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That’s Me

Vergangene Entscheidung

von Mia B. Meyers (Autor:in)
230 Seiten

Zusammenfassung

Regel Nummer 1: Schlafe nie, ich betone, niemals mit ihm! Seit die toughe Marissa White bei dem erfolgreichen Selfmademan Riley Walker tätig ist, haben sie kaum noch Freizeit. Zum Firmenjubiläum verordnen ihre Freunde den beiden daher spontan eine Zwangspause. Trotz ihrer Belustigung über die üblichen Verkupplungsversuche stimmen Marissa und Riley der Idee arglos zu. Schließlich halten sie den Punkt, an dem aus ihnen mehr werden könnte, schon lange für verstrichen. Da spielt es auch keine Rolle, dass allein der Blick des anderen die Haut zum Brennen bringt und der Atem stockt, sobald sie sich zufällig berühren. Oder doch? Und als wäre die Verwirrung noch nicht groß genug, vertraut Riley Marissa etwas an, das sie lieber nicht gewusst hätte, und sich beide die Frage stellen müssen: Ist es wirklich gut, restlos alles voneinander zu wissen? Letzter Teil der Spin-off Serie. That’s Me ist KEIN Fortsetzungsroman von Strange Memories, Lose Control und Reset Me. Alle Bücher sind unabhängig voneinander lesbar. Sollten jedoch alle gelesen werden, ist es von Vorteil, der Reihe nach zu lesen, da es sich hier um ein Spin-off handelt und Spoiler enthalten sein können.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,


um einer eventuellen Enttäuschung vorzubeugen, möchte ich dich an dieser Stelle vorwarnen.

Vermutlich werden sich meine Protagonisten stellenweise sehr speziell ausdrücken. Sie lieben klare Worte, zu denen auch der ein oder andere Kraftausdruck gehört.

Und ja, dem ist – ganz unabhängig von ihrem Alter oder ihrem beruflichen Erfolg – so.

Alle meine Protagonisten sind fiktional und dürfen es somit. Darüber hinaus, wer weiß schon, wie die oberen Zehntausend wirklich miteinander reden?!


Sollte schon dieses Vorwort nicht deinem Geschmack entsprechen, wird es leider auch der Rest nicht tun. Das würde ich zwar sehr bedauern, aber Geschmäcker sind nun einmal verschieden.

In diesem Fall muss ich mich an dieser Stelle leider von dir verabschieden. Ansonsten wünsche ich dir ganz viel Spaß beim Lesen und hoffe sehr, dass es dir gefallen wird.


Deine Mia

Kapitel 1

Marissa

Freitag

»Wisst ihr, was richtig scheiße ist? Wenn der Kerl beim Blowjob sein Teil gar nicht weit genug in den Rachen jagen kann, aber, sobald er dann mal bei euch unten ran soll, am besten noch so ein Lecktuch dazwischen legt.«

Ich verschlucke mich so heftig am Cocktail, dass ich den Inhalt meines Mundes durch die Nase wieder heraufbefördere.

»Geena«, ermahnt Heather ihre Mitarbeiterin und sieht sich hektisch um, sodass ihre wasserstoffblonden Haare herumwirbeln. »Ich wage zu bezweifeln, dass Oma und Opa am Nebentisch von deinen Lecktüchern hören wollen, während sie ihre Suppe löffeln.«

»Genau genommen will ich es ebenfalls nicht hören«, wirft Amber ein und verzieht angewidert den Mund.

Geena schnalzt mit der Zunge und streicht sich eine ihrer störrischen dunklen Locken aus der Stirn. »Was kann ich dafür, dass ihr alle in längeren Beziehungen steckt, in denen man ans Lecken sowieso nicht mehr denkt. Ich spreche mit Marissa.«

Amber, Heather und Lilly schauen mit großen Augen in meine Richtung, woraufhin ich mit der Serviette vor dem Gesicht den Kopf schüttle. »Was seht ihr mich an? Ich wusste nicht mal, dass es solche Lecktücher überhaupt gibt.«

»Die Herren der Schöpfung denken, dass der Würgereflex eine Erfindung von Frauenrechtlerinnen ist und er eigentlich gar nicht existiert. Da wird ihnen von diesen ganzen Pornos ein völlig falsches Bild suggeriert. Ist doch so, oder?« Wieder schnalzt Geena mit der Zunge, greift nach ihrem Getränk und die anderen sehen mich erneut abwartend an.

»Ich bin genauso unwissend wie ihr. Ich blase nicht jedem Kerl am ersten Abend einen.« Genau genommen habe ich es in einunddreißig Jahren nur bei einem Einzigen gemacht. Was das angeht, will ich hier jedoch nicht zu sehr ins Detail gehen. So schön ist die Erinnerung wahrhaftig nicht.

»Jetzt reicht es aber wirklich!«, motzt der ältere Herr vom Nebentisch herüber und zieht seine silbergrauen, extrem buschigen Augenbrauen dermaßen böse zusammen, dass ich automatisch ein kleines Stück in den Sessel herunterrutsche.

»Was machst du dann am ersten Abend? Kaffee trinken?«, spricht Geena mich an und ignoriert die Belehrung von nebenan.

»Zum Beispiel«, erwidere ich schnippisch und sehe von einer zur anderen. »Es tut mir ja leid, aber das hier«, dabei deute ich an meinem Körper hinunter, »ist kein All-you-can-eat-Büfett. Wer sich davon ein Häppchen nehmen will, muss zuerst einmal durch die Vorspeisenkarte gegangen sein – mindestens.«

»Korrekt, so habe ich das ebenfalls gehandhabt. Also damals«, bestätigt Amber und Heather nickt zustimmend.

»Wenn ich bedenke, wie lange das bei Cole und mir gedauert hat …«, setzt Heather an und Lilly, Coles jüngere Schwester, unterbricht sie.

»Bitte nicht schon wieder. Ich möchte eure ekelhaften Sexgeschichten nicht an jedem verdammten Abend hören, an dem wir zusammensitzen.« Sie nimmt ihr Bein vom anderen und schlägt es in entgegengesetzter Richtung erneut übereinander, wobei sie Sharon Stone persönlich noch etwas beibringen könnte.

Ich habe mal gelesen, es sei gewieft, sich Freundinnen zu suchen, die weniger attraktiv sind als man selbst. Hat den einfachen Effekt, dass man dadurch begehrenswerter wirkt. Würde ich dem Ratschlag folgen, wäre Lilly nicht meine Freundin. Die Durchschnittsfrau in Nordamerika ist 1 Meter 64 groß und wiegt 77,4 Kilogramm. Das heißt, laut Statistik liege ich mit 1 Meter 72 und 69,999 Kilogramm doch gar nicht so schlecht und ich möchte behaupten, mit meiner schmalen Taille und der runden Hüfte ist die Verteilung recht gelungen. Obenrum dürfte es durchaus mehr sein, dafür die leichten Cellulitedellen an den Oberschenkeln etwas weniger. Aber ich will nicht meckern. Auf einer Skala von eins bis zehn bin ich eine solide Acht. Na gut, vielleicht auch eine Sieben. Ich kräusle die Nase und mustere Lilly abwägend – sie ist eine glatte Zehn, mit Sternchen.

»Eigentlich«, spricht Heather weiter und zieht eine ihrer perfekt gezupften Augenbrauen hoch, »wollte ich damit nur sagen, dass Cole und ich ziemlich lange gebraucht haben, aber Marissa und Riley toppen ja wohl alles.«

Innerlich seufzend lasse ich die Schultern nach unten sacken und sauge demonstrativ am Strohhalm, um nichts erwidern zu können. Wie sagte Lilly gerade noch – ich möchte es nicht an jedem verdammten Abend hören, an dem wir hier sitzen.

»Da muss ich dir allerdings recht geben«, fällt mir nun ausgerechnet sie in den Rücken und ich stelle mein Glas weg.

»Ich erwähnte es zwar bereits mehrfach, wiederhole es jedoch gerne ein weiteres Mal: Riley ist mein Chef und ich seine Angestellte. Nicht mehr und nicht weniger.« Gut das stimmt so nicht ganz, eher würde ich uns als gute – sehr gute – Freunde bezeichnen, die vielleicht mal ein bisschen miteinander flirten und sich neckend in den Hintern kneifen, aber das war es dann auch wirklich.

»Dabei könnte es doch so schön sein. So wäre in unserem Team niemand mehr ohne Rückendeckung«, sinniert Amber, zieht sich das Zopfgummi aus den langen dunklen Haaren und bindet sich einen neuen Pferdeschwanz.

»Also vorausgesetzt, dass du tatsächlich kein Interesse hast, ich würde mich sofort von Riley decken lassen«, prustet Geena laut hervor und das Schaben eines zurückrutschenden Stuhls auf dem Fliesenboden lässt mich zum Nachbartisch schauen. Augenbraue und seine Begleitung stehen auf und er grummelt etwas, das ich zwar nicht verstehe, was ich aufgrund der grimmigen Miene aber als nichts Freundliches identifiziere.

Amber hat ja recht und wenn ich ehrlich bin, habe ich ganz zu Beginn meiner Anstellung im high inch auch mal sporadisch darüber nachgedacht, dass aus uns mehr werden könnte. Vielleicht so an die acht bis neunundsiebzig Mal – höchstens.

Als Mason und Amber vor vier Jahren ein Paar wurden, brachte das ihre beiden Kreise zusammen und daraus entstanden die Pärchen Heather und Cole sowie wenig später Lilly und Logan. Nur noch Riley und ich sind übrig, scharwenzelten umeinander herum, ohne genau zu wissen, in welche Richtung es gehen sollte, und haben im Laufe der Zeit immer wieder andere Partnerschaften gehabt. Na ja, eigentlich hatte Riley besagte Partnerschaften, bei mir ergab sich lediglich eine. So oder so hat es sich irgendwie nie ergeben und inzwischen haben wir die Gelegenheit, an der es von einer aufkommenden Freundschaft in eine Beziehung übergehen könnte, verpasst.

»Mal ernsthaft, hast du nie dran gedacht, ihn mal …« Geena macht ruckende Bewegungen mit ihrem Becken, was verstörend aussieht, und ich lache auf.

»Na klar. Du weißt doch, was für eine Wirkung er haben kann.«

»Allerdings«, kommt es von Amber und ich schaue sie überrascht an. »Was denn, ich bin auch nur eine Frau – zwar vergeben, aber nicht blind.«

»Und warum vögelst du ihn dann nicht einfach mal. Du bist Single, somit tut es niemandem weh«, mischt Geena sich wieder ein und winkt den Kellner heran. Stirnrunzelnd sehe ich von ihr zu Heather, die sich eine Handvoll Erdnüsse in den Mund wirft und mit den Schultern zuckt. Geena ist Heathers rechte Hand in ihrer Personalvermittlung und nicht bei allen unseren Treffen dabei, aber wenn, ist sie jedes Mal genau so. Sie ist Vollzeitsingle und das nicht, weil sie sich unfreiwillig mit der Situation abgefunden hat, sondern diese durchaus bewusst auslebt. Sie hat gerne Sex und das möglichst mit verschiedenen Männern. Je unverbindlicher, desto besser und manchmal, also nur ganz manchmal, da beneide ich sie sogar darum. Außerdem haben wir auf die Art stets etwas zu lachen. Woher sollten wir sonst wissen, dass es Kerle gibt, die Lecktücher … lassen wir das.

»Weil ich das nicht kann«, erwidere ich knapp, bevor ich nach den Urin-Nüssen greife. Erst vor Kurzem habe ich einen Bericht über eben diese mit Knabberzeug gefüllten Schälchen gelesen. Dem zu urteilen haben es die Menschen nach dem Toilettengang nicht so mit dem Händewaschen und als Folge dessen landen diverse Urinfingerchen in dem Knabberzeug, das wir Naivlinge dann essen. Widerlich. Ich rümpfe die Nase, denke aber, dass ich auf die Reinlichkeit meiner Freundinnen vertrauen darf, und stecke mir ein paar in den Mund.

»Was kannst du nicht? Vögeln?«, quiekt sie schrill und der Kellner stolpert beinahe über die Stufe, die er erklimmen muss, um an unseren Tisch zu kommen. Er räuspert sich und sogar im diffusen Licht des Peaches ist zu erkennen, dass er leicht errötet. Der Ärmste. Ich wette, dass die Servicekräfte in dieser Bar Streichhölzer ziehen, um zu ermitteln, wer freitags arbeiten muss – immer, wenn wir den Laden stürmen.

»Wir nehmen alle noch einmal das Gleiche«, wendet Lilly sich an ihn und lächelt ihm aufmunternd zu, sodass er nickend davontrabt.

»Ich kann vögeln!« Hochmütig sehe ich von einer zur anderen, hoffentlich fällt meine herausgeplatzte Rechtfertigung nicht als das auf, was sie ist – eben eine Rechtfertigung und die in erster Linie vor mir selbst. Ich habe bisher exakt drei Beziehungen geführt, von denen eine über mehrere Jahre ging. Allerdings war Luke … Sex hatte halt keinen großen Stellenwert für uns. Geena wartet offenbar weiterhin auf eine Erklärung. Ich zucke mit den Schultern. »Bei mir muss da wenigstens ein bisschen Gefühl dabei sein.«

»Wie bitte? Du steigst nur mit einem ins Bett, wenn du verknallt bist?« Geena lacht spöttisch, wobei ihre vollen Brüste in dem überaus freizügigen Dekolleté wippen. Sie werden doch wohl nicht … »Dann könnte ich mich gleich freiwillig im Kloster melden.«

Ich verdrehe die Augen und reiche die Schale Erdnüsse an Heather, die ihre Hand in meine Richtung ausstreckt. »Verknallt ist übertrieben, aber ein paar Sympathien dürfen durchaus vorhanden sein und das ist nach zwei Stunden Kennenlernen kaum der Fall. Ich bin schließlich kein Pfandautomat, in den jeder seine Mehrwegflasche werfen darf.« Ich schürze die Lippen und schüttle mit dem Kopf. »Jeder wie er will, aber meins ist das nicht.«

»Richtig so«, ermutigt Heather mich und Lilly gibt ein zustimmendes Grunzen von sich.

»Hast du unverbindlichen Sex denn schon mal ausprobiert?«, forscht Geena weiter.

»Nein und ich habe es auch nicht vor. Manche Dinge muss man nicht ausprobieren, um zu wissen, dass es nicht den eigenen Werten entspricht.«

»Hmm.« Ob sie jetzt darüber nachdenkt, was ihre Werte sind? Oder über die Möglichkeit, ob sie solche überhaupt hat? »Also hast du für Riley nicht die erforderlichen Sympathien, die du für Sex mit ihm bräuchtest?«

Ich zucke mit dem Kopf zurück, öffne den Mund und schließe ihn wieder, ohne etwas zu sagen. Hilfesuchend schaue ich in die Gesichter der anderen, die mich alle abwartend ansehen. Toll, was für eine Unterstützung.

»Es würde das Verhältnis von Riley und mir verändern. Vermutlich wäre die Leichtigkeit zwischen uns danach verloren und das ist es mir nicht wert.«

»Woher willst du wissen, ob es das nicht wert ist?«, bohrt sie weiter und unterbricht sich kurz, als die Bedienung die leeren Gläser gegen volle austauscht. »Vielleicht könnte er deine Welt so dermaßen zum Beben bringen, dass es das sehr wohl wäre.«

Ich lehne mich in den Sessel zurück und runzle die Stirn, wobei mir die Blicke der anderen, die unserem Schlagabtausch interessiert folgen, durchaus bewusst sind. Fehlt nur noch das Popcorn, allerdings haben sie ersatzweise ja die Urin-Nüsse. »Schon möglich. Aber da ich es nicht weiß, kann ich auch nicht bereuen, mir dieses Erdbeben bisher vergönnt zu haben. Richtig?« Darauf fällt ihr endlich nichts mehr ein, sodass das Gespräch hoffentlich beendet ist. »Zudem hätte Riley da ebenfalls ein kleines Wörtchen mitzureden, und da aus seiner Richtung nie etwas kam …« Ich zwinkere Geena zu und sie lächelt versöhnlich, ehe sie den vorbeieilenden Kellner demonstrativ mustert.

»Ich bin sicher, die Mehrwegflasche von ihm hier werde ich bald sehen. Allein zu sein, hat extrem viele Vorteile.«

Ich verziehe den Mund und zucke mit den Schultern. »Meistens schon, aber manches macht zu zweit einfach mehr Spaß.«

»Ja, Sex zum Beispiel«, erwidert Heather und erntet einen bösen Blick von Lilly.

»Auch nicht immer, wenn ich an die Sache mit den Lecktüchern denke«, wirft Amber ein und kräuselt die Nase.

Ich dachte eher an diesen einen bestimmten Kuss auf den Scheitel. Eine Geste so voller Liebe, dass es keine Worte gibt, die dasselbe ausdrücken könnten. »Ich möchte schon irgendwann jemanden haben, dem ich für den Rest meines Lebens beim Schlafen das Shirt vollsabbern darf. Und bis dahin würde es mir vorerst reichen, mal ins Kino zu gehen oder so«, kläre ich sie auf und muss lachen.

»Dafür könntest du Riley zumindest mal benutzen, da ist nun wirklich nichts dabei«, schlägt Lilly vor und ich nippe schmunzelnd an meinem Cocktail. Ob sie wohl jemals damit aufhören werden, ihn und mich verkuppeln zu wollen?

Geena mustert mich und runzelt die Stirn. »Ja, das wäre machbar und wenn sich dann eben doch mal aus Versehen eine Runde Sex ergibt«, sie wirft ihre Hände in die Luft. »Es gibt bestimmt traumatisierendere Erlebnisse als Sex mit Mister Machine.«

Ich lache und stelle das Glas ab. »Lass es mich noch mal anders erklären. Ihr kennt doch dieses Brausepulver, aus dem man eigentlich etwas zu trinken macht, die man allerdings viel lieber so isst, oder?« Alle nicken und Geena lehnt sich interessiert ein Stück vor. »Ich bin verrückt nach Brausepulver«, erkläre ich. »Aber wenn da zwanzig weitere Frauen kommen und ihren angesabberten Finger in die Tüte stecken, werde ich ganz bestimmt nichts mehr von dem Pulver haben wollen.« Ich sehe stolz über diesen anschaulichen Vergleich in die Runde und nehme das Glas wieder an mich.

»Äh und was soll die Moral der Geschichte sein?«, fragt Geena mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Ganz einfach, Riley ist eine sehr gefragte Brausepulvertüte. Schon mal was von Chlamydien gehört?«

Amber verschluckt sich fast an ihrem Cocktail. Heather blinzelt dreimal und macht große Augen, sie hat mich offenbar verstanden.

»Scheiß doch drauf. Schon mal was von Kondomen gehört? Ich würde dieses Brausepulver allein wegen der enormen Nachfrage probieren wollen. Das prickelt garantiert in Ecken, in deren Nähe anderes nicht mal kommt.«

Ich zucke lediglich mit den Schultern und nippe am Strohhalm, als Ambers Augen größer werden und ihr Blick kurz zu mir zuckt, ehe sie wieder auf etwas hinter mich sieht. »Hi Riley.«

Kapitel 2

Marissa

»Haha, netter Versuch«, kommentiere ich in Ambers Richtung, als ein Kopf mit leicht zerzausten dunklen Haaren seitlich von uns erscheint und sich zu Lilly herunterbeugt, um ihr einen Kuss zu geben – Logan. Ich versteife mitten in der Bewegung und spüre, wie mir die Farbe aus dem Gesicht weicht. Mason geht an mir vorbei, streichelt mir lächelnd den Arm entlang und setzt sich zu Amber. Ein Geräusch lässt mich aufsehen, als Riley sich bereits neben mich platziert und mir zuzwinkert. Es sollte verboten sein, derart strahlende blaue Augen zu haben. Je nachdem wie das Licht fällt, wirken sie beinahe durchsichtig. Ich lächle verkniffen zurück – bei meinem Glück hat er die Brausepulver-Metapher vermutlich gehört – und erkenne aus dem Augenwinkel, dass Geena an mich heranrutscht.

»Da könnten meinetwegen schon fünfzig Finger drin gewesen sein, Hauptsache, da ist ein läppischer Rest zum Probieren für mich übrig.«

»Psst«, zische ich und stoße ihr den Ellenbogen in die Rippen. Warum noch mal ist sie immer dabei? Ach ja, wegen des Amüsements. Und was genau machen die Männer heute hier? Seitdem ich sie kenne, hat es rituellen Wert, dass die Jungs ihre Samstage in der Werkstatt sitzen und sich über … keine Ahnung, halt irgendetwas austauschen, während wir Frauen die Freitagabende hier im Peaches hocken. Ich bin ein Gewohnheitstier und mag es, wenn alles einen festen Ablauf hat. Wieso muss das nun durcheinandergebracht werden?

»Also«, flüstert Riley in mein Ohr, wobei sein Atem meine Haut streift und mir gewohnheitsmäßig eine Gänsehaut über den Hals krabbelt. »Weshalb sind wir hier?«

Stirnrunzelnd sehe ich ihn an und kneife die Augen zusammen. Manchmal ist es wirklich unheimlich, dass ich etwas denke und er es wenig später ausspricht. Er stützt sich mit den Ellenbogen auf die Knie, die durch die Löcher in der verschlissenen Jeans zu erkennen sind, und verschränkt die Finger ineinander. Die Muskeln seiner Unterarme tanzen unter der bunten Haut und selbst wenn zu viele Tätowierungen eigentlich nur bedingt mein Fall sind, könnte ich mir Riley gar nicht ohne vorstellen.

»Die Frisur sieht auch so aus, als wäre da heute bereits eine dran gewesen«, wispert Geena mir ins andere Ohr, sodass ich automatisch zu Rileys mittelblonden Haaren blicke. Immer ein bisschen zerzaust und als seien sie von der Sonne gebleicht. Da war heute bestimmt schon an die zwanzig Mal jemand dran, aber keine Frau, wie Geena vermutlich denkt – mit höherer Wahrscheinlichkeit er selbst.

»Und sieh dir die Hände an. Das sind keine kräftigen Finger mehr, das ist Frauenglück.«

Frauenglück? Wie meint sie das denn? Oh … Empört reiße ich die Augen auf und drehe mich zu ihr. Was sie mutmaßlich sagen will, ist, dass Riley auf der vorhin erwähnten Skala von eins bis zehn gar nicht erst vertreten ist, sondern ein Spektrum für sich darstellt.

»Marissa. Riley«, beginnt Amber, räuspert sich in ihre Faust und setzt sich aufrecht hin. »Wir haben uns da etwas überlegt.«

»Jetzt gehts los«, wispert Riley und legt den Knöchel seines rechten Beines auf dem linken Knie ab. Geena keucht gequält auf und ich beiße mir schmunzelnd auf die Lippen.

»Bei der Planung für das Jubiläum des high inch ist uns aufgefallen, dass demnächst der dritte Jahrestag eurer Zusammenarbeit ist.« Riley und ich sehen uns an – tatsächlich, bald arbeite ich drei Jahre für Riley.

»Sicher, dass es nicht länger ist?«, will Riley wissen und Cole lacht lauthals auf.

»Ich verstehe, was du meinst. Die Zeit mit Heather kommt mir manchmal auch wie eine verdammte Ewigkeit vor.« Heather sieht Cole mit zu Schlitzen verengten Augen an, was der jedoch nicht merkt, da er gedankenverloren den Kopf schüttelt. »Mit einer Frau an der Seite altert man viermal so schnell. Aber ich habe mit meiner wenigstens Sex.« Er lacht herzlich über seinen Witz und unterbricht sich sofort, als er Ambers Blick auf sich spürt und diese demonstrativ zu Heather schaut. »Natürlich im positiven Sinne, die Monate verfliegen einfach …«

»Du schläfst heute auf der Couch!«, schneidet Heather ihn in eiskaltem Ton das Wort ab und der große Hüne wird direkt etwas kleiner.

»Ich wollte damit andeuten, dass Marissa inzwischen so gut mit mir umzugehen weiß. Deshalb kommt es mir vor, als würden wir uns schon viel länger kennen«, verbessert Riley Cole und zieht provozierend die Augenbrauen hoch, als alle anwesenden Frauen ein verträumtes Seufzen von sich geben. Ich verdrehe die Augen und möchte am liebsten gespielt würgen. Wenn ich etwas an Riley nicht ausstehen kann, dann dieses manipulative Frauenversteher-Gehabe.

»Ich spreche vermutlich für jeden von uns, wenn ich sage, dass damals keiner gedacht hätte, dass das high inch einmal werden könnte, was es heute ist. Dennoch ist uns aufgefallen, dass ihr beide dafür andere nicht unerhebliche Dinge vernachlässigt.«

»Ich denke, nun wird es erst interessant«, wispere ich Riley zu und lehne mich in den Sessel zurück.

»Wir haben nicht unerhebliche Dinge vernachlässigt?«, wiederholt Riley und hält kurz inne, als der Kellner an den Tisch kommt, um die Bestellungen der Jungs aufzunehmen. »Was für Dinge sollen das sein?«

»Na ja.« Mason sieht von Cole zu Logan und retour zu Riley. »Deine Freundin hat vor zwei Wochen die halbe Werkstatt auseinandergenommen, weil du sie mit dem Namen deiner Ex-Ex angesprochen hast. Das wäre vielleicht nicht passiert, wenn du sie zwischendurch mal gesehen hättest.«

»Oh ja, daran erinnere ich mich auch. Vor allem an den Flyerständer, der in meine Richtung geflogen ist«, werfe ich ein und ziehe die Nase kraus. Möglicherweise sollte ich mich nicht zu früh freuen, irgendetwas sagt mir, dass ich dran bin, sobald sie mit Riley fertig sind. Ich trommele mit den Fingern auf meinen Oberschenkel.

»Diese Irre war nicht meine Freundin«, rechtfertigt Riley sich, wobei ich eine Augenbraue hochziehe und zu Geena blicke. Lautlos forme ich das Wort »Brausepulvertüte« und sie hält sich kichernd die Hand vor den Mund.

»Wann hattest du das letzte Mal ein Date?«, wendet sich Heather nun an mich und ich sehe hektisch hin und her.

»Was habe ich denn plötzlich damit zu tun? Waren wir nicht gerade noch bei der Verrückten mit der Sachbeschädigung?«

Ich schaue zu Riley, der mit den Schultern zuckt. »Sieh mich nicht so an, ich habe keine Ahnung.«

»Der Punkt ist, ihr habt kaum mehr Freizeit und …«, setzt Heather an, doch ich unterbreche sie.

»Das sagt die Richtige. Wenn ich mich recht erinnere, warst du bis vor wenigen Jahren noch viel schlimmer als wir.«

»Und genau deswegen darf ich es euch auch sagen. Weil ich verstehe, wovon ich rede.« Sie blickt mir eindringlich in die Augen und bevor ich etwas erwidere, kommt der Kellner und verteilt die Getränke. Ein Glück, ich weiß nämlich absolut nicht, was ich entgegnen soll. Ja, Riley und ich haben uns die letzten vierundzwanzig Monate sehr in die Arbeit gestürzt und das mit Erfolg, wie die Zahlen der Firma beweisen.

»Kurzum, wir möchten euch eine Woche Zwangsurlaub erteilen.«

»Und den Laden machen wir für die Dauer dicht, oder was?« Riley lacht laut auf, nimmt sich seine Cola und sieht zu Mason. »Was sagt denn der eiskalte Unternehmensberater dazu?«

»Der stimmt dem zu«, erwidert Mason trocken und zieht sein iPad aus der Aktentasche, das er vor uns auf den Tisch legt. Er öffnet eine Datei, auf der ein Diagramm mit vielen verschiedenfarbigen Strichen erscheint, und schiebt das Tablet zu uns herüber. »Wir haben die Zeiten so aufgeteilt, dass immer jemand von uns im Laden steht. Deine Mechatroniker sind eingeweiht und finden die Idee gut.«

Ich überfliege den Arbeitsplan der kommenden Woche, blicke zu den anderen und wende mich an Riley. »Und was sollen wir dann machen?«

»Gut, dass du fragst«, mischt Logan sich ein und zupft sich das Jackett zurecht. »Wir haben uns erlaubt, eure Aktivitäten vorweg zu planen. Natürlich ist das modifizierbar, nur in der Firma wollen wir euch definitiv nicht sehen. Zumindest nicht zu den Öffnungszeiten.«

»Wenn ihr es so nennen wollt, habt ihr täglich ein Date«, flötet Geena und leckt sich lasziv die Lippen. Verhalten lächelnd reibe ich mir über die Arme, um das unangenehme Kribbeln unter der Haut zu vertreiben. Unsicher schaue ich zu Riley, der von einem zum anderen blickt. Allein beim Gedanken, mehrere Tage etwas mit ihm zu unternehmen, das nicht mit der Arbeit zusammenhängt, ist merkwürdig und mein Atem geht unwillkürlich schneller. Hoffentlich bekommt das niemand mit und, wenn es möglich ist, am allerwenigsten Geena.

Riley reibt sich das unrasierte Kinn, was ein kratzendes Geräusch verursacht. »Ihr meint das wirklich ernst?«

Sie sagen kein Wort, sehen uns nur abwartend an und Riley verzieht den Mund langsam zu einem Lächeln. Er wendet sich zu mir und taxiert mich eingehend. Nichts, was er nicht bereits etliche Male getan hat und was mir dennoch ständig einen kleinen Schauer über den Rücken jagt. »Ich wollte schon immer ein Date mit dir.«

Aus dem Konzept gekommen, schlucke ich gegen die plötzliche Trockenheit im Mund an und ein Gefühl von Wärme breitet sich in jedem Winkel meines Körpers aus. Innerlich hin- und hergerissen, weiche ich seinem Blick aus, damit er nicht erkennt, wie sehr mich diese einfache Aussage berührt. Dabei kenne ich das Spiel inzwischen nur zu gut, Riley weiß eben, was Frauen hören wollen, und da schließe ich mich leider nicht aus.

»Er hält dir die Tüte quasi hin, nun steck endlich den Finger rein«, nuschelt Geena durch zusammengepresste Lippen, doch ich ignoriere sie.

Ist das jetzt wieder nur ein Scherz? Ich verstehe ihn in vielerlei Hinsicht blind, wenn es darum geht, seine Stimmung zu erkennen, braucht es keiner Worte mehr. Natürlich weiß ich, dass er lieber ein Stück Fleisch isst statt Salat und dass er bei kitschigen Filmen heult wie ein Mädchen, obwohl er immer versucht, es gut zu kaschieren. Mir ist klar, dass er die ersten zwei Stunden nach dem Aufstehen Ruhe benötigt, aber sobald er ebendiese zweideutigen Kommentare von sich gibt, ist mein Kopf wie leer gefegt. Regel Nummer 7: Bilde dir bloß nicht ein, dass er seine Schäkereien ausgerechnet bei dir ernst meint. Ich zucke mit den Schultern und strahle ihn ehrlich an. »Ich wollte noch nie ein Date mit dir, aber bevor ich mich hier von irgendwem schlagen lasse.«

Sein Grinsen wird breiter. Es ist dieses ganz spezielle, jungenhafte Schmunzeln, bei dem er nur einen Mundwinkel hochzieht. Früher habe ich gedacht, dass mir jene Mimik mal sprichwörtlich das Genick brechen wird, inzwischen bin ich darüber hinweg. Ein bisschen Schwärmen darf man trotzdem.

»Wir machen es«, sagt er, ohne den Blick von mir abzuwenden, und das Kribbeln in meinem Bauch wird so stark, dass ich unruhig auf dem Sessel herumrutsche.

Ich möchte am liebsten wie ein kleines Kind in die Hände klatschen, umarme ihn stattdessen aber einfach. »Das wird super.«

Rileys Lachen vibriert an meiner Schläfe und ich nehme seine Berührung auf dem Rücken viel deutlicher wahr, als ich es sollte.

Logan räuspert sich, sodass wir uns voneinander lösen, und zeigt uns eine weitere Datei, in der genau dokumentiert ist, was wir an welchem Tag machen werden. Seine pedantische Art zu planen, wirkt sich offenbar auf sämtliche Bereiche des Lebens aus. Wir reden über einen Kunden von Heather und von Rileys Exfreundin, die laut eigener Aussage keine Verflossene ist, bis Riley sich auf die Toilette entschuldigt.

»Wow, wer ist das denn?«, unterbricht Geena das Gespräch und deutet mit dem Kopf in Richtung Bar, die sich hinter mir befindet. Automatisch drehe ich mich herum und will gerade fragen, wen sie meint, als ich Riley entdecke. Ich höre die Überlegungen der anderen, die diskutieren, wer die brünette Frau an seiner Seite ist, deren Gesicht wir nicht sehen können. Riley hat den Arm um ihre schlanke Taille gelegt und lehnt sich zu ihr herunter, sodass sie ihm etwas ins Ohr flüstern kann. Folglich kennt er sie nicht erst wenige Minuten. Ich schaue auf den Boden, als stünde da die Antwort, wer diese Person ist, und schlinge die Arme um mich selbst. Was habe ich auch erwartet? Dass er, nur weil wir die kommenden Tage privat miteinander verbringen werden, vergisst, dass er gerne alles an Gelegenheiten zum Schlafzimmergolf mitnimmt, was nicht schnell genug aus seinem Tunnelblick verschwunden ist? Ich beiße die Kiefer aufeinander und kralle meine Hände um die Sessellehnen.

»Kennst du sie?«, will Cole wissen und ich drehe mich ertappt zu den anderen zurück.

»Nein, noch nie gesehen.« Ein weiteres Mal sehe ich über die Schulter, mustere das dunkelblaue Kostüm der Frau, das wie angegossen ihre Kurven umschmeichelt und jede einzelne davon perfekt in Szene setzt. Ich lasse die Sessellehnen los, auf deren Kunstleder leichte Schweißabdrücke zu erahnen sind, und greife nach meinem Cocktail. Männer. Gerade eben was von »mit dir wollte ich schon immer ein Date haben« faseln und im folgenden Augenblick ab zur Nächsten. Wie war Regel Nummer 8? Ach ja: Für den Fall, dass ich doch einmal vergessen sollte, mich an Regel 7 zu halten, bedenke: Dass er meist mehrere Stuten im Stall hat, denen er genau dasselbe zuflüstert. Dennoch finde ich … Idiot. Ich spüre förmlich, wie meine Haltung weiter zusammensackt und das, wo ich vor wenigen Minuten so euphorisch war.

Lautstark schlürfe ich mit dem Strohhalm die letzten Reste aus dem Glas und verfolge das Gespräch am Tisch nur noch mit einem halben Ohr. Als Ausgleich verfluche ich Riley mit jeder Sekunde mehr, nur das Warum ist mir nicht ganz klar. Am liebsten möchte ich vorschlagen, dass sie sich für ihre Date-Woche vielleicht eine andere Mitspielerin für Riley suchen, will sie aber nicht enttäuschen. Amber erhebt sich und alle tun es ihr gleich – es ist also Aufbruchstimmung. Ruckartig springe ich auf und lege mir aus der Situation heraus eine Hand über die Augen.

»Oha!« Ich schwanke vor und zurück, ziehe die Augenbrauen hoch und blinzle mehrmals, um meinen Blick zu klären.

»Na, Marissa, wollen wir noch weiterziehen und nach einer Brausepulvertüte Ausschau halten, die wir ganz frisch aufreißen?«

Ich schaue Geena an und verziehe entschuldigend den Mund. Ich fixiere einen Punkt hinter ihr an der Wand, um das gefühlte Karussell zum Stehen zu bringen.

»Dann sehen wir uns morgen für die Übergabe im high inch und ab Sonntag wird gedatet«, predigt Heather zum wiederholten Male, nimmt mich kurz in den Arm und verschwindet mit Cole Richtung Ausgang. Wir folgen ihnen und mein Blick wandert automatisch zu Riley am Tresen. Inzwischen sitzen die beiden Turteltäubchen auf Barhockern und scheinen sich wunderbar zu verstehen. Sie ist hübsch – sehr hübsch sogar. Vielleicht etwas älter als er, wenn auch nicht bedeutend, und sie schmachtet ihn an wie ich seinerzeit Nick Carter von den Backstreet Boys. Nur dass ich zu der Zeit etwa vierzehn war. Nicht mehr viel und sie liest von seinen Lippen ab, im wahrsten Sinne des Wortes. Überraschend tritt Logan neben die beiden, schüttelt der Dunkelhaarigen die Hand – Verräter –, unterhält sich knapp und kommt wiederum zu uns. Riley bleibt doch jetzt wohl nicht hier bei der, der … Ich stoße die Tür nach außen auf, als ich eine Berührung am Rücken spüre und mich umdrehe – Riley. Muss der eigentlich ständig an irgendwem rumgrabbeln? Eben noch die andere, direkt im Anschluss mal wieder ich. Geena und ich verabschieden uns und gehen zum zweiten Taxi, das wir uns teilen, weil wir als Einzige in die entgegengesetzte Richtung wollen.

»Marissa, warte mal«, ruft Riley mir hinterher, als ich schon mit einem Fuß im Wagen bin und innehalte, als er leichtfüßig auf mich zujoggt. »Ich freue mich auf die nächsten Tage«, sagt er leicht außer Atem und seine Augen leuchten.

Ohne dass ich es beeinflussen kann, lächle ich und fasele etwas von »Ich mich auch« – zumindest glaube ich, dass ich es laut ausspreche. Warum macht er das immer? Oder sollte ich eher fragen: wie? Eine weitere Gabe, die nur er beherrscht. Habe ich gerade noch überlegt, wie ich es anstelle, dass ihm zahlreiche Gliedmaßen abfallen, grinse ich jetzt, als hätte ich eine Jahresration Schokoladeneis gewonnen. Eine Haarsträhne weht mir vor das Gesicht, die er mir hinter das Ohr schiebt und sich danach wegdreht, um wieder zu gehen. Ich will mich ins Auto setzen, als er sich aufs Neue herumdreht.

»Ach so und … vielleicht würde dir das Brausepulver schmecken.« Er zwinkert. »Wichtig ist nicht, wie viele ihre Finger schon in der Tüte hatten, sondern, wer ihn zuletzt reinsteckt und damit dafür sorgt, dass niemand anderes je mehr probieren darf.«

Kapitel 3

Marissa

Samstag

»Oh Fuck, er kommt her«, flüstert Lilly und schmeißt die Liste mit den Aufträgen der kommenden Woche auf den Schreibtisch. Sie fuchtelt sich so hektisch in den Haaren herum, dass die zahlreichen Armreifen an ihrem Handgelenk klimpern.

»Von dem würde ich mich nur allzu gerne mal vom Motorrad schubsen lassen, mit einem Bein zur linken und dem anderen zur rechten Seite«, gibt Amber zum Besten und Heather presst ein »Brüste raus, Mädels« hervor.

Er ist in diesem Fall David Bennett, heißester Spieler in New Yorks Footballteam und Stammkunde des high inchs. Zudem ist er der lebende Beweis, dass Männern unrecht getan wird. Nicht nur sie können triebgesteuert sein, sobald sie eine attraktive Person sehen. Die Frauen hinter mir belegen es, unser Geschlecht ist noch viel niederer in den Instinkten.

Ich drehe mich im gleichen Augenblick zum Empfangstresen herum, als er mit einem »Ladys« in Richtung Heather, Amber und Lilly nickt, die wie Hühner auf der Stange dasitzen. Sie hauchen ein synchrones »Hi David« und ich muss mir auf die Lippen beißen, um nicht laut loszulachen.

»Schickst du die Rechnung bitte an meine Privatadresse?«, spricht er mich an und nimmt sich den ganzen Stapel Visitenkarten aus dem Ständer, der auf dem Ladentisch steht.

»Sicher.« Ich lächle ihn an und bewege den Mauszeiger über den Computerbildschirm, um diesen zum Leben zu erwecken.

»Ähm, auf der East Side hat ein Sushi-Restaurant aufgemacht.« Ungeschickt mischt er die Karten durch, wodurch ihm ein Dutzend auf den Tresen fällt und er sie fahrig wieder zusammensammelt.

Irritiert schaue ich zu ihm und grinse erneut, wenn auch etwas verunsichert. »Tatsächlich?« Ich deute auf den Computer. »Das mit der neuen Anschrift ist vermerkt.«

Er nickt, steckt die Visitenkarten zurück, wobei er einige daneben fallen lässt. Ich runzle die Stirn und beobachte, wie er sie mit zittrigen Fingern in den Halter stopft.

»Magst du Sushi?«, erkundigt er sich, ohne den Blick von dem kleinen Ständer zu nehmen. Mit wem genau spricht er gerade? Mit mir?

Etwas stößt mir dumpf gegen den Rücken und wirble mit einem »Aua!« reflexartig herum. Amber sieht mich mit weit aufgerissenen Augen an und wedelt hektisch mit den Armen. »Pass doch auf!«, fahre ich sie an, reibe mir die pochende Stelle und wende mich wieder David zu. »Ich habe für Sushi nichts übrig.« Hinter mir ertönt ein einheitliches Stöhnen, sodass ich über die Schulter zurückblicke. Was wollen die denn?

»Na dann, bis bald mal«, schließt David ab und schlägt zum Abschied zweimal mit der flachen Hand auf den Tresen.

Er ist beinahe an der Tür, als Riley hereinkommt und sie sich per Handschlag begrüßen.

»Gehts dir noch gut?«, fährt Heather mich von der Seite an. »Eine Version von Brad Pitt in jüngeren Jahren will mit dir essen gehen und du lehnst ab? Was stimmt mit dir nicht? Asexuell? Lesbisch?«

Irritiert schüttle ich den Kopf. »Ich weiß ja nicht, wo du gewesen bist, aber ich hab keine Frage gehört.« Heather gluckst auf, was sich anhört, als sei sie nicht sicher, ob sie lachen oder weinen soll. Hilfesuchend schaut sie zu Amber und Lilly, die mich ebenfalls ansehen, als wäre ich der Pilot eines Jumbojets, der auf höchster Flughöhe mit einem Fallschirm durch die Kabine latscht und sich mit einem »Hab jetzt Pause« von den Passagieren verabschiedet.

»Sie ist definitiv aus der Übung und sieht die Anzeichen nicht mehr«, gibt Amber fassungslos zum Besten.

»Was für Anzeichen?«, will ich genervt wissen. »Vielleicht seht ihr auch einfach Dinge, die nicht da sind.«

»Das ist eben nicht wie Fahrradfahren, sie ist schon zu lange allein«, stimmt Lilly mit ein und blättert gelangweilt durch eine Besucherzeitung. Ich starre sie mit offenem Mund an, balle die Hände zu Fäusten und möchte am liebsten auf den Tisch schlagen – das glaube ich doch wohl nicht.

»Entschuldigt bitte. Ich vergaß kurzzeitig, dass ich nach einem bestimmten Zeitraum des Singledaseins alles anspringen muss, das nur einen Hauch von Testosteron versprüht. Wie dumm von mir«, rede ich mich in Rage, sodass sich die Worte überschlagen.

»Na ja«, mischt Amber sich ein und sieht auf ihre manikürten Fingernägel. »David Bennett verspritzt nicht nur ein bisschen Testosteron, sondern …«

»Guten Morgen ihr Süßen«, schrillt es durch den großen Eingangsbereich des high inch und hallt von den Wänden retour. Niemals hätte ich gedacht, dass ich meiner Mom einmal dankbar dafür bin, dass sie hier auftaucht, aber in diesem Moment erspart sie mir weitere lehrreiche Ergüsse der anderen. Ich atme tief durch und öffne Davids Kundendatei, um zu sehen, welche Arbeiten an seinem Motorrad ausgeführt wurden.

»Guten Morgen, Mrs. White. Sagen Sie nicht, Sie haben wieder Kuchen für uns gebacken?«, ruft Riley und ich schüttle grinsend den Kopf. Als wüsste er nicht inzwischen, dass sie immer nur deswegen hierherkommt. Ich raffe die einzelnen Unterlagen vor mir zusammen und schlage den Stapel Papiere mit der Kante auf den Schreibtisch, um sie auf eine Linie zu bringen. »Haben wir jetzt alles?«, nuschele ich eher für mich als für die Mädels.

»Sollten wir noch irgendwelche Fragen haben, können wir euch doch telefonisch erreichen«, entgegnet Heather, die mir die Zettel abnimmt. »Ihr seid nicht aus der Welt, und der Laden wird nach einer Woche ganz sicher noch stehen.«

Hoffentlich.

»Jungs«, ruft Riley in den hinteren Bereich der Halle, in der sich die eigentliche Werkstatt befindet.

Nichts hält so lange wie eine Übergangslösung, oder wie war das? Für Riley in der Motorradveredlung zu arbeiten, war genau das, eine Notlösung. Inzwischen möchte ich keinen einzigen Tag davon missen. Ich erinnere mich deutlich, wie ich zum ersten Mal dieses Gebäude betrat, das damals noch vollkommen anders aussah. Der Geruch nach verbranntem Gummi, Öl und Metall lag in der Luft und ich war im Begriff, auf dem Absatz umzudrehen, um sofort wieder zu gehen. Bis Riley unter einer der Hebebühnen hervorkam. Er lag auf einem Rollbrett und trug eine verboten – wirklich sehr verboten – tief sitzende Jeans zu einem dunklen Muskelshirt, das seine unzähligen Tattoos auf einem wohldefinierten Oberkörper hervorblitzen ließ. Er sprang auf die Beine, strich sich die schwarzen Finger an der Hose ab und hielt sie mir entgegen, wobei seine wasserblauen Augen in dem ölverschmierten Gesicht leuchteten, als seien sie nicht von dieser Welt. Von dem Moment an war klar, ich hätte jeden Job angenommen, nur um täglich in den Genuss vorbenannten Anblicks zu kommen. Leider zieht er ölverschmierte Shirts zwischenzeitlich nur noch viel zu selten selbst an und hat es gegen meist weiße Hemden eingetauscht – für Kundengespräche einfach besser geeignet. Das sehe ich nur ein bisschen anders, in dem schmuddeligen Shirt könnte er Tupperwareberater des Jahrtausends werden. Sämtliche Kundinnen würden den Inhalt des Katalogs rauf und runter bestellen, ohne dass er auch nur einen der Behälter genauer erklären müsste und das jede Woche. Ich erkenne aber an, dass die high-inch-Klienten nahezu ausschließlich männlich sind und sich vermutlich eher weniger für Rileys visuelle Vorzüge interessieren. Wie dem auch sei, sein Hauptaufgabengebiet hat sich in den letzten Jahren verändert, ebenso wie unsere Kundschaft, die inzwischen weit bis in die höchsten Kreise New Yorks und sogar Los Angeles reicht.

Das Geräusch von schepperndem Werkzeug lässt mich aufsehen, als Ben und Bryan um die Ecke eilen.

»Mrs. White, ich habe gehofft, dass Sie heute kommen«, raunt Ben mit seiner Reibeisenstimme und Mom hält sich kichernd eine Hand vor den Mund. Absichtlich laut seufze ich auf und grinse Riley an. Er wackelt kurz mit den Augenbrauen und zwinkert mir zu, bevor sie Mom zur Sitzecke, die sich in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes befindet, folgen.

»Süß, wie sie um den Kuchen herumhecheln«, spottet Amber und stellt sich auf die Zehenspitzen, um an den Jungs vorbei einen Blick auf meine Mom zu werfen. »Ob für uns auch ein Stückchen dabei ist?« Offenbar eine rhetorische Frage, sie macht sich schon auf den Weg und Heather und Lilly folgen ihr.

»Gibts heute die gleichen Brownies wie letzte Woche?«, will Ben wissen. Wenn mich vor einigen Jahren jemand gefragt hätte, wie ich mir einen waschechten Rocker vorstelle, wäre er bei der Beschreibung herausgekommen. Groß, tätowierte Arme, die den Umfang meiner Oberschenkel haben, grauer Vollbart und er trägt stets eine Lederweste – Verzeihung, eine Lederkutte. Sobald er arbeitet, ist klar, dass immer irgendetwas kaputt geht, weil er regelmäßig einen mittelschweren Tobsuchtsanfall bekommt und Schraubenschlüssel durch die Werkstatt wirft. Deswegen teilt Riley am liebsten Bryan mit ihm ein – Bens menschliches Pendant. Mit seinen neunundzwanzig Jahren könnte er sowohl vom Alter als auch von der Optik her glatt Bens Sohn sein. Nur ihr Wesen ist so unterschiedlich wie Apfelsaft und Kaffee, da Bryan die Ruhe in Person ist. In all der Zeit habe ich nie erlebt, dass er sich über etwas geärgert oder nur die Stimme erhoben hat und wenn Ben einen Aussetzer hat, ist es für Bryan nicht einmal das Heben einer Augenbraue wert.

Mom öffnet ihre Kuchentransportbox und die drei Jungs fallen darüber her, als hätten sie tagelang gehungert. Ich weiß gar nicht, wann es angefangen hat, aber seit etwa zwei Jahren taucht sie jeden Samstag in der Werkstatt auf und bringt Kuchen mit. Anfänglich habe ich noch angenommen, dass sie nur so gierig tun, um ihr eine Freude zu machen, bis Mom erstmals nicht kam und unter den Männern Trauerstimmung herrschte.

»Hallo Schatz«, ertönt es neben mir und Mom reißt mich aus den Gedanken. Sie läuft um den Empfangstresen und gibt mir einen Kuss auf die Wange. »Hat er dich endlich mal um ein Date gebeten?«, wispert sie, beinahe ohne dabei den irgendwie lüsternen Blick von Riley zu nehmen, und ich schürze angewidert die Lippen. Verdammt ja, ich kann sie gut verstehen, schließlich war er joggen, dennoch ist es ekelhaft zu sehen. Ich packe sie an den Schultern und drehe sie so herum, dass sie mit dem Rücken zur Sitzecke steht, sodass das Anstieren ein Ende hat.

»Hau ab, das ist gar nicht gut für deine Figur«, nörgelt Bryan in Richtung Riley, der sich grinsend den nächsten Brownie nimmt und einen weiteren an Heather reicht.

Obwohl seit dem besagten Vorstellungsgespräch Jahre vergangen sind, hat Riley keine Spur seiner Attraktivität eingebüßt. Im Gegenteil, sie hat sich eher noch gesteigert. Er zieht sich den Hoodie aus und wischt sich damit übers Gesicht … oh ja, aus dem jungenhaften Sonnyboy ist ein Mann geworden, der mit seinem Sex-Appeal den gesamten Raum einnimmt, in dem er sich befindet. Heather unterbricht kurz das Kauen und lässt ihren Blick mit großen Augen über Rileys Rücken wandern und beißt sich auf die Zungenspitze. Ich grinse kopfschüttelnd, mustere ihn dann aber ebenfalls, wobei ich mir eine Haarsträhne um den Finger wickle. Die Muskeln seiner Unterarme spannen sich bei den kleinsten Bewegungen an und Gott weiß, jeder Zentimeter seiner Arme sind meine Schwachstelle. Ich runzle die Stirn und sehe zu Mom, die mich wissend angrinst. Was mache ich hier eigentlich? Und warum zur Hölle fummle ich dabei wie ein debiles Fangirl im Haar?

»Hat er oder hat er nicht?«, erinnert Mom an ihre Frage und pult mir einen Fussel von der Bluse.

»Mom«, stöhne ich vorwurfsvoll und ziehe den Stapel Rechnungen vom Drucker, die heute verschickt werden müssen. »Wie oft wollen wir dieses Thema noch diskutieren?«

»Ich frage ja nur. Jemand wie er ist nicht ewig auf dem Markt und über kurz oder lang werden gewisse Attribute wegfallen. Im wahrsten Sinne des Wortes.« Sie senkt den Blick auf meinen Ausschnitt und sieht mir erneut ins Gesicht.

Schockiert starre ich sie mit offenem Mund an und raffe das Dekolleté meiner Bluse zusammen. »Mom! Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert und Frauen sind durchaus in der Lage, auch allein zurechtzukommen, selbst wenn sie irgendwann wegen fehlender Attribute gar keinen mehr abbekommen.«

»Na schön, wie du willst.«

Dieses »na schön« kenne ich, da kommt doch noch was nach.

»Mrs. White, danke für den Kuchen. Der ist wieder …« Riley legt seine Fingerspitzen an die Lippen und küsst sie, woraufhin Mom wie eine Gewinnerin bei Wer wird Millionär grinst. Lachend schnaube ich aus und mustere unauffällig den Streifen Haut, der zwischen Rileys Shirt und dem Bund der Laufhose aufblitzt. Nur zu gerne würde ich der feinen Haarlinie, die von seinem Bauchnabel aus abwärts geht, einmal folgen. Moment, was? Regel Nummer 2, ich glaube dieser Punkt landete bereits an meinem ersten Arbeitstag auf der Liste: Keine sexuellen Träumereien von deinem Chef!

»Einer muss sich ja darum kümmern, dass du nicht vom Fleisch fällst. Jetzt, da du erneut ungebunden bist«, wispert Mom, wobei sie das Wort ungebunden extra betont und mich auffordernd ansieht. Mom weiß, dass Riley neuerdings wieder Single ist? Woher? Was läuft denn hier?

»Gott sei Dank habe ich Sie«, zwinkert er Mom zu und steckt sich den letzten Bissen Kuchen in den Mund.

»Nun hör doch endlich mit dem Gesieze auf und nenn mich Claire.«

»Okay, Claire«, murmelt er und wird tatsächlich leicht rot. Ich glaube, ich bin im falschen Film. Die Kinnlade klappt mir herunter und ich bin unsicher, ob ich lediglich sprachlos bleiben oder lachen soll. Wieso errötet er bei mir nie?

»Danke Mrs. White, das war vorzüglich«, ruft Bryan zu uns herüber und geht zurück in die Werkstatt, während Ben zu uns kommt.

»Mrs. White«, er räuspert sich und tritt von einem Fuß auf den anderen, woraufhin ich Riley fragend ansehe, der mit den Schultern zuckt. »Dürfte ich Sie bitten, nächste Woche noch einmal dieses Tiramisu mitzubringen? Ich wollte Sie nicht damit belästigen und dachte, vielleicht machen Sie es von sich aus bald wieder, aber es ist jetzt bereits sechs Samstage her.« Er senkt den Blick und kratzt sich hinter dem Ohr.

Fassungslos sehe ich zwischen den dreien hin und her. Warum kuschen die vor mir nicht so und bitten darum, mich belästigen zu dürfen? Mir wird die Arbeit hingeknallt, da bittet keiner. Nie! Müsste ich dafür etwa auch Gebäck mitbringen? Dabei kann ich nicht mal backen und fürchte, dass mein Kuchen nicht ansatzweise bestechungsgeeignet ist, eher wenn ich mal jemanden loswerden will.

»Natürlich«, erwidert Mom und tippt sich etwas ins Smartphone. »Schon eingetragen, dann vergesse ich es nicht.« Sie lächelt Ben an, der sich bedankt und leichtfüßig mit schwingenden Armen davontrabt, was ebenso verstörend wie beängstigend ist. Annähernd so, als wäre er fröhlich. Bis vor drei Minuten hätte ich mein linkes Auge darauf verwettet, dass fröhlich in seiner Stimmungslage nicht einmal existent ist.

»Ich springe dann mal unter die Dusche, ich muss gleich zu einem Termin«, erklärt Riley, sieht flüchtig auf sein Telefon und verabschiedet sich von Mom. Ein Termin? Ich schürze die Lippen und gehe in Gedanken den Kalender durch, bin mir aber sicher, dass da für heute keiner drinsteht.

Er ist schon fast in seinem Büro verschwunden, als Mom ihm hinterherruft. »Ich habe am Donnerstag Geburtstag und fände es wirklich schön, wenn du zum Essen kommen könntest.« Sie strahlt Riley an, als sei er das achte Weltwunder.

Aha. Moment … Was? »Mom!«, zische ich warnend und berühre sie am Arm. Meine Wangen werden heiß, vermutlich glühe ich wie die Birne einer Stehlampe. Eltern sind doch etwas Feines – zumindest muss man sich nicht mehr selbst blamieren, das übernehmen die ganz allein.

Sollte meine Kinnlade noch ein Stück weiter herunterklappen, liegt sie auf dem Fußboden.

»Sehr gerne, ich freue mich drauf.« Er lächelt, beinahe schüchtern, was es nur umso anziehender macht.

Verdammt, jetzt da Mom hier ist, kann ich ihm gar nicht hinterhergehen und aus Versehen ins Büro platzen, sobald er dabei ist, sich auszuziehen. Nicht, dass ich Derartiges jedes Mal versuchen würde, aber wenn es sich nicht vermeiden lässt, dann lässt es sich halt nicht vermeiden. Mom und ich stehen nebeneinander da, gaffen ihm hinterher, bis er ins Büro gegangen ist, und ich drehe mich zu ihr.

»Was zum Teufel sollte das?«

»Ihr selbst bekommt es offenbar nicht auf die Reihe, folglich muss da eben eine erfahrene Person nachhelfen«, erklärt sie, als sei es das Natürlichste der Welt, dass eine Einunddreißigjährige von ihrer Mutti verkuppelt wird. Sie geht zur Sitzecke hinüber und räumt ihren Kuchenbehälter in den Korb.

»Mom!«, nörgle ich und folge ihr im Laufschritt. »Ich wäre dir dankbar, wenn du dich da nicht einmischen würdest!«

»Ich will auch irgendwann mal Oma werden.«

»Charlotte ist schwanger«, gebe ich zurück und werfe die Hände in die Luft. Sie zieht die Augenbrauen zusammen, so als habe ich ihr gerade die neueste Neuigkeit erzählt, dass meine Schwester bald das erste Enkelkind zur Welt bringt. »Außerdem möchte ich mir den Vater meiner imaginären Kinder schon gerne selbst aussuchen.«

»Tu doch nicht so, als ob du nicht jedes Mal seufzen würdest, sobald Riley vom Joggen kommt und dermaßen nach Moschus duftet.« Sie sieht zur Decke und grinst debil. »Ich kenne keinen Mann, der so gut riecht, wenn er eigentlich stinken müsste.«

Ich streiche mir übers Gesicht und lasse die Hand auf der Stirn liegen. »Mom, hör auf damit. Riley ist nicht nur ein Freund, sondern auch mein Arbeitgeber.«

Sie schaut mir kurz in die Augen, hängt sich den Griff des Korbs über den Unterarm und öffnet die Tür der Halle, um zu gehen. »Ich würde es nicht machen, wäre da nicht diese eine Sache.«

»Und welche Sache sollte das sein?«, will ich genervt wissen und verschränke die Arme vor der Brust.

»Dass ihr euch so anseht, wie dein Vater und ich uns damals angesehen haben. Darum weiß ich, was euch entgehen könnte, solltet ihr es nicht wenigstens versuchen.«

Ich blinzle sie an, mache den Mund auf, um etwas zu sagen, und klappe ihn wortlos wieder zu. Sie sieht mich mit ihrem Hör-auf-deine-Mutter-Blick an, nickt, als sei das Thema damit beendet, und geht. Ehe die Tür zufällt, drücke ich die Hand dagegen. Irgendwas muss ich noch sagen, damit ich wenigstens das letzte Wort habe, nur was?

»Marissa«, dröhnt Rileys Stimme zu mir und ich drehe mich zu ihm herum. »Hast du einen Moment?«

Mein Blick bleibt an seinem freien Oberkörper kleben und ich schlucke. Herrje, was tun? Mutti hinterher, um ihr zu erklären, dass wir beide falsch liegen, sollte ich ihr zustimmen, oder zu Riley eilen? Was auch immer er will, ich könnte einfach so tun, als würde ich ihm zuhören und dabei den Anblick genießen. Ich schaue mich suchend nach Mom um, die inzwischen nicht mehr zu sehen ist, und stöhne resigniert auf. Riley sieht mich wartend an, sodass ich zu ihm gehe. Nicht anstarren, Marissa, sieh ihm ins Gesicht. Ich lächle und dränge mich an ihm vorbei ins Büro, wobei mir sein ganz typischer Geruch in die Nase steigt und ich ein Seufzen unterdrücken muss.

»Was gibt es?«, möchte ich wissen und drehe mich zu ihm, als er gerade die Tür schließt.

»Ich na ja«, er weicht meinem Blick aus und streicht sich mit der flachen Hand über die Brust. Ich schlucke und spüre ein leichtes Kribbeln zwischen den Beinen. Womöglich hat Geena recht und ich sollte doch einmal über unverfänglichen Sex nachdenken. Wenn Fräulein Vagina sich von einer solch läppischen Geste schon angesprochen fühlt, ist der Ausnahmezustand nicht mehr weit hin. »Willst du diese Woche wirklich machen?«

Schweiß bricht mir aus und ein Schauer erfasst mich. Wieso fragt er das? Möchte er vielleicht gar nicht und versucht es mir auf die Weise schonend beizubringen? Ich sehe zu Boden, ziehe die Augenbrauen zusammen und streiche mir die Arme hinauf, um die Kälte darin zu vertreiben.

»Versteh mich nicht falsch, ich würde das gerne machen.« Ich mustere ihn und er lächelt mich zaghaft, beinahe schüchtern an. »Ein Zwangsurlaub könnte uns beiden wirklich mal guttun und ich …«, er kratzt sich am Kopf und das Grinsen wird noch breiter, »fände es schön, wenn wir die Tage gemeinsam verbringen. Du sollst dich nur nicht dazu verpflichtet fühlen.«

Mein Atem geht flach und ich stiere ihn an – jetzt sag doch endlich mal etwas! »Ja.« Ich nicke wie ein Wackeldackel und Riley lacht schnaufend auf.

»Ja, was?«

»Ich möchte in unserem Zwangsurlaub auch am liebsten mit dir zusammen sein.«

Riley lächelt und wenn mich nicht alles täuscht, macht er irgendwie den Eindruck, als sei er erleichtert. Ich schmunzle ebenfalls und kratze mich nervös an der Nase. Wir starren uns einen Moment lang sprachlos an, bis Riley die Stille unterbricht und mich erinnert, dass er noch schnell duschen muss.

Ich gehe wieder an den Schreibtisch, versehe den Terminplan für die kommende Woche mit Notizen, sodass die anderen erfassen können, worum es geht, und telefoniere mit einigen Vertretern, um angedachte Meetings zu verschieben. Ich weiß nicht, wie lange ich in die Arbeit versunken bin, als Riley durch den Eingangsbereich in Richtung Werkstatt stolziert und sich winkend von mir verabschiedet. Ich schaue ihm hinterher und zurück auf den Bildschirm, als mein Kopf zurückruckt und das Herz einen Schlag aussetzt. Das ist nicht sein Ernst? Ich hole tief Luft und spüre, dass sich meine Nasenflügel aufblähen, wobei ich den Bleistift so fest auf die Schreibtischunterlage drücke, dass die Spitze abbricht. Erneut sehe ich durch die große Fensterfront und erkenne gerade noch, wie sie in Rileys Wagen steigt – die dunkelhaarige Schönheit aus dem Peaches.

Kapitel 4

Riley

Sonntag

»Warum machst du so ein Geheimnis daraus?« Marissa lacht und drückt sich mit einer Hand gegen die Augenbinde, während ich ihr helfe, aus dem Wagen zu steigen.

»Bleib stehen, nicht weglaufen«, ermahne ich sie, wobei ich einen Finger hochhalte, den sie logischerweise überhaupt nicht erspähen kann.

»Och bitte, ich gehe doch so gerne spazieren, ohne etwas zu sehen.«

Hmm, auch wieder wahr. Eilig ergreife ich die Tasche vom Rücksitz des Taxis, bezahle die Fahrt und stelle mich hinter Marissa. Ich drehe sie so, dass sie zum schwach beleuchteten Central Park West steht und nehme ihr die Binde ab.

Sie verharrt einen Moment, bevor sie sich leicht zu mir herumdreht und in Richtung Park deutet. »Ist es das, was ich vermute?« Das Leuchten in ihren Augen lässt mich grinsen. Zuerst dachte ich noch, die Idee sei ein bisschen überzogen, aber die anderen hielten es für eine grandiose Idee, also …

Ich zucke möglichst gelassen mit den Schultern. »Was denkst du denn?«

»Ist hier heute ein Freiluftkino?«

Ich lache, hebe die Tasche an und halte ihr den freien Arm entgegen, damit sie sich unterhaken kann. »Keine Ahnung, aber irgendwas muss hier sein.«

Wir gehen den leichten Abhang hinunter, wobei ich den Blick schweifen lasse, um bereits von hier einen guten Platz für uns zu suchen. Überall auf der riesigen Grünfläche sind kleine und größere Cliquen versammelt, die Decken ausgebreitet oder sich Gartenstühle mitgebracht haben. Weiter zum Rand, dort wo die Grüppchen weniger werden, liegen Pärchen herum, ich möchte lieber nicht genauer darüber nachdenken, warum sie sich räumlich so abgrenzen.

Ich spüre Marissas Blick auf mir und schaue zu ihr, woraufhin sie so herzlich lächelt, dass sich Fältchen um ihre Augen bilden. Immer wenn sie das tut, kann ich nicht anders, als dümmlich zu grinsen und sie anzustarren.

»Als ich mal irgendwann von Kino sprach, dachte ich eher an oldschool mit Popcorn in einem schlecht belüfteten Raum, aber das hier …«, erklärt sie und sieht auf die überdimensionale Leinwand am Ende des Parks. »Ich war noch nie in einem Freiluftkino.«

Am Eingang der Grünanlage müssen wir einen Moment warten, bis unsere Tasche vom Sicherheitspersonal untersucht wird und ich unsere Tickets kaufe. Marissa tritt neben mich und ich deute zu einem kleinen Platz rechts von der Leinwand, direkt unter einem hochgewachsenen Baum. »Da gehen wir hin.«

Wir laufen am Rand der Wiese entlang, schlängeln uns zwischen den unzähligen Besuchern hindurch und kommen an einem Verkaufswagen vorbei, der Popcorn anbietet. »Willst du ein bisschen oldschool?«

Marissa sieht auf die Tasche in meiner Hand, schürzt die Lippen und schüttelt den Kopf. »Nein. Ich denke, ich wage es, mich von dem überraschen zu lassen, was du da drin hast.«

Diabolisch grinse ich sie an. Vermutlich denkt sie an irgendetwas Simples, gekauften Kuchen oder Truthahnsandwich. Dem ist aber nicht so, nein, ich habe geschnippeltes Gemüse, Dips und solchen Krempel dabei. Zumindest hat Amber etwas davon gefaselt, als sie mir die gefüllte Tragetasche vorhin übergeben hat. Jaja, ich weiß, wenn man eine Frau ausführt, dann muss man sich schon selbst die Mühe machen. Hätte ich auch, aber woher soll ich denn bitte wissen, was man im Freiluftkino isst? Besser gesagt, was Marissa im Freiluftkino essen will.

Unter dem Baum angekommen, sehe ich auf die Wiese, um den Platz nach Wurzeln abzusuchen. Ich stelle die Tasche ab und schlage die Decke auf, die zusammengerollt an der Tasche hängt. Marissa sieht in Richtung der Leinwand, auf der im Moment noch Firmennamen eingeblendet werden, die für diese Veranstaltung als Sponsoren fungieren.

»Du musst mir nicht helfen, ich komme zurecht«, stichele ich und knie mich auf den Rasen, um die Ecken der Decke nach außen zu legen.

»Dann ist ja gut«, erwidert sie und schaut sich im Park um. Unglaublich diese Frau!

»Könntest du vielleicht?«, frage ich und deute auf die Tasche.

»Was könnte ich vielleicht?«, echot sie und zieht eine ihrer akkurat geformten Augenbrauen in die Höhe. Mein Blick flackert zu ihrer Shorts, einer extrem kurzen Shorts und bleibt auf ihrer gebräunten Haut hängen. Instinktiv will ich die Hand ausstrecken und sie berühren, kann mich aber gerade noch davon abhalten. Was stimmt mit dir nicht, du Idiot? Ich schlucke gegen die aufkommende Trockenheit im Hals an und reibe die Handinnenflächen über meine Schenkel, um das Kribbeln zu beruhigen.

»Du starrst mich an.«

Bei unserem Spruch muss ich grinsen und wäge mit einer Kopfbewegung ab. »Ich starre nicht – nie.«

Ohne Widerrede kniet sie sich ebenfalls hin, zieht die Tasche zwischen uns und öffnet den Reißverschluss ein wenig, bevor sie mich mit zusammengezogenen Augenbrauen mustert. »Was ist hier drin?«

Verdammt, sie ahnt etwas. »Gemüse, Dips und so was.«

»Was für Gemüse?«

»Gemüse halt, ist doch alles das Gleiche.«

Marissa trommelt abschätzend mit den Fingern gegen ihr Kinn und setzt sich zurück, mit ihrem Hintern auf die Fersen. »Sag die Wahrheit. Wer hat das Picknick vorbereitet?«

Ich hole tief Luft für eine Erwiderung, lasse dann aber die Schultern sacken. »Möglich, dass Amber mir geholfen hat.«

»Geholfen oder hat sie Aufträge ausgeführt?«, will sie wissen und sieht mich mit gerunzelter Stirn an. Um ihren ernsten Blick zu verstärken, verschränkt sie die Arme vor der Brust, was mich erneut schlucken lässt. Ob ihr bewusst ist, dass sie ihre Oberweite dadurch auf gemeinste Art und Weise in Szene setzt? »Wie bitte?«, bohrt sie nach, weil ich sie noch immer wortlos begaffe.

»Nein«, begehre ich auf. »Aufträge hatte sie nicht. Ich wollte es selbst machen, aber es gehörte zu ihrer Planung.«

Sie nickt zufrieden, holt zwei Vorratsdosen aus der Tasche und reicht sie mir, damit ich sie öffne – Möhren, Paprika und Gurken. Da kommt man sich direkt vor wie eine Biotonne.

»Was ist, magst du das nicht?«, will Marissa wissen, öffnet die andere Dose vor meinen Beinen und dippt eine Gurkenscheibe hinein, bevor sie sich diese in den Mund steckt.

»Doch, doch.« Ich nicke hektisch und schiebe mir ein Stück Paprika zwischen die Lippen, wobei Marissa diabolisch grinst. Natürlich ist ihr bewusst, dass das keine meiner Leibspeisen ist, und vermutlich ergötzt sie sich im Inneren.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752144086
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Mai)
Schlagworte
Millionär Leidenschaft Liebe Erotik New Adult Amerika Humor Erotischer Liebesroman Liebesroman

Autor

  • Mia B. Meyers (Autor:in)

Mia B. Meyers schreibt (Chick-Lit) Liebesromane und veröffentlichte mit Dark Side of Trust ihr Debüt, das am 12.01.2016 erschienen ist. Mia hat unzählige Bücher gelesen und in Gedanken weitergesponnen. Da der Weg selbst etwas zu schreiben und zu veröffentlichen, immer viel zu weit schien, hat sie jedoch nie ernsthaft darüber nachgedacht. Bis sich ihr mit einem Kindle die wunderbare Welt der Selfpublisher eröffnete und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte ...
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Titel: That’s Me