Lade Inhalt...

Jo-Hanna: No Risk No Love

Bundle 1-2

von Gabby Zrenner (Autor:in)
847 Seiten

Zusammenfassung

Nur einmal will Johanna sich das holen, was sie schon immer wollte. Logan Dale! Bester Freund und Geschäftspartner ihres Bruders und ihre Bestimmung seit sie denken kann. Nur gut, dass er keine Ahnung hat, mit wem er da in ein Hotelzimmer geht, denn sonst würde er sie niemals so berühren, wie sie sich das schon immer gewünscht hat. Dumm nur, dass er nicht wie erwartet von der Bildfläche verschwindet, sondern kurz darauf als Dozent vor ihr steht. Wie bitte soll Hannah ihm noch in die Augen sehen? Vor allem, nachdem sie kaum Erinnerungen an die Nacht hat. Und wichtiger wie überzeugt sie ihn davon, dass sie die Eine für ihn ist? Johanna und Logan. Beide rational, beide überzeugt, dass sie nie jemand dauerhaft lieben könnte und voller Zweifel an ihrem gewählten Lebensweg. Aber so sehr sie immer wieder davor weglaufen. Das Schicksal treibt sie gnadenlos zurück. Letztendlich muss nur entschieden werden: Paar? Freundschaft oder nur Verpflichtung?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

1. Halloween

Hannah

 

Die Luft war mittlerweile zum Zerschneiden dick und legte sich unangenehm auf meine Atemwege. Jeder Atemzug brannte sich tief in meine Lunge, während ich emsig hinter der Bar hin und her hetzte. Bierflaschen öffnete, Longdrinks und Cocktails mixte und mein Gesicht viel zu nah an verschwitzte, lallende Menschen drängte, um bei der lauten Umgebung ihre Bestellung aufnehmen zu können.

Wie ich Scott dafür hasste, dass er mich überredet hatte, die Schicht an Halloween im M’s, seinem Club, zu übernehmen. Nicht nur, dass ich diese ekelhafte Mischung aus Gerüchen wie Schweiß, Alkohol, abgestandenen Rauch und dem Mischmasch verschiedenster süßer und herber Duftwässerchen ertragen musste, nein ich war auch noch dazu verdammt, diese fürchterliche Musik zu hören.

Heute an Halloween war die sonst eher rockige Playlist mit aktuellen Charts und Klassikern der Musikgeschichte durchsetzt, die man eigentlich verbieten sollte. Wenn ich noch einmal Zombie oder Lemon Tree oder ähnlichen Mist hörte, gab ich mir die Kugel in Form einer Flasche Glenmorangie, die Scott unter dem Tresen in seinem Geheimfach versteckte. Ha, und er konnte nichts dagegen tun, dass ich mich daran vergreifen würde. Denn er war ja nicht da. Nein, er hatte gekniffen und sich nach New York verdünnisiert. Rache war doch was Wundervolles.

Das Schicksal wollte mir heute allerdings so richtig einen reinwürgen. Als würde das hier nicht bereits reichen, um durchzudrehen, kicherte mich jetzt die hundertste sexy Krankenschwester an, die einen Drink von einem grapschenden Typen ergattert hatte und damit vollends zufrieden war, als Sexobjekt zu dienen. Na, wer es braucht!

Wahrscheinlich hatte sie damit eher recht als ich mit meiner naiven Idee von monogamen Beziehungen. Ich erwartete nicht mal Liebe, aber ein wenig Vertrauen und Kontinuität beruhigten mich ungemein.

Verfluchter Mist! Scott hatte vielleicht doch recht, wenn ich in diesem Leben noch mal Sex haben wollte, sollte ich mich endlich wie eine normale 20-Jährige ins Getümmel werfen. Mir einen heißen Kerl aufreißen und das Ganze nicht bei ein paar Küssen belassen, sondern den Stier bei den Hörnern packen und wild reiten. Ein kleines Lächeln stahl sich auf mein Gesicht und ich schluckte das irre Kichern, das mir bei meiner bildhaften Vorstellung von mir auf einem nackten Kerl mit kreisenden Cowboy Arm über dem Kopf den Hals hochkroch. Willige gab es hier sicher genug, aber so war ich nicht gestrickt. Allein bei dem Gedanken wurde ich schon rot und zog mich selbst ins Lächerliche, wie das Bild vor meinem inneren Auge gerade wieder bewiesen hatte.

Zuckersüß lächelte ich über den dunklen Holztresen Blondie vor mir an, als ich ihr den perfekt gemixten Tequila-Sunrise überreichte und ihrem Freund für heute Nacht, zumindest würde ich darauf wetten, Bacardi-Cola. Bitte, allein, dass er so ein Gesöff trank, machte ihn für mich schon zum Loser. Absolut unmännlich!

Nächster Punkt auf der Johanna ist hoffnungslos Liste. Viel zu hohe Ansprüche und viel zu seltsame. Bitte, es war nur ein Drink. Die kleine penetrante Stimme in meinem Kopf nörgelte weiter: ein Loser Drink. Wann war ich solch eine Zicke geworden?

Glücklich rieb sich Blondie aufreizend an ihrem Typen, wobei ihr die eine Brust fast aus dem Kostüm sprang. Ernsthaft, ich schwöre, ich konnte schon den Ansatz der Brustwarze sehen und den Nippel, der versuchte sich aus dem zwei Nummern zu kleinem Kleid freizukämpfen. Wem hatte sie das Kostüm geklaut? Ihrer kleinen Schwester? Angewidert blieb mein Blick darauf hängen und rutschte leider zu der Stelle, wo er unverkennbar seine Erektion an ihre Hüfte drückte. Brechreiz! Wenn wenigstens seine Hose nicht alles gezeigt hätte. Das brauchte ich wirklich nicht zu sehen. Bitte geht in die Ecke ganz weit weg von mir.

Das Maß war voll, dermaßen voll. Warum zum Henker spielten sie jetzt, like a Virgin von Madonna? Hier jungfräulich zu bleiben, grenzte an ein Wunder. OK, jungfernhaft werden, damit konnte ich dienen. Ich stellte mich zu meiner eigenen Schande selbst zur Verfügung. Aber aus meinem Verhalten auszubrechen, war wahrlich nicht leicht und ich versuchte es wirklich, um nicht vereinsamt unterzugehen.

Passend zu meinen Selbstvorwürfen zwinkerte mir jetzt auch noch ein alter Bekannter von der hinteren Front zu. Bekannt im Sinne von, er hatte mich bereits begrapscht und schmierig versucht, mich abzuschleppen. Nicht mal in einem anderen Universum Junge. Kotz, würg. So wollte ich nicht lockerer werden. Wollte die Welt mich heute töten?

Routiniert griff ich mir ein Whiskyglas aus dem Regal und angelte den guten Glenmorangie aus seinem Versteck. Drei Fingerbreit Whisky dämpften meine Selbstmordgedanken auf ein erträgliches Level. Wenigstens hatte ich einen Holztresen zwischen der Meute aus schwitzenden Leibern und mir. Ein Blick rüber in den Hauptteil des Clubs zeigte mir eine überfüllte Tanzfläche voller Zombies, Skelette, Hexen, Vampire, Superhelden und na, was man an Halloween halt so findet. Krankenschwestern und ähnlich leicht bekleidete Damen. Körperkontakt war hier heute Programm. Ob man wollte oder nicht. Ich würde schön hierbleiben, auf der sicheren Seite des Tresens und das zu vermeiden wissen. Aber was machte ich mir vor? Sie wollten es! Keiner von denen hier war so eine verklemmte Moralapostelin wie ich. Wie sehr wünschte ich mir, nur einmal auch so zu sein und einfach in den Tag zu leben. Sex zu haben, einfach aus Spaß. Ohne Hoffnung auf Gefühle, ohne Selbstkritik, Ängsten vor Abweisung oder … Scham.

Schnell schob ich den Gedanken zur Seite, der da aufkam. Dabei war ich bis jetzt in meinen Beziehungen oft eher pragmatisch und wenig romantisch gewesen. Mit wenigen Ausnahmen. Aber egal welche, alle waren in die Hose gegangen, so fundamental, dass ich noch verkorkster aus der Sache rauskam. Oh, hör doch auf, dich selbst zu analysieren. Der nächste Whisky rann meine Kehle runter und verschaffte mir wenigstens eine wohlig entspannte Wärme im Bauchraum, wenn schon nicht in der Brust.

Eine Hand berührte meinen Arm und machte mich auf den Kerl vor mir aufmerksam, der verzweifelt versuchte, eine Bestellung loszuwerden. »Hey, sorry, was kann ich dir bringen?« Ich erhaschte nur einen Blick auf seine Seite, als er sich durch zwei Betrunkene vor der Bar zur Theke durchkämpfte, aber der verursachte schon ein seltsames Ziehen in mir. Wie etwas Aufregendes, ein Abenteuer und dabei seltsam vertraut. Erst nach einem Ellbogeneinsatz schaffte er es vollends, sich zu mir zu drehen, und mir stockte der Atem. Heiliger Zufall, der mir die Luftzufuhr abschnürte. Logan Dale! Der beste Freund meines Bruders, den ich ironischerweise seit Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte.

Etwas benommen wartete ich darauf, dass er mich erkannte, aber anscheinend war das nicht der Fall. Mein Versuch, mich vorzustellen, ging kläglich schief und ich bekam lediglich ein kratziges »Hi« raus. Seine Augen schmunzelten. Ja, sie schmunzelten! Bis zu diesem Zeitpunkt war mir selbst nicht klar, dass Augen so etwas konnten, aber genau das hatte er soeben bewiesen und ich fand es toll! Wie ich schon immer alles an ihm angehimmelt hatte. Ok Han, sperr mal dein zwölfjähriges Ich wieder in den Keller.

»Whiskey, drei Fingerbreit. Das ist ja der reinste Horror hier.«

Automatisch griff ich nach der Flasche hinter mir im Regal und seine Hand schloss sich um mein Handgelenk. Wow, das fühlte sich viel zu gut an auf meiner Haut. Ein Kribbeln machte sich auf meinem Arm breit und wanderte weiter in meine Brust.

»Was muss ich tun, damit ich die andere Flasche bekomme?«, rief er mir gegen den Lärm zu und zeigte mir seinen schönsten Augenaufschlag.

Er brauchte da gar nicht viel zu tun. Seine Augen waren umwerfend. Strahlend irgendwo zwischen Smaragd und Saphir und unheimlich intensiv im Ausdruck. Man fühlte sich wie der wichtigste Mensch im Raum, wenn er einen so ansah. Aber vielleicht ging es auch nur mir so. Leicht verlegen lächelte ich ihn schief an und füllte ihm und mir aus der guten, unverschämt teuren, 25 Jahre gereiften Flasche, eine ordentliche Menge in unsere Gläser und schob ihm seins zu. Das war jetzt mein dritter Whisky in Folge. Selbst wenn ich heute vernünftig gegessen hätte, würde ich Probleme bekommen.

»Süße, was bekommst du?«

Süße! Das Mädchen in mir freute sich, auch wenn solche Anmachdinger nicht mein Fall waren. Mein Bruder meinte, Logan wäre ein ziemlicher Player. Nun, das glaubte ich ihm sofort bei der Art, wie er mich ansah.

Spielen konnte ich auch, also theoretisch, solange ich in der Sicherheitszone blieb. Ich spielte nur nie bis zum Ende, weil ich irgendwann einknickte, den Schwanz einzog und mit angelegten Ohren davonjagte, bevor es zu ernst wurde.

Meine Unterarme auf den Tresen gestützt, um mein Dekolleté zur Geltung zu bringen, hauchte ich nah an seinem Ohr, so nah, dass meine Lippen in fast berührten. »Der geht auf mich Zuckerschnute. Guter Geschmack sollte belohnt werden.«

Für mich unerwartet drehte er den Kopf und brachte so unsere Münder gefährlich nah aneinander. Ein feines Prickeln zog über meine Haut, als sein warmer Atem mich streifte. Dieser Kerl hatte die schönsten Augen, die ich je gesehen hatte und so verdammt sinnliche Lippen. Völlig unangebrachte Gedanken.

Blitzschnell stieß ich mich vom Tresen ab, um mich in einen sicheren Abstand zu ihm zu bringen. Griff nach meinem Glas und prostete ihm zu. Beide kippten wir unseren Whisky in einem Zug runter. Das war mal ein Mann, kein Bacardi-Cola-Nuckler. Ob er im Bett auch so zielstrebig war? Johanna, denk nicht mal dran, der Mann war so was von tabu. Dennoch, mit ihm wäre ich bereit, meine Abstinenz zu beenden.

Automatisch wanderten meine Augen immer wieder zu ihm und schnell war klar, dass auch er seinen Blick unverwandt auf mich heftete, während ich die nächsten bediente und einen Drink nach dem anderen einschenkte. Anscheinend hatte der Jäger mich als Opfer auserkoren. Warum auch immer. An meiner atemberaubenden Schönheit konnte es sicher nicht liegen. Dadurch etwas verunsichert, lächelte ich ihn gelegentlich an und er strahlte jedes Mal regelrecht zurück.

War er etwa allein hier? Hoffentlich war er nicht mit meinem Bruder John gekommen. Wenn der sah, wie ich Logan anflirtete, konnte ich mich auf eine Predigt gefasst machen, die sich gewaschen hatte. Er hatte es nie gern gesehen, dass ich einen seiner Freunde anhimmelte. Wahrscheinlich fühlte er sich dadurch in seinem Revier bedroht oder so. Pinkel mir nicht an meinen Baum, Schwester.

In einer ruhigen Sekunde kehrte ich zu ihm zurück, ohne recht zu wissen, was ich eigentlich wollte, außer in seiner Nähe sein und ihn mal nach all der Zeit in Ruhe zu betrachten. Natürlich wäre das der perfekte Moment, um mich vorzustellen. Also theoretisch … moralisch richtig … »Wie ich sehe, hast du dir einen Barhocker ergattert. Magst du noch was trinken?«

Er wackelte mit den Augenbrauen und klopfte stolz zwischen seinen Beinen auf den hölzernen Sitz. »Nur ein wahrer Held und Kämpfer schafft es, an so einem Abend sich brav hinzusetzten und das Chaos stoisch zu ertragen. Ich nehme, was du nimmst.« Ich schüttelte leicht den Kopf. Langsam war ich mir nicht nur sicher, dass er keine Ahnung hatte, wer ich war, sondern auch, dass er tatsächlich mit mir flirtete. Wie gesagt, spielen konnte ich bis zu einem gewissen Punkt und auf das Spiel mit diesem Mann wartete ich, seit ich begriffen hatte, dass Männer zum Küssen da waren.

Ich sollte ihm wirklich sagen, wer ich war. Wirklich, also wirklich, wirklich! … Später! Erst noch ein wenig spielen auf besonderem Terrain. »Zuckerschnute, mein Tag heute ist furchtbar, also erwarte nichts Ausgefallenes. Süßes oder Saures?« Während ich das fragte, goss ich bereits Wodka in zwei Longdrink Gläser über Eiswürfel.

»Süß bist du doch schon, also fehlt Saures.«

Na ja, der Spruch war flach, aber man nimmt, was man kriegen kann. Wenn er mich mit seinen lahmen Sprüchen abschreckte, tat er mir eigentlich einen Gefallen. Denn meine Annäherungsversuche waren definitiv fragwürdig. Also schnappte ich mir den O-Saft, den ich ohnehin genommen hätte und füllte damit auf.

»Darfst du bei der Arbeit trinken?«

Mein Mundwinkel zuckte. »Nein, aber wer soll es mir heute verbieten? Keiner wagt sich, mich bei der Musik vom Alkohol fernzuhalten.«

Er lachte. »Was würde passieren?«

In dem Moment setzte Michael Jackson ein. Meine Augen verdrehten sich von allein. »Massenmord!«

Er lachte sein dunkles volles Lachen, dem ich früher so gern gelauscht hatte, wenn er mit meinem Bruder im Dunkeln nach dem Training bei uns auf der Terrasse gesessen hatte. Ich harrte als verliebter Teenager währenddessen hinter meinem Fenster aus und wünschte mir nichts sehnlicher, als dass dieser Junge mich einmal bemerken würde. Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass ich sehr wohl wusste, dass das nur eine dumme Schwärmerei war und sich das Ganze auch schnell relativierte, als ich ihn höchstens mal aus der Ferne sah. Aber anziehend war er für mich damals wie kein Anderer und die Schmetterlinge in meinem Bauch waren immer noch da und waren im Grunde nie verschwunden. Heute genau wie früher. Nur, dass ich ihn jetzt auf die erwachsene Art begutachtete, und das brachte keine unschuldigen Gedanken mit sich, wie seine Hand zu halten oder mit ihm ins Kino zu gehen. Höchstens mit wandernden Händen auf seinem sexy Körper. Den Film würde ich sicher nicht beachten.

Hilfe! Akuter Fall von Hormonexplosion. Ich musste mich dringend unter Kontrolle bringen. Verstohlen sah ich auf die Uhr, während ich mich um die anderen Gäste kümmerte und so den dringend benötigten Abstand zwischen uns brachte. Noch 20 Minuten. Dann konnte ich endlich verschwinden. Mein Blick fiel auf seine blaugrünen Augen und ich war mir zum ersten Mal heute Abend nicht mehr so sicher, ob ich nicht nur die Seite am langen Tresen wechseln würde.

Schlechte Idee!

Aber brachten die einem nicht den meisten Spaß? Wir würden uns, wenn überhaupt, ewig nicht wiedersehen und John musste doch nichts davon erfahren. Schließlich hatte er mich nicht mal erkannt.

»Als was bist du eigentlich verkleidet?«, fragte ich ihn, als ich damit beschäftigt war, zwei Cocktails zu mixen. Praktischerweise saß er genau vor dem Stück Theke, unter dem sich der Kühlschrank mit Säften und Früchten befand. Na ja, einer von vier. Sonst hätten wir das bei der langen Bar, die in einem neunzig Grad Winkel in den Raum mit Tanzfläche abbog, nicht gemeistert.

»Psychopath!«

Jetzt grinste ich ihn offen an. Ganz mein Humor. »Denen sieht man es nie an.« Er prostete mir zustimmend zu.

Keiner von uns beiden hatte ein echtes Kostüm. Er trug eine graue, verwaschene Levis und ein Hard Rock Café Shirt aus New York, das sich schön eng an seinen Oberkörper schmiegte und jedes Mal am Oberarm spannte, wenn er trank. Ein sehr netter Anblick. Ich trug eine schwarze Jeans mit einigen Löchern und ein eng anliegendes, dunkelgraues T-Shirt, das am Hals kein Bündchen mehr hatte und über der linken Brust einen Riss aufwies. Dazu meine Kette mit dem Kreuz von König Artus Grab. Mein Highlight heute waren die kleinen Ringe in meiner oberen rechten Ohrhälfte, die nur eingeklemmt waren, aber aussahen, als wären sie tatsächlich durchgestochen. Genauso wie die Magnetstecker in den Ohrläppchen und der Nase. Zusätzlich hatte mir Scott, bevor er zum Flughafen gefahren war, mit einem abwaschbaren Stift zwei Tattoos aufgemalt. Eins am rechten Handgelenk, direkt über der Hauptschlagader, dass ein keltisches Zeichen aus drei Ovalen darstellte und das andere an den linken Oberarm. Etwas peinlich, aber man sollte keine Wette gegen Scott verlieren, das Batmanzeichen. Abgerundet hatte ich das finstere Outfit mit Smokey Eyes, dunkler und größer ausgelegt als sonst, schwarzem Nagellack und dunkelrotem, fast schwarzen Lippenstift. Oh, nicht zu vergessen die dunkelbraune auswaschbare Haartönung, die meine sonst eher mittelblonden Haare für Halloween in neuem Glanz erstrahlen ließ. Alles in allem war ich heute eher nicht als die kleine Hannah von früher zu erkennen. Ok, ich hatte meistens einen französisch geflochtenen Zopf zu der Zeit. Da war es nicht schwer, einen neuen Look zu kreieren.

Abschließend garnierte ich die Cocktails mit Schirmchen und Ananas und verteilte sie an die sehnsüchtig Wartenden. Zurück an meinem Platz rief er: »Und du? Was ist deine Verkleidung?«

Aufreizend ließ ich meine Hände eng an den Seiten runtergleiten und klimperte mit den Wimpern. »Drogensüchtige!« Lauthals lachte er. »Dir fehlen die Einstiche.«

Ich zwinkerte ihm zu, während ich schon nach dem nächsten Glas griff und gleichzeitig in hohem Strahl zwei Spirituosen darin vermischte. »Ich steche zwischen meinen Zehen. Gott weiß doch jeder.«

Er schüttelte lächelnd den Kopf und leerte sein Glas, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Musst du bis zum Ende arbeiten?«

Schwer stützte ich mich vor ihm auf den Tresen und gab ihm damit erneut eine beachtliche Aussicht auf mein Dekolleté. »Dann würde ich mich wohl auf dem Klo erhängen. Nein, in genau 8 Minuten darfst du mich abschleppen.« Warum hatte ich das gesagt? Ich war eindeutig unzurechnungsfähig.

