, für einen Bauernjungen wie dich ist das nichts. Ich versuch es lieber bei jemand anderen.«

Peter schlurfte weg, doch Jonathan eilte ihm nach. »Bist du ein Seemann? Ich muss nämlich unbedingt einer werden.«

»Unbedingt?! Dann bist du bei mir an der richtigen Adresse. Ich selber bin zwar kein Seemann, aber ich bringe dich deinem Ziel ein Stück näher«, strahlte Peter glücklich. »Allerdings…« Er zögerte verlegen. »…muss auch ich von irgendetwas leben. Versteh mich nicht falsch, nur ein paar Gulden. Aber die sind hervorragend angelegt, glaub mir. Meine Dienste sind Gold wert. Frag, wen du willst. Und wenn es mit der Musterung trotzdem nicht klappt, bekommst du dein Geld selbstverständlich sofort zurück.«

Für einen winzigen, glücklichen Moment dachte Jonathan, er habe es geschafft. Jetzt ließ er seinen Kopf beschämt und enttäuscht hängen.

»Oh. Du hast kein Geld, stimmt es?«

Jonathan verzog die Mundwinkel und Peter stöhnte. »Wenn das so ist?« Er zögerte. »Wie heißt du eigentlich?«

»Jonathan van Buyten«, nuschelte Jonathan niedergeschlagen.

»In Ordnung, Jonathan van Buyten. Wie wäre es, wenn wir einen Vertrag aushandeln.« Peter kramte ein Blatt Papier und einen Federkiel, sowie ein Tintenfläschchen hervor. »Sagen wir mal, ich helfe dir, Jonathan van Buyten auf einem Schiff anzuheuern, und bekomme dafür 150 Gulden, sobald du wieder zurückkommst. Wie hört sich das an?«

»150 Gulden?« Allein die Vorstellung, so viel Geld zu besitzen, war lächerlich.

»Keine Angst, Jonathan. Von deiner Heuer und dem Gold, welches du in der Ferne findest, zahlst du es spielend zurück. Alle machen das so.« Peter öffnete das Tintenfass, tauchte seinen Federkiel hinein und schrieb. »So, fertig«, grinste er Jonathan Sekunden später auffordernd an. »Kannst du deinen Namen schreiben?«

Jonathan nickte und nahm Papier und Federkiel entgegen.

»Ganz unten, bitte. Dann ist alles geritzt und ich begleite dich zum Ostindienhaus, der Verwaltung der Kompanie hier in Enkhuizen. Dort schreibst du dich in die Musterrolle ein und wir sehen uns bei deiner Rückkehr wieder.«

Jonathan setzte die Feder an, doch jemand schlug ihm das Papier aus der Hand.

»Verschwinde hier du Seelenverkäufer, oder ich prügle die Scheiße aus dir heraus!« Der Bauer mit den Kühen, dem Jonathan den ganzen Weg bis vor die Tore der Stadt gefolgt war, stand neben ihm. Er fuchtelte mit einer Weidenrute vor Peters Nase herum und musterte ihn erzürnt.

»He, was soll das? Ich will das unterschreiben.«

»Sei still, du Wicht!«, wies der Bauer ihn zurecht. »Und du verschwindest von hier, sonst setzt es was.«

»Kümmere dich um deine Angelegenheiten«, zischte Peter. »Mach schon Junge, unterschreibe endlich.« Er hatte das Blatt aufgehoben und hielt es Jonathan unter die Nase, doch der Bauer griff Jonathans Arm und zog ihn weg.

»Als du mir nachgelaufen bist und so getan hast, als ob wir zusammengehörten, da dachte ich, du seist ein intelligenter Bursche. Aber jetzt stellt sich heraus, dass du genauso blöd bist, wie all die anderen Narren, die der Kompanie hinterherlaufen wie hilflose Welpen. Ehe du unterschreibst, geh zum Ostindienhaus und sieh dir an was dort geschieht. Nur zu, folge einfach der Musik. Oder besser noch, du fragst den da«, und er wies auf Peter, »warum er nicht selber anheuert, wenn das alles so saugeil ist und man Abenteuer erlebt und mit den Taschen voll Gold zurückkehrt.«

»Was ist jetzt, Jonathan?«, drängte Peter. »Ich habe nicht ewig Zeit. Unterschreibst du endlich oder was?«

Jonathan zögerte einen Augenblick und Peter verschwand, ohne ein weiteres Wort zu sagen, in der Menge.

»Seelenverkäufer«, fluchte der Mann und spuckte verächtlich auf den Boden. »Was war sein Preis? 100 Gulden?«

»150.« Jonathan knirschte mit den Zähnen und sah Peter sehnsüchtig nach. Warum hatte er gezögert? Eine solche Gelegenheit bot sich ihm vermutlich nie wieder.

»Geh zur Verwaltung der Kompanie.« Der Bauer wies auf eine belebte Straße, die sich zwischen hohen Häusern verlor. »Sieh, was dir erspart geblieben ist und danke mir, wenn wir uns das nächste Mal begegnen.« Dann führte er seine Kühe über den Platz.

Jonathan sah ihm nach und schnaubte. Was mischte sich der alte Sack in seine Angelegenheiten ein? Doch alles Zetern nützte nichts. Peter war fort und er musste zur Verwaltung der Kompanie gelangen. Mit Glück würde er ihn dort erneut treffen und den Vertrag doch noch unterschreiben dürfen.

Jonathan überquerte eine Klappbrücke am Rande des Platzes. Die Musik kam aus dieser Richtung und ermutigt folgte er der Straße. Schlanke, mehrgeschossige Backsteinvillen mit verzierten Giebeln, Rundbögen und Nischen reihten sich aneinander. Jonathan sah solche Häuser zum ersten Mal und er ahnte, wie reich ihre Besitzer waren. Immer wieder blieb er stehen und bestaunte die Bauwerke und das hektische Treiben ringsum. Frauen eilten hin und her, Kinder rannten an ihm vorbei, Handwerker und Arbeiter schufteten und Kaufleute stolzierten umher. Jonathan war überwältigt. Alles war so anders als in Burcht. Größer, aufregender und schöner. Und zum ersten Mal seit langer Zeit verspürte er einen Funken Hoffnung. Die Entscheidung, hierher zu kommen war richtig gewesen und sobald er Peter gefunden hatte, würde sich das entstandene Durcheinander klären.

Zufrieden beschleunigte er seinen Schritt der Musik entgegen, bis ihm etwas vor die Füße spritzte und er erschrocken zurücksprang. Aus einem der oberen Fenster hatte eine Frau ihm den stinkenden, braunen Inhalt ihres Eimers achtlos vor die Füße gekippt. Angeekelt setzte Jonathan seinen Weg in der Mitte der Straße fort. Dort war er zwar gezwungen, durch Pferdemist zu stapfen, ihm fiel aber zumindest nichts auf den Kopf.

Rasch war der Zwischenfall vergessen. Das bunte Treiben zog ihn erneut in ihren Bann und verträumt ließ er sich im Strom der Leute treiben, bis ihn die nächste Beinahekatastrophe jäh in die Wirklichkeit zurückriss.

Abgelenkt von unzähligen, farbenprächtigen und laut kreischenden Vögeln, die in winzige Käfige gezwängt waren, hatte er blindlings die Straßenseite gewechselt und war vor ein Ochsengespann gelaufen.

»Mensch Junge, hast du keine Augen im Kopf?«, schrie ihn der Mann an, der neben den Rindern herging und sie im letzten Moment zum Stehen gebracht hatte.

»Doch mein Herr.« Zu Tode erschrocken sprang Jonathan aus dem Weg, direkt vor ein weiteres Fuhrwerk, das aus der entgegengesetzten Richtung kam und ebenfalls nur mit Müh und Not rechtzeitig stoppte. Unter wüsten Beschimpfungen stolperte Jonathan zur Seite und alle möglichen Leute deuteten kopfschüttelnd auf ihn. Beschämt schaute er dem zweiten Gespann nach und atmete tief durch.

Die Musik wurde allmählich lauter. Schrilles Flötenspiel und prasselnde Trommelwirbel tönten durch die Straßen. Allerdings war Jonathan nicht der Einzige, der ihr folgte. Die halbe Stadt schien auf den Beinen. Wollten die alle zur Musterung? Ihm schwante Böses. Wie vielen Leuten hatte Peter einen Vertrag angeboten? Was würde geschehen, wenn jeder Einzelne vor ihm an der Reihe war? Gab es dann überhaupt noch Platz für ihn? Jonathan wurde kribbelig zumute. Hier auf der Hauptstraße kam er nicht schnell genug voran. Die unzähligen Karren und Gespanne hielten ihn auf. Hektisch nach einem anderen Weg suchend drängelte er weiter, bis sich ihm eine Möglichkeit bot, die überlaufene Straße zu verlassen. An einer Ecke, die im Schatten zweier hoher Häuser verborgen lag, bog er in eine schmale, düstere Gasse. Die Fassaden waren dreckig und ein zotteliger Hund lag vor einem Hauseingang. Der Weg verlief zwar in die falsche Richtung, aber er war alleine und irgendwann würde er schon auf einen anderen Weg stoßen, der ihn seinem Ziel näher brachte.

An einem Torbogen, der in einen Hinterhof führte, standen drei Frauen, die sich unterhielten. Sie bemerkten Jonathan und eine von ihnen kam auf ihn zu gewatschelt. »He Süßer, darf ich dir was Gutes tun?« Demonstrativ beugte sie sich so weit zu Jonathan hinunter, dass er sich unweigerlich fragte, wie ihre gewaltigen Brüste es schafften nicht aus dem Dekolleté zu springen.

»Nein«, sagte er stockend und versuchte der Hure auszuweichen, um gleich darauf vor der zweiten zu stehen.

»Und was ist mit mir?«, fragte sie. »Überlege es dir. Einem so hübschen Knaben besorge ich es zum halben Preis.«

»Nein, vielen Dank.« Jonathan trat beiseite, doch sie versperrte ihm den Weg.

»Willst du dir das hier entgehen lassen?« Sie zwinkerte ihm zu und hob ihren Rock bis über die Oberschenkel. »Die heißesten Beine in Enkhuizen. Und wenn dir eine von uns nicht reicht, nimmst du uns eben alle gleichzeitig.«

Aus einem Häuserschatten tauchte ein kräftiger, finster dreinblickender Mann auf. Er funkelte Jonathan grimmig an.

»Nein. Nein, vielen Dank. Aber nein«, stammelte Jonathan und mit einem flüchtigen Blick auf den Mann, huschte er an den Frauen vorbei und eilte von dannen.

»Wenn es dich juckt, wir sind immer für dich da, mein Süßer«, rief ihm eine der drei nach und lachte.

Jonathan war es egal. Zwischen den hohen Häusern nahm die Musik ab und er zermarterte sich den Kopf darüber, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. An einer Hausecke wechselte er erneut die Richtung und nun hörte er die Melodie klar und deutlich. Der Trampelpfad schlängelte sich im Zickzack zwischen den Häuserreihen hindurch und bald dröhnten ihm die Flöten und Trommeln in den Ohren. Der Weg mündete in einer breit ausgebauten Straße. Überrascht blieb Jonathan stehen. Ihm gegenüber stand ein eckiges, zweistöckiges Backsteingebäude, dessen Innenhof durch einen hohen, eisernen Zaun gesichert wurde. Davor wachten Soldaten, die Musik kam von einer Kapelle, die in der Mitte des Hofes spielte.

Er hatte das Ostindienhaus gefunden. Erleichtert wagte er sich aus der Gasse. Die Straße war von prächtigen Steinhäusern flankiert, jedoch menschenleer. In den geöffneten Fenstern der oberen Stockwerke standen dafür unzählige Leute. Sie schwatzen fröhlich miteinander und einige hatten, für diese frühe Stunde, bereits eindeutig etwas zu tief ins Glas geschaut. Wie es schien, warteten sie auf irgendein Ereignis.

»He Junge, bist du verrückt? Die trampeln dich tot. Komm her, hier ist es sicher.«

In einem Haus, gegenüber der Verwaltung, stand eine Tür offen und eine stämmige Frau winkte besorgt. Sie trug die Schürze und das Kopftuch einer Hausangestellten und schien ernsthaft Angst um ihn zu haben.

Jonathan stutzte. Sie sprach eindeutig mit ihm. Doch wer würde ihn tottrampeln? Hier war kein Mensch.

»Mach schon Bursche. Gleich sind sie da. Hörst du das nicht?«

Die Frau spähte die Straße hinauf und hinab und Jonathans Nackenhaare sträubten sich. Unter die Klänge der Musiker mischte sich ein unheilverkündendes Brausen, welches von beiden Enden der Gasse herrührte und sich schnell näherte. Ohne zu zögern hielt er auf die Tür zu und huschte hinein.

»Durch den Flur und dann gleich nach oben.« Die Frau lotste Jonathan einen kurzen Korridor entlang und eine Treppe hinauf.

Im Obergeschoss angekommen, schob sie ihn in ein kleines Schlafzimmer. An einem offenen Fenster, welches zur Straße hinaus lag, lehnte ein alter Mann. Er trug ein weißes Seidenhemd und knielange Hosen. Seine Füße waren nackt doch sauber und sein langes, einst blondes, inzwischen aber größtenteils graues Haar, war zu einem strammen Zopf gebunden.

»Hier ist es sicherer als dort unten«, lachte er. »Franz Liebermann, mein Name.« Er reichte Jonathan eine Hand.

»Jonathan van Buyten.«

»Mein Herr, ich bereite das Essen vor.« Die Hausangestellte schickte sich, das Zimmer zu verlassen, doch Herr Liebermann schüttelte den Kopf.

»Sophia, wir essen jeden Tag. Musterung ist nur zweimal im Jahr. Bleiben sie hier und genießen sie das Spektakel.«

Die Frau stellte sich mit widerwilliger Miene ans Fenster und warf einen Blick hinaus. Die Straße war immer noch leer, doch das Brummen nahm stetig zu. Die Soldaten zogen sich in den Innenhof zurück und postierten sich über die Länge des ganzen Zaunes. Sie hielten mannshohe, dicke Rundhölzer in den Händen und blickten entschlossen zur Straße. Das Tor war verriegelt.

»Da! Sie kommen. Sie kommen.« Aus einem der gegenüberliegenden Häuser lehnte ein Mann weit aus dem Fenster und deutete in die Ferne.

»Los, Jonathan, sieh nach unten.«

Herr Liebermann zog Jonathan dichter ans Fenster und Jonathan beugte sich weit über die Brüstung. Vor dem Haus spielte sich sogleich das Kurioseste ab, was er jemals gesehen hatte.

Ein junger Mann in abgewetzter Kleidung, rannte barfuß die Straße entlang. Er kam schlitternd zum Stehen und rüttelte wie verrückt am Tor. »Macht auf, los!«, kreischte er, doch die Soldaten rührten sich nicht. »Ich bin der Erste. Öffnet das verfluchte Tor.«

Im nächsten Augenblick hastete ein zweiter Mann heran und gleich darauf erreichte eine Gruppe aus der entgegengesetzten Richtung das Ostindienhaus. Sie alle rüttelten am Tor und verlangten so energisch hineingelassen zu werden, als hinge ihr Leben davon ab. Immer mehr Kerle strömten herbei und im Nu drängten sich hunderte vor dem Tor. Sie stießen und schlugen aufeinander ein und jeder versuchte, so dicht wie möglich, an den Zaun zu gelangen. Viele von ihnen waren betrunken. An einem der Häuser brach eine Scheibe und die ersten Männer bluteten. Doch davon ließ sich niemand beirren. Prügel und Tritte wurden weiter gnadenlos ausgeteilt. In den Fenstern ringsum war ebenfalls der Teufel los. Die Schaulustigen grölten und lachten und stachelten die aufgebrachte Menge zusätzlich an.

»Was sind das für Leute? Was soll das?«, fragte Jonathan entsetzt über den Lärm der Musik, den Schreien der kämpfenden Männer und dem johlenden Volk hinweg.

»Heute ist Musterung«, rief Herr Liebermann und seine alten Augen leuchteten, wie die eines Kindes. »In den nächsten Tagen laufen die Schiffe der Kompanie aus. Und die armen Wichte da unten, wünschen sich nichts sehnlicher, als im letzten Augenblick noch einen Platz zu ergattern. Na, mir ist es recht. An denen werde ich mich dumm und dämlich verdienen.«

»Sind sie ein Kaufmann?«

»Was ich? Nein. Ich bin Werber. Und die Witzbolde da unten stehen bei mir, oder einem anderen Werber, unter Vertrag. Ich habe Angestellte in Amsterdam, Rotterdam, Delft und natürlich auch hier in Enkhuizen. Sie werben für mich, das heißt, für die Kompanie, Dummköpfe an, die in die Städte kommen, um Seemann zu werden. Doch ohne einen Vertrag mit einem Werber ist es unmöglich, auf einem Schiff anzumustern. He! Da ist einer meiner Angestellten. Herr Duebbelde! Sehen sie zu, dass unsere Jungs ganz vorne stehen, ja. Spornen sie sie anständig an.«

Herr Liebermann sprach mit einem Mann, der mitten im Getümmel stand und mit einem geknoteten Tauende auf die armen Gestalten eindrosch. Herr Duebbelde schaute auf und Jonathan erkannte in ihm Peter.

»Wenn sie ihren Vertrag bei mir unterschrieben haben, erhalten sie von mir eine Unterkunft Verpflegung und eine Seemannskiste. Dafür zahlen sie mir einen Teil ihrer Heuer. Das ist im Grunde alles.«

»Und wenn die angemustert haben, besteigen die dann direkt die Schiffe?«

»Oh nein! Bis zum Auslaufen nehme ich die Männer, die sich in der Musterrolle eintrugen, in meine Obhut. Nicht, dass ihnen noch etwas zustößt, bevor sich ihre sehnlichsten Träume erfüllen.«

Jonathan lehnte sich erneut aus dem Fenster. Die ersten versuchten, den Zaun hinaufzuklettern, aber die Soldaten stießen sie, mit den langen Holzstäben, wieder hinunter. Von denen, auf die Peter eindrosch, machte keiner den Eindruck, ordentlich verpflegt worden zu sein. Die meisten waren in jämmerlichem Zustand. Sie sahen aus, als hätte man ihnen seit Wochen nichts anständiges zu Essen gegeben und sie stattdessen in Kerkern gefangen gehalten. Jonathan graute es bei dem Gedanken, dass er selber beinahe ebenfalls dort unten gelandet wäre und anschließend womöglich noch in der Obhut von Herrn Liebermann.

Abrupt verstummte die Musik und für einen kurzen Moment schienen alle innezuhalten.

