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Pendrake 3- finding us

von Gabby Zrenner (Autor:in)
689 Seiten
Reihe: Pendrake, Band 3

Zusammenfassung

Victorias Welt steht still. Sie hat alles verloren. Vor allem den Grund, wieder aufzustehen. Einzig Sherlock entlockt ihr dann und wann einen Funken an Lebenswillen. Doch der scheint sich immer und immer mehr, von ihr abzuwenden. Ihr kämpferischer Trotz ist schwer zu finden und nur der Wille, Sherlock nicht ins Unglück rennen zu lassen, bringt sie überhaupt dazu es zu versuchen, wenn auch auf sehr selbstzerstörerische Art und Weise. Sherlock hingegen ist zerrissen zwischen seinen Gefühlen, seinen Ängsten und seinem Pflichtgefühl. Verzweifelt versucht er nicht unterzugehen und Victoria das zu geben, was sie braucht. Dabei kann er nicht verhindern, immer wieder mehr zu wollen, als das, was er vermeintlich für richtig hält. Zwischen Sherlock und Victoria entfacht erneut ein ewiges hin und her. Ein Kampf um Liebe und Loslassen, um Freundschaft oder endgültige Trennung. Doch als Markus härter zuschlägt, als je zuvor, müssen sie eine endgültige Entscheidung treffen, um zu überleben. Zusammen? Oder für immer voneinander entfernt!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

 

Pendrake - finding us

Band 3

 

 

von

 

Gabby Zrenner

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 





 

Sherlock

 

 

Siehst du nicht, wie wichtig eine Welt voll von Schmerz und Schwierigkeiten ist, um einen Geist zu einer Seele zu formen?

John Keats

»Wie geht es ihr?« Sherlock stürzte besorgt ins Zimmer. Endlich hatten sie ihn zu Victoria durchgelassen.

»Sie schläft noch.«

Er sah zu ihr, wie sie dort kreidebleich und zerbrechlich im Bett lag. Umrahmt von Geräten und Überwachungsmonitoren. »Was ist mit ... ?«

Henry sah betrübt auf den Boden und rang mit seinem Gewissen. Als Arzt, der hier arbeitete, durfte er es ihm eigentlich nicht mitteilen. Aber es war einfach nicht richtig, für keinen von beiden. Es war auch sein Kind gewesen. »Sie hat das Baby verloren.«

Sherlock verlor völlig seine Fassung. Sein Gesicht verzog sich schmerzvoll und er schien verzweifelt mit den Tränen zu kämpfen.

Ein Zustand, den Henry von ihm nicht kannte und ihn deswegen umso mehr verstörte. Henry sah ihm fest in die Augen »Ich konnte nichts mehr tun. Es tut mir aufrichtig leid.«

Sherlock schwankte. »Henry, das ist alles meine Schuld.«

Henry rieb sich verzweifelt das Gesicht. »Wir waren alle Schuld. Ansonsten ist sie stabil, schwach, aber stabil.« Er seufzte. »Sher, sie ist übersät von Kratzern, viele von Ästen oder den Steinen, aber einiges wird von ihm stammen. An der Innenseite der Oberschenkel zum Beispiel.« Er stützte sich am Ende des Bettes ab. »Ich weiß gar nicht, wie ich das überhaupt sagen soll. Ob ich dir das sagen darf. Du weißt, dass ich es rein rechtlich nicht darf.« Henry schluckte und fuhr sich durch die Haare. Wiederum für ihn völlig untypisch. »Sherlock! Sie hat Verletzungen im Schambereich.«

Sherlock schlug sich die Hand vor den Mund und raufte sich seinerseits die Haare. »NEIN! Das darf nicht sein, sie darf nicht von ihm …« Er keuchte auf und ging unruhig zwei Schritte hin und her, die Hand zur Faust geballt. »Hat er sie vergewaltigt?«

Henry hielt ihn am Oberarm fest. »Sie hat Einrisse am Scheideneingang, als wäre man brutal eingedrungen. Ich weiß es nicht Sherlock. Sperma haben wir nicht gefunden, aber Kratzer und blaue Flecken, überall.«

Sherlock schluchzte auf und ihm liefen die Tränen übers Gesicht. Henry brach es das Herz seinen besten Freund so zu sehen. Noch nie hatte er ihn auch nur ansatzweise so erlebt, wenn es nicht um Edward ging und jetzt brach er völlig zusammen.

Henry selbst war erschüttert und wahnsinnig besorgt, aber Sherlocks tiefe Reaktion begriff er nicht. Aber er sah, dass sein bester Freund Höllenqualen litt. »Sherlock, sie war tot. Herzstillstand durch akutes Kreislaufversagen. Sie ist fast verblutet und hat eine schwere Gehirnerschütterung. Wir können froh sein, sie nicht ganz verloren zu haben.« Er nahm Sherlock fest in den Arm, mehr konnte er für ihn nicht tun.

»Gott, Henry wir haben nicht verhütet, deswegen hab ich mir solche Vorwürfe gemacht. Ich hab an dem Morgen völlig den Verstand verloren. Aber dann war da unser Baby und sie war so glücklich damit, kein Zweifel das sie es wollte. Und jetzt ist unser Baby tot und ich bin schuld. Das verzeih ich mir nie.« Er vergrub sein Gesicht in den Händen und schluchzte erneut auf. »Sie wird mich hassen. Nun endgültig.« Henry strich ihm über den Oberarm und langsam sammelte er sich wieder. »Denkst du, ich kann bei ihr bleiben? Mich hier in den Stuhl setzen, bis sie aufwacht?«

Henry seufzte erneut und sah ihn mitleidig an. »Natürlich, aber denk dran, sie ist ziemlich schwach. Also bitte! Fall nicht direkt mit der Tür ins Haus. Überfordere sie nicht, ok?«

Sherlock saß schon neben ihr und strich ihr liebevoll über den Kopf. Sortierte sorgfältig ihre Haarsträhnen. Henry überkam so ein Gefühl, etwas, woran er bis jetzt einfach nicht glauben konnte. »Sherlock? Bist du in sie verliebt?«

Direkt liefen Sherlock wieder Tränen übers Gesicht, diesmal still und er hatte Mühe zu sprechen. »Ich liebe sie, seit ich ihr das erste Mal begegnet bin. Ich liebe sie so sehr, dass es weh tut und jedes Mal, wenn ich sie sehe, wird es mehr. Ich weiß nicht, wie ich ohne sie leben soll.«

Henry war völlig geschockt. Nie hatte er auch nur eine Sekunde gedacht, dass Sherlock sich je verlieben würde. Er war so beherrscht, dass Henry sicher gewesen war, dass er es sich schlichtweg verbieten würde, da er immer erklärt hatte nie eine Beziehung zu wollen. Mit gemischten Gefühlen fragte er. »Sherlock? Warum hast du dann nie versucht, es ihr zu sagen?«

Er sah Henry flehentlich an. »Das hab ich, sie weiß es, aber ob sie mir wirklich glaubt. Ich hab mich ständig wie ein Idiot aufgeführt. Wir waren so glücklich in Blackhill. Ich war so glücklich wie noch nie in meinem Leben, aber ich hatte so viel Angst, alles falsch zu machen, mich zu binden. Dann hab ich sie gebeten, nichts zu erzählen, bis ich so weit bin. Mir Zeit zu geben. Und dann ist alles im Chaos ausgeartet. Ihr habt sie alle niedergemacht und eigentlich war ich derjenige, der zu feige war mit euch zu reden. Gestern hab ich ihr versprochen dir alles zu erklären. Sie hat so darunter gelitten, dass ihr dachtet, sie würde einfach nur aus Spaß mit mir schlafen. Ich liebe sie so sehr, ich würde für sie sterben. Ich denke nicht, dass ihr das wirklich klar ist, nach allem, was ich getan habe.« Er atmete tief durch und wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen. »Aber ... Ich bin verlobt und du weißt, dass ich mich an mein Wort halte. Egal, was ich versuche oder überlege. Wir haben keine Zukunft.« Er küsste ihre Finger, langsam und bedächtig wie etwas Heiliges. »Henry, versprich mir, es ihr nicht mehr so schwer zu machen. Sie hat schon genug durchgemacht. Sie soll nicht auch noch das Gefühl haben, das du sie verachtest. Sie hat so gekämpft, immer wieder hat sie mich auf Abstand gehalten und ich hab sie unerbittlich zurückgeholt.« Er atmete schwer ein. »Versprichst du’s mir?«

Henry legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ja, aber versprich du mir das mit Susan noch mal zu überdenken. Bitte! Der Gedanke, dass du dich selbst und Victoria so unglücklich machst, tut mir in der Seele weh. Ich weiß nicht mal damit umzugehen.«

Daraufhin nickte Sherlock nur und legte seinen Kopf auf ihre kalten Finger.

Kapitel 1

Nur Liebe vermag überhaupt, jemanden am Leben zu erhalten.

Oscar Wilde

 

Meine Augen wollten nicht aufgehen. Fast, als wären sie mit Sekundenkleber beschmiert. Mühsam schaffte ich es nach einiger Zeit, wenigstens durch kleine Schlitze zu blinzeln, nur um direkt fürchterlich vom Sonnenlicht geblendet zu werden. Jede Bewegung tat weh. Mein ganzer Körper fühlte sich an wie im Ausnahmezustand.

Langsam setzte meine Erinnerung ein.

Da war Markus, der mich an den Baum gestoßen hatte. Ich war gestolpert und auf dem Boden aufgeschlagen. Ich konnte mich an die Tritte erinnern, an den Schmerz, der mir durch den Unterleib geschossen war.

Mein Baby!

Gott, nein, mein Baby!

Panisch riss ich die Augen auf und schnellte hoch. Was mir einen fiesen Schmerz im Rücken bescherte. Ich stöhnte qualvoll. Auf der Suche nach Antworten sah ich mich hektisch um.

Sherlock saß neben mir im Stuhl und hielt mich an den Armen sanft fest. »Alles gut Kleines, ganz ruhig, du bist in Sicherheit.«

Aber mein Baby sein Baby. »Sherlock?« Mir kamen die Tränen und sofort weinte auch er und nahm mich fest in den Arm. Verzweifelt und schrill schrie ich auf: »Sherlock, unser Baby?«

Er schluchzte an meiner Schulter. »Victoria, es tut mir so leid. Aber du hast es verloren.«

Ich brach völlig zusammen. »Nein, bitte nein.«

Er hielt mich fest und wiegte mich in seinem Arm wie ein Kind, während ich weinte. Strich mir über den Rücken und über die Haare. Selbst als Henry ins Zimmer kam, ließ er mich nicht los und ich wollte auch nicht, dass er das jemals wieder tat.

»Sherlock, ich muss kurz nach ihr sehen.«

Ich schüttelte den Kopf und klammerte mich verzweifelt an ihn.

»Victoria, lass ihn dich kurz ansehen. Ich bleib ja bei dir, Kleines. Ich lass dich nicht alleine.« Er gab mir einen Kuss auf den Kopf und löste sich vorsichtig von mir. Nachdem Henry mich untersucht hatte, kam er sofort wieder zu mir und legte sich neben mich ins Bett, zog mich in seine Arme. Hielt mich dort eng an sich geschmiegt.

Mühsam versuchte ich, meine Emotionen zu kontrollieren, zu atmen, aber wie? Mein Baby war tot. »Sherlock, ich war so leichtsinnig. Ich hab es dort einfach nicht mehr ausgehalten. Was hab ich getan?«

Wieder küsste er mich sanft. »Ich weiß mein Schatz, das ist jetzt nicht mehr wichtig. Kleines, ich bin unendlich traurig, dass wir unser Baby verloren haben.«

Ich vergrub mein Gesicht an seinem Hals. Nun hatte ich alles verloren, ihn und sein Kind, wofür sollte ich jemals wieder aufstehen. »Verzeih mir!« Ich hatte es so leise in sein Hemd geflüstert, dass er es unmöglich verstehen konnte, aber ich musste es einfach sagen. Er hielt mich fest und wir bewegten uns nicht, unfähig aus dem Schmerz auszubrechen. Irgendwann schloss ich die Augen und versuchte nur noch, seine Wärme und seinen Geruch wahrzunehmen.

 

Als ich Stunden später aufwachte, war ich allein im Bett und neben mir saß Edward. »Hi Süße, Sherlock musste weg. Ich bin seine Ablösung.« Ich nickte ihm nur zu. »Deine Verletzungen sind ansonsten nicht zu schlimm. Die Stichwunden werden natürlich etwas Zeit brauchen. Dein Kreislauf ist mittlerweile erfreulich stabil. Dein Kopf wird dir noch eine Zeitlang weh tun, aber du wirst nicht allzu lange im Krankenhaus bleiben müssen. Henry und ich werden uns ja auch weiter um dich kümmern.« Wieder nickte ich nur. Er nahm meine Hand und drückte sie. »Victoria, dir ist etwas Furchtbares passiert und ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es dir jetzt geht, aber du kannst weiterhin Kinder bekommen. Du wirst wieder komplett gesund.«

Nie wieder würde ich komplett gesund sein. Taub vor Schmerz drehte ich ihm den Rücken zu und starrte die Wand an. Besah mir die kleinen Kratzer und Flecken. »Ich will gar keine Kinder mehr«, sagte ich völlig ruhig und ausdruckslos. Von wem, wenn nicht von Sherlock sollte ich Kinder wollen?

Edward strich mir über den Rücken, wodurch ich mich nur verkrampfte. »Du solltest versuchen, etwas zu essen, damit du wieder zu Kräften kommst. Du hast sehr viel Blut verloren.«

Ich würde einfach nicht mehr reagieren. Wenn man alles verloren hatte, was einen ausmachte, wie sollte man da noch an andere denken.

 

Die nächsten Tage versanken in einem Nebel aus gut gemeinten Beschwichtigungen, liebevollen Worten, Essen das Alistair mir rein quälte. Nathan, der mir Croissants brachte, die ich nicht aß und einfach erzählte, von seinen Bildern und dem Wetter. Doch seine bemüht lockere Art täuschte nicht über das Entsetzen in seinen Augen hinweg, während er mich betrachtete. Was er sah, wusste ich nicht, denn ich hatte mich selbst nicht einmal angesehen.

Und zwischendurch Sherlock. Er war alles, was ich bewusst wahrnahm, in dieser Zeit. Das Einzige, was mir ein Gefühl entlocken konnte, das nichts mit purer Angst oder Dunkelheit zu tun hatte. Anfangs legte er sich meistens nur neben mich ins Bett, sah mir in die Augen und streichelte meine Wange, meine Haare, meinen Arm. Und während ich ihn einfach ansah, überlegte ich, ob mein Baby vielleicht seine Augen gehabt hatte oder seine Nase. Einmal hatte er mich sanft geküsst, ein Moment, in dem mein Herz kurz zum Leben erwacht war, dennoch war ich erschrocken zurückgezuckt und direkt darauf war alles wieder dunkel und kalt.

Mit der Polizei hatte ich alleine gesprochen, sachlich und so gefasst und vernünftig, wie ich nur konnte. Wenn einer von ihnen dabei gewesen wäre, hätte ich es nicht geschafft. Da war ich mir sicher.

Danach hörte ich auf zu reden. Die ganze Zeit sagte ich kein Wort mehr. Es war nicht so, dass ich das absichtlich beschlossen hatte, aber oft nahm ich schlichtweg nicht mal wahr, dass jemand mit mir sprach oder was genau er sagte. Immer wenn ich dann doch überlegte zu antworten, brauchte ich zu lange, fand nicht die richtigen Worte oder es kam mir sinnlos vor. Keiner konnte verstehen.

Und dann waren da noch die Fragen, über die ich nicht nachdenken wollte. Sobald jemand wissen wollte, was denn passiert war, setzte mein Gehirn aus und ein Film spielte sich ab, der mich in der Vergangenheit gefangen hielt.

Alles war so anstrengend. Die Welt fühlte sich irreal an, als wäre ich eigentlich tot und alles müsste durch diese zähe Masse um mich herum durchkommen. Das war etwas, was in mir rum geisterte. Warum haben sie mich nicht einfach sterben lassen? Zwischen all der Trauer, den Albträumen und der Angst fühlte es sich an wie ein Verbrechen, das sie mich zurückgeholt hatten, um zu leiden.

 

Eines Tages, ich war schon zu Hause, wie lange wusste ich nicht, hörte ich wie Edward mit Henry diskutierte, dass es doch noch nicht mal ein Embryo gewesen sei. Ein 10. Wochen alter Fötus, kaum größer als ein Gummibärchen. Aber Henry schien instinktiv verstanden zu haben, dass es meine Welt gewesen war, mein neues Leben, das ich beginnen wollte. Vielleicht hatte er nicht den vollen Umfang begriffen, die Verbindung zu Sherlock nicht richtig eingeordnet, aber er wusste, dass mein Herz nicht nur wegen des Verlusts des Babys gebrochen, sondern meine ganze Welt in tausend Teile zersprungen war. Zusätzlich zu den psychischen und physischen Verletzungen durch Markus.

Am nächsten Tag sprach ich zum ersten Mal wieder. Alistair war nach unten gegangen und Edward saß neben mir. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er mich verkniffen musterte, ganz der Doktor, der versuchte die richtige Therapie zu finden.

Meine Stimme war leise und kratzig. Zu lange nicht gebraucht worden. »Wo ist Becca?« Sie war als einzige in der ganzen Zeit nicht bei mir gewesen.

Edward fiel fast vom Stuhl. Ungläubig starrte er mich an und stammelte. »Nach Hause, ihre Mutter hatte einen Schub, MS, ihr geht es sehr schlecht. Wie geht es dir Vi?«

Nur kurz sah ich ihm in die Augen. »Nächstes Mal lass mich sterben.« Dann drehte ich mich unter Schmerzen auf die andere Seite. Jedes Mal wenn ich mich bewegte, zogen überall kleine brennende Stiche über meine Haut und die Wunden am Rücken brannten höllisch.

»Victoria, sag sowas nicht. Es tut uns allen so leid.«

Mitleid half mir nicht, mein Kind zurückzubekommen. Ich hatte es getötet und jetzt wollte ich zu ihm.

»Süße willst du mir nicht sagen, was genau passiert ist, vielleicht kann ich dir helfen?«

Mir ging viel im Kopf herum in diesem Moment. Eins davon war ihn und alle zum Teufel zu schicken. Eins, mir die Pulsader aufzuschneiden und dann die Frage, wo war Sherlock, gab er mir die Schuld? War er heute schon hier gewesen? Oder war das gestern?

Hinter mir hörte ich Edward reden, aber meine Gedanken waren viel lauter als er. Zu anstrengend mich mit ihm auseinanderzusetzen. Zu anstrengend über irgendetwas nachzudenken. Müde schloss ich die Augen und versank in einen meiner Albträume, die schon normal für mich waren, was nicht bedeutete, dass es nicht jedes Mal den Weg durch die Hölle bedeutete.

Stimmen drangen zu mir durch und ich wachte langsam auf. Der Nebel in meinem Kopf war noch ziemlich dick, aber ich konnte sie hören. Einer Eingebung folgend blieb ich liegen, wie ich war, und hielt die Augen geschlossen. Sherlock war gekommen und unterhielt sich leise mit Edward und Henry. »Diesmal hat er einen Fehler gemacht, die Kamera bei der U-Bahn und am Parkinganeg haben ihn aufgezeichnet. Erst Vi dann ihn und er hat kurz hochgesehen. Schlecht für ihn, gut für uns, dass sein Gesicht nun drauf ist. Endlich hat die Polizei ihn als Hauptverdächtigen im Visier.«

»Sher sie hat was gesagt.« Ich hörte, wie er scharf Luft holte. »Was?« Das Scharren eines Fußes war zu hören. »Edward, was hat sie gesagt?«

Rau und vorsichtig sagte Edward: »Sie hat nach Becca gefragt.« Eine Pause entstand und er holte tief Luft. »Ich hab ihr geantwortet. Dann … nur noch: Nächstes Mal lass mich sterben.« Ein dunkler halberstickter Laut und dann erdrückende Stille.

Henry war der Erste, der wieder sprach. »Sonst nichts?« Er hörte sich müde an, sie alle.

Sherlock schien sich neben mich auf den Stuhl gesetzt zu haben. Ich konnte ihn riechen, fast spüren.

Leise fuhr Edward fort: »Wenn sie es uns nicht erzählt, werden wir nie erfahren, was genau passiert ist. Aber so, wie sie agiert, wie lange sie schon in dieser Starre hängt, mache ich mir durchaus sorgen, dass er sie ...«

Meine Finger krallten sich in den Stoff meiner Decke und ich stöhnte leicht auf bei der Erinnerung.

»Edward still, sie ist wach.«

Als ich meine Augen aufschlug, sah ich Sherlock vor mir, wie er den Arm hob und auf mich zukam. Reflexartig schlug ich seine Hand weg und wimmerte kurz auf. Meine Augen waren aufgerissen und starrten ihn an. Zwar sah ich ihn, aber innerlich war ich im Park mit Markus. Mein Kopf war dort, nur mein Körper lag hier in diesem Bett. Jeder meiner Atemzüge endete mit einem Geräusch, wie ein gefangener Schrei, der versuchte auszubrechen. Nicht laut aber klagend, leidend. Selbst in meinen Ohren hörte es sich fremd und gepeinigt an. Die Erinnerung wie seine Finger mich durchbohrt hatten, die Angst was er sonst tun würde, mein Baby. Der Schrei befreite sich und ich kreischte hysterisch auf und schlug um mich.

Sherlock versuchte, mich festzuhalten. »Ssh Kleines nicht, du verletzt dich. Du bist in Sicherheit.« Edward kam von der anderen Seite, was mich noch mehr in Panik versetzte. Sie sperrten mich zwischen sich ein, kein Fluchtweg.

Henry riss Edward vom Bett und zur Seite. »Du machst es schlimmer. Sie sie dir an, sie will nur weg.«

Das war es, was ich wollte. Weg und fliehen. Schnell stolperte ich auf dem nun freien Weg aus dem Bett vorbei an den anderen in den Flur.

»Schatz, nicht, warte.«

Meine Beine versagten und ich fiel schmerzhaft auf die Knie. Parkett, dunkles Parkett. Ich war zu Hause. Schlaff rutschte ich längs auf den Boden. Fühlte die Kühle des Holzes auf meinem brennenden Körper.

Sherlock kniete sich neben mich. »Darf ich dir hochhelfen?«

Durfte er? Ich holte Luft einmal, zweimal und schlug meinen Kopf gegen den Boden. Lebte ich? Ja das tat weh.

Diesmal fragte Sherlock nicht und nahm mich sanft, aber bestimmt hoch. Mein Kopf sackte schlaff an seine Brust. »Edward, sie blutet am Rücken.«

»Verdammt, das ist das dritte Mal, dass sie die Naht aufreißt. Ich denke wirklich, wir sollten sie sedieren. Sherlock, das geht so nicht weiter, du kannst nicht einfach dagegen entscheiden.«

Das dritte Mal? Ich konnte mich an nichts erinnern. Sherlock legte mich behutsam aufs Bett. »Kleines, ich muss dich auf den Bauch drehen, damit Edward dich versorgen kann, ok?«

Wieder driftete ich ab, spürte das Stechen und ziehen, ein Pflaster. Hörte die Stimmen, die lauter wurden. Anscheinend stritten sie nicht zum ersten Mal darüber.

Sherlock war völlig aufgebracht und donnerte: »Nein Edward, du wirst sie nicht tiefer in die Dunkelheit treiben. Verdammt du hast doch keine Ahnung, wo sie ist. Die Vorstellung, wie schwer ihr jetzt schon jede Bewegung fällt, macht mich wahnsinnig, wenn du ihr auch noch das nimmst, kommt sie nie zurück.«

Jetzt hörte ich Alistair. »Bis jetzt war ich deiner Meinung, aber vielleicht hilft es ihr Sherlock. Vielleicht kommt ihr Geist zur Ruhe.«

Sherlock schrie auf: »Keiner von euch, keiner hat jemals ansatzweise erfahren, was es heißt, in dieser Leere festzuhängen. Glaubt mir, kein Sedativum.«

Jetzt wurde Alistair laut. »Was dann? Ehrlich gesagt hast du bis jetzt keine besonders guten Entscheidungen in Bezug auf sie getroffen. Willst du weiter nur zusehen, wie sie vor sich hin vegetiert oder sich selbst verletzt? Du hast doch nicht mal den Mumm zuzugeben, dass du ihr vorgespielt hast sie zu lieben. Machst hier auf besorgten Freund, aber alles, was dich antreibt, ist dein verficktes schlechtes Gewissen. Geh weg von ihr.«

Vorsichtig öffnete ich die Augen und sah, wie Sherlock Alistair am Kragen packte. »Was sonst? Wer hat ihr denn gesagt, er sei fertig mit ihr?«

»Ich bring dich um du Wixer.« Al schlug zu, aber Sherlock wich aus. »Fickst im Hinterzimmer deine Scheinverlobte nur, um ihr weh zu tun und gibst mir die Schuld?«

Das Bild wie sie im Club zusammen nach hinten gegangen waren, flackerte auf. Sein Blick, der mich traf, strafend und beleidigt. Hatte er wirklich? Ein Schluchzen drang durch mich durch und ich rollte mich zusammen.

»Ihr zwei Idioten. Wenn ihr euch streiten wollt, geht gefälligst raus.« Eine Hand strich mir über die Haare. »Süße, soll ich dir was geben, damit es ruhiger wird, weniger weh tut?« Zögernd und mechanisch nickte ich. »Ok, dann nicht erschrecken, ich brauch deinen Arm.«

Im Hintergrund hörte ich, wie Sherlock leise widersprach: »Edward nicht, bitte, sie will nur ... Gott ich bin mir sicher sie versucht nur ...« Weinte er? »Vi bitte sag nein, verdammt lasst mich los.«

Die Kanüle drang in meinen Arm und ich sah zu, wie die Spritze sich entleerte. Kurz danach war ich in Watte gehüllt. Sherlock hatte sich losgerissen und saß nun am Bett. Seine grünen Augen so dunkel und müde waren mein Weg in den Schlaf.

 

Er hatte recht, es half nicht, es war schlimmer, denn jetzt war auch der letzte Teil von mir schwammig und unzuverlässig und ich fühlte mich angreifbarer als vorher. Der Wunsch, einfach nicht mehr aufzuwachen wurde größer. Aber es hatte auch etwas für sich, die Kontrolle komplett zu verlieren.

Als ich mitten in der Nacht wach wurde, lag Alistair wie jede Nacht neben mir im Bett und schlief tief und fest. Leise stand ich auf und ging auf wackeligen Beinen bis nach unten in Sherlocks Arbeitszimmer. Ich wusste bereits, dass alles noch genauso leer war, wie an meinem letzten guten Tag vor … ich wusste nicht, wie lange es her war. Auch die Bücher, die er mir dagelassen hatte, lagen genauso dort.

Dies war bereits mein dritter Ausflug nachts. Als würde ich nur im Dunkeln zum Leben erwachen. Sanft strich ich über das glatte Holz des Tisches und ging zum Barschrank. Dort hatte Sherlock seinen Whisky stehen gelassen und hinten im Seitenfach, das man nur sah, wenn man wusste, das es existierte, lagen zwei unberührt verpackte Spritzen, diese Kleinen und eine Ampulle. Dann daneben eine kleine Tüte mit weißem Pulver. Ich war mir ziemlich sicher, dass es Kokain war. Ob er überhaupt noch wusste, dass er es hier deponiert hatte? Bei meinem letzten Ausflug war ich darauf gestoßen, aus einem dummen Impuls heraus hatte ich das Fach geöffnet und hineingesehen.

Diesmal nahm ich alles heraus und legte es vor mich auf den Tisch. Die Ampulle? Ob das Heroin war? Würde es reichen, um mich umzubringen? Vorsichtig öffnete ich die Tüte und tunkte meine kleinen Finger hinein, leckte ihn ab. Keine Ahnung. Ich hatte nie Kokain gesehen oder geschmeckt. Bedächtig und sorgfältig schloss ich den Zipper wieder und begutachtete die Spritze. Ob ich es schaffen würde, mir das Zeug zu spritzen? Selbst jetzt, wo alles egal war, gefiel mir der Gedanke nicht, Drogen zu nehmen. Ich hatte schon immer eine Wahnsinnsabneigung dagegen gehabt.

Ich nahm die Whiskyflasche und trank in großen Schlucken wie Wasser, dieses fiese Zeug, das Sher so liebte. Rauch und Torf. Widerlich, aber es fühlte sich lebendig an, wie die Flüssigkeit ihren Weg bahnte und dabei in der Kehle brannte. Schon merklich entspannter drehte ich die Flasche zu und stellte sie zurück. Bevor ich mich auf den Rückweg machte, verstaute ich Shers Utensilien in meiner Strickjacke.

Leise schlich ich zurück in den Flur und zögerte. Im Esszimmer stand eine ungeöffnete Flasche von meinem Lieblingswhisky. Entschlossen machte ich mich auf den Weg, sie mir zu erobern. Keine zehn Minuten später lag ich wieder neben Alistair im Bett, als wäre ich nie weg gewesen und wärmte meine Füße auf. Seltsam das ich mir nachts im Dunkeln, wenn alles ruhig war, so viel lebendiger vorkam und das, wo ich früher immer Angst vor den Schatten hatte. Vielleicht weil ich nun wusste, dass im Licht dieselben Monster lauerten. Sicherheit war eine Illusion!

 

Sie gaben sich Mühe, jeder auf seine Weise, aber selbst wenn sich ein Wille in mir regte, fand ich lange nicht die Kraft zurückzukommen. Nur nachts in meinem geheimen Doppelleben, als wäre es nur ein Traum. Der Traum doch noch anwesend zu sein.

Nathan war bereits zweimal wieder dagewesen, aber auch ihn konnte ich kaum ansehen, ohne an so viel Schlechtes zu denken. Geschweige denn mit ihm sprechen, was ich generell seit dem einen Satz nicht mehr getan hatte. Also starrte ich stets apathisch aus dem Fenster oder auf mein Bett. Meist drehte ich mich einfach irgendwann um und meine Besucher gingen.