Seine Pupillen weiteten sich und er leckte sich eher unbewusst über die weichen Lippen, bevor er seine Augen von meinen Brüsten nach oben navigierte und mich fest und absolut eindeutig ansah. »Nichts lieber als das, Süße!«

 

Versuchungen

 

Ich musste ihm sagen, wer ich war.

Das musste ich dringend!

Das hier war falsch und unmoralisch und nicht ich. Überhaupt nicht ich.

So war ich nicht!

Aber verdammt noch mal seine Augen, seine Lippen, sein Geruch.

Nur einmal wollte ich diesen Mund kosten. Ein Kuss, nur ein Kuss und dann würde ich mich herausreden und verschwinden und für immer davon träumen.

Gerade lehnte er sich wieder unanständig nah zu mir rüber und strich über meinen Arm. Ich saß ja ohnehin schon halb auf seinem Schoß, seit wir uns nach hinten in die Sitzecke verzogen hatten. Und mal ehrlich, für weitere Kennenlerngespräche hatten wir beide mittlerweile zu viele Drinks und die Musik war zu laut hier hinten. Nicht, dass wir die letzte Stunde nicht geredet hätten, aber die körperliche Anziehung übernahm vehement die Regie.

Da gab es nichts schönzureden. Ich wollte ihn, wie nie einen Mann zuvor und ich wollte mein Abenteuer. Die halbherzigen Versuche, die wir unternahmen, damit das hier nicht nur nach Sex schrie, hatten dürftigen Erfolg.

Logan Dale war noch heißer als früher und definitiv nicht in meiner Liga, aber ihm schien das nicht aufzufallen und ich würde ihn sicher nicht daran erinnern.

Schwer lehnte ich mich an seinen Oberkörper und berührte zart mit den Lippen sein Ohr, als ich fragte: »Kommst du eigentlich aus London?« Natürlich kam er aus London. Schließlich hatte er jahrelang neben mir gewohnt, aber seit Studienbeginn war er in Cambridge sesshaft. Mein Verstand hatte sich zwar größtenteils aufgelöst, aber das bekam ich noch hin. Schnell kippte ich den Rest meines Drinks runter, um den schalen Geschmack des schlechten Gewissens herunterzuwürgen.

Sein Arm zog mich an der Taille fest an sich und auf seine Beine. Natürlich nur damit ich ihn besser verstand bei der Lautstärke. Klar! »Meine Eltern wohnen hier, aber ich bin nur zu Besuch in London. Wohne in Cambridge.«

»Studium?«

Er lächelte und strich mit dem Daumen verstörende Kreise auf meiner Hüfte, die mich weitestgehend davon überzeugten, dass es nur halb so schlimm war, ihm zu verheimlichen, wer ich war, um in diesen Genuss zu kommen. Schließlich war ich erwachsen und wir sahen uns doch nie. Er wackelte mit den Augenbrauen und lächelte mich unwiderstehlich an. O Mist, ich war hoffnungslos verloren. »Ursprünglich. Danach bin ich geblieben. Jetzt arbeite ich dort.«

Ich nickte beiläufig und strich ihm unvermittelt sein Haar aus der Stirn. Die Geste kam mir viel zu zärtlich und vertraut für einen unbedeutenden Flirt vor. Aber was wusste ich schon davon?

Witzigerweise hatte er mir seinen Namen noch gar nicht gesagt. Gut, ich hatte nicht gefragt. Ich wusste ihn, aber das war eine perfekte Ausrede. Wenn einer fragte, ich hatte ihn nicht erkannt. Fertig!

Mein Magen zog sich vor Aufregung zusammen, als ich seine Wärme so nah an mir spürte. Keiner hatte je so große Bedürfnisse in mir geweckt wie er. Weder als unschuldiger Teenager noch jetzt als großes Mädchen. Alles, was ich denken konnte, war: Ich will ihn küssen. So sehr, dass ich keine Luft mehr bekam. Seine Lippen schienen den einzigen Sauerstoff der Umgebung für mich bereitzustellen. Mein allererster Gedanke, dass man einen Jungen küssen konnte, ohne zu würgen, war mir bei ihm gekommen. Heute kribbelten in seiner Nähe nicht nur meine Lippen, sondern Körperteile, die sonst wesentlich länger brauchten, um auf einen Mann zu reagieren.

Vielleicht war auch einfach nur der Alkohol daran schuld. Genau! Das war die Erklärung. Was allerdings, genauer betrachtet, wesentlich unverantwortlicher von mir wäre und eine echt miese Entschuldigung.

Immer noch spielte ich mit seinen Haaren, die so weich waren, dass ich seufzen wollte, und meine Fingerspitzen glitten dabei sanft über seine Stirn. Mit dunklen Augen beugte er sich vor. »Und du? Gebürtige Londonerin oder zugezogen?« Seine Hand lag schon unanständig weit oben auf meinem Bein und sein Daumen rutschte an die Innenseite meines Oberschenkels, während er sprach.

Heiser von den kleinen Blitzen, die mir durch den Unterleib schossen, antworte ich. Dabei zog ich meinen Mund deutlich über seine Haut, was nicht nur meine Lippen ein Feuerwerk erleben ließ. Mir gefiel das leichte Zucken, dass ich damit bei ihm auslöste. Mir gefiel eigentlich alles an unserer Situation. So nah, näher an ihm, als ich je erhofft hatte. »Gebürtige waschechte Londonerin.« Mein Mund wanderte hauchzart über seine Wange und er drehte sich mit mir in die richtige Position. So warm, so anders als sonst bei anderen Männern. Es fühlte sich viel zu bedeutend an.

Ein kleiner angstvoller Stich durchzuckte mich bei der Vorstellung, wie weh ich mir hiermit vielleicht tat. Konnte ich das wirklich mitnehmen und damit zufrieden sein? Nur diese kleine Kostprobe und dann … nichts mehr? Aber es war schon zu spät für mich und ich von ihm und vom Alkohol viel zu betrunken, um einen Rückzieher zu machen, als sein Atem warm meine Lippen traf. Mein Herz stolperte. Keine Ahnung, ob aus Gewissensbissen, Aufregung, Erregung oder wegen dieses seltsam vertrauten Gefühls. Dieser Mann gehörte mir. Ich wollte ihn für mich. Ganz allein nur für mich. Nur ein Mal. Nur ein verfluchtes Mal wollte ich rein nach meinen Bedürfnissen handeln und den Verstand ausschalten.

Wieder zuckte eine Spur Angst durch mich durch. Das hier war falsch. Das war ich nicht. Weder log ich, noch verstellte ich mich, noch hatte ich je One-Night-Stands. Ich war die Vernünftige, die alles plante und abwog.

Schnell haute ich mir selbst in Gedanken eine rein. Was soll denn schon passieren, außer dass du einmal Erfahrungen machst und schockierenderweise Spaß haben könntest.

Noch ist es nicht mal ein Kuss.

Oh, ich will diesen Kuss!

Dann lebe einmal und nimm dir, was du willst.

Gönn dir wenigstens den Geschmack seines Mundes.

Nur das!

Nur einmal!

So oft hast du davon geträumt.

Die Sekunde, als die Wärme seiner Lippen schon auf meinen zu spüren war. Diese Sekunde vor dem Kuss, den man sich ersehnt, wenn einem das Atmen schwerfällt, wenn die Brust sich zusammenzieht. Köstlich, wundervoll und noch nie so grausam, so voller Sehnsucht wie in diesem Moment. Angst, das Falsche zu tun. Angst, nie zu wissen, wie er schmeckt. Eins wusste ich. Das hier war meine einzige Chance, ihm so nah zu kommen. Wenn ich ihm sagte, wer ich war, war alles vorbei. Aber ich wollte ihn so sehr, so nah wie nur möglich. Meine Kehle zog sich vor Verlangen zusammen und mein Herz setzte aus. Eine Sekunde und so viel, was in mir vorging. Bitte küss mich. Bitte …

Und dann … Erlösung. Köstliche wundervolle Erlösung. So anders als sonst. So schön. Wärme, die sich wie Sonnenstrahlen durch meinen Körper ausbreitete, als er sanft meinen Lippen berührte. Neckend an meiner Unterlippe knabbernd, öffnete er das Tor zu mehr und ich gab es ihm mit einem erleichterten Seufzer. Seine Zunge, die vorsichtig und sanft mit meiner spielte und schnell zu mehr mutierte. Beide klammerten wir uns regelrecht aneinander, während der Kuss schnell leidenschaftlicher wurde. Seine Hand fest in meinem Nacken eroberte er meinen Mund und ich erfüllte nur zu gern seine Forderungen. Mit geschlossenen Augen gab ich mich ganz diesem Gefühl hin und fühlte mich zu Hause. Verlor mich in ihm und ließ alles los. Die Welt löste sich auf im Nebel und ich fühlte mich wie schwerelos nur mit ihm als Anker.

Auch das, dieser Kontrollverlust war so untypisch für mich. Um Himmels willen, was passierte da nur mit mir.

Als er sich sanft von mir löste, die Hand verweilte, allerdings besitzergreifend in meinem Nacken, war ich völlig von Sinnen und brauchte einen Moment, um mich wieder daran zu erinnern, wo ich überhaupt war. Die Musik, der Lärm der anderen Menschen, der Geruch, all das war verschwunden, als nur er gezählt hatte.

Unter schweren Lidern sah er mich an und flüsterte mir ins Ohr. »Wow, ich glaube, das war der heißeste Kuss, den ich je bekommen habe.«

Das konnte ich nur unterschreiben. Und dann tat ich etwas, wofür ich in die Hölle kommen würde. »Lass uns hochgehen. Ich habe ein Zimmer im Hotel.« Ich war komplett durchgedreht. Unzurechnungsfähig. Ich konnte selbst nicht fassen, wie groß mein Verlangen danach war, das durchzuziehen.

Nervös spürte ich, wie er leicht verkrampfte und mich musterte. Still rechnete ich schon mit einer Abfuhr und erschrak, wie enttäuscht ich wäre.

»Ich weiß nicht mal deinen Namen.«

Meine Hände krallten sich besitzergreifend in seine Oberschenkel. Er sollte jetzt nicht gehen. »Ist unwichtig.«

Sein Blick wurde grimmig und er sah aus, als wollte er mich anmotzen und lachen gleichzeitig. Fasziniert beobachtete ich, dass er mit sich kämpfte. Er wollte mich genauso wie ich ihn, da war ich mir sicher, aber auch er war anscheinend nicht völlig frei von Prinzipien. Das gefiel mir umso besser und ein wohliges Gefühl machte sich in mir breit.

Also lächelte ich ihn entwaffnend an. »Du darfst mich Jo nennen.« Dann strich ich mit der Nase über seine Schläfe und raunte: »Oder Jo stöhnen … Jo, du bist so feucht … so eng.« Automatisch drängte sich sein Körper näher an meinen. »Oder schreien … Jo, fuck, du bist so gut.«

Ein tiefer Atemzug hob seine Brust, bevor er mich neckte. »Solltest du nicht eher so was schreien?«

Sanft biss ich in die Haut an seiner Schulter und fuhr dann mit der Zunge darüber. »Eigenlob stinkt.« Sein Lachen vibrierte durch meinen Körper. Warum schmeckte er nur so gut? Warum war ich so hemmungslos, so mutig? Ah, stimmt Alkohol. Oder lag es doch an ihm? Egal!

Seine Finger gruben sich an meinen Hinterkopf. »Was auch immer du mit mir anstellst, es fühlt sich gut an. Also ja, lass uns gehen.«

In mir explodierte eine Emotionsbombe. Pures Glück, Verlangen und Angst, Gewissensbisse, Schuldgefühle und das Wissen, dass ich es morgen bereuen würde. Sein Geruch stieg mir in die Nase und verdrängte alles, bis auf das Verlangen nach ihm und diese Sehnsucht, die sich seit dem Moment, als ich ihn an der Bar hatte sitzen sehen, aufgebaut hatte. Einmal nur wollte ich seine Haut an meiner. »Ich muss nur kurz meine Zimmerkarte holen. Wir treffen uns im Gang hinter den Toiletten vor der Tür zum Hotel.«

Sanft zog er mich an sich, hauchte ein: »Okay« auf meinen Mund und küsste mich kurz. Das Blut rauschte mir in den Ohren und ich erschrak, wie wackelig ich mich fühlte, als ich aufstand. Eindeutig hatte ich mehr getrunken, als gut für mich war. Das bewies auch mein Gang Richtung Personalraum, der mir vorkam, als würde ich auf einem schwankenden Schiff laufen. So betrunken war ich ewig nicht gewesen. Wenn überhaupt jemals. Ich sollte das hier beenden und den Rest Würde schützen, der mir noch blieb. Aber ich war es so Leid, zu tun, was ich sollte.

Bei der Tür angekommen sah ich mich instinktiv um, genau in dem Moment, in dem Logan vor der Ecke zum Gang sich zu mir umdrehte und mir zuzwinkerte. Wie bitte sollte ich diesem Mann widerstehen? Nein, ich würde das durchziehen und nicht ewig bereuen gekniffen zu haben. Dennoch, Panik breitete sich wie Säure in mir aus. Meine Hände begannen zu zittern und rutschten fast von der Klinke ab, als ich die Tür von innen schloss. Schwer atmete ich ein paar Mal durch.

Wollte ich das wirklich? Sollte ich das? Ich hatte noch nie einen One-Night-Stand gehabt. Meine Güte. Ich hatte im Grunde weniger Erfahrung als die meisten 16-Jährigen. Das hier war nicht nur meilenweit von dem entfernt, was ich sonst tat. Nein, das war absolut gegen meinen moralischen Kompass. Aber Logan Dale! Ein Seufzen erklang und ich wunderte mich über mich selbst. Als er an der Bar aufgetaucht war, fühlte ich mich sofort von ihm magisch angezogen. Das war nicht nur ein Resultat der Vergangenheit.

Dass er wie viele andere Gelegenheitssex nicht abwegig fand, sprach doch nicht gegen ihn.

Oder?

Nein!

Wenn hier einer nicht erwachsen war, dann ich. Meine Nerven flatterten und ich war kurz davor durchzudrehen. Entscheid dich! Kneifen oder einmal in deinem Leben mutig sein und die Chance ergreifen, was Verrücktes zu tun, das dich glücklich macht. Beweis dir endlich, dass du in dieser Welt klarkommst und nicht ein sentimentales Wrack mit überzogener und völlig abwegig romantischer Vorstellung von Liebe und ewiger Treue bist. Das existiert nicht. Aber Logan existiert und er ist hier und wartet auf dich.

Ohne es zu merken, hatte ich eine von Scotts Whiskyflasche an den Mund gesetzt und mich ordentlich daran bedient. Nicht die beste Entscheidung, noch mehr zu trinken, aber es beruhigte mich etwas.

Nein, ich würde mir nie verzeihen, wenn ich ihn gehen ließ. Nach einem letzten tiefen Schluck aus der Flasche schüttelte ich meine verkrampften Arme und schnappte mir entschlossen eine freie Zimmerkarte vom Brett an der Wand.

»Da bist du ja.«

Hinreißend! Dachte ich. Wie er lässig an der Wand lehnte. Konnte ein Mann hinreißend sein?

Kurz stolperte ich fast über meine Füße. Böser Alkohol, der miese Verräter. Meine Hand streifte lasziv seine Brust, als ich an ihm vorbeiging, um meine Karte an das Lesegerät zu halten. Mit einem Klacken sprang das elektrische Türschloss auf und wir verschwanden dicht aneinandergedrängt in der Stille des Treppenhauses. Kaum traf mich die Kühle im Flur, spürte ich den Alkohol noch intensiver. Wahrscheinlich war das mit dem Whisky eben keine besonders gute Idee gewesen. Zu viel und zu schnell.

Plötzlich standen wir schon, wie hin gebeamt vor der Zimmertür und ich taumelte rückwärts hinein. Meine Hände fest in sein Shirt gekrallt. Schwer prallten unsere Körper im nächsten Moment zusammen und unsere Münder verschlangen sich augenblicklich. Mein Kopf wurde immer träger und schwerer, als der neue Alkohol durchs Blut kroch. Ich taumelte kurz und hielt mich an ihm fest.

»Hey Süße, wie betrunken bist du?«

Ich vergrub meinen Kopf an seinem Hals. Gott, er roch so gut! Wieso roch er so gut? »Nur angeheitert, keine Sorge.«

Bestimmt schob er mich auf Abstand und, wie auch immer ich das schaffte, aber ich sammelte meine ganze Konzentration und sah ihn ruhig an. Meine Stimme lallte nicht mal besonders. Das Bisschen konnte man auch der Erregung zuschreiben. »Ernsthaft, alles in Ordnung!«

Skeptisch musterte er mich. »Bist du dir sicher, dass du nüchtern genug bist, um solche Entscheidungen zu treffen? Es ist okay, wenn wir aufhören.«

War er nicht süß? Awww! Dennoch grinste ich spöttisch. »Für dich vielleicht!« Meine Entschlossenheit, das durchzuziehen, überraschte mich erneut. »Pass auf, frag mich was Kompliziertes und ich beweise dir, dass ich klar im Kopf bin.« Mein Kopf war die reinste Zuckerwatte. Flauschig und verklebt, aber glücklich. Ziemlich miese Idee. Sanft schob ich meine Hände unter sein Shirt. Warum war seine Haut so weich? Seufz!

Er reagierte herrlich mit einem schweren Heben der Brust. Er wollte das hier genauso wie ich. Daran hatte ich keinen Zweifel. »Ok, Süße. Die Zahl Pi?«

Welch Glücksfall! »3,14159265«

Er lachte mit dem Mund an meinem Hals. »Das war unerwartet genau.«

Ich neckte ihn, während meine Finger diesen wundervollen, perfekten Bauch erkundeten. »Siehst du, alles bestens. Was ist mit dir? Zu betrunken?«

Seine Finger übten sich in der gleichen Kunst wie meine und bescherten mir eine Gänsehaut. »Nein, keine Sorge.« Mein Mund traf seinen und er brummte genießerisch, als unsere Zungen sich streichelten. Das fühlte sich so gut an mit ihm. Lachend zog ich ihn Richtung Bett und fiel fast rückwärts auf die Matratze, hätte er mich nicht gehalten. »Nicht so stürmisch, Süße«, kam noch über seine Lippen, bevor ich völlig in unseren nächsten Kuss versank und mich fallen ließ. In dem Gefühl, nach Jahren endlich da zu sein, wo ich hingehörte in Logan Dales Arme.

 

Filmriss

 

Oh verdammt! Mein Kopf pochte unerbittlich. Was bitte hatte ich verbrochen, um diesen Schmerz zu verdienen. Meine Augen klebten regelrecht zusammen und als ich mich zwang, sie vorsichtig zu öffnen, stach es direkt in meiner Stirn. Dabei war es noch fast dunkel. Steckte da ein Eispickel in meinem Kopf? Stöhnend drehte ich mich, um an mein Handy zu kommen, und stieß dabei an einen warmen Körper.

Warte Körper? Mensch … neben … mir? Himmel! Was hatte ich getan?

Zögerlich schielte ich unter halb geschlossenen Lidern rüber zur anderen Bettseite. Der Platz in der Hölle war mir ab heute gewiss. Logan Dale lag neben mir im Bett und ich hatte keine Ahnung warum. Warum? Wie süß er aussah. Nein, darum ging es jetzt nicht.

Langsam und systematisch überlegen Johanna, was zum Teufel war gestern passiert. Also ich war hinter der Bar und er saß davor, daran konnte ich mich einwandfrei erinnern. Wir haben geflirtet. Wir … oh ja wir haben uns geküsst. Ein wohliger Schauer lief mir bei der Erinnerung an seine weichen Lippen über meinen Rücken. Automatisch fuhren meine Finger über meinen Mund. Und dann? Einzelne Bilder wie wir ins Zimmer stolperten, weitere Küsse, aber alles vage und dann nichts. Egal, wie sehr ich es versuchte, wie oft ich den Abend durchkaute.

Nichts!

Das konnte doch nicht wirklich mir passieren. Holy Moly, mein erster waschechter Filmriss. Gut, ruhig bleiben und logisch an die Sache rangehen. Da half nur eine Bestandsaufnahme.

Sorgenvoll sah ich an mir runter. Ich trug mein Shirt, meinen BH und meinen Slip. Das war gut. Oder? Keiner hatte Sex und zog sich wieder penibel an. Würde ich zumindest vermuten. Woher sollte ich so was auch wissen? Er trug Boxershorts, uh, enge Shorts, die mir zeigten, dass er was in der Hose hatte.

Ich verweilte einen Tick zu lange, um als anständig durchzugehen auf besagtem Körperteil, bevor ich meine Augen weiter nach oben zwang auf sein Shirt. Nein! Wir hatten sicher nicht miteinander geschlafen. Nein, nein, nein! Ich weigerte mich schlichtweg, das zu glauben. Oder? Oh, bitte nicht!