»Jetzt wird es spannend.« Begeistert beugte sich Herr Liebermann, an Jonathan vorbei, aus dem Fenster. »Junge sieh dir an, was geschieht. Die Musterung findet im Gebäude statt. Jetzt heißt es Daumen drücken, damit meine Leute dabei sind.«

Die Musikanten packten fluchtartig ihren Krempel zusammen und verschwanden, gemeinsam mit den meisten Soldaten, durch eine kleine Seitentür, ins Ostindienhaus. Lediglich zwei Wachen blieben draußen. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, entriegelten sie das Tor, zogen die Flügel auf und suchten dahinter Schutz. Sogleich quetschten sich die Männer in den Innenhof und rannten auf den breiten Eingang des Hauses zu. Ganz vorne stürzte einer, doch niemand nahm Rücksicht auf ihn. Jonathan verlor ihn sofort aus den Augen. Er hatte genug gesehen. »Verzeihung, Herr Liebermann. Gibt es hier womöglich einen Hinterausgang?«

»Jetzt? Der Spaß beginnt doch erst«, lachte der alte Mann.

»Ich gehe nur ungern, aber meine Mutter macht sich gewiss schon Sorgen und …«

Herr Liebermann winkte ab. »Sophia, führen sie den jungen Herrn bitte zur Hintertür hinaus«, sagte er und richtete seine Aufmerksamkeit wieder dem blutigen Geschehen auf der Straße zu.

 

Kapitel 4

Wenige Augenblicke später fand Jonathan sich auf jenem gewundenen Weg wieder, der ihn zum Ostindienhaus geführt hatte. Mit kreisenden Gedanken schlurfte er zurück.

Die Männer hätten ihn gnadenlos totgetrampelt. Doch ohne einen Vertrag mit einem Werber war es unmöglich, anzumustern. Aber stimmte das, oder hatte Herr Liebermann sich nur aufgespielt? Immerhin verdiente er sein Geld damit, Dummköpfen einen Vertrag aufzudrängen. Mit Sicherheit gab es andere Möglichkeiten, um auf einem Schiff anzuheuern. Das Beste war es direkt am Hafen zu versuchen.

Über den Trampelpfad gelangte Jonathan zurück in die Hurengasse. Um den drei Frauen und ihrem Zuhälter nicht erneut zu begegnen, lief er in die andere Richtung, bis zu ihrem Ende. Dort bog er in eine verlassene Seitenstraße ein. Ein fürchterlicher Gestank schlug ihm entgegen. Die Häuser waren heruntergekommen und nach ein paar Schritten stand er knöcheltief in einem Gemisch aus schimmeligen Abfällen und Fäkalien, die nicht allein von den Tieren stammten, die sich hier herumtrieben.

Der einzige Mensch, den er sah, war ein altes Weib. Die Frau lehnte an einer Hauswand und beobachtete ihn aufmerksam, seitdem er die Gasse betreten hatte. Beim Vorübergehen schaute Jonathan beharrlich auf den Boden. Er wollte ihr auf gar keinen Fall einen Grund geben, ihn anzusprechen. Er war sich bereits sicher, unbehelligt an ihr vorbeigekommen zu sein, als hinter ihm Schritte platschten. Nicht schon wieder. Jonathan beschleunigte seien Gang, aber auch seine Verfolgerin wurde schneller und sie kam näher.

»He, Junge, warte doch mal.«

Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Er fuhr herum und vor ihm stand die Frau. Sie trug ein dunkles Kopftuch, unter dem eine Strähne langes, graues Haar hervor hing, das ebenso dreckig war, wie ihr Gesicht. Ihre Kleider, bestehend aus einem verschlissenen Oberteil mit abgerissenem Spitzenbesatz am Kragen und einem geflickten Rock, der ihr bis an die Knöchel reichte, waren starr von getrockneter Kacke.

»Läufst du vor mir weg?«, fragte sie außer Atem und in einem Ton, der wohl Vertrauen erwecken sollte, auf Jonathan aber eher furchteinflößend wirkte. »Du brauchst doch keine Angst vor der alten Emmy zu haben.« Sie grinste schief und entblößte eine lückenhafte Ansammlung schwarzer Stummelzähne. »Hast du unter Umständen ein bisschen Geld für die alte Emmy?«

»Nein, tut mir leid.« Jonathans Stimme war schrill und klang nicht annähernd so entschlossen wie beabsichtigt.

»Ach, das glaube ich nicht. Was ist denn in deinem Beutel?« Neugierig griff sie nach seinen Habseligkeiten.

»Nichts.« Energisch versuchte Jonathan sich loszureißen.

»Sei mal nicht so unverschämt, kleiner.« Die Freundlichkeit war aus Emmys Stimme verschwunden. Sie krallte sich mit ihren langen, dreckigen Fingernägeln in seine Schulter und ergriff blitzschnell den Beutel.

»Gib mir meine Sachen zurück!« Jonathan versuchte, sich die Tasche zurückzuholen, doch Emmy hielt ihn am ausgestreckten Arm auf Abstand. Geistesgegenwärtig trat er der alten Frau auf die Zehen. Sie heulte auf, ließ seine Schulter los und schlug ihm so kräftig ins Gesicht, dass er hinten über in den Dreck fiel. Emmy rannte davon, den Beutel fest an sich gedrückt.

Wutentbrannt sprang Jonathan auf. »Bleib stehen du Hexe!« Er hastete hinter ihr her, rutschte jedoch aus und landete erneut im Matsch. Ihr Vorsprung wurde größer und sie huschte in eine Seitengasse. Jonathan rappelte sich auf, doch als er an der Straßenecke ankam, war Emmy verschwunden. Langsam folgte er dem Weg und spähte, kochend vor Wut, in jeden Hauseingang. Zwei finstere Gestalten, die am Wegrand hockten, belauerten ihn scheel. Jonathan war sich nicht sicher, aber einer von ihnen verbarg womöglich etwas unter dem Hemd. Waren es seine Sachen oder ein Knüppel? Vorsichtig watete er an den Gammlern vorbei, stets bereit schnell wegzulaufen, wenn dies nötig wurde.

Trotz der völlig dreckigen Kleidung fiel Jonathan zwischen den wenigen Leuten, die ihm begegneten, nicht auf. An einer weiteren Kreuzung angelangt blieb er unschlüssig stehen. Zornig hielt er nach Emmy Ausschau, doch es war zwecklos. Das alte Weib war verschwunden und mit ihr der Beutel, der seinen ganzen Besitz enthielt. Die Kleidung, sein Löffel, das Messer von seinem Vater. Resigniert guckte er an sich herab. Die einzigen Sachen, die er noch besaß, waren voller Scheiße.

Der Funke an Zuversicht den er hier, zwischen den Mauern der Stadt, verspürt hatte, war erloschen. Erschöpft ließ er sich an einer Hauswand nieder. Er zog die Beine heran, vergrub das Gesicht unter den Armen und weinte. Er dachte an seinen Vater. Dessen Tod war noch gar nicht lange her und trotzdem kam es Jonathan wie eine Ewigkeit vor. Er war fort und würde niemals wiederkehren. Und er dachte an seine Mutter. Anstatt ihr zu helfen, bereitete er ihr Kummer. Wer erledigte die Arbeit auf dem Hof? Imke war zu klein und für sie alleine gab es viel zu viel zu tun. Wer melkte die Kühe und mistete die Ställe aus? Bald fiel der erste Schnee. Wer hackte das Feuerholz, wenn er nicht da war?

 

Die Sonne war ein beträchtliches Stück weiter gewandert, als ein dreckiges kleines Mädchen in löchriger Kleidung Jonathan aus seinen düsteren Gedanken riss. Mit einer Rute trieb sie, laut lachend, fünf magere Ferkel vor sich her. Er blickte ihr hinterher und schauderte. Die beiden finsteren Gestalten waren immer noch da. Sie hockten im Unrat und vegetierten vor sich hin, so wie er selber. Erschrocken und beschämt rappelte Jonathan sich abrupt auf. Er wischte sich den gröbsten Dreck von der Kleidung und rannte den Weg zurück zur Hauptstraße. Hier herrschte weiterhin reges Treiben, doch dafür hatte er jetzt kein Auge mehr. Er überquerte eine Brücke und gleich darauf gabelte sich die Straße vor ihm. In die Stadtmitte oder zum Hafen, waren die Möglichkeiten. Entschlossen steuerte Jonathan seinem Ziel entgegen.

Von allen Seiten ruhten angewiderte Blicke auf ihm, doch das war Jonathan egal. Die Leute wussten nichts von ihm und hatten keine Ahnung.

Die Straße führte leicht abwärts und die ersten Seevögel zogen ihre Kreise am Himmel, als Jonathan einen heruntergekommenen Jungen in seinem Alter bemerkte. Er kam aus einer Gasse gerannt und sah sich panisch in alle Richtungen um. Instinktiv senkte Jonathan den Blick. Wenn man solchen Leuten einmal Aufmerksamkeit schenkte, war es unmöglich, sie wieder loszuwerden. Und später hatte man dann die ganze Sippe am Hals. Obwohl? Der Junge sah nicht so aus, als habe er eine Familie. Höchstwahrscheinlich war er von Zuhause ausgerissen und hatte sich irgendwelchen Gauklern angeschlossen, für die er jetzt stahl oder weiß Gott noch schlimmere Dinge verbrach. Jonathan war tunlichst darauf bedacht ihn nicht anzusehen, doch es war wieder einmal zu spät. Der Junge rannte auf ihn zu und hechtete hinter einen Stapel leerer Käfige ganz in seiner Nähe.

Verwundert beobachtete Jonathan ihn durch die Käfigstäbe hindurch und der Straßenjunge streckte noch einmal seinen Kopf hervor.

»Bitte, verrate mich nicht«, flehte er und zog den Kopf in dem Augenblick ein, als zwei Männer aus derselben Gasse gestürmt kamen, aus der er zuvor aufgetaucht war.

Warum sollte er einem Herumtreiber helfen? Jonathan schnaubte. Doch ein Blick in die wutverzerrten Gesichter der beiden Männer reichte, dass auch er Angst bekam. Der eine war dick und alt, mit Halbglatze und einem langen Messer in der Hand. Der andere groß, schlank und erheblich jünger. Er trug eine Weidenrute bei sich.

»Verflucht, er ist weg«, brüllte der ältere, drehte sich zu seinem Begleiter herum und schlug ihm auf den Hinterkopf, wobei er sich auf die Zehenspitzen stellen musste, um ihn zu erreichen. »Kannst du nicht besser aufpassen? Es ist das dritte Mal diese Woche, dass ich beklaut werde. Mit einem solch tölpelhaften Lehrling wie dir musste ich mich schon lange nicht mehr herumärgern. Wärst du nicht so töricht, ich würde glauben, du gehörst zu denen und machst das absichtlich.«

Der größere Mann sah betreten zu Boden, während der kleinere geradewegs auf Jonathan zu schnaufte. »He du«, japste er. »Hast du hier einen Bengel vorbei rennen sehen? Etwa so groß und alt wie du und genauso dreckig.« Das Messer, mit dem er dabei vor ihm in der Luft herumfuchtelte, war wirklich sehr lang und sehr scharf.

»Ich glaube, er ist die Straße rauf, mein Herr.« Jonathan deutete in die Richtung, aus der er selber gekommen war.

»Los worauf wartest du?«, fuhr der Mann seinen Lehrling an und beide rannten los.

»Komm raus, sie sind weg«, sagte Jonathan, nachdem die zwei verschwunden waren.

»Habt vielen Dank, gnädiger Heer.« Erleichtert sprang der Junge auf die Straße.

Jonathan musterte ihn und sah seinen ersten Eindruck bestätigt. Er war groß und dürr und unverkennbar Teil des Mobs, der sich hier in der Stadt eingenistet hatte, um auf Kosten der ehrlichen Bürger zu leben. Die Kleidung war löchrig und durch seine hellblonden, fast weißen Haare und die Sommersprossen auf Nase und Wangen, war die Narbe die sich quer über seine linke Gesichtshälfte zog, nicht zu übersehen. Sie war mit Sicherheit die Strafe für ein Vergehen.

»Hier bitte.« Breit grinsend reichte er Jonathan einen von zwei Äpfeln. »Geklaut sind die am leckersten.«

»Danke«, sagte Jonathan verdutzt.

»Ich verschwinde jetzt lieber.« Der Straßenjunge rannte los, sah dann aber noch einmal über seine Schulter. »Und du verduftest auch besser. Der Ladenbesitzer wird bald merken, dass du geschwindelt hast und zurückkommen. Würde mich freuen, wenn wir uns mal wiedersehen.«

»Und ich mich erst«, nuschelte Jonathan verächtlich. Mit einem Dieb wollte er sich unter gar keinen Umständen abgeben. Ließ man sich auf solch ein Pack ein, machte man ruckzuck selber lange Finger. Dennoch befolgte er den Rat des Jungen und setzte seinen Weg fort. Der Apfel schmeckte köstlich und bald erreichte er den Hafen von Enkhuizen.

 

Der Straße schloss sich eine gepflasterte Kaianlage an, die ein riesiges Hafenbecken von drei Seiten umfasste. Unzählige Segelschiffe lagen vertäut und ringsum standen große Lagerhallen, über deren Dächer die Spitzen weiterer Masten ragten. An einem Tisch nahm ein Mann Fische aus und eine Schar Möwen zankte sich laut kreischend um die erbeuteten Fischabfälle.

Jonathan atmete tief durch. Die Luft roch nach Freiheit und Abenteuer und war ganz anders, als der Mief, der wie ein dichter, stickiger Nebel den Rest der Stadt einhüllte. In seiner Nähe schleppten Hafenarbeiter prall gefüllte Säcke von Bord eines Kahns und luden sie auf eine Kutsche, die auf dem Kai wartete. Jonathan wurde neugierig. Wo hatten sie ihre weite Reise angetreten und welche Kostbarkeiten enthielten sie? Unauffällig schlenderte er zur Ladefläche und betastete einen der Säcke. Eindeutig Getreide. Gleich darauf knallte eine Peitsche direkt neben seiner Hand und Jonathan sprang kreischend zurück.

»Bengel, suchst du was Bestimmtes?« Der Kutscher stand auf dem Bock und funkelte ihn misstrauisch an.

»Nein, ich …«

Der Kutscher schnalzte und das Gespann rumpelte über eine Klappbrücke davon.

Jonathan rieb seine Hand und prüfte, ob alle Finger noch an ihrem Platz waren.

»Das ist vom allerfeinsten.«

Zwei Männer schlenderten vorüber und Jonathan horchte auf.

»Solch eine Pracht bekommst du nicht alle Tage zu sehen, glaub mir«, sagte der erste freudig erregt. Er blieb bei einigen Fässern stehen und öffnete eines von ihnen.

»Das hast du beim letzten Mal ebenfalls behauptet«, antwortete der zweite Mann mürrisch, warf aber trotzdem einen interessierten Blick hinein.

»Und?«, fragte der erste erwartungsvoll. »Ist das beste Ware, oder nicht? Da wirst du tief in die Tasche greifen müssen, um sie zu bekommen.«

Jonathan verfolgte die Unterhaltung mit immer größer werdenden Ohren und ihm brannte die Frage unter den Nägeln, was sich in dem Fass verbarg. Kostbarkeiten, natürlich. Aber was für welche? Von Neugier getrieben schlich er sich an und reckte den Hals.

»Fisch?«

Die Männer sahen überrascht auf.

»Fangfrische Heringe, mein Junge.« Der, der das Fass geöffnet hatte, holte einen ausgenommenen Fisch heraus und hielt ihn Jonathan unter die Nase. »Was hast du denn erwartet? Gold?« Beide lachten.

Jonathan stieg die Schamesröte ins Gesicht. Er machte auf dem Absatz kehrt und eilte fort. »Dämliche Pisser«, zischte er wütend. Doch im Grunde ärgerte er sich mehr über sich selbst, als über die zwei Männer, die ihn problemlos durchschaut hatten. Gold - genau das hatte er erwartet. Oder andere erlesene Kostbarkeiten. Warum auch nicht? Der Schwachkopf hatte ja auch so getan, als ob der spanische König persönlich ihm da reingeschissen hätte. »Was hast du erwartet? Gold?« Die Stimme des Fischers hallte in seinem Kopf. Was dachten die jetzt von ihm? Gewiss hielten sie ihn für einen törichten, dahergelaufenen, kleinen Jungen. Noch dazu dreckig und stinkend und ein Dieb, so wie der, der die Äpfel gestohlen hatte. Sicher glaubten sie, dass er auf der Suche nach etwas Gewinnbringendem war und schon fette Beute witterte, ehe er gesehen hatte, was wirklich in dem Fass lag. Aber war es denn so töricht, anzunehmen es befänden sich Kostbarkeiten darin? Immerhin kamen hier Schätze aus der ganzen Welt an. Doch zu sehen war davon kein Stück. Wo waren das Gold, die Seide und der Pfeffer, von denen jeder sprach? Oder hatte man ihn betrogen? War alles, wegen dem er hergekommen war, erlogen? Gab es hier nichts, außer Getreide und stinkendem Fisch? War er den Aufschneidereien irgendwelcher Wichtigtuer auf den Leim gegangen?

Wut überkam Jonathan. Das war doch alles Betrug! Sogar die Schiffe waren Beschiss. Allesamt kleine und unbedeutende Boote. Wo lagen die echten Segelschiffe? Diejenigen, von denen jeder schwärmte. Groß wie Häuser mit Platz für über hundert Menschen, die monatelang um die Welt fuhren? Gab es die überhaupt?

Fest entschlossen, ein solches Schiff aufzuspüren, überquerte Jonathan die Brücke des Hafenbeckens. Er stapfte an einer Reihe Lagerhäuser vorbei, bog um eine Ecke, an der drei Stadtwachen herumlungerten und erblickte vor sich den Drommedaris. Zwischen den Häusern hatte er ihn völlig aus den Augen verloren und den Turm so unerwartet vor sich zu sehen, ließ ihn, trotz aller Wut, vor Ehrfurcht erschaudern. Er legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf. Von oben musste der Ausblick über die Stadt grandios sein. Sein Vater hatte ihm versprochen, dass sie ihn sich ansahen, sobald er älter sei. Jetzt stand er alleine hier, wütend, traurig und stolz zugleich.

 

Lange verharrte Jonathan trotzdem nicht. Ein kalter Wind frischte auf und pfiff ihm durch seine modderige Kleidung. Es wurde Zeit, einen Unterschlupf für die Nacht zu finden, Segelschiffe hin oder her.

Am Anfang einer, von Lagerhäusern gesäumten Gasse, blieb er stehen. Zwischen den hohen Gebäuden war es zwar windstill und bedeutend wärmer, aber ein beunruhigendes Gefühl stieg in ihm auf. Hierzubleiben war töricht. Diebe und anderweitiges Gesindel suchten an Orten wie diesem Unterschlupf. Jonathan überlegte umzudrehen, doch da er eh nichts mehr besaß, was sich zu stehlen lohnte, lief er bis ans gegenüberliegende Ende. Er trat ins Licht und sein Mund klappte auf. Vor ihm erhoben sich majestätische Segelschiffe. Jedes Einzelne so groß wie die Lagerhallen ringsum. Hafenarbeiter befestigten soeben eines von ihnen mit dicken Tauen an eiserne Poller, drei weitere lagen fest vertäut an der Kaimauer und wurden beladen.

Vor Jonathan spielte sich das reinste Durcheinander ab. Ein Pferdegespann nach dem anderen rollte die Hafenanlage entlang und brachte Waren und Baumaterialien. Arbeiter entluden die Karren und trugen alles zu den Lagerplätzen neben den Schiffen. Dort türmten sich wahre Berge an Kisten und Säcken auf und sogar Käfige mit Gänsen und Hühnern standen dazwischen. Über Planken wurden Fässer an Bord gerollt und ein Kran hob einen Pferch an, in dem drei fette Schweine gesperrt waren. Die Männer in der Tretmühle, dem großen senkrecht stehenden Laufrad des Krans, schnauften vor Anstrengung. Wichtig aussehende Herren, mit langen Listen in den Händen, schrien umher und trieben die Arbeiter zur Eile an, doch für den größten Radau von allen waren die Fuhrwerker verantwortlich. Jeder beanspruchte der erste zu sein und keinem ging es schnell genug. Ein irre dreinschauender Kutscher stand auf dem Bock und drohte den Männern Peitschenhiebe zur Aufmunterung an, wenn sie nicht in die Hufe kämen.

Ein dumpfer Knall übertönte mit einem Mal sämtlichen Lärm. Die Kette des Krans war gerissen. Arbeiter sprangen beiseite und der am Haken befestigte Holzkäfig krachte auf die Kaianlage. Holzsplitter flogen umher und Leute fluchten. Im entstandenen Durcheinander versuchten die Schweine, panisch quiekend zu entkommen. Für zwei von ihnen endete der Ausflug jedoch schnurstracks in den Armen einer amüsierten Gruppe von Seeleuten. Die letzte Sau hatte mehr Glück. Unter einem Fuhrwerk hindurch, gelang es ihr, Abstand zwischen sich und ihr Schicksal zu bringen. Doch sie musste sich sputen. Als die am Boden liegenden Arbeiter begriffen hatten, dass sie nicht von der herabstürzenden Last erschlagen worden waren, sprangen sie auf und jagten ihr nach. Ermutigt durch die Anfeuerungsrufe zahlreicher Schaulustiger, zog einer von ihnen ein Messer und schleuderte es dem Schwein hinterher. Er verfehlte es zwar um Längen, hätte stattdessen aber beinahe einen Kutscher erlegt, der hinter einem Stapel Holzkisten aufgetaucht war. Dieser knallte dem Messerwerfer zur Antwort seine Peitsche mitten ins Gesicht. Der Getroffene stürzte und bekam den Riemen noch einmal schmerzhaft zu spüren, ehe die anderen Arbeiter den Kutscher überwältigten. Das Schwein war mittlerweile zwischen den Häusern verschwunden.

 

Kapitel 5

Jonathan hielt sich derweil tief im Schatten der Lagerhäuser versteckt und sah dem geschäftigen Treiben aufgeregt zu. In Ruhe prüfen und mit Bedacht entscheiden, lautete bei jedem Marktbesuch der Leitspruch seiner Mutter und diesen Rat befolgte er jetzt. Es dauerte nicht lange, da fiel ihm der Name eines der Schiffe, die beladen wurden, ins Auge. A-n-n-e-m-a-r-i-e, las er stockend die goldenen Lettern auf dem Rumpf.

»Annemarie.« Der Segler trug den Namen seiner Mutter. Kurzerhand beschloss Jonathan, sich das Schiff genauer anzusehen. Er quetschte sich zwischen zwei Fuhrwerke hindurch und ging hinter Fässern in Deckung, die zur Ladung gehörten, jedoch abseits der restlichen Fracht standen. Von hier aus konnte er alles ungestört betrachten.

Die Annemarie besaß drei große Masten. Jeder Einzelne von ihnen wurde von unzähligen Tauen gehalten, die sich wie ein gewaltiges Spinnennetz kreuz und quer über das Schiff spannten. Am interessantesten war aber ihr dunkelgrüner Rumpf. Er war mit einer Reihe von Geschützpforten versehen, hinter denen sich die Kanonen verbargen. Jonathan zählte zehn Pforten, was zwanzig Geschütze machte. Bei einer solchen Bewaffnung überlegten Feinde es sich zwei Male, ob sie tatsächlich angreifen oder doch lieber die Flucht ergreifen sollten. Jonathan kannte massenhaft Piraten- und Seeräubergeschichten und ein Gemälde am hochgezogenen Heck der Annemarie beflügelte seine Phantasie zusätzlich. Es zeigte zwei Schiffe, die sich unter vollen Segeln, einer stürmischen See trotzend, mit ihren Kanonen duellierten. Über dem Bild befand sich eine Fenstergalerie, die die gesamten hinteren Aufbauten umspannte und ganz oben, für alle gut sichtbar, erstrahlte das Wappen der Stadt Amsterdam.

Jonathan war sprachlos. Je länger er die Annemarie betrachtete, umso entschlossener wurde er, auf genau diesem Schiff anzuheuern.

Ein unheimlicher Mann lehnte an der Reling und beobachtete reglos das Treiben ringsum. Er war groß, seine Gestalt wurde von einem roten Mantel verborgen und die breite Krempe des schwarzen Hutes verdeckte das Gesicht. War er der Kapitän? Die Autorität, die er ausstrahlte, war greifbar. Er war der Richtige. Bei ihm würde Jonathan anmustern. Oder doch nicht? Jonathan zögerte. Dem Ziel so nahe, schlichen sich nagende Zweifel in seinen Entschluss. Auf der Annemarie lag ihm die ganze Welt zu Füßen. Bisher hatte er aber nicht einmal in einem Ruderboot gesessen. Was, wenn sich herausstellte, dass er für die Arbeit auf einem Schiff überhaupt nicht taugte? Hin- und hergerissen von Aufregung und Angst, stand er hinter den Fässern und versuchte verbissen eine Entscheidung zu treffen.

Der Mann in Rot sah nach oben und Jonathan folgte seinem Blick hinauf zu den Masten. In luftiger Höhe standen fünf Matrosen und Jonathan wunderte sich, dass sie ihm nicht schon früher aufgefallen waren. Die Männer bewegten sich so schnell und sicher in den Seilen, dass ihm das Herz in die Hose rutschte. Nein, ausgeschlossen. Das alles war völliger Blödsinn. Nie im Leben würde er ein Seemann werden. Allein der Gedanke, als Schiffsjunge anzuheuern, war töricht. Entweder lachte man ihn aus oder warf ihn über Bord ins Hafenbecken, aber nie und nimmer nahm man ihn mit.

Zu spät bemerkte Jonathan neben sich einen dunklen Schatten. Bevor er begriff, was geschah, packte jemand seinen Hals und hob ihn wie eine Puppe in die Höhe.

»Bengel, was machst du hier?«, brüllte ihn eine harte Männerstimme an. »Klauen? Ich schneide dir die Daumen ab.«

Dicht vor Jonathans Augen tauchte eine blanke Messerklinge auf. Er versuchte, den Mann zu erkennen, doch geblendet von der tief stehenden Sonne, sah er nur den schattenhaften Umriss von jemandem, der doppelt so breit war wie ein normaler Mensch. Hilflos in der Luft baumelnd, wurde der Griff um die Kehle immer enger und der erste Schreck wich blanker Panik. Die Leute mussten doch merken, was hier geschah. Wollte ihm keiner helfen? Aber wer würde einem dreckigen Straßenjungen schon zur Hilfe kommen? Niemand. Jonathan gurgelte. Seine Lungen brannten. Sie gierten nach Luft. In verzweifelter Panik krallte er sich in den Arm des Angreifers und trat ihm gegen die Beine. Doch davon ließ sich der Mann nicht beeindrucken.

»Was treibst du dich hier herum? Was?«

»Ich bin kein Dieb!«, wollte Jonathan rufen, doch stattdessen kam nur ein ersticktes Röcheln.

Die Finger drückten immer kräftiger. Wie ein mächtiger Schraubstock. Die Welt drehte sich und entglitt ihm langsam aber unaufhaltsam.

»Herr Jensen, was geht da vor sich?«

»Ein kleiner Dieb, Herr Kapitän. Treibt sich hier bei den Wasserfässern herum.«

»Ein Dieb sagen sie?« Die Männerstimme kam näher. »Lassen sie ihn los.«

Die Hand öffnete sich und Jonathan fiel schmerzhaft zu Boden.

»Wer bist du und was treibst du dich hier herum?«, fragte die zweite Stimme. Ihr Ton verriet, dass sie es gewohnt war Anweisungen zu erteilen. Ihr Besitzer blieb vor Jonathan stehen.

Immer noch halb benommen, wurde er am Kragen gepackt und grob in die Höhe gezogen. Grelle Lichtpunkte blitzten vor seinen Augen auf.

»Steh aufrecht, wenn der Kapitän mit dir spricht«, brüllte Jensen.

»Sag uns, wer du bist«, fauchte die zweite Stimme erneut.

Keuchend versuchte Jonathan zu antworten. Leider jedoch nicht schnell genug, denn ihn traf eine kräftige Ohrfeige. Tränen schossen ihm in die Augen und sein ganzes Gesicht schmerzte. »Ich … Ich bin kein Dieb«, röchelte er schlotternd. »Mein Name ist Jonathan van Buyten.« Allmählich nahm alles wieder klare Konturen an. Der Mann, der auf den Namen Jensen hörte, war wahrhaftig so breit gebaut, wie sein erster Eindruck es hatte vermuten lassen. Und groß. In seinem schwarzen Kapuzenmantel sah er aus wie ein Bär. Die Schleife, die normalerweise seine langen braunen Haare zusammenhielt, hatte sich gelöst und einzelne Strähnen hingen ihm im Gesicht. Er spielte mit dem Messer und sein Blick verriet, dass ihm Jonathans Gesundheit überhaupt nichts bedeutete. Mit diesem Mann war nicht zu spaßen.

»Und was hast du hier zu suchen?« Es war der Kapitän, der fragte.

Jonathan erkannte den in rot gekleideten Mann vom Schiff. Er war nur unwesentlich kleiner als Jensen und sah mit ebenso finsterer Miene auf ihn hinab. Sein hohlwangiges, blasses Gesicht wurde größtenteils von einem schwarzen Vollbart verdeckt, der, wie seine schwarzen Haare, von Grau durchzogen war. Seine braunen Augen lagen tief in ihren Höhlen und dunkle Schatten verliehen ihnen ein gespenstisches Aussehen.

»Mein Vater ist gestorben und die Bank will meiner Mutter den Hof wegnehmen. Darum bin ich hier, um auf der Annemarie als Schiffsjunge das Handwerk des Seemanns zu lernen, weil meine Mutter auch Annemarie heißt und sie das Geld braucht, das ich bekomme, wenn ich wieder hier bin und…« Jonathan stockte. Was war ihm nur in den Sinn gekommen das alles zu erzählen? Jetzt würden sie ihn erst recht für einen Tagedieb halten.

»Und?«, fragte der Kapitän und beugte sich interessiert zu ihm hinunter.

»Und … Nichts, mein Herr«, antwortete Jonathan kleinlaut.

»Und nichts, mein Herr?«, wiederholte Jensen in gekünstelter Freundlichkeit. Seine Augen verengten sich. »Wo sind deine Freunde?«, fragte er und jegliche Freundlichkeit, ob falsch oder echt, war aus seiner Stimme verschwunden.

»Freunde?« Jonathan sah zwischen den Männern hin und her.

»Stell dich nicht dumm«, fuhr ihn der Kapitän an. »Seit Tagen lungert ihr Taugenichtse hier herum. Ständig verschwinden Gegenstände und Proviant. Sogar Hühner habt ihr gestohlen.«

»Mein Herr. Es war nicht meine Absicht zu stehlen, ich will auf eurem Schiff anheuern weil …«

»… es den Namen deiner Mutter trägt«, beendete Jensen den Satz. »Weißt du eigentlich, dass du stinkst? Und sieh dich mal an.«

»Aber mein Herr! Ich …«

Doch der Kapitän schnitt ihm das Wort ab. »Sei still. Wenn du anheuern willst, warum bist du dann nicht bei der Musterung?«

»Dort war ich. Aber man hätte mich totgetreten, wenn ich nicht in Deckung gegangen wäre.«

Jensen schien dies nicht zu beeindrucken, doch der Kapitän hielt inne.

»Ja. Die Unsitte der Musterung, die den Werbern die Taschen füllt. Ein Glücksspiel, das nichts über die Seetauglichkeit eines Mannes aussagt. Nun gut. Jensen, nehmen sie den Bengel mit auf das Schiff.« Er drehte sich um und schritt auf die Annemarie zu.

Jonathans Herz hüpfte vor Freude. Er konnte kaum glauben, was er soeben gehört hatte. Man ließ ihn mit auf das Schiff. Einfach so. Doch dann wurde ihm schlagartig bewusst, dass ihn die Männer verarschten und dass ihm, statt einer Lehre zum Matrosen, irgendeine Scheiße bevorstand. Niemand der richtig beisammen war, würde einen dreckigen Strolch mit an Bord nehmen, nur weil dieser behauptete Schiffsjunge werden zu wollen.

»Na lauf schon, Bengel.« Jensen, schubste ihn hinter dem Kapitän her und folgte ihnen dicht auf.

Jonathan überlegte wegzulaufen. Doch einerseits hatte er es bis auf die Annemarie geschafft, ganz gleich was ihn dort erwartete und andererseits lauerte Jensen nur auf eine Gelegenheit, ihm seine Daumen abzuschneiden. Mit klopfendem Herzen folgte er dem Kapitän, über eine schmale Planke, auf das Schiff. Das Brett federte bei jedem Schritt und unter sich sah Jonathan das dunkle Wasser unruhig gluckernd, zwischen Kai und Bordwand hin und her schwappen.

Was war er bloß für ein Dummkopf? Noch einmal regte sich sein Fluchtinstinkt, doch dann weiteten sich seine Augen vor Staunen.

Die Annemarie war riesig. Im Vergleich dazu war sein Elternhaus geradezu lächerlich klein. Allein das Deck auf dem er stand, hatte die Ausmaße der Stallungen. Treppen führten auf höher liegende Decks und an Heck und Bug gab es Aufbauten, in denen die Besatzung schlief. Jonathan war überwältigt. Er stellte sich vor, in einem Alkoven zu liegen, während das Schiff weit draußen über das mondbeschienene Meer segelte.

Die Vorbereitungen zum Auslaufen waren voll im Gang. Arbeiter schleppten Fässer und Säcke an Bord und ein Kran beförderte Baumaterialien durch eine große Luke in den Bauch des Schiffes.

Jonathan ließ seinen Blick über die drei Masten schweifen. Selbst der kleinste von ihnen war mindestens dreimal so hoch wie die größten Bäume, die er je zuvor gesehen hatte.

Der Kapitän war vor dem mittleren Mast, direkt neben der großen Luke, stehengeblieben und sah Jonathan finster an. »Los Junge, kletter die Wanten hinauf und steig in den Ausguck.«

Verständnislos blickte Jonathan vom Kapitän zu Jensen, der auf eine runde Plattform deutete, die hoch oben um den Mast herum verlief. Sie war Jonathan schon früher aufgefallen, da sie aber nicht besonders groß war, hatte er ihr keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt. Jetzt stand ein Matrose auf ihr und hantierte mit einem Tau. Jonathans Begeisterung verpuffte. »Wie soll ich da denn hoch?«, stotterte er, ohne den Blick vom Ausguck zu nehmen.

»Einfach die Wanten hinauf.« Breit grinsend deutete Jensen auf die Reling und Jonathan wünschte sich, fortgerannt zu sein.

Zwischen den Bordwänden und dem Ausguck spannten sich Seile. Ein Matrose kletterte an ihnen hinab. Dafür nutzte er dazwischen geknotete Taue als Sprossen.

So, das war es also. Sein Leben würde gleich ein dramatisches, aber zumindest schnelles, Ende finden. Mit bleischweren Beinen schlurfte Jonathan an die Reling. Er betrachtete die Wanten und sein Herz setzte einen kurzen Augenblick aus. Der Mast, der eben noch friedlich schien, schwankte jetzt bedrohlich hin und her.

»Worauf wartest du?«, fragte Jensen und mit lauter Stimme fügte er hinzu: »Ich glaube, er hat Schiss!«

Jonathan schluckte schwer. Alle Augenpaare auf und vor dem Schiff, ruhten auf ihm. Männer in seiner Nähe tuschelten vergnügt miteinander. Einer von ihnen ließ zwei Finger einen imaginären Mast hinauf trippeln und herunterfallen, dann lachten sie hämisch. Selbst die Kutscher waren verstummt und schauten erwartungsvoll zu dem dummen Jungen, der sich gleich den Hals brechen würde.

Mit zitternden Händen griff Jonathan ein Tau und setzte den ersten Fuß auf die hölzerne Reling. Mit dem anderen Fuß stieß er sich ab, schwang sich über das Geländer und fand Halt in der unteren Leine. Vorsichtig nahm er anschließend den ersten Fuß von der Reling und versuchte, ihn auf die nächst höher liegende Leine zu setzen. Doch kaum hatte er ihn angehoben, erwachten die Wanten zum Leben und schaukelten vor und zurück. Jonathan quiekte panisch und Gelächter brandete auf. Unter ihm schwappte das schwarze Wasser gegen die Bordwand und instinktiv klammerte er sich fest an die Seile. Doch der Regen der vergangenen Tage hatte die Leinen schlüpfrig werden lassen. Schon drohten die Füße abzurutschen. Mit klopfendem Herzen korrigierte er den Stand und nach einer kurzen Atempause kletterte er höher. Jonathan wagte kaum zu atmen. Mit jeder Sprosse schwankte der Mast stärker. Fast kam es ihm so vor, als hätte er es sich zur Aufgabe gemacht, ihn abzuschütteln. Nur nicht loslassen. Ganz langsam. Erste Hand, erster Fuß, zweite Hand, zweiter Fuß. Und nichts überstürzen, sonst würde es schneller abwärts gehen, als ihm lieb war. Leine für Leine zog Jonathan sich in die Höhe. Der Wind zerrte kalt an seiner Kleidung und ließ die Wanten immer kräftiger schwanken. Jonathans Innerstes war für solch eine Strapaze, bedauerlicherweise, überhaupt nicht geschaffen. Die Gedärme rumorten und ihr Inhalt wehrte sich mit aller Macht gegen das Schaukeln. Er dachte an die Männer, die sich über ihn lustig gemacht hatten. Ob sie auch dann noch lachten, wenn er tatsächlich hinunter fiel? Aber vielleicht geschah dies ständig. Vielleicht war es gar nicht ungewöhnlich, dass sich jemand den Hals brach und einer mehr oder weniger spielte keine Rolle. Vor allem nicht, wenn es sich nur um einen kleinen Herumtreiber handelte.

Verzweifelt schüttelte er den Kopf und richtete den Blick für einen flüchtigen, unüberlegten Augenblick, in die Tiefe. Er hatte nur mal eben prüfen wollen, wie hoch er schon geklettert war, und stellte sogleich zwei Dinge fest. Zum Einen war er längst nicht so weit gekommen wie erhofft und zum Zweiten war es keine gute Idee hinabzusehen, wenn das Essen der vergangenen Woche wieder ans Tageslicht drängte. Stöhnend richtete er seinen Blick nach oben und schrie vor Schreck. Auf der Leine über ihm saß die fetteste Möwe Enkhuizens.

»He! Hau ab! Hau ab!«

Unbeeindruckt von Jonathans Geschrei breitete der Raubvogel drohend seine Flügel aus. Von unten war erneut Gelächter zu hören. Vorsichtig griff Jonathan nach der Leine, auf der die Möwe saß und rüttelte an ihr.

»Verschwinde, hab ich gesagt. Au! Scheiße! Ahh …«

Der Vogel biss ihm in die Hand und er verlor den Halt. Er rutschte in die Tiefe, doch eines seiner Beine geriet hinter die Leinen und der Sturz wurde schmerzhaft gebremst.

Ein kollektiver Aufschrei hallte über den Hafen. Wimmernd klammerte Jonathan sich an die Wanten und öffnete zögernd die Augen. Er lebte noch, doch wieder lachten die Schaulustigen. Jonathan überkam Wut. Um Haaresbreite wäre er draufgegangen, aber für die Gaffer war es nur ein Spaß. Eine nette Abwechslung von der harten Arbeit. Mit Sicherheit überlegten sie sich schon blöde Namen für ihn, nur für den Fall, dass er gegen alle Erwartungen wieder lebendig herunter kam. Das könnte ihnen so passen. Vorsichtig zog Jonathan sein Bein aus den Maschen. Der Wind pfiff ihm kalt um die Ohren und seine Hände wurden klamm, doch das war ihm egal. Eine Leine nach der anderen nehmend, stieg er höher. Jeder Muskel schmerzte und Tränen nahmen ihm die Sicht, aber dann hatte er es geschafft. Mit letzter Kraft zog Jonathan sich durch ein Loch auf die Plattform und klammerte sich am Mast. Etwas anderes gab es dort oben nicht. Der Ausguck bestand lediglich aus ein paar Brettern und weiteren Wanten, die von ihrem Rand aus hinauf zur Mastspitze reichten.

»Genießt du die schöne Aussicht?« Der Matrose, der hier zuvor stand, saß inzwischen breitbeinig auf einer Rah. »Denk daran, dass du irgendwann wieder hinunter musst.«

Schwer atmend linste Jonathan in die Tiefe. Unter ihm drehte sich das Schiff und der Mast drohte ins Wasser zu stürzen. Er würgte und der Geschmack bitterer Galle breitete sich auf seiner Zunge aus. Er schluckte. Der bittere Geschmack wurde stärker. Er schluckte noch einmal und noch ein drittes Mal. Langsam floss alles dorthin zurück, wo es hingehörte und sein Rachen war wieder frei.

 

»Ich glaube, er kann gut anpacken. Meinetwegen soll er morgen wiederkommen«, nickte der Kapitän.

Jensen verzog das Gesicht. Er spielte nervös mit dem breiten Silberring, der auf dem Ringfinger seiner rechten Hand steckte. »Wenn ich eine Kleinigkeit anmerken dürfe, Herr Kapitän? Es ist nicht ratsam, jeden herumlungernden Strolch mit auf das Schiff zu nehmen. Von denen haben wir schon genug an Bord. Wenn ich allein an die beiden Kaufleute denke, wird mir schlecht. Es ist Hansens erste Fahrt als Oberkaufmann und er war als Unterkaufmann bereits eine Katastrophe. Er ist der Verantwortung nicht gewachsen und Unterkaufmann de Vries wird ihm keine Hilfe sein. Der hat von der Seefahrt weniger Ahnung als ein gewöhnliches Rind. Mit seinem dämlichen Degen, den er überall mit hinschleppt, als befürchte er, jeden Augenblick angegriffen zu werden und den lächerlichen Stiefelsporen. Gegen den ist sogar Hansen Gold wert.«

»Lassen sie es gut sein«, erwiderte der Kapitän. Nachdenklich beobachtete er Jonathan, bei dessen Versuch, wieder heil vom Mast herunterzukommen. »Sie haben doch ihre Leute auf dem Schiff. Die werden schon darauf achtgeben, dass nichts Ungewöhnliches geschieht.«

»Ja, nur leider vertraue ich der Hälfte von denen ebenso wenig wie den Kaufleuten. Und was ich von deren Assistenten halte, wissen sie.« Jensen Miene verfinsterte sich zusehends.

»Sie geben wohl niemals auf, was?« Der Kapitän deutete auf Jonathan, der wieder auf dem Deck stand und sich an die Reling krallte. »Der Knabe macht einen besseren Eindruck, als die anderen beiden Schiffsjungen.«

»Schwacher Trost«, entgegnete Jensen. »Der eine ist auf halbem Weg nach oben fast heruntergefallen und hat dann Stunden gebraucht, bis er wieder unten war und der zweite kotzte vom Ausguck herunter.«

»Ja. Ich glaube nicht, dass auch nur einer von beiden morgen früh hier ist«, nickte der Kapitän.

»Herr Kapitän, ich bitte um Verzeihung, aber die Schiffsjungen sind mir scheißegal.«

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich bin froh, dass sie ehrlich zu mir sind.« Der Kapitän legte den Kopf schief. »Der Junge hat es sich verdient, meinen sie nicht? Uns fehlt ein Kabinenjunge und wenn es nicht ihr sehnlichster Wunsch ist, ein Jahr damit zuzubringen, dem Oberkaufmann das Essen zu servieren, dann …«

»Er hat keine Papiere«, versuchte Jensen sein Glück.

»Das kläre ich mit den Kaufleuten. Unter Deck steht eine alte Seemannskiste, die darf der Junge meinetwegen haben.«

»Aber nur wenn er schwimmen kann?«, sagte Jensen resignierend. »Ich will nicht, dass die Besatzung am dritten Tage munkelt, dass das Schiff verflucht ist, nur weil ein Bauernjunge ersäuft.«

»Finden wir es heraus.« Der Kapitän ging zu Jonathan, der sich nach wie vor an die Reling klammerte, und schmiss ihn ins Wasser.

»Und?«, fragte Jensen hoffnungsvoll, »Säuft er ab?«

Doch diesen Gefallen tat der Junge ihm nicht. Obwohl sich seine Kleidung, augenblicklich mit eiskaltem Wasser voll sog, schwamm er zur Kaimauer und zog sich hustend an einer Leiter empor.

Jensen hob resigniert die Schultern. »He Bengel! Wenn du immer noch Schiffsjunge werden willst, dann komm morgen, vor Sonnenaufgang, wieder her.«

 

Kapitel 6

»Arschloch!«, schnaubte Jonathan wütend. »Erst werde ich fast erwürgt, dann breche ich mir beinahe den Hals und zum Schluss versucht er, mich zu ersäufen. Die spinnen doch, wenn sie glauben, dass ich wieder komme.« Auf allen vieren kniete er am Hafenbecken und ließ seiner Wut freien Lauf. Erneut stürzten Enttäuschung und Verzweiflung auf ihn ein. Es war töricht gewesen, von Zuhause fortzulaufen. Er bereitete seiner Mutter nur Kummer und hatte letztlich nichts als nasse Sachen vorzuweisen. Wie sollte es nun bloß weitergehen? Nach Hause zurück konnte er nicht, zumindest nicht heute Abend. Er war völlig durchnässt und würde sich unterwegs den Tod holen. Andererseits hatte er aber auch keine Ahnung, wo er die kommende Nacht verbringen sollte. Die Stadt war gefährlich, das hatte er am eigenen Leib erfahren.

Triefend rappelte Jonathan sich auf und schlurfte in die Gasse zurück, aus der er gekommen war. Erschöpft ließ er sich in einer Nische zwischen zwei Lagerhäusern nieder, wo Augenblicke später eine feuchte, ungesunde Kälte an ihm hinauf kroch. Kurzerhand entkleidete er sich. Hemd und Hose klatschten auf den Boden, dann drehte er die Schuhe um und beobachtete ratlos, wie das Wasser aus ihnen heraus tropfte. Es muss wohl erst einmal ohne gehen. Anschließend wrang er seine Kleider aus und streifte sie, immer noch patschnass und eiskalt, über. »Macht auch nichts«, murrte er spöttisch. »Er brach sich zwar nicht den Hals und ertrunken ist er ebenfalls nicht, dann erfriert er halt. Oh, du mieses Schwein von Kapitän. Du Verfluchter. Untergehen sollst du mit deinem Kahn und ersaufen und …«

»Bist ein guter Schwimmer.«

Die Stimme hinter ihm ließ Jonathan erschrocken aufschreien und herumfahren. Am Anfang der Gasse stand ein Junge. Dreckig und verlaust. Kein Zweifel, es handelte sich um den Apfeldieb. Der Bursche kam forsch auf Jonathan zu, der noch damit beschäftigt war, sich mit klammen Fingern die Hose zu schließen.

»Hallo, ich bin Dirk Stevens.« Er reichte Jonathan seine Hand.

»Jonathan van Buyten«, antwortete Jonathan, ignorierte jedoch die Hand und Dirk zog sie unbekümmert zurück.

»Du bist neu hier, oder? Ich habe dich noch nie hier gesehen - mit Ausnahme von vorhin natürlich. Herzlichen Dank, übrigens noch einmal.«

»Ja«, sagte Jonathan knapp. Ihm war furchtbar kalt und er hatte im Moment keine große Lust, irgendeinem dahergelaufenen Straßenjungen seine Lebensgeschichte zu erzählen.

»Wie gesagt, du bist ein echt guter Schwimmer. Ich habe dich gesehen. Man, wenn der alte Wijnvoord mich ins Wasser geschmissen hätte, wäre ich wie ein Stein untergegangen.«

»Wer?« Obwohl es Jonathan aus tiefstem Herzen zuwider war, horchte er neugierig auf.

»Kapitän Wijnvoord. Ich bin ebenfalls Schiffsjunge auf der Annemarie. So wie du.«

»Ein Schiffsjunge, der nicht schwimmen kann?« Jonathan wurde misstrauisch.

»Sie haben vermutlich vergessen, mich danach zu fragen. Erzähl es ihm bloß nicht.«

»Keine Sorge. Der sieht mich niemals wieder.«

»Warum nicht?« Dirk klang ehrlich verwundert.

»Das fragst du noch? Erst scheuchen die mich den Mast hinauf und dann…. Du hast doch gesehen, was dieser Wijnvoord mit mir gemacht hat. Der wollte, dass ich ersaufe.«

»Ach Blödsinn.« Dirk winkte ab. »Wenn sich einer sorgen sollte, bin das mit Sicherheit ich. Den Mast jagten sie mich auch hinauf, aber darüber ob ich schwimmen kann, hat sich niemand erkundigt. Schätze mal, es ist ihnen egal.«

»Pah! Bist ein Spaßvogel, was? Dieser Wijnvoord ist doch irre. Ich hätte mir den Hals brechen können oder ertrinken. Dabei wollte ich gar nichts stehlen, sondern anheuern.«

»Und das hast du geschafft. Was beschwerst du dich?«

»Ich … Ich …«

»Weißt du schon, wo du die Nacht verbringst? Es wird bald dunkel.«

»Nein.« Jonathan schüttelte den Kopf. »Bisher nicht.«

»Na, dann komm mal mit.« Dirk ging tiefer in die Gasse, blieb aber stehen, da er merkte, dass Jonathan ihm nicht folgte. »Ich würde dir ja gerne eine schriftliche Einladung zukommen lassen, ich fürchte allerdings, bis dahin bist du erfroren.« Mit einer Kopfbewegung deutete er in die Richtung, welche er eingeschlagen hatte.

Misstrauisch fragte Jonathan sich, was dieser Dirk mit ihm vor hatte. Doch egal was es war, schlimmer konnte es eh nicht mehr werden.

Schweigend latschten sie nebeneinander her, bis Dirk auf einen Weg bog, der so schmal war, dass sich zwei entgegenkommende Personen zwischen den Lagerhäusern aneinander vorbei zwängen mussten. Sie waren auf der Rückseite der Hallen angekommen und Dirk blieb nach wenigen Schritten stehen.

»Hier ist es«, sagte er euphorisch.

Jonathan sah sich zitternd um. Sie befanden sich zwischen den Lagerhäusern und ein merkwürdiges Gefühl beschlich ihn. Der Wind zog eisig durch seine Kleidung und in ihm glomm der Verdacht auf, dass der Straßenjunge ihn für dumm verkaufte. »Und jetzt?«, fragte er daher in unterkühltem Ton.

»Sieh her.« Dirk kniete nieder, lockerte die unteren Bretter einer Holzwand und drückte sie zur Seite. »Tada!« Mit einer Verbeugung und einer einladenden Handbewegung forderte er Jonathan auf, durch das entstandene Loch zu krabbeln.

»Du spinnst«, entfuhr es Jonathan. »Das ist Einbruch. Was ist, wenn man uns erwischt?«

»Ach was.« Dirk schüttelte den Kopf. »Das Lagerhaus steht leer. Ich wohne schon seit zwei Wochen hier und bin noch nicht entdeckt worden.«

»Trotzdem ist es Einbruch. Wenn man uns schnappt, werden wir eingesperrt.« Jonathan sah Dirk ungläubig an, doch der hob gleichgültig die Schultern und kroch durch die Öffnung. Unbehaglich blieb Jonathan draußen stehen. Vater würde ihm den Hintern versohlen, doch seine Zähne klapperten und von der Gasse her dröhnten die Stimmen mehrerer Männer. Womöglich Stadtwachen?

»Was ist jetzt?«, rief Dirk von drinnen.

»Ja …. Ja ich komme. Warte auf mich.« Nachdem er sich ausgiebig vergewissert hatte, nicht beobachtet zu werden, folgte er Dirk durch die Öffnung.

 

In der Halle war es bedeutend wärmer, aber dunkler. Die trockene Luft war von einem angenehmen Duft erfüllt, der Jonathan zwar bekannt vorkam, sich jedoch nicht einordnen ließ. Vereinzelt lagen kaputte Kisten herum. Die dicke Staubschicht auf dem Holzboden verriet ihm aber, dass sie seit Monaten nicht genutzt wurde. Dirks schmutzige Fußspuren zeichneten sich deutlich darauf ab.

Hinter Jonathan rückte Dirk die losen Bretter wieder zurecht. »Willkommen in meinem Zuhause.«

Jonathan fiel eine niedrige Barriere aus Kisten auf, die in der gegenüberliegenden Ecke ein Viereck abgegrenzte. Die meisten Fußabdrücke verliefen von der Geheimtür direkt darauf zu. Er folgte der Spur. Der Boden im Innern der Begrenzung, war mit leeren Säcken ausgelegt worden.

»Mein Bett«, erklärte Dirk stolz.

»Aha!«, entfuhr es Jonathan knapp. Er dachte an den kuscheligen Alkoven, den er sich mit seiner Schwester teilte, aber für diese eine Nacht würde es gehen.

»Es ist zwar nicht so weich, wie es aussieht, aber allemal gemütlicher, als der nackte Boden«, fuhr Dirk fort. »Zieh deine nassen Sachen aus, sonst holst du dir den Tod, bevor der Morgen graut.«

Jonathan nickte zähneklappernd. Er streifte seine Klamotten ab und legte sie über ein leeres Fass.

»Hier.« Dirk warf ihm einen Sack zu. »Zum Abtrocknen.«

Jonathan fing den Beutel und begutachtete ihn. Er war löchrig und dreckig. Zögernd hielt er ihn sich an die Nase. Es war ekelig. Er selbst roch zwar wie eine Schweinesuhle, doch mit diesem Lumpen mochte er sich dennoch nicht abrubbeln. »Ich glaube, ich bin schon fast trocken.« Er warf den Sack achtlos fort und sah sich weiter um. »Wie hast du die Halle eigentlich gefunden?«

»Das war Zufall. Die ersten Nächte schlief ich heimlich in Hinterhöfen und Hauseingängen, aber das wurde mir zu gefährlich. Dann habe ich zwei feine Herrschaften darüber reden hören, was es für eine Schande sei, die Lagerhalle verkommen zu lassen. Der Rest war leicht.«

Jonathan sah Dirk zweifelnd an, doch ehe er etwas sagen konnte, fragte Dirk: »Hast du Hunger?«

Ja und wie, überlegte Jonathan.

»Bediene dich«, rief Dirk, der es ihm angesehen haben musste. Er deutete auf einen Sack, der an einem der Stützbalken in der Mitte der Halle lehnte. »Allerbester Zwieback.«

Erfreut langte Jonathan zu, hielt jedoch mitten in der Bewegung argwöhnisch inne. »Der bewegt sich«, rief er alarmiert.

»Das ist nur eine Ratte«, antwortete Dirk beiläufig und ließ sich auf die Umrandung seines Bettes nieder.

»Ich weiß.« Jonathan lächelte verkrampft. Er hasste Ratten und mit bloßen Händen einen Sack zu öffnen, in dem sich so ein Viech versteckte, viel ihm im Traum nicht ein. Beherzt trat er auf eine alte Kiste ein, bis sich ein Brett lockerte. Damit stupste er leicht gegen den Beutel. Im Inneren piepte und raschelte es. Jonathans Nackenhaare stellten sich auf. Er schlug fester dagegen, der Sack öffnete sich einen Spalt breit und eine fette Ratte sprang, wütend quiekend, heraus. Sie flitzte quer durch die Halle auf eine Wand zu, folgte ihrem Verlauf und verschwand in einem Loch zwischen den Bodenbrettern. Jonathan schüttelte sich. Dann öffnete er mit Hilfe der Latte den Sack vollständig und lugte aus sicherer Entfernung hinein. Man konnte ja nie wissen. Beruhigt darüber, nicht auf weitere Nager zu stoßen, griff er in die Tiefe und beförderte eine Handvoll krümeligen Zwieback zum Vorschein.

»Sag mal«, fragte er, nachdem er sich die ersten Stückchen in den Mund gesteckt und sich schmatzend neben Dirk gesetzt hatte, »wo hast du das her?«

»Ich komm ordentlich herum, finde was hier und dort und …«

»Geklaut. Das ist mir schon klar. Aber wo?«

»Am Hafen«, sagte Dirk grade so, als ob es das natürlichste der Welt wäre. »Schau dir den Beutel mal genauer an.«

Jetzt fiel es Jonathan auf. An allen Säcken, die in der Halle lagen, prangten drei ineinander verschnörkelte Buchstaben. Ein großes V in der Mitte, durchbrochen von einem O auf der linken und einem C auf der rechten Seite.

»Vereenigde Oostindische Compagnie.« Ehrfürchtig starrte Jonathan auf das Siegel der Handelsgesellschaft. »Du klaust die Schiffsladung?«

»Rege dich nicht auf. Ich nehme nur das, was sie nicht rechtzeitig an Bord bringen.«

»Rechtzeitig?« Jonathans Stimme wurde schrill.

»Vor Einbruch der Nacht. Außerdem habe ich ihn nicht geklaut. Ich nahm ihn an mich, ehe irgendein dahergelaufener Bauernlümmel ihn beiseiteschafft.«

»Was aufs Gleiche hinaus läuft«, erwiderte Jonathan gereizt. Er hatte es geahnt. Wer Äpfel stahl, macht auch vor schlimmeren Verbrechen nicht halt.

»So dramatisch ist das nicht. Die haben davon so viel, dass ihnen das Beutelchen nicht aufgefallen sein wird. Außerdem gehören die Säcke häufig gar nicht zum Proviant. Der lagert nämlich vorwiegend in Fässern. Die lassen sich aber nicht so ohne weiteres unbemerkt in Sicherheit bringen. Schon gar nicht wenn man alleine arbeitet, so wie ich.«

»In Fässern?«, fragte Jonathan.

»Damit sie nicht nass werden, oder sich Ungeziefer einnistet. Hast es ja eben selbst erlebt.«

»Oh.«

»Du hast keinen Schimmer von der Seefahrt, oder?«, fragte Dirk, der erneut seine Gedanken zu lesen schien.

Jonathan schnaubte. Es wurmte ihn furchtbar, dass dieser kleine Dieb so viel wusste und er selbst überhaupt keine Ahnung hatte. Und vor allem ärgerte ihn, dass er so leicht durchschaut worden war.

»Das ist ja allerliebst«, rief Dirk in gespielt theatralischem Ton. »Der Bengel segelt ab morgen um die ganze Welt, hat aber von nichts eine Ahnung.«

»Das sagt ausgerechnet ein Nichtschwimmer«, antwortete Jonathan in gleichem Ton, nur eine Spur bissiger. Sie sahen sich an und lachten.

»Pass auf! Einigen wir uns darauf: Du bringst mir Schwimmen bei und ich verrate dir alles, was ich über Schiffe weiß, abgemacht?«

Jonathan sah Dirk zweifelnd an. War es ratsam, dem Jungen zu vertrauen? Er war ein Dieb und scheute sich nicht, in Gebäude einzubrechen. Zugegebenermaßen wusste Dirk aber viel mehr über die Seefahrt als er. »Abgemacht.« Er schob sich ein weiteres Stück Zwieback in den Mund und griff erneut in den Sack. »Sag mal, du hast nicht zufällig auch Hühner gestohlen?«

»Nein, warum?«

»Weil dieser Jensen sich anschickte, mir deswegen meine Daumen abzuschneiden.«

»Ja.« Dirk nickte nachdenklich. »Vor dem sollte man sich in Acht nehmen. Aber du hattest im Grunde Glück, mir wollte er etwas ganz anders abschneiden.«

»Warum das?«

»Er glaubte, ich stehle die Schiffsladung.«

»Und, hattest du was gestohlen?«

»Ihm fehlten die Beweise«, grinste Dirk unbekümmert, doch Jonathan verzog das Gesicht.

»Wer ist denn dieser Jensen überhaupt?«

»Der Erste Steuermann«, antwortete Dirk altklug. »Man erzählt sich, dass er steinreich ist und nur aus Langeweile zu See fährt. Ich habe keine Ahnung, ob das stimmt, aber hast du den Ring bemerkt, der an seiner Hand steckt? Ich sag dir, der ist ein Vermögen wert.« In Dirks Augen trat ein seltsamer Glanz. »Na ja, jedenfalls hat er eine ganze Menge auf dem Schiff zu sagen. Er steht in der Schiffshierarchie auf einer der obersten Stufen.«

Dirks Ausführungen klangen fürchterlich besserwisserisch. Jonathan fand, dass dies nicht unbedingt zu jemandem passte, der sich hinter Käfigen versteckte, weil er beim Stehlen von Äpfeln erwischt worden war. »Und auf welcher Stufe stehen die Schiffsjungen?«, fragte er, obwohl er die Antwort ahnte.

»Wir teilen uns eine mit den Ratten.«

»Und der Kapitän steht selbstverständlich an erster Stelle.« Dirk sollte nicht denken, dass Jonathan überhaupt keine Ahnung hätte.

»Eigentlich nicht.« Dirk schüttelte den Kopf. »Der Kapitän hat zwar das Sagen auf dem Schiff, die mächtigsten Männer an Bord sind aber die Kaufleute. Auf der Annemarie gibt es zwei. Den Oberkaufmann und den Unterkaufmann. Sie vertreten die Schiffseigner und haben die Befugnis, selbst dem Kapitän Befehle zu erteilen. Dem Kapitän folgen die zwei Steuermänner, dann kommen der Hochbootsmann, der sorgt dafür, dass die Besatzung spurt und der Profost. Er ist der Polizist. Zusammen mit den Kadetten sorgt er für Ruhe unter den niederen Besatzungsmitgliedern.«

Jonathan lag eine weitere Frage auf der Zunge, er gestand sich aber ein, vorerst nicht noch mehr von seiner Unwissenheit preisgeben zu wollen, und klatschte in die Hände. »So, los geht’s!«

»Womit?« Dirk hob leicht verwirrt die Augenbrauen.

»Schwimmunterricht.«

»Hier? Bist du verrückt?« Dirks Blick folgte Jonathan, der aufgestanden war und zwei Kisten über Kopf aufeinander stellte.

»Na ja?« Jonathan hob seine Schultern. »Wenn du deine ersten Schwimmerfahrungen lieber im offenen Meer sammeln möchtest? Mir ist das egal.«

»Auf gar keinen Fall. Was soll ich tun?«

»Lege dich mit dem Oberkörper auf die Kisten, dann sehen wir weiter.«

Zögernd folgte Dirk der Anweisung. »Und jetzt?«, fragte er zweifelnd.

»Rudern. Mit Armen und Beinen.«

»So?« Dirk strampelte ungeschickt in der Luft herum.

»Für den Anfang gar nicht lausig.« Insgeheim war Jonathan froh, dass sie mit den Schwimmversuchen nicht im Meer begonnen hatten. Nachdem er Dirk, ein bisschen länger als nötig, hatte strampeln lassen, nickte er. »Das wird. Probiere es langsamer und die Arme gleichzeitig bewegen.« Er zeigte Dirk die Schwimmbewegung der Arme, der sie so gut imitierte, wie es auf einem wackeligen Kistenturm eben ging.

»Wunderbar«, lobte Jonathan und dieses Mal, war es sogar ehrlich gemeint. »Es empfiehlt sich aber, im Wasser die Rübe anzuheben, sonst macht das alles keinen Sinn.«

»So?« Dirk reckte seien Kopf so weit nach hinten, wie er konnte, bis eine der Kiste nachgab und er mit einem erschreckten und ziemlich schrillen: »Ahh!«, auf dem Holzboden landete. »Lektion beendet«, stellte er fest und rieb sich seine Knie.

 

»Woher kommst du eigentlich?«, fragte Jonathan, nachdem sie erneut auf der Umrandung von Dirks sogenanntem Bett saßen und Zwieback schmatzten.

»Geboren bin ich in Oostende.« Ein dunkler Schatten zog auf Dirks Gesicht. »Meine Eltern hatten dort ein Gasthaus. Eines Nachts überfielen uns spanische Banditen. Sie haben Mutter und Vater umgebracht. Ich bin nur entkommen, weil sie zu sehr damit beschäftigt waren unsere Tiere zu schlachten und sich zu betrinken, anstatt sich auf dem Heuboden umzusehen.« Dirk wandte den Blick zur Hallendecke. »Ich habe mich dann bis Amsterdam durchgeschlagen. Dort wohnt die Schwester meiner Mutter. Doch Tante Judith meine, sie hätte bereits genug Mäuler zu stopfen und hat mir schnell und eindeutig gezeigt, was sie von mir hält.« Dirk wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und drehte Jonathan seine linke Gesichtshälfte zu.

Bisher hatte Jonathan es vermieden, die Narbe die sich quer darüber hinweg zog anzusehen, da es ihm peinlich war, Dirk anzustarren. Die Verletzung war krustig, geschwollen und rundum gerötet. Sie zog sich vom oberen Rand seines Ohres über die Wange bis unters Kinn. Doch es war keine Schnittwunde, wie er zuerst vermutet hatte, sondern eine Brandverletzung.

»Meine Tante führt ihren Schürhaken so geschickt wie andere ihren Degen.« Dirk wand den Blick erneut zur Hallendecke. »Also zog ich weiter und landete über Umwege in Enkhuizen. Gestern erwischte Jensen mich und bei der Gelegenheit habe ich auf der Annemarie angeheuert. Das wollte ich eigentlich gar nicht, ich hatte aber auch nichts Besseres vor. Und du, Jonathan van Buyten?« Er blinzelte und musterte Jonathan von Kopf bis Fuß. »Bist dreckig und stinkst wie ein Schwein, sieht’s jedoch nicht wie ein Straßenjunge aus.«

»Bin ich auch nicht«, antwortete Jonathan eine Spur bissiger als gewollt. Sanfter fügte er hinzu: »Ich bin von zu Hause weg, um Geld zu verdienen. Mein Vater ist tot und meine Mutter braucht es, um Rechnungen zu bezahlen.«

»Hmm«, machte Dirk und nickte, stellte aber glücklicherweise keine weiteren Fragen.

Jonathan war nicht danach, über Zusammenhänge zu reden, die er selber nicht verstand. Gestern Abend hatte er sich neben seine Schwester in ihren gemeinsamen Alkoven gelegt. Jetzt saß er halbnackt in einer Lagerhalle, in die er zuvor eingebrochen war. Er aß gestohlenen Zwieback und unterhielt sich mit einem Jungen, den er Zuhause mit der Forke weggejagt hätte. Und morgen bestieg er ein Schiff und würde weit weg segeln.

Beide verfielen in Schweigen, bis Dirk sich streckte. Mittlerweile war es in der Halle dunkel. Mit einem Gähnen rutschte er von der Kiste in sein Bett. »Wir sollten jetzt schlafen«, sagte er, raffte einen Sack zu einem Kissen zusammen und warf sich ein paar weitere als Decke über.

»Ja«, nickte Jonathan erschöpft.

 

Eine unruhige Nacht lag vor Jonathan. Immer wieder schreckte er aus Alpträumen hoch. Einmal war er sich sicher gewesen, keine Daumen mehr zu besitzen, ein anderes Mal kribbelte sein Magen, als stürze er von einem hohen Mast. Irgendwann musste er dann aber doch fest eingeschlafen sein, denn ein Tritt von Dirk, gegen sein Bein, ließ ihn hochschrecken.

 

Kapitel 7

22. Oktober 1628

 

Mit hoher Geschwindigkeit preschte eine Kutsche durch die finsteren Gassen der Hafenstadt. Dick in seinen Mantel eingewickelt, der herbstlichen Kälte trotzend, saß ein junger Kutscher auf dem Bock. Bis zum Sonnenaufgang dauerte es noch drei Stunden, doch er war hellwach. Müdigkeit führte bei diesem Tempo ins Grab. Soeben hatte er einen Assistenten der V.C.O. aufgelesen. Sein Ziel war ein äußerst fragwürdiges Haus in der Seilergasse. Der Herr war in Eile. Er zahlte das Doppelte, unter der Bedingung, dass es so schnell wie möglich erreicht wurde.

 

Die Laterne im Innern der Kutsche erhellte das Gesicht des dreiundzwanzigjährigen, aus Amsterdam stammenden, Julius Drake. Als Assistent unterstand der dunkelhaarige Mann direkt den Kaufmännern der Annemarie und er war sich darüber bewusst, dass dies eine Position war, um die ihn manch einer beneidete. Drake war nervös. Kaum dass er Platz genommen hatte, trommelte er fahrig mit den Fingern auf der Holzbank. Sein Blick lag in Fahrtrichtung. Er sah beunruhigt durchs Fenster, sprang auf und schlug mit der Faust unter die Decke. »Kutscher, schneller! Ich habe es eilig.« Er reckte sich und ließ die Gelenke seines muskulösen Körpers knacken. Allmählich überkam ihn Müdigkeit. Er war die ganze Nacht auf den Beinen gewesen, doch an Schlaf war noch lange nicht zu denken. Augenblicke später erreichte das Gespann sein Ziel und verlor an Fahrt.

 

»Seilergasse!«, rief der junge Mann. Die Pferde kamen schnaubend zum Stehen. Vor besagtem Haus stieg der Fahrgast zur Verwunderung des Kutschers jedoch nicht aus, stattdessen gesellte sich ein weiterer Assistent der Kompanie hinzu. Sein Gesicht lag im Schatten der schwarzen Hutkrempe verborgenen. Dies wiederum wunderte den Kutscher keineswegs. Bürger, die sich in der Seilergasse aufhielten, war daran gelegen, nicht erkannt zu werden.

»Zum Hafen!«, klang die ungeduldige Stimme des ersten Fahrgastes nach draußen. »Beeilung! Die Zeit drängt.«

 

Der zugestiegene Mann hieß Adam van Burik. Er stammte aus Middelburg und war einige Monate älter als Julius Drake. Auch seine Statur war kräftiger, als man es von jemandem erwarten würde, der die meiste Zeit des Tages damit beschäftigt war Kassenbücher zu prüfen und Briefe zu verfassen. Van Burik sank auf der Bank zusammen. Ihm war kalt und er sehnte sich zu den beiden gnädigen Frauen zurück, die ihn die halbe Nacht gewärmt und jeden seiner Wünsche erfüllt hatten. Er nahm seinen Hut ab und strich sich das kurze blonde Haar zurecht.

Der Knall einer Peitsche war zu hören, dann das Wiehern zweier Pferde und mit einem Ruck setzte sich die Kutsche rumpelnd in Bewegung.

»Sie haben sich verspätet«, sagte Adam van Burik zur Begrüßung.

Julius Drake richtete sich auf der Holzbank auf. Feixend musterte er sein Gegenüber. »Spaß gehabt? Man hört ja so einiges über die Rote Rose.«

»Ich war keineswegs zum Vergnügen dort.« Van Burik kramte eine Pfeife aus seinem Mantel und inspizierte sie aufmerksam. Dann zog er mehrmals kurz an ihr und stieß ein Wölkchen aus.

Oh, natürlich nicht, dachte Drake missfällig. Ob van Burik wusste, dass seine hohe Halskrause nicht ausreichte, um alle Knutschflecke zu verbergen? »Und? Was hat der Bote ihres Onkels ihnen berichtet? Wie ist die Abstimmung verlaufen?«

»So, wie ich es befürchtete«, knirschte van Burik.

Sein Gesicht färbte sich wutrot, was die winzigen Narben auf Kinn und Wangen besonders gut zur Geltung brachte. Drake wusste, dass sie die letzten Spuren einer Pockenerkrankung waren, die van Burik in Kindertagen nur gerade eben überstanden hatte. Wenn es stimmte, was hinter vorgehaltener Hand erzählt wurde, minderten sie seine Beliebtheit in der gehobenen Damenwelt jedoch in keiner Weise.

»Die Amsterdamer Kammer hat ihren Antrag gestellt, es kam zur Abstimmung und sie erhielt eine Stimme mehr. Die Enkhuizener Kammer hat den Antrag unterstützt.«

Drake lehnte sich zurück und sah schmunzelnd aus dem Fenster. Er genoss es, wie sich van Burik ärgerte. Adams Onkel, Peter Eden, war einer der vier Direktoren der Middelburger Kammer und er dessen einziger Erbe. Die Gewinne, die Direktor Eden durch den Pakt zwischen Amsterdam und Enkhuizen verlor, waren kaum zu beziffern. Da konnte man schon schlechte Laune bekommen.

 

Der Vereinigten Ostindien Kompanie gehörten sechs Kammern an, die ihre Sitze in den Städten Amsterdam, Middelburg, Delft, Rotterdam, Horn und Enkhuizen hatte. Leider waren diese jedoch nicht zu gleichen Teilen stimmberechtigt. Aufgrund ihrer vorherrschenden Stellung standen der Amsterdamer Kammer acht stimmberechtigte Direktoren vor. Die Kammer aus Middelburg hatte vier Stimmen und die übrigen Kammern jeweils eine. In zähen Verhandlungen setzten die Middelburger Kaufleute durch, dass man ihnen und den vier anderen kleinen Kammern einen weiteren Direktor gewährte. Dieser wurde immer im Wechsel gestellt. Das Direktorium der Heren XVII war geboren und lenkte fortan die Geschicke der Kompanie.

 

Obwohl Julius Drake mit der Handelsgesellschaft schon lange abgeschlossen hatte, kannte er die Gerüchte, die seit Monaten in den oberen Kaufmannsfamilien kursierten. Demzufolge beanspruchte die Amsterdamer Kammer das alleinige Recht, mit Gewürznelken zu handeln. Da die Gewinne aller Handelsgüter bisher immer anteilig ausgeschüttet worden waren und der Amsterdamer Kammer bei einer Abstimmung die nötige Mehrheit fehlte, nahm man ihren Vorstoß in den anderen Kammern zuerst nicht ernst.

Hinter vorgehaltener Hand hörte man eines Tages jedoch davon, dass es zu einer geheimen Zusammenkunft der Direktoren aus Amsterdam und Enkhuizen gekommen sein sollte. Genaues wusste niemand, nur dass sie sich angeblich geeinigt hatten. Vor allem in Middelburg lösten die Gerüchte große Unruhe aus. Ihnen oblagen zwar vier Stimmen, doch die waren wertlos, wenn die Amsterdamer Händler die Enkhuizener Direktoren gekauft hatten.

Die Abstimmung über den Antrag fand am gestrigen Abend statt. Gleich darauf war ein Bote entsandt worden, um Adam van Burik von ihrem Ausgang zu berichten.

»Und was haben die Enkhuizener Kaufleute dafür bekommen?«, fragte Drake.

Van Burik zog an seiner Pfeife. »Alle Schiffe, die Gewürznelken an Bord haben, werden nur hier im Hafen gelöscht.«

»Dann ist die Annemarie das erste Schiff, das ausschließlich für Amsterdam fährt?«

»Ja. Sie haben sie ausrüsten lassen, weil sie das Ergebnis der Abstimmung kannten. Und sie ist für Monate das einzige Schiff, das nach Norowell aufbricht.«

»Wir gehen wie besprochen vor?«, fragte Drake.

Van Burik nickte.

»Aber warum warten wir so lange? Was macht das für einen Sinn?« Drake rutschte unruhig auf seiner Bank nach vorne. »Je schneller wir das alles hinter uns bringen, desto besser für uns.«

»Weil es zwingend notwendig ist, dass wir den richtigen Moment abwarten. Wir haben es über Wochen geplant, da wäre es dumm, jetzt voreilig zu handeln. Wir warten, bis die Gewürznelken an Bord sind und der Handelsposten am Kap passiert wurde. Wenn wir zu früh zuschlagen, erwecken wir dort Misstrauen. Bringen sie um Himmels willen etwas Geduld auf und ich verspreche ihnen, es wird nicht zu ihrem Nachteil sein. Außerdem haben wir bis dahin jede Menge wichtige Vorbereitungen zu treffen.«

»Wo sie es gerade erwähnen: Ich bin die Musterrolle durchgegangen und habe einen passenden Kandidaten herausgesucht.« Drake reichte seinem Gegenüber ein Papier.

Vereenigde Oostindische Compagnie war die Überschrift. Musterrolle des V.O.C. Retourenschiffs Annemarie. Es folgte eine Auflistung der Besatzungsmitglieder, ihre Namen und Ränge, der Geburtsort mit dem Geburtsdatum und dem Datum der Musterung. Der erste auf der Liste war Fritz Hansen, Oberkaufmann Vereenigde Oostindische Compagnie, Kammer Amsterdam, Geboren: Hamburg, 17. April 1603. Darunter Jacop de Vries, Unterkaufmann Vereenigde Oostindische Compagnie, Kammer Rotterdam, Geboren: Amsterdam, 07. Februar 1598.

Bei beiden Männern war das Feld mit dem Datum der Musterung frei geblieben. Dies war erst bei der dritten Person auf der Liste eingetragen. 15. Oktober 1628. Es gehörte zu Thomas Wijnvoord, Kapitän, Geboren: Enkhuizen, 13. Juni 1586.

Van Burik runzelte die Stirn. »Wo haben sie die her?«

»Sie ist der Grund, meiner Verspätung. Es handelt sich um eine Abschrift für den Hafenmeister. Er … hat sie wohl verloren.«

 

Van Burik zog anerkennend die Augenbrauen hoch. Es hatte sich gelohnt, seinen Schulfreund aus der Gosse zu fischen. Sein Onkel äußerte im Vorfeld zwar Bedenken, doch Adam wusste um Drakes besondere Qualitäten. Julius kannte massenhaft merkwürdiges Gesocks. Schon zu Jugendzeiten hatte er sich gerne mit ihnen umgeben. Zwielichtige Gestalten, die für geringes Geld sogar den Teufel übers Ohr hauten. Sein Onkel vertrat die Ansicht, dass speziell dieser Umstand geradewegs zum Untergang der Familie Drake geführt hatte. Julius sah es freilich anders. Er gab der V.O.C. die Schuld an seinem Unglück. Vor drei Jahren war sein Vater, ein Kaufmann aus Amsterdam, an einem Herzinfarkt gestorben. Julius, fortan auf sich allein gestellt, geriet schnell auf die schiefe Bahn. Glücksspiel und Hurerei ließen sein Vermögen schwinden und die Kompanie distanzierte sich in letzter Konsequenz von ihm. Dies war ein weiterer Grund, warum Drake für ihr Unterfangen Gold wert war. Es gab niemanden, den er kannte, der die Amsterdamer Kammer so maßlos hasste wie Julius. Er genoss es, ihr in den Arsch zu treten und wenn dabei obendrein ein hübscher Verdienst heraussprang, war es umso besser.

Van Burik überzeugte seinen Onkel und der hatte letztlich dafür gesorgt, dass Drakes Name in der Musterrolle vermerkt wurde.

»Die Liste ist korrekt?«, fragte van Burik.

»Das will ich doch meinen. Warum fragen sie?«

Van Burik nahm seine Pfeife aus dem Mund und deutete mit dem Mundstück auf das Papier. »Laut der Musterrolle wurde der Kapitän erst vor einer Woche angemustert?! Ein Thomas Wijnvoord aus Enkhuizen.«

»Und?«, fragte Drake.

»Ich dachte, Ariaen Jakobsz aus Horn sei der Kapitän. Er hätte sich uns angeschlossen. Bei einem Mann aus Enkhuizen hingegen …«

Drake blickte van Burik einen Moment fragend an, doch dann hob er die Schultern. »Wen interessiert es? Die Enkhuizener wollen nach ihrer Absprache mit den Amsterdamern, einen ihrer eigenen Leute auf dem Schiff haben. Die trauen sich gegenseitig nicht über den Weg. Richten sie ihren Blick lieber auf das Ende der Liste.«

Einer der letzten Namen, war mit einem winzigen Punkt gekennzeichnet.

Daniel van de Cappelle, Matrose, Geboren: Horn, 11. Dezember 1575 Musterung: 20. September 1628.

»Sie sind sich sicher? Er ist alt und gewiss ein Säufer. Mit ist jemand bodenständigeres für die Aufgabe lieber.«

»Säufer sind sie nahezu alle. Nein, nein. Vertrauen sie mir. Er ist perfekt für unser Vorhaben. Ich habe mich umgehört. Er ist ein erfahrener Seemann. Außerdem hat er keine Familie. Es gibt niemanden, um den er sich Sorgen muss und keiner stellt Fragen, wenn es schiefgeht. Der frisst uns bei drei aus der Hand.«

»Gut, dann Daniel van de Cappelle«, antwortete van Burik überzeugt und stieß ein Rauchwölkchen aus.

Die Kutsche bog um eine Ecke und kam rumpelnd zum Stehen.

Durchs Fenster sah Drake die Annemarie im Hafen liegen. »Endlich«, zischte er. »Wir sprechen ihn an, sobald wir Texel verlassen haben. Er wird Zeit brauchen, um die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen. Um Wijnvoord kümmern wir uns, wenn es so weit ist.«

Van Burik nickte und strich sich geistesabwesend durchs Haar. Er spielte alles noch einmal im Gedanken durch. Jede Eventualität musste berücksichtigt werden. Zu Beginn benötigten sie einen Matrosen für die Drecksarbeit - Daniel van de Cappelle. Seine Aufgabe war es, unter der Besatzung Männer zu rekrutieren, die sich einen kleinen Obolus dazu verdienen wollten. Dann, wenn die Frachträume mit Gewürznelken gefüllt waren, übernahmen sie das Schiff und segelten es zur Insel Schiermonnikoog. Dort übergaben sie es einem Mittelsmann seines Onkels. Die Ladung würde gelöscht und nach Emden oder sonst wohin verkauft werden und die Mannschaft segelte, so unbeschadet wie nur irgend möglich, unter dem Schutz der Kammer von Middelburg, wieder nach Enkhuizen. Die Enkhuizener und die Amsterdamer würden begreifen, dass sie sich mit ihrem Alleingang nur selbst schadeten. Alles Weitere war Politik.

 

Kapitel 8

»Guten Morgen«, trällerte Dirk beschwingt.

»Was?« Jonathan fuhr erschrocken auf. Für einen kurzen Moment war er sich nicht klar, wo er sich befand. »Ach ja. Guten Morgen.«

»Los, steh auf, zieh dich an. Wir müssen gleich los.«

Jonathan blinzelte. Es war stockdunkel und er fror. »So früh?«

»Die warten nicht auf uns«, antwortete Dirk und Jonathan traf der Schlag.

»Was?« Das flatterhafte Gefühl vom Vortag, stieg wieder in ihm auf. »Ich habe überhaupt keine Sachen. Mir wurde alles geklaut. Meine Socken, mein Messer. Ich hab nicht einmal einen Löffel.«

»Das ist nicht wichtig«, versuchte Dirk ihn zu beruhigen. »Was du brauchst, bekommst du auf dem Schiff und zwischendurch leihe ich dir meinen Löffel gerne aus. Zieh dich an, wir brechen auf.«

Dirk war ebenfalls nervös. Seine Stimme verriet ihn.

Nachdem Jonathan in die klamme Kleidung geschlüpft war, fiel ihm eine weitere Sache ein, über die er bisher gar nicht nachgedacht hatte. »Wo fahren wir eigentlich hin?«

Dirk, der längst auf dem Weg zu seinem Ausgang des Lagerhauses war, blieb abrupt stehen. »Das weißt du nicht?«, fragte er in dem - der - Junge - hat - ja - überhaupt - keine - Ahnung - Ton vom Vortag. »Zu unserer Kolonie auf Norowell, einer Gewürzinsel hinter den Molukken.«

Von den Gewürzinseln hatte Jonathan schon einmal gehört. Zumindest reimte er sich zusammen, dass es dort Gewürze gab und die, das wusste er ganz genau, waren kostbar. Aber von Norowell hörte er heute zum ersten Mal.

 

Sie verließen die Halle auf dem gleichen Weg, wie sie sie tags zuvor betreten hatten. Draußen war es kalt und diesig. Zwischen den Lagerhäusern waren zu dieser Stunde noch keine Leute unterwegs, nur die Stadtwache schlenderte auf Patrouille vorüber und irgendwo bellte ein Hund. Beim Schiff selbst war mehr Betriebsamkeit. Flackernde Fackeln und Lampen erhellten die Hafenanlage bis zu den angrenzenden Hallen. Die Ladung war restlos verstaut und die letzten Vorbereitungen zum Auslaufen wurden getroffen. Auf der Annemarie brannten ebenfalls Laternen. Zusammen mit dem Nebel, der in dichten Schwaden übers Wasser getragen wurde, rückten sie das Schiff in ein schauriges Licht.

Jonathan bekam eine Gänsehaut. Ein mulmiges Gefühl, breitete sich in ihm aus und mit einem Mal standen seine Füße still. Er hatte gar nicht vorgehabt stehen zu bleiben, es geschah von ganz alleine.

»Worauf wartest du?« Dirk sah ihn an. »Die Einladung vom Kapitän hast du gestern schon erhalten.«

»Ja, ich komme.« Mühsam setzte Jonathan einen bleischweren Fuß vor den anderen.

Kaum waren sie über die schmale Planke an Bord gegangen, stellte sich ihnen ein alter Mann in den Weg. Tautropfen benetzten seine abgewetzte Kleidung und sein langes, verknotetes Haar. Aus funkelnden, blauen Augen sah er auf sie hinab, während er sich mit einer Hand nachdenklich über die Bartstoppel seines schmutzigen Gesichtes strich.

»Hallo«, sagte er mit rauer Stimme und spuckte Jonathan gelben Schleim vor die Füße. »Ihr wollt also Beten lernen.«

Jonathan sah sich hilfesuchend nach Dirk um, der den Fremden jedoch mit unverhohlener Neugier musterte. Obwohl seine Kleidung schlapp an ihm herabhing, wirkte der kleine Mann knochig und sah auf merkwürdige Art schief aus. Seine Statur erinnerte Jonathan an einen knorrigen Baum und er fragte sich, ob dies der Preis für ein jahrelanges Leben auf See war.

»Das ist doch der Grund, warum wir übers Meer fahren«, röchelte er schwer atmend. »Ein kleines Boot auf der offenen See ist der beste Ort auf der Welt, um Beten zu lernen und um demütig zu werden, vor dem Allmächtigen und seiner gewaltigen Schöpfung.«Er ergriff Jonathans und Dirks Schultern, zog sie an sich heran und beugte sich so dicht zu ihnen hinunter, dass ihre Köpfe fast zusammenstießen. »Ihr glaubt doch an den Herrn, oder?«, bellte er schwer atmend und beide nickten eifrig. »Und glaubt ihr an den Klabautermann?« Wieder nickten die Jungs. »Hast du Angst vor dem Klabautermann?« Er fixierte Jonathan.

»Oh …? Oh, nein mein Herr, gewiss nicht«, stammelte Jonathan, da ihm nichts Besseres einfiel.

»Das rate ich dir aber«, fuhr ihn der Mann mit kalter Stimme an. »Demut vor dem Herrn und Angst, ja Angst vor dem Klabautermann.«

»Warum sollen wir Angst vor dem Klabautermann haben? Ich denke, er hilft beim Bau der Schiffe und ist ein gutmütiger Kobold«, sagte Dirk forsch.

Der Alte kam Dirk so nah, dass sich ihre Nasenspitzen berührten. »So, und was glaubst du noch zu wissen, Narbengesicht?«

Dirk versuchte, vor dem Mann zurückzuweichen, und mit einer nicht mehr ganz so selbstsicheren Stimme antwortete er: »Hört man ihn nachts auf dem Schiff klopfen, bleibt er und wenn er hobelt, geht er. Sobald er sich aber zeigt, droht dem Schiff Gefahr.«

»Ganz recht Junge. Seht ihr ihn, droht dem Schiff Gefahr. Nur ist es dann bereits zu spät. Und das Einzige, wobei er dir hilft, ist schneller tot zu sein. Ich fahre schon mein ganzes Leben zur See. Darum hört auf meine Worte und merkt euch eins: Der Klabautermann ist eine finstere Kreatur. Der macht sich einen Spaß daraus Seeleute zu quälen und zu töten, um…«

»Herr van der Neer, sie jagen den Kindern doch keine Angst ein?«, fragte eine ruhige Stimme hinter Jonathan.

»Oh nein. Gewiss nicht … mein Herr … Steuermann Amsterdam. Ich kläre die Bengel nur über die Gefahren der Seefahrt auf.« Er gab sich Mühe, eine straffe Haltung einzunehmen, was ihm jedoch nicht gelang, da seine linke Schulter runter hing.

Herr Steuermann Amsterdam hatte schütteres, graues Haar und tief hängende Augenlider. Er war nicht größer als van der Neer. Im Gegensatz zu ihm strahlte der Steuermann aber eine Aura des Respekts aus die Jonathan Ehrfurcht einflößte. Ebenso wie Steuermann Jensen, trug er einen schwarzen Filzmantel mit Kapuze, auf dem das Wappen der Kompanie gestickt war.

Sein Blick wanderte vom Seemann hinunter zu Jonathan und Dirk. »Aha! Du bist Jonathan, richtig?« Seine Stimme war ruhig und vertrauenerweckend.

»Ja, mein Herr.«

»Und du bist Dirk.«

Dirk nickte selbstbewusst. »Ja, Herr Steuermann.«

»Ich habe nicht angenommen, dich noch einmal wiederzusehen, nachdem du vom Krähennest herunter gekotzt hast.«

Überrascht sah Jonathan zu Dirk.

»Oh doch, mein Herr«, antwortete Dirk, ohne die geringste Spur von Verlegenheit.

Amsterdam nickte zufrieden und wandte sich erneut an van der Neer. »Piet.«

Der Seemann straffte sich augenblicklich. »Ja, mein Herr?«

»Zeig den beiden wo sie schlafen, und gib ihnen Arbeit, damit sie nicht im Weg herumstehen.«

»Ja, mein Herr.« Piet nickte, wirkte jedoch nicht sonderlich begeistert.

»Gut.« Der Steuermann machte kehrt, hielt dann aber inne. »Der da«, er zeigte auf Jonathan, »gehört dem Kapitän. Er hat sich später bei ihm in der Hütte zu melden.«

»Ja, mein Herr.«

»Ach, und Herr van der Neer: Ängstigen sie die Kinder bitte nicht. Verstanden?!«

»Nein, mein Herr. Ich meine, ja, mein Herr«, stotterte Piet unterwürfig, verdrehte jedoch die Augen, nachdem sich Amsterdam endgültig abgewandt hatte. »Ängstigen sie die Kinder bitte nicht«, äffte er die Stimme des Steuermanns nach. »Ich brauche denen gar keine Angst einzujagen. Die bekommen sie früh genug von ganz alleine. Oh, ich spüre es in meinen Knochen, dies wird eine Fahrt ohne Wiederkehr.«

Jonathan sah mit bangem Blick zu Dirk, der den Kopf schüttelte und sich unauffällig an die Stirn tippte.

»Dann kommt mal mit, ihr Bengel«, röchelte Piet.

»Du hast vom Ausguck gekotzt und du kannst nicht schwimmen und du bist trotzdem hier?«, fragte Jonathan leise. Er war sich nicht sicher, ob er Dirk für den Mut bewundern oder wegen seiner Dummheit bedauern sollte.

»Das war halb so wild.« Dirk imitierte eine Wegwerfgeste. »Man gewöhnt sich daran.«

Bei dem Gedanken daran, wie hundsmiserabel es ihm selber oben im Ausguck gegangen war, hoffte Jonathan, dass sein Freund recht behalten möge.

 

Sie folgten Piet, der sein linkes Bein nachzog, was Jonathan aber nur am Rande auffiel. Es gab weitaus Spannenderes zu sehen. Zwei Beiboote lagen vertäut auf dem Deck und die große Bodenluke, war mit Brettern verschlossen worden. Dafür stand jetzt eine kleine quadratische Luke offen, die gestern noch mit einem Gitter abgedeckt war.

Zu Jonathans Verwunderung hielt Piet geradewegs darauf zu. Wo wollte er hin? Der Steuermann hatte ihm aufgetragen, ihnen ihre Schlafplätze zu zeigen. Warum brachte er sie nicht zu den Aufbauten?

Vom Rand der Luke führte eine steile Treppe in die Tiefe.

»Ein Niedergang«, raunte Dirk mit Kennermiene. »So nennt man die Treppen auf einem Schiff.«

Piet stieg besagten Niedergang hinab und die Schiffsjungen folgten ihm unschlüssig. Sie gelangten in einen zwar großen, aber beängstigend niedrigen Raum. Er schien vom Bug bis zum Heck zu reichen, verlor sich jedoch in der Dunkelheit. Das einzige Licht kam von einer kleinen Laterne an der Wand. Hinter verschlossenen Geschützpforten standen zu beiden Seiten die Kanonen. Überall dazwischen waren Hängematten aufgespannt. Jedes bisschen Platz wurde für sie ausgenutzt. Die unteren berührten fast den Boden, die obersten hingen nur wenige Handbreit unter der Decke und der Abstand zwischen ihnen, betrug höchstens eine Armlänge. Dazwischen türmten sich haufenweise Kisten, über die man hinweg steigen musste, da sie sämtliche Wege versperrten.

Jonathan lief es kalt den Rücken hinunter. Das war auf gar keinen Fall ernst gemeint. Hier würde er unmöglich Schlaf finden. Selbst in einem Kuhstall war es gemütlicher und vor allem roch es dort besser. Der Gestank hier unten, erinnerte ihn an das nasse Fell eines Hundes und er fragte sich, wie es erst sein mochte, wenn hier überall Leute schliefen.

»Das hier ist das Orlopdeck. Hier pennen die Matrosen«, keuchte Piet. »Aber ihr seid keine Matrosen und hier ist auch kein Platz mehr. Sucht euch also einen Schlafplatz draußen auf dem Hauptdeck oder unten auf der Kuhbrücke. Meinetwegen auch im Laderaum, zwischen Brennholzlager und Pulvermagazin, ist mir egal. Irgendwo da unten steht eine Seemannskiste für euch. Fragt mich aber nicht wo.« Er gab ein fürchterliches Geräusch von sich, was wohl ein Lachen war, in Jonathan Ohren aber eher dem Klagelaut eines gequälten Esels nachkam, und stieg die Stufen wieder hinauf.

Jonathan sah ungläubig zu Dirk, doch der schien kein bisschen überrascht zu sein. Er nickte voller Vorfreude darauf, sich seinen Schlafplatz zu suchen. Aller Voraussicht nach auf dem harten Boden. Hoffentlich ließ Dirk sich etwas einfallen.

 

Nachdem Piet ihnen gezeigt hatte, wo sie nicht schliefen, trennten sich ihre Wege. Dirk blieb bei einem übellaunigen Kahlkopf auf dem Hauptdeck. Er hieß Klaus Peper und betrachtete Dirk mit seinen großen Glubschaugen wie ein ordentlich abgehangenes Stück Fleisch.

Piet scheuchte Jonathan, auf ein höher liegendes Deck, im hinteren Teil der Annemarie. Der Matrose überquerte es trotz seines steifen Beins schnell und Jonathan musste beinahe rennen, um mitzuhalten. Er folgte ihm zu Tür, in der Mitte der oberen Aufbauten. Zwei Laternen tauchten sie in trübes Licht. Mit ihrem silbrig glänzenden Knauf und einem kleinen Fenster verriet sie Jonathan, dass sich etwas Besonderes hinter ihr verbarg.

»Da rein«, sagte Piet knapp. »Den Gang entlang, geradeaus auf die Tür zu. Dort befindet sich die Hütte, verstanden?« Ohne eine Antwort abzuwarten, humpelte er zurück zur Treppe.

Jonathan sah ihm nach, bis er sie hinabgestiegen war. Jetzt stand er einsam und verlassen auf dem Deck und genauso fühlte er sich auch - alleine. Es war immer noch dunkel und die Laternen warfen gespenstische Schatten. Mit laut klopfendem Herz erinnerte er sich an die Worte des Steuermanns. »Der da gehört dem Kapitän.« Was hieß das für ihn? Was würde der Kapitän von ihm verlangen und warum hatte Piet ihn nicht bis zur Hütte begleitet? Ratlos tippelte Jonathan von einem Bein aufs andere. Er raffte all seinen Mut zusammen, atmete tief durch und öffnete die Tür.

 

Von dem Korridor, der sich dahinter auftat, führten drei weitere Türen ab. Die von Piet benannte, am Ende des Flurs, und eine auf jeder Seite in der Mitte. An den Wänden dazwischen hingen vier große, dunkle Holzschnitte. Die ersten zeigten unterschiedliche Schiffe, die hinteren die Wappen der Städte Amsterdam und Enkhuizen.

Leise schloss Jonathan die Tür und Dunkelheit umgab ihn. Durch das kleine milchige Fenster drang kaum Licht, doch eine Laterne oder einen Kerzenhalter suchte man vergebens. Feuchte Kälte lag in der Luft.

Fröstelnd schritt Jonathan den Gang entlang. Neben den ersten beiden Türen hingen kleine Messingschilder. Auf dem linken waren die Worte: »Oberkaufmann Fritz Hansen« eingeprägt, von dem Schild der rechten Tür entzifferte er: »Unterkaufmann Jacop de Vries«.

Das Schild neben der letzten Tür war entfernt worden. Jonathan blieb vor ihr stehen und horchte. Möglicherweise war der Kapitän gar nicht in der Hütte. Eine leise Hoffnung keimte in ihm auf. Wenn niemand öffnete, konnte er zurück an Deck gehen und bestimmt bot sich ihm noch die Gelegenheit, klammheimlich vom Schiff zu verschwinden. Aber dieser Gedanke war Unsinn. Vorsichtig klopfte er an und die Tür wurde augenblicklich vom bärtigen Kapitän geöffnet.

Wijnvoord nickte und Jonathan trat zögernd in die hell erleuchtete Hütte. Was geschah jetzt? Was verlangte oder erwartete der Kapitän von ihm? Musste er ihm noch einmal Rede und Antwort stehen? Vermutete Wijnvoord, dass er doch nur ein Dieb war, der eine Geschichte erfunden hatte, um seiner Bestrafung zu entgehen? Zumindest warteten keine Stadtwachen, die ihn ins Gefängnis stecken. Das Geräusch der ins Schloss fallenden Tür, ließ ihn trotzdem zusammenzucken. Er saß in der Falle.

Der Kapitän ging zu einem nussbraunen Schrank, der sich über die gesamte rechte Wand erstreckte, und lehnte sich an. Bei jedem Schritt gaben die Absätze seiner Stiefel ein dumpfes, einschüchterndes Klock von sich. Er verschränkte die Arme vor der Brust und studierte Jonathan eindringlich.

Eine schier endlose Zeit verstrich und Jonathan schluckte schwer. Er vermochte dem Drang, zur Tür hinauszustürmen und auf nimmer wiedersehen zu verschwinden, nur mit großer Mühe zu widerstehen.

»Also«, sagte der Kapitän mit pragmatischer Stimme. »Hol dir einen Eimer mit Wasser und eine Bürste. Schrubbe die Böden hier in der Hütte, auf dem Gang und in den Kammern von Oberkaufmann Hansen und Unterkaufmann de Vries. Und da drinnen«, er deutete auf eine Schiebetür links im Zimmer, »hast du nichts zu suchen. Du lässt die Tür besser verschlossen, verstanden?«

»Ja, Herr Kapitän«, antwortete Jonathan mit trockener Kehle.

»Gut.« Wijnvoord nickte und verließ die Hütte.

Das war alles? Hol dir einen Eimer und schrubbe die Böden? Verwundert aber erleichtert sah Jonathan dem Kapitän nach.

 

Kapitel 9

Am Morgen des 22. Oktober 1628 stach die Annemarie vom Hafen in Enkhuizen aus in See. Mit einhundertzweiunddreißig Mann Besatzung, macht sich das Segelschiff auf die gefahrvolle Reise ins Ungewisse. Es war ein trüber Tag. Der Nebel hielt sich dicht über der Zuidersee und erst auf der Nordsee klarte es allmählich auf.

Doch von alledem bekam Jonathan nichts mit. Nachdem ihm der dicke Schiffszimmermann Ari Bernstein gezeigt hatte wo Eimer und Bürste zu finden waren, schrubbte er den Boden. Eine breite Fenstergalerie und brennende Laternen an den Wänden, sorgten für ein warmes Licht im kühlen Arbeitszimmer. Der Raum war nicht sonderlich groß, dafür aber vollgestopft mit allerlei wichtig aussehenden Gegenständen, die für ihre Reise mit ziemlicher Sicherheit von unschätzbarem Wert waren. Ein breiter Schreibtisch, auf dem eine entrollte Karte und zwei merkwürdige Instrumente aus Messing lagen, nahm den meisten Platz ein. Er stand nahe der Tür, die für Jonathan tabu war und er überlegte, dass sich hinter ihr Wijnvoords Kammer versteckte, und dass es mit aller größter Sicherheit besser war, die Tür tunlichst geschlossen zu halten. Andererseits bohrte aber die Frage, was Wijnvoord vor ihm verbarg. Doch was es auch war, es konnte warten. Die Hütte alleine war vorerst interessant genug. Zum Schreibtisch gehörte ein schwerer Lehnstuhl, der mit schwarzem Stoff bezogen war.

Würde der Kapitän lange fortbleiben? Ein kurzer, abschätzender Blick zur Tür und Jonathan setzte sich auf den Stuhl. Er war warm und weich. Versonnen strich Jonathan über die Lehnen. Mit solchen Annehmlichkeiten konnte man sich wirklich nicht beklagen. Er reckte sich, um von seinem Platz aus über den gewaltigen Schreibtisch hinwegzuschauen. Dabei fiel sein Blick auf einen großen Kartenständer, der neben der Eingangstür stand. An ihr war eine Karte befestigt, die Enkhuizen, die Zuidersee und einen Ausschnitt der Nordsee mit einer kleinen Insel zeigte - das vermutet Jonathan zumindest. Er schrieb seinen Namen zwar fehlerfrei und las einzelne Worte, um eine Seekarte zu studieren, reichten seine Fähigkeiten aber bei weitem nicht.

In einer Ecke des Arbeitszimmers stand ein Sekretär, auf dem dicke Kerzen lagen. Ihm gegenüber gab es einen kleinen Tisch mit vier Stühlen daran. Er stand vor dem großen Schrank, dessen geheimnisvoller Inhalt hinter hohen Türen und einer Vielzahl von Schubladen verborgen lag. Todsicher würde sich ein Blick dort hinein lohnen. Doch zuvor galt es den Boden zu schrubben.

 

Jonathan war eine ganze Weile beschäftigt, ehe der Kapitän zurückkam und seine Arbeit begutachtete. Irgendwann nickte er. »Einverstanden. Ich denke, du bist unser neuer Kabinenjunge. Du wirst in erster Linie befolgen, was wir, dass heißt ich, die Steuermänner und die Kaufleute dir auftragen. Du sorgst für Sauberkeit und Ordnung in den Kammern der Kaufleute und Assistenten, des Hochbootsmanns und der Steuermänner, des Profost und der Kadetten. Zudem reinigst du die Hütte und den Salon. Du erledigst gegebenenfalls Botengänge für uns und servierst der Schiffsführung das Essen. Wenn ich oder die Kaufleute keine Aufgabe für dich haben, meldest du dich beim Koch. Du hilfst ihm bei seiner Arbeit und säuberst zudem die Aborte.«

»Ja, mein Herr«, antwortete Jonathan pflichtbewusst und wohlwissend, dass er nichts weiter war als ein Dienstmädchen.

 

In diesem Augenblick klopfte es an der Tür und sie öffnete sich, ehe der Kapitän etwas sagte. Zwei Männer in fein gewebten Rüschenhemden und Kniebundhosen traten ein. Jonathan hatte sie zuvor noch nicht gesehen, er vermutete aber, die Kaufleute vor sich zu haben.

»Herr Kapitän«, sagte der größere von beiden mit nasaler Stimme. »Ich setzte sie darüber in Kenntnis, dass eine Delegation aus Texel, im Verlauf des Nachmittags, zu uns an Bord kommen wird. Wir wünschen, von niemandem gestört zu werden - auch von ihnen nicht. Sorgen sie dafür.«

Er sprach blasiert und herablassend, doch Wijnvoord schien es nicht anders gewohnt.

»Gibt es sonst noch etwas?«, fragte er kalt.

»In der Tat«, sagte der kleinere spitz und sah sich mit widerwilligem Gesichtsausdruck um. »Sorgen sie dafür, dass hier sauber gemacht wird.«

»Jawohl.« Wijnvoord nickte und beide Männer verschwanden, ohne ein weiteres Wort zu sagen.

»Widerliche, arrogante Pfeffersäcke«, zischte der Kapitän, kaum dass die Tür geschlossen war. Er drehte sich um und sah auf Jonathan herab, dessen Herz ins Stocken geriet. Pure Wut stand im Gesicht des Kapitäns geschrieben und was nun geschah, passierte so schnell, dass Jonathan es gar nicht bemerkt hätte, wenn es nicht so schmerzhaft gewesen wäre. Er sah nur einen flüchtigen Schatten und gleich darauf traf ihn die Hand des Kapitäns mit voller Härte im Gesicht. »Was glotzt du Löcher in die Luft? Schrubbe die Böden, sonst setzt es weitere Prügel!« Er rauschte hinaus und die Tür fiel krachend ins Schloss.

Jonathan wurde zuerst heiß, dann kalt. Seine linke Gesichtshälfte pochte und als er die Bürste aufhob, zitterten ihm die Hände. Tränen stiegen ihm in die Augen. Es war, weiß Gott, nicht das erste Mal, dass man ihn schlug. Wenn er vergessen hatte das Gatter des Schweinepferchs zu schließen, oder er sich vor dem Ausmisten der Ställe drückte, hatte es vom Vater was auf den Hosenboden gegeben. Doch heute war es das erste Mal in seinem Leben, dass er zu Unrecht bestraft worden war.

Mit festem Griff umklammerte er die Bürste und scheuerte mit aller Kraft über den Grund. Das war also die Schiffshierarchie. Was war er nur für ein Narr? Ehe die Kaufleute aufgetaucht waren, hegte er die schwache Hoffnung, das Schicksal habe sich zum Guten gewendet. Inzwischen wünschte er sich, niemals an die verdammte Hüttentür geklopft zu haben, sondern stattdessen abgehauen zu sein. Warum ließ Wijnvoord so mit sich umspringen? Er war immerhin der Kapitän der Annemarie. Doch Jonathan kannte die Antwort. Die Kaufleute waren die Machthaber auf dem Schiff. Sie vertraten die Schiffseigner, sie sorgten für die Bezahlung der Besatzung und sie herrschten über alles und jeden an Bord. Auch über den Kapitän.

 

Kapitel 10

Wie ein aufgescheuchtes Huhn stolzierte Unterkaufmann Jacop de Vries in Hansens Kammer auf und ab. Bei jedem Schritt gaben die Sporen seiner Stiefel ein metallisches Klirren von sich. »Ich weiß nicht, ob die Idee so gut war. Mich macht diese ganze Sache nervös. Seit Tagen bekomme ich kein Auge mehr zu.«

»Was meinen sie damit?« Der fünfundzwanzigjährige Oberkaufmann Fritz Hansen lag auf seinem Bett und folgte de Vries mit den Augen. »Wollen sie den Schwanz einziehen?«

De Vries sah auf ihn hinab. Hansens Stimme passte vortrefflich zu seinem Charakter, dachte de Vries. Nasal und blasiert. Sie alleine reichte aus, um einem den Tag zu vermiesen. Er hasste sie und er hasste Fritz und er hasste die ganze Hansensippe. Die ach so reiche Hamburger Kaufmannsfamilie, die nach Amsterdam ausgewandert war, als Fritz noch auf Fritzchen hörte. Sein Vater, der ehrenwerte Gottlieb Hansen, schleimte sich in jenen Tagen bis in die erlesenen Kreise der Kompanie hoch und davon profitierte jetzt sein Sprössling.

Kopfschüttelnd blieb de Vries stehen und das Klimpern erstarb. »Nein, ich ziehe den Schwanz nicht ein.«

»Dann setzen sie sich endlich hin. Von ihrem ewigen hin und her laufen, werde ich noch ganz krank«, schnarrte Hansen und strich sich über seinen schmalen Oberlippenbart. Zusammen mit dem spitzen Kinnbart folgte er mit seinem Aussehen der aufkommenden Mode jener Kreise, in denen er zu verkehren pflegte.

 

Unterkaufmann de Vries nahm seinen Degen ab und lehnte ihn an die Wand. Dann sank er auf einen Stuhl und begann an einem Knopf seiner stramm sitzenden Jacke zu nesteln.

Hansen verkniff sich ein Grinsen. Das Kleidungsstück war aus einem teuren Stoff gefertigt, guter Geschmack ließ sich aber offensichtlich nicht für Geld kaufen.

»Es ist gefährlich. Wenn ich darüber nachdenke, was alles schiefgehen kann, kack ich mir in die Hose«, sagte de Vries.

»Das fällt ihnen jetzt ein? Ein bisschen spät, meinen sie nicht?« Hansen drehte sich auf die Seite und musterte ihn missbilligend. De Vries war fünf Jahre älter als er selber und entstammte einer altehrwürdigen Rotterdamer Familie. Durch ihre Beziehungen hatte Jacop es bis zum Unterkaufmann gebracht. Was ihn, mit seiner immensen Körperfülle und dem langen, gezwirbelten Oberlippenbart, der mit Unmengen Wachs in Form gehalten wurde, allerdings auf ein Handelsschiff zog, war Fritz schleierhaft. Dies war de Vries erste Überfahrt und er vermutete, dass der Unterkaufmann keinen blassen Dunst davon hatte, was ihn in den nächsten Monaten erwartete. Hansen konnte de Vries nicht ausstehen und er überlegte immer häufiger, ob die Entscheidung, ihn als Unterkaufmann an Bord haben zu wollen, wirklich so gut gewesen war. Er hielt zwar gerne die Hand auf und im Gegenzug dafür den Mund geschlossen, doch wenn er jetzt kalte Füße bekam und einen Rückzieher versuchte, konnte es durchaus ungemütlich werden. »Ich gab ihnen im Vorfeld genug Zeit, ihre Bedenken zu äußern. Wir haben alles durchdacht und jede Eventualität berücksichtigt. Es kann überhaupt nichts …«

»Aber Wijnvoord ist ein misstrauischer Hund. Sie hätten mich darüber informieren müssen, dass er der Kapitän ist.«

»Der ist das geringste Problem. Er hat Schwachpunkte, die uns in die Hände spielen. Er benötigt dringend Geld und wenn er nicht spurt, war das seine letzte Fahrt auf hoher See. Ein Gefühl, das er zur Genüge kennt.«

»Aber er ist charakterstark und lässt sich nichts sagen. Meiner Meinung nach wäre Kapitän Jakobsz eine bessere Wahl gewesen.«

»Jakobsz ist ein Waschlappen, der uns ohne zu zögern bei der Kompanie angezeigt hätte. Seien sie versichert, Wijnvoord ist der Richtige. Warum hätte ich mich sonst so bemüht, ihn an Bord zu bekommen? Wissen sie, wen ich alles ins Gebet nehmen musste, damit Ariaen Jakobsz auf die Batavia versetzt wurde und wir den einzigen Kapitän bekamen, der in Enkhuizen zur Verfügung stand?«, fragte Hansen.

»Kapitän ist ja wohl übertrieben. Wijnvoord war seit Jahren nicht mehr für die Kompanie tätig. Sie wissen, was auf seiner letzten Fahrt geschehen ist, nehme ich an?«

»Er wurde nie schuldig gesprochen«, antwortete Hansen.

»Es befinden sich aber nicht nur Idioten auf dem Schiff«, hielt de Vries dagegen. »Es gibt erfahrene Männer an Bord. Steuermann Jensen zum Beispiel. Und die dürften sich fragen, warum Wijnvoord als Kapitän verpflichtet wurde.«

»Die werden der Überzeugung sein, es hat mit den letzten Entwicklungen in der Kompanie zu tun. Und so lange Wijnvoord sich diese Frage nicht selber stellt, brauchen wir uns nicht sorgen.«

»Wenn unser Vorhaben auffliegt, war es das mit uns«, warf de Vries mit finsterer Miene ein.

»Daran hätten sie denken sollen, bevor sie zugestimmt haben.«

»Wir können immer noch zurück. Noch ist es nicht zu spät«, überlegte de Vries, doch Hansen schüttelte entschieden den Kopf.

»Das wäre für uns ebenso das Ende und das wissen sie.«

»Aber wir …«, setzte der Unterkaufmann erneut an, doch Hansen ließ ihn nicht ausreden.

»Wir haben eine Absprache getroffen und an die werden wir uns halten. Avis Nannings gehört nicht zu den Menschen, die man enttäuscht.«

»Trotzdem ist es klüger, vorerst den Kopf einzuziehen. In den Kammern herrscht große Unruhe. Die Abstimmung war ein Fiasko. Das Ergebnis ist ihnen bekannt, nehme ich an?«

Hansen nickte und der Anflug eines Lächelns huscht über sein Gesicht.

»Ja, ihnen ist das scheißegal«, zischte de Vries wütend. »Mir hingegen ist das Lachen gründlich vergangen. Die Abstimmung war Betrug und verstößt gegen alle moralischen Sitten. Aus Protest über diese Absurdität ziehe ich in Betracht, die Annemarie zu verlassen.«

»Wir wissen beide, dass sie die Annemarie nicht verlassen. Moralische Sitten hin oder her.«

»Selbstverständlich nicht«, entgegnete de Vries. »Aber jeden Augenblick könnte ein Gesandter der Rotterdamer Kammer eintreffen und mir genau diese Anweisung geben. Bedenken sie: Eine Handelskompanie, wie wir sie kennen, existiert bei unserer Wiederkehr möglicherweise nicht mehr.«

»Meine Familie stammt aus Hamburg. Das Ende oder ein Fortbestand der Kompanie ist nicht wichtig. Wenn sie sich jedoch um ihr Familienvermögen sorgen, gehen sie meinetwegen von Bord. Retten sie, was zu retten ist. Wenn sie aber lieber hierbleiben, wünsche ich volle Konzentration auf unser Vorhaben. Wir haben ein hervorragendes Schiff, eine einfältige Mannschaft und vor allem, dank mir, den richtigen Kapitän. Wenn wir erst einmal auf dem Meer sind, wird niemand mehr Fragen stellen und wenn doch, wissen sie, was zu tun ist. Also lehnen sie sich zurück und freuen sie sich über das kleine Extra. Unter Umständen brauchen sie es ja bald ebenso dringend, wie unser Kapitän.«

»Und sie lassen sich nur aus Mildtätigkeit auf dieses Wagnis ein, was?« De Vries stand auf und legte seinen Degen an.

Hansen beobachtete ihn kopfschüttelnd. Er selbst trug keine Waffen, außer es ließ sich nicht vermeiden. Doch einen Degen würde er mit Sicherheit nicht tragen. Auf einem engen Schiff waren sie im Kampf eher hinderlich, als todbringend.

 

Kapitel 11

»Was geschieht jetzt?« Jonathan stand neben Dirk und schaute verständnislos über die Reling.

Soeben war der Anker zu Wasser gelassen worden und nun lag die Annemarie, umgeben von weiteren Seglern, in einer Bucht vor der Insel Texel.

»Unser Schiff ist zu groß um im Hafen anzulegen. Sie würde im seichten Wasser auf Grund laufen«, erklärte Dirk. »Das hat mir ein Matrose erzählt. Er nannte es: Auf Reede vor Anker gehen, oder so ähnlich.«

Jonathan sah seinen Freund skeptisch an, doch es schien zu stimmen, denn die Annemarie lief in der Tat nicht im Hafen ein. Stattdessen hielt ein Segelboot auf sie zu. Es war eines von der Sorte, die Jonathan in Enkhuizen gesehen hatte. Dirk nannte sie eine Schaluppe. Der Kahn setzte drei ältere, und augenscheinlich sehr wohlhabende, Männer zur Annemarie über. Die Kaufleute begrüßten sie und führten sie in die Hütte. Der Kapitän war nicht dabei. Er verschwand, nach dem Anlegen der Schaluppe, mit griesgrämiger Miene im Back.

»Was sind das für Leute?« Dirk verrenkte sich beinahe den Hals, um ihnen hinterher sehen zu können.

»Kaufleute von Texel«, antwortete Jonathan und er erzählte, was morgens in der Hütte geschehen war.

Nachdem er geendet hatte, sah Dirk ihn mit finsterer Miene an. »Glaube mir, es endet stets katastrophal, wenn die Schiffsführung im Streit liegt. Zum Schluss ist es immer die Besatzung, die den Kopf dafür hinhält«, sagte er in einem Ton, der mutmaßen ließ, er habe das schon ein dutzend Mal erlebt.

 

Nachdem die Kaufleute in der Hütte verschwunden waren, nutzen Jonathan und Dirk die Zeit, um sich auf der Annemarie umzusehen. Dabei spielte Dirk den Lehrer und Jonathan versuchte sich als aufmerksamer Schüler.

»Wir stehen hier auf dem Hauptdeck, dem größten der oberen Decks«, begann Dirk in gewichtigem Ton. »Den vorderen Teil des Schiffes nennt man Bug, der hintere heißt Heck.«

»Aha.« Jonathan nickte und fragte sich gleichzeitig, für wie dumm Dirk ihn hielt.

»Dreh dich mal zum Bug.«

Jonathan folgte der Anweisung. So schnell wollte er die Hoffnung, von Dirk etwas zu lernen, nicht aufgeben.

»Jetzt hebe deine rechte Hand. Das ist die Steuerbordseite des Schiffes. Links ist die Backbordseite. Seeleute sagen niemals linksoder rechts. Sie sprechen von Steuerbord und Backbord. Und diese wechseln selbst dann nicht, wenn du dich zum Heck drehst. Die Seite auf die du jetzt gerade deutest, ist weiterhin Steuerbord und sie bleibt es, ganz gleich, in welche Richtung du schaust.«

Wieder antwortet Jonathan mit einem: »Aha!« Doch dieses Mal hatte er tatsächlich etwas gelernt.

Als Nächstes zeigte Dirk auf den Aufbau am Bug des Schiffes. »Das ist die Back. Darin ist die Werkstatt für die Handwerker untergebracht.«

Dies wusste Jonathan bereits. Aus einem kleinen abgetrennten Lagerraum hatte er sich den Putzeimer und die Bürste geholt. Das behielt er aber lieber für sich.

»Mit dem Niedergang, der am Back befestigt ist, gelangt man auf das Backdeck. Eine weitere Leiter auf der anderen Seite der Back führt hinunter zur Spitze des Schiffes, dem Galion. Dort findest du die Lokusse der Besatzung und ganz vorne, der Mast, der schräg übers Wasser hinaus ragt, ist der Bugspriet.«

Jonathan wusste von seinem kurzen Besuch im Back, dass es eine Tür gab, durch die man ebenfalls auf das Galion gelangte. Dirk schien davon jedoch keine Ahnung zu haben, denn ein solch wichtiges Detail hätte er ums Verrecken nicht ausgelassen.

»Die kleine Luke dort führt hinab auf das Orlopdeck, darunter liegt die Kuhbrücke und ganz unten, ist der Laderaum, aber das weißt du ja bereits.«

Jonathan nickte. Er hätte Dirk gerne nach den Kanonen gefragt, die auf den Orlopdeck standen, doch dazu ließ Dirk ihm keine Gelegenheit.

»Siehst du die breite Tür in der Mitte?« Er deutete auf den hinteren Aufbau, in dem sich noch zwei weitere Türen befanden. »Das ist die Steuerpflicht. Mit dem Kolderstock wird die Ruderpinne bewegt. Während der Fahrt steht die Tür selbstverständlich offen.«

»Aha, die Steuerpflicht.« Jonathan nickt, obwohl er nicht die Spur einer Ahnung davon hatte, was Dirk meinte.

»Was hinter den anderen beiden Türen ist, weiß ich aber nicht«, raunte Dirk, und etwas geheimnisvolles, fast schon mystisches, schwang in seiner Stimme mit. »Man hat mir gesagt, dass ich meine neugierige Nase nicht überall hineinstecken soll, wenn sie mir gefällt, wie sie ist.«

Jonathan verkniff sich ein Grinsen. Er selber wusste es, aber Dirk nicht. Hinter der Tür auf Steuerbord versteckten sich die Unterkünfte der Steuermänner und Assistenten, des Profost, der beiden Kadetten und des Hochbootsmanns. Insgesamt acht kleine Kammern, für deren Sauberkeit er verantwortlich war. Die Tür auf der Backbordseite führte in den Salon. Dort pflegte die Schiffsführung zu speisen. Doch auch dies wollte er Dirk jetzt nicht verraten. Stattdessen hörte er ihm weiterhin zu, denn es gab noch vieles zu lernen.

Neben den beiden äußeren Türen führten zwei Niedergänge auf ein höher gelegenes Deck. Dirk erklomm eine von ihnen und Jonathan musste sich sputen, um Schritt zu halten.

»Das ist das Achterdeck«, rief er und eilte zu der Tür, durch die kurz zuvor die Kaufleute mit der Delegation verschwunden waren. »Und hier«, seine Augen funkelten erwartungsvoll, »ist das Poop. Darin sind die Hütte und die Kammern des Kapitäns und der Kaufleute untergebracht.«

Jetzt wurde es Jonathan doch zu blöde. »Was du nicht sagst. Wo glaubst du, habe ich den ganzen Morgen herumgelungert?«

»Ich weiß, dass du es weißt. Und jetzt erzähl mal. Wie ist es da drinnen.«

»Äh, was?« Jonathan war verwirrt. »Im Grunde gibt es da nichts …«

Doch Dirk ließ ihn nicht ausreden. Mit leicht hysterischer Stimme fragte er: »Stimmt es, dass die Wände im Poop aus purem Gold bestehen?«

»Was?« Jonathan vermutete zuerst, Dirk wolle ihn auf den Arm nehmen, der Glanz in seinen Augen verriet ihm allerdings, dass er es ernst meinte. Hatte er Dirk womöglich für intelligenter gehalten, als er es in Wirklichkeit war? Jonathan zog eine Braue hoch.

»Oh.« Dirk war offenkundig enttäuscht. Nach einer kurzen Pause schüttelte er aber den Kopf. »Hab ich mir gedacht«, sagte er trotzig. »Das Deck auf dem Poop nennt sich übrigens Poopdeck.« Dann drehte er sich um. »Der Mast, den du über dem Backdeck siehst, heißt Fockmast, und der dort«, Dirk deutete auf den Mast, den Jonathan bereits näher kennenlernen durfte, »ist der Großmast. Schluss letztlich gibt es dann noch den Besanmast auf dem Achterdeck. Die Querstangen, an denen die Segel befestigt werden, heißen Rahen. Ist extrem gefährlich, an ihnen entlang zu klettern. Aber davor habe ich keine Angst.«

Dirk redete wie ein Wasserfall und Jonathan fiel es immer schwerer, all seinen Erklärungen zu folgen. Daher war er ziemlich erleichtert, als Hansen und de Vries zurück aufs Deck kamen und Dirk den Unterricht beendete.

Den Kaufleuten folgte die Delegation aus Texel. Sie verabschiedeten sich voneinander und die Schaluppe kehrte nach Texel zurück.

»Das waren ausgezeichnete Geschäfte«, sagte Oberkaufmann Hansen mit zufriedener Miene, nachdem das kleine Schiff abgelegt hatte. Er stolzierte zum Kapitän, der auf dem Backdeck stand und den Steuermännern Anweisungen gab. »Kapitän Wijnvoord«, rief er in blasiertem Ton. »Hier haben sie die Liste mit den Handelsgütern, die wir an Bord nehmen werden.« Er hielt dem Kapitän einen Bogen Papier hin. »Sie tragen Sorge, dass dies bei Zeiten und zu unserer Zufriedenheit erledigt wird.«

Wijnvoord nahm das Verzeichnis an sich, überflog es und nickte. Dann rollte er das Papier zusammen, gab es an Steuermann Jensen weiter und ging in die Hütte. Hansen und de Vries wechselten unschlüssige Blicke und folgten ihm.

»Ich glaube, ich geh wieder an die Arbeit«, sagte Jonathan, nachdem die Tür zugefallen war.

»Das hat Zeit. Jetzt zeig ich dir erst einmal unser Bett.«

Durch Luken und über steile Niedergänge folgte Jonathan Dirk, auf die Kuhbrücke. Hier war es noch dunkler, als auf dem Orlopdeck, doch der Geruch war identisch. Ungläubig sah Jonathan sich um. Das Deck war so niedrig, dass er es nur gebückt durchqueren konnte. Dennoch hing auch hier, zwischen gestapelten Säcken und Fässern, dicht gedrängt, Hängematte an Hängematte. Dirk bahnte sich einen Weg ans Ende des Zwischendecks und blieb vor einer massiv aussehenden Wand stehen.

»Wir sind am Bug, oder?« Jonathan war flau im Magen.

»Nicht ganz. Vorne, im Bug, ist das Gefängnis.« Er schlug mit der Faust gegen die Holzwand.

»Es gibt hier ein Gefängnis?«

»Ja, aber glaube mir, da drin möchtest du nicht schlafen. Der Einstieg führt über eine Luke im Orlopdeck und der Niedergang reicht bis in den Laderaum hinab. Die Matrosen nennen es das Loch. Dann schlaf ich doch lieber hier.« Mit einer einladenden Geste deutete Dirk auf eine Stelle neben sich und Jonathan wurde schwindelig. In eine Nische zwischen Bordwand und Wasserfässern, war der Boden mit leeren Säcken ausgelegt.

»Oh nein«, stöhnte er, als er begriff, was Dirk mit »Bett« meinte. »Ich will wieder nach Hause.« Wie gemütlich war doch der Alkoven gewesen, den er sich mit seiner Schwester teilte.

»Weiß gar nicht, was du hast. Ist doch ein gemütliches Eckchen, fasst wie im Lagerhaus. Oh, und sieh mal, was ich gefunden haben.« Dirk deutete auf eine Holzkiste, in der Ecke. Ähnliche Truhen standen überall auf dem Deck herum und auf dem Orlopdeck hatte Jonathan ebenfalls welche gesehen. Im schwachen Schein einer Laterne las er ihre Namen auf dem Deckel. Jemand hatte sie mit Kreide darauf geschrieben.

»Die gehört uns.« Jonathan wollte sie öffnen, doch eine dröhnende Stimme vom Orlopdeck ließ ihn innehalten.

»He, Kabinenjunge. Bewege dich hierher.« Jonathan, der sich an seinem ersten Tag keine zweite Portion Schläge einhandeln wollte, sprang die Stufen hinauf.

Im oberen Zwischendeck angekommen, sah er sich einem kahlköpfigen, schlanken Mann gegenüber. Er war hoch gewachsen, mit langen Armen und Beinen, was seine Statur nicht nur dünn, sondern geradezu dürr wirken ließ.

»Du bist der Kabinenjunge?«, fragte er ungeduldig. Seine Stimme war tiefer, als es das Erscheinungsbild hätte vermuten lassen.

Jonathan nickte.

»Ich bin Heinrich Houtman, der Koch. Für dich Heinrich der Große oder Herr Houtman. Verstanden?«

Jonathan nickte erneut, doch Heinrich achtete nicht darauf. Er stakste zu einem Bretterverschlag, an der Steuerbordseite. Jonathan folgte ihm. Das Innere des Verschlages war bis zur Decke mit Ziegelsteinen verklinkert. In einer Mulde, in der Mitte, knisterte ein Feuer, über dem ein Kessel hing.

Aus einem zweiten Kabäuschen gegenüber der Kochstelle tauchte ein weiterer Mann auf. Er war ebenso groß wie Herr Houtman und genauso schlank, aber viel jünger. Seine Gesichtszüge waren weich. Interessiert musterte er Jonathan.

»Kabinenjunge?«, fragte er mit kantigem Akzent und strich sich eine dunkelblonde Strähne aus dem Gesicht.

»Ah, Oleg. Ja, das ist der Kabinenjunge.« Houtman nickte Jonathan zu. »Oleg Marov ist der Bottelier. Er verwaltet die Vorräte. Sein Reich ist die Bottelierskammer.« Houtman deutete auf den Verschlag, aus dem der junge Mann gekommen war. »Oleg ist gutmütig, doch wenn du ihn beklaust, schneidet er dir die Hand ab.«

Jonathan erhaschte einen Blick in die Kammer. Es war ein kleiner Lagerraum. Würste und Schinken hingen von der Decke und in Regalen stapelten sich Käselaibe neben Kisten mit Äpfeln und Kohlköpfen. Auf dem Boden standen Säcke, alle mit den Buchstaben VOC beschriftet, und zwei geöffnete Fässer. Beide waren mit gesalzenem Hering gefüllt.

»Und ich brauche den Kapitän nicht um Erlaubnis fragen.« Marov legte eine Hand auf das Messer, an seinem Gürtel. »Wer mich beklaut, beklaut die ganze Mannschaft.«

Jonathan schauderte. Er glaubte Marov zwar nicht so recht, doch beim Sprechen zog er das »R« hart in die Länge, was seiner Stimme einen gefährlichen Unterton verlieh.

Herr Houtman schöpfte Suppe aus dem Kessel in eine weiße Porzellanschale, die so gar nicht nach hier unten, in die schmuddelige Dunkelheit passte. Diese stellte er umsichtig auf ein hölzernes Tablett und legte einen Deckel mit goldenem Knauf darauf. »Kabinenjunge, bring das rauf zu Wijnvoord. Kann nicht schaden, den Kapitän bei Laune zu halten. Ich warne dich, lässt du sie fallen, prügel ich dich grün und blau. Verstanden?«

Jonathan nickte.

»Und lass deine dreckigen Finger vom Essen des Kapitäns, sonst setzt es was.«

 

Kapitel 12

»Das ist doch Wahnsinn«, schimpfte Kapitän Wijnvoord wutentbrannt. »Und was heißt bitteschön: Das sei nicht ihr Problem. Es ist unmöglich weitere Ladung an Bord zu nehmen. Und acht große Geschütze schon gar nicht. Wissen sie, was jedes Einzelne von denen wiegt?«

»Die Kanonen werden auf der Insel benötigt«, sagte eine nasale Stimme. Es war die vom Oberkaufmann Hansen und sie klang ebenfalls wütend.

»Das Schiff wird mit dem zusätzlichen Gewicht hoffnungslos überladen sein. Wir liegen ohnehin über der Ladekapazität. Der Tiefgang ist enorm. Beim kleinsten Sturm sinken wir mit Mann und Maus. Außerdem wird die Fahrt erheblich länger dauern als geplant«, erklärte Wijnvoord. »Auf eine derartige Strapaze sind wir nicht vorbereitet.«

»Wie ich ihnen schon sagte«, erwiderte Hansen. »Das ist nicht mein Problem. Auf Norowell werden die Kanonen zum Schutz vor Plünderern gebraucht und die Annemarie ist das einzige Schiff, das in den kommenden Monaten dorthin aufbricht. Sorgen sie also dafür, dass wir pünktlich in Norowell einlaufen. Haben sie mich verstanden?«

 

Die letzten Worte sagte der Oberkaufmann so leise, dass Jonathan sein Ohr fest an die Tür pressen musste, um sie zu verstehen. Er hatte die heiße Suppe unbeschadet ins Poop getragen und stand, mit dem Tablett in den Händen, vor der Hüttentür.

»Sie bringen das Schiff und die Besatzung in unnötige Gefahr!«, polterte der Kapitän, unbeeindruckt von der unterschwelligen Drohung des Oberkaufmanns.

»Darüber machen sie sich mal keine Gedanken. Die Leute, die ich hier vertrete, sind bereit, dieses Risiko einzugehen.«

»Die sind ja auch nicht mit an Bord.«

»Aber ich bin an Bord. Und ich bin ebenfalls bereit, dieses Risiko einzugehen.«

»Sie haben ja keine Ahnung!«

»Herr Kapitän. Wir sind nicht hier, um sie nach ihrer Meinung zu fragen, sondern, um sie über die zusätzliche Ladung zu unterrichten. Wenn sie damit ein Problem haben, geben sie ihr Kommando ab und verlassen das Schiff.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752144017
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Mai)
Schlagworte
Geheimnis Freundschaft Verrat Abenteuerroman Schmuggel Segelschiff Mittelalter Mut Mörder Fantasy Krimi Thriller Spannung

Autor

  • Markus Karnahl (Autor:in)

Um seine Rechtschreibung zu verbessern, brachte Markus Karnahl 2007 die ersten Zeilen einer eigenen Geschichte zu Papier. Diese wuchsen im Laufe der Jahre zu einer Romantrilogie heran. 2018 erwachte bei Markus der Wunsch nach einer Veröffentlichung dieser Geschichte. Mit dem Erscheinen seines Debütromans „Die Reise des Jonathan van Buyten- Der Klabautermann“, erfüllte sich dieser Traum.
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Titel: Die Reise des Jonathan van Buyten