Alistair hievte mich alle paar Tage hoch und setzte mich zum Duschen auf einen Stuhl. Er war dabei ein Engel. Machte Witze, tat als wäre er der Shampoo Vertreter und pries die neue Haarspülung an. Ja, er verwendete Haarspülung. Wie gesagt er bemühte sich, aber ich hörte, wie müde und hoffnungslos er war, wenn er sah, wie gleichgültig ich alles über mich ergehen ließ. Alles außer dem Slip, den er mir nie ausziehen durfte. Nicht mal ich wollte wirklich dort unten hin fassen und mir stockte jedes Mal der Atem, wenn er eine falsche Stelle am Bein berührte, die mich an eine andere Hand erinnerte. Vielleicht war das der Grund, warum ich es tatsächlich allein halbwegs schaffte meinen Körper abzuwaschen. Alles andere war zu grausig. Jede Untersuchung war eine Tortur gewesen und Henry der Einzige, den ich überhaupt daran ließ. Nach dem Duschen schaffte er meistens nur noch, mir die nassen Haare notdürftig zu kämmen, bevor ich apathisch aufstand, unter einem Bademantel den Slip wechselte und mich frisch angezogen in mein Bett verkroch. Danach war ich zu nichts mehr in der Lage. Außer zu versuchen die nächsten Stunden, ohne Panikattacke zu überleben. Aber es wurde besser. Ich spürte etwas von mir und mein Verlust war anders, nicht so zerstörerisch verheerend. Tief und furchtbar, aber nicht Armageddon.

Eines Morgens saß ich ihm Bett und Alistair mühte sich mal wieder ab, mir wenigstens etwas Porridge reinzuwürgen, als ich draußen einen Vogel hörte. »Al, hörst du den Vogel?«

Völlig perplex sah er mich an. »Ja Engel, er singt schön.«

Ich sah ihm in die Augen. Zum ersten Mal sah ich jemanden außer Sherlock richtig an, seit es passiert war. »Du siehst müde aus.«

Augenblicklich fing er an zu weinen, nahm mich in den Arm, wo ich steif liegen blieb. »Oh Victoria, es tut mir so leid. Bitte komm zu mir zurück, du fehlst mir so sehr.«

Ein Schluchzen ging durch meinen Körper und ich ließ mich in seine Arme fallen.

 

Von dem Moment an setzte sich alles nach und nach an seinen Platz, verflucht langsam und nicht ohne Ecken und Kanten, aber die Tage wurden einfacher. Auch wenn ich die meiste Zeit schlichtweg vor mich hindämmerte, gefangen in meiner eigenen Welt. Wenn Sherlock kam, saß er nun auf einem Stuhl neben meinem Bett. Warum wusste ich nicht, oft wünschte ich mir, er würde sich wieder zu mir legen und mich mit seinem Geruch und seiner Wärme beruhigen. Vielleicht war seine Entscheidung auch endgültig gegen mich ausgefallen. Aber darüber nachdenken war zu viel für mich. Manchmal unterhielten wir uns. Obwohl ich generell sehr wenig sagte und nur sehr knappe Antworten gab. Meist über Belangloses. Das viel mir am leichtesten oder er las mir vor.

Anscheinend hatte er das schon die ganze Zeit gemacht, denn er erklärte mir, dass wir wieder ein neues Buch anfangen konnten. Er hielt es mir hin, fast lächelnd. »Sherlock Holmes.«

Ich bemerkte, dass er sehr müde und sehr dünn aussah. Als ich Henry danach fragte, meinte er nur, dass Sherlock auf seine Art fast genauso leiden würde wie ich.

Aber er hatte noch ein Kind und würde heiraten. Ich hatte nichts. Nichts außer für den Moment Alistair, der es mittlerweile sogar geschafft hatte, mich einmal zum Lächeln zu bringen. Nur oberflächlich, aber immerhin.

In dieser schrägen surrealen Welt war Zeit unbedeutend geworden, aber seltsamerweise verging sie trotzdem und so kam es, dass draußen die ersten Schneeflocken fielen.

»Alistair, welchen Tag haben wir heute?« Ich saß mit ihm in der Küche, er hatte es zum ersten Mal geschafft mich zum Frühstück nach unten zu lotsen.

»6. Dezember.«

Ungläubig sah ich ihn an, das konnte unmöglich stimmen. Das hieße drei Wochen, in denen ich wie versteinert im Bett gelegen hatte. »Dann ist heute Nikolaus?«

Alistair nickte traurig. Eine Erinnerung an Al flammte auf, als er 17 war, hatte ich ihm zu Nikolaus eine singende Shorts geschenkt. Wenn man die rote Nase von Rudolph drückte, erklang Jingle Bells. Wir hatten so gelacht, als er sie mir tanzend vorgeführt hatte. Ich lächelte ihn an und fing fast gleichzeitig an zu weinen.

»Hey Engel.«

Konnte ich jemals wieder einfach nur Spaß haben, ohne dieses Stechen im Hintergrund? Ich kletterte ihm wie ein Kleinkind auf den Schoss und schlang meine Arme um ihn. Es war das erste Mal, das ich von mir aus Körperkontakt suchte und das erste Mal seit dem Krankenhaus mit Sherlock, das ich ihn so intensiv zuließ. »Alistair was schenkst du mir?«

Er zerquetschte mich fast, so fest drückte er mich an sich. »Was wünscht du dir denn?«

Mein Baby, Sherlock, das Leben, von dem ich geträumt habe. Als ich in sein Gesicht blickte, sah ich den Jungen, der mich vor so vielen Jahren nach dem ersten Abendessen in Stevenage in sein Zimmer geschleppt hatte, um mit mir zu spielen. Er war so süß und lieb gewesen und hatte mich nie wieder allein gelassen bis zu dem Abend im Club. Aber hatte er das wirklich? Direkt zerrte die Erinnerung an Markus und den Park an mir. »Ich will ihn umbringen, langsam.«

Alistair strich mir eine lose Haarsträhne hinters Ohr. »Wenn es so weit ist, helfen wir dir alle dabei. Vorausgesetzt Sherlock findet ihn nicht vor uns und bricht ihm das Genick.« Etwas veränderte sich in seinen Augen. »Obwohl er dann wohl Glück hätte. Ich fürchte, wenn Sher ihn zuerst kriegt, stirbt er nicht, aber wird sich für den Rest seines Lebens wünschen, er wäre tot.« Lange sah er mich an und hielt mich im Arm, bevor er wieder etwas sagte. »Vi, hat er dich ...?«

Ich würgte ihn ab. »High Tea, ich möchte einen richtigen Afternoon Tea mit allem Drum und Dran, mit euch zusammen. Ohne Vorwürfe und ohne …« Ich sah ihm fest in die Augen. »Fragen.«

Unsicher nickte er. »Tee krieg ich hin, aber ob alle kommen können, weiß ich nicht. Henry und Edward arbeiten.«

Mein Kopf fiel zurück auf seine Schulter und grub sich tief an seinen Hals. »Ruf Sherlock an.«

»Ja natürlich, das mach ich.« Kaum zu glauben, aber ich war völlig erschöpft und glitt schon wieder weg in dieser Leere. »Engel? Vi?« Apathisch rutschte meine Arme von seinen Schultern. Alistair holte einmal stockend Luft und gab auf. »Ich bring dich ins Bett«.

Dort blieb ich die nächsten Stunden. Den Lunch, den Al mir brachte, ignorierte ich. Diesmal starrte ich allein vor mich hin und hing meinen chaotischen Gedanken nach. Alistair war auf meine Bitte hin, gegangen, widerwillig zwar, aber er hatte sich gefügt.

Wie ich da so lag und in der Vergangenheit festhing und mich wieder mal in all die Dinge verbiss, die ich nicht ändern konnte, baute sich ein neuer Wille in mir auf. Er würde nicht gewinnen. Mein Baby würde immer bei mir sein und ich würde weiter gehen. Einen Schritt nach dem anderen. Egal welchen Weg ich einschlagen musste, um aus diesem Loch zu kommen.

Was fürs erste bedeutete, das ich auf dem Bett saß und mich heillos betrank, die Spritze vor mir liegend. Skeptisch beäugte ich die Ampulle und entschied mich dieses weiße Pulver einfach mal ein bisschen durch die Nase zu ziehen.

Eine halbe Stunde später war ich nicht nur sturzbetrunken, sondern verstand, warum man Kokain nahm. Gott ich fühlte mich lebendig. Zum ersten Mal seit ewigen Zeiten war nicht alles dunkel und stumpf, sondern sirrte und leuchtete um mich rum. Ich fühlte mich so verdammt stark. Zumindest bis ich mich übergab und ein dumpfer pochender Schmerz in meinem Schädel einsetzte. Was keine 30 Minuten später der Fall war. Drogen waren halt doch scheiße.

Erschöpft döste ich ein wenig vor mich hin. Als ich aufwachte, war ich enttäuscht darüber, wie flüchtig das Glücksgefühl gewesen war, und wollte gegen jede Vernunft mehr. Ein viel zu kurzer Urlaub vom Schmerz und der Verzweiflung. Nur halb so betrunken starrte ich auf die Schublade, in der ich die Sachen versteckt hatte. Die Dunkelheit griff schon wieder vehement nach mir, so stark, dass ich aufstöhnte. Was hatte ich denn zu verlieren? Langsam ging ich zurück zur Kommode und zog mir die nächste Linie.

Als die Türklinke sich bewegte hatte ich gerade alles wieder verstaut. Ich schloss auf und kroch, ohne nachzusehen, ins Bett.

Sherlock stand unschlüssig vor dem Bett. »Warum hast du abgeschlossen?«

Ich fühlte schon, wie mich das helle starke Licht durchflutete. »Hab mich selbst befriedigt.« Frech von mir, unantastbar. Gott welche Wohltat es war, zu vergessen, wer ich wirklich war.

Aber zu auffällig. Mit gerunzelten Brauen kam er auf mich zu. Verdammt er war so blass und müde. »Darf ich mich zu dir setzen?« Er hatte mich das noch nie gefragt.

»Ja sicher, komm zu mir aufs Bett.« Shit, das war jetzt vielleicht etwas zu auffällig fröhlich und entspannt rübergekommen. Diese Energie vibrierte in mir, dass tat so gut.

Sparsam sah er mich an mit seinem der Prof analysiert die Situation Blick. »Bist du betrunken?«

Ich lachte, Gott ich lachte wirklich. Nicht bis ins Innere, aber es kratzte angenehm.

Sherlock schloss die Tür und packte mein Gesicht. »Vi, was und wie viel?«

Ich zog mich auf die Knie, was mit meinen kraftlosen Muskeln anstrengender war als gedacht und sah ihn mit halb gesenkten Liedern von unten an. »Hast du?« Die Frage, die ich mich nie traute zu stellen, weil ich die Antwort nicht hören wollte. Aber ich war jetzt unbesiegbar. »Hast du sie gevögelt, während Markus mir aufgelauert hat?«

So brutal, wer bitte war ich hier? Man konnte förmlich sehen, wie sein Herz stehen blieb. Seine Daumen strichen mir sanft über den Wangenknochen. »Nein Schatz, nein, ich wollte dir nur das Gefühl geben. Ich war so high und eifersüchtig.«

Ich hing da in seinen Händen und sah seine Verzweiflung, aber mein Schmerz war unendlich und jetzt hatte ich die Kraft zuzuschlagen. Nein es war, als hätte man mein Herz in Stahl verwandelt. Es war mir schlichtweg egal, was er fühlte, ich wollte nur Macht über ihn haben. »Deswegen bin ich alleine gegangen. Deswegen ist unser Baby tot und deswegen hat Markus mich ... hat mich.« Etwas brach und auch alles Kokain der Welt würde dagegen nicht ankommen.

Sanft fragte Sherlock. »Was hat er getan?«

Warum gab ich ihm die Schuld? Er hatte keine. Er war einfach nur ein Idiot gewesen. Ich entzog mich ihm und fing an, an der Decke zu zupfen. »Vergiss es.«

Sein Blick lag so Sherlock typisch schwer auf mir. Volle Aufmerksamkeit und seltsamerweise fühlte ich mich fast wie früher bei ihm. Zu Hause. »Kleines, ich denke nicht, das ich jemals auch nur das kleinste Detail von dem Allem vergessen werde. Schon gar nicht, wie du dort gelegen hast. Wie ein grausames Foto in meinem Kopf. Jede Nacht seh ich dich vor mir, voller Blut und dann ... deine Augen ... tot.« Sein Atem ging flach und stoßweise. »Ich stell mir die schlimmsten Dinge vor. Jedes Mal wenn ich einschlafe, erwacht eine neue Möglichkeit zum Leben. Eine schlimmer als die andere und ich seh zu. Absolut hilflos, also bitte wenn du irgendwie kannst, sag mir, was passiert ist, was er dir angetan hat.«

Gleichgültig, fast amüsiert hüpfte ich auf der Matratze. Ja mir war klar, dass ich nicht annähernd so viel empfand, wie ich sollte, aber es war mir egal, denn es war angenehm. Im Schneidersitz schloss ich die Augen und hüpfte auf und ab.

»Du bist hoffnungslos betrunken, oder? Ich sollte sauer sein, weil du dich gerade so benimmst, aber es ist das Schönste, das ich seit Wochen gesehen habe.«

Ich öffnete die Augen und flog mit offenen Armen auf ihn drauf, dass wir zusammen auf der Matratze landete. Wie er da so unter mir lag. Sein Gesicht so nah wusste ich nicht mehr weiter. Chaos im Kopf und im Körper.

Er lächelte mich an, ganz leicht nur die Augen kaum davon berührt. »Wo hast du denn den Whisky her?«

»Nachts unten gekapert, bist du mir böse?«

Er wischte nachdenklich über mein Gesicht und die Nase. »Und wo hast du das Kokain her?« Ich wollte mich abrollen, aber er hielt mich fest. »Ist schon ok, aber lass mich bei dir bleiben, wenn du runterkommst. Und bitte wiederhol das nicht. Du tust dir keinen Gefallen.«

Wut stieg in mir auf. »So, wie du mir keinen getan hast?«

Liebevoll fuhr er mir übers Gesicht und mit erstickter Stimme hauchte er. »Ja, man macht dann schlimme Dinge Vi. Dinge, die man nicht mehr ändern kann und ewig bereut. Dinge die einen selbst verändern und nicht zum Guten. Ich war verzweifelt und absolut unten. Der Abend war vorher schon furchtbar. Susan hat die Schlinge noch fester gezogen und ich … Es tut mir leid. Nie wieder rühr ich irgendwas außer Alkohol an. Das schwöre ich dir.«

Ich ließ mich seitlich auf den Rücken gleiten, behielt nur seine Hand in meiner und starrte zur Decke. »Ich hab´s auch unten gekapert. Was ist in der Ampulle gewesen?«

Ruckartig drehte er sich zu mir. »Gewesen? Scheiße.«

Jetzt musste ich wirklich lachen, denn er sah süß aus, so fassungslos. »Ist! Es ist noch drin.«

Er packte sich albern mit beiden Händen ans Herz und ließ die Zunge raushängen. »Puh, Morphium.«

Meine Augen wurden groß. Dann, plötzlich, wie ein Einschlag kam der Klumpen zurück.

Wieso lachte ich? Mein Baby war tot und ich schluchzte augenblicklich auf. Von einer Sekunde zur anderen wurde ich wieder zurück geschleudert. Weinend lag ich in seinem Arm, wie am ersten Tag geradezu hysterisch und er wiegte mich, hielt mich fest umklammert. Am Rande nahm ich wahr, dass die Tür aufging und sich wieder schloss und ich heulte, bis ich zu erschöpft war mich auch nur zu bewegen. Dennoch blieb ein Wimmern. Ich musste nur nochmal ans Kokain, dann würde es wieder besser werden. Vorsichtig machte ich mich frei und torkelte schon fast die paar Schritte bis zur Kommode. Mechanisch schüttete ich das Pulver aufs Holz und schob es mit der Postkarte zu einer Linie.

»Kleines, es wird nicht besser nur schlimmer jedes Mal schlimmer.« Er stand nur da und sah mich sanft an. Hielt mich nicht fest oder wischte das Pulver weg. »Liebling, ich kann es nicht verhindern, du wirst einen Weg finden, so wie ich es damals auch immer getan habe, aber ich sag dir die Wahrheit. Es macht alles nur schlimmer.« Mein Blick ruhte auf meiner Linie. »Wie oft hast du heute schon was genommen?«

Leise antwortete ich: »Zweimal.«

Er strich mir über die Wange. »Und nicht wenig getrunken. Dein Körper verträgt nicht so viel Victoria. Willst du sterben? Dann nimm das und spritz dir die komplette Ampulle. Dann ist es vorbei.« Fassungslos sah ich ihn an. »Kleines ich will nicht, dass du das tust, aber ich weiß nicht, was passiert ist, und du siehst furchtbar aus und du leidest so sehr, dass ich nicht mehr weiter weiß.« Seine Augen wurden feucht. »Ich würde alles tun, damit du nur ein wenig Frieden findest.«

Schwer fiel ich zurück aufs Bett. »Kannst du das entsorgen.«

»Ich kümmere mich drum.«

»Wenn es geht nicht mit der Nase.«

Verblüfft drehte er sich zu mir. »War das etwa ein Scherz?«

Meine Mundwinkel zuckten. »Ich versuche, mich daran zu erinnern, wie man das macht.«

Er kam zurück aus dem Bad und wischte die Fläche sauber. Als alles erledigt war, kam er zu mir. »Das war doch schon vielversprechend.«

Ich fiel an seine Schulter und fing leise an zu erzählen. »Er hat mich gejagt, wie ein Tier, meinen Kopf an den Baum geschlagen.« Er legte einen Arm um mich und ich zog meine Knie hoch, machte mich ganz klein an seiner Seite. »Er hat mich nicht …« Meine Stimme versagte als die Erinnerung an seine Finger in mir wie ein Blitz durch mich durchfuhr. Meine Muskeln zuckten und verloren die Kontrolle. Sherlock hielt mich fest und ich legte meinen Kopf nah an sein Gesicht und erzählte ihm stockend und atemlos, was Markus getan hatte und gesagt hatte. Ich spürte, wie er immer abgehackter atmete und seine Muskeln sich immer mehr anspannten. Sein Kiefer war fest zusammengepresst, während ich immer mehr in mich zusammenfiel.

Am Ende hielt nur er mich noch aufrecht. Seine Hand hob meinen Kopf an und in seinen Augen wütete ein Sturm. »Ich werde ihn finden Victoria und ihm jeden einzelnen Knochen brechen. Er wird sich wünschen, nie geboren worden zu sein.«

»Ganz schön abgedroschen der Spruch.«

Er fuhr mir mit der Hand in den Nacken. »War das etwa schon wieder ein Scherz?«

Schwer legte ich mich auf ihn. »Mag sein. Weißt du, was komisch ist.« Ich fand es tatsächlich seltsam neu und ungewohnt. »Ich glaube, ich hab Hunger.«

Er gab einen erstickten Laut von sich, eine Mischung aus Freude und Qual. »Dann ist es ja gut, dass Alistair mich angerufen hat und ich einen ganzen Berg essen mitgebracht habe.«

Das Gefühl ihm so nah zu sein war schön und schmerzhaft zugleich. Das war es schon seit Susans Ankündigung, aber jetzt mischte sich noch etwas dazu, was ich nicht richtig zuordnen konnte. Als er seinen Kopf drehte, so dass unsere Lippen nah einander waren, bewirkte es jedenfalls, dass ich von ihm wegschnellte wie ein Flummi und aufstand. »Dann gehen wir besser runter.« Nervös spielte ich mit meinem Sweatshirt.

Er hatte nicht mal die Andeutung eines Versuchs gemacht mich zu küssen. Aber auf einmal fühlte ich mich völlig befangen neben ihm, mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Nicht zu fassen das ich ihm mal wieder alles erzählt hatte, und kaum zu fassen, dass er mich immer noch genauso ansah wie vorher.

»Na los, dann auf zu den Scones.« Ich war schon durch die Tür, als er mich sanft stoppte. »Victoria, darf ich den anderen erzählen, was passiert ist?«

Meine Finger legten sich über seine auf meinem Arm. »Ja! Mach du das bitte.«

Ein Gurkensandwich, dass nicht mal übel war und einen Scone mehr schaffte ich erstmal nicht. Alles schmeckte ok, aber echte Begeisterung regte sich nicht. Nach kürzester Zeit war ich wieder völlig erledigt und spürte diese dunklen kalten Tentakel, die mich umgarnten. Sherlock hatte recht, es wurde schlimmer und schwerer. Alles, was ich denken konnte, war, hochgehen, Kokain nehmen, etwas spüren.

Alistair, Edward und Henry schienen unglaublich glücklich mit mir an einem Tisch zu sitzen und unterhielten sich angenehm. Lahm biss ich in einen Muffin, den ich am liebsten direkt ausgewürgt hätte. Ich war durch, komplett. Hochgehen Kokain nehmen, Licht spüren.

Sherlock sah mich aufmerksam an. Mein Kopf war unendlich schwer und meine Muskeln wie Brei. Zitternd trank ich einen Schluck Tee und schaffte es kaum, meine Tasse wieder abzustellen. Als würde ich einfach einschlafen. Ich rutschte fast vom Stuhl, so erschöpft war ich. Mein Arm schwankte unkontrolliert, als ich zu Sherlock rübergriff und seitwärts kippte. Sofort fing er mich auf. »Sher ...« Ich verzog mein Gesicht zu einer traurigen Fratze und schloss meine Augen. Alistair stand schon bei uns und wollte mich ihm aus dem Arm nehmen. Aber ich krallte mich an Sherlock. »Kannst du mich hochbringen? ... Bitte!«

Die Beiden tauschten einen rivalisierenden Blick, aber Alistair ließ ihn mich hochtragen. Wieder legte er mich so sanft ab und setzte sich neben dem Bett auf den Stuhl.

»Darf ich noch einmal?«

Er verstand sofort. »Nein Vi, lass es. Ich weiß das ist alles, woran du denken kannst, aber es wird mit jedem Mal schlimmer.«

Ich griff fast blind nach ihm und war tierisch nervös, als ich meinen Mut zusammennahm. »Kommst du ins Bett, zu mir?«

Er seufzte. »Nein besser nicht Kleines. Alistair bringt mich um, wenn ich seinen Platz einnehme.«

Leise murmelte ich: »Er ist nicht hier.«

Er kniete sich vor mir auf den Boden, um auf Augenhöhe mit mir zu sein. Seine Fingerspitzen liebkosten mein Gesicht, während er mir tief in die Augen sah. »Bis morgen mein Schatz. Schlaf ein bisschen vor dem Abendessen.«

Traurig sah ich weiter auf den leeren Fleck, an dem er gerade noch gesessen hatte. Also war die Entscheidung tatsächlich endgültig gegen mich ausgefallen. Alistair hatte anscheinend schon an der Tür gewartet und legte sich nun zu mir. Vorsichtig versuchte er, mich in den Arm zu nehmen, aber ich musste jetzt für mich sein. Wie immer war ich irgendwie froh das Sherlock weg war und dann fragte ich mich direkt, wann er endlich wiederkommen würde.

An Schlaf war nicht zu denken, dafür war ich viel zu unruhig. Kokain nehmen, mich spüren. Verdammt ich wollte gerne nochmal diese Kraft in mir spüren, die ich seit Wochen verloren hatte. Immer energischer war der Gedanke, dass ich es anders nicht schaffte. Alistair ging duschen und ich starrte wie gebannt auf diese Schublade. Leise stand ich auf und hörte, wie Alistair kurz das Wasser abstellte. Haare waschen, Körper einseifen. Die Linie war schon gezogen, das Wasser ging wieder an. Wie hemmungslos und leicht es mir jetzt schon fiel, das Zeug in meine Nase zu ziehen. Erleichtert rieb ich mir die Reste vom Gesicht und der Kommode. Vorsichtshalber legte ich ein Buch über die Stelle im Holz. Der kleine Plastikbeutel war so gut wie leer. Ob Sherlock mir neues besorgte? Eher nicht. Erstmal verstaute ich den Rest direkt bei mir am Bett und kroch wieder unter die Decke. Als Al aus der Dusche kam, stellte ich mich schlafend. Mein Plan ging erstaunlich gut auf und er verließ leise das Zimmer. Das schlechte Gewissen regte sich ihm gegenüber, aber auch wegen Sherlock und meine Vernunft meldete sich mit aller Macht, verfluche mich dafür so den Verstand zu verlieren. Dann aber floss das künstliche Leben durch mich durch. Im Schneidersitz warf ich meinen Kopf in den Nacken und genoss diese Helligkeit und Energie. Obwohl sie mir bei weitem nicht mehr so berauschend vorkam wie heute Morgen, war der Unterschied zu diesem erdrückenden Gefühl der Schwere und Dunkelheit eklatant. Ich sang leise vor mich hin, wiegte mich in dem Gefühl von Normalität, was auch immer.

Wo war eigentlich mein Handy. Schnell fand ich es neben dem Bett und schrieb Nathan, ob er morgen vorbei kommen könnte. Erfreulicherweise ja. Wie irre fing ich verschlagen an zu grinsen. »Bringst du mir Croissants mit?« Ungeduldig tippte ich mit den Fingerspitzen auf die Rückseite.

»Alles was du willst Honey.«

Aufgeregt machte ich einen kleinen Hüpfer. Verwegen tippte ich. »Dann bitte auch ein bisschen Kokain.« Meine Finger fingen vor Aufregung an zu zittern, das könnte schief gehen. Als die Nachricht eintraf, schlug mein Herz wie wild in meinem Hals.

»Flüssig, zum Schniefen oder rauchen?«

Freudig biss ich mir auf die Unterlippe. Shit war ich böse und fühlte sich das gut an. Keine Regeln mehr für Vi. Flüssig, das wollte ich probieren. Das anständige Mädchen in mir rebellierte ein wenig. Komm zur Vernunft, zieh dich nicht weiter runter in diesen Mist. Aber es half mir doch, begehrte meine andere Seite auf. »Flüssig und fürs Näschen. Danke, danke, danke hab dich lieb.« Wie bitte schön kam man an sowas dran?

»Dafür brauch ich ein bisschen Zeit. Reicht morgen Nachmittag?«

»Du bist der Beste.«

Glücklich grinsend hüpfte ich auf meinem Bett hin und her. Im Leben hätte ich nicht damit gerechnet, dass das funktionieren würde.

»Weiß Sherlock Bescheid?«

»Ja« Kurze Sendepause, in der ich mir einen Schluck Whisky genehmigte. Die Flasche war auch halb leer.

»Warum besorgt er dir den Stoff nicht? Lass mich raten, er ist nicht begeistert.«

»Alles, was mir hilft, ist für ihn ok, aber er macht sich Vorwürfe, deswegen will ich ihn nicht überstrapazieren.« Grundsätzlich log ich nicht.

»Ok, aber zuerst reden wir darüber, ausführlich. Das ist eine Abwärtsspirale ohne Boden, wenn du nicht aufpasst. Bis morgen.«

Ich schickte ihm ein Daumen hoch und einen Kuss Emoji. Oh Yeah, das war der Wahnsinn. Mein Kopf war leicht und glücklich. Mein Körper vibrierte vor Energie und morgen hätte ich mehr davon.

Verwegen schrieb ich Sherlock. »Hi du, böse Frage einer Süchtigen.« Grinse Smiley.

Keine Minute später kam eine Antwort. »Vi, warum nochmal. Ich hab wirklich gedacht, du bist beherrschter. Und nein, ich kauf dir keinen neuen Stoff. Teils dir ein, danach war´s das.«

Gut, dass nicht alle so anständig waren. »Ich wollte eigentlich fragen, ob du mir Whisky mitbringst. Ja, ich weiß Alkohol ist auch keine Lösung, aber … warte ... Alkohol ist eine Lösung.« Noch eine grinse Smiley. Ich konnte ihn quasi seufzen hören und vielleicht ein kleines Lächeln.

»Da kommt das Chemiewissen durch mmh, bitte sag mir das die Flasche nicht leer ist und bitte auch nicht bist morgen. Du bist so dünn und isst so wenig, dass ich mir wirklich Sorgen mache, wenn du dich so mit dem ganzen Zeug zuknallst.«

Ich schickte ihm ein Foto von der Flasche und nahm danach direkt einen weiteren großen Schluck, dass es mich schüttelte.

»Ok Kleines, so soll sie bis morgen bleiben. Übertreib nicht. Ich flehe dich an.«

Mein Körper bekam sein Gewicht zurück, Stück für Stück floss das Schöne aus mir raus. Schwere legte sich auf meine Muskeln und Angst kroch in meinen Verstand. Hintergründige immer an mir nagende Angst vor dem Leben, vor dem Schlafen, davor ich zu sein. Mein Finger schwebte über der Tastatur. »Ok.« War alles, was ich schickte. Kein liebst du mich? Kein du fehlst mir! Kein komm zu mir. Kein komm nie wieder her und erst recht kein, lass mich sterben, aber das war es, was jetzt meinen Verstand wieder einnebelte. Schmerz und der Wunsch das es aufhörte.

Ich wollte zu meinem Baby.

Die Flasche wanderte in meinen Schrank am Bett und ich glitt unter die Decke. Stumm und reglos, mit offenen Augen, ohne etwas zu sehen oder zu hören. Komm versuch es. Geh runter zu Alistair. Nein, ich spürte meine Beine ja nicht mal mehr. Ich spürte mich nicht mehr. So leer und dunkel. Gab es denn irgendwas, wofür man leben sollte? Gnädigerweise schenkten der Alkohol und vielleicht der Rest Kokain mir diesen Dämmerzustand, in dem ich mich sacken ließ.

Scheinbar war ich eingeschlafen. Schlaf war mein größter Freund und manchmal mein größter Feind. Mitten in der Nacht wurde ich wach. Positiv war, dass ich nicht leer war, ich fühlte. Negativ war, ich fühlte eine große Portion Unsicherheit und Angst und Scham und so viel Schmerz, dass ich versuchte, ihn wegzudrücken, um nicht durchzudrehen. Alistair lag tief schlafend neben mir. Mein Handy lag dort, wo ich es abgelegt hatte, und ich schob es mir in die Strickjacke, die ich mir überstreifte. Nachts war ich allein und es tat gut niemandem gerecht werden zu müssen. Immer hatte ich das Gefühl, wenn ich mit ihnen agierte, dann bitte schön richtig. Eine Unterhaltung, Erklärungen, schön am Tisch sitzen und essen.

Durfte ich lachen? Durfte ich weinen? Ich war völlig verloren unter Menschen. Ich war in mir selbst verloren, was durfte ich, was war angemessen? Nichts, denn alles war eine Lüge und alles falsch. Wie konnte ich da weiterleben?

Ohne darüber nachzudenken, stand ich schon in Sherlocks alten Arbeitszimmer und setzte seinen Whisky an meine Lippen. Gott ich hatte wahrscheinlich ununterbrochen einen Alkoholpegel im Blut, der sich gewaschen hatte. Der Rauchgeschmack stieg mir in die Nase und das angenehme Brennen in der Kehle setzte ein. Ein Schluck, zwei Schluck, drei, vier. Ich schüttelte mich fürchterlich. Nicht einmal hatte ich die Flasche abgesetzt. Der Knoten in mir, der alles fest verzurren sollte, hatten zu viele lose Enden bekommen, die mich Dinge fühlen ließen, die ich nicht wollte, nicht ertrug. Wieder landete der Flaschenhals an meinem Mund und ich zog das Zeug runter wie Wasser. Vergessen, wieder taub werden. Nicht leer, aber unbedeutend, was man fühlte. Mir wurde furchtbar schwindelig und ich stolperte über meine Füße. Verdammt das war zu schnell gewesen, dachte ich und trank weiter. Alles verschwamm und ich kicherte bitter, als meine Muskeln weich wurden. Kokain war besser, aber den Rest wollte ich nicht verschwenden. Zwei Finger breit Whisky war noch in der Flasche. Lohnte sich ja nicht mehr.

Den Schrank zu zuschließen, nachdem ich die leere Flasche reingestellt hatte, fiel mir unglaublich schwer und ich lachte über meine Trotteligkeit. Au weh, mein Kopf war ein einziges Karussell. So betrunken war ich nie vorher gewesen. Mit ausgestreckten Händen torkelte ich im Halbdunkel Richtung Flur. Die Treppe war mindestens zehn Meter hoch, das war absolut unmöglich, vor allem weil sie so seltsam hin und her schwankte. Mit beiden Händen am Geländer sah ich rüber zu der Tür, die in meinen Damensalon führte. Ein Zimmer, dessen Existenz quasi in Vergessenheit geraten war. Ich war nur wenige Mal drin gewesen, dabei hatte ich die Vorstellung geliebt, mein Lady Zimmer zu haben, als ich das Haus hatte renovieren lassen.

Wie auf einem Schiff mit Seegang bewegte ich mich rüber in mein Refugium der Weiblichkeit. Das war mir schön eingefallen. Kichernd schloss ich die Tür von innen und schwankte zu diesem wunderschönen viktorianischen Sofa mit Holzrahmen und hoher Lehne. Blau bezogen mit grünen Kissen und einzelner Wolldecke. Mit angezogenen Beinen machte ich es mir na ja unbequem, aber ich lag. Das Zimmer war schön. Warum war ich nie hier? Mein Blick fiel auf den Kamin. Der aus Naturstein gearbeitet war, schön, ja schön, nur leider bewegte er sich im Kreis wie alles andere auch. Augen zu war noch schlimmer. Ich konzentrierte mich auf einen Punkt und versuchte mich, nicht zu schnell zu drehen. Den Strudel musste ich jetzt wohl durchstehen. Was mir vorkam wie Stunden in einem nervigen Karussell, das mir Kopfschmerzen und Übelkeit verursachte und einfach nicht langsamer werden wollte. Aber auch diesmal erlöste mich der Schlaf irgendwann, wenn auch nicht für lange.

 

Eine Zeitlang saß ich schon hier am Fenster und sah zu, wie die Welt erwachte. Langsam dämmerte es und die Schulkinder liefen vorne fröhlich schwatzend vorbei. Seit ich mit Al zur Schule gegangen war, schienen Jahre vergangen zu sein, fast ein ganzes Leben.

Im Grunde war ich immer noch sturzbetrunken. In meinem Mund war dieser fahle Geschmack und meine Haut fühlte sich wächsern und schwammig an. Zuviel Alkohol und anderes. Jemand polterte die Treppe runter, wahrscheinlich Alistair. Dösend lag ich in meinem Stuhl, der viel bequemer war als ich gedacht hatte und blendete alles aus. Die Geräusche und Stimmen im Haus nahm ich nur, wie aus weiter Ferne wahr.

Irgendwann verließ Edward das Haus, ich sah ihn hektisch über den Weg laufen. Der berühmte Londoner Nebel nahm meine Aufmerksamkeit wesentlich intensiver in Beschlag. Es hatte doch etwas Anmutiges, wenn er so über den Rasen waberte und die Geräusche schluckte.

Das nächste Geräusch war allerdings nicht zu überhören. Etwas knallte gegen die Tür und Sherlocks Stimme ertönte laut und zornig: »Wie kannst du nicht wissen, wo sie ist? Junge ich bring dich um, wenn ihr was passiert ist.«

Dann Alistair. »Beruhig dich Mann und hilf mir lieber.«

Aber Sherlock schien außer sich. »Du hast mir versprochen bei ihr zu bleiben, jede Nacht, und auf sie aufzupassen. Das war der Deal, den du jetzt brichst, also erwarte nicht von mir, dass ich mich an meine Seite halte.« Was für ein Deal?

»Sherlock, wag es nicht! Sonst bring ich dich um!« Warum wollten die zwei Menschen, die ich am meisten liebte, sich ständig gegenseitig umbringen. »Ich hab neben ihr geschlafen. Ich dachte, ich werde wach, wenn was ist. Früher immer bin ich das immer.«

Das stimmte, umso erstaunter war ich auch von Anfang an gewesen, dass er meine nächtlichen Ausflüge nicht mitbekam.

»Wahrscheinlich bist du einfach zu müde. Ok, du hast das Haus komplett durch? Ihr Handy ist laut Signal hier.« Sherlock hörte sich etwas besänftigt und konzentriert an.

Alistair klang dagegen müde und verzweifelt. »Ich hab überall nach gesehen.« Fast hätte ich laut gelacht, wenn mein Mund oder sonst ein Muskel sich hätte bewegen wollen.

Tief in mir wusste ich, dass ich aufstehen oder rufen musste, aber mein träger Geist war eins mit meinem trägen Körper und hatten entschieden, noch nicht, gleich vielleicht, noch ein bisschen. Meine Aufmerksamkeit richtete sich wieder der Straße zu.

»Hast du das Handy gefunden?«

»Nein.«

»Verdammt, ich ruf gleich die Polizei.«

Das war mein Stichwort und gab mir genug Energie es wenigstens zu versuchen. Schwerfällig holte ich mein Handy aus der Tasche, aber der Akku war leer und ich ließ es nutzlos fallen zusammen mit meinem Kopf, der unsanft auf dem Tisch landete.

»Hast du das gehört? Warst du hier drin?«

Schwerfällig schob ich den Arm unter meinen pochenden Schädel, hörte diesem fiesen Rappeln der Tür zu. Anscheinend hatte ich abgeschlossen.

»Victoria? Schatz?« Eine Hand schob sich an meine Wange und hob sanft meinen Kopf an. »Du hast uns einen Riesenschreck eingejagt.«

Müde sah ich ihm in die Augen, meine grünen Augen, die jetzt aussahen wie Moos in der Dämmerung. Dunkelgrün mit diesem Schimmer.

»Du bist sturzbetrunken, oder?«

Meine Hand hob sich und glitt ihm über die Lippen, was ihm ein Zucken entlockte. »Fickst du sie oft?«

Völlig verstört sah er mich an. Ich wusste selbst nicht, warum ich das jetzt fragte? Weil ich eine Reaktion wollte und wenn es nur mein eigener Schmerz war.

»Komm Schatz, ich bring dich hoch.« Er wollte mir die Hand unter den Arm schieben, aber ich wehrte ihn ab.

»Nein, nicht anfassen. Keiner!« Mühsam rappelte ich mich auf und schwankte so stark, dass ich mich festhalten musste.

»Alistair ruf Edward an, sie hat eindeutig eine Alkoholvergiftung.«

Wut platzte aus mir heraus und ich schlug Al das Handy aus der Hand. »Fickt euch doch alle selber, oder gegenseitig.« Alistair starrte mich an, wie einen Alien. Ich schrie ihm bestialisch ins Gesicht und ging dann torkelnd die Treppe hoch.

Keiner von ihnen hatte erlebt, was ich erlebt hatte. Keiner von ihnen empfand seinen Körper als Fremdkörper oder dreckig eklig. Keiner wusste, wie es war sein Baby zu verlieren. Auf der Treppe rutschte ich weg mit dem Fuß zwei Stufen rückwärts. Sherlock hatte direkt eine Hand an meinem Rücken. Blind schlug ich nach hinten.

»Vi komm, lass mich dir wenigstens Schutz geben bis oben.«

Ruckartig drehte ich mich um. Ich wollte so viel fragen, aber ich kraulte ihm stattdessen die Haare. »Hast du meinen Whisky dabei?«

»Nein.«

Meine Hand wanderte über sein Gesicht, seine schönen Wangenknochen, seinen Mund, aber in mir regte sich kein wirklicher Wunsch, ihn zu küssen. Es war mehr wie das Betrachten einer Statue. Nicht real, denn in der Welt, in der ich gerade gefangen war, gab es sowas wie Liebe oder Sex gar nicht. »Dann komm wieder, wenn du ihn hast. So bist du wertlos.« Zügig ging ich die Treppe hoch und schlug die Tür hinter mir zu.

 

Verachtung kam dazu, eins mehr, was ich Nettes für mich fühlte. Stundenlang hatte ich in meinem Bett gelegen und jeden Versuch mit mir zu sprechen abgeblockt. So konnte das nicht weitergehen. Hatte ich nicht den Entschluss gefasst zu überleben und nicht aufzugeben? Egal, was es kosten würde? Überwindung kostete es mich, denn ich musste zuerst zu mir finden, mich selbst wie ich nun war akzeptieren und das war endlos schwer.

Zum ersten Mal schleppte ich mich alleine unter die Dusche. Zögernd zog ich den Slip aus. Wie konnte etwas so Banales so ungeheuer schwer sein. Überraschenderweise tat mir das heiße Wasser gut, wie es immer schon Knoten in mir gelöst hatte. Reglos stand ich minutenlang da und konzentrierte mich auf das Gefühl meiner Haut, wenn das Wasser hinunterlief, über die Brustwarzen, den Bauch, der jetzt leer war, ohne mein Baby. Ein Stich fuhr mir durch die Brust. Vorsichtig sah ich an mir herunter und legte meine Hand darauf. Viel zu flach. Das war das erste Mal, dass ich mich bewusst berührte und ansah. Ich war dünn, sogar meine Brust war kleiner. Bedächtig fuhr ich mir mit den Händen über den Körper, während ich das Duschgel verteilte. Ich fühlte mich fremd an.

Nachdem auch meine Haare sauber waren, blieb ich den Kopf in den Wasserstrahl gerichtet stehen. Und etwas wie echter Genuss und Erholung breiteten sich in mir aus. Ein weiteres Teil hatte sich angefügt. Vorsichtig glitt ich mit meiner Hand nach unten und legte sie auf meinen Venushügel. Panik überrollte mich. Panik vor meiner eigenen Hand. Aber ich musste wissen, musste mich wieder annehmen. Mein Finger teilte die Schamlippen und glitt hinein, spürte die Wärme, die Klitoris. Daran war nichts Erregendes nur ein erstes Kennenlernen. Nachsehen, ob alles noch da war. Mich schauderte bei der Vorstellung, den Finger weiter nach unten zu bringen. Den kaputten Teil zu erforschen. Schluchzend und schwer atmend rang ich mich dazu durch und zuckte vor meiner eigenen Hand zurück. Ich atmete langsam und tief und versuchte es nochmal. Schamlippen, Klitoris und dann das rauere Gewebe und die Öffnung. Ein wenig tat es weh, wo die Haut sich vorne dehnte, dort wo der längste Riss gewesen war. Ich führte meine Finger weiter, qualvoll durch die Erinnerung und brach abrupt ab.

Nach weiteren endlosen Minuten unter heißem Wasser war mein Puls wieder halbwegs normal und mir bewusst, es war gut gewesen. Noch eine Kante, die nicht mehr ganz so scharf war.

Erschöpfung war mittlerweile mein zweiter Vorname und sie übermannte mich jetzt wieder, als ich mich abtrocknete. Aber ich fühlte mich stärker, was mich leider nicht darauf vorbereitete mich im Spiegel zu sehen. Als ich mit der Bürste davor stand, konnte ich nicht glauben, dass ich das war. Ich war nicht dünner oder flacher, ich war vollkommen abgemagert. Meine Wangenknochen ragten scharf und spitz empor. Die Augen waren riesig, aber eingefallen und hatten dunkle Ränder. Meine sonst vollen Lippen waren verkniffen faltig und schmal. Mein ganzes Gesicht war mager und blass. Überall kleine rote Striche und blasse blaue Schatten. Mein Blick wanderte tiefer. Woher kamen nur all die blauen Flecken, bzw. Grünbraunen, fast verheilt, manche schon sehr blass nur noch Schatten, kleine frische Narben und Teile von kleinen Schorfresten verteilten sich kreuz und quer über Arme, Bauch und Beine. Spuren der Äste, die mich erwischt hatten. Dann sah ich mir den Rücken an mit den zwei großen neuen Streifen, die nicht gänzlich verheilt waren, aber schmal und gut genäht, dadurch gut zusammen gewachsen. Nur die eine Narbe hatte an einer Stelle Verdickungen, die frischer aussahen. Wahrscheinlich war das die Stelle, die ich mir mehrmals aufgerissen hatte. Verrückt das ich mich nicht erinnern konnte.

Sanft strich ich mit den Händen über meinen Körper. Das bist du und er gehört dir und ab jetzt wirst du dich wieder besser darum kümmern. Du hast es überlebt und du kannst noch Kinder bekommen. Direkt krümmte mich der Schmerz zusammen. Ich starrte mir selbst in die Augen, hoffte auf irrsinnige Weise, mein Spiegelbild würde etwas sagen, wie es ist in Ordnung weiter zu machen. Aber das musste ich mir schon selbst sagen. Leise sagte ich in den Spiegel. »Es ist ok, mach weiter. Einen Schritt nach dem anderen.«

Nur wie und was und mit wem?

 

Ich war bei meinem zweiten Croissant angelangt, ambitioniert kämpfte ich mit dem Drang, nicht weiter zu essen. Aber als ich vorhin meine engste Hose angezogen hatte, war ich versunken und konnte sie, ohne aufzumachen runterziehen. Mein Leben lang hatte ich über meine Kurven geflucht, aber jetzt vermisste ich sie schon fast. Also hatte ich für Nathan eine Leggings und einen langen weiten Pulli angezogen. Alistair war fast in Ohnmacht gefallen, als er mich so normal gesehen hatte. Nach ca. 5 Minuten Erdrücken war er, einkaufen gefahren. Kurz darauf war auch schon Nathan erschienen. Mit Croissants, die ich mir jetzt reinwürgte. Schmecken taten sie mir nicht.

»Du siehst besser aus Vi, geht’s dir besser?«

Eigentlich wollte ich nicht darüber sprechen und wiegelte ihn ab. »Ich versuche es. Was malst du im Moment?«

Er lächelte mich liebevoll an. »Ich bin stolz auf dich und auf mich, weil ich mit einer so wahnsinnig starken Frau … äh ... befreundet bin.«

Der Eiertanz. »Geschlafen hast, wolltest du sagen? Zusammen warst?«

Er sah mich nur still an, bevor er langsam fortfuhr. »Wasserfälle. Ich male Wasserfälle. Sie sind schön.« So knapp und ruhig kannte ich ihn nicht. Wie gesagt der berühmte Eiertanz mit der kaputten und psychisch kranken Irren.

Den letzten Rest meines Gebäcks musste ich übrig lassen. Wie Steine lag mir das Essen im Magen. »Das hört sich auch schön an.« Ich trank von meinem Tee. Die Tasse in zwei Händen haltend, weil ich wieder mal zitterte. Der Versuch normal zu sein machte mich nervös und angespannt.

»Das Zimmer hier gefällt mir, als wäre man in der Zeit zurückgefallen.«

Ich hatte mich mit ihm in den Damen Salon gesetzt. Es stellte sich als Segen heraus, dass ich das Zimmer nie genutzt hatte. Denn jetzt war es ein Neuanfang.

»Über den Kamin passt das Bild von dir gut hin.«

Jetzt schmunzelte ich kurz, bevor sich die kleinen Knoten im Bauch bildeten. Reiß dich zusammen, ich sollte doch ruhig schmunzeln wegen des Gedankens. »Das Nacktbild über dem Kamin des Frühstückszimmers ihrer Ladyschaft. Das hat was.«

Leicht erschrocken meinte er: »Ich dachte eigentlich an das im Ballkleid. Das würde vom Stil hier gut rein passen.«

Lange sah ich mit sehr gemischten Gefühlen auf die große leere Fläche, aber trotzig war ich schon immer. Ich hasste mich und meinen Körper? Pech gehabt, das würde ich nicht zulassen. »Nathan, was denkst du, das Bild, auf dem ich auf dem Rücken liege und die Arme nach hinten fallen lasse. Mit der roten Decke.«

Entgeistert sah er mich an, dann grinste er frech. »Verflucht nochmal, das Bild ist das schärfste. Dir ist schon klar, dass man alles sieht? Von den harten Brustwarzen bis ihn zu der leichten Öffnung deiner Schamlippen. Und Victoria ... dein Gesicht. Das hab ich eigentlich nur für dich gemalt.«

Da kam etwas Freches in mir hoch. Der Teil, der sich bei Nathan immer so wohl gefühlt hatte, weil ich es frei lassen konnte. »Nur für mich?« Ich schielte verhalten lächelnd über den Tassen Rand »Wie viel Sperma hast du in der Zeit so produziert?«

Jetzt lachte er schallend. »Oh Vi, du bist unmöglich.«

In mir war etwas wie ein Anflug von Glück und Freude, aber auch Sehnsucht nach früher und Schmerz und so viel Angst vor der Zukunft. Was wenn ich es nicht schaffte. Ich stellte meine Tasse hin, ging zu ihm. »Nathan?« Ich wischte ihm diese widerspenstige Strähne aus den Augen, die ich schon immer so an ihm mochte. »Würdest du etwas mit mir versuchen?«

Abwartend sah er mich von unten an. Mein Herz klopfte wie verrückt, als ich ihm meine Hand hinhielt, grübelnd nahm er sie.

Schritt eins, jemand anderes als Sherlock oder Alistair nimmt meine Hand. Mit der anderen Hand wanderte ich sanft über seinen Unterarm, soweit ich unter dem Shirt kam. Es war seltsam, was in mir an Gefühlen erwachte. Alles war in diesem Knäuel von Panik über Freundschaft bis hin zu, was mich fast verstörte, einem gewissen Grad an Begehren, wenn auch kaum zu erahnen.

Sanft streichelte er meine Hand mit seinem Daumen und stand auf. Ich zuckte leicht zusammen und zwang mich nicht zurückzuweichen, als er so nah vor mir stand.

Natürlich hatte ich in Sherlocks und Alistairs Armen gelegen. Aber nie mit diesem Hintergrund und nicht zu vergessen. Sie waren für mich eine Sicherheit, ein vertrautes zu Hause.

»Ist es das Vi? Was du versuchen willst? Nähe?«

Nervös atmete ich zu schnell und zu flach. Mit einem erstickten Laut bejahte ich seine Frage. Starr stand ich vor ihm meine Finger immer noch in seinen.

»Vi, soll ich weitermachen?« Mit gesenkten Augen nickte ich. Seine Hand glitt sanft an mein Gesicht und hob es zärtlich an. Sein Kopf kippte, um mich ansehen zu können oder um mich … küssen zu können? Er kam ein wenig näher und mein Herz geriet aus dem Takt, stolperte vor Angst. Langsam strich er über meinen anderen Arm hoch an die andere Seite meines Gesichts.

Aufregung, schlechte, aber auch gute Aufregung. Die Erinnerung seiner Lippen, Gott er konnte so gut küssen. Sein Mund kam näher und er stieß mit seinem Knie an mein Bein. Ob es das war? Ich weiß es nicht, aber ich drückte ihn weg, stolperte rückwärts bis zur Sofalehne und ließ mich dort schwer atmend nieder. »Tut ... tut mir leid.« Benommen hielt ich mich am Holzrahmen fest und versuchte, mein Herz wieder in einen normalen Rhythmus zu bekommen.

»Du hast doch Zeit. Dass du mich ausgewählt hast, ehrt mich.«

Das Schlimmste war, ich wollte ihn küssen, mich beweisen, ausbrechen aus diesem Gefängnis aus Angst, aber ich bekam es nicht hin. Als würde mein Körper denken ich wollte aus einem Flugzeug springen ohne Fallschirm. Jede Faser meines Körpers schrie Gefahr. Tu das nicht.

Ich ließ mich rücklings aufs Sofa fallen und seufzte schwer. »Hast du mir was mitgebracht?«

Von oben sah er auf mich herunter, eindeutig nicht glücklich. »Ja, das habe ich.« Langsam zog er einen kleinen Plastikbeutel mit Kokain hervor und dann eine Glasröhre mit Flüssigkeit. »Du solltest das besser nicht machen, ich kann gar nicht glauben, dass ich dir das Zeug besorgt habe.«

Ich hüpfte hoch und sah gierig ich auf die Flüssigkeit. Es juckte mir in den Finger »Ich kann nicht glauben, dass man sowas besorgen kann

Er schloss die Faust darum. »Du siehst mir entschieden zu glücklich darüber aus. Verdammt wie viel nimmst du schon?«

Schrill wehrte ich mich: »Ich hab mir nie was gespritzt. Ehrlich gesagt weiß ich nicht mal, wie das geht.«

Skeptisch kniff er die Augen zusammen. »Aber du hast eine Linie gezogen?«

Schuldbewusst nickte ich. »Zwei, dreimal.«

Schwer ließ er sich seufzend neben mir fallen. »Ich häng zwischen den Stühlen Zuckerschnute. Nochmal anzusehen, wie sich jemand kaputt macht mit diesem Zeug, ist nicht gerade eine meiner bevorzugten Vorstellungen.«

Ich konnte meinen Blick nicht abwenden von der Hand, die meine Energie und dieses berauschende Gefühl enthielt. »Nur bis es besser wird.«

Er knurrte: »Wie ich solche Sätze hasse. Nur noch einmal. Nur, weil ich gerade so traurig bin. Nur, weil ich das schaffen muss. Vi das ist nicht nur, das ist jedes Mal ein Stück von dir selbst, das du hergibst. Sieh dir an was Sherlock bei dir angerichtet hat an dem Abend. Wie viel Vorwürfe er sich deswegen macht! Willst du auch so einen fatalen Mist bauen?«

Gekränkt ging ich zum Fenster. »Nathan, meine Gründe sind nicht Eifersucht oder gekränkte Eitelkeit oder was auch immer Sherlock da antreibt.«

Er stand plötzlich neben mir. »Was bitte ist dein Grund?«

Mir kamen die Tränen, schnürten den Hals zu, was sollte ich sagen. Da gab es vieles. Das wichtigste vielleicht, aber war das fair? Ihm so eine Last aufzubürden. Anders würde er vielleicht nicht einwilligen. Ich räusperte mich. »Zuerst, ich kann mich spüren. Das hört sich doof an, aber ich bin taub, seit ... alles an mir ist fremd und taub. Leer und dunkel.«

Zärtlich streichelte er mir vorsichtig über den Arm. »Das braucht nur Zeit.«

Also doch die bittere Wahrheit »Wenn ich high bin Nathan, dann ...« Ich biss mir auf die Lippen.

»Was dann Vi?«

Ich schmeckte Blut. »Dann will ich nicht sterben.«

Seine Augen weiteten sich. »Wie meinst du das?«

Ich rieb mir mit den Handballen die Augen. »Es ist schwer, mich davon abzulenken. Das Messer da auf dem Tisch, mein erster Gedanke, als ich es in die Hand genommen habe, war: Ist es scharf genug um mich ernsthaft zu verletzen? Das Glas, kann man sich mit einer Glasscherbe die Pulsader aufschneiden? Das denke ich ganz nüchtern. Und die meiste Zeit lieg ich da und will nur, dass es aufhört, dass ich aufhöre zu existieren. Nathan, ich hatte schon früher Depressionen auch davor die Wochen in London immer wieder Anflüge. Auch eine Art Todessehnsucht. Aber jetzt ist es oft, als wäre das Leben das Falsche und nicht der Gedanke an den Tod. Und ich muss da raus, muss wieder etwas Helles fühlen. Und als ich high war, hab ich mich lebendig gefühlt, ohne mich dafür … schuldig zu fühlen. Ich will mich einfach genug erinnern, das es schön sein kann zu leben.«

Er hatte mich aufmerksam gemustert. »Versprich mir, dass das nur eine Übergangslösung ist. Wenn du das hier aufgebraucht hast, sollte es gut sein.«

Ich blieb reglos stehen. Im Moment war mir alles egal, ob ich dran zu Grunde gehen würde oder süchtig werden oder ich mir eine Überdosis verpasste. Hauptsache ich kam weiter, raus aus meinem Gefängnis.

»Soll ich dir erklären, wie du dir was spritzt?«

Perplex sah ich ihm in die Augen. »Ja! Kannst du das denn?«

»Mein Vater ist Arzt und ich Sanitäter, also ja. Gib mir deinen Arm.« Er schob den Pulli hoch. »Hier hast du eine schöne Ader, flach und langsam, nicht zu tief, sonst stichst du durch.«

Zweifelnd tippte ich mit dem Finger auf die Stelle. »Ich kipp schon bei dem Gedanken um.«

»Umso besser, mir ist es eh lieber, du lässt es.«

Meine Finger griffen nach der Ampulle, die er abgelegt hatte. »Einmal will ich es wissen. Ich will wissen, was Sherlock gefühlt hat, warum er sich das immer antut.«

Seufzend nahm Nathan es mir ab. »Ok, jetzt? Dann bleib ich bei dir.«

»Jetzt sofort, denn ich fühl mich nicht gut.«

Er ging zu seiner Tasche und holte etwas raus. »Vi, wann fühlst du dich denn im Moment überhaupt mal gut.« Er hatte natürlich recht. Eine Spritze in der Hand und Desinfektionpads? Kam er zurück. »Komm, setz dich aufs Sofa. Einmal, aber dann mach ich das nicht mehr. Ich fühl mich eh schon schuldig. Wie ein Drogendealer. Das ist keine Lösung. Für nichts.«

Das Pad fühlte sich kalt an, als er den Punkt desinfizierte. Gebannt sah ich zu, wie er meinen Arm abband, dann einstach und der Inhalt in mich einfloss. Er löste das Band um meinen Oberarm und ich konnte regelrecht spüren, wie sich das Kokain verteilte. Oh, verdammt das ging so viel schneller. Binnen Sekunden kam es mir vor, fiel mir mein Kopf lächelnd nach hinten.

»Das ist der Hammer.« Nathan war kurz nicht neben mir gewesen, aber nun hängte ich mich halb auf ihn. »Das ist so viel besser.« Ich kicherte und legte ein Bein über ihn. Körperkontakt erschien mir auf einmal ganz natürlich und schön.

»Wenn ich dich so ansehe, sollte ich das wohl auch mal versuchen.«

Alles sirrte wieder vor Energie, aber diesmal, noch heller und besser. »Hast du nie?«

»Nein, ich hab zu viel Respekt vor den negativen Seiten.«

Ich hatte ihn kaum aussprechen lassen und legte schon meine Lippen auf seine.

»Vi, ich denke nicht ...«

Meine Zunge schob sich in seinen Mund. »Nathan, komm schon, gib mir Normalität. Normale Erinnerungen.« Meine Hände versanken in seinen Haaren.

»Vi, ich denke, dass du das nachher bereuen könntest.«

Ich war so voller Leben und Energie und ich war scharf auf ihn, nicht für alles bereit aber küssen. Etwas, was ich gedacht hätte, nicht so schnell wieder zu erleben. »Nat, ich wollte dich schon vorher küssen. Ich hab nur immer solche Angst.« Mein Mund streifte über seinen. »Aber jetzt nicht, ich bin frei.«

Dann wagte ich einen neuen Anlauf und stöhnte auf, als er mich zurück küsste. Es fühlte sich fantastisch an. Ich war frei, frei von Schuld und Angst. Schnell wurde der Kuss intensiver und ich griff ihm unter sein Shirt. Er war ein Schatz und tat von sich aus nicht mehr als mich zurück zu küssen und die Hand in meinem Nacken liebevoll zu verschieben.

Plötzlich drehte etwas in mir völlig auf und ich kniete mich rittlings auf ihn, allerdings mit angehoben Po. Ich fing an seinen Kiefer an zu knabbern und meine Hände über seine Brust zu schieben. Mein Kopf schien irgendwo weit weg in der Luft zu schweben und ich war so voller Energie. Stöhnend küsste ich ihn nochmal tief und intensiv. Er keuchte auf, als ich mich auf ihm nieder ließ.

Das Gefühl seiner Härte an mir stoppte mich und ich hob meinen Hintern wieder an. Meinen Kopf legte ich an seinen Hals. Das konnte ich nicht, nicht mal mit einer Tonne Kokain in den Adern, kam ich damit schon klar. In mir verdrehte sich etwas unangenehm.

»Komm ich ungelegen?«

Erschrocken sah ich hoch in grüne Augen, die mich von der Tür aus anblitzten. Nathan wand sich umständlich unter mir raus. Shit, das war nicht eingeplant gewesen. Ruhig und gelassen, fast gelangweilt stellte er eine Flasche auf den Tisch. »Wie versprochen, dein Whisky.« Nathan fluchte leise. »Dann stör ich nicht weiter. Schön, dass es dir besser geht Victoria.« Seine Stimme troff nur so von Spott.

Ich eilte zu ihm und packte ihn am Arm. Gott so viel Musik in meinen Venen und Drang zu leben. Atemlos hauchte ich: »Geh nicht Sherlock.« Ich fühlte mich einerseits, als wäre ich gerade von meinem Freund mit einem anderen erwischt worden, anderseits freute ich mich tierisch, über den Wunsch ihn zu küssen. Meine Hand schob sich automatisch auf seine Brust und ich fing an, mit den Knöpfen an seinem Hemd zu spielen. »Sherlock, geh nicht, wir könnten alle gemeinsam ...«

Nathan hinter mir stöhnte ungläubig auf.

Gleichgültig nahm Sher meine Hand von der Brust. »Wir sehen uns die Tage.«

Könnte es sein das die Wirkung schon wieder abebbte oder war die Angst, ihn zu verlieren stärker als die Macht der Droge. »Sherlock, es tut mir leid. Ich hab ihn drum gebeten. Das war nur …«

Mit dem Rücken zu mir stand er schon an der Tür. »Wenn es dir hilft! Bis morgen ... vielleicht.«

Genau da kam der Krampf in meinem Magen. Laut würgte ich und viel dabei auf die Knie. Wie immer, wenn es drauf ankam, war Sher sofort bei mir, aber auch Nathan, der fluchte: »Oh verdammt, hoffentlich war das Zeug nicht gestreckt.« Mein Puls raste.

Sherlocks Stimme war zornig und enttäuscht. »Kleines, du hast schon zu viel genommen. Die Tüte müsste doch leer sein.«

Nathan fuhr alarmiert hoch. »Welche Tüte?«

Langsam richtete ich mich wieder auf, aber meinem Magen ging es gar nicht gut. Nathan fragte mich mit erhobener Stimme: »Vi? Wann hast du zuletzt was genommen?«

Wieder krampfte mein Magen. Sherlock hatte die Finger an meinem Handgelenk. »Sie hat einen Puls zum Weglaufen. Hast du ihr etwa Kokain mitgebracht?«

Nathan stammelte unverständlich und Sherlock holte seine autoritäre Stimme raus. »Nathan sag’s einfach.«

»Ja und ich hab ihr geholfen.«

Ich stellte mich zwischen die beiden. Sher sah von mir zu ihm und griff dann brutal meinen Arm und zog den Ärmel über den Einstich. »Verfluchter Hurensohn, wie kannst du nur sowas tun.« Er ballte seine Hand zur Faust und streckte sie dann wieder. »Hattest du heute schon was genommen?« Benommen nickte ich. Mir war schwindelig und heiß. »Wann?«

Leise und schuldbewusst erwiderte ich: »Vor ungefähr einer Stunde, sonst hätte ich nicht runtergehen können.« Ich schwankte. »Mir ist schwindelig und furchtbar übel.«

Nathan nahm mich von hinten in den Arm. »Komm, wir legen dich hin.«

Mir knickten die Beine weg. Sher fing mich wie immer auf. Tonlos wisperte ich: »Du bist ein Ninja. Sher es fühlt sich falsch an.«

»Nathan, hol Edward, wo hast du den Stoff her? Verdammt wie viel hast du ihr gegeben?«

Nathan beantwortete die Fragen, aber wie bekam ich nicht mit und rannte hoch zu Edward, während Sher mich zum Sofa trug, allerdings in seinem Arbeitszimmer. Dort lag ich mit Augen zu und kämpfte gegen Übelkeit und Schwindel.

»Ich hab ihn nur geküsst weil ich ... Ich wollte gucken, ob es funktioniert.«

»Du bist mir keine Rechenschaft schuldig.«

Meine Hand suchte etwas von ihm egal was. »Aber ich ... Sherlock ich.« Meine Sinne waren wieder ganz stumpf und außer diesen Nebenwirkungen war da nichts mehr übrig. »Sherlock, ich versuch doch nur ...«

Er strich mir über die Haare. »Ich weiß Kleines.«

Edward war jetzt da und hantierte an mir rum.

Leise hörte ich Nathan. Er wirkte schrecklich betroffen. »Weißt du Bescheid? Sherlock?« Tief seufzte er, bevor er raunte. »Wir sollten reden.« Sie schienen sich weiter zu entfernen.

Sherlock schimpfte aufs ärgste mit Nathan, das dieser so dämlich und unverantwortlich gewesen war mich mit Drogen zu versorgen. Nathan antwortete steif. »Sie hat mir gesagt, dass sie versucht, sich nicht umzubringen. Sherlock. Sie versucht verzweifelt davon abzukommen sich umzubringen. Kapierst du, was ich dir sage.«

»Ja, dass ... Ich denke, das siehst du zu hart.«

Ich hörte, wie Nathan leise mit Sherlock anfing zu diskutieren.

Edward betrachtete mich derweil mit diesem strafenden Blick. »Dein Kreislauf ist zu angeschlagen. Hör auf damit, dich selbst noch mehr zu quälen, bitte Süße. Das wird dir nicht helfen.«

Ich zupfte an einem Faden meines Pullovers. »Was hilft mir denn Ed?«

»Soll ich dir ein Sedativum spritzen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Einiges, was ich wollte, hab ich erreicht.«

Neben mir war Sher aufgetaucht. »Und was war das?«

»Jemandem nah zu kommen, ohne ihn oder mich dafür zu hassen. Wobei ... das war kurzsichtig.« Spöttisch brummend fielen mir die Augen zu. Alles so unwichtig.

»Kleines soll ich dich ins Bett bringen?« Sher hatte mich schon auf seinem Arm und trug mich hoch. Ich dachte gar nicht daran, mich zu wehren, und schlang meine Arme um ihn, drückte meinen Kopf in diese schöne Kuhle über dem Schlüsselbein. Als er anfing mich runterzulassen, streiften meine Lippen wie zufällig seinen Hals und ein Flattern regte sich in meiner Brust. Schön etwas anderes zu fühlen. Meine Finger wollten ihn nicht loslassen.

Seufzend kam er runter zu mir. »Vi, mein Hemd wird nie wieder glatt werden. Ich bleib doch hier.« Ganz sanft löste er meine verkrampften Finger. Etwas heiser fragte er: »Kleines? Willst du wirklich nur weg, sterben?«

Mein erster Impuls war leugnen und verkriechen, deswegen drehte ich ihm den Rücken zu. Aber warum sollte ich nicht die Wahrheit sagen? So schwer es auch war, sie mir einzugestehen, dass ich so schwach war. Ins Kissen murmelnd erklärte ich: »Immer Sher, es ist ein einziger Kampf mir selbst zu sagen, dass ich ein bisschen länger warten sollte. Noch einen Tag versuchen einen Weg zu finden. Aber eigentlich will ich euch nur nicht weh tun. Ich will nicht mehr.«

Sanft fuhr er mir über den Rücken. Fast schien es als würde er etwas sagen wollten, aber die Stimme würde ihm versagen.

»Sherlock, ich gebe mir wirklich Mühe, aber sieh mich doch an. Ich bin ein Schatten. Mein Körper fühlt sich so fremd an und vorhin im Spiegel hab ich mich kaum erkannt. Ich war nie schön, aber jetzt bin ich verschandelt und verhärmt. Dann bin ich fest entschlossen es zu schaffen. Sag mir selbst, er darf nicht gewinnen, aber ich schaffe es eben nicht. Und ich weiß auch nicht mehr, wofür ich leben soll. Da ist doch nichts. Mein Baby …«

Seine Hände stoppten und zitterten an meinem Rücken. Ich hörte, wie er Luft holte und ein Ton sich bildete, aber er brach direkt ab. Was wollte er mir sagen? Mit geschlossenen Augen drehte ich mich wieder zu ihm. Seine Finger glitten mir sanft über mein Gesicht und kleine Wonne Schauer breiteten sich in mir aus. Das war irgendwie schön. Langsam öffnete ich die Augen und musterte ihn. Seine Lippen waren wie sein Kiefer fest aufeinandergepresst. Seine Augen umnachtet.

Endlich sagte er was, nur leise und heiser: »Also ist der Wille, uns nicht weh zu tun größer, als der Wunsch zu sterben?«

Ich sah ihm lange in die Augen und er las die Antwort wohl schon darin, denn sein Gesicht verzog sich hilflos. »Nein! Es ist nur mein Pflichtgefühl, dieses Prinzip das Richtige zu tun, was mich abhält.« Die volle Wahrheit, einmal, so weh sie mir selbst tat. »Die meiste Zeit seid ihr mir egal, nicht ganz so wie ich mir selbst egal bin, aber mir bedeutet nichts mehr irgendwas. Da ist einfach nichts, nur Leere und Schmerz.«

Seine Augen wurden feucht und jetzt legte er sich behutsam zu mir und strich mir übers Gesicht und die Arme. »Kleines.« Er schluckte. »Schmerz entsteht nur, wenn man liebt oder fühlt. Dann ist doch da etwas.« Meine Hand legte sich auf seine Wange und er schmiegte sich an. Schloss leise seufzend die Augen.

»Da ist nur der Verlust mit seinem Schmerz.«

Und so, wie er die Augen kniff und den Mund verzog, wusste er wahrscheinlich, was ich meinte. Er zog mich in seine Arme und ich schluchzte auf. Wie sehr ich das vermisst hatte, wurde mir jetzt erst klar. Das er mich umarmte ohne direkten Notfall. Fest drückte ich ihn an mich, als wäre er meine Rettungsweste. »Wir müssen reden Sherlock.«

»Das tun wir doch.«

Mein Gesicht fuhr an seinem Hals entlang und ein Kribbeln regte sich in meinem Bauch. Ich liebte ihn immer noch. »Nein, anders. Was hast du für einen Deal mit Al?«

Er schnaubte. »Das darf ich nicht sagen, überhaupt darf ich mit dir über vieles nicht mehr reden oder hier liegen. Sie alle meinen ich mach dich kaputt und schade dir nur.«

Meine Hände gruben sich in seine Haare. »Das tust du ja auch und deswegen müssen wir reden.« Er runzelte die Stirn, so herrlich Prof mäßig das ich Lächeln musste.

Mein Blick fiel auf seinen Mund. Die kleine Narbe an seiner Unterlippe zog mich magisch an. Komisch, dass ich genau wusste, wie Nathan sich anfühlte, aber Sherlock war so anders, neu. Ich wusste noch nicht wie. Wollte ich ihn? Könnte Liebe wirklich ausreichen, alles richten? War Liebe genug? Plötzlich war ich unsagbar müde und resignierte. Ich hatte ihn verloren. Da war nichts, was reichen könnte. »Danke für den Whisky, bis morgen?«

Verletzt stand er auf und raunte nur: »Bis morgen.«

Aber ich war schon wieder in meinem Kopf gefangen und hörte ihn nur wie durch Wasser.

Kapitel 2

Ein Freund ist ein Mensch, der die Melodie deines Herzens kennt und sie dir vorspielt, wenn du sie vergessen hast. 

Albert Einstein

 

Und trotzdem hatte sich etwas verändert. Wieder war ein Teil nicht mehr so scharf und fremd. Alistair schlief noch neben mir. Wie so oft in letzter Zeit, schien er todmüde. Mir wurde klar, dass ich ihn eigentlich nicht mehr dort liegen haben wollte. Nicht weil ich ihn weniger liebte, mehr weil ich mich abkoppeln musste. Die letzten Wochen hatten mich verändert und ich war nicht mehr das Mädchen, dass mit seinem besten Freund jede Nacht wie selbstverständlich das Bett teilte. Manchmal war es gut, allein zu sein, oder manchmal wollte ich den Platz freihalten, jemanden hier haben, der als Partner bliebe. Vielleicht kam für mich nochmal die Zeit.

Leise stand ich auf und zog mir was über. In der Küche machte ich mir einen Kaffee. Das erste Mal. Wie ich verwundert feststellte und es freute mich, dass ich automatisch gehandelt hatte. Ein gutes Zeichen. Wie ich dort in der Küche stand, sah ich Sherlocks verzweifeltes Gesicht von gestern vor mir, als er begriffen hatte, dass ich wirklich die meiste Zeit einfach sterben wollte. Jetzt in diesem Moment wusste ich zwar nicht, wie man lebt, aber sterben wollte ich auch nicht unbedingt. Also tat ich etwas völlig Verrücktes, ich machte Pancakes. Diese einfache für mich so vertraute Sache, veränderte wieder etwas in mir. War ich anfangs noch unheimlich unsicher zugange gewesen, wurde mir alles zusehends vertrauter, auch mein eigenes Ich schien mir bekannter.

Eine halbe Stunde später standen drei Kerle mit offenem Mund in der Küche und fielen fast in Ohnmacht. Alistair kam zu mir an den Herd und zog seine fünf Minuten Erdrücken Nummer ab. Edward und Henry fingen erleichtert an zu lächeln. Was ich verstand, denn das hier schien mir ein echter Wendepunkt. Ich aß einfach meine Pancakes und freute mich darüber, dass ich es geschafft hatte. Allen am Tisch spürte man dennoch an, wie angespannt sie waren. Es würde lange dauern, bis keiner mehr Hintergedanken hatte oder Befürchtungen.

Aber etwas lag mir auf der Seele und das wollte ich klären. Es wurde Zeit aufzuräumen. Sherlock kam mir seltsam still und distanziert vor und diese Sache mit dem Deal ließ mir keine Ruhe, deswegen fragte ich: »Was ist das für ein Deal mit Sherlock? Was habt ihr euch da ausgedacht?« Betreten sahen alle auf ihre Teller oder betont unauffällig auf den Boden. »Leute, ich meins ernst. Ihr wollt, dass ich wieder besser klar komme? Dann hört auf, hinter meinen Rücken Entscheidungen zu treffen.«

Alistair sah mich verärgert an. »Denkst du nicht, Sherlock wäre da eher derjenige, der das macht. Ständig hat er uns versucht, vorzuschreiben, wie wir dich behandeln sollen. Was zu tun ist, dabei ist er schuld an der Situation.«

Ich sah zu Edward, meine Gabe gefasst zu bleiben, neutral schien gerade aufzuflammen. Ein Teil der alten Victoria. »Ed, denkst du das auch? Das Sher schuld ist? Und du Henry?«

Ed schüttelte nur den Kopf und schien mit sich zu kämpfen. Henry in seiner ruhigen und stets vernünftigen Art fragte: »Was denkst du? Warum bist du alleine los?«

Ok, der Klumpen in meinem Bauch war ziemlich übel und es fiel mir schwer, sachlich zu bleiben. Ich schluckte meine Gefühle mühsam runter. Das musste geklärt werden. »Seid ihr sicher, dass ihr das hören wollt? Denn egal ob einer von euch oder Sherlock was dagegen hat. Ich werde nicht mehr Lügen oder eure Gefühle schonen. Das hat mich so weit gebracht, dass ich nicht mehr weiß, wer ich bin. Das und der Versuch, das Richtige zu machen, euren Vorstellungen irgendwie gerecht zu werden. Ich bin es leid. Dann bin ich halt falsch.«

Alistair beschwichtigte mich: »Das bist du nicht Engel, keiner denkt das.«

Gereizt sah ich ihm in die Augen. »Interessant. Warum ich gegangen bin? Weil du mir gesagt hast, dass ich das Falsche tue. Weil du nicht akzeptieren konntest, dass ich ihn liebe. Und verdammt Al ich habe es versucht und das weißt du. Aber ich kam nicht von ihm los und du hast auf mich eingehämmert an diesem Abend, dass ich ihm nicht hinterherlaufen soll. Hast mir sogar unterstellt, vor Susan mit ihm in der Ecke zu vögeln.« Schuldbewusst sah er zu Boden. »Ich hab nur versucht, einen Weg zu finden, aber du >warst fertig mit mir< und hast mir den ganzen Abend Vorwürfe gemacht, genau wie David.« Ich sah zu Henry. »Der mich als unmoralisch hingestellt hat, nicht anders als du Henry, oder Becca.« Ich wanderte weiter zu Edward. »Die mir zu allem anderen auch noch unterstellt hat, ich wollte mir dich krallen, nur um zu beweisen, wie toll ich bin.« Alle sahen mich betreten an. »Ihr alle habt euren Teil dazu beigetragen, außer dir Edward du warst toll.« Stolz zuckte sein Mundwinkel. »Ihr habt es geschafft, dass ich mich verstoßen gefühlt habe als Störfaktor. Sherlock hätte mich gar nicht so damit treffen können, wenn ihr nicht gewesen wärt. Und Alistair du kannst noch so auf ihn schimpfen. Ich bin raus gegangen und zurückgekommen und dann hast du gesagt. Ich bin raus, wenn du nicht damit aufhörst. Wie soll ich bitte aufhören zu lieben? Ich stand da und konnte dich sogar sehen. Wegen dir, nur wegen dir bin ich letztendlich gegangen.« Er sah mich an und ihm standen Tränen in den Augen. Da musste er mit klar kommen.

»Engel, ich hab mir nur Sorgen gemacht und war sauer, aber auf ihn, weil er dieses Spiel mit dir abzieht.«

Ich nahm seine Hand. »Das weiß ich, du denkst wahrscheinlich immer noch, ich hätte mich in was verrannt oder wäre nur vernarrt in ihn. Aber Alistair, das war Liebe und zum ersten Mal ist mir deine Meinung dazu egal, weil es mich kaputt macht und zerreißt, dagegen anzukämpfen. Er ist der einzige Mensch, bei dem ich jemals das Gefühl hatte, zu Hause zu sein, sicher und ich selbst. Außer dir vielleicht, aber das ist anders.«

Edward sah etwas ratlos in die Runde. »Von wem reden wir eigentlich?«

Ich lächelte ihn an und schnaubte leise. »Von Sherlock natürlich.«

Er verdrehte die Augen und fiel nach hinten an die Lehne.

»Edward, ich hab mich in dich verguckt, in dem Moment, wo du mir die Tür aufgemacht hast, keine Frage und wirklich gedacht wir könnten was sein, aber eigentlich war das eher die Schwärmerei. Witzigerweise hab ich die ganze Zeit gehofft, Sher wäre nur sowas, dabei war ich schon längst in ihn verliebt, bevor wir überhaupt in London waren.«

Edward sah mich etwas sprachlos an. »Manchmal hatte ich einen Verdacht, aber dann wie du mit Nathan ... wow.«

Ich pustete langsam Luft aus, um die Tränen zurückzudrängen. »Ich hab versucht, wegzukommen, wegen Susan, für mich, wegen all der Argumente, die von überall auf mich einprasselten, aber ...« Ich hob die Achseln. »Was für mich jetzt wichtig ist. Unglaublich existenziell wichtig: Keiner von uns ist schuld, keiner. Denn egal, wie blöd jemand von euch war, wie dumm ich war. In einer normalen Welt wäre ich zu Hause angekommen und wir hätten uns ausgesprochen und wieder vertragen. Hätten wir doch, oder?«

»Ja, sicher!«

»Auf jeden Fall!«

Auch Alistair nickte. »Immer Engel.«

Ich trank einen Schluck Kaffee und sammelte mich. »Gut. Dann was ist das für ein Deal? Tut ihr ihm Unrecht? Denn er hat genug am Hals.«

Henry war immer der Sachlichste von allen Menschen, die ich kannte, also war fast klar gewesen, dass er reden würde. »Wir waren uns einig, Sher auch übrigens, dass es besser ist, wenn er sich etwas zurückhält. Al und ich haben allerdings von ihm etwas mehr verlangt.«

Edward sah sie schräg von der Seite an. »Was denn bitte schön?«

Henry seufzte. »Wir beide wussten ja von Vi, und dass sie meinte ihn zu lieben.« Ich lachte spöttisch, meinte ihn zu lieben, Narren. Henry sah mich abschätzend an. »Jedenfalls haben wir von ihm verlangt, dass er sich zurückzieht. Keinen Körperkontakt, keine Vertrautheiten, wenn Vi sie nicht massiv einfordert. Keinerlei Initiative von seiner Seite und abblocken so weit wie möglich, wenn was von dir kommt. Damit du dir nicht wieder irgendwas denkst, dir Hoffnungen machst.«

Oh Mann, diese Idioten. »Also habt ihr beschlossen, mir lieber das Gefühl zu geben, ich wäre ihm jetzt egal oder noch besser zu kaputt und kompliziert. Und ihm habt ihr jede Möglichkeit genommen, sich zu verzeihen. Spitze Jungs ganz toll. Was für Idioten.« Ich schüttelte den Kopf. Die Wut platzte so vehement aus mir hervor, dass ich überschäumte. »Was fällt euch eigentlich ein?«

Ich rannte regelrecht durch den Wintergarten nach draußen. Trat begleitet von einem Schrei gegen Blumentöpfe. Hob einen auf und warf ihn mit aller Macht auf die Terrasse, dass die Erde nur so zu allen Seiten spritzte. Diese Idioten hatten ihn mir weggenommen, dass Einzige, was ich wahrgenommen hatte. Weinend ging ich in die Hocke.

»Engel wir …«

Ich stand auf, schubste ihn weg und schrie. »Geh! Nicht jetzt du Idiot. Du hast keine Ahnung. Er war alles, was mich aus dieser scheiß Leere geholt hat und das habt ihr mir genommen. Und ich frag mich noch, warum er mich nicht mehr anfasst. Verdammt Alistair, hau ab, geh rein. Ich will dich jetzt nicht sehen.«

»Engel, es ist besser für dich.«

Mit ganzer Kraft stieß ich ihn nach hinten. »Nein, es ist besser für dich.«

Dann drehte ich mich um und rannte an der Garage vorbei nach vorne. Auf die Straße Richtung Park. Oh, Vi nicht wieder dieser Fehler, alleine zu verschwinden. Resigniert schlurfte ich zurück, als ich den Aston Martin hörte. Sher hielt neben mir und lies das Fenster runter. »Kleines wo willst du hin?«

Meine Augenbraue ruckte hoch. »Bei dem schönen Wetter natürlich zum Spaziergang in den Park.«

Er machte den Motor aus und kam zu mir rum. »Was ist los?«

Wie ein Kind fiel ich ihm stürmisch um den Hals und drückte ihn fest an mich. »Ich hab dich vermisst.« Ich spürte, wie seine Atmung einmal holperte. »Warum hörst du auf diese Idioten. Ich weiß alles. Unter Folter sind sie eingeknickt.« Ich grinste ihn an.

»Vi, deine Augen lachen. Du bist so schön.« Zärtlich berührte er kurz meine Schläfe. »Ich … sie haben aber recht. Es hat sich doch nichts geändert. Kleines ich heirate immer noch und wir haben keine Zukunft.«

Ich hielt mich einfach weiter an ihm fest. »Wir müssen reden Sherlock.«

Seine Augen verfingen sich mit meinen, so tief wie früher »Das müssen wir, du hast recht. Lass uns rein gehen.«

Die anderen waren in der Küche und hielten wohl Kriegsrat, als wir nebeneinander reinkamen. Sherlock hatte diese arrogante autoritäre Lord Croft Haltung angenommen. Sein Gesicht war glatt und ausdruckslos.

Giftig fragte Alistair ihn. »Und wie geht es deiner Verlobten?« Und sah mich dabei schneidend an. Er war also immer noch auf Streit aus.

»Susan ist im Moment ein Schatz. Sie fragt nach dir Vi, wie es dir geht. Nie macht sie mir Vorwürfe, wenn ich zu dir gehe, im Gegenteil. Sie hat großes Verständnis dafür, dass ich mich um dich kümmern will und das ich leide. Sie ist wieder die Susan von früher, bevor sie dieses erfolgsbesessene, alles kontrollierende Biest geworden ist. Vielleicht macht die Schwangerschaft sie weicher. Vielleicht ... Egal.«

Was sollte ich sagen. Herzlichen Glückwunsch zur tollen Ehefrau? Dann wird für dich ja alles gut. Komischerweise war ich tatsächlich erleichtert, dass er wenigstens etwas Frieden gefunden hatte. Alistair hingegen war sichtlich irritiert von dieser gefassten Antwort.

Sherlock sah in die Runde und dann mich an. »Kleines, ich wünschte, du würdest zuerst mit mir allein reden.«

Aber mir wurde bewusst, alles, was ich zu sagen hatte, wollte er nicht hören, es würde ihm nur weh tun. Also sah ich ihn einfach an, traurig und verloren. Seine Hände wanderten in seine Haare und er sah alle nacheinander an. Dann zeigte er auf die Stühle und setzte sich.

»Ich denke, dann rede ich. Das fällt mir nicht leicht. Aber es wird Zeit aufzuräumen, sonst geh ich daran zu Grunde und wichtiger Vi auch. Wo fang ich an. Ich bin niemand, der offen über Dinge redet oder auch nur sich selbst gegenüber zugibt. Das ist wirklich schwer. Aber ich hatte Victoria versprochen euch die Wahrheit zu sagen. Und das ist längst überfällig. Wenn du das noch willst?«

Kurz nahm ich seine Finger und drückte sie, so vertraut, aber anders als früher und ich wusste nicht recht wie. »Ja Sher, ich weiß nicht was kommt, aber mir wäre lieb, dass sie mich anders sehen. Vielleicht verstehen.«

»Ok, dann.« Er seufzte und ich lächelte ihn dankbar an. Man sah, dass er sich kaum überwinden konnte. Schwer lagen seine Unterarme auf den Beinen und er vergrub seinen Kopf in den Händen. »Das Wichtigste.« Wieder nahm er meine Hand. »Es tut mir leid, alles was ich dir angetan habe Kleines. Vom ersten Moment an hab ich versucht, mich von dir fernzuhalten, meine Gefühle in den Griff zu kriegen. Hab mir eingeredet, das wäre nur Freundschaft. Diese Momente, wenn du mit mir gealbert hast, furchtbar schwer für mich. Jedes Mal wurde der Drang, dich zu küssen, dich festzuhalten größer. Dann im Pub, wie du mit Edward da gesessen hast und dann, wie du David geküsst hast. Ich war so eifersüchtig. Ich hab es nicht ertragen. Ich hab mir solche Mühe gegeben, aber der Gedanke, dass dich jemand anderer anfasst, dass du zu jemand anderen gehören könntest, war nicht auszuhalten. Von der ersten Sekunde an, als ich dich in der Küche in Pendrake Hall stehen gesehen habe, solltest du mir gehören. Nur noch mir.« Er ließ mich los und sah rüber zu Edward. »Das war der Grund, warum ich Kokain genommen habe in der Nacht vor Victorias Geburtstag, weil ich begriffen hatte, dass ich mich in sie verliebt habe. Ehrlich gesagt war es das Letzte, was ich jemals vorhatte. Und ich wollte ihr nicht weh tun und wollte ehrlich gesagt keinen weiteren Menschen, der mich verletzten konnte, für den ich mich verantwortlich fühle. Aber die Wahrheit ist.« Er sah wieder zu mir und atmete einmal tief durch. »Spätestens als ich mit dir geschlafen habe, an diesem wunderschönen Morgen, hatte ich den Kampf um mein Herz vollends verloren. Wie sehr ich dich einfach festhalten wollte.« Er rieb sich übers Gesicht. »Danach wollte ich dich nur noch vor mir retten. So tun als wäre es nicht wahr, damit du gehst. Das mit Edward war Folter. Vi, reine Folter. Zwei Menschen, denen ich nie weh tun wollte, aber …« Sein Blick heftete sich auf Edward. »Ich wusste, dass es nicht gut geht und du ihr weh tust. Dein bescheuerter Drang zu gewinnen.«

Gekränkt wendete Edward seinen Blick ab. »Na danke! Ich hab’s selbst ja nicht gewusst. Aber jetzt macht es Sinn, dass du mir so die Leviten gelesen hast.«

Sherlock zauderte seltsam. »Ed, ich hab dir an diesen Abend was erzählt, was dir noch das Genick brechen könnte. Ich denke, wir sollten uns auch darüber besprechen. Vielleicht kann ich dich nicht mehr schützen.«

Edward runzelte die Brauen. »Was? Was meinst du?«

Sherlock winkte ab. »Später, eins nach dem anderen.«

Er drehte sich zu mir und strich mir über die Finger. »Und dann nachher als du mit Nathan angebandelt hast. Ich hätte ihm den Hals umdrehen können, als ich dich nackt in seinem Schlafzimmer gefunden habe. Alles in mir schrie, sie soll zu mir gehören, nur mir! Ich hab´s wirklich versucht, Schatz, mir immer wieder gesagt, du willst, dass sie glücklich ist, das ist das Wichtigste. Aber Victoria, immer dachte ich, aber nur mit mir, sie darf nur bei mir glücklich sein. Ich hab dir immer gesagt, ich bin egoistisch. Mein Herz und mein Kopf, jede Zelle meines Körpers will dich nicht teilen, mit niemandem, nie wieder.« Er sah nochmal zu den anderen. »Ich erzähle euch das alles von mir, damit ihr das begreift, auch mich versteht. Und seht, was Vi wahrscheinlich gesehen hat. Das ich uneins war und nicht wusste, was ich tun sollte. Eingesperrt zwischen dem was mein Herz gesagt hat und dem, was meine Vernunft und mein Verstand für richtig hielten. Sie hat sich nichts eingebildet und ich hab ihr im Grunde nichts vor gemacht. Es war nur meine Art. Ihr kennt mich vielleicht gut genug, um zu wissen, dass ich mich nur selbst bestraft habe, immer wenn ich sie so von mir gestoßen habe. Ich hab mir die größte Mühe gegeben mir selbst zu beweisen, dass ich es nicht wert bin. Ich war ein Idiot.«

Wieder drehte er sich ganz zu mir und nahm meine Finger, sah mir so tief und bewegt in die Augen, wie nur er es konnte. »Victoria, du glaubst mir nicht und zweifelst an mir, das sehe ich und ich versteh das, aber diesmal, das hab ich dir vor dem Abend schon gesagt, kann mich nichts mehr davon abbringen. Egal wie es weiter geht, aber die Wahrheit ist und daran kann man nicht rütteln.« Seine Hand streichelte sanft über meine, während er tief durchatmete und mir wieder fest in die Augen sah. »Du bist die Liebe meines Lebens. Du bist es, die ich morgens neben mir liegen sehen will. Dich will ich Arm halten und verdammt ich will nicht, dass irgendein anderer Mann jemals von dir geliebt wird. Niemals! Der Gedanke bringt mich um.« Er grinste. »Ehrlich gesagt habe ich Mühe, Alistair nicht umzubringen, weil er dich geduscht hat. Das ist … Uahhh.« Er sah wieder in die Runde. »Das ist die ungeschminkte Wahrheit. Ich liebe Victoria und ich war es, der sie gebeten hat, euch nichts zu sagen von uns. Die Zeit die wir in Blackhill hatten ... allem. Nach Jesse dachte ich immer, ich will mich nicht binden, kann das gar nicht. Denn ehrlich gesagt hab ich das mit ihr absichtlich ruiniert. Aber mir ist klar geworden, sie war einfach nie die Richtige und der Rest war Angst. Bevor Susan mir gesagt hat, das sie schwanger ist, an diesem Morgen, hab ich beschlossen, euch einzuweihen und es zu wagen.« Wieder suchten seine Augen meine. »Mit dir. Der Saphirring. Ich hatte ihn ursprünglich für was anderes ausgesucht.«

In mir spannte sich etwas bis kurz vorm Zerreißen, eine Ahnung, die mir weh tun würde. Heiser fragte ich. »Für was?«

Er legte seinen Kopf schief und verzog seinen Mund. »Als Verlobungsring.« Wir starrten ihn alle fassungslos an. »Also nicht sofort, aber ich wollte dich fragen, ob du ihn vielleicht tragen willst als Versprechen, das wir für immer…« Seine Stimme brach und er rieb sich über die Augen.

Ich schlug mir die Hand vor den Mund. »Sherlock.«

»Bescheuert ich weiß, völlig übertrieben.«

Mein Herz, mein armes Herz brach. »Geht alle raus, bitte, ich muss mit Sher alleine reden.« Die drei sahen mich zweifelnd an. »Raus sofort, das geht nur ihn was an.« Zögernd gingen die drei aus dem Raum, sichtlich überfordert und sehr nachdenklich.

Sherlock und ich sahen uns an. »Victoria? Es tut mir alles so leid. Aber ich lüge nicht. Ich liebe dich.«

Lange sah er auf den Boden und ich versuchte, etwas zu sagen. Aber was? Das ich genauso fühlte? Ab tat ich das? Dass ich ihm nicht glaubte, weil er sich sonst nie so leicht für Susan entschieden hätte? Das er gehen sollte? Ja das war der richtige Weg, um zu heilen. Für uns beide damit endlich abzuschließen und nicht mehr zu leiden. Er sollte gehen. Leise und gequält erklärte ich. »Komm nicht mehr her Sherlock. Leb dein Leben und lass mich meins Leben.« Ich musste schlucken, denn ich hatte kein Leben zurzeit, nur den Versuch wieder eins zu finden. »Sher, ich warte auf dich, jeden Tag, aber alles ist so anders als vorher, ich bin anders. Wenn du gegangen bist, lieg ich da und versuche, einen Grund zu finden nochmal aufzustehen. Ich wollte für dich leben, ich wollte für ....« Ich brach in Tränen aus und er nahm meine Hände. »Für unser Baby leben, aber jetzt ist da nichts. Alistair, Nathan, tun mir gut. Du nicht, schon lange nicht mehr. Wir machen uns gegenseitig kaputt.« Ich entzog ihm meine Hände und stand auf. »Pendrake Hall lass ich auf Edward übertragen. Dein zu Hause bleibt offen für dich.«

Sein Rücken spannte sich an und er wurde laut. »Das ist deine Lösung? Dann machst du jetzt wieder den gleichen Mist? Wechseln wir uns jetzt für immer damit ab? Stoßen uns weg? Nur um immer wieder von vorne anzufangen? Victoria, das macht doch keinen Sinn. Ich will nicht, dass wir so auseinandergehen.«

Gott ich war so erschöpft und müde. »Ich auch nicht, aber diesmal bin ich nicht sauer oder wütend oder verletzt. Diesmal bin ich einfach sicher, dass es das Beste ist. Manchmal reicht Liebe nicht aus. Egal wie sehr man sich das wünscht.« Seine Augen weiteten sich. »Sherlock, draußen hast du es selbst gesagt. Nichts ändert sich an unserer Situation. Ich weiß nicht mal, was ich überhaupt fühle. Also wenn du es ernst meinst, dann geh und komm nicht wieder.«

Wütend stand er auf. »An dem Punkt waren wir schon zu oft. Das ist gequirlter Mist und funktioniert nicht.«

Selbstbewusst stellte ich mich vor ihn. »Jetzt ist es anders Sherlock. Jetzt bin ich anders und nicht mehr bereit noch mehr zu leiden. Es ist vorbei und das sollte es schon lange sein.«

Er griff mir in den Nacken. »Nein! Ich werde nicht gehen nie wieder. Nein!«

Wütend und völlig überfordert schlug ich ihm den Arm zur Seite. »Ich hab nicht mal mehr das Bedürfnis dir so nah zu kommen. Jedes Mal, wenn ich dich ansehe, denke ich nur an mein Baby, das jetzt tot ist. Lass mich doch endlich gehen, verdammt Sherlock, tu einmal das Richtige.«

Geschockt sah er mich an und ich verließ einfach den Raum. Im Flur blieb ich stehen und kämpfte mit den Tränen. Was sollte ich nur tun. Die Sorge er würde gehen und mich wieder aufgeben und mich in meiner Angst bestätigen, dass ich ihm gar nicht so wichtig war, rollte durch mich durch und ließ mich schwanken. Warum hatte ich das gesagt? Verdammt war ich nur trotzig und verwirrt? Oder liebte ich ihn gar nicht mehr? Es fühlte sich nicht so an wie vorher. Ich atmete ein paar Mal tief durch und drehte wieder um.

Zuerst begriff ich nicht, was ich da sah. Sher gekrümmt auf dem Stuhl, die Hände vor dem Gesicht. Aber dann wurde mir klar, er weinte bitterlich. Mein Herz knirschte regelrecht. Das war meine Schuld und ich hätte ihn so gern getröstet, aber da war keine Kraft mehr. Nur Unsicherheit und Schwere. In mir war schon wieder alles leer und kalt. Tonlos fast gefühllos fragte ich: »Warum weinst du?«

Er schluchzte, den Kopf zwischen den Beinen, die Arme darüber verschränkt. Und er fing an, so abgehackt zu atmen, wie ich, wenn ich keine Luft mehr bekam.

Ich kniete mich vor ihn. »Sherlock, du hast deine Familie, dein Baby. Du hast eine Zukunft ohne mich.«

Er schüttelte den Kopf weiter starr nach unten gerichtet. »Ohne dich hab ich nichts. Ich wollte nur das Kind beschützen. So wie ich beschützt werden wollte als Kind. Aber ohne dich? Du warst immer Teil des Plans. Irgendwie, ob als Freundin oder Geliebte, aber ohne dich Victoria, kann ich das nicht. Ich schäme mich zu Tode, aber ich liebe dich mehr als dieses Kind. Ich brauche dich mehr. Nie wieder will ich dich verlieren. Vi als deine Augen leer wurden da auf der Trage im Park, ich hätte alles hergegeben für dich.« Er sah mich an und dieser Blick zerriss mir das Herz. »Du bist meine Welt Kleines. Mein zu Hause.«

Ich versuchte, meine Tränen irgendwie zu bekämpfen, versuchte zu begreifen, was ich fühlte oder auch nicht. Versuchte zu entscheiden, was das Richtige wäre. Aber die Wahrheit war, ich war hoffnungslos überfordert. Langsam nahm ich seine Hände und fuhr dann hoch an seinen Unterarmen. Legte meine Stirn an seine. »Ich weiß nicht, ob ich das kann.« Er schloss die Augen und holte tief Luft. »Sherlock, ich weiß gar nicht, was ich fühle. In mir ist nur noch Chaos und Verlust. Ich kann nur versuchen, wieder zurückzufinden.«

Er griff meine Arme fester. »Lass mich dir helfen. Teile mit mir den Schmerz, lass mich dich daran erinnern, was du liebst und was das Leben dir sonst noch bietet. Du hast zu mir mal gesagt. Ab heute sind wir ein Team, kümmern uns umeinander, eine Familie.«

Ich lachte bitter. »Das hat wohl nicht besonders funktioniert.« Er versuchte, mich auf seinen Schoss zu ziehen, aber ich wehrte ab. »Zu nah Sher. Freunde, mehr nicht.«

Also stand er mit mir auf und hielt weiter meine Arme umklammert »So viel, wie du willst. Aber schick mich nicht weg. Bitte ... schick mich nicht weg.« Er suchte meinen Blick. Seine wunderschönen grünen Augen, verweint und so gebrochen, so verzweifelt, ein Spiegel meiner Seele.

»Sherlock, was haben wir uns nur angetan.«

Er nahm mein Gesicht zwischen seine Hände. »Wir waren feige, Vi. Du hast mir nicht alles erzählt und ich dir nicht. Beide wollten wir den andern schützen, das will ich immer noch, aber eigentlich entsteht nur Misstrauen. Es tut mir so leid, dass ich diese Kluft zugelassen habe.«

Und da war sie wieder die Frage, das, was mich am meisten verletzt hatte. »Warum?« Mir brach die Stimme. »Wenn du mich liebst Sher, warum?«

Verzweifelt sah er mich an. »Warum ich Susan heirate?«

Mir liefen die Augen über. Wann war man ausgeweint? »Ohne zu zögern, du hast dich sofort gegen mich entschieden. Du sagst immer für das Kind, aber ohne mit einem von uns zu reden, ohne eine andere Lösung zu suchen.«

Er atmete tief durch und strich mir über die Wange. »Kleines, weil es keine Lösung gab, ich wollte mit dir reden und ich wollte dir wenigstens das Wichtigste erklären und finde dich mit Angus. Glücklich. Ja ich bin bescheuert, eifersüchtig. Also dachte ich, sie braucht mich nicht, sie ist besser dran ohne mich. Und dann hast du so gelassen gleichgültig reagiert. Ein bisschen verletzter Stolz, mehr hab ich nicht gesehen.«

»Warum? Sherlock, sag mir warum? Du hast es keinem gesagt.«

Sein Daumen streichelte meinen Wangenknochen. »Weil Susan es verlangt hat! Sie hat mir keine Wahl gelassen, nicht wirklich. Heirate mich, sonst ertrage ich die Schmach nicht, die Blicke, die Verachtung. Das hab ich sogar verstanden. Es stimmt, was ich dir erklärt habe über die Probleme mit der Firma und all dem anderen. Ich hab mich erst verweigert, hab gesagt, ich erkenne das Kind an, aber heiraten kann ich dich nicht. Dann hat sie ...«

»Sherlock sag’s mir endlich, wie hat sie es geschafft?«

Er senkte den Blick. »Sie kennt mich zu gut, Vi! Sie hat mich an der Stelle gepackt, die immer meine größte Schwäche war, mein Drang meine Familie zu beschützen. Sie hat gesagt, heirate mich oder ich treib ab, ich töte dieses Kind, denn anders könnte ich nicht leben.«

Ich schlug mir die Hand vor den Mund, wusste sofort, dass das für ihn untragbar war, genauso wie es für mich keine Möglichkeit gewesen wäre.

»Victoria, ich kann doch nicht mein Baby sterben lassen. Mein Kind, das nichts dafür kann. Ich muss es doch beschützen.« Wieder waren ihm die Tränen gekommen und diesmal nahm ich ihn in den Arm. Und er fiel in sich zusammen.

»Warum hast du mir das nicht gesagt?«

Er zog mich so fest an sich. »Ich bin ein Einzelkämpfer. Und ich hab an deinen Gefühlen gezweifelt. Dann wollte ich dich nicht belasten. Tausend falsche Gründe. Die Situation war so erdrückend.«

Ich hielt seinen Kopf und legte mein Gesicht an seins. Sofort überkam mich Frieden. Dieser Mann gehörte zu mir und ich zu ihm, in welcher Form auch immer. Egal, was die Umstände auch sagten. »Sher, ich bin zu erschöpft. Ich hab das Gefühl, jeden Moment zusammenzubrechen.«

Sorgenvoll sah er mir ins Gesicht und ich lächelte schmal.

»Ich denke wir müssen die anderen einweihen. Wahrscheinlich können sie besser denken als wir im Moment. Rationaler.«

Er sah mich an. »Wir, gefällt mir. Ich hab vor dir nie in wir gedacht.« Das rührte mich und sagte einiges aus. »Kleines, das ist nicht alles, sie hat einiges mehr ausgegraben und ich fürchte, du wirst mich hassen, wenn du es erfährst. Auch deswegen hab ich es nie geschafft offen mit dir zu reden.«

Geschockt sah ich ihn an. »Sie erpresst dich? Mit mehr als nur dem Leben deines Kindes?«

Als würde das nicht reichen. Er nickte. »Jetzt könnte sie nicht mehr abtreiben, sie präsentiert mir eins nach dem anderen. Die Schlinge zieht sich immer weiter zu. Es ist, zum verrückt werden.«

Ich distanzierte mich etwas und massierte mir die Schläfen, mein Kopf war kurz vor dem Bersten. »Was ist denn noch?« Erschöpft fiel ich zurück auf den Stuhl.

»Du bist völlig erledigt. Vielleicht reden wir besser später weiter. Ich muss eh erst was mit Edward besprechen. Er hängt mit drin.« Tatsächlich war ich nur noch ein Häufchen Müdigkeit und Erschöpfung. »Soll ich dich hochbringen?«

Was genau beinhaltet diese Frage? Das wir ein Paar wären? Besser kein Risiko eingehen. Im Moment wollte ich mich auf nichts einlassen, außerhalb von Freundschaft. »Nein ich geh alleine und leg mich hin.« Zögernd hielt er mir dir Hand hin. Genauso unsicher und zögernd stand ich da, lange bevor ich die Hand nur kurz nahm und drückte. »Bis später, Großer.«

Er lächelte. »Wenn was ist. Ruf an. Ich komm sofort.«

Ich nickte und war schon an ihm vorbei, da wurde mir klar. Vielleicht fanden wir eine Lösung. Vielleicht würde er sie nicht heiraten. Und vor allem. Ohne Kind musste ich nur für mich selbst entscheiden. Und verdammt mir war mittlerweile egal, was irgendwer über mich dachte. Alles war wieder möglich. Bei dem Gedanken hüpfte etwas in meinem Bauch und es fühlte sich fast an wie Hoffnung. Ich konnte sehen, was die Zeit brachte, was mein Herz wollte. Und es fühlte sich an wie ein Plan, wie ein neuer Anfang. Und das war mehr, als ich erhofft hatte. Mit Sherlock schien endlich alles an den richtigen Platz zu rücken. Als hätten wir diese Wand, aus Angst und Unsicherheit zwischen uns endlich eingerissen. Akzeptiert, dass wir uns vertrauen konnten. Der Witz an der Sache war, dass wir so darauf bedacht waren, nichts zu verlangen, dem anderen seine Freiheit zu lassen, ihn geradezu zwangen, frei zu sein, das wir vergessen hatten, dass man manchmal nicht gänzlich frei sein wollte. Sondern nur nicht eingesperrt. Mir war der Unterschied erst jetzt wirklich bewusst.

Alistair hingegen war alles andere als begeistert gewesen, als ich ihm erklärte, dass er aus meinem Zimmer ausziehen musste. Wahrscheinlich dachte er hartnäckig trotz aller Erklärungen, es wäre eine Art Vergeltungsschlag. Dabei musste ich einfach für mich sein. Nicht Vi und Alistair und auch nicht Vi und Sherlock oder Nathan oder Edward. Ich hatte so verbissen versucht, nicht allein zu sein, dass ich mir eigentlich nur damit geschadet hatte. Was war verkehrt daran einfach nur Vi zu sein? Damit ich meinen Weg und meine Zukunft finden konnte, aus mir heraus ohne Einfluss von außen.

 

Die erste Nacht allein war nicht leicht. Die Schatten hatten wieder an Macht gewonnen, vielleicht weil es mir nicht mehr so gnadenlos egal war, was mit mir passierte. Trotzdem war ich dankbar und froh darüber morgens alleine aufzuwachen und mich auf mich selbst konzentrieren zu können. Die Stille und Einsamkeit hatte etwas Angenehmes. Überrascht stellte ich fest, dass ich mich gar nicht mehr allein fühlte. Zum ersten Mal konnte ich wieder atmen. Tief durchatmen und mich selbst wahrnehmen.

Das Handy meldete eine Textnachricht. Ein Lächeln klein, aber fein stahl sich auf mein Gesicht. Sie war von Sherlock. »Guten Morgen, hast du schon gefrühstückt?«

Seltsam wie anders, wie viel besser, ich mich heute fühlte. »Nur Flüssiges.« Ja, sogar gemein war ich. Keine Antwort. War ich übers Ziel hinaus geschossen? Mein Herz fing an zu rasen. Ich war nervös, komische Feststellung. Fast als würde ich ... flirten, ernsthaft flirten. Vielleicht war es das, was anders war? Ich wollte erobert werden? Nicht schon wieder alles zu Tode grübeln, Victoria. Das hilft dir nicht weiter.

Aber Tatsache war, ich saß hier aufgeregt mit klopfendem Herzen und starrte mein Handy an. »Sher? Das war ein Witz, nur Wasser.« Der Druck war zu groß. Schließlich wollte ich ihm keine Angst machen. Immer noch keine Antwort. Minuten vergingen, bis ich beschloss, duschen zu gehen. Dann eben nicht. Ich stand schon in Unterwäsche im Bad, als das Telefon klingelte. Wie ein Teenie sprang ich hin. »Hi!« Etwas atemlos mit zu hoher Stimme.

Dafür war seine Stimme so schön dunkel und ruhig. »Hi, Kleines. Sorry, mich hat jemand aus dem Wohltätigkeitsrat erwischt und wollte mit mir was besprechen. Ist es ok, wenn ich komme? Mit Frühstück natürlich. Ich würde gern mal in deinem Salon an diesem schönen Walnusstisch mit dir sitzen. Wo hast du ihn her?« Er schien locker, aber ich hörte ihm an, dass auch er nervös war.

»Ja gern, also Frühstück. Henry und Edward sind arbeiten, aber Alistair ist hier. Schatz, ich weiß nicht, ob wir ihn ausschließen sollten.« Hatte ich Schatz gesagt? Oh, das war einfach rausgerutscht. »Der Tisch ist aus Belgien.« Ich packte mir an die Stirn. Was war denn mit mir los?

»Dann bin ich gleich bei dir. Halbe Stunde ungefähr. Ich plan Al mit ein. Was isst er gerne? Wo soll ich das Gift rein mischen?«

Ich lachte und das fühlte sich sogar fast wie richtiges Lachen an. »Tiere in jeder Form.« Sherlock gluckste.

»Auch lebend?«

»Haha. Sehr witzig. Ehrlich gesagt bin ich mir unsicher. Er hat immer auf seine Ernährung geachtet. Viel Protein und das Sportlerzeug. Such einfach was aus.« Das bedrückte mich, dass ich nicht mehr alles von ihm wusste und Sherlock verstand mich wieder blind.

»Kleines nicht traurig sein. Rede mit ihm und er erzählt dir bestimmt alles Neue.«

Ich seufzte. »Er ist gerade nicht so gut drauf, was mich angeht. Zum einen wegen dir und der möglichen Folgen. Zum anderen ich ... ich hab ihn quasi rausgeschmissen.«

Sherlock hörte sich aufrichtig geschockt an. »Aus dem Haus? Warum?«

»Oh nein, nur aus meinem Bett, also aus dem Schlafzimmer.«

Er atmete erleichtert auf, dann war kurz Stille und ich konnte ihn geradezu grinsen hören. »Alles, was ich jetzt sagen will, ist falsch und unmoralisch, also halte ich lieber die Klappe.«

Mein Herz flatterte nervös. Was für ein seltsames Gefühl, wenn man für lange nur ein Zombie war. »Und wenn ich es hören will?« Meine Stimme war ziemlich leise geworden vor Unsicherheit.

»Dann nur so viel. Ich werde wesentlich besser schlafen können, bei dem Gedanken, ohne den Gedanken, dass er bei dir liegt.«

»Warum? Dann bin ich schutzlos und allein mit meinen Albträumen.«

Er rang mit sich. Ich hörte, dass er abgehackt atmete. »Sag ich ja, alles falsch von mir. Daran hab ich nicht mal gedacht. Dann lass ihn doch bei dir, wenn du dich nicht wohl fühlst.«

Wieder hatte ich ihm Schuldgefühle eingetrichtert und wollte doch eigentlich etwas komplett anderes. »Falsche Antwort.«

Ich hörte ihn schnauben und seine Stimme holprig und rau als er mir neu antwortete: »Weil ich und nur ich neben dir liegen darf.«

Mein Herz überschlug sich vor Aufregung. Wer hätte gedacht, dass es dazu in der Lage war. Was auch anders war im Moment, zu wenig empfinden tat ich nicht. Zufrieden summte ich: »Langsam wird mir kalt, ich sitz hier nur Unterwäsche. Du hast mich von der Dusche abgehalten.« Sehnsüchtig verabschiedete ich mich. »Bis gleich Großer. Ich ... freu mich auf dich.«

Nachdem wir aufgelegt hatten, brauchte ich Minuten, bis mir mein Herz nicht mehr aus der Brust sprang. Verdammt, was war das denn jetzt. Als hätte ich ihn gestern kennengelernt und gleich mein erstes Date. Und dann doch so normal und vertraut. Ich konnte ihn kaum erwarten.

Dennoch ließ ich mir Zeit unter der Dusche. Behutsam wusch ich mich, versuchte wieder, meinen Körper kennenzulernen. Sogar meine Prozedur mit dem Finger wiederholte ich. Es schien mir wichtig, dass es nicht Markus war der dieses Körperteil in meinem Kopf dominierte. Es gehörte zu mir und nur ich hatte das Recht zu entscheiden, was damit passieren sollte. Diesmal fiel es mir wesentlich leichter. Nicht so der Blick in den Spiegel. Das war jemand Fremdes, viel zu Dünnes mir gegenüber. Selbst meine Augenfarbe schien anders zu sein. Kurz überlegte ich, mich zu schminken, aber das war sinnlos und würde den Effekt nur verstärken. Wieder suchte ich mir eine Leggings und einen weiten Pullover, bevor ich runterging.

Alistair saß im Wohnzimmer und sah fern. »Hi Allosaurus, gut geschlafen?«

Er sah kaum hoch. »Ja danke.« Au, der war knatschig.

»Sherlock kommt gleich mit Frühstück. Hast du schon gegessen?«

Er fummelte an der Fernbedienung rum. »Und was wird das mit euch zweien? Große Liebesgeschichte?«

Ich setzte mich neben ihn. »Ich weiß es nicht. Al warum bist du so? Ich muss allein sein, das hat nichts mit dir zu tun.«

Scharf sah er mich an. »Du hast nur den Platz für ihn geräumt.«

Daher wehte also der Wind. »Nein hab ich nicht. Sag mir die Wahrheit, bist du eifersüchtig?«

Er stand auf und schmiss die Fernbedienung auf die Couch. »Scheiße ja Vi, warum kannst du ihm alles verzeihen? Jemanden, den du vier Monate kennst und mir nicht? Ich war immer da, hab jeden Mist mit dir durchgehalten. Ich liebe dich bedingungslos und du? Wenn er da ist, bin ich unwichtig?«

Ich umarmte ihn und legte meinen Kopf auf seine Brust. »Spinner.«

»Das ist jetzt deine Antwort auf meine Krise?«

Ich kitzelte ihn. »Und? Stimmt doch. Ich liebe dich auch und hab dir alles verziehen. Du musst dir nur selbst verzeihen. Und Al, du wirst immer mein allerbester Freund, mein Bruder, meine Familie sein. Werte das bitte nicht ab, nur weil es noch jemanden gibt, der mir wichtig ist. Ich bin dir so unendlich dankbar für alles. Ohne dich hätte ich das nicht überlebt. Damals nicht und auch heute nicht.«

Er räusperte sich. »Na gut, dann ... Aber bitte sei vorsichtig.« Ich sah zu ihm hoch und er legte seine Stirn an meine. »Es war hart dich so zu sehen, so teilnahmslos. Ich bin froh, dass es besser wird. Kommst du ohne mich klar?« Direkt bekam ich Panik und schnürte ihn mit meinen Armen ein. »Vorsicht, lass mich atmen. Noch nicht sofort, aber ich wollte gern ein paar Tage nach Hause, das mit Dad regeln und dann ist bald Weihnachten. Was sollen wir dann machen? Kommst du mit nach Stevenage?«

Mein Gesicht hatte ich tief in seinem Shirt vergraben. »So weit denke ich nicht. Können wir das nächste Woche überlegen?«

»Sicher! Denkst du, wenn ich übers Wochenende fahre, geht das?«

Trotzig sagte ich: »Nein, du gehörst mir!«

Er unkte: »Dein Sklave verstehe.«

Ich drückte ihn fest. »Ist schon ok. Aber wir telefonieren.«

»Sicher Engel. Ich komm sofort angerauscht, wenn was sein sollte, versprochen.«

Die Türklingel läutete. »Habt ihr Sherlock eigentlich den Schlüssel geklaut?«

»Nein, er scheint eine Art Höflichkeit zu besitzen.«

Sherlock hatte eine Riesentüte dabei, aus der es lecker duftete. Nachdem er Tee gekocht hatte, machten wir es uns im Damensalon gemütlich. Der Whisky stand genauso unberührt auf dem Tisch, wie gestern. Was für mich kein Problem darstellte, aber als ich ihn in den Schrank stellte, fiel mein Blick auf die kleine Schublade, in die ich das Kokain gelegt hatte und ich wurde unruhig. Nur ein bisschen, damit ich mich besser fühlte, nicht so nervös und müde. Meine Hand schwebte über dem Griff, als Sherlock sanft seine darüber legte und sie wegzog. Mein Puls raste nur leider nicht wegen seiner Berührung, sondern dem Verlangen nach künstlichem Glück. Mein Blick blieb hartnäckig auf der Schublade, selbst als er meinen Kopf sanft drehte, verdrehten sich meine Augen in die Richtung.

»Sieh mich an.« Ich atmete schwer und zu schnell. Krampfhaft sah ich ihn an. »Versuch, dich abzulenken.«

Meine Finger fingen an zu zittern. »Nur ein bisschen, damit ich ... besser esse.«

Er lächelte spöttisch. »Vi, lüg dich doch nicht an. Du hättest ja keinen Hunger mehr. Du hast es seit gestern ohne geschafft. Du bist besser, als du denkst und stärker.«

Mein Kopf fiel auf seine Brust. Sofort strömte dieser Geruch in meine Nase. Sonne und Bücher und ein Hauch Whisky. Mein Magen macht eine kleine Drehung. Schnell nahm ich auf meinem Stuhl Platz und griff mit zitternden Händen einen Scone. Als ich reinbiss und dieses Aroma wirklich bei mir ankam, von Erdbeeren und Sahne und diesem herrlichen Gebäck stöhnte ich genüsslich auf. Das war das erste Mal, das ich wieder richtig schmeckte.

Sher sah mich belustigt an. »Scheint zu schmecken.«

»Ich liebe dieses Gefühl im Mund. Diese Mischung aus Fest und cremig, süß und sahnig und göttlich. Das erste Mal, dass seit Wochen etwas nicht nach Pappe schmeckt.«

Liebevoll grinste er. »Dann komm ich jetzt jeden Tag, wenn ich kann und bringe dir Scones.«

»Was ist mit der Uni?«

Seine Hand schob sich bis kurz vor meine. »Das Semester ist um. Nur noch ein paar einzelne Termine. Schreibst du die Prüfungen?« Interessant wie seine Finger sich zu mir streckten, aber mich nicht berührten. Eine Einladung.

»Warum eigentlich nicht. Mehr als durchfallen, kann ich ja nicht.«

Man sah ihm die Freude an. »Wir lernen zusammen, wenn du möchtest.«

Spielerisch stieß ich meine Fingerspitzen gegen seine, dann überkam mich etwas anderes. »Matthew. Hat einer ihm Bescheid gesagt? Gott, ich hab mich gar nicht gekümmert.«

Jetzt griff er sich meine Hand. »Keine Sorge. Direkt am Montag danach war ich bei ihm und halte ihn auf dem Laufenden. Der Laden läuft gut. Alles in Ordnung.«

Ich zog meine Hand aus seiner und er sah traurig auf die leere Stelle. »Hast du Sarah gesehen? Ich hab sie total vergessen. Sie war ziemlich komisch beim letzten Mal. Unbedingt wollte sie meine Handynummer, die Neue, aber ich hab sie vertröstet.« Noch eine Erinnerung, die ich verdrängt hatte. »Sie hatte lauter kleine blaue Flecken am Arm und war so bedrückt, gar nicht mehr hyperaktiv. Ich hab mir Sorgen gemacht, dass ihr Freund was damit zu tun hat.«

Sherlocks Stirn legte sich in Falten. »Matthew meinte auch, er kann ihn nicht leiden. Windiger Typ, aber Sarah ist total vernarrt in ihn. Sie ist in der Woche nach dem Überfall mit ihm weggefahren. Nach Italien. Scheint ein neureicher Schnösel zu sein.« Gedankenverloren aß ich meinen Scone zu Ende und schnappte mir einen Muffin.

»Vi?« Fragend sah ich ihn an. »Geh Freitag mit mir ins Globe, deine Karten, die du zum Geburtstag bekommen hast. Lass uns da raus gehen, zu Shakespeare.« In mir krümmte sich alles. Ich wollte diese Zuflucht nicht verlassen. »Schatz bitte, lass uns versuchen dich wieder ins Leben zu holen.«

Unsicher knabberte ich an meinem Muffin. »Es ist zu früh.«

Sanft glitt sein Blick über mein Gesicht. »Es wird immer zu früh sein, bis es zu spät ist.«

Blöder weiser Kerl. Wahrscheinlich hatte er recht. Entschlossen sah ich ihn an. »Ok, aber du bleibst bei mir, immer.« Fest drückte er kurz meine Hand. »Sher, das heißt, wenn ich pinkeln muss, gehst du mit, schon klar, oder?«

Und er lachte. Kehlig, dunkel, wunderschön. Ich spürte, wie sich in mir etwas wärmte und lächelte ihn an. Meine Finger fuhren zwischen seine, automatisch. In meiner Kehle drückte sich was zusammen. Ich schluckte schwer, nahm die Hand zurück. »Denkst du, wir könnten vorher schon mal raus? Zusammen?«

»Natürlich, wohin möchtest du?«

Ich knibbelte an meinen Fingern. »In den Park.«

Er war nicht begeistert, alles andre als begeistert. Und redete auf mich ein, mir das nochmal zu überlegen. Irgendwann war ich aufgestanden und hatte den Raum verlassen. Als ich wieder kam, stand er am Fenster und sah auf die Straße. »Sherlock, der Abend ist so verzerrt in meinem Kopf und ich muss den Weg sehen, normal, muss den Baum sehen und die Relationen neu ordnen.«

Als er sich zu mir umdrehte, sah er unheimlich ernst aus. »Ich glaub, ich kann das nicht. Du bist dort vor meinen Augen gestorben. Kein Puls, keine Atmung. Eine Ewigkeit hab ich gedacht, ich hätte dich verloren. Und das letzte, was du von mir gesehen hast, war dieses Arschloch, das versucht hat, dich rumzukriegen, um dann mit einer anderen abzuhauen. Das ist ... ich kann das nicht.« Es war für ihn schwerer als für mich.

»Gib mir deine Hand.«

Er tat es und sah mich fragend an. Mit einem Ruck verdrehte ich ihm das Handgelenk, wie er es mir beigebracht hatte und lachte über das blöde Gesicht.

»Was sollte das denn?«

»Scheiße, ich hab keine Ahnung.« Ich lachte immer noch, wie er fassungslos vor mir stand. »Ich bin irre, amtlich bescheinigt, also was erwartest du?« Ich fiel ihm in den Arm.

»Dafür hat es sich zumindest gelohnt, Kleines.«

»Weiß du, dass ich nur weggekommen bin, weil du mir gezeigt hast, wie? Es hätte schlimmer werden können. Lass uns die Dämonen bekämpfen. Gehen wir hin und zurück und vielleicht dann nie wieder. Aber das erste Mal will ich nur mit dir hin.«

Ein Kuss landete auf meinem Scheitel. »Dann bringen wir es hinter uns.«

Auch Alistair fand die Idee bescheuert und zeterte hinter uns her, bis wir aus der Tür waren, aber ich wollte dringend etwas abschließen oder anfangen?

Die Idee war dümmer, als ich gedacht hatte, zumindest im Park kam mir das ganze erstmal wie ein Riesen Fiasko vor. Vor den Büschen, in denen sie mich gefunden hatten, waren noch immer Spuren. Am Baum sah man dunkle Flecken von meinem Blut. Und in meinem Kopf spürte ich die Panik und die Angst dieser Nacht aufsteigen.

Sherlocks Hand schob sich in meine und ich griff dankbar danach. Sein Blick war genauso angespannt, wie meiner und es war ihm anzusehen, dass auch er in der Vergangenheit festhing. Trotzdem machte ich mich los und ging weiter zu dem Baum, mit dem mein Schädel Bekanntschaft geschlossen hatte. An dem er mir …

Ich merkte, wie meine Brust sich zusammen zog und krampfte. Der Schmerz, der durch meinen Körper gefahren war, schickte eine Erinnerung zurück. Sherlock stand neben mir, gefasster. Aber hier war für ihn auch nichts geschehen. Für mich war das der schlimmste Ort. Der Anfang vom Ende der Hoffnung. Der Moment, wo ich erkannt hatte, dass ich nicht wirklich eine Chance hatte zu entkommen.

»Vi? Langsam atmen.« Das alte Problem mir ging die Luft aus. »Komm Kleines, wir gehen besser.«

Ich schüttelte den Kopf und krächzte. »Hier hat er mir …. die Finger …«

»Ich weiß Schatz, komm, lass uns gehen, es reicht.« Aber meine Hand fühlte den glatten Stamm der Buche und ich sah hoch in die Krone. Es war ein schöner alter Baum und das sollte meine Erinnerung an diesen Ort sein. »Sherlock, er ist immer noch da draußen.« Dann sackten mir die Knie weg und ich heulte auf. Natürlich fing er mich wie immer auf.

Ich schaffte es alleine nach Hause. Mein Stolz wollte nichts anderes zu lassen. Seltsam still ging er in die Küche und ich zurück in meinen Salon. Als er mit Tee zurückkam, wartete ich schon ungeduldig auf ihn. »Sherlock?« Misstrauisch beäugte er mich. »Darf ich mit Martin fahren?«

Seine Augenbrauen zogen sich langsam nach oben. »Keine schöne Art zu sterben, zumindest für mich.«

Ich schlug ihn auf den Arm. »Blödmann, das ist nicht witzig. Ich hab Depressionen.«

Er grinste. »Die hatte ich auch schon! Aber deswegen zieht man nicht ein unschuldiges Auto mit ins Verderben.«

Ich hätte ihn küssen können, was mich stocken ließ. Da war es wieder dieses Herzklopfen. »Ich will ihm doch nichts tun, ich liebe ihn doch.« Ich klimperte mit den Augen.

Langsam kam er auf mich zu mit diesem schiefen frechen Grinsen und mein Herz machte einen Satz. Interessant wozu es doch in der Lage war. »Ich erinnre mich daran. Du hattest ihn immer lieber als mich.« Er zwinkerte mir zu.

»Das ist nicht wahr.« Unschuldig blinzelte ich ihn an und legte den Kopf schief. »Zumindest nicht solange er dir gehört.« Er lachte sein wunderschönes sexy Lachen. Verdammt tatsächlich zog es in meinem Bauch. Nur leicht, aber da war etwas. Aber direkt schlug es in was Negatives um.

»Kleines?« Seine Hand lag auf meinem Arm und er musterte mich aufmerksam.

»Also Sher, fahren wir, oder was?« Ich versuchte, den Moment so gut es ging zu überspielen.

»Ok, aber ich fahr aus der Stadt raus und suche uns eine leere Landstraße.«

Ich umarmte ihn und dann küsste ich ihn, nur federleicht und kurz, was mein Herz dennoch davongaloppieren ließ. Geschockt sah er mich an, dann kam er direkt näher, sehnsuchtsvoll, aber ich hielt Abstand. Ich konnte jetzt nicht entscheiden, welcher Weg der richtige war. »Nicht Sher, das war nur freundschaftlich.«

Enttäuscht lächelte er knapp und drückte mich nochmal fest. »Na dann los.«

Als wir spätnachmittags zurückkamen, war ich glücklich und todmüde. Der Anblick wie Sherlock neben mir saß und fuhr, war mir genauso schön vorgekommen wie die Tatsache, wie einfach und normal wir miteinander umgingen. Selber zu fahren hatte mich berauscht. Adrenalin schoss durch meine Adern und ließ mich aufjohlen, als ich das erste Mal richtig Gas gegeben hatte. Genial wie der Motor unter mir schnurrte und die Geschwindigkeit mich in den Sitz drückte. Befriedigend die Kontrolle über so viel Power zu haben.

Sherlock würde wohl eher beängstigend sagen. Die Hälfte der Zeit hatte er sich bemüht gelassen irgendwo festgekrallt. Lachend kamen wir zu Hause an. Ärgerten uns gegenseitig und liefen in den Rest der Jungs, als wir die Küche betraten. Alle musterte mich gründlich.

Edward war der Erste, der etwas sagte. »Hast du sie wieder unter Drogen gesetzt?«

Ich kicherte. »Nein, ich lache nur über deinen Bruder und dieses Gesicht.« Ich zog eine Schreckensgrimasse. »Nur weil ich ein bisschen schnell in die Kurve bin.«

Sherlock tat entsetzt. »Ein bisschen? So 180 oder so.«

Ich zwinkerte Alistair zu, der mich glücklich angrinste. »So schnell bin ich nie gefahren.«

Sherlock griff mich mit einem Arm um die Taille und ich schrie lachend auf. »Lügnerin, 260 mindestens. Ich dachte, das war´s.«

Ich fuhr ihm durch die Haare. »Armer, armer Sherlock.« Er war zu nah. Alles fing an zu kribbeln, aber gleichzeitig bekam ich Panik. Was bei Nathan unter Drogen funktioniert hatte, war hier zu real. Zu viel was mit sexuellem Verlangen zu tun hatte. Abrupt ließ er mich los und ging auf Abstand. Er hatte sicher gemerkt, das was nicht stimmte, denn seine Augen wurden so dunkel.

»Tee? Also ich schon.«

Schwer stützte ich mich auf den Küchentresen, der Blicke, die mir alle zu warfen brennend bewusst. Das rohe Ei Victoria. »Ich geh schlafen.« Wie immer hatte mich dieses Dunkle ohne Vorwarnung umgehauen.

»Engel, es ist früh und du musst was essen.«

Mein Mund war zugeschnürt und ich driftete ab. Dumpf hörte ich Sherlock. »Wir sind Burger holen gefahren. Sie hat erstaunlich viel gegessen.«

Mir wurde schwindelig von diesem Gefühl. Sehnsucht gemischt mit Angst? Schuldgefühlen? »Alistair, kannst du mich ...« Ich sackte zusammen und es war Edward, der mich diesmal packte.

»Sie hyperventiliert. Gib mir eine Tüte.«

Umständlich verfrachteten sie mich auf einen Stuhl und Ed hielt mir die Tüte an den Mund. Brav atmete ich ein und aus, bis es besser war.

Edward sah mich an, fühlte den Puls. »Deine Pupillen sind erweitert, du zitterst, du hast eiskalte Finger, hast du Angst?«

Ich nickte leicht. Verwundert sah er hoch zu den anderen. »Vor uns oder einem von uns?«

»Nein!«

»Wovor denn?«

Ich schüttelte unmerklich den Kopf.

Alistair schob sich an meine Seite. »Doofe Frage, komm Engel ich bring dich hoch.«

Ohne jemand anderen nochmal anzusehen, hängte ich mich auf seinen Arm. Oben zog ich mich mechanisch um und wusch mich, kletterte ins Bett und schloss augenblicklich die Augen. Am Rande nahm ich wahr, dass jemand sprach, aber das war unbedeutend. Ich versank wieder im Morast. Dabei war doch alles besser geworden. Ich hatte doch einen Weg gefunden. Aber die Dunkelheit kam zurück. Tief und unerbittlich.

Diesmal war der Schlaf kein Freund, denn ein Albtraum jagte den nächsten. Markus, der mich quälte, in meinem Kinderzimmer, im Park. Markus, der mich auslachte. Markus, der mich in seiner Gewalt hatte. Dann auf einmal war ich allein im Park. Dunkelheit und Nebel mehr konnte ich nicht sehen, dennoch wusste ich, wo ich war. Die Stille wurde von meinem Namen zerschnitten. Jemand rief nach mir, aber ich fand ihn nicht und aus meinem Mund kam kein Ton, sooft ich es auch versuchte. Wieder dieser verzweifelte Schrei nach mir und dann sah ich ihn. Sherlock völlig aufgelöst lag er über einem Körper und schrie. Vorsichtig näherte ich mich der Szene, wollte ihm sagen, dass ich hier war, aber immer noch kein Laut aus meiner Kehle. Sein Gesicht war voller Schmerz und Verzweiflung. Als ich ihm berühren wollte, glitt meine Hand durch ihn durch.

Er schrie. »Sie darf nicht sterben, bitte Edward, lass sie nicht sterben.«

Mein Kopf drehte sich zu dem Körper unter seinen Händen. Mein eigenes Gesicht, zerschrammt und blau und das furchtbarste meine leeren Augen.

Mit einem scharfen Atemzug ruckte ich hoch. Schwer keuchend saß ich im Dunkeln im Bett, am ganzen Körper zitternd. Nach langen hin und her ging ich runter zu meinem Schrank im Esszimmer und zog die Schublade auf, leer. Nein, das war nicht fair. Er konnte nicht einfach darüber entscheiden. Ich suchte denn ganzen Schrank und sein Arbeitszimmer ab, aber nichts. Mein Kokain war verschwunden. Also blieb mir nur der Whisky, den ich jetzt in tiefen Zügen trank, bis meine Sinne schwer wurden. Mühsam schleppte ich mich zurück ins Bett und grübelte über ... alles.

Ich schlief erst wieder ein, als es schon dämmerte, und diesmal schlief ich tief und fest bis zur Mittagszeit. Obwohl nun wach, bewegte ich mich lange nicht, alles war ja sinnlos. Erst als ich es nicht mehr aushielt, wankte ich zum Klo. Kurz darauf erschien der Erste auf der Matte, der mich zum Aufstehen bewegen wollte, fragte, wie es mir ging, warum ich den jetzt wieder so schlecht drauf war, bla, bla, bla. Einer nach dem anderen schneiten sie rein mit Wasser und Kaffee und guten Tipps und Unverständnis. Ich lag da und wollte nur sterben. Warum hatten sie mich nicht dort gelassen. Ich war doch schon weg gewesen.

Als die Tür wieder aufging, seufzte ich innerlich auf und drehte mich tief ins Kissen. Konnten sie nicht bitte wegbleiben.

Manchmal braucht man jemanden, der einfach bei einem sitzt, und sagt schöne Scheiße, in die du da geraten bist. Sag Bescheid, wenn wir anfangen sollen aufzuräumen. Genau so jemand war Sherlock. Immer schon wusste er instinktiv, was zu tun war, vielleicht weil er es am besten nachvollziehen konnte. Alle hatten sie versucht, mir gut zu zureden. Mich gefragt was sie tun sollten. Er hatte mir belegte Scones und eine Tasse Tee gebracht, alles neben mir auf den Schrank gestellt und angefangen vorzulesen. Kein, wie geht es dir. Kein, willst du reden. Kein, du musst was essen. Zwischendurch hatte er mich angesehen und mir die Strähne aus dem Gesicht gestrichen. Dann hatte er in einen der Scones gebissen und mir zwischendurch an den Mund gehalten. Beim dritten oder vierten Mal war ich etwas hochgerutscht und hatte abgebissen. Unter anderem, weil er es nicht von mir erwartete. Kein Wort, kein gut so oder mach weiter, einfach nur das Angebot an meinen Lippen, dass ich weiter annahm. So fütterte er mir drei Hälften und drückte mir dann wortlos den Tee in die Hand. Den ich mit starrem Blick aus dem Fenster trank. Danach rutschte ich wieder wortlos in die Decke und er las weiter. Was? Ich wusste es nicht, aber seine Stimme war dunkel und vertraut und mein zu Hause in der Leere.

Der nächste Morgen war nicht besser, zumindest nicht in mir. Keine Veränderung ins Gute. Als Alistair mit Porridge kam, lächelte er nur zaghaft und sagte nichts. Vielleicht hatten sie nun auf Sherlock gehört. Die Schüssel in der Hand setzte er sich unschlüssig zu mir. Seufzend nahm ich sie ihm aus der Hand und stellte sie ab. »Später.«

Und schon fing er an zu reden und ich machte dicht.

»Geh bitte.« Dann drehte ich ihm den Rücken zu.

Auch die anderen beiden kamen vorbei und waren lieb und bemüht. Edward nahm den ausgetrockneten Porridge mit und fragte. »Sag mir was, ich bring dir alles, was du willst Süße.«

Ich antwortete nur stumpf: »Kokain.« Fast lachte ich über dieses völlige Entgleisen seiner Gesichtszüge. »War es ein Mädchen oder ein Junge?«

»Der Fötus war männlich.« Entgeistert sah ich ihn an und hätte ich die Kraft besessen, hätte ich wohl vor Schmerz auf ihn eingeprügelt. »Er war mein Sohn!«

»Vi, er war 10 Wochen alt. Aber lass uns das nicht weiter bereden. Ich bin zu sehr Arzt und zu rational. Es fällt mir schwer, euren Schmerz nachzuvollziehen.«

Euren Schmerz? Damit hatte er in mir etwas bewegt. »Damit meinst du Sherlock?«

Weich sah er zu mir. »Ja, er war am Boden zerstört. So kenn ich ihn nicht.«

Ich war ziemlich emotionslos und sachlich heute, zumindest nach außen. »Am Anfang hab ich gedacht, du wärst der von euch beiden, der voller Leben und Emotionen sei. Mehr als der beherrschte rationale Lord. Aber dann war klar, dass er es nur mehr verbarg. Mittlerweile bin ich verwundert, wie abgeklärt du bist.«

Verwundert sah er mich an. »Ich bin nicht abgeklärt. Ich bin der, der auf Partys aufdreht, rumalbert und jeden Quatsch mitmacht.«

»Genau, du bist oberflächlicher.«

Geschockt sah er mich an. »Denkst du das wirklich?«

Das Gespräch dauerte mir schon zu lange, aber so konnte ich es wohl auch nicht stehen lassen. »Das ist nicht negativ gemeint, nur sachlich. Du denkst über viele Dinge nicht so tief nach und nimmst dir nicht alles so an. Das ist ein Segen! Ich bin müde Edward.« Dann drehte ich mich um und kurz darauf ging er. Was für mich wirklich ein Segen war.

Der Whisky kam wieder zum Einsatz und es war noch nicht mal Mittag. Ordentlich angetrunken legte ich mich halbnackt quer aufs Bett. Warum? Weil es bescheuert war. Erst hatte ich überlegt zu duschen, aber als ich fast ausgezogen war, schien mir das zu anstrengend und ich fiel aufs Bett. Jetzt lag ich da und zog auch noch mein Shirt aus. Sanft fühlte ich meinen Bauch, streichelte ihn, wie ich es mit meinem Baby getan hatte, und fing leise an zu weinen. Die Tränen liefen mir die Wangen runter und jede Einzelne spürte ich bewusst. Erst warm und dann kühl, wo Luft auf die feuchte Linie traf. Später fasste ich meine Brüste, jede in eine Hand, genau da ging die Tür auf. Ich hätte besser abgeschlossen.

Sherlock stand mit gesenkten Blick an der Tür. »Alles ok?«

»Komm rein.« Schnell warf ich mir die Decke drüber. »Bin abgedeckt.«

Er verkniff sich ein Grinsen und das wirklich mühsam. »Das war verstörend.« Er hatte den Kampf verloren und grinste mich offen an. »Meine Chance, in den Himmel zu kommen, hat sich erhöht, denn ich habe nicht hingeguckt.«

Meine Hand lag auf meiner knöchrigen Hüfte. »Glaub mir, das Elend willst du auch gar nicht sehen.«

Wachsam kam er näher. »Ich will dich immer Vi.«

Das ließ meine Organe purzeln. »Hast du mich gesehen, danach?«

»Ich seh dich jetzt.« Eine eindeutig genervte Geste von mir ließ ihn neu anfangen. »Ich weiß nicht, wie du aussiehst, sie haben mich fast immer rausgeschickt oder ohne mich versorgt. Der Deal. Nur das eine Mal als du in den Flur gerannt bist, war ich dabei. Aber da hab ich mich auf dich konzentriert.«

Mir kamen die Tränen. »Der Körper ist nicht meiner. So hässlich und fremd.«

Zärtlich strich er mir über den Arm. »Oh Vi, nein, gib dir Zeit und deinem Körper. Ihr werdet wieder zusammenwachsen.«

Ich schlug die Decke zurück. Seine Lieder senkten sich kurz nach dem ersten Blick und er schluckte schwer.

»Was ist da noch schön oder von mir.«

Seine Hand kam näher. »Hier, das Muttermal neben dem Nabel. Ich mag es, schon immer, so süß frech. Und hier das andere direkt unter der Brust. Deine Brüste sind wunderschön.« Er starrte mir einen Tick zu lange auf die Brüste, bevor er bei den Augen ankam. »Kleines, alles, was ich sehe ist, dass du dringend mehr essen musst. Du bist völlig abgemagert. Und ja das finde ich schlimm, denn es zeigt überdeutlich, wie sehr du leidest.«

Ich nahm seine Hand und legte sie auf meinen Bauch. Er zuckte fast zurück. Offensichtlich fiel es ihm nicht leicht, mich zu berühren. »Ekelst du dich vor mir?«

Erschrocken sah er mich an. »Nein, natürlich nicht. Ich musste nur an unser Baby denken.« Seine Fingerspitzen strichen jetzt so liebevoll über meinen Bauch wie vorher meine. Das verursachte ein Kribbeln. Mein Atem wurde schneller. Seine Hand legte sich flach auf die Haut und fuhr darüber. Und ein Körper reagierte selbständig und bog sich nur leicht, aber eindeutig zu ihm. Sanft nahm ich seine Hand von mir und deckte mich wieder zu. Dafür war ich nicht bereit.

Sein Blick hatte so viel Sehnsucht in sich, dass ich ihm auf einmal glaubte, alles.

»Sherlock«

Ich flüsterte erstickt und rau antwortete er: »Ja.«

Küss mich, nein, doch, vielleicht, besser nicht, was soll ich nur tun. »Hast du mein Kokain?«

Er runzelte die Stirn. »Nein, nur das flüssige, da hab ich mir zu viel Sorgen gemacht.«

Schweigen, er beobachtete mich und ich ihn. Beide hingen wir unseren Gedanken nach. Die Augen ineinander verfangen. Lange, sehr lange bis Edward reinkam und sich räusperte.

»Die Scones sind da.«

Apathisch schaute ich aus dem Fenster und sagte wie ein bockiges Kind. »Ich will Pop Tarts. Wo ist eigentlich der Löwe?«

Sherlock stand auf »Unten in meinem Bett. Wir wollten warten, ob du ihn sehen willst. Soll ich ihn holen?«

»Ja und Pop Tarts.« Er war schon an der Tür. »Und Kaffee.«

Natürlich brachte er alles und mit Löwi neben mir verschlang ich es völlig ausgehungert und immer noch unter Alkoholeinfluss. Scones, Pop Tarts, Kaffee, alles. So unverständlich schnell die Dunkelheit kam, so plötzlich zog sie sich manchmal zurück. Es war nicht hell in mir, aber es dämmerte. »Sher, wann musst du los?«

Er saß neben mir mit Brille auf der Nase und Buch in der Hand. »Gegen 10 vielleicht 11 sollte ich zurück ins Haus.« Nicht nach Hause?

»Hast du mit Edward geredet?«

Bedächtig legte er die Brille und das Buch zur Seite. »Nein, war kein guter Zeitpunkt.« Er dehnte den Nacken in alle Richtungen.

»Komm ins Bett ... auf deine Seite.«

Kurz zögerte er, dann ging er rum und streckte sich neben mir, mit hinter dem Kopf verschränkten Armen aus.

»Was musst du ihm sagen?«

Seine Hand fuhr mir an die Seite unters Ohr und verschwand genauso schnell wieder. »Das muss ich erst mit ihm besprechen Schatz. Er hat ein Recht darauf.« Irgendwas in meinem Blick verriet ihm wohl, dass es mir wichtig war, dass er mir alles anvertraute. Schwer seufzte er. »Es sind mehrere Sachen. Es ist kompliziert und eigentlich möchte ich das lieber erst mit ihm besprechen. Aber so, wie du mich ansiehst. Er hat Becca nochmal betrogen und Susan hat einen Beweis.«

Geschockt setzte ich mich auf, sein Blick rutschte nach unten und schnell zog ich die Decke wieder hoch. Mist, ich sollte mir was anziehen. »Er hat was? Jetzt in den letzten paar Wochen?«

»Warum bist du so überrascht? Du hast in vier Monaten mit mindestens drei Männern geschlafen. Und du hast Nathan mit mir betrogen. Viele Menschen tun so etwas.«

Ob das Absicht war, wollte er mich aufwecken, mich wütend machen? Es funktionierte. »Wie bitte? Erstens nur drei nicht mindestens. Da war keiner mehr und zweitens hab ich Nathan nicht betrogen.« In der Zwischenzeit war ich aufgestanden und zog mir ungeniert vor ihm einen BH an, nicht ohne dabei unauffällig beobachtet zu werden.

»Du bist wunderschön. Verdammt!« Er rieb sich übers Gesicht. »Nathan sieht das jedenfalls anders. Er findet, du hast ihn betrogen. Soweit er sagt, habt ihr euch nicht komplett getrennt, nur Abstand gehalten.«

Fertig angezogen setzte ich mich direkt neben ihn und legte meine Hand geistesabwesend auf sein Bein. »Mist, im Grunde schon ja. Ich rede nochmal mit ihm.«

Sein Blick wurde ziemlich arrogant. »Und ich finde, du hast mich mit Nathan betrogen.« Entgeistert sah ich ihn an. »Schlechter Scherz. Wie bitte sollte ich dich betrügen? Wir waren nicht zusammen. Nicht einen Tag.«

Er verbiss mal wieder seinen Kiefer. »Trotzdem hab ich mit niemandem geschlafen oder rumgemacht.« Er wurde lauter, richtig sauer. »Dummerweise hab ich gedacht, das wäre klar.«

Ich fuhr hoch und zeterte. »Susan bläst dir einen und das ist was? Und du hast mir selbst gesagt das du mit ihr ...«

Seine Stimme drehte weiter auf. »Gesagt nicht getan, nur weil du rumgevögelt hast wie eine Irre.«

Erschöpft flüchtete ich ins Bad und pinkelte bei offener Tür. Vom Klo aus rief ich: »Fick dich.«

Und er antwortete: »Hab ich versucht, hilft nicht.« Das Kichern kam einfach und wollte ein Lachen werden. »Ernsthaft, meine Hand ist schon wund, aber trotzdem reicht es nicht, nichts als Sehnsucht.«

Ich lehnte mich an die Tür. »Nach was? Einer neuen Hure auf Zeit?« Er zeigte mir den Mittelfinger. »Uhh, wir sind heute aber vulgär Sherlock.«

Er verzog das Gesicht. »Ich passe mich dem Umfeld an.«

Konnten wir nicht herrlich streiten? Ich verschränkte die Arme vor der Brust und seufzte. »Und das ist sicher? Mit Edward? Er kommt mir gar nicht so schlimm vor.« Wieder neben ihm liegend, zog mich seine Hand magisch an.

»Ja leider. Er war doch einmal allein hier. Sie hat Fotos von ihm im Club und von einem Bekannten, der ihn im Auto gesehen hat mit der … Dame.« Er verzog spöttisch das Gesicht. »Er hat ihr ein Foto geschickt. Hashtag ist das nicht Shers Bruder, der die Kleine vögelt?« Er rutschte tiefer und stöhnte auf. »Einer der Punkte auf ihrer Liste, wie erpresst man einen Croft.«

»Hat er sowas früher schon gemacht?« Er drehte sich auf die Seite und berührte meine Finger. »Ja hat er, deswegen hab ich mit ihm gestritten bei der Vernissage. Er hat mir verboten, dich auch nur schief anzusehen. Und ich hab ihm dafür versprochen ihm ein paar Knochen zu brechen, wenn er einer anderen zu nah kommt.«

Das war echt ... scheiße. Und dann hallte dieses, weil du wie eine Irre rumgevögelt hast in meinem Kopf. Hatte ich das? Wahrscheinlich schon. Seufzend setzte ich mich auf und rieb mir die Augen. »Ich versteh das nicht. Er liebt sie doch und ist glücklich mit ihr. Will sie sogar heiraten. Warum macht man das?«

Sherlock trommelte neben mir mit den Fingern auf die Matratze und sah ziemlich gereizt aus. »Manche brauchen den Kick, nicht war Victoria, jemanden aufzureißen, um zu gewinnen.«

Ich schnappte nach Luft. »Du verficktes Arschloch.« Hatte ich das jetzt wirklich gesagt?

Seine Hand ballte sich zur Faust und sein Nasenflügel bebten. »Tja, man fühlt sich nur angesprochen, wenn es wahr ist.« Er stand auf und fuhr sich durch die Haare.

Kerzengerade baute ich mich vor ihm auf. »Was genau ist dein Problem? Das ich versucht habe, glücklich zu sein, ohne dich? Wir waren nicht zusammen Sherlock, nie. Deine Entscheidung, nicht meine.«

Leise und wütend zischte er. »Ja, das weiß ich sehr wohl, aber du bist so schnell in ein anderes Bett gehüpft. Dass ich mich frage ...« Er schüttelte sich und drehte den Kopf weg. Er sah mich wieder an, aber sein Ausdruck war eher unsicher und gequält. Mein erster Impuls war seinen Kopf zu mir zu ziehen und ihn zu küssen. Davon war ich so überwältigt von diesem Ansturm an Gefühlen, dass ich sprachlos stehen blieb. Ich war mir nicht sicher, was ich da fühlte. Aber Angst schien dabei zu sein. Wenn ich diesmal diese Gefühle zuließ und ihn an mich ran, dann würde ich es nicht überleben, sollte er gehen. Oder? Oder reichte es einfach nicht mehr, um das Risiko einzugehen?

»Victoria? Denkst du wirklich, du hast mich geliebt?« Er hatte völlig überzeugt die Vergangenheitsform benutzt.

Ich wollte nicht darüber reden, nicht mal mit mir selbst. Das gehörte zu dem verknoteten Teil. »Ich bin müde.« Schwer fiel ich aufs Bett.

»Victoria.« Da stand er sein Rücken angespannt, seine eine Augenbraue hochgezogen, sein Blick ganz der überlegene Lord Croft. Er würde wohl diesmal eine Antwort einfordern. »Victoria, sag es mir, was bitte war das mit mir? Ein Spiel, wolltest du sehen, ob ich sie für dich verlasse?«

Mein Handy klingelte und ich wollte ran gehen.

»Nein du gibst mir eine Antwort.«

Er baute sich vor mir auf, aber ich kletterte übers Bett, das Handy schon am Ohr sagte er: »Sonst gehe ich sofort.« Das stach gewaltig in der Brust.

Angespannt begrüßte ich Nathan: »Honey, magst du morgen zum Essen kommen? Alistair natürlich auch.«

Ich versuchte, diese Angst loszuwerden, und räusperte mich. »Sind David und Susan auch da?« »Ja, David würde sich freuen, er wollte dich zu Hause nicht belagern, aber ihm tut es schrecklich leid, was er gesagt hat. Ich könnte für dich Hähnchen machen und Kartoffel Wedges, die du so gern magst. Ich würde mich freuen, wenn du kommst.«

Unschlüssig stand ich am Fenster und sah dem Regen zu. »Vielleicht. Kann ich das morgen entscheiden?«

»Sicher Zuckerschnute. Aber ich mach Trifle.«

Ich lachte. »Du bist ein Monster, wie soll man da nein sagen.«

Sehr zufrieden schnurrte er: »Ja, ich bin der Beste.«

Wieder räusperte ich mich erstmal. »Nathan, wegen der Nacht mit Sherlock. Ich wollte dich nicht betrügen oder dich verletzten.«

Stille am anderen Ende dann ein Seufzen. »Wie kommst du jetzt darauf?«

»Sherlock hat mich deswegen angepflaumt.« Anscheinend kochte er gerade, denn ich hörte einen Topf klappern.

»Ist ok Vi. War nicht so berauschend für mich, aber dein Herz hat die Oberhand gewonnen.«

Mir schnürte es die Kehle zu bei der Erinnerung. Heiser erklärte ich nicht nur Nathan. »Ja leider, aber es war dennoch nicht richtig.« Ich wischte ein einzelnes Haar von meiner Nase. »Ich hab ihn geliebt. Es tut mir so leid. Bitte glaub nicht, dass ich nichts für dich empfinde, das tue ich.«

Kurz war er wieder sehr still, dann alberte er rum: »Du willst doch nur meinen Körper und mein Talent.« Er lachte und ich musste auch kichern. »Mach dir keine Sorgen. Ich merke oft, dass du mich aufrichtig magst und ich dich. Also komm morgen zum Essen.« Ich bejahte einfach monoton und legte auf.

Immer noch mit dem Rücken zu Sher fragte ich: »Reicht das als Antwort?« Als keine Rückmeldung kam, drehte ich mich um und mein Herz blieb stehen. Er war gar nicht mehr da.

Und auch unten war er nicht mehr. Edward bestellte Pizza, die ich aß, als wäre es Pappe. Die ganze Zeit konnte ich nicht verhindern, dass mein Blick an ihm hängen blieb. Das er wirklich so war und Becca betrog, ging mir nicht in den Kopf. Nach dem Essen spielten die Jungs Battlefront und ich blieb zusammengerollt auf dem Sessel bei ihnen. Allein sein war im Moment keine angenehme Vorstellung. Ich würde nur über Sherlock nachdenken und ob er wiederkam. Trotzdem ging ich irgendwann wortlos nach oben. Kippte mir Whisky rein und ging duschen. Keine besonders vernünftige Reihenfolge, aber das Ziehen in einem Bauch war unangenehm. Wenn er nicht wiederkam? Ich konnte nicht einfach unter Dusche stehen und nichts tun. Notdürftig in ein Handtuch gerollt schnappte ich mir mein Handy und rief ihn an. Als er dran ging, kam kein Ton raus, nur ein Knäuel an Angst und Unsicherheit, der sich zusammen ballte.

»Victoria?«

Ich schluchzte auf. »Natürlich Sher, wieso denkst du nur sowas.«

»Was meinst du?«

Der Blödmann. Er wollte, dass ich es sagte: »Ich hab dich geliebt. Du bist der Einzige, den ich je geliebt habe. Und ich hab mit aller Macht versucht, es nicht zu tun. Ich bin so schnell vor dir weggerannt, wie ich nur konnte, aber mit ihnen war alles nur … Kontrolle … eine Lüge, die ich mir eingehämmert habe, um loszukommen … von Dir.«

Ein leises Keuchen war zu hören, dann hörte ich ihn aufatmen. »Willst du morgen hin? Ich kann dich jederzeit nach Hause bringen, wenn es dir zu viel wird.«

»Ich glaube schon. Kannst du kommen?«

Stille dann schien er irgendwie rauszugehen. Ich hörte eine Tür und dann ein Auto. »Nein, ich muss hierbleiben. Es ist schon spät und wir haben morgen früh einen Termin.« Er und Susan. Das Spiel hatte die gleichen Regeln. »Sherlock, wann klärst du mich auf und die anderen?«

Wieder seufzte er tief. »Denkst du wirklich, das muss noch sein. Victoria, das ist nicht leicht und du wirst mich hassen. Edward wird mich hassen. Ich verliere euch alle, wenn ich euch das erzähle.«

Dann wurde etwas ganz klar in meinem Kopf. »Die Gefahr besteht auch, wenn du es nicht tust. Gerade, weil du es nicht tust.« Angespannt und unsicher flüsterte ich: »Du könntest mich aber auch gewinnen, wenn du das noch willst.«

»Wie meinst du das Kleines?«

Überzeugt davon, dass es stimmte, sagte ich: »Mein Vertrauen. Ich kann dir alles verzeihen, aber nicht dass du dein Leben, deine Sorge nicht mit mir teilst. Ich kann dir nur vertrauen, wenn du mir vertraust.«

Noch ein Auto im Hintergrund, dann hörte ich Susan, die nach ihm rief, und er antwortete ihr, dass er gleich da wäre. »Lass uns erst ins Globe gehen. Noch einen Abend mit dir, an dem ich dich in meine Welt hole. Ich liebe das Globe und wünsche mir noch einen Abend mit dir. Der Frau, die ich liebe, unbefangen und glücklich. Vi, du wirst mich nie wieder so sehen, wie vorher, wenn du das weißt.« Die Frau, die er liebt, mein Bauch wurde herrlich warm.

»Sherlock, es wird keinen Unterschied machen. Nicht mehr.« Was ich meinte, war, dass viele Dinge mir nicht mehr so wichtig vorkamen. Die Vergangenheit zum Beispiel. Wie er sich jetzt verhielt, war wichtig, aber er verstand etwas anderes.

»Vi, das hab ich verstanden, als du dich für Nathan entschieden hast, aber deine Freundschaft ist mir trotzdem wichtig. Ich muss aufhören. Bis morgen Kleines.«

Perplex legte ich auf, wieso für Nathan entschieden? Wann hatte ich mich für Nathan entschieden? Darüber grübelte ich noch lange, bevor ich einschlafen konnte.

 

Es war keine gute Nacht. So übel, dass ich es schaffte mit meinem Geschrei das ganze Haus zu wecken und panisch, um mich zu schlagen. Zu allem Überfluss fragte ich auch noch immer und immer wieder verzweifelt, wo Sherlock wäre. Ich hatte schlichtweg für einen Moment vergessen, dass er hier gar nicht mehr wohnte. Zittrig legte ich mich mit Löwi im Arm wieder ins Bett und bat Alistair, bei mir zu bleiben.

Morgens lag ich im Halbschlaf in seinem Arm und kraulte seine Brust, bis ich begriff, wer da lag. Gott sei Dank schien Al sich nichts dabei gedacht zu haben. Aber mir war einiges klarer geworden. Bis Sherlock kam, war ich still und nachdenklich. Mechanisch führte ich die von mir erwarteten Dinge aus, wie essen, trinken, antworten.

Als es dann an der Tür klingelte, ließ ich Alistair aufmachen und blieb im Wintergarten eingehüllt in meine Wolldecke, mein Buch in den zittrigen Fingern. Ich war nervös wie ein Mädchen vor ihrem ersten echten Date. Mein Herz sprang mir fast aus der Brust. Die Tür ging auf und da stand er in einem grünen Wollpullover, den er eindeutig zu selten anhatte. Förmlich wirkte er, aber seine Augen strahlten dadurch umso mehr. Es war, als würde ich ihn zum ersten Mal wieder als Mann ansehen.

Er zog kurz die Augenbrauen hoch, fragend abwartend und strich sich die Haare aus der Stirn. Diese dunkelblonde Locke, weich und vertraut.

Das Neue was dazu gekommen war. Mir wurde klar, was es war. Ein bisschen Angst, aber auch eine Art Bedingungslosigkeit. Immer hatte ich einen Weg gesucht ohne ihn, aber mein Verstand hatte aufgegeben. Den Kampf mit meinem Herzen verloren. Es ist, was es ist, sagt die Liebe. Die Frage war nicht mehr, wie konnte ich loskommen, sondern war unsere Liebe stark genug?

Langsam stand ich auf, mein Buch glitt mit der Decke auf den Boden und ich pirschte mich fast an, wie eine Katze, die schmusen wollte. Legte meine Finger an seine Wange, fuhr sanft darüber. In mir erwachte diese Sehnsucht, zum ersten Mal seit dem Abend wieder voll und ganz und ich stöhnte lächelnd auf, so intensiv und lebendig fühlte sich das an. Diese Mischung aus Liebe und Schmerz. Völlig gefangen von der Berührung sah er mich mit leicht offenem Mund an. Mein Daumen glitt zärtlich über seine Narbe an der Unterlippe. Seine Lieder senkten sich. »Sherlock?« Meine Hand kam zu mir zurück. »Sag’s mir, bitte. Vertrau mir. Vertrau auf uns.«

Seine Augen blieben zu, als er schwer durchatmete. »Uns?«

Meine Hände wanderten auf seine Brust. »Ja, uns! Egal auf welche Art, wir sind doch schon lange eine eigene Welt oder nicht?«

Sanft glitt er mit dem Handrücken über meine Wange. »Das waren wir immer. Unser eigenes Universum.« Er griff nach meiner Hand und unsere Fingerspitzen spielten kurz miteinander.

Im Augenwinkel sah ich, wie Alistair und Edward zu uns kamen. Also hob ich die Decke und das Buch auf, legte alles auf die Bank und hörte nur mit einem Ohr hin, als sie überlegten, wer fahren könnte. Sherlock bot sich an uns drei mitzunehmen, da Henry eh mit David fahren würde.

Grinsend sah ich zu ihm rüber. »Das wird kuschlig im Aston Martin.«

Er grinste zurück, aber bevor er antworten konnte, zwinkerte Edward mir zu. »Oh Süße, dich nehme ich doch gern auf den Schoss.« Es war nur einer seiner flapsigen Scherze, die nicht ernst gemeint waren, aber nun hatte es für mich einen bitteren Beigeschmack.

Sher seufzte und sah ihn scharf an. »Edward, wir müssen kurz reden. Allein. Lass uns ins Arbeitszimmer gehen.«

Etwas irritiert folgte Edward Sherlock und Alistair sah mich fragend an. »Weißt du, was da los ist?« Nachdem ich ihm anvertraut hatte, was ich wusste, gingen wir über in den Spionagemodus. Erst hörte man rein gar nichts, dann wurden die Stimmen lauter, bis beide sich gegenseitig anbrüllten. Aber der Sinn ergab sich uns nicht wirklich.

Als die Tür aufsprang, verteilten wir uns schnell in der Küche. Edward sah verdammt blass und betroffen aus und Sherlock war sichtlich erschöpft. Automatisch fing ich an, Tee zu kochen.

Er stellte sich zu mir, lehnte rückwärts an der Theke und beobachtete mich dabei. Irgendwann lächelten wir uns an und ich streifte wie beiläufig seine Hand. Wir flirteten. Das fühlte sich schön an. Edward war verschwunden und Alistair verdrückte sich auch mit einem etwas unglücklichen Blick.

Allein drängte ich ihn. »Sag es mir Sher!«

Er nahm mein Gesicht in seine Hände. »Möchtest du, dass ich frei bin?«

Natürlich wollte ich das, schon für ihn und genau so sagte ich es ihm auch. Die Situation wühlte mich allerdings auf, was war das für eine Frage?

Mit meiner Tasse ging ich zum Tisch, um Abstand zu bekommen. »Aber du heiratest sie doch trotzdem. Warum? Wegen Edward?«

Sherlock kniff seine Lippen zusammen und zischte ärgerlich. »Meinem Bruder ist es egal, was mit mir ist. Er möchte nur, das Becca nichts erfährt.«

Völlig benommen trank ich einen Schluck Tee. »Ich fasse nicht, dass ich mich in den Kerl verguckt habe. Ich mein, ich hab echt viel Mist gebaut, aber ... Dann will er Becca das nicht sagen? Sie anlügen?«

Sherlock raufte sich die Haare und drehte den Stuhl wieder falsch herum, bevor er sich niederließ. »Sei nicht zu hart zu ihm, im Moment ist er, völlig überfordert und hat wahnsinnig Angst, Becca zu verlieren. Mir geht es nicht anders, deswegen versteh ich ihn gut.«

Den Seitenhieb konnte ich mir nicht verkneifen. Unschuldig fragte ich: »Du willst Becca nicht verlieren?«

Er grinste und legte seinen Kopf schief. »Blöde Kuh.«

Ich kam ganz nah vor sein Gesicht. »Neeeiiieeen. Blöder Hund.« Lachend sahen wir uns an. »Sherlock, was verdammt nochmal hast du angestellt, dass sie dich so im Griff hat?«

Sein Kopf sackte in seine Hände und er atmete geräuschvoll durch. Eine Ewigkeit schien er mich mit sich selbst kämpfend anzustarren und ich bemühte ihm offen zu begegnen. Nach einem weiteren tiefen Seufzer sagte er widerstrebend: »Oh Victoria. Ich bin meinem Bruder viel ähnlicher, als ich gerne zugebe. Und dann bin ich noch viel, viel schlimmer. Denn man kann sagen, was man will. Drogen hat er nie genommen.«

Ich hatte die Tasse abgestellt und spielte jetzt mit seinen Haaren. Warum waren sie so verführerisch weich?

Wieder machte er eine Pause. Ich konnte den Moment sehen, in dem er sich durchrang, reinen Tisch zu machen. »Sie hat Fotos von mir und zwei Videos, die kein besonders gutes Licht auf mich werfen. Vi sie hat mich fotografiert, als ich mir Heroin gespritzt habe. Damals war es mir egal. Ich liege da die Spritze noch im Arm, selig lächelnd. Es kommt mir vor wie Jahrzehnte her.«

Ich versuchte mir das Grinsen mit der Hand ab zu decken. Natürlich war das kein lustiger Moment, nicht für normale Menschen, aber ich mit meinem Galgenhumor. »Ein Jahrzehnt ist es ja fast her, oder alter Mann? Ich war da wahrscheinlich noch in der Grundschule.« Ich küsste ihn auf die Stirn. »Das ist eklig.«

Seine Augen weiteten sich überrascht, aber ich blieb wie selbstverständlich vor ihm stehen und grub meine Hände weiter durch seine Haare. Eine vollkommene Zufriedenheit breitete sich in mir aus. Endlich war er wirklich bei mir und redete mit mir, teilte seine Angst, sein Leben. »Und was noch? Sherlock, was ist so unverzeihbar?«

Er schluckte schwer. »Du lässt nicht locker, oder?« Ich schüttelte langsam den Kopf. Seine Augen spiegelten Unsicherheit und fast schon Panik wieder, als er zittrig meinte: »Ich rattere das jetzt mal kommentarlos runter. Ganz sachlich.« Ich nickte und kraulte ihm den Nacken. »Sie hat ein Foto wie ich eine Studentin in meinem Büro, ähm an die Wand nagle.« Unsicher sah er mich kurz an, aber ich kraulte einfach mit neutralem Gesichtsausdruck weiter. »Dann hat sie letztes Jahr ein Video gemacht von mir und ihr und …« Er pustete Luft durch seine spitzen Lippen. »Der Frau des Dekans.«

Ich konnte mir kaum ein Lachen verkneifen.

»Warum zur Hölle hast du so einen teuflischen Spaß daran?«

Ich hielt mir den Mund zu. »Sorry, zu viel Ironie und Galgenhumor in meinem Hirn. Wie alt ist sie?«

Er grinste. »Ah das ist es, 27, er hat nochmal geheiratet.«

Jetzt lachte ich lauthals. »Sicher hat er das. Oh Gott. Tschuldigung.«

Er zog mich näher und legte mir die Hände auf die Hüften. »Gleich willst du es noch sehen.«

Meine Lippen pressten sich zusammen. »Ehrlich gesagt, warum nicht?«

Empört rief er: »Das ist nicht dein Ernst.«

Mein Mund fand seine Haare und küsste den Kopf. »Warum nicht? Das wäre der erste Dreier meines Lebens. Du willst doch sicher der Mann sein in dieser Runde.« Er rutschte etwas zurück. »Ist dir das wirklich so egal, dass ich einen Dreier hatte und dabei gefilmt wurde?«

Meine Hand strich wieder über sein Gesicht, ich konnte die Finger nicht mehr von ihm lassen. »Nein, nicht egal. Wie könnte es das, wo es dich so belastet. Aber hast du etwas getan, dass jemand nicht wollte? Oder geprügelt, irgendwas Verbotenes? Oder war Ehebruch das Schlimmste an der Sache?«

Entgeistert sah er mich an. »Warum nur denke ich immer, du kämst nicht mit sowas klar.«

»Sher, wir wissen beide, wie es ist, wenn der dunkle Teil von einem Besitz ergreift. Wenn man sich verliert und verzweifelt jeden Weg geht, um wieder etwas zu finden, das einen fühlen lässt. Man ist nicht man selbst.«

Bewegt sah er mir fest in die Augen. »Das ist keine Entschuldigung dafür, sich einfach gehen zu lassen.«

Seufzend nickte ich. »Aber eine Erklärung. Wichtig ist nur, dass du gekämpft hast und weiter darum kämpfst besser zu sein als das.«

Seine Augen schlossen sich kurz und er schluckte schwer, bevor er gefasst weiter sprach. »Das Video ist nicht besonders gut für meine Karriere und meinen Ruf.«

Ernst bestätigte ich das: »Allerdings. Das war saudämlich von dir. Du hättest dir eine andere aussuchen sollen.«

Er sah mich still an und holte tief Luft, bevor er weitersprach. »Kleines …« Er holte tief Luft. »Das zweite Video ist schlimmer.«

»Wieso zum Henker lässt du dich ständig filmen?« Sein Kopf fiel auf meine Brust und ein Funken stob mir zwischen die Beine, der mich aufschreckte.

Nuschelnd antwortet er: »Bei dem Dreier mit der Frau des Dekans fand ich es lustig. Ich war sturzbetrunken. Bei dem anderen hab ich es gar nicht gemerkt. Vi ich ...« Er fiel quasi in sich zusammen und ich schob sanft seinen Kopf hoch.

»Was ist da drauf?«

Er rang sichtlich mit sich, dann sah er auf seine Finger. »Du musst wissen, dass Sex meine zweite Droge war. Der Nervenkitzel, die Erregung, die mich lebendig gemacht hat. Ich war genauso dumm in Bezug auf Intimität wie in Bezug auf Heroin oder Kokain.«

Wieder fuhr ich ihm sanft durch die Haare. »Was ist auf dem Video, Sher.«

»Ich bin drauf mit zwei anderen.« Er schüttelte unmerklich den Kopf, als könnte er es selbst nicht glauben. »Ich hab absolut keine Erinnerung an den Abend, aber das Video ist echt.« Er gab einen Schmerzenslaut tief aus der Seele von sich, der mir Angst machte.

»Was ist passiert?« Meine Frage war leise, unsicher, denn mir war klar. Das war es, was ihn überzeugte alles auf sich zu nehmen. »Sherlock?«

Gequält fing er an: »Ich vögel ein Mädchen auf jede erdenkliche Weise zusammen mit einem anderen. Während sie mit mir knutscht, nimmt er sie von hinten. Während sie über mir hockt und ich sie lecke, bekomme ich von ihm einen geblasen. Nur so Zeug. Wir begrapschen sie gemeinsam. Ich knutsch mit dem Kerl, während ich sie vögel ...«

Schräg sah ich ihn an und verrenkte meinen Körper dabei, um ihm in die Augen sehen zu können. »Wie geht das denn? Ich meine platztechnisch?«

Er warf die Hände in die Luft. »Echt jetzt? Das ist dein Problem? Sie war oben und hat mich geritten, während er neben mir lag, ich ihm einen runtergeholt und mit ihm geknutscht habe. Es funktioniert. Soll ich es dir zeigen. Alles auf meinem Handy.«

Manchmal war mein sachliches Forscher ich ein echter Vorteil. »Ja warum nicht. Ich kann mir das nicht richtig vorstellen.«

Er stieß einen fassungslosen Schrei aus. »Wochenlang hasse ich mich für diesen Porno und du willst wahrscheinlich noch Chips dazu?«

Albern hob ich den Finger. »Kann ich Popcorn bekommen?« Dann grinste ich. »Sher das ist doch so egal, dann hast du halt wilde Zeiten hinter dir. Mir ist das Schnuppe. Hauptsache ich soll bei sowas nicht mitmachen.«

Wild stand er auf und schlang den Arm um mich. »Nie würde ich dich teilen. Niemals mit niemandem.« Mein Mund ruckte hoch zu seinem und stoppte kurz davor. »Victoria.« Er seufzte meinen Namen.

Mir lief ein Schauer über den Körper, als sein Atem meinen Mund traf. Automatisch befeuchtete ich die Lippen. »Was denn? Sherlock?«

Seine Stirn sank auf meine und er atmete angestrengt. »Sie war erst 15.« Seine Stimme brach. Scheiße, verdammte scheiße. Das war kein Ruf, den man verlor oder schlechtes Ansehen? Das war strafbar.

»Wann war das?«

Er löste sich von mir. »Letztes Jahr nach der Abschlussfeier der Absolventen. Wir waren im Club, das weiß ich. Susan hat sie mir vorgestellt, als Cousine ihrer besten Freundin oder so. Sie war bei ihr zu Besuch. Gott Vi, es war 2 oder 3 Uhr und ich hab nicht gefragt, wie alt sie ist. Warum auch, ich hatte nichts mit ihr vor. Ich weiß, wie ich mit ihr getanzt habe. Dass ich sie süß fand. Sie war bezaubernd unschuldig.« Er schnaubte. »Susan ist früher los und hat mich gebeten sie nach Hause zu bringen, was Susans Wohnung bedeutete. Das hab ich getan. Dunkel erinnere ich mich, wie betrunken ich im Taxi war, das wir angekommen sind und ich sie geküsst habe, aber dann totaler Filmriss.«

Das ging mir doch unter die Haut. »Generell solltest du weniger trinken.«

Wieder schnaubte er selbstverachtend. »Das ist mir schon länger klar. Meistens kenn ich meine Grenzen. Und dann gibt es Zeiten, in denen ich einfach ausraste. Dann ist es mir egal und ich mach die bescheuertsten Sachen. Nur um mich nicht Tod zu fühlen. Überhaupt fühlen. Das ist keine Entschuldigung. Das weiß ich. Aber letztes Jahr hatte ich ein paar wirklich üble Wochen. Ich hab mich mehr als diese zweimal in die Besinnungslosigkeit getrunken. Das ist, als wüsste ich dann nicht, ob ich lieber sterben will oder mich endlich wieder lebendig fühlen.«

Ich legte mein Gesicht auf seine Brust. »Kommt mir bekannt vor. Wie oft hast du das gehabt in den letzten Jahren?«

Er umschlang mich mit seinen Armen und legte seinen Kopf auf meinen. »Nach dem Tod meiner Eltern monatelang am Stück. Dann einmal vor vier Jahren ein paar Wochen lang und dann letztes Jahr wirklich schlimm. Dieses Jahr war im Vergleich dazu harmlos. Eigentlich weiß ich es besser, bis jetzt mein Schatz, hatte ich nur keinen Grund besser zu handeln. Es ist meine Art, mir selbst zu beweisen, dass ich schlecht bin, nichts wert.«

Sanft streichelte ich mit dem Daumen seinen Rücken. Sarkastisch fragte ich: »Dir fehlt dein Vater wirklich, was?«

Er gluckste ironisch. »Da war diese grausame Ader, die ich vermisse.«

Egal wie sehr mich das innerlich aufwühlte, ich musste gelassen und ruhig bleiben für ihn. Meine Hände legten sich wieder auf seine Brust und ich sah ihn von unten an. »Du hast mir erzählt, Henry wäre der einzige Mann, mit dem du je was hattest.«

Seine Finger machte eine Wanderschaft über meinen Rücken, der dadurch herrlich kribbelte. »Ich konnte mich nicht dran erinnern oder geschweige denn mir vorstellen, sowas zu tun. Eigentlich bin ich recht monogam veranlagt und sehr stark hetero ausgerichtet.«

Das glaubte ich ihm sofort, dennoch war er da ziemlich ausgeartet. Ich konzentrierte mich auf das Problem rational, damit meine Gefühle nicht durchdrehten. »Sherlock, wer war der andere Mann? Kann er dir gefährlich werden?«

Er lächelte kurz, aber bitter. »Du hörst dich süß an, wie eine Agentin, die die Fakten sichtet, um die Sache zu regeln. Bitte keinen töten, Vi.« Er stupste mit seiner Nasenspitze an meine und ich wollte ihn nur noch küssen. Unsicher sah er mich an, meine Augen hatten den Kampf in mir wohl preisgegeben.

Ich atmete tief durch. »Kennst du ihn?«

Ernst nahm er etwas Abstand von mir und presste hervor. »David!«

Puh, das war ein Schock. »Unser David?«

Er nickte mit einer Hand in den Haaren.

»Oh verdammte Scheiße!«

Er verzog sein Gesicht. »Allerdings und ich hab keine Ahnung, ob er sich erinnert oder genauso blau war wie ich. Susan hat sich anscheinend köstlich amüsiert, als sie uns erwischt hat und gefilmt. Das ich nie gemerkt habe, wie verschlagen sie ist.«

Leicht schlug ich ihm auf die Brust. »Und du hast beschlossen, das alles allein zu regeln und alle zu beschützen?« Er fing meine Hände an den Gelenken ab. »Sieh mich an, Kleines, sieh mir in die Augen.« Ich tat, was er verlangte, und verlor sofort die Kontrolle über meinen Puls. Diese Augen waren mein Untergang. »Vi, ich schwöre dir, ich wusste nicht, wie alt sie ist. Ich hab dich nicht angelogen. Eigentlich bin ich nicht sonderlich interessiert an solchen Nummern. Es tut mir leid, wahnsinnig leid, aber wenn sie das rausgibt, dann bin ich erledigt und David auch. Edward verliert Becca. Henry bricht es das Herz. Er wird mich nicht mehr sehen wollen, was für mich sehr schlimm wäre.« Er zitterte und leise stammelte er: »Was ist mit dir, verlier ich dich ganz?« Er schaute so angespannt und ängstlich zu mir runter, dass mein Herz schon wieder anfing zu holpern.

»Nein Sherlock! Nicht wegen so etwas. War sie freiwillig dabei? Hat sie sich wohl gefühlt? Zeig es mir, zeig mir die Videos, die Fotos alles. Was ich kenne, kann mich nicht mehr angreifen.«

Immer noch hielt er meine Handgelenke fest. »Das ertrag ich nicht Kleines. Du sollst mich nicht so sehen.«

Mein Mund wollte zu seinem, nur ein Stück das Kinn heben und auf die Zehenspitzen stellen. »Sherlock, zeig es mir, bitte. Nur so stell ich mir keine Dinge vor, die vielleicht noch schlimmer sind.«

Nach einem ratlosen Zögern holte er sein Handy. Stand dann wieder unschlüssig vor mir, gequält seufzte er. »Dann lass uns woanders hin, wo uns keiner unterbricht.« Ohne weiteren Kommentar nahm ich seine Hand und ging mit ihm hoch in mein Schlafzimmer und schloss ab.

Während er unruhig vor dem Fenster auf und ablief, sah ich mir das erste Video an. Nur 5 Minuten Sherlock mit Susan und einer verdammt sexy Brünetten. Es war schwer ihn im Bett mit einer anderen, zwei anderen zu sehen, am liebsten hätte ich beide umgebracht. Eifersucht pur. Eifersucht, die mich da übermannte und überraschte. Das war mein Mann, dachte ich. Meiner!

Als das Video vorbei war, sah er mich an. Oberflächlich gefasst, aber er biss sich in die Finger, knabberte an Nägeln und Haut.

Das ist mein Mann, sonnenklar, meiner!

Mein Vorhaben, alles anzusehen, geriet ins Wanken. Das erste Video hatte mir zugesetzt, dabei war es das harmlose. Ich streckte die Hand nach Sher aus. »Komm her zu mir bitte. Das ist ehrlich gesagt schlimmer, als ich dachte.« Ich zog ihn zu mir ins Bett und zwang ihn regelrecht, mich von hinten in den Arm zu nehmen. Halb auf seinem Schoss, zog ich seinen Arm um meinen Bauch und hielt ihn umklammert. Ich brauchte den Halt. »Dann mal los«, stöhnte ich und er startete den Mist. Vergrub seinen Kopf an meiner Schulter.

Manchmal sah ich nicht richtig hin oder ließ es schneller vorlaufen. Verdammt dieser Mist war fast 30 Minuten lang und man sah, dass Susan zwischendurch Pausen gemacht hatte beim Filmen. Ihre Ausdauer sich den Sex anderer anzusehen war beeindruckend. Am Ende schmiss ich das Handy neben mich und lehnte mich schwer bei ihm an. Nahm mir noch seinen anderen Arm und zog ihn unter mein Kinn. Gedankenverloren verschränkte ich meine Finger mit seinen und küsste seinen Unterarm. Mein Bedürfnis nach seiner Nähe war enorm. Seitlich drehte ich mich an ihn ran, seinen Arm fest umklammert und schmiegte mein Gesicht auf seine Brust. Dann seufzte ich erstmal. Die Bilder waren nicht besonders angenehm gewesen.

Unsicher raunte er: »Vi? Was denkst du?«

Meine Nase kuschelte sich in sein Hemd. »Davids Schwanz ist größer, als ich gedacht hätte.« Ein lahmer Versuch, der Sache die Schärfe zu nehmen.

»Kannst du nicht einmal ernst bleiben.«

Traurig murmelte ich. »Und ich hab jetzt wirklich Lust auf Popcorn.«

Er strich über meine Haare. »Vi? Bitte.«

Ich krabbelte weiter auf ihn drauf und schlang meine Arme um seinen Hals. »Das ist ernst genug Sher. Also lass mich doof sein, sonst ertrag ich das nicht.«

Ich drückte ihn einmal fest und rückte dann wieder von ihm ab. »Sie hat definitiv freiwillig mitgemacht und hatte Spaß, also kann ich dir deswegen nicht böse sein.« Dann schlug ich ihm leicht gegen die Stirn. »Du Idiot! Und David! Auch so ein Idiot! Ihr schwanzgesteuerten Idioten. Wie kann man so doof sein. Und Susan. Was für eine Bitch, euch nicht von ihr wegzuholen. Den eigenen Bruder ins Messer laufen lassen. Wie kann man nur!«

Es klopfte an der Tür und ich ging sie aufmachen. Edward sah mir etwas sparsam und unendlich blass entgegen. »Was treibt ihr hier?«

Und ich konnte nicht an mir halten. »Deine Lieblingsbeschäftigung jedenfalls nicht.« Wütend sah er von mir zu Sher, der nun aufstand und zu uns kam. Wieder völlig gefasst und in guter Lord Manier verkündete er. »Sie weiß es Edward und du solltest den Rest erfahren.« Jetzt sah er doch etwas unsicher zu mir. »Vi?«

Ich nickte und legte meine Hand unterstützend auf seinen Arm. Sofort entspannte sich sein Kiefer.

Zuerst rastete Edward aus, weil Sher mir alles erzählt hatte, dann wurde er verdammt still, als er den Rest erfuhr. Zusammen saßen wir anschließend in der Küche und waren ziemlich ratlos. Sherlock hatte recht. Eine echte Lösung gab es hier nicht, außer alle hielten zusammen gegen Susan. Auch ihre Brüder.

»Sherlock, du musst mit David reden und am besten holen wir auch Nathan ins Boot. Das ist unsere einzige Chance gegen sie.«

Er rieb sich wieder mal die Augen und sah dabei aus, als würde die ganze Last der Welt auf ihm ruhen. »Ich weiß nicht.«

Edward sah ihn an. »Sie hat recht und Henry muss das auch wissen. Keiner darf mehr von ihr manipuliert werden.«

Ich nickte. »Und sie darf keinen von uns mehr gegen einen anderen aufhetzen können. Also Jungs, wenn es noch was gibt, sollte es jetzt erzählt werden.«

Überraschenderweise seufzte Edward. »Ich hab mit Susan geschlafen Sherlock und nicht nur einmal.«

Sherlock sprang auf und packte ihn am Kragen. »Sag mir nicht, dass du der Vater sein könntest, dann vergesse ich mich.«

Edward hielt die Arme in die Luft. »Nein auf keinen Fall, da hatte ich nichts mit ihr. Aber …« Er schielte zu mir rüber. »Auf der Vernissage, als du mit Nathan weg warst. Ich dachte, warum nicht Gleiches mit Gleichem vergelten.«

Erstmal war ich sprachlos und angeekelt. Dann fiel mir ein, dass ich in der Nacht nicht mit ihm geschlafen hatte, nur vorher. Das machte es etwas besser. Wütend stand ich auf und pflückte ihn mir quasi aus Sherlocks Griff. »Was läuft eigentlich schief bei dir?« Hart schubste ich ihn weg. »Warum zum Henker machst du sowas? Und dann auch noch bei Becca? Ich versteh das nicht.«

Er ballte die Fäuste und schrie fast: »Weil ich so verkorkst bin und immer meine ich müsste mir beweisen, dass ich frei bin. Das ich lebe. Ich schäm mich tierisch, dass ich das Becca angetan habe und auch dir, aber in dem Moment.« Er wurde ganz leise und plumpste auf seinen Stuhl. »Es ist wie ein Rausch. Das hat nicht mal was mit Sex zu tun.«

Ich musterte ihn. »Kontrolle, Macht.«

Er kniff die Augen zusammen. »Genau! Ich fühl mich nicht so klein. Immer bin ich nur Shers Schatten gewesen. Immer hat er mich beschützt. Immer bin ich schwach. Dann steh ich über allem.« Er verschränkte die Arme. »Ich muss es Becca sagen, oder? Gott sie wird mich verlassen.« Er fing an zu weinen. »Ich bin so ein Arsch.«

Ich hatte Hemmungen ihn in den Arm zu nehmen und deute Sher an es zu tun. Als er sich endlich aufraffte, musste ich schon wieder fast lachen bei seinem Gesichtsausdruck.

Aber Edward ließ sich nur zu gern umarmen. »Ehrlichkeit währt am längsten. Besser wenn sie es von dir erfährt.«

Er nickte. »Dann kannst du wenigstens eins von der Liste streichen.«

Alistair rauschte in die Küche und analysierte die Szene »Müssen wir nicht los? Heult er, weil er so ein Arsch war?«

Ich verdrehte die Augen. »Al, ja genau deswegen, aber das kann man auch netter sagen.« Er grinste. »Sag besser gar nichts mehr Al, sonst bricht dir noch einer das Genick.«

Fehler von Vi, sein Lieblingsthema. »Das ist gar nicht so einfach, weißt du und man stirbt nicht unweigerlich an einem Genickbruch. Nur wenn die Nerven durchtrennt werden. Das in den Filmen.« Er war schon im Flur und zog Schuhe an. »Also dieses knack weg, kann ich nicht glauben.«

»Glaub es ruhig, mit der richtigen Technik klappt das.« Das kam von Sherlock und ich haderte mit meinem Schicksal, würde das jetzt die ganze Autofahrt so weitergehen?

»Nein, das glaube ich erst, wenn ich es sehe.«

Sherlock hob die Augenbrauen. »Melde dich freiwillig und ich zeig dir wie.«

Ich versuchte, an meine Jacke zu kommen, die die beiden Mörder vor mir versteckten. Al lachte. »Ja sicher, du hast da wahrscheinlich schon Erfahrung.«

Edward schnaubte und ging aus der Haustür. Sherlock sah für meinen Geschmack zu gleichgültig und gelassen aus. »Leider schon.«

Jetzt packte Alistair ihn am Arm. Woraus ein kleines Handgemenge entstand. Zwei Ninja in Action, bis Sherlock entnervt meinte. »Das reicht« und Alistair mit wenigen Handgriffen auf die Knie zwang und seinen Kopf in die Schraubzwinge nahm. »Junge kapier endlich, dass ich nur zulasse, dass du kleine Erfolge einstreichst. Also soll ich es knacken lassen oder fahren wir jetzt essen?«

Entsetzt sah ich ihn an. »Lass ihn los!« Beide grinsten. Super ich machte mir fast in die Hose und die hatten Spaß.

Alistair stand auf und schlug mit Sher ein. »Wie viele?«

»Vier!«

Alistair pfiff laut. »Das ist kein Witz?«

Sherlock strich sich seine Hose glatt. »Nein, leider nicht, Syrien, Geiselnahme. Musste irgendwie aufräumen und die Leute rausholen.«

Ich kreischte. »Wer bist du?«

Er zwinkerte mir zu. »James Bond mein Schatz. Im Ruhestand.« Er zog mich in seinen Arm und drückte mir einen Kuss auf den Kopf.

»Ich weiß nicht, ob ich deinen Umgang pflegen sollte.«

Er lachte. »Ich organisiere dir Popcorn.« Das besänftigte mich, obwohl die Vorstellung das er …

, da konnte ich nicht mal drüber nachdenken. Edward stand schon neben einem schwarzen Land Rover, den Sher jetzt aufschloss. »Ist das deiner?«

Verwegen grinste er mich an und ging rückwärts zum Wagen. »Natürlich gefällt er dir? Denkst du etwa, ich hab nur ein Auto? Kleines ich bin ein arroganter selbstverliebter Snob mit zu viel Geld.«

Edward rief beim Einsteigen. »Das bestätige ich gerne.«

Alistair hielt neben uns an. »Darf ich fahren?«

Und Sher warf ihm doch tatsächlich die Schlüssel zu. Alistair freute sich einen Arsch ab und Sherlock sagte, seine Augen fest auf mich gerichtet. »Schon klar, wer hinfährt, fährt auch zurück.«

Al rief aus dem Auto raus. »Geht klar, aber nicht unbedingt auf dem kürzesten Weg.« Dann lachte er irre. »Querfeldein mit Allrad.«

Langsam ging ich auf Sherlock zu und er streckte den Arm nach mir aus. »Er steht auf Geländewagen.«

»Merkt man gar nicht.« Wir grinsten uns an. Dann manövrierte er mich geschickt an sich ran. »Nächstes Mal zeig ich dir in Blackhill die Garage.«

Wir standen so nah beieinander, dass mein Körper machte, was er wollte und sich fest an ihn drückte. Heiser fragte ich. »Was finde ich denn dort?«

Seine Augen machten mich wahnsinnig. Sanft strich er mit dem Finger über meinen Mundwinkel. »Einen Bugatti, einen Lamborghini Huracán, einen Ford GT, einen fetten Volvo.«

Sein Mund ersetzte seinen Finger. Federleicht berührte er meine Lippen und ich verlor den Verstand. »Einen Maybach, einen Rolls Royce. Einen Mercedes ...«

Ich küsste ihn und er stöhnte sofort auf. Kurz und fest, aber unschuldig. »Lass uns los. Ich werde jedes Einzelne deiner Autos fahren und vielleicht nachsehen, wie weit die Sitze nach hinten verstellt werden können. Aber später, ich hab Hunger.«

Mit halb gesenkten Liedern schob er sich an mein Ohr. »Vi? Was bedeutet dieser Kuss?«

Ich war feige und unentschlossen. »Ich ... du hast zu viel geredet.« Eilig ging ich zum Auto.

Während der Fahrt sah ich eisern aus dem Fenster. Das ich wirklich mehr wollte, konnte ich nicht richtig verarbeiten. Ich hatte Schuldgefühle. Sollte ich nicht leiden, wegen Markus und wegen meines Babys? Ich litt und ich war unendlich traurig. Mein Körper war mir immer noch so fremd und ich konnte mich kaum selbst im Schambereich berühren, ohne mich zu schämen und es als falsch zu empfinden. Aber Sherlock war meine Kraft, meine Welt. Wenn ich nur nicht solche Angst hätte, dass er sich wieder in Luft auflösen würde.

Wir waren schon fast da. Edward und Al diskutierten über einen Song, der im Radio lief und ich drehte mich zu Sherlock »Wie kommt Susan zum Essen?«

»Sie fährt selber.« Seine Hand legte sich mit der Handfläche nach oben zwischen uns.

»Dann fährst du mit ihr zurück?«

»Nein.« Vorsichtig fuhr ich mit meiner Hand über seine und verschränkte die Finger.

Tonlos hauchte er: »Ich liebe dich.« Zumindest wollte ich das so deuten.

»Dann bringst du uns zurück und fährst dann nach Hause?«

Er rückte zu mir auf und flüsterte in mein Ohr. »Du bist mein zu Hause.«

Als ich ihn wegschob, hatte er dieses freche schiefe Grinsen im Gesicht, das meine Libido aufs empfindlichste anstachelte. Seine Augen allerdings sprachen eine andere Sprache. Angst, Unsicherheit, Schmerz. Wenigstens etwas davon wollte ich ihm nehmen. »Du flirtest mit mir Sherlock Croft. Diesmal kriegst du mich nicht verführt. Ich bin vorbereitet.«

Seine Fingerspitzen strichen sanft über meinen Arm unter die Jacke. »Natürlich nicht.« Wieder kroch er so nah in meine Haare und ich bekam eine Gänsehaut, als seine Lippen mein Ohr streiften. »Sowas würde ich nie tun!«

Meine Augen wurden schwer und ich vergaß fast, wo wir waren. Er fühlte sich so gut an. Aber dann kam dieses fiese Gefühl der Bedrängung und ich rutschte zurück. »Hör auf, bitte!«

Er runzelte die Augenbrauen und hielt Abstand. »Kleines, tut mir leid.«

»Ich fühl mich einfach nicht wohl bei diesen Dingen.«

Aber als er seine Hand wegziehen wollte, drückte ich sie fest und hielt sie in meiner, was ihm ein kleines Lächeln entlockte.

Kapitel 3

 

Wenn ihr euch fürchtet, seid ihr schon geschlagen.

William Shakespeare

 

Nathan war begeistert, dass ich da war. Er schnappte mich quasi am Türgriff mit einem Arm um die Taille und behielt mich dort an seiner Seite für eine ziemlich lange Zeit. Zeigte mir stolz die große Schüssel Trifle im Kühlschrank, alberte mit mir rum, brachte mich dazu ausgiebig die Potato Wedges im Backofen zu bewundern und ihm beim Frittieren des Hähnchens zu helfen. Nach 5 Minuten fing ich bereits an mich normal zu fühlen und so behandelte er mich auch mit seiner immer überschwänglich fröhlichen, aber trotzdem ruhigen gelassenen Art. Er kommandierte mich zum Gläserholen, um uns Drinks zu machen. Mein erster Gin Tonic seit Ewigkeiten, allerdings mit mehr Gin als früher. Viel mehr, ich wurde langsam zum Alkoholiker. Sherlock rümpfte die Nase als er bei mir einen Schluck trank und mich leise bat, es nicht zu übertreiben.

Alistair war so hingerissen von der Wohnung, dass er nichts mehr mitbekam und Nathan war hingerissen von Alistair. Ich schmunzelte vor mich hin, als Nathan ihn hingebungsvoll alles zeigte und anfing zu flirten. Als Nathan ihm die Hand auf den Oberarm legte und die Muskeln bewunderte, versteckte ich mein Lachen hinter der Hand.

»Denkst du, er merkt, dass er angebaggert wird?«

Grinsend drehte ich mich zu Sherlock um und schüttelte den Kopf, bemüht nicht loszuprusten.

Sherlock trank einen Schluck ganz erhaben und setzte diese lockere fast gleichgültige Miene auf. »So ein schönes Paar.«

Und ich war nicht mehr zu halten. Lachend ließ ich mich an seinem Arm hängen, legte meinen Kopf darauf und griff seine Hand. »Hör auf, der Arme kann drei Tage nicht schlafen, wenn ich es ihm sage. Er ist nicht so flexibel wie ...«

Ich brach den Satz lachend ab, weil Nathan ihm was aus dem Gesicht strich.

Sherlock sah ernst auf mich runter. »Wie ich?« Das klang so betroffen, dass mir das Lachen im Hals stecken blieb.

»Wie Nathan.« Ich rutschte ein bisschen näher und legte meinen Arm locker um ihn. »Willst du gleich mit David reden?«

»Nur wenn ich ihn vor Susan erwische.« Wie aufs Stichwort klingelte es an der Tür.

Ich war schon weit von Sherlock weggerückt, nur zur Sicherheit, bevor David und Henry reinkamen und alle begrüßten. Meine Umarmung fiel bei Henry länger aus als normal und er sah mich fragend an, aber ich drückte nur kurz seine Hand. David begegnete mir untypisch reserviert, entschuldigte sich förmlich für seine Ansprache im Club, aber er hatte aus seiner Sicht ja auch recht gehabt, also fiel es mir schwer, ihm böse zu sein. Wir einigten uns auf alles Vergeben und Vergessen und Sherlock schob sich näher. Mir war klar, was der ernste Blick zu bedeuten hatte, aber David war sichtlich irritiert.

»Wir müssen reden David.«

Mit zusammengekniffenen Augen winkte er ab »Vi und ich haben das geklärt. Du musst die Beschützer Nummer nicht abziehen.«

Ich legte eine Hand auf seinen Arm und sah ihn etwas mitleidig an. »David, ihr müsst wirklich reden. Sherlock fällt das ziemlich schwer, aber es gibt da etwas, was du wissen musst.«

Man sah ihm an, dass er nervös wurde. »Euer Ton und eure Gesichter gefallen mir gar nicht.«

Sherlock hob eine Augenbraue. »Mir gefällt daran überhaupt nichts, erst recht nicht das zwischen Tür und Angel zu besprechen, aber ich habe immer auf einen besseren Zeitpunkt gewartet oder dass sich das Ganze in Luft auflöst. Das wird nicht passieren, also komm, gehen wir raus und bilde dir selbst eine Meinung.«

Henry sah den beiden verwundert hinterher. »Vi, was geht da ab?«

Und auch Nathan wirkte etwas befremdet, als er neben uns den zwei Männern auf der Terrasse zusah. David schüttelte vehement den Kopf, drehte sich um, ging zum Geländer, schlug mit voller Kraft drauf und schrie.

Henry wollte schon los, aber ich hielt ihn fest »Nicht, die beiden müssen das erstmal alleine regeln.« Befremdet sah er mich an. »Du weißt, worum es geht? Und so, wie du mich ansiehst, wird es mir nicht gefallen.«

Ich verzog den Mund, aber Edward antwortete aus der Ecke des Sofas, in der er sich seltsam still zurückgezogen hatte. »Absolute desaströse Scheiße. Ich verlier nur mein Mädchen, die beiden … alles.« Dann trank er seinen Whisky in großen Schlucken.

»Edward vielleicht solltest du nicht ganz so viel trinken. Es hilft mehr, wenn du bei klarem Verstand bist.«

Spöttisch lachte er auf. »Als würdest du mich nicht auch verfluchen. Ihr seid doch alle froh, wenn ich weg bin.« Und dann fing er wieder an zu weinen, dass ich nicht anders konnte, als ihn in den Arm zu nehmen.

»Du bist schon sturzbetrunken.«

»Ich will sie nicht verlieren. Verdammt Vi, warum mach ich so einen Mist? Gott ich weiß es ja.«

»Warum?«

Er seufzte. »Panik, totale Panik mich zu binden. Derselbe Mist den Sherlock durchmacht. Ich such mir ein Mädchen, er sich die passende Droge. Wir sind beide im Arsch.« Henry war neben uns aufgetaucht. Edward konnte kaum noch den Kopf halten. »Henry? Sei ihm nicht zu böse. Im Gegensatz zu mir ist er ein braver Kerl. Zumindest meistens. Mir wird schlecht.«

Dann torkelte er Richtung Klo und ich fing ihn mit Henry auf halber Strecke auf. Dankbarerweise nahm Nathan ihn uns ab. »Ich lege ihn hinten ins Gästezimmer, was immer hier los ist, die beiden sind auf dem Weg zurück.«

Henry sah aufgewühlt hoch und griff zum ersten Mal in seinem Leben meine Hand. Ich erschrak regelrecht. »Victoria, sag mir, dass ich ihn nicht verliere.«

»Das musst du entscheiden, aber ich sehe keinen Grund dafür.« Er sah mir fest in die Augen, atmete tief durch und ging auf David zu, der gerade zerzaust und am Boden zerstört durch die Tür kam. Sherlock und ich fixierten uns und eilten zueinander. Automatisch nahmen wir uns bei den Händen.

»Er hatte einige dunkle vage Erinnerungen an den Abend, mehr an mich als an sie. War aber auch tierisch betrunken. Er hat nie was gesagt, weil ihm klar war, dass ich mich nicht erinnere und er mich damit nicht belasten oder ärgern wollte.« Er seufzte. »Dass es Macy war, hatte er vergessen. Ihm macht am meisten zu schaffen, was du schon gesagt hast. Seine eigene Schwester, die ihn nicht aufhält und auch noch Spaß dran hat. Das macht ihn echt fertig ... neben der offensichtlichen Sorge.«

Henry war eben nach draußen gestürmt und David stand wie ein Häufchen Elend da und sah ihm hinterher. Der Blick, den Henry jetzt durch das Glas Sherlock zuwarf, war geradezu vernichtend. Sherlock zuckte leicht und ich legte meine Hand an seine Wange. »Schatz, nicht, mach dir keine Vorwürfe, das wird wieder.«

Sein Gesicht kam zu mir runter. »Schatz?« Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen und ich tat etwas Dummes.

»Natürlich.« Fast tonlos wisperte ich. »Ich liebe dich.« Alle Kraft schien aus ihm raus zu fließen.

»Kleines, sag das nochmal, hast du das wirklich gesagt? Oder hab ich mir das nur eingebildet.«

Ich schüttelte den Kopf und ging rüber zu David und Nathan, die heftig diskutierten. Aber in meinem Kopf surrte und brummte es so laut. Ein Sturm aus Panik und Gewissheit, Angst das Falsche zu tun und Angst es nicht zu tun. Ich warf Sherlock einen verstohlenen Blick zu. Er verfolgte mich mit seinen Augen und das sehr nachdenklich. Mir sackte das Herz in die Hose. Bis gerade eben war mir selber nicht klar, dass ich es versuchen wollte.

Ich liebe dich, ja das stimmte. Aber blieb die Frage, kann Liebe alles richten? Ist Liebe genug?

Nathan stieß mich an. »Victoria, wo bist du mit deinen Gedanken?« Er klang ärgerlich. »Weißt du Bescheid?«

Mitleidig sah ich zu David, der mit dem Kopf in den Händen am Tisch saß und hundeelend aussah. »Seit heute Nachmittag.«

Komischerweise zog er mich in seine Arme, kurz war ich steif vor Schreck. »Diese Bitch, wie kommst du damit klar?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Mit dem Dreier? Das ist mir egal. Aber dass sie ihn damit erpresst und mir weggenommen hat.« Jetzt kamen mir die Tränen.

»Zuckerschnute, ich werde mit ihr reden.« Ich nickte und er drückte mich fest in seine Arme.

Als es klingelte, war die Stimmung zum Zerreißen gespannt. Ich entschied mich für die Flucht auf die Terrasse. Jemand musste dringend nach Henry sehen. Wieder einmal stand ich an diesem Geländer und besprach die Zerstörung der Welt oder sowas in der Art. »Hey Henry.«

Aufgewühlt hob der den Blick. »Hey, es war vor meiner Zeit.«

Ich legte meine Hand auf seinen Arm. »Und Sherlock hatte einen Filmriss. Ich glaube ihm das. Er hat es dir nicht absichtlich verschwiegen.«

Er nickte. »Aber Vi, sie war erst 15, wusstest du das?«

»Ja, aber ehrlich, warum hat Susan nicht direkt was gesagt. Ich weiß du und ich, auch wenn du mittlerweile anders von mir denkst, aber wir sind wahrscheinlich nicht mal in der Lage sturzbetrunken mit jemand Fremden im Bett zu landen, geschweige denn zwei. Die beiden sind da anders. Das ist für sie nur Spaß und hat nichts mit Gefühlen zu tun.«

Er vergrub sein Gesicht in den Händen. »Und wenn er mit mir schläft Vi? Hat das mit Gefühlen zu tun? Oder Sherlock mit dir? Oder ist das meiste nur Spaß und Zeitvertreib?«

Eine Frage, die ich mir oft gestellt habe in einem anderen Leben. »Sieh dir das Video an. Das ist wirklich furchtbar und ich könnte David ehrlich gesagt …«

»Du bist eifersüchtig.«

Entschlossen sah ich ihm in die Augen. »Ja Henry. Sherlock ist mein Mann, meiner.« Ich stutzte. »Ob er will oder nicht.« Widersinnig musste ich lachen. »Ob ICH will oder nicht.«

Henry drückte meine Hand. »Ihr gehört zusammen, da war von Anfang an was Besonderes zwischen euch. Wie oft hab ich dich ermahnt, nicht so über ihn zu denken. Ihn übrigens auch. Ich hab’s gesehen, diese Vertrautheit, dieser Zusammenhalt, wenn es drauf ankam. Ich wollte es nur nicht wahrhaben. Aber das ist alles eh irrelevant.« Traurig sah er auf die Straße.

»Henry, verzeih ihm doch, es war vor deiner Zeit. Wenn du ihn liebst, dann könnt ihr auch das durchstehen. Selbst wenn es an die Öffentlichkeit kommt.«

Er stieß sich vom Geländer ab. »Das ist es ja. Die Sache selbst kann ich verarbeiten. Aber Vi, ich mach langsam richtig Karriere. Soll Chefarzt werden und das hier könnte mir alles zerstören.« Er sah mich an. »Ich weiß nicht, ob er mir das wert ist.«

Baff erstaunt fragte ich: »Du warst doch gerade noch so besorgt ihn zu verlieren?«

Abgeklärt sah er hoch. »Da wusste ich auch noch nicht, was auf dem Spiel steht.«

Bewegungsunfähig starrte ich ihn an, damit hatte ich wahrlich nicht gerechnet. Die beiden waren für mich von Beginn an ein Traumpaar. »Was sagt David?«

Er sah über meine Schulter. »Hey Al, weißt du’s schon? Den ganzen Wahnsinn?«

Al tänzelte spöttisch. »Die große Show. Da drinnen geht die Post ab. Susan heult und versucht die Mitleidsnummer. Arme schwanger Frau muss um ihr Glück kämpfen mit allen Mitteln. Ganz genau weiß ich nicht, was los ist. Scheint spannend.«

Henry erzählte ihm die Geschichte und mein bester Freund wünschte sich wie ich Popcorn dazu. Gott wir waren wirklich gegenseitig geprägt. Als er vorschlug das Video, auf Nathans Riesenfernseher anzusehen, nur um die Situation besser einschätzen zu können, holte Henry den, ich töte dich Blick raus und ich schlug ihm auf den Oberarm. Aber natürlich war das ein Witz. Dann entschied ich, Henry über Edward einzuweihen und kurz darauf beide ebenfalls über die anderen Bilder und das Video von Sher. Beide wirkten betroffen und genauso überfordert wie ich.

Henry klammerte sich an seinen Whisky, den Al ihm in die Hand gedrückt hatte. Normalerweise trank er sowas Hartes nicht und schüttelte sich köstlich bei jedem Schluck, dass ich lachen musste. Liebevoll sah ich von einem zum anderen. Meine Brüder, der große kleine Bruder, der jetzt dem älteren kleineren den Arm um die Schulter legte.

»Wir gehen mit dir unter, wenn es sein muss, genau wie mit Vi.«

Henry zögerte und sah mich wissend an. »Al, das mit David könnte daran kaputt gehen. Es ist seltsam, aber ich hab mehr Willen für Sherlock zu kämpfen und meinen Ruf zu verlieren als für David.« Wieder nahm er einen großen Schluck und Al schlug ihm genau in dem Moment hart auf den Rücken. Henry verschluckte sich fürchterlich und hustete sich die Lunge aus dem Leib.

»Das hast du verdient dummer großer Bruder. Morgen denkst du wahrscheinlich anders. Du fühlst dich nur von David verraten. Ich kenn dich, du blockst ab.« Da könnte er tatsächlich recht haben.

Henry kämpfte immer noch mit Whisky in der Luftröhre, als von drinnen Nathan zu hören war, der lauthals schrie. So wutverzerrt und aufgebracht, wie ich es ihm nie zugetraut hätte. Ich verstand allerdings nicht alles. Man sah, dass er Susan an den Oberarmen gepackt hatte und schrie sie solle verschwinden. Susan schlug auf ihn ein, heulend, geradezu hysterisch und schrie zurück und das verstand ich allerdings glasklar.

»Es ist immer noch sein Kind und dafür muss er gefälligst geradestehen.«

Mir wurden die Knie weich. Sein Kind. Jetzt sagte sie was mit diesem verschlagenen Lächeln und Nathan taumelte rückwärts. Mit erhobenem Haupt packte sie ihre Tasche, sagte etwas zu Sherlock und schritt dann wie eine Königin aus der Wohnung. Blitzschnell war Sher auf einmal bei Nathan und hielt ihn fest.

Erst begriff ich nicht, was ich da sah, aber Nathan tobte und schrie. »Lass mich los. Ich bring sie um.« Henry und Al waren genauso gebannt, wie ich und genauso ahnungslos.

»Verflucht nochmal, was hat sie ihm gesagt?« Henry ging zum Geländer und sah zu, wie sie zum Auto stöckelte. »Sie telefoniert.«

Das war mir sowas von egal. Mich zog es zu Nathan, der verdammt schlecht aussah. Zerrupft und durcheinander stand er vor mir. Er strahlte so eine negative Spannung aus, dass ich mich nicht traute in zu berühren. »Nat?«

Wild und fassungslos sah er mich an. »Sie hat gesagt: Wenigstens hab ich niemanden in den Tod getrieben.« Ich runzelte die Stirn und spürte eine Hand, die sich auf meine Schulter legte, Sherlock. Nathan sah uns an. »Sie hat recht, aber sie dürfte es nicht wissen.«

Sherlock fragte. »Wieso meinst du das?« Er nahm mir mein Glas aus der Hand und trank es aus.

»Mein Freund … wir haben uns furchtbar gestritten an dem Abend.« Ihm kamen die Tränen und David stellte sich zu ihm. »Er wollte nicht aufhören mit den Drogen und ich konnte es nicht mehr ertragen, mit anzusehen, wie er langsam zu Grunde ging.« Er schluckte und brauchte einen Moment. »Ich hab ihn rausgeschmissen. Ihm ging’s wirklich beschissen an dem Abend, aber ich hab ihn trotzdem vor die Tür gesetzt und gesagt, er soll nicht wieder kommen, nicht in diesem Zustand.«

David zog ihn an sich. »Du bist deswegen aber nicht schuld.«

Nathan sah zur Decke. »Er hat mir gesagt, wenn ich ihn jetzt verlasse, bringt er sich um. Ich war so verletzt und wütend und hilflos. Arroganterweise dachte ich, er würde reumütig ankommen und nie wieder was anfassen für mich und uns.« Wieder kämpfte er um seine Fassung. »Aber er ist in die Themse gefahren, mit voller Absicht und ich ... hab ihn umgebracht.« Er fiel David in den Arm und selbst mir kamen die Tränen. »David, wieso tut uns unsere eigene Schwester sowas an. Sie war doch früher nicht so.«

»Ich hab keine Ahnung Nat.«

Sherlock straffte sich. »So wirklich realistisch haben wir sie nie gesehen. Schon als Kinder hat sie euch manipuliert, genau wie alle anderen. Immer alle zu ihrem Vorteil gedreht. Ihre analytische und praktische Art hab ich jahrelang selbst für meine Zwecke genutzt. Sie hat mir oft geholfen, mit ihrem Talent die richtigen Leute, an der richtigen Stelle zu umgarnen oder subtil unter Druck zu setzten. Sie ist die geborene Geschäftsführerin eines Großkonzernes. Wie sich jetzt zeigt, fehlt es ihr nur leider an Herz, Moral und Mitgefühl. Vielleicht war sie schon immer so und wir wollten es nur nicht sehen.« Schweigen breitete sich aus. Schweigen das keinem hier gut tat.

»Ich bin vielleicht etwas pietätlos, aber könnten wir essen? Ich hab Hunger und das Hähnchen sieht so gut aus. Ist zwar kalt, aber bestimmt super.« Nathan sah mich erst verwundert an, aber dann drückte er mich fest und ich flüsterte ihm ins Ohr: »Du bist wunderbar und kannst nichts dafür. Red dir das nicht ein.«

Dann gab ich ihm einen Kuss auf die Wange und strich ihm die Haare zurück. Als Dank bekam ich einen dicken, aber sehr brüderlichen Kuss auf den Mund, der mich lachen und Sherlock nach vorn rucken ließ. Sein mahlender Kiefer hatte für mich etwas zauberhaft Schönes. Böse funkelte er Nat an und ich knuffte ihm in die Seite. »Sher hör auf zu gucken als hättest du Verstopfung.«

Daraufhin brachen Henry und Alistair in Gelächter aus. Und das Eis namens Susan war gebrochen. Wir waren eine Gemeinschaft und würden es schaffen. Feierlich hob ich mein leeres Glas und Al rief. »Eine Rede!«

Ich streckte ihm die Zunge raus. »Du hast den Moment ruiniert.« Er verbeugte sich und ich setzte neu an.

»Auf die Gemeinschaft des Ringes.« Alistair klatschte und Sher lachte kopfschüttelnd.

Nathan sah mich ziemlich süß an. »Wer ist der Hobbit und wer der Zwerg?«

Ich biss mir auf die Lippen, während ich Geschirr rausholte und die anderen den Tisch deckten. »Also ... Das ist nicht so leicht.«

Henry hob resigniert die Arme. »Sag’s einfach, ich musste immer euer Hobbit sein. Gott, wie ich es hasse, kleiner zu sein als mein Bruder.«

Al schlug ihm auf die Schulter. »Oder sonst irgendwer. Vi bist du größer? Ich denke schon.«

Henry kniff ihm in die Seite und ich versuchte, möglichst ernst zu sagen. »Jungs, ihr als erfahrene Männer wisst doch ...« Nathan grinste bereits wissend und ich fuhr fort: »Auf die Größe kommt es nicht an.«

Al sah mich schelmisch an. »Sondern darauf wie viel Haare man auf den Füssen hat.« Lachend sahen wir Henry an. »Da gewinnst du haushoch.«

Nathan nahm mich unter Shers bösen Blick von hinten in den Arm und legte seinen Kopf auf meine Schulter. »Dann bin ich wohl ein Hobbit.«

Ich drehte meinen Kopf zu ihm. »Nein, du bist ein Zwerg, die haben überall Haare.«

Kichernd drückte ich meine Stirn an seine Schläfe und er küsste meine Nasenspitze. »Du liebst meine Haare.«

Lachend nickte ich. »Ich steh auf Zwerge.«

Er knurrte mir leise ins Ohr. »Ich steh auf dich.«

Das war der Moment, an dem ich begriff, dass er nicht wie Al nur freundschaftlich kuschelte, unmerklich den Kopf schüttelte und mich unauffällig herauswand aus seinem Arm.

Nathan flüsterte mir leise nur ein Wort ins Ohr: »Sherlock?«

Ich strich ihm lächelnd über die Wange und antworte genauso leise. »Ja immer. Freunde?«

»Immer.«

Sanft gab er mir einen Kuss und Sherlock explodierte fast. Schob seinen Stuhl zurück und stürmte auf die Terrasse.

Schuldbewusst verzog Nathan seinen Mund. »Ups sorry.«

Seufzend schnappte ich mir ein Stück frittiertes Hähnchen. »Dabei hab ich echt Hunger.«

Henry nahm meine Hand und zog mich zum Tisch. »Lass ihn schmollen, er kommt schon wieder.«

Unschlüssig sah ich raus, wie er da am Geländer stand. »Meinst du? Ach Shit.« Ich griff mir zwei Wedges und stiefelte zu ihm. »Sherlock, komm rein bitte, ich hab Hunger.«

Er schlug aufs Geländer. »Kannst du bitte ...«

»Was?«

Er ruckte hoch. »Küss ihn bitte nicht vor mir. Nur eine Zeitlang. Ich weiß, ich muss das mit euch akzeptieren und das tue ich, aber es fällt mir schwer.«

Ich schob mir lässig mein Essen in den Mund. »Du bist bescheuert. Ich geh jetzt essen.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752144031
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Mai)
Schlagworte
Lord Seelenverwandte Romance Thrill Freundschaft England London Depression Liebe Trauma New Adult Erotik Erotischer Liebesroman Liebesroman Dark Romance

Autor

  • Gabby Zrenner (Autor:in)

Gabby Zrenner wohnt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern am Niederrhein. Seit sie lesen kann, zieht es sie zu Büchern, die sich in ihren Regalen auch gern mal zweireihig und übereinander ansiedeln. Mindestens genauso lange schreibt sie. Von anfänglich kleinen Geschichten und Gedichten bis hin zu dem Entschluss, wenigsten eine der tausend Geschichten und Figuren in ihrem Kopf, zum Leben zu erwecken. Aus einem geplanten Buch wurde mittlerweile eine Sammlung.