Zittrig starrte ich ihn weiter an. Nein, ich weigerte mich, zu glauben, dass ich so meiner Natur zuwidergehandelt hatte. Die nervige kleine Stimme flüsterte: Aber es ist Logan und er sieht einfach zum Anbeißen aus.

Das tat er wirklich. Vielleicht sollte ich mir einen Happen gönnen.

Meine Brust zog sich zusammen, als er sich leicht im Schlaf bewegte. Shit, ich musste hier weg, bevor er nachher aufwachte und mich erkannte. Schnell rollte ich mich so unauffällig wie möglich aus dem Bett und sprang in meine Hose. Was, wenn ich tatsächlich mit ihm geschlafen hatte? Herr im Himmel, wie konnte ich nur so unverantwortlich sein. Was sagte das über mich aus? Sollte ich ihn wecken und fragen? Sollte ich ihm doch besser sagen, wer ich war?

Panisch schüttelte ich für mich selbst den Kopf. Nie im Leben! Das wäre in so vielerlei Hinsicht demütigend, dass ich mich schon bei dem Gedanken fühlte wie in Game of Thrones. Nackt durch die Straßen laufend. Shame, Shame. Ich schämte mich wirklich. Sollte ich meine einzige Nacht mit ihm vergessen haben? Wie furchtbar war das denn bitte? Da machte man schon so einen Mist, war einfach mal impulsiv, wenn auch auf nicht ganz vertretbare Art und Weise, und dann wusste man nicht mal was davon? All die schönen verachtenswerten Details verschwunden im schwarzen Loch des Alkohols? Wie bitte sollte ich denn wenigstens von meiner Dummheit in Form von Tagträumen zehren? Das Schicksal bestrafte mich sofort. Wunderbar!

Leise schlich ich an ihm vorbei und betrachtete ein letztes Mal wehmütig sein Gesicht. Verflucht, warum zog sich meine Brust vor Bedauern zusammen, bei dem Gedanken zu gehen. Nur Nostalgie Han. Er war deine erste Schwärmerei und daran hängt man. Nichts sonst! Ich würde mir tunlichst verbieten, dieses kribbelige Gefühl in mir genauer zu betrachten, geschweige denn zulassen, mehr als nur Sympathie zu fühlen. Meine Finger zuckten in seine Richtung und wollten ihn berühren, ihn behalten.

Behalten? Echt jetzt? Nein, Gott, geh endlich und komm zur Vernunft. Er darf nie erfahren, wer du bist. Dafür würde er dich noch mehr verachten, als du es selbst schon tust. Shit, ich musste hier sofort raus, bevor ich einen Nervenzusammenbruch bekam. Mit den Schuhen unter einem Arm verließ ich zügig das Zimmer und flitzte nach unten in den Personalraum, um meine Tasche zu holen. Obwohl ich einen Kater hatte, der an einen angepissten Löwen erinnerte, regelte ich wunderlicherweise meine Vertuschung vorbildlich. Mein Name im Dienstplan änderte ich von Hannah in Jo. Mein Zimmer war nun sowohl im Gästebuch als auch im Computer ordentlich für Jo Hansen eingetragen. Der erste Name, der mir eingefallen war. Nicht besonders fantasievoll, aber es würde schon reichen. Und ich schaffte es sogar, mich nicht dabei zu übergeben, obwohl mein Magen nicht nur wegen des Alkohols am seidenen Faden hing. Eindeutig praktisch, dass ich hier gewissermaßen Assistentin der Geschäftsführung war und alle Passwörter und Berechtigungen hatte. Jetzt aber raus, bevor er nachher nach mir suchte.

Würde er das? Ein kleiner Stich in meiner Brust machte mir klar, dass ich mir genau das wünschte. Vielleicht viel zu sehr. Definitiv zu sehr!

 

 

Beichte

 

»Du hast sicher nicht mit ihm geschlafen. Selbst betrunken bist du dafür zu … brav.« Sie meinte prüde, aber egal. Wenn sie wüsste, über wen wir hier redeten, dann würden sicher sogar ihr Zweifel kommen. Sie wusste, wie vernarrt ich jahrelang in ihn gewesen war. Aber sie war seine Schwester und deswegen war ich nicht fähig, ihr das zu gestehen. Noch nicht! Eigentlich war sie auch nicht meine erste Wahl für dieses Gespräch, aber Scott war anscheinend nicht erreichbar. Katersumpf oder fremde Frau für eine Nacht. Oder Zeitverschiebung. Die blöden Ausreden halt. Was auch immer. Er ging nicht ans Telefon und ich war kurz davor durchzudrehen und musste mit jemandem sprechen, bevor ich explodierte. Die Sache überforderte mich schlichtweg. Noch nie hatte ich so einen Unsinn getrieben.

Nervös knabberte ich an meiner Nagelhaut. »Liz, vielleicht haben wir nicht mal verhütet.« Der Gedanke durchzuckte mich siedend heiß und brachte mich erneut an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. »Ok, Han, das reicht. Du atmest jetzt tief und gleichmäßig in eine Papiertüte und ich komme vorbei und bring dich wieder in die Spur.« Ich nickte nur. Dankbar dafür, dass sie begriff, wie fertig mich das alles machte. Am Telefon natürlich unheimlich wirkungsvoll. Aber Liz hatte schon aufgelegt. So war sie. Voller Energie und Tatendrang.

Keine 20 Minuten später saß sie mir gegenüber auf der Couch und zog die Augenbrauen zusammen. »Scheiße siehst du scheiße aus.« Das brachte mich jetzt doch zum Kichern, was wiederum diese schmerzhaften Nadeln in meinen Kopf aktivierte. Nicht gut. Unwillkürlich fasste ich mir an die Stirn und kniff die Augen zusammen »Han, wenn du gevögelt worden bist, dann nicht gut. Keine Spur Sex Glanz auf deiner Haut.«

Was sollte ich bitte darauf antworten? Dann war dein Bruder anscheinend nicht gut im Bett. Grrr. Eisern klammerte ich mich an meinem Wasserglas fest, um nicht wieder in Panik auszubrechen, als ich sarkastisch mitteilte. »Die spektakuläre Menge an Spirituosen, die ich intus hatte, hat wahrscheinlich alles nachhaltig zerstört.«

Geradezu unerträglich fröhlich sprang sie auf »Ich mach’ uns jetzt erst mal Kaffee und dann bestelle ich uns was zu essen. Du hast deinen ganzen Kuschelfaktor verloren.« Kurz flackerte etwas in ihren Augen, vielleicht Mitleid, aber ich wendete mich schnell ab. Ich wusste, wie viel Gewicht ich nach der Trennung von meinem letzten Freund verloren hatte, weil einfach wochenlang nichts in meinen Magen wollte. Dabei lag es nicht daran, dass ich so unsterblich verliebt gewesen war. Eher daran, dass ich nicht glaubte, jemanden finden zu können, der mich ertragen konnte und der dann auch noch gut zu mir war oder wenigstens nicht der letzte Arsch.

Gut, seine Bemerkung, ich wäre ihm etwas zu fett, hatte sicher auch Effekt gezeigt. Aber das war etwas, was ich ihr nicht erzählt hatte. Wie so viele Dinge, die ich nur mit mir ausmachte. Auch ein Grund, warum sie bei meinem Anruf sofort losgestürmt war. Wahrscheinlich waren bei ihr alle Alarmglocken losgegangen bei meinem freiwilligen Geständnis. Wenn ich um Hilfe rief, war es schlimm, verdammt schlimm für mich. Die Wahrheit war schlicht, ich war miserabel darin, anderen zu vertrauen und erst recht mich anzuvertrauen oder gar auf jemanden zu verlassen. Für mich war der Schmerz vorprogrammiert. Verrat, Verlust oder einfach nur Gleichgültigkeit, die mich traf, waren keine Möglichkeiten, sondern nur eine Frage der Zeit. Also warum auf das Unabwendbare freiwillig zu steuern.

Als wäre nichts passiert, trällerte sie fröhlich weiter. »Eine Schande Logan kocht heute.« Bei seinem Namen zuckte ich nervös zusammen, aber sie schien es nicht zu bemerken. »Weißt du Han, Logan kocht richtig gut. Aber so, wie du aussiehst, kann ich dich unmöglich zu ihm bringen. Dann verbietet er mir den Umgang mit dir.« Sie lachte ihr etwas irres Lachen. »Du Trinker du. Wenn meine Eltern wüssten, wie schlimm du bist. Dabei halten sie dich für die Vernünftige von uns beiden, die Ehrbare mit Zukunftsvision und Erfolgsversprechen.« Das war mir neu und kam überraschend. Andererseits waren ihre Eltern so rar, dass ich sie kaum kannte. Sie zwinkerte mir übertrieben zu und schnalzte mit der Zunge. Zumindest vernünftig war ich. Bis gestern war ich vernünftig gewesen.

Leise fragte ich: »Bleibt Logan länger?«

Mittlerweile durchwühlte sie die Zettel der Lieferdienste. »Gott bewahre, dass er es mal länger als drei, vier Tage in London aushält. Nur wenn er geschäftlich hier zu tun hat, sonst würde er schließlich Geld verlieren. Der Kerl ist der reinste Workaholic und stets auf Profit aus. Sei froh, dass du dir den aus dem Kopf geschlagen hast. Beziehungsunfähig. Eindeutig. Oh Thai?«

Ich nickte, weil es mir vollkommen egal war, was ich mir gleich reinwürgen musste, und quetschte sie weiter aus. »Er war doch ewig mit dieser Rachel zusammen.«

Mindestens dreißig Sekunden sah sie mich durchdringend an und verengte ihre Augen immer mehr zu Schlitzen. »Han? Hast du etwa immer noch feuchte Träume über meinen großen Bruder? Nach all den Jahren? Wie lange hast du ihn nicht gesehen? 6 Jahre?«

Feuchte Träume, feuchte Erinnerungen. Was macht das schon für einen Unterschied? Ach ja, ich HATTE ja gar keine Erinnerungen. Wahrscheinlich lief ich vor Scham leicht rosa an. Allerdings waren es fünf Jahre und drei Monate, zumindest bis gestern. Eigentlich ein Wunder, dass ich ihm nie wieder gegenübergestanden hatte seit dieser Silvesterparty bei uns. Wobei er mich da gar nicht gesehen hatte. Zuletzt mit ihm geredet hatte ich im Sommer davor, als er mit John ins College nach Cambridge aufgebrochen war. Dabei war ich öfter bei Liz und ihrem Bruder Trip. Schicksalhafterweise aber nie, wenn er zu Besuch da war und auch bei unseren Besuchen in Cambridge bei meinem Bruder, war er immer unterwegs gewesen. Oft hatte ich schon daran geglaubt, dass es ein Zeichen des Universums war. Der nicht, Hannah, der nicht.

Seufzend fiel mein Kopf nach hinten gegen das Polster. »Entschuldige das Interesse. Ich höre schon auf.« Ein Knall ertönte und ich schrie auf. »Verflucht Liz!«

»Tschuldigung, hab nur die Cola Flasche runtergeschmissen. Er war übrigens ungefähr 2 Jahre fest mit ihr zusammen. Danach war es ein ewiges Hin und Her und sie war scheußlich.«

Langsam drehte ich mich zu ihr, die Finger auf meinen Schläfen kreisend. »Warum?«

Sie lächelte schief. »Sie war nicht du.« Dann lachte sie, als sie meinen geschockten Blick sah. »War nur ein Scherz. Ich kannte sie ja kaum. Eigentlich seltsam, oder? Nach so langer Zeit.« Blätternd seufzte sie. »Ach Han, irgendwie wollte ich immer, dass du einen meiner Brüder heiratest und ich offiziell Tante deiner Kinder werde. Dann brauche ich mich nicht um Eigene zu kümmern. Aber Logan hast du echt nicht verdient. Der ist ein ziemlicher Casanova. Nur im Vertrauen. Ich denke, er hat gestern auch eine abgeschleppt.«

Wieder stöhnte ich vor Schmerz auf und nicht nur wegen dem in meinem Kopf. Wenn wir nicht verhütet hatten, war ja ihre Chance, Tante zu werden, relativ gut. Oh verdammt.

»Obwohl er natürlich gut aussieht. Soweit ich das als Schwester beurteilen kann.«

Oh ja! Das konnte ich bestätigen. »John und Scott meinen auch, dass er ein ziemlicher Player ist.«

Ihr Blick veränderte sich und sie wurde rastlos, wie ich es in letzter Zeit öfter erlebte, wenn ich Scott erwähnte. Aber ich war nicht in der Verfassung, mir darüber weiter Gedanken zu machen. Mit einer Hand wählte sie bereits die Nummer unseres Lieblingsthailänders. »Logan sieht übrigens heute genauso so verkatert aus wie du. Er ist erst um 10 Uhr morgens nach Hause gekommen, mit einer echt miesen Laune. Fast verzweifelt. Der Sex war wohl auch … Hallo, ich würde gerne bestellen.«

Während Liz unsere Essenswünsche durchgab, wanderten meine Gedanken wieder zu letzter Nacht. Sein Geruch hing mir noch deutlich in der Nase, diese Mischung aus herb und frisch wie Sandelholz, genau wie ich das Gefühl seiner Lippen auf meinen noch spürte. Warm, weich und so zärtlich, wenn er den Kuss begann, dann aber fest und fordernd, wenn er ihn intensivierte. Mein Körper reagierte augenblicklich und ich schauderte bei der Erinnerung wohlig und hatte Mühe, meine Libido unter Kontrolle zu bringen. Was hatte ich mir da nur eingebrockt? Aber bereuen konnte ich es nicht.

Liz plumpste neben mir auf die Couch und stöhnte genervt. »Vierzig Minuten. Bis dahin bin ich verhungert.« Übertrieben stöhnte sie auf, nur, um direkt wieder so ernst zu gucken. »Bist du wund?«

Entgeistert riss ich den Kopf herum. »Was?«

Sie verdrehte die Augen. »Na, zwischen den Beinen. Gerötet, aufgescheuert, wund? Du weißt schon durchgevögeltes Gefühl?«

Mir tat alles weh, aber nichts besonders, also schüttelte ich den Kopf. »Glaub nicht. Liz, das mit der Verhütung macht mir echt Sorgen.« Ich rieb mir fest über die Stirn.

Ungewöhnlich ernst nahm sie meine Hand. »Nimmst du die Pille nicht mehr?«

»Nein.« Es war nur ein Krächzen und ich räusperte mich, um den Hals freizubekommen. »Nachdem das mit Sam vorbei war, habe ich sofort damit aufgehört. Eigentlich habe ich sie nicht besonders gut vertragen. Kopfschmerzen, Müdigkeit. Hab in den vergangenen Jahren drei verschiedene probiert, aber er wollte, dass ich sie nehme. Trotz Kondome.«

Entrüstet stieß sie die Luft aus. »Du hast sie nur genommen, weil er es gesagt hat?«

Beschämt entzog ich ihr meine Hand. Sie wusste nicht annähernd, wie sehr ich mich verbiegen konnte, wenn ich etwas wollte. Und Harmonie und Sicherheit wollte ich mehr alles andere. »Ja Liz. Ich habe so einiges getan, um ihm zu gefallen. Unter anderem, mich von euch zu distanzieren.« Dummerweise dachte ich, man muss schließlich Kompromisse eingehen, wenn eine Beziehung funktionieren soll. Nur, dass meine Kompromisse eher nach Selbstaufgabe und Unterwerfung rochen. Traurig sah ich sie an, denn ich war echt nicht stolz darauf, dass ich sie monatelang kaum beachtet hatte. Unsere Freundschaft wäre fast daran zerbrochen. Liz hatte mir schneller verziehen, als ich je geglaubt hatte. Trip, ihr mittlerer Bruder war manchmal noch etwas knatschig.

»Ok Han, Bestandsaufnahme! Du hast zum ersten Mal überhaupt, mit einem dir unbekannten Mann, wahrscheinlich Sex gehabt und das, ohne zu verhüten? Nicht zu vergessen, komplett betrunken? Ich mein, du? DU Hannah? Wir sollten die Zeitungen kontaktieren, eine Insta Story starten …« Laut stöhnend fiel sie nun ihrerseits nach hinten in die Polster. »Scheiße! Bis zu einem gewissen Grad bin ich stolz auf dich, dass du dir mutig nimmst, was du willst, aber andererseits … Shit Han!«

Minutenlang regte sich keiner von uns, bis ich kleinlaut zugab. »Unbekannt nicht so richtig. Also, ich kannte ihn von früher.«

Ihre Augen weiteten sich. »Wer?« Warum zum Teufel hatte ich das jetzt gesagt? Weil ich mir dann nicht wie die allerletzte Schlampe vorkam, deswegen! Blöder Hang zur Verharmlosung. Sie krabbelte regelrecht bedrohlich zu mir rüber. »Dann kannst du ihn fragen, was genau passiert ist.«

Energisch winkte ich ab. »Neeeeiiiiiinnnn!« Ich zog das eine Wort betont in die Länge, um seine Bedeutung zu unterstreichen. »Niemals. Er hat mich nicht erkannt und lieber sterbe ich, als ihm gegenüber zuzugeben, dass ich es war.«

Abgeklärt fragte sie. »Also bekommst du auch lieber allein das Baby? Was ist mit Tripper, Chlamydien, Aids? Echt Han, gerade du. Das war ein Totalausfall, den ich nie bei dir erwartet hätte.«

Wieder schloss ich verzweifelt die Augen. »Ich auch nicht. Aber einmal nur Liz wollte ich wissen, wie das ist.«

»Nur, dass du es jetzt trotzdem nicht weißt.« Verschlagen grinste sie mich an und ich verzog den Mund nach unten. »Hey, nicht traurig sein. Am besten gehen wir direkt Montag zum Frauenarzt. Lassen dich checken und dann wird schon alles wieder gut.«

»Danke! Auch, dass du nicht nachbohrst.«

Liebevoll strich sie mir über den Rücken. »Ach Han, ich werde schon noch erfahren, wer es war.« Typisch für sie verkniff sie sich ein diabolisches Grinsen mehr schlecht als recht.

Hätte ich mir denken können, dass ich nicht so leicht davonkam. Vielleicht sollte ich es ihr einfach erzählen. Liz, es war Logan. Liz, es hat sich so richtig angefühlt. Liz, ich mag ihn viel zu sehr. NEIN! Zumindest nicht heute. NIE! Und ich werde das endgültig begraben, dieses Gefühl. Er war auf keinen Fall mehr als der Bruder meiner Freunde oder der beste Freund meines Bruders.

Das war ja fast ein Zungenbrecher. Nur ein Bekannter, guter Bekannter, mehr nicht. Eventuell jemand, mit dem ich zwanglos und völlig bedeutungslos Körperflüssigkeiten ausgetauscht hatte. Bedeutungslos, genau. Warum überlegte ich gerade mit einem inneren Lächeln, dass unser Baby seine Augen haben sollte. Uuuahhh. Ich war völlig durchgeknallt.

 

 

Logan

 

Zurück aus London war ich wieder in meinem Arbeitstrott gefangen. Morgens früh aus dem Haus. Dann Analysen, Bilanzen, Meeting mit Kunden oder Besprechungen mit John, der im Moment bei einer großen Firma vor Ort alles auf Vordermann brachte. Danach in eigener Sache die Investitionen und die Börse checken und spät, oft sehr spät das Büro verlassen. Abends Training, gelegentlich ein zwangloses Date oder ein Besuch im Pub. Mehr gab es da nicht.

Dafür waren John und ich gut, in dem, was wir taten und erfolgreich. Mittlerweile war mein Vermögen im siebenstelligen Bereich angekommen. Nicht zuletzt durch unsere Zusammenarbeit mit Banks Holding in New York, der Firma von Jacob Banks, Ex-Stiefsohn von Johns Tante, die wenige Jahre mit seinem Vater verheiratet gewesen war. Aber das war mittlerweile ewig her, der Kontakt zur Familie Banks war jedoch geblieben, stärker sogar als zu seiner Tante. Das Leben ging manchmal schon in seltsamen Bahnen.

Heute war ich wieder nicht vor 8 Uhr am Abend fertig geworden und das nur so früh, weil ich eine Verabredung hatte. Die süße Blondine, die ich vor einigen Tagen abends in einem Pub kennengelernt hatte, wartete schon an der Bar des Restaurants auf mich, in dem wir uns verabredet hatten. Mein erstes Date seit über zwei Wochen nach meiner Nacht mit Jo an Halloween. Selbst hier an diesem Tisch mit einer wirklich wunderschönen bezaubernden Frau, die eindeutig Interesse hatte, mich nach Hause zu begleiten, und mich nicht mal schlimm langweilte, dachte ich nur an diese etwas freche und kluge Frau hinter der Bar. So etwas war mir noch nie passiert. Vom ersten Moment an hatte sie mich nicht losgelassen und tat es immer noch nicht. Ach, das war doch idiotisch.

Wahrscheinlich faszinierte mich, dass sie mich selbstbewusst sitzen gelassen hatte. Am nächsten Morgen war ich einsam in einem Hotelzimmer aufgewacht und niemand konnte mir Informationen über die geheimnisvolle Brünette geben. Als hätte sie nie existiert. Das nagte an mir. Das und ihre Stimme, ihr Geruch, ihr Humor. Wie konnte ein erwachsener Mann nur so in Tagträume verfallen. Immer und immer wieder. Ob es wirklich an Jo lag oder eher an dem leeren Gefühl, das mein Leben in letzter Zeit auslöste.

Ich verabschiedete mich nach dem ausgezeichneten Essen von der willigen Blonden lediglich mit Handschlag, denn bedeutungsloser Sex erschien mir in letzter Zeit hohl und nur anstrengend. Lediglich Jo hatte mich auf eine Weise aufgerüttelt, wie es schon lange, vielleicht sogar noch nie eine Frau gekonnt hatte. Einsam lief ich durch dunkle Straßen und verbrachte die nächsten Stunden in meinem Haus in Cambridge vor dem Fernseher, ausgestattet mit Bier und Selbstzweifeln.

War das hier das, was ich wollte? Zehn bis sechzehn Stunden am Tag arbeiten, nur, um reicher zu werden? Jeden Tag im Anzug verbringen? Manchmal hatte ich regelrecht das Gefühl, zu ersticken. Mir fehlte es, einfach mal Basketball zu spielen oder in Vans herumzulaufen. In London tat ich das und es war herrlich befreiend und fühlte sich viel mehr nach mir an als alles, was ich hier mit John aufgebaut hatte. John ging völlig darin auf. Der Nervenkitzel, mit so viel Geld zu hantieren, so viel Macht auszuüben und Einfluss zu haben war berauschend und für mich in den vergangenen Jahren fast wie eine Droge gewesen, aber jetzt fiel alles zusammen wie ein Kartenhaus. Denn da war nur Geld. Zwar bekam ich Anerkennung und Respekt für mein Können, aber keine Familie, keine Liebe, keine Spontanität, keine Luft zum Atmen.

Mit nur 25 kam mir es schon sinnlos vor, nur für die hohle Fassade des erfolgreichen Geschäftsmannes zu existieren. Jo hatte mich atmen lassen. Sie hatte mich gesehen, Logan. Nicht Dr. Dale, sondern Logan, der Kerl, der Rockmusik tendenziell zu laut hörte, schlechte Witze machte und mies im Small Talk war und sie hatte ihn gemocht. Davon war ich überzeugt. Viel wichtiger, ich hatte mich gemocht. Vorher war mir gar nicht bewusst gewesen, wie weit ich von meinem wahren Selbst entfernt war. Alles hatte sich so schleichend entwickelt und immer mehr Platz eingenommen, bis es plötzlich völlig normal war.

Nur im Schein des Fernsehers stand ich auf und holte mir ein weiteres Bier aus dem Kühlschrank. Der obligatorische Blick aufs Handy zeigte mir eine Flut an neuen Mails die Arbeit betreffend. Einige Nachrichten von Frauen, mit denen ich mich sporadisch traf und von Rachel, meiner Ex, zurzeit jedenfalls. Ein ewiges on off. Kein einziges Wort meiner Geschwister. Oder meinen Eltern, was allerdings weniger verwunderte. Wenn sie keine Kritik oder Verhaltensregeln parat hatten, kam eigentlich nichts von ihnen. Liz und Trip hingegen wollten mich nicht bedrängen oder von der Arbeit abhalten und ich war nicht überzeugend genug, wenn ich darauf bestand, dass sie jederzeit anrufen oder schreiben konnten. Sie waren immer meine Nummer eins, aber solche Aussagen bekamen nur ein gnädiges, oberflächliches Lächeln. Sie glaubten mir nicht. Wie sollten sie auch? So wenig Zeit wie ich mir nahm sie zu besuchen.

Aber jetzt über Halloween hatte Trip mir Sorgen gemacht. Schon immer kam er am schlechtesten mit den übertriebenen Erwartungen unseres Vaters und den strengen Ansichten beider zurecht, aber nun zog er sich immer weiter von mir zurück und schien oft unglücklich und verschlossen. Mit der Meinung war ich nicht allein, auch Liz meine kleine Schwester machte sich Sorgen um ihn. Zumindest mit ihr hatte ich am letzten Abend in London lange gesprochen.

Eine Zeitlang war er in der Highschool mit Hannah, Johns jüngerer Schwester zusammen gewesen. Das wusste ich. John war damals regelrecht euphorisch, weil er meinte, Hannah würde vernünftig werden. Warum auch immer, aber er hatte entschieden, dass sie ein flatterhaftes Wesen mit fragwürdigen Entscheidungen war. Da ich sie vor ungefähr 6 Jahren zuletzt gesehen hatte, konnte ich darüber nicht urteilen. Sie schien mir immer recht intelligent und durchdacht, trotz der zerrissenen Jeans und der frechen Sprüche. Sie war cool gewesen und nie nervig. Hoffentlich war sie sich treu geblieben. Die Welt veränderte einen leider nicht immer zum Guten. Wie sie wohl heute aussah? Sicher hatte sie keinen geflochtenen Zopf und keine Zahnspange mehr. John hatte nie, auch nur ein Foto seiner Familie irgendwo stehen. Vielleicht hatte Liz ja eins von ihr. Schließlich war sie ihre beste Freundin. Allein das war schon Beweis genug für mich, sie zu mögen. Warum dachte ich jetzt über Hannah nach? Ach egal!

Das eigentliche Problem war. Ich musste endlich mit John über meine Zukunftspläne reden. Ein ehemaliger Professor von mir ging nach London und hatte mir dort eine Dozentenstelle für die Zeit einer Doktorarbeit in Aussicht gestellt. Immer mehr zog es mich in diese Richtung. Unterrichten, weiter forschen und lernen. Das war so viel mehr, was ich wollte als der smarte Typ mit Krawatte und Rolex am Handgelenk, der mir morgens im Spiegel begegnete. Dann wäre ich wieder näher an meiner Familie. Ich hatte schon die Jugendzeit meiner Geschwister verpasst. Ich wollte gerne dabei sein, wenn sie vollends erwachsen wurden und ihnen auf dem Weg zur Seite stehen. Dafür musste ich mich ja nicht komplett aus dem Geschäft zurückziehen, nur kürzertreten. London als Außenposten konnte uns nur zugutekommen. John war jetzt schon ständig geschäftlich dort. Ich stellte meine leere Flasche in die Küche und stiefelte in mein leeres Schlafzimmer. Leer, alles in meinem Leben war mehr oder weniger leer.

Morgen würde ich mit John reden. Es wurde Zeit, etwas zu ändern, bevor ich an meinem Leben endgültig erstickte.

 

 

2. Alles wird gut

Hannah

 

Drei Wochen später war ich auf dem Weg in die Uni und hatte mein Leben fast schon wieder im Griff.

Gut, das war meine übliche Lüge. Mein Leben war nie im Griff, nicht in meinem zumindest. Aber man wird ja noch träumen dürfen. Wenigstens war ich im Chaos organisiert und erweckte einen positiven Eindruck.

Voll bepackt mit Büchern und Unterlagen rangierte ich durch die Studenten Richtung Bibliothek. Erleichtert stapelte ich alles auf einen Tisch im hinteren Bereich der zweiten Etage und ließ meine verspannten Schultern kreisen, als ich auch schon Scott ausmachte, meinen Arbeitgeber, Mitbewohner und mittlerweile einer meiner besten Freunde. Nicht, dass ich viele gehabt hätte.

Lässig kam er auf mich zu. Wie üblich der Inbegriff eines Badboys. Leger in schwarzer Jeans, schwarzem T-Shirt und offenem rot karierten Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln sah er einfach umwerfend aus. Seine tätowierten Arme und die wilden schwarzen Haare kombiniert mit den hellblauen Augen taten ihr Übriges. Er war definitiv eine Augenweide und durch sein selbstbewusstes Auftreten unsagbar cool.

Wahrscheinlich hätte er sich nie mit mir angefreundet, wenn sein Vater nicht mit meiner Tante verheiratet gewesen wäre. Sicher nicht. Allein wie er mir jetzt lässig zuzwinkerte, den Stuhl umdrehte und sich verkehrt herum setzte, war er der reinste Mädchentraum. Die schrägen Blicke, die man mir zu warf, bestätigten nur, dass wir aussahen, wie zwangskombiniert. Der coole Superman und ich brav in blauer Jeans und ordentlichem weitem hellblauen Shirt mit weißen Streifen und Zopf. Völlig ungeschminkt, kein Schmuck, kein gar nichts. Langweiliger Rucksack, langweilige Sneakers, ziemlich abgetragen. Langweilige, glanzlose, reizlose Frau. Jede Frau im Umkreis schien mich spöttisch zu mustern und Scott anzuhimmeln. Ich wartete immer noch darauf, dass sich mal eine dieser Damen vor ihm verzweifelt hinwarf und heulend schrie. »Ich will ein Kind von dir!« Ernsthaft, das war nur eine Frage der Zeit. Die entrückten Gesichter um uns, und überall, wo er auftauchte, waren Hinweis genug. Himmel, Frauen waren doch auch nur oberflächlich. Wie konnte man jemanden so anschmachten, mit dem man nie auch nur ein Wort gesprochen hatte? Gut ansehen und denken, mmh lecker, aber stundenlang seufzend an seinem Anblick hängen?

Ein kleiner Stich meldete sich in meiner Brust, als die hinterhältige Stimme in meinem Kopf mir zuraunte. Ja, du warst bei Logan früher doch auch nicht besser. Psst, sei still, Zicke. Schließlich habe ich auch mit ihm geredet.

Genervt stopfte ich meine Gedanken in die hinterste Ecke und lächelte Scott an. »Hi Scott, alles fit?«

Er wackelte mit den Augenbrauen. »Alles bestens. Jetzt, wo du bei mir bist.«

Hatte ich erwähnt, dass er ein ziemlicher Draufgänger war? Er war der geborene Womanizer. Wahrscheinlich liefen ihm schon die Mädels im Kindergarten hinterher und seufzten, weil er ihnen für den geschenkten Lolli zuzwinkerte.

Ich kramte nach meinen Stiften und kroch dafür halb in den Rucksack. Seine Bemerkung tat ich mit einem verächtlichen »Pfff!«, ab. Er lachte und schob meine Bücher auseinander, um die Titel lesen zu können. »Scott, wo ist dein Zeug für unsere Präsentation?«

Jetzt bedachte er mich mit einem: »Pfff.«

Bitterböse funkelte ich zurück. »Du hast doch was vorbereitet, oder? Bitte sag mir, dass du was hast.«

Er gähnte betont gelangweilt und zeigte mir dabei sein perfektes New Yorker Gebiss, weil er es nicht für nötig erachtete, die Hand vor den Mund zu halten. Mühsam unterdrückte ich daraufhin, eine Antwort zu gähnen. Meine Autorität ließ ich nicht so schnell untergraben. »Meine Sachen sind im Computer.«

Genervt trommelte ich mit meinem Kuli auf den Tisch. »Und der ist wo?«

Er lehnte sich nach vorn und kippelte mit dem Stuhl. »Zu Hause?«

»Fragst du mich das jetzt allen Ernstes? Scott, wir haben nur noch bis Freitag Zeit und das ist echt wichtig für unsere Note.«

Für ihn war das wahrscheinlich halb so wild, aber ich war weder so ein Naturtalent wie er, dem alles zuflog, noch hatte ich die finanzielle Rückendeckung.

Jetzt kam bei ihm die Schnute und der Dackelblick zum Einsatz. »Liebste Han, ich habe verschlafen und dann war da so eine Brünette, die mir einen blasen wollte. Ich meine, es wäre doch unhöflich von mir, sie ohne Frühstück einfach rauszuschmeißen.«

Und da war sie wieder, die Erinnerung, warum ich nie, absolut niemals etwas mit Scott Banks anfangen würde. Ich hatte ihn gern als Freund. Ich fand ihn sexy und sein Charme war zum Niederknien. Aber er war ein Arschloch, was Frauen anging. »Hast du jetzt wirklich das gemeint, was ich denke?«

Er biss sich auf die Lippe und nickte. »Proteine, Baby. Brauchst du welche? Könnte dir einen Lunch anbieten!«

Töten! Ich würde ihn hier mitten in der Bibliothek mit einem Kugelschreiber töten. Na ja, aber er hatte Glück, dass der Tisch zwischen uns stand, sonst hätte ich ihn samt Stuhl nach hinten umgekippt. »Han, du siehst aus, als hätte ich dir Hundescheiße auf einem Teller serviert. Sperma ist nahrhaft. Ehrlich!«

Energisch schlug ich meine Unterlagen auf und fing an zu sortieren »Warum mag ich dich noch mal?«

Lachend zog er sich meinen Block rüber. »Weil ich reich bin und einen Club leite und in dem du arbeitest?« Während ich mir etwas markierte, nickte ich und streckte dann den Daumen nach oben. Er lachte »Und ich glaube, weil du meinen großen Bruder vögeln willst.«

Ohne aufzusehen, murmelte ich. »Wie kommst du denn auf den glorreichen Gedanken?« Das war dermaßen abwegig. Plötzlich zauberte er Blätter mit Diagrammen unter dem Tisch hervor. Anscheinend hatte er doch einen Rucksack mit und auch an unserem Projekt gearbeitet. Typisch! Eigentlich sollte ich langsam wissen, dass er mich nur ärgerte.

»Na, ist doch sonnenklar. Du zeigst sexuell keinerlei Interesse an mir, also musst du es auf Jacob abgesehen haben. Einzige einleuchtende Erklärung.«

Ich kniff die Lippen zusammen, um nicht zu grinsen. »Tja Held. Zu deinem Pech habe ich seine Vermögenswerte gesehen. Dagegen sind deine mickrigen Millionen ein Witz.«

»Es ist das Geld, was sonst.«

»Definitiv!« Beide waren unfassbar reich. Ihr Vater war einer der größten Unternehmer in New York und jonglierte mit Firmen wie andere mit Bällen. Jacob war 10 Jahre älter als Scott und hatte seine eigene Holding gegründet, die er absolut erfolgreich führte. Dabei hatte Scott wie sein Bruder das Talent hundertprozentig geerbt und führte erfolgreich seinen eigenen Club samt Hotel in London. Reich war er nicht nur durch seine Treuhandfonds, sondern auch durch seine Gewinnbeteiligungen und natürlich Spekulationen. Anfangs hatte er mit mir immer gespielt, wo investieren wir, welche Aktien kaufen wir, ohne dass ich wusste, dass es real war und er sein Geld wirklich einsetzte. Jetzt hatte ich wesentlich mehr Hemmungen, ihm meine Meinung zu sagen. Aber er bestand darauf und auch Jacob bat mich oft um mein Bauchgefühl und in den vergangenen Wochen vermehrt um echte Analysen aus einem anderen Blickwinkel. Mir machte das Spaß und ließ mich fast glauben, dass mein Wirtschaftsstudium Sinn machte und ich das nicht nur für meinen Vater, den erfolgreichen Investmentbanker tat. Ja, die perfekte Tochter zu sein, war nicht leicht.

Aufmerksam studierte ich seine Arbeit. Absolut 1a, wie immer, wenn er etwas machte. Seien wir ehrlich, er war wesentlich besser als ich. »Das sieht gut aus.«

»Ich weiß, mein Schatz.«

»Kommst du Freitag zum Essen?« Mein Vater hatte alle geladen, wie so oft an mindestens einem Freitag im Monat. Seine Art der Kontrolle und Überwachung.

»Wer wollte das verpassen? Vielleicht verkünden wir unsere Verlobung?«

Demonstrativ wackelte ich mit meinem ringlosen Finger. »Da blinkt gar nichts.« Weitere Ausdrucke wurden auf den Tisch gezaubert. »Scott, was ist das?«

»Der Ehevertrag« Ich verdrehte die Augen. So war das fast immer zwischen uns, ohne dass jemals etwas zwischen uns vorgefallen wäre. Und darüber war ich froh, sonst würde ich sicher den Wohlfühlfaktor bei ihm verlieren. »Das ist eine Aufstellung über mögliche Investitionen. Sieh dir das bitte mal an.«

Kurz überflog ich die Firmen. »Davon habe ich absolut keine Ahnung, Scott. Bisher ging es um Dienstleistungen, Einzelhandel und so etwas, aber das hier sind riesige weltweite Technologie-Konzerne. Hier, das ist eine Tochterfirma von einem der größten Hersteller von Unterhaltungselektronik, oder? Gib mir zur Abwechslung Immobilien oder Spielzeug, aber hier bin ich raus.«

Sein Blick war geschäftsmäßig geworden, wodurch er direkt viel älter wirkte. »Dachte ich mir. Reizt dich das nicht? Die Statistiken durchwühlen, Bilanzen auseinandernehmen? Marktanalysen? Bei den ganz Großen?«

Ich steckte mir demonstrativ den Finger in den Hals. »Warum zum Teufel halst du dir dann die ganze Arbeit für den Bachelor in Wirtschaft auf? An einer Elite Uni. Was willst du werden, wenn du groß bist?«

Ich gab ihm seine privaten Firmenunterlagen zurück und konzentrierte mich wieder auf meine Unterlagen für das Seminar und sagte mit dem Brustton der Überzeugung. »Prinzessin!« Er konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Ich sah ihn möglichst unschuldig an. »Ernsthaft. Dank des großzügigen Vermögens, das ich durch geschickte Anwälte bei unserer Scheidung abgreife, werde ich sorgenfrei leben.«

Er kreiste einen Fehler in meiner Aufstellung ein. Mist. »Warum lassen wir uns scheiden?«

Ich hob resigniert die Hände und verkündete in einem Ton, der klarmachte, dass das doch wohl logisch war. »Na, weil ich deinen Bruder vögel.« Leider etwas zu laut, denn einige Köpfe drehten sich zu uns um.

Während ich schon feuerrot anlief, grinste Scott nur. »Ich wusste es, du Luder.«

 

Kaffee, Kuchen und die Wahrheit?

 

Danach schafften wir es einige Stunden produktiv zu arbeiten und hatten die Präsentation im Grundkonzept aufgestellt. Fehlte nur der Feinschliff.

Auf dem Weg nach Hause überredete er mich, noch einen Kaffee mit ihm zu trinken. Woraus in unserem Lieblingscafé für mich eine Kalorienbombe wurde. Kuchen konnte ich nur schwer widerstehen und heute gab es einen Mascarpone Käsekuchen mit Himbeeren. Göttlich!

Zufrieden lümmelte ich mit ihm in unserer Stammecke, auf der gepolsterten Bank und sah zu, wie es draußen regnete und die Leute die Köpfe einzogen. »Han?«

»Scott?«

»Ich will ja nicht nerven, aber was willst du wirklich vom Leben? Ich frage mich das schon länger. Du bist gut mit Zahlen und hast eine gute Intuition fürs Geschäft, aber das ist nicht das, was du willst, oder?«

Ungewohnt ernst für ihn. Über meine Wünsche wollte ich gar nicht nachdenken. Derzeit tat ich das, was man von mir erwartete. Mindestens so gut werden wie Dad, vielleicht sogar wie John und Logan.

»Unternehmensberater finde ich ganz nett. Also kleinere Unternehmen retten. Konzepte überarbeiten. Kosten sparen. So etwas.«

Er zog mir den Teller weg mit meinem heiligen Kuchen. »Die Wahrheit!«

Sauer lehnte ich mich zurück. »Das ist die Wahrheit!«

Er verengte die Augen zu Schlitzen. »Sag mir, was du dir wünschen würdest, wenn niemand in deiner Familie Einfluss darauf hätte. Dein Dad ist jetzt kein Investmentbanker mehr, sondern Müllmann und deine Mutter Friseurin. Also keiner erwartet Großes von dir.«

Lange sah ich ihn an. Mag sein, dass es daran lag, dass ich nur wenige Wochen zuvor meine Regeln der Moral gebrochen hatte. Mir erlaubt hatte, mir das zu nehmen, was ich wollte und damit die Erwartungen an mich gleichzeitig mit Füßen getreten und erfüllt hatte. Aber mich überkam das Bedürfnis, darüber nachzudenken. »Ich bin nicht sicher, Scott. Deswegen gehe ich ja den Weg so, wie ich ihn gehe.« Geduldig wartete er ab, bis ich mich wieder vom Fenster losriss, vor dem ich eine Mutter beobachtet hatte, die ihrem Kind die Nase putzte. Dabei strömte ein Gefühl durch mich durch, dass ich nicht definieren konnte. War das, sich etwas ersehnen? Mit meiner Gabel sortierte ich aus der Ferne ein paar Krümel auf meinem Teller um und antwortet dann leise. »Ich will heiraten. Kinder bekommen. Eine Familie haben. Armselig und rückständig. Ich weiß.« Ungewöhnlich sanft sah er zu mir und schüttelte fast unmerklich den Kopf, bevor ich fortfuhr. »Ein Café, wie dieses, wäre schön. Kuchen kreieren, dekorieren. Weihnachten eine Party für die Angestellten schmeißen und über die Buchhaltung fluchen, weil sie mich zu Tode langweilt.« Ein alberner Traum. Alle in meiner Familie wären enttäuscht von mir, dass ich mein Potenzial vergeude. Schließlich war ich an der LSE angenommen worden, ausgesucht aus hunderten und hatte eine glorreiche Karriere vor mir.

Langsam schob er den Teller zurück an seinen Platz. »Genau das sehe ich in dir und verdammt, ich kann es verstehen. Weißt du, Karriere ist für mich auch nicht Platz eins auf der Liste. Ein Hund wäre cool. Können wir einen Hund haben?«

Automatisch entspannte ich. Er war einfach großartig, wenn es darum ging, die Situation aufzulockern. »Nein, denn dann bin ich es wieder, die mit ihm rausgeht und an mir bleibt schon der ganze Schulkram mit unseren Kindern hängen.«

Er lachte. »Ja und was war mit dem letzten Elterngespräch. Da war ich.«

»Aber nur, weil du die Lehrerin flachgelegt hast.« Wir waren mal wieder nicht zu stoppen.

»Apropos flachlegen. Jacob kommt bald nach London.« Das waren gute Nachrichten. Sein Bruder war einfach cool und wir hatten uns viel zu lange nicht gesehen. Ich freute mich aufrichtig auf ihn.

 

 

Zurück an die Bar

 

Vier Wochen nach Tag X, auch Halloween genannt, stand ich zurück in meinem alten Leben hinter der vertrauten Holztheke der Bar und hatte das ganze Debakel fast schon verdaut. Ich war nicht schwanger, hatte keine Geschlechtskrankheiten, wobei ich nicht ernsthaft damit gerechnet hatte, und träumte nur noch gelegentlich davon, Logan zu küssen. In etwa jede zweite Nacht. Ein Fortschritt. Der November war auch bald zu Ende und Weihnachten näherte sich mit großen Schritten. Herrlich!

Ich liebte Weihnachten! Meine nächste, große Aufgabe bestand darin, Scott Deko für das M’s aufzuzwingen. Was bei ihm sicher wieder erst in allerletzter Minute geschehen würde. Eigentlich war er genauso ein Weihnachtsfan wie ich, aber sein Club war in seinen Augen viel zu männlich und cool für dieses ganze Zeug, das man kaufen konnte. Vielleicht würde ich ja etwas richtig Cooles finden. Weihnachtsschmuck aus Whiskyflaschen oder so.

Über diesen absurden Gedanken lächelte ich vor mich hin. Froh das alles wieder in normalen Bahnen lief und sich mein Leben wieder normalisierte. Alles würde gut werden und Gras darüber wachsen. Dachte ich zumindest, bis Liz in den Club stürmte und aufgeregt in die Hände klatschte. »Logan kommt nach Hause. Ich meine, er ist ja gestern hier angekommen, aber er bleibt auch.« Aufgeregt ließ sich Liz mir gegenüber auf einem Barhocker nieder, während mein Hirn damit beschäftigt war, ihre Worte richtig aufzunehmen. Ironischerweise genau der Hocker auf dem Logan Halloween gesessen hatte.

»Was? Wie meinst du das?« Meine Hände polierten wie von selbst weiter die Gläser und das so ausgiebig, dass man nur hoffen konnte, nachher noch ein Glas zu haben.

Sie rutschte glücklich auf dem Sitz hin und her. »Mein großer Bruder kommt zurück nach London. Ich hätte nie geglaubt, dass ich den Tag mal erleben darf. Und es wird noch besser. Der Kerl wird unterrichten!« Sie schlug sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel und lachte einmal laut auf. Ich schluckte schwer an dem Kloß in meinem Hals »Kannst du dir das vorstellen? Er hat doch echt vor einen Doktor in Wirtschaftswissenschaften, nein den hat er schon, was war das? Wirtschaftsgeschichte, genau, den macht er. Hier an der London University! Als Ersatz für eine Professorin, die wegen Schwangerschaftsproblemen eine Pause einlegt, wurde er in der Zeit als Dozent eingestellt. Deswegen auch so kurzfristig. Logan wird Lehrer. Kannst du dir das vorstellen? Ich schrei’ mich weg!«

Ich schrie auch gleich. Hysterisch! Mir schwante Übles. Von einer Sekunde auf die andere schien mein Blut aus meinem Körper zu verschwinden und ein Rauschen füllte mein Hirn. Meine Professorin für die AWL-Vorlesung und zwei meiner Seminare für Finanzwesen und Wirtschaftsgeschichte war schwanger. Ok, das Glas musste warten, denn wenn ich es nicht sofort abstellte, würde es mir aus den Fingern gleiten. Mein ganzer Körper befand sich nach dieser Ankündigung in Alarmbereitschaft.

Aber bevor ich meine Stimme fand, erzählte sie schon fröhlich weiter. »Natürlich zieht er in eine eigene Wohnung, sobald er etwas findet, aber ich freue mich tierisch, ihn endlich wieder hier zu haben. Er hat mir echt gefehlt. Freust du dich nicht für mich?«

Sie wusste es ja nicht, also konnte sie nicht verstehen, was los war. Wie erstarrt gab ich keinen Ton von mir. »Mensch Han, vielleicht hast du ihn dann als Dozent. Wer das nicht witzig? Dann siehst du ihn endlich mal wieder.«

»Nein, bitte nicht!« Das war aus mir raus, ohne dass ich es hätte filtern können. Die Panik, was auf mich zukommen würde, wenn er mich erkannte, war riesig. Was, wenn er mich dafür hasste? Was würde John sagen oder Trip? Oh Gott, Trip würde bestimmt sauer und Liz? Vorsichtig sah ich ihr in die Augen. Liz würde mir sicher am Ehesten verzeihen. Obwohl, dass ich nicht ehrlich gewesen war, könnte sie verletzen und uns wieder entzweien. Das wollte ich auf keinen Fall. Warum war ich nur so blöd gewesen?

Irritiert runzelte sie die Stirn. »Du solltest echt mal darüber wegkommen. Meine Güte, er weiß wahrscheinlich nicht mal, dass du das gemacht hast, und dennoch schämst du dich und gehst ihm seit Jahren aus dem Weg.«

Im ersten Moment wusste ich nicht recht, worüber sie sprach, und malte mir schon die schlimmsten Dinge aus. Hatte sie mich durchschaut? John hatte einen großen Anteil daran, dass ich Logan lange nicht gesehen hatte, denn er war stets pingelig darauf bedacht, mich nicht in Logans Nähe zu bringen. Seit dem Vorfall … darüber redete Liz also! Puh, das war besser.

»Was hat sie getan?« Scott war wie aus dem Nichts hinter mir erschienen und Liz Grinsen stieg in die Kategorie Honigkuchenpferd, mit einer Spur von Seufzen. Oh Lizzie, ich muss mit dir über ihn reden. Da verbrennst du dich nur.

»Sie hat sich mit 15 nackt ins Bett des Gästezimmers gelegt, weil Logan da eigentlich übernachten sollte. Aber er ist mit einer anderen ins Hotel und John war der Glückliche, der Han dann gefunden hat.«

Fassungslos starrte ich sie an. »Ich kann nicht glauben, dass du das gerade wirklich erzählt hast.« Ich verbot mir sogar selbst, an diesen peinlichsten Auftritt meines Lebens nur zu denken.

Liz grinste diabolisch. »Sie wollte unbedingt ihre Jungfräulichkeit an meinen Bruder verlieren.«

Entweder würde ich sie auf der Stelle töten oder im Erdboden versinken. Das war ein Albtraum. »Hast du sie noch alle? Willst du ihm vielleicht noch mehr erzählen, dass mich demütigt?«

Zuckersüß säuselte sie »Das ist Scott. Ich dachte, er weiß alles.«

Scott hielt sich die Hand vor dem Mund und hatte sichtlich Mühe, nicht loszuprusten. »Du bist ein wenig rot.« Er tippte mir mit dem Finger auf meine Wangen. »Also hier und hier und hier.« Er schnippte sanft gegen meine Ohren und ich stand einfach beleidigt da und schmollte. »Damit meine ich knallrot. So richtig feuerrot. Schämst du dich etwa für deinen jugendlichen Leichtsinn?« Und ja, er spuckte fast vor Lachen. Schön, dass sich alle amüsierten, aber mir war es unendlich peinlich. Wenn dieser Mist von damals wenigstens das Einzige wäre, was mich von meinem Bruder entzweit hatte.

Tränen stiegen mir in die Augen und ich pfefferte wütend mein Handtuch auf den Tresen. »Gott Liz. John denkt seitdem endgültig, ich bin das letzte Flittchen. Natürlich schäme ich mich für den Blödsinn.«

»Wenn John nicht checkt, wie du wirklich bist, ist er ein verdammt schlechter Bruder. Schließ endlich damit ab und lern, darüber zu lachen. Wir bauen alle hin und wieder Mist.«

Scott umarmte mich liebevoll von hinten. »Sie hat recht.« Aber ich schüttelte ihn augenblicklich von mir ab. In mir brodelte es gewaltig und ich war mir nicht sicher, weswegen genau.

Schuldbewusst legte Liz mir die Hand auf den Arm. »Tut mir leid. Mein Mundwerk ist manchmal einfach nicht zu stoppen.«

Ich riss mich los. »Ach, vergiss es.« Dabei sah ich sie nicht an und begann wieder Gläser zu polieren. Die Stille, die sich daraufhin ausbreitete, zerrte an meinen Nerven. Ich war nicht bereit, darüber zu reden, dass Logan hier wieder auftauchte. Denn es machte mir eine Heidenangst, ihm zu begegnen und seine Verachtung für mich zu sehen, wenn er begriff, was ich ihm verschwiegen hatte. Ganz zu schweigen von Liz. Wahrscheinlich sollte ich beichten, bevor es zu spät war.

Oder auch nicht …

Wortlos drückte mir Scott einen Whisky in die Hand und forderte mich mit einem Nicken in ihre Richtung auf zu reden. Er hatte ja recht, schmollen war keine Lösung. Vor allem, weil ich ihr eigentlich nicht böse war. »Dass Logan zurückkommt, ist großartig. Wirklich! Ich freue mich für dich.«

Glücklich klatschte sie in die Hände und umarmte mich über den Tresen. »Ach, Han, das wird bombastisch. Dann gehen wir alle zusammen aus.«

Himmel hilf! Verzweifelt sortierte ich mit dem Rücken zu ihr die Flaschen im Regal. »Ja sicher!«

Scott legte mit einem wissenden Lächeln den Arm über meine Schultern. Er durchschaute meine Lüge, auch wenn er sie nicht zuordnen konnte. »Bob öffnet gerade die Tore. Der Abend beginnt gleich Ladys.« Gedankenverloren fing ich an, das dunkle Holz der Bar zu polieren, obwohl es bereits sauber glänzte.

Als Scott am anderen Ende des Tresens angelangt war, fiel mir Liz ungewöhnlich ernster und irgendwie trauriger Blick auf. Mein Herz rutschte ins Bodenlose. »Hey Liz, alles in Ordnung?«

Sie presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. »Tut mir leid, dass ich davon angefangen habe. Ich wollte dich vor Scott nicht bloßstellen.«

Ich schüttelte den Kopf und kippte letztlich doch den Whisky, den mir Scott in die Hand gedrückt hatte und räumte das Glas in die Spülmaschine. »Schon ok. Früher oder später hätte ich es ihm wahrscheinlich ohnehin erzählt. Er ist gut darin, meine dunkelsten Geheimnisse aufzuspüren.«

Nachdenklich drehte sie ihr Glas in der Hand und nahm einen Schluck. Nachdem ich die ersten Kunden bedient hatte, kam ich zu ihr zurück. Leicht abwesend fragte sie »War dein erstes Mal gut?«

Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, was sie meinte, und dennoch fragte ich nach. »Du meinst mein erster Sex?«

»Ja!« Stimmt, sie hatte keine Ahnung. Verlegen sortierte ich den Saft im Kühlschrank. Jemand machte ständig neuen auf, obwohl eine Halbvolle daneben stand. Nervig.

Die Bar füllte sich zusehends und ich kam vorerst nicht dazu, ihr zu antworten. Als ich wieder bei ihr stand, um einen Cocktail zu mixen, war klar, dass sie immer noch auf eine Antwort wartete. Peinlich berührt murmelte ich »Ja.«

Sie grinste. »Lügnerin! Perfekt war es nicht.«

»Wann ist es schon beim ersten Mal perfekt?«

Irgendwie entglitten ihre Gesichtszüge und brachten mich dazu, über ihr erstes Mal zu grübeln. Wir hatten nie miteinander darüber gesprochen. In der entscheidenden Phase waren wir getrennte Wege gegangen. Ob sie schlechte Erfahrungen hatte? Der Gedanke tat mir weh. Süße, kleine Liz. Große Klappe, echt loses Mundwerk, aber immer so lieb und ehrlich. »Liz, war es bei dir nicht gut? Ich weiß nicht mal, wer es war. Dieser Jeff?«

Sie fummelte an ihrem Strohhalm und konnte mir auf einmal nicht mehr ins Gesicht sehen. So kannte ich sie gar nicht. Kurzerhand brachte ich schnell den Cocktail zu meinem Kunden und ignorierte jede weitere Bestellung, die man mir zurief und ging durch den Durchgang mit der Holzklappe, um sie in den Arm zu nehmen. Sie sah aus, als bräuchte sie das und ich irrte mich nicht. Ihr Kopf lag auf meiner Schulter und ich spürte, wie sie seufzte. »Es hat gar nicht stattgefunden.«

Das war garantiert nicht das, was ich erwartet hatte. Verwirrt sah ich ihr ins Gesicht und flüsterte, auch wenn man bei der Musik keine Sorge haben musste, dass jemand mit hörte. »Du meinst? Jungfrau?«

Sie nickte beschämt »Peinlich was, deine fast 19-jährige wilde Freundin hatte noch nie … Sex. Zumindest nicht den Hauptakt. Irgendwie habe ich immer gekniffen.«

Ungläubig stand ich wie angewurzelt vor ihr. »Dein Mundwerk ist noch dreckiger, als ich gedacht hätte. Bei dem, was du so ablässt, dachte ich, du hast halb London flachgelegt.«

»Tarnung ist alles!« Sie lachte schon wieder und zwinkerte mir zu. Wow, das war echt das Letzte, was ich erwartet hatte.

»Ich fühle mich furchtbar, dass ich immer davon ausgegangen bin, dass du, du weißt schon.«

Sie grinste. »Sexuell unanständig aktiv bin?«

Hilflos hob ich die Hände. »Na ja. Ja, verdammt!«

Sie drückte mich fest an sich. »Wir sind beste Freundinnen, seit wir laufen können. Nur war da dieser kleine Einbruch von ein paar Jahren High School und deinem Ex! Wir erzählen uns jetzt einfach alles nach und nach, okay?« Ich nickte gerührt. Ich hatte sie echt lieb. Fest drückte ich ihr einen Kuss auf die Wange. »Keine Geheimnisse mehr!« Zögernd nickte ich. »Han? Du siehst schuldbewusst aus.«

Ich flüchtete hinter die Bar. Scott sah mich schon böse an und er hatte recht. Etliche Leute wollten ihre Drinks. So locker Scott einerseits war, so ernst nahm er sein Geschäft. Immer wenn ich danach an Liz vorbeikam, spürte ich ihren vorwurfsvollen Blick und hörte ein energisches. »Han, Johanna, sag es mir!« Konnte dieser Abend noch beschissener werden? Flüchtig schüttelte ich den Kopf und arbeitete weiter. Plötzlich hielt sie mich am Arm fest. »Du siehst aus, als würdest du dich jeden Moment übergeben. Was zum Henker ist so schlimm?« Mist, Mist, Mist. Warum kannte sie mich nur so gut? Ich wand mich aus ihrem Griff und schluckte schwer. Sollte ich es ihr sagen? Zugeben, dass ich Logan mit nach oben genommen hatte? Eilig bediente ich gewissenhaft die wartenden Leute, aber so schnell schüttelte man Liz nicht ab. »Han! Seit Halloween bist du so verstockt. Ich kenne den Typen, mit dem du hochgegangen bist, oder?« Scheiße!

»Du solltest Profiler werden.«

Geschmeichelt klimperte sie mit den Augen und warf sich die Haare über die Schulter. »Ich weiß und ich arbeite daran.« Manchmal war sie echt putzig.

»Mädels tut mir leid zu stören, aber der Laden brummt und du Han bist hier bei der Arbeit und nicht beim Psychiater, also los, komm in die Pötte.« Scott war eindeutig sauer, was selten vorkam. Entschuldigend verzog ich das Gesicht, eigentlich heilfroh für den Aufschub und kümmerte mich um die Drinks. Vielleicht vergaß sie das Thema ja wieder. Man durfte schließlich noch träumen, oder?

 

Flucht

 

Drei Stunden später war klar, dass ich mich zu früh gefreut hatte. Wenn Liz sich erst verbissen hatte, löste man sie nur schwer von ihrem Opfer.

Völlig erledigt fiel ich hinten auf die Couch, froh meine Schicht abgeleistet zu haben, und streckte die Beine aus. Wir waren in derselben Ecke auf der Empore gelandet, in der ich mit Logan gesessen hatte. Wehmütig schloss ich die Augen und gönnte mir eine Erinnerung an seine Nähe, bevor ich mich wieder auf das Hier und Jetzt konzentrierte. Half ja alles nichts.

»Und Liz irgendwelche heißen Typen gesichtet?« Ihr Blick wanderte sofort zu Scott. Interessant, aber problembehaftet. Direkt meldete sich mein Beschützerinstinkt. Scott war super, solange man nicht mehr erwartete als Freundschaft und Gelegenheitssex.

»Nein«, sagte sie recht kleinlaut. »Verdirb nicht meine Unschuld.«

Lachend nahm ich einen Schluck von meinem Wasser »Ja sicher. Der Gag ist jetzt deiner.«

Sie streckte mir die Zunge raus. »Sag’s mir Han. Wer war das an Halloween? Wer hat es geschafft, dass du alle Prinzipien, alle Ängste über Bord geworfen hast?«

Unruhig rutschte sie auf ihrem Hintern hin und her und ich gleich mit. »Liz, bitte, zwing mich nicht. Ich schäme mich zu Tode.«

»Gott, nein, bitte nicht Jasper.«

Ich machte Würgegeräusche. »So nötig werde ich es wohl nie haben.«

Wir lachten beide bei der Vorstellung von mir mit dem arroganten, reichen, aber tierisch dummen Jasper aus der Highschool und kuschelten uns aneinander. Seufzend sank sie zusammen »Aber versprich mir, es mir eines Tages zu erzählen. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass wir so sind.« Sie überkreuzte Zeige- und Mittelfinger. Das machte mich traurig, denn was anderes wollte ich auch nicht.

»Liz, das will ich doch auch, aber ....«

Urplötzlich sprang sie wie eine überspannte Feder nach oben. »Da ist Logan. Er hat überlegt, zu kommen. LOGAN HIER? Die Musik ist zu laut. Er hört mich nicht.« Sie zog entschlossen an meiner Hand. »Lass uns hinterher, damit du endlich siehst, wie gut er sich gemacht hat. Oh, ich will ihn dir so gern zeigen. Du wirst dich bestimmt schockverlieben.« Kichernd zog sie wieder an meinem Arm. »Das war ein Scherz. Aber er sieht natürlich gut aus und ich bin so stolz drauf. Albern, ich weiß.« Sie kicherte wie ein kleines Mädchen und zog mich energischer nach oben.

Jetzt war ich kurz davor, mich zu übergeben. Vor Panik! Ich war nicht bereit dazu, ihm zu begegnen. Wenn ich losrannte, würde sie mich einfangen? Konnte ich es rausschaffen? Einen Versuch war es allemal wert. »Ich muss gehen!«

Kaum war ich aufgesprungen, schubste sie mich zurück auf die Couch. »Oh nein, junge Dame. Das ist viel zu lange her und er hat es sicher vergessen, wenn er überhaupt je etwas wusste. Du kannst dich nicht für immer deswegen verkriechen. Mensch Han, du bist schon ganz blass. Krieg dich ein!«

Wie sehr wünschte ich, es ginge nur um mein 15-jähriges nacktes Ich in seinem Bett. »Liz, bitte. Du verstehst das nicht!«

Sie verdrehte nur die Augen und winkte abfällig mit der Hand, um auszudrücken, dass ich mehr als albern war. »Er sieht in meine Richtung.« Sie schrie mir ins Ohr. »Hier bin ich!« Wild wedelte sie mit den Armen über ihrem Kopf und ich drehte schnell mein Gesicht nach hinten und ließ die Haare nach vorn fallen. »Ah, er kommt«, quietschte sie freudig.

Kurz davor ohnmächtig zu werden zog ich so unsanft an ihr, dass sie unglücklich zappelnd neben mir aufs Polster fiel. »Ich …« Die Worte steckten mir im Hals fest, aber mein Gesicht war wohl so panisch, wie ich mich fühlte, denn sie wurde regelrecht grün.

»Was ist denn Han?«

»Liz, bitte verzeih mir.«

Pure Verwirrung spiegelte sich in ihrem Gesicht. »Was denn?«

Verzweifelt keuchte ich: »Es war Logan!«

Genervt schüttelte sie den Kopf. Sie verstand es nicht.

»Halloween!« Meine Stimme wurde immer brüchiger, weil meine Kehle sich zusammenzog vor Angst. Eine Sekunde später änderte sich alles. Erst sah ich, wie die Verwirrung dem Schock wich und dann Wut. »Bitte Liz, ich kann ihm nicht gegenübertreten, nicht jetzt. Das ist einfach zu viel.«

Dann kam etwas wie Mitleid oder Resignation. Mein Verstand war Suppe. Dann seufzte sie und schüttelte wieder den Kopf. »Ich gehe ihm entgegen und du verschwindest hintenrum, aber darüber reden wir noch Fräulein.« Schmerzhaft stieß sie mir den Finger in die Rippen.

»Danke« und schon sprintete ich los, immer schön im Schutz der Schatten. Liz dagegen flog regelrecht die Treppe hinunter, um Logan zu begrüßen. Von der Tür aus sah ich, wie er sie umarmte und anlächelte, bevor ich schnell in die Kühle der Nacht verschwand. Mein armes schwaches sentimentales Herz sprang mir auch noch Minuten nach seinem Anblick fast aus der Brust. Er sah noch besser aus als in meiner Erinnerung. Schlechteste Entscheidung überhaupt. Dümmste Dummheit aller Zeiten.

Logan

 

Liz war mir regelrecht in die Arme gesprungen und hatte mich überschwänglich begrüßt. Ich wollte mich keineswegs über die Lebensfreude meiner kleinen Schwester beschweren, aber sie schien so seltsam nervös, dass ich ein Geheimnis witterte. War sie vielleicht gerade mit einem Kerl zugange gewesen? Der Gedanke aktivierte meinen Beschützerinstinkt. Neugierig schielte ich auf die Empore, in die Ecke, aus der sie vermutlich gekommen war. Sah aber niemand Auffälligen. Da stand das Sofa, auf dem ich mit Jo gesessen hatte. Ob sie heute hier war? »Hey Liz, kommst du mit zur Bar? Ich wollte mir was zu trinken holen.« Hüpfend nahm sie meine Hand und zog mich durch die Menge. So enthusiastisch und hibbelig wie jemand, der flüchtete und etwas verbergen wollte. An der Theke fragte ich sie dann einfach direkt. »Versteckst du jemanden vor mir?« Sie sah mich so erschrocken und schuldbewusst an, dass ich lachen musste. »Lizzie ist schon ok. Wenn du ihn mir nicht vorstellen willst. Du bist alt genug. Aber benimm dich.« Gespielt ernst wedelte ich mit dem Finger vor ihrer Nase. Auch wenn ich gern jeden überprüft hätte, der sie nur ansprach, ging es mich im Grunde nichts an und ich musste ihr einfach vertrauen.

»Ja Bruderherz«, sang sie regelrecht und grinste, aber ich war schon dazu übergegangen, die Barkeeper zu checken.

Keine Jo! Heute Abend waren nur Männer hier. Die Enttäuschung, die ich empfand, überraschte mich. Aber mir blieb keine Zeit darüber zu grübeln, denn Scott Banks, Jacobs kleiner Bruder tauchte vor mir auf. Ich hatte ihn in New York vor ein paar Jahren kennengelernt, als John und ich in Jacobs Holding Company ein Praktikum absolviert hatten. Verdammt, sah der Kerl gut aus. Damals schon, aber jetzt hatte er sich zu einem echten Bad Boy mit Muskeln und bösem Charme gemausert. In New York hatten wir uns auf Anhieb gut verstanden und viel Unsinn getrieben, danach aber den Kontakt größtenteils verloren. Daher war die Wiedersehensfreude aufrichtig und wir begrüßten uns überschwänglich per Männer Handschlag und griffen den Unterarm des Anderen.

»Logan Dale. Schön, dich mal in meiner bescheidenen Hütte anzutreffen. Ich habe heute schon viel von dir gehört.« Er zwinkerte mir verstörend zu und lächelte dann frech zu Liz, die ihm einen Schlag auf den Unterarm verpasste.

»Halt den Mund, Scotty.«

Er sah mich mit gespielt aufgerissenen Augen an und verzog den Mund. Hob dann abwehrend die Hände und erklärte. »War das ein Geheimnis, dass du Hannah erzählt hast, wie sehr du dich freust, dass er nach London kommt?«

Sie freute sich? Das rührte genau an dem Punkt, der bei mir im Moment dringend mehr Beachtung benötigte. Gerührt rieb ich mir über die eng gewordene Brust und fragte kleinlaut »Hannah? Wo ist sie? Ich habe sie ewig nicht gesehen.«

Liz nahm einen Drink von Scott entgegen und murmelte. »Sie ist schon weg.«

Scott reichte mir einen Whisky und stieß mit mir an, wandte sich dann aber an Liz und zog die Augenbrauen zusammen. »Wie, sie ist weg? Allein?« Liz nickte, das Glas an den Lippen und Scott schüttelte verärgert den Kopf. »Ich hasse es, wenn sie mitten in der Nacht ohne Begleitung unterwegs ist.«

Patzig meinte Liz. »Sie ist ein großes Mädchen. Sie wird es schaffen. Warum spielst du dich ständig als ihren Beschützer auf?«

Liz konnte doch nicht wirklich sauer deswegen sein. »Ich kann ihn verstehen. London ist nachts nicht harmlos.«

Sie funkelte mich böse an. »Ja sicher und nur ihr könnt uns retten. Edler Ritter!«

Scott schnippte an ihr Glas, dass es klirrte, und beugte sich zu ihr runter. »Hey, dich würde ich auch ungern allein wissen. Ich passe nur auf meine Mädchen auf.«

So verlegen und schüchtern, wie sie nun den Tresen anlächelte, regte Befürchtungen. War sie etwa gerade eifersüchtig gewesen? Sie war hoffentlich nicht in Scott verknallt. Der Typ roch nach Casanova. Das konnte ich beurteilen, war ich oft nicht besser gewesen. Er begegnete meinem Blick und wurde direkt ernst, als er meine Miene richtig deutete. »Ich rühre sie nicht an.«

Liz' Reaktion, wenn es denn eine gab, konnte ich nicht sehen, denn ich stemmte mich hoch und knurrte ihm regelrecht ins Ohr. »Und wenn nur mit ernsten, langfristigen Absichten und Exklusivrechten. Sonst kastriere ich dich.« Er lachte lauthals los und schlug mir auf die Schulter. Sagte dann aber ernst: »Versprochen!«

Neben mir sprang Liz mit einem lauten genervten Laut vom Barhocker. »Primaten! Ich gehe tanzen. Und ja, ihr dürft hierbleiben. Idioten!« Mit verdrehten Augen stiefelte sie von dannen, dass ich lächeln musste. Da war ich nicht allein. Scott sah ihr hinterher wie ein glücklicher Hundewelpe.

»Deine Schwester ist echt taff und verdammt putzig.« Sofort war er wieder geschäftig dabei, die Bar aufzuräumen.

Putzig klang schon weniger nach Absichten, sie rumzukriegen, und besänftige meine Bedenken. »Ja, große Klappe, aber zuckersüß.«

Scott, beladen mit dreckigen Gläsern, zwinkerte mir zu. »Allerdings. Hannah und sie passen perfekt zusammen, allein weil sie meine Prinzessin ständig erröten lässt. Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber Liz hat ein echt loses Mundwerk.«

Nachdenklich trank ich einen Schluck, bevor ich nachhakte. »Deine Prinzessin?« Scott richtete sich wieder hinter dem Tresen auf, nachdem er die Gläser in die Spülmaschine verfrachtet hatte, und warf sich lässig ein Küchentuch über die Schulter. »Han, also Hannah, Johns Schwester.«

»Seid ihr zusammen?«

Er grinste in sich hinein und wischte den Tresen. »Wir würden damit jedenfalls eine Menge Leute glücklich machen. Ihren Vater und John ganz vorn mit dabei. Aber nein!« Wieder zwinkerte er so anrüchig.

»Dann ist das nur eine Frage der Zeit?«

Seine Augenbrauen wackelten. »Immerhin wohnen wir schon zusammen. Manchmal denke ich, sie ist die Einzige, die mich einmal zähmen könnte.« Souverän mixte er zwei Cocktails und reichte sie weiter, dann hielt er inne und sah mich direkt an. »Aber Quatsch beiseite. Wir sind nur Freunde.«

»Wie ist sie so? John erzählt nicht viel über sie. Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, hatte sie eine Zahnspange und ein Snoopy T-Shirt an.«

Aufrichtig lachte er voller Wärme. Er schien sie wirklich zu mögen. »Die hat sie immer noch.«

»Die Zahnspange?« Ich grinste und er schüttelte den Kopf.

»Nein, die Snoopy Klamotten. Sie schläft in dem Zeug. Gott, sie epiliert mir die Eier, wenn sie hört, dass ich dir so was verrate.«

Hustend würgte ich den Schluck Whisky runter. »Hört sich auch taff an.«

Mit zusammengezogenen Augenbrauen stütze er sich vor mir auf die Unterarme und beugte sich nach vorn. »John hat eine völlig falsche Vorstellung von ihr. Nur damit du das weißt. Sie ist nicht nur taff, sondern verdammt loyal und lieb. Sie hat ziemlichen Scheiß erlebt und neigt dazu, sich einzuigeln, aber wenn du dich auf jemanden verlassen musst, ist sie die Richtige. Deine Schwester könnte keine bessere Freundin haben und ich auch nicht.«

Ein paar Sekunden starrten wir uns schweigend an, während ich versuchte, das auf die Kette zu kriegen. Was wollte er mir da mitteilen? »Hört sich an, als hättest du sie echt gern.«

Schwungvoll wirbelte er herum und schnappte sich ein paar leere Flaschen. »Ich liebe diese Frau. Sie ist die Beste. Noch was trinken?« Ich winkte ab und er verschwand im Lager. Wow, ich war neugierig geworden auf Hannah.

3. Leugnen zwecklos, aber … man kann es doch mal versuchen

Hannah

 

In der darauffolgenden Woche wappnete ich mich innerlich für eine erste Begegnung mit Logan an der Uni. Was bedeutete, dass ich wenigstens versuchte, nicht durchzudrehen, und meine stets nervös feuchten Hände akzeptierte. Dass Liz mir bei unserer Aussprache Sonntag unter die Nase gerieben hatte, wie aussichtslos mein Versteckspiel war, half nicht wirklich. Wie hatte sie gemeint? Die Lunte brennt und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Bombe hochgeht. Leider hatte sie wohl recht damit, denn wie sollte ich mich dauerhaft vor meinem Dozenten als jemand anderes ausgeben? Ich konnte nur hoffen, dass er mich nicht als Jo erkannte.

Nicht lange und ich sah ihn tatsächlich in der Bibliothek. Von Weitem, versteckt durch ein Buch, begutachtete ich, wie perfekt er hier reinpasste. Er sah extrem heiß aus in seiner dunklen Stoffhose mit Hemd und Krawatte. Dort stand er und unterhielt sich mit einem Professor, den ich nicht kannte, sodass ich mit sicherem Abstand seine Erscheinung von seinen ordentlich gestylten Haaren über die schönen Hände bis zum ansehnlichen Hinterteil bewundern konnte. Bald würde er mir so im Unterricht gegenüberstehen. Dann würde ich mich sicher eher ducken und den Boden analysieren, um unsichtbar zu werden. Direkt zog sich mein Hals zu vor Nervosität, dabei freute ich mich im Prinzip sogar darauf, ihn wieder öfter zu sehen.

Seit Liz mir erzählt hatte, dass er hierblieb, konnte ich nicht anders als über ihn nachdenken und über das Gefühl, das er in mir auslöste. Eine Mischung aus freudiger Hyperaktivität und absoluter Entspanntheit. Eine Lösung hatte ich dennoch nicht, wie ich mit ihm und der ganzen Sache umgehen sollte. Ohnehin war es albern, auf mehr zu hoffen und ich war mir nicht sicher, ob ich dieses mehr überhaupt wollte. Mich hatte an dem Abend ein alter Mädchentraum angetrieben. Außerdem war er ab jetzt immerhin mein Dozent und mein Bruder würde sowieso ausrasten, wenn er von unserem Techtelmechtel erfuhr. Aber ich war neugierig, was an ihm dem entsprach, was ich mir vorstellte und welche Eigenschaften nur reine Projektion meiner Träumereien von damals waren. Eigentlich war es aufregend, dass er dadurch zu einem Menschen aus Fleisch und Blut wurde und nicht mehr wie eine Romanfigur in meinen Fantasien vollkommen und unantastbar daher schlenderte. Wer weiß, vielleicht würden wir sogar Freunde oder noch dramatischer, er würde tief fallen von meinem für ihn hoch gebauten Sockel der Bewunderung.

Auf dem Weg, die Wendeltreppe zur nächsten Etage der Bücherei hinauf, musste ich über diese kindischen Gedanken schmunzeln. Ich war doch schon viel zu realistisch geworden, um jemanden auf einen Thron der Perfektion zu setzen. Dennoch, wer wollte nicht gern mal ein wenig vom Märchenprinzen träumen.

Scott und ich kamen einen Tag später gerade aus der Bücherei und eilten zur AWL-Vorlesung, als Logan bereits durch die Tür unseres Hörsaales schritt.

Heute war der Tag. Heute würde sein Unterricht beginnen. Heute würde er mich unweigerlich sehen.

Den ganzen Morgen schon ging ich gedanklich zahllose mögliche erste Treffen und seine Reaktion auf mich durch und versuchte, die passende Variante zu finden, ihm locker beizubringen, dass ich Hannah, Johns Schwester, war. Immer in der Hoffnung, nicht als Jo erkannt zu werden.

Gerade noch zuversichtlich und entschlossen allem zu trotzen, legte ich im nächsten Moment eine Vollbremsung hin, die mir ein paar Flüche anderer Studenten einbrachte, die in mich hinein rauschten.

Im Grunde war ja genau das eingetreten, was zu erwarten war. Logan war jetzt mein Dozent. Dennoch war es, als würde ich plötzlich gegen eine Mauer aus all meinen Befürchtungen rasen. Die ganzen positiven Entwicklungsmöglichkeiten waren für mich in dem Moment wie Seifenblasen geplatzt, als ich ihn zwischen den Studenten erkannt hatte. Natürlich würde er mich verachten und sauer auf mich sein. Gott, wie sauer wäre ich, hätte er mich so angelogen. Stinkteufel, Luzifermäßig sauer.

»Hey Han, was ist los. Komm, wir sind spät dran.« Scott legte den Arm um mich und runzelte die Stirn.

»Sorry. Mir ist nur was eingefallen.« Entschuldigend lächelte ich ihn schief an und er schob mich durch die Tür. Die Blöße ihm die Geschichte zu beichten, hatte ich mir nicht gegeben und so war er, was Logan äh Dr. Dale anging, völlig ahnungslos. Na ja, nicht völlig. Meine Teenie-Peinlichkeiten kannte er ja. Durchatmen, Rücken durchdrücken und rein mit uns.

Gott sei Dank wunderte Scott sich nicht darüber, dass ich ziemlich weit hinten in den Reihen blieb. Als ich meine Brille aufsetzte, zog er allerdings die Nase kraus »Was ist das denn? Seit wann hast du bitte diese Brille?«

Mit rollenden Augen flüsterte ich zurück. »Echt? Seit ich 15 bin!« Ich hatte sie nur nie an. Na und? War doch super, endlich war das Ding mal zu was nütze. Verwirrt sah Scott zu mir, dann auf seinen Ordner, dann wieder zu mir, hob den Finger und öffnete leicht den Mund, schloss ihn wieder. Das Schauspiel war regelrecht süß.

Fast verzweifelt fragte er mich. »Hattest du die schon mal auf? Zu Hause? Bin ich echt so ein oberflächlicher Arsch, dass ich das nicht registriert habe?«

Der Arme tat mir fast schon leid. Ich holte meinen Ordner aus dem Rucksack, bevor ich ihm leise zuraunte »Fast nie, aber in letzter Zeit habe ich öfter Kopfschmerzen. Zu viel Computerarbeit.« Ich kramte nach meinem Füller, altmodisch, aber ich liebte Tinte und sagte noch beiläufig zur Seite: »Das ganze Bücher wälzen ist auch doof bei Weitsichtigkeit.« Scheinbar zufrieden, wackelte er mit dem Kopf und schlug seine Unterlagen auf.

»Guten Morgen! Mein Name ist Dr. Logan Dale und ich übernehme ab heute den Unterricht von Professorin Henley. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich noch einiges sortieren muss und vielleicht Dinge wiederhole, die Sie bereits durchgenommen haben. Aber scheuen Sie sich nicht, mich darauf hinzuweisen.«

Scotts Ellenbogen landete in meinen Rippen. »Das war der Grund für die Vollbremsung. Logan! Ich hatte schon ganz vergessen, dass er uns jetzt unterrichtet.«

Genervt zischte ich ein psst und ließ mir die Haare vors Gesicht fallen. »Ich will nicht, dass er mich erkennt.«

»Han, Liz hat recht, lass den Kram hinter dir.«

»Es wäre wunderbar, wenn die Herrschaften dort hinten die Gespräche verschieben könnten.« Na wunderbar! Logan sah uns scharf an und stutzte. Mein Herz blieb fast stehen, aber dann hob Scott kurz die Hand zum Gruß und Logan schnaubte. »Das gilt auch für Scott Banks.«

Ich verkroch mich hinter den Büchern. Bitte bemerke mich nicht. Bitte bemerke mich nicht. Das wurde mein Mantra für diese Stunde.

Es grenzte an ein Wunder, dass er mich anscheinend nicht weiter beachtete. Am Ende des Unterrichtes packte ich in Rekordgeschwindigkeit mein Zeug zusammen und eilte sofort zum Ausgang. Zwar hörte ich Scott noch nach mir rufen und sah, wie er zu Logan ging, aber ich tauchte in der Menge unter. Ich suchte das Weite, was mir einen Aufschub von lächerlichen zwei Stunden brachte, bevor ich mich ihm wieder stellen musste. Nicht genug, um meine Nerven zu beruhigen, aber nicht zu ändern. Unangebrachterweise flatterte dennoch eine verräterische Wiedersehensfreude in meinem Bauch. Anscheinend hatte ich immer noch nicht verstanden, dass Logan tabu war. Vielleicht sollte ich mein Studium einfach schmeißen. Erschien mir die beste Lösung, als ich mich in die Schlange am Coffeeshop einreihte, um mich dringend notwendig mit Coffein weiter zu pushen. Wahrscheinlich würde ich heute noch vor dem Seminar einen Herzinfarkt bekommen. Wäre das gut oder schlecht? Mmh … schwer zu sagen.

Seminar des Erkennens

 

Die nächsten beiden Stunden vergingen wie im Flug. Leider! Denn jetzt war Logan wieder an der Reihe und ich schlich geradezu mit eingezogenem Kopf durch die Flure zum Seminarraum. Wie sollte man sich auf die Apokalypse vorbereiten? Meine Antwort: Gar nicht! Mir war zum Heulen zumute, aber Glück war das Einzige, was mir jetzt noch helfen konnte. Im Seminar waren gerade mal 18 Leute, also unmöglich, mich zu verstecken. Mein Herz übte auf dem Weg bereits Saltos. Was, wenn er mich hier erkannte? Wie die Hannah von früher war ich nicht mehr, aber Jo? Nein, die wohl auch nicht.

Den Kopf gesenkt schlüpfte ich durch die Tür und suchte mir einen Tisch hinten am Fenster, um unbeteiligt rausstarren zu können. Gerade als ich überlegte, ob ich hier nicht von der Sonne wie von einem Scheinwerfer in Szene gesetzt wurde, betrat er den Raum und ich konnte nirgendwo anders mehr hin, ohne seine Aufmerksamkeit erst recht auf mich zu lenken. Also blieb ich notgedrungen da, wo ich war.

Eine braune uralte Ledertasche, die mir vorhin gar nicht aufgefallen war, unter dem Arm trat er an das Pult und verschaffte sich einen kurzen Überblick, indem er seinen Blick einmal über den Raum schweifen ließ. »Guten Morgen. Mein Name ist Dr. Logan Dale und wir haben für dieses Semester einiges vor, wie ich den Unterlagen entnommen habe. Aber zusammen werden wir das schon hinbekommen.« Dabei streifte er seine Hände an den Oberschenkeln ab, als wären sie klamm vor Nervosität und mein Blick blieb an seinen Fingern hängen.

Alles, was ich von da an in meinem Hirn ausbreitete, war das Gefühl seiner Hände, die fest meine Hüfte griffen. Sein Mund, der mir heiße Dinge ins Ohr flüsterte und unweigerlich schauderte ich. »Ist ihnen kalt? Sie dürfen das Fenster gerne schließen.«

Bei meinem unangebrachten Tagtraum hatte ich nicht bemerkt, wie er aufgestanden war und Zettel verteilte. Schnell griff ich nach dem Blatt, das er mir hinhielt, und räusperte mich. »Danke nein, das … Nein also.« Natürlich stotterte ich, als wäre das nicht alles schon peinlich genug und mein kurzer Blick zu ihm war wahrscheinlich an Bambi herangekommen. Verschrecktes Rehkitz! Oh Gott, warum ging er nicht weiter.

Kurz angebunden und schroff fragte er: »Waren sie schonmal in einem meiner Kurse?«

Meine Augen flogen hastig in sein Gesicht und ich nahm ein Stirnrunzeln wahr. Shit! »Ähm ja, Vorlesung AWL. Ziemlich überlaufen.« Tatsächlich waren gefühlt 200 Leute in diesem Kurs, der für verschiedene Wirtschaftsstudiengänge als Pflichtfach galt. Wieder war meine Antwort zu leise und abgehackt aus mir herausgekommen, aber wie redete man, wenn einem das Herz weg galoppierte. Die anderen sahen mich schon zum Teil recht abwertend an. Wahrscheinlich bildeten sich bereits überall rote Flecken in meinem Gesicht.

»Und ihr Name? Tut mir leid, aber ich kann mich nicht erinnern.«

MEIN NAME? Geschockt sah ich ihn nun zum ersten Mal direkt und länger als eine Sekunde an und seine Augen hellten sich scheinbar verstehend auf. Erkannte er mich etwa? In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Konnte ich ihm einen falschen Namen nennen? Nein, das war unmöglich. Schließlich würde er mir meine Noten geben. Gerade als ich schon die Wahrheit stammeln wollte und mich für die Reaktion wappnete, kam meine Rettung.

Die Tür wurde energisch aufgerissen und zwei Studenten fielen atemlos in den Raum. »Entschuldigen Sie bitte, Dr. Dale.«

Mit finsterem Blick sah er die beiden mahnend an, aber ich konnte sehen, wie er sich ein Lächeln verkniff bei ihren verschreckten Gesichtern. Direkt war er mir noch sympathischer. »Na dann setzt euch endlich, aber bitte etwas leiser.«

Als er sich wieder zu mir drehte, sah ich schnell auf meinen Tisch und knibbelte wie teilnahmslos an meinem Papier. Mir sehr wohl darüber bewusst, dass er mich musterte. Leise betete ich im Stillen. Geh weiter, geh weiter. Im Hintergrund hörte ich jemand flüstern und dann ein Kichern. Warum konnte ich nicht die coole Barkeeperin Jo rauslassen, anstatt hier mit roten Wangen zu sitzen wie ein unsicheres Mauerblümchen, über das alle sich lustig machten.

»Na dann willkommen in meinem Kurs.« Puh!

Leise murmelte ich ein: »Danke!« Noch mal Glück gehabt. Sofort entspannten sich meine Muskeln und ich atmete tief ein. Bis dahin hatte ich nicht mal gemerkt, dass ich die Luft angehalten hatte. Wie lange konnte die Lüge bestehen bleiben? Das gerade machte mir nur bewusster, dass Liz recht hatte. Die Lunte brannte und eines Tages kam der Knall. Und jede Begegnung, ohne die Wahrheit zu sagen, machte es unweigerlich schlimmer. Endlich ging er weiter und verteilte die restlichen Zettel.

Während ich versuchte, die zwei tuschelnden Studenten, die mich begutachteten und kicherten, auszublenden, schlug ich meinen Block auf und begann mir Notizen zu machen. Bemüht zu übersehen, wie verboten gut er aussah in seiner Rolle als Dozent. Nicht so verwegen wie an dem Halloweenabend, aber dennoch heiß. Ein wenig wie James Bond ohne Anzug, als Gentleman vom Lande. Verdammt, war er hinreißend. Als er dann eine Brille aufsetzte, musste ich mir ein Seufzen verkneifen. Wie kann jemand gleichzeitig so süß und lieb aussehen und dabei so gefährlich heiß sein? Eins war klar. Von dieser Stunde bekam ich mit Glück höchstens die Hälfte an Stoff mit. Wenn ich dieses Semester die Prüfungen schaffen wollte, sollte ich lernen, Logan neutral zu sehen, und meine Libido anders beschäftigen. Genau in dem Moment traf sich mein Blick mit seinen türkisfarbenen Augen und mich durchzog ein erregtes Knistern. Was hatte ich mir da nur eingebrockt? Seufzend malte ich auf meinen Block ein Muster, ohne nur entfernt was vom Lernstoff mitzubekommen.

Das konnte ja heiter werden.

 

Logan

 

Mir war nicht sofort bewusst, was mich an ihr irritierte, bevor ich sie ansprach. Aber dann als sie mir antwortete und unsere Blicke sich trafen, durchfuhr es mich wie ein Blitz. Sie war es! Die Frau, wegen der ich erst wochenlang das M’s gemieden hatte, nur um jetzt regelmäßig dort aufzukreuzen und nach ihr Ausschau zu halten, weil mir klar war, dass sie mich nicht losließ. Sie war es. Jo! Mein One-Night-Stand, der sich leise verpisst hatte. Kurz war ich verwirrt, aber ihre Stimme und diese Augen würde ich nicht vergessen. Was an ein Wunder grenzte, wenn man bedachte, wie betrunken ich in dieser Nacht gewesen war. Ihre Haare waren etwas länger, lang genug für einen lockeren Zopf. Nachlässig mit einem schwarzen Gummiband zusammengehalten, und mittelblond, nicht mehr dunkelbraun, aber das schien mir schon an dem Abend zu unnatürlich. Wahrscheinlich war das hier ihre echte Haarfarbe. Dafür sprachen die vielen unterschiedlich farbigen Nuancen, die ich ausmachte. Eine Schwester zu haben, erweiterte eindeutig den Horizont. Sie hatte zugenommen, was wirklich gut war. Nicht nur, dass ihr Gesicht weicher wirkte und die Wangen nicht mehr so hohl schienen, sondern auch, weil ich mich daran erinnern konnte, wie dünn sie gewesen war. Nicht zu dünn. Aber es passte nicht zu ihr. Schien mir unnatürlich, sodass ich mir um eine fremde Frau Gedanken gemacht hatte. Jetzt schien sie mir wesentlich besser zurecht. Aber das war auch ein Grund, warum ich sie nicht sofort erkannt hatte.

Obwohl mein Blick die ganze Vorlesung über immer wieder auf ihr gelandet war, faszinierte es mich immer noch, sie hier zu sehen. Sie war es sicher. Auch ihre große, modische Brille mit dem schwarzen Rahmen täuschte darüber nicht hinweg. Konnte ich wirklich so viel Glück haben und sie hier einfach wiederfinden? Andererseits konnte ich das Glück nennen? Eher Folter, schließlich war ich jetzt ihr Dozent und somit aus dem Spiel.

Kurz flackerte etwas in ihren Augen, als sie zu mir hochsah, aber es verschwand so schnell wieder, dass ich mir es auch eingebildet haben könnte. Ziemlich sicher hatte sie keine Ahnung, wer ich war oder wollte es nicht zugeben. Das ärgerte mich maßlos und war auch der Grund, warum ich so unfreundlich zu ihr gewesen war. Sie beherrschte in den vergangenen Wochen viel zu oft meine Gedanken. Immer wieder hielten mich die Erinnerungen an sie gefangen und sie sah mich an wie jeden X-beliebigen. Dabei ärgerte ich mich mehr über mich selbst. Ich schämte mich, denn das hier war der Beweis, dass meine Vermutung, dass sie sturzbetrunken gewesen war, stimmte und ich Arsch hatte dennoch mit ihr geschlafen. Ich egoistisches Schwein. Ich, der normalerweise klare Absprachen traf und nur selten lediglich für eine Nacht eine Frau ins Bett holte, hatte mich aufgeführt wie ein perverses notgeiles Schwein.

Verdammt, komm damit mal klar, Logan. Es ist nicht mehr zu ändern. Ein weiterer Gedanke kam mir. Vielleicht war ich auch einfach nur unbedeutender Sex gewesen und deswegen hatte sie sich mein Gesicht nicht eingeprägt. Immerhin war sie schon vor dem Morgengrauen verschwunden.

Unkonzentriert brachte ich die Stunde zu Ende, meine Letzte für heute und packte schnell meinen Kram in die Tasche. Alles in allem hatte ich mich bisher relativ gut an der Uni geschlagen und meine Nervosität erfolgreich nach hinten gedrängt. Ich war stolz darauf, wie leicht mir der Einstieg in mein neues Leben gefallen war und froh den Schritt gemacht zu haben. Schon jetzt fühlte ich mich wieder mehr, wie ich selbst. Und genau das war momentan das Wichtigste. Mich wieder in die Spur bringen, herausbekommen, was für ein Leben ich wirklich führen wollte. Ich musste mich auf mich konzentrieren.

Gerade als ich meinen Laptop aussteckte und unter dem Arm klemmte, begegnete ich Jos Blick, der mich nur kurz beim Rausgehen streifte und ich fasste einen Entschluss. Ich würde das mit ihr klären, bevor ich anfing, mir ständig den Kopf darüber zu zerbrechen, ob sie sich an mich erinnerte oder nicht. Wir waren beide alt genug, um die Sache ins Reine zu bringen und ein vernünftiges Verhältnis aufzubauen. Also eilte ich hinter ihr her. Verlor sie allerdings kurz darauf schon aus den Augen, nur um sie dann doch wieder in der Menge der Studenten auszumachen, die draußen auf dem Campus umherwanderten. Abermals beschleunigte ich meine Schritte und heftete mich an ihre Fersen.

Bereits etwas entfernt von der Hauptmenge holte ich sie ein und versuchte locker, neben ihr herzugehen. Mein Herz vollführte einen kleinen Hüpfer, den ich schnell verdrängte. Das war albern. Ich kannte sie gar nicht und ich war definitiv nicht der Typ, der emotional wurde oder gar für jemanden schwärmte. Begehren ja, aber nicht mehr. Tief in Gedanken versunken, biss sie sich auf ihre schöne volle Unterlippe, die so weich auf meiner Haut gewesen war. Weich und warm. Unmöglich, dort nicht fasziniert hängenzubleiben. In meiner Hose zog es verdächtig und der beste Freund des Mannes bekundete Interesse. Unpassend. Möglichst unauffällig richtete ich meine Hose, um den Druck abzubauen, und zog mein Hemd darüber. Das fehlte mir jetzt auch noch. »Hey, entschuldige. Darf ich dich kurz stören?«

Sie stolperte vor Schreck und wurde erst kreidebleich und dann knallrot. Vielleicht wusste sie doch, wen sie vor sich hatte. Verschreckt starrte sie mich an. Ihr Mund war leicht geöffnet und mir schien es, als würde sie nicht atmen, bis sie krächzte. »Dr. Dale!«

Sie war so süß, dass ich grinste. »Jep, genau.« Unruhig sah sie sich zu allen Seiten um. Bereit, die Flucht zu ergreifen und ich milderte meinen Plan, sie zu konfrontieren, etwas ab. »Wo geht man hier am besten Kaffee trinken?« Unverfängliche Frage.

Sie klimperte mit den Augen, als müsste sie sich überzeugen, dass ich keine Halluzination war. »Nur Kaffee?« Bei dem Bild von ihr auf dem Bett, das mir bei dieser Frage hochkam, regte sich wieder mein bestes Stück. Nein! Erst dich nackt. Dann Kaffee. Schwerfällig löste ich meinen Blick von ihrem Mund und räusperte mich. Bevor ich antworten konnte, spannten sich ihre Schultern und sie haspelte los. »Also, das ist wichtig. Nur Kaffee schwarz? Oder Cappuccino oder Ähnliches wie Caramel Macchiato oder Pumpkin Latte. Oder möchten sie gar was essen? Kuchen?« Während sie sprach, war sie immer hibbeliger geworden und mir ging auf, sie war nervös. Aber wegen des Dozenten, der sie ansprach oder meinetwegen, dem Kerl von Halloween, den sie auf ihr Zimmer eingeladen hatte.

Seltsamerweise überkam mich eine absolute Ruhe. Ich wollte für sie ein Fels sein und ihr helfen, die Fassung wiederzuerlangen. »Also im Moment hätte ich gerne einen guten Kaffee schwarz und wäre Kuchen nicht abgeneigt. In den nächsten Stunden muss ich ungefähr eine Tonne Unterlagen durchsehen und könnte vorher eine Pause vertragen. Aber ich bin generell für jede Information dankbar, die mein Überleben hier sichert.«

Sie lächelte und schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Erst jetzt fiel mir richtig auf, wie unscheinbar sie gekleidet war. Keine Spur von der schwarzen, wilden Aufmachung von Halloween. Nur Jeans und ein grauer Rollkragenpullover mit Zopfmuster, geradezu bieder unter einem olivgrünen weiten Parka, der aussah, als würde er eigentlich einem Mann gehören. Auch die Piercings im Ohr und in der Nase waren verschwunden. Nicht mal einen Hauch Make-up konnte ich in ihrem Gesicht ausmachen. Vielleicht war sie im normalen Leben eher zurückhaltend und unser Abend war eher ungewöhnlich für sie und sie deswegen so nervös. Ich konnte nicht behaupten, dass ich mich nicht darüber freuen würde, wenn ich sie dazu gebracht hatte, über ihren Schatten zu springen. Eigentlich sollte ich nicht stolz auf solch einen Erfolg sein, aber abstellen konnte ich das Gefühl auch nicht.

Tief atmete sie durch und lagerte den Stapel Bücher auf den anderen Arm um. »Also dann gebe ich ihnen mal eine Einweisung, der Kaffeemöglichkeiten.« Ein kleines Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, da sie schon sichtlich entspannter fortfuhr. »Wenn sie nur 10 Minuten haben, aber dringend einen Kaffee brauchen, ist Alfie ihr bester Freund.« Sie deutete auf einen kleinen Laden am Rande des Campus, der eigentlich nur aus einem Fenster und einer Theke bestand. »Der schwarze Kaffee ist gut. Aber nicht die Donuts oder gar die Sandwiches essen. Widerlich! Keine Ahnung, warum, aber alles bei ihm schmeckt, als wäre es eine Woche alt. Nur abgepacktes wie Oreos oder Chips oder oh, diese kleinen Kuchen mit Cremefüllung. Schmecken wie pure Chemie, retten einem aber das Leben an einem 8-Stunden-Tag ohne Pause.«

Wissend nickte ich ihr aufmunternd zu und feilte an einem Plan, länger mit ihr zu reden. Möglichst ohne Zuschauer. Ich wollte mich nicht so schnell von ihr trennen. »Ist notiert!«

»Ok. Wenn sie ein Bedürfnis nach Starbucks Kaffee haben, mit Sirup und tralafitti.« Ich gluckste bei dem Wort und sie grinste. »Den gibt’s bei Starbucks!« Sie zeigte lachend auf die Starbucks Filiale hinter mir und ich streckte den Daumen nach oben. »Oder sie gehen ein Stück. Wenn sie eine echte Auszeit brauchen und Abstand vom Campus und finden sich dort im besten Café Londons wieder.«

Interessiert hob ich die Augenbrauen. »Und wo genau muss ich hin? Das hört sich doch perfekt an, um mal abzuschalten.«

Unruhig sah sie auf ihre Füße und stotterte: »Also … hier die Straße bis zur nächsten Kreuzung, dann links, noch mal links in die kleine Gasse und … dann das Sugar. Kleiner Laden mit rot-weißer Markise und Holzverkleidung.«

Dabei wirkte sie so unschlüssig, dass mir eine Vermutung kam. »Warst du auf dem Weg dorthin?«

Ihr Mund klappte auf und sie trippelte von einem Fuß auf den anderen, bis sie fest und fast angriffslustig mit »Ja!«, antwortete.

Ich grinste. Perfekt! »Darf ich dich begleiten?« Wieder scannte sie unsere Umgebung. »Hast du Angst, mit deinem Dozenten gesehen zu werden?«

Eigentlich sollte das ein Spaß sein, aber sie presste ihre Lippen fest aufeinander und schnaubte: »Offen gestanden, ja. Denn ich habe keine Lust auf irgendwelche Gerüchte, ich würde mir meine Noten durch körperliche Gefälligkeiten erarbeiten.« Trotzig reckte sie ihr Kinn nach oben. Mühsam unterdrückte ich ein Lachen. »Das ist nicht witzig. So hässlich bin ich auch nicht. Solche Sachen kommen schneller zustande, als man denkt«, schnauzte sie.

Das ernüchterte mich schlagartig. Hatte sie da bereits Erfahrungen gemacht? Oder gar was mit einem Prof.? So neutral wie möglich kam meine Reaktion. »Natürlich nicht. Du bist sogar ausgesprochen hübsch. Ich fand den Ausdruck nur nett. Körperliche Gefälligkeiten. Komm, ich lade dich als Dankeschön für die Einführung in die Kaffeewelt ein. Rein platonisch, versteht sich.« Damit nickte ich in Richtung der Straße, die zum Café führen sollte. Erleichtert stellte ich fest, dass sie mir mit besänftigendem Ausdruck folgte. Nicht erleichtert war ich über das leichte Ziehen in meiner Brust, das jedes Mal einsetzte, wenn ich sie ansah. Ihre vollen Lippen, ihre graublauen Augen, die unsicher und verletzlich schienen, obwohl ihr Gesicht so hart und fast arrogant wirkte. Sie gefiel mir. Mehr als angemessen war. Und mir gefiel es, sie in ihrem Alltag zu sehen.

Beim Café angekommen hielt ich ihr die Tür auf und sie setzte sich zögerlich am Fenster auf eine Bank an der Wand und legte ihre Bücher und ihre Tasche neben sich. Wohl das eindeutige Signal für mich, dass für mich kein Platz neben ihr vorgesehen war. Damit kam ich klar. Mein Blick blieb wieder an ihrem Gesicht hängen, das mit seinen hohen Wangenknochen und den Mandelaugen auf mich einzigartig anziehend wirkte. Vielleicht war es aber auch nur der Ausdruck in ihren Augen, der sich ständig änderte, als würde sie in jeder Sekunde über tausend Dinge gleichzeitig grübeln. Im Moment huschte ein verärgerter Zug über ihr Gesicht, der nicht zu ihren weichen Worten passte. »Das ist mein Stammtisch. Meistens bin ich mit meinem Freund hier.«

Meine Augenbraue zuckte kurz nach oben und sie schien es mit Genugtuung zu registrieren. Sie steckte mir also das Revier ab. Seufzend schlug ich die Karte auf. Wie dumm ich doch war, auch nur für eine Sekunde mich auf dieses Gefühl einzulassen. Sie war meine Studentin, also absolut tabu und anscheinend bereits vergeben.

Ob sie das Halloween schon gewesen war? War ich etwa ein Seitensprung und sie deswegen am nächsten Morgen ohne ein Wort verschwunden? Ich gab es nicht gerne zu, aber das fühlte sich mies an und das nicht nur, weil ich der Betrug war, sondern nicht die Nummer 1. Wenn ich eins Leid war, dann hinten anzustehen oder der Kompromiss zu sein. Das tat ich schon bei mir selbst. Innerlich rüstete ich auf und wurde deutlich kühler. »Es ist wunderschön hier. Gemütlich.«

Kurz musterte sie mich neugierig. »Ja, jeder Tisch ist ein Unikat. Violet hat alles über Jahre zusammengesammelt und sich hier ihren Traum vom eigenen Geschäft verwirklicht. Der beste Kuchen weit und breit.« Immer noch war ihr Blick mir gegenüber skeptisch, als warte sie nur auf eine Ansprache und die würde ich ihr auch bieten. Aber erst, nachdem sie ihre Bestellung schon vor sich stehen hatte. Die Fluchtgefahr war dann hoffentlich geringer.

Der Kellner kam und ihr Gesicht strahlte. »Gideon, wieder mal die Schürze an?«

»Du blöde Kuh!« Ich blickte verwundert auf, aber die beiden grinsten nur. Ein Insider, wie es aussah. Zärtlich strich dieser Gideon ihr über die Wange, was etwas in mir brodeln ließ. Überraschend! »Und bei dir? Alles okay? Ich habe dich ewig nicht gesehen.«

»Ich war hier. Du nicht.«

Er trommelte mit seinem Kuli auf den Block und stöhnte. »Familie! Mein Dad hatte beschlossen, mit einem Herzinfarkt abzutreten.« Sie zog die Luft ein und schlug sich die Hand vor den Mund, aber Gideon grinste. »Keine Angst Schneckchen. Der Herzinfarkt war nur eine Magenschleimhautentzündung. Aber jetzt meinen meine Eltern, es wird endgültig Zeit für mich, für Erben zu sorgen. Also … der Heiratsmarkt wurde wieder eröffnet.«

»Du Ärmster. Meine Eltern sind im Moment ruhiggestellt.«

Er sah zu mir »Dein Freund? Oder habe ich noch Chancen auf dich?«

Schlagartig gefror ihre Miene. »Oh Gott, nein. Das ist Logan, äh Dr. … Dr. Dale. Mein Dozent. Er wollte nur …«

Interessant! Ich war also Logan! Ich streckte ihm die Hand entgegen, die er schüttelte. »Ich habe sie gezwungen, mir den besten Kaffee zu verraten und als Dank wollte ich sie einladen.«

Seine Mundwinkel kräuselten sich. »Oh … Trips Bruder?«

Kurz sah er bedeutungsvoll zu Jo. Was hatte Trip mit ihr zu schaffen? Sie riss die Augen auf und quietschte ziemlich verdächtig: »Ich kenne keinen Trip.«

Gideon reagierte gelassen, wenn auch eindeutig ironisch. »Klar, aber ich!« Und wendete sich wieder mir zu. »Trip und ich sind …«

Hektisch unterbrach meine Begleitung ihn. »Welchen Kuchen gibt es heute im Angebot?«

Ich war nicht der Einzige, den das verwirrte und Gideon sah sie fragend an, schien aber etwas in ihrem flehenden Blick zu erkennen und nickte unmerklich. »Kürbis, Pecannuss und Karottenkuchen.«

»Pecannuss und Karotte«, schoss es aus ihr raus.

Amüsiert über die zwei Stück Kuchen musterte ich sie und bestellte dann für mich Kürbiskuchen und Kaffee. Eigentlich wollte ich schon gerne wissen, woher er Trip kannte. Ich wusste so gut wie nichts über sein momentanes Leben oder seine Freunde. Aber jetzt entschied ich mich dagegen, nachzuhaken, und konzentrierte mich lieber auf mein Gegenüber. Sicher bekam ich noch die Gelegenheit mit Gideon zu sprechen. Eigentlich fühlte ich mich viel zu wohl in ihrer Gegenwart und ich erwog sie nicht mit Halloween zu konfrontieren, aber diese beherrschte, gleichgültige Maske, die sie sich nun aufgesetzt hatte, reizte mich. Nein, nervte mich. Erkannte sie mich wirklich nicht? War ich so unbedeutend gewesen? Also dann bereit zum Angriff. »Jo? Ich denke, wir sollten darüber reden.«

Gehetzt sah sie sich um. »Was? Ich?«

 

 

Hannah

 

War das zu fassen? Ich saß hier, mit Logan, an meinem Stammplatz in meinem Lieblingscafé und das fühlte sich so richtig an.

Nein, falsch! Es war falsch! Fast wäre mein Herz stehen geblieben, als Gideon mit Trip angefangen hatte, aber jetzt hatten wir bestellt und Logan schien nicht zu wissen, wer ich bin. Plötzlich wurde mir klar. Dass ich Trip kannte, dass ich Hannah war, war ja kein Problem. Völlig verkrampft hatte ich mich komplett versteckt. Aber das musste ich gar nicht. Wenn er mich als Jo nicht erkannte, war alles gut, nein perfekt. Das war meine Chance auf einen Neubeginn mit ihm, ohne dass er es überhaupt ahnte. Ich würde jetzt einfach einen Scherz machen, Überraschung rufen und erklären, wer ich war. Also nicht Jo von Halloween, nein, dass ich Hannah war. Ja, genau und alles wäre gut. Wir würden darüber lachen, dass er mich nicht erkannt hatte, und mein Leben würde sich prächtig weiter entwickeln. Mein dummer Fehler würde im Nirwana versinken und nie wieder musste je darüber gesprochen werden.

»Jo? Ich denke, wir sollten darüber reden.«

UMPF! Schlag in die Eingeweide. Das hatte ich mir doch jetzt eingebildet? Das hatte er jetzt nicht gesagt. Panisch sah ich hoch in seine schönen Augen, die mir entschlossen, entgegenblickten. »Was? Ich?«, quiekte ich dämlich.

Er stützte sich auf seinen Ellenbogen ab und legte die Finger aneinander. »Ja du. Willst du mir wirklich weiß machen, du hättest mich nicht erkannt? Klar, wir waren beide ziemlich dicht, aber …«

Oh Gott, er hatte es gesagt. Ok, Plan gescheitert. Erbärmlich gescheitert. Platt gewalzt. Abgesoffen. Erschossen. Krepiert!

Reiß dich zusammen, Hannah!

Hilflos knetete ich meine Finger. Gideon kam mit unserer Bestellung und unterbrach uns gnädigerweise, was mir ein paar Sekunden zum Atmen schenkte. Das war es dann wohl mit meiner Rettung vor der Peinlichkeit des Jahrtausends. Direkt blitzten die wütenden Gesichter von John, Trip und Logan vor meinem geistigen Auge auf, wenn sie erfuhren, was ich getan hatte. »Fuck!« Das hatte ich jetzt leider laut gesagt.

»Na, das war meine Bestätigung!«

War er sich etwa gar nicht sicher gewesen? Und wieder vermasselt. Seine Miene wurde weicher. Dennoch war ich kurz davor, mein Zeug zu packen und schnellstmöglich zu verschwinden. Wie sollte ich ihm beibringen, wer ich war?

Leise erklärte er: »Mir wäre es lieber, wir würden das Ganze aus der Welt schaffen, damit wir uns in Zukunft in die Augen sehen können.«

Das laute Ha schluckte ich angestrengt runter. Wenn er wüsste. Aber nun war ich neugierig, legte meine Bücher wieder ab und trank einen Schluck Kaffee. Unsicher hob ich meinen Blick. »Hast du mich sofort erkannt?« Auch er stellte gerade die Tasse wieder ab und lächelte zaghaft. »Nein, deine Haare sind eher naturblond, mmh?« Ich nickte. »Und die Piercings waren auch nur Teil der Verkleidung. Aber deine Augen und deine Stimme haben dich verraten.«

Mühsam atmete ich ein und aus. »Und jetzt?« Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Hey, du, es wird noch witziger. Rate, wer ich wirklich bin.

Er kaute zu Ende. »Der Kuchen ist gut. Also ich denke, wir sollten einfach die Vergangenheit da lassen, wo sie hingehört. Wir sind erwachsen. Keiner von uns wusste, dass wir uns nur wenige Wochen später in einem Lehrer-Schüler-Verhältnis wiederfinden und somit haben wir nichts falsch gemacht. Allerdings empfände ich es als wesentlich angenehmer, wenn du nicht immer Dr. Dale sagen würdest. Wenigstens außerhalb der Uni.«

Außerhalb der Uni? Wollte er sich mit mir anfreunden? Kleine Schmetterlinge starteten eine Party in meinem Bauch, aber ich stutze ihnen schnell die Flügel. Unfähig zu antworten, stopfte ich mir Kuchen in den Mund. Das, was ich ihm dringend mitteilen sollte, bekam ich nicht raus. Wieder traf ich eine beschissene Entscheidung. Ich würde seine Gegenwart noch ein wenig länger genießen. Noch einmal, bevor er mich hassen würde, weil ich Hannah war und eine dumme Lügnerin. Heiser raunte ich: »Klingt gut.«

Viel zu lange musterte er mich still, bevor er fragte: »Warum bist du einfach abgehauen? Warst du schon mit deinem Freund zusammen?«

Prompt verschluckte ich mich und hustete. »Scott?« Shit, warum dachte ich bei Freund an Scott? Er kannte Scott! Warum säte ich Hinweise für mein Verderben? Ich war nicht nur eine Lügnerin, sondern auch noch eindeutig mies darin.

Sein Blick schien mich zu durchbohren. »Scott Banks?«

Ich hustete nochmals ausgiebig. »Nein, also ja, also nein. Er ist nicht mein Freund nur ein Freund. Aber mit ihm bin ich oft hier. Das vorhin war nur so dahingesagt.«

Er grinste. »Klar, um mir schon mal die Grenze aufzuzeigen.«

Peinlich berührt spielte ich mit einem Kuchenkrümel. »Ein wenig, ja. Ich wusste nicht so recht, was du von mir willst.«

Er zog eine Augenbraue nach oben und legte sich nach hinten. »So miese Erfahrungen mit Kerlen im Allgemeinen oder mit Profs?«

Ich zuckte mit der Schulter. »Menschen sind intrigante Arschlöcher.« Dabei sah ich nicht ihn, sondern die Weihnachtsdeko in Form eines Windlichts auf dem Tisch an. Warum ich das jetzt rausgelassen hatte, konnte ich mir selbst nicht erklären. Wow, war ich zynisch geworden und das Schlimmste, ich war jetzt offiziell auch Mitglied in diesem Club der Blender, die ich eigentlich verachtete.

»Du hast wohl keine gute Meinung von der Welt.«

»Nein, nur von wenigen Auserwählten. Die meisten sind nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht und nutzen dich aus, bis du leer und ausgesaugt zurückbleibst.« Das wurde mir zu ernst und ich atmete geräuschvoll aus. »Vergiss es. Hatte eine schlechte Woche. Was ist mit dir. Warum bist du in London gelandet?«

»Ich war leer und ausgesaugt.« Er zwinkerte mir zu. »Aber daran war ich selbst schuld. Also wurde es Zeit, mich daran zu erinnern, wer ich bin und das zu tun, was mich glücklich macht.«

Meine Brust wurde warm. »Und hier bist du glücklich?«

Er hielt meine Augen mit tausend Emotionen gefangen. »Ich bin auf dem Weg dorthin. Jetzt bin ich zu Hause. Meine Familie ist hier und vor allem, ich bin hier bei ihnen. Endlich erkenne ich den Mann im Spiegel wieder. Jeden Tag ein wenig besser … mehr. Ergibt das einen Sinn?«

Ich versank in diesem Türkis, das mich anblitzte, und antwortete sanft: »Ja, das macht mehr Sinn für mich, als du wahrscheinlich glaubst. Leider ist mein Spiegel mir nicht ganz so wohl gesonnen wie dir deiner.« Wie leicht und normal es war, so vertraut, mit ihm zu reden.

Er klopfte mit der Gabel auf den Tisch und zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. »Woran liegt das? Eher am Studium oder im Privaten? Familie?«

Ich seufzte. »An allem durcheinander.« Dann schob ich mir ein großes Stück Kuchen in den Mund und betrachtete höchst interessiert meinen Tellerrand, auf dem kleine blaue Blumen abgebildet waren. Bald würden sie das Weihnachtsporzellan herausholen. Traditionell an Nikolaus.

Er beugte sich vor. »Manchmal braucht man einfach Zeit, um sich zu finden, vor allem wenn die eigene Persönlichkeit so komplex ist, dass man mit sich selbst Kompromisse schließen muss.«

Verwundert sah ich auf und sein Blick traf etwas ganz tief in mir. Mir schien es, als würde er etwas in mir verstehen, dass ich mit aller Macht versuchte zu ignorieren.

»Du bist nicht der konforme Typ, oder?«

Meine Krallen fuhren aus. Regelrecht wütend schnaubte ich: »Nein. Das strengt mich an. Ständig muss man nachplappern und lächeln und brav sein. Gott, ich bin brav, aber diese Vorstellungen, die man von mir hat. Projektionen ihrer Erwartungen. Das Schlimmste ist, dass ich sie an mich selbst stelle.«

Er griff nach meiner Hand und streichelte beruhigend mit dem Daumen über meinen Handrücken. »Welche Erwartungen?«

Unsicher entzog ich ihm meine Finger, auch wenn ich seine Berührung wirklich genoss. Zu sehr! Seine Wärme brachte mir eine Ruhe, die ich nur selten fand. »An der LSE genommen zu werden, ist keine Selbstverständlichkeit. Man muss gut sein und überzeugen.« Er nickte wissend und wackelte etwas mit dem Kopf nach dem Motto. Sag das nicht mir. »Jedenfalls waren alle schon in der Schulzeit überzeugt davon, dass ich das hier rocke und jetzt bin ich die Vorzeige-Karriere-Frau, die genauso erfolgreich wird wie ihr Bruder und dann auch noch den Prinzen von New York heiratet. Wunderschöne wohlerzogene Kinder in die Welt setzt und trotz eines erfolgreichen Unternehmens, das sie zehn Stunden am Tag leitet, auch noch Muffins für die Schule backt, und Familienessen mit fünf Gängen vorbereitet. Perfekt gestylt natürlich. Kein Gramm zu viel auf den Hüften und immer lächelnd. Immer! Nur nicht am Grab meines Vaters, da darf ich feuchte Augen bekommen. Aber nicht weinen, das wäre unprofessionell, wenn nicht gar vulgär.«

Fast mitleidig musterte er mich. »Das hört sich anstrengend an. Kurze Frage: Prinz von New York? Die USA führen für dich die Monarchie wieder ein?«

Mit vollem Mund und aufgerissenen Augen nickte ich übertrieben und er grinste. Noch nicht ganz leer gekaut, ereiferte ich mich: »Die Monarchie wurde nie abgeschafft.« Schwer schluckte ich den Klumpen. »Nur verschleiert. Die Könige sind die CEO der großen Unternehmen, die die Macht haben, die Kleinen zu schlucken, durchzukauen und dann entweder restlos zu verdauen oder teilweise wieder auszuspucken. Zugegebenermaßen arbeite ich für einen dieser Giganten, um mir die Studiengebühren zu verdienen.«

Überrascht stutzte er. »Tatsächlich?«

Ich winkte ab. »Ja, aber der ist eigentlich ganz ok. Gibt Schlimmere!« Wieder füllte sich mein Mund mit Kuchen. »Mum und Dad wollen nur das Beste für mich, also bleibt mir nur jemand wie Scott. Geld, dicke Firma dahinter, mit Macht und politischem Einfluss oder jemand wie Gideon …« Ich zeigte mit der Gabel auf unseren Kellner »… Sohn eines Viscounts, um sie glücklich zu machen.« Ironisch verzog ich das Gesicht und ließ meine Stimme nur so vor Arroganz triefen. »Alles andere wäre unter meiner Würde. Schließlich bin ich sooooooooo begabt und … kotz, würg, bla bla!«

Über die ganze Zeit hatte er meiner Tirade aufmerksam gelauscht, ohne dass ich mich bewertet oder in eine Schublade gesteckt fühlte. Jetzt richtete er sich auf und seine Augen wurden schmaler. »Ja, das kenne ich in der Männerversion. Momentan reden sie sich ein, ich potenziere mit einem Doktortitel meinen Marktwert.«

Er grinste wie ein kleiner Junge und ich fügte frech an. »Dabei rennst du nur vor dem Anzug weg, was?« Logan war für mich einfach eher der Typ in Jeans oder Sporthose. Dazu Vans und einen Basketball.

Erstaunt zogen sich seine Mundwinkel nach oben. »Richtig!« Er schüttelte lachend den Kopf und trank seinen Kaffee, bevor er mir wieder so intensiv in die Augen sah »Was willst du?«

Dich! War das Erste, was mir durch den Kopf schoss. Albern. Bei dem Gedanken, wie schnell unser nettes Verhältnis bald schon wieder vorbei sein würde, machte sich ein unangenehmes Brennen in meiner Brust bemerkbar. Ich fühlte mich zu wohl mit ihm. Es würde unweigerlich böse enden. Dennoch antwortete ich ihm, wenn auch etwas heiser: »Seltsam. Scott hat mich vor kurzem das Gleiche gefragt und mich gezwungen darüber nachzudenken.« Ich sah ihm wieder in die Augen, wovon ich nicht genug bekam. »Eigentlich weiß ich das gar nicht. Meine Vorstellung ist recht vage. Ich plane nicht gerne.« Kurz hielt ich inne und lachte dann.

»Was ist so komisch?«

»Wenn meine Freunde hier wären, würden sie jetzt alle lachen oder widersprechen. Ich bin der Listentyp. Ich bin die, die bei einem Wochenendtrip Wäscheklammern, Brandsalbe und Ersatzbatterien einpackt. Also ich plane mehr als nötig und organisiere und analysiere. Aber nur kurz- oder höchstens mittelfristig und schon gar nicht mein Leben. Schwer zu erklären.« Fragend schwebte seine Gabel über meinem Pecanusskuchen, und ich nickte lächelnd. Er nahm ein Stück und stöhnte genüsslich auf. Grrr ... dagegen half nur Oberschenkel zusammenpressen und an die Hausarbeit in Ökonomie denken.

Leider stand mein Mund dennoch einen Spalt offen und wahrscheinlich sabberte ich gerade den Tisch voll, als er brummte: »Der ist dermaßen gut.« Er leckte noch mal die Gabel ab und ich fühlte mich, als würde er mich ablecken. Verdammt, war das auf einmal heiß hier. »Das mit der Planung verstehe ich. Kontrolle kann ich perfekt. Aber es macht mich auch wahnsinnig. Man fühlt sich, als wäre man in Sirup hängengeblieben. Kein Platz mehr für Spontanität. Außerdem verlernt man, die kleinen Zufälle und Gelegenheiten wahrzunehmen, die einen glücklich machen.« Seine Augen wurden dunkler. »So wie dich an Halloween.« Stocksteif wartete ich ab und er atmete tief durch. »Jo, ich fände es wirklich schade, wenn wir …« Fest rieb er sich mit beiden Händen übers Gesicht. Worauf wollte er hinaus? »Ich möchte dich wiedersehen. Privat. Seit Halloween bist du mir nicht aus dem Kopf gegangen.«

Mein Mund klappte auf. Panik krabbelte durch meine Venen, heiß wie Feuer oder war das Feuer eher … Freude? »Dr. Dale, das wäre unangemessen.« Mein größter Wunsch. Unerfüllbar. Es war nur eine Frage von Tagen, bis ihm aufging, dass ich ihn an der Nase herumgeführt hatte. Noch schlimmer würde ich es nicht machen.

Resigniert lehnte er sich nach hinten und wendete den Blick ab. »Ja natürlich.« Im nächsten Moment waren seine Augen voller Trotz und er erwiderte hart. »Erstens: Logan! Und zweitens: Dann eben als Freunde. Was spricht dagegen? Wenn uns jemand fragt, erklären wir, dass wir uns schon vorher kannten. Daran kann keiner Anstoß finden. Im Grunde bin ich auch nur ein Student.«

Wohlige Wärme erfüllte meinen Bauch, aber ich griff mir trotzdem meine Bücher und meine Tasche. So naiv konnte er doch nicht sein. Ich würde seinem Ruf nicht schaden und das würde ich nachhaltig, wenn nicht Schlimmeres, wenn wir gesehen würden. Selbst Freundschaft konnte zu Gerüchten und schmutzigem Gerede führen. Tratsch mit vernichtendem Potenzial. Damit kannte ich mich nur zu gut aus. Nein, niemals. Vielleicht war es die pure Angst oder einfach das Gewicht der Einsicht, das mich eiskalt werden ließ. »In einer heilen Welt, aber die LSE ist eine elitäre Ellbogengemeinschaft, bei der die Stärksten überleben und über Leichen gehen. Nur weil wir uns einen Abend die Einsamkeit vertrieben haben, sind wir noch lange nicht etwas, um das man kämpfen sollte.« Dass jemand je um mich kämpfen wollte, war eh weit außerhalb des Vorstellbaren. Meine Sachen unter dem Arm stand ich auf und rief zu Gideon »Schreibst du alles auf meine Rechnung?« Er nickte mir aus der Ferne zu.

»Jo!« Logans Hand strich mir geradezu zärtlich über den Unterarm und hielt dann mein Handgelenk locker fest. »Ich fühle mich wohl bei dir. Es ist schön, mit dir zu reden, und behaupte nicht, dir ginge es anders. Lass uns wenigstens gelegentlich einen Kaffee trinken.«

Ein ganzer Sturm an Emotionen wirbelte in mir und ich spürte den verräterischen Druck hinter den Augen. Ohne ihn anzublicken, erklärte ich monoton und fast tonlos. »Das ist sehr freundlich und schmeichelhaft, Dr. Dale. Aber unmöglich. Guten Tag!« Damit entzog ich ihm den Arm mit einem Ruck und stolzierte kerzengerade aus dem Lokal. Nie war mir es so schwergefallen, jemanden hinter mir zu lassen. Wenn er die Wahrheit über mich erfuhr, würde er mir sicher im Stillen dafür danken. Denn egal wie sehr er mich auch wollte, sobald er herausfand, wer ich war, wäre es vorbei.

 

Logan

 

Auch am nächsten Tag grübelte ich immer noch über diesen Abgang von Jo. Hatte ich alles so falsch gemacht? Wir hatten uns so offen und vertraut unterhalten und dann war da diese Mauer. Unüberwindbar von ihr hochgezogen. Aber sie hatte recht. Alles, was jetzt zählte, war mein neues Leben, meine Doktorarbeit und meine Familie. Sie war meine Studentin und jeder Gedanke an ihre Augen, die so schön blitzen konnten, an ihren frischen Geruch mit der blumigen Note oder gar an ihren weichen Körper, der so perfekt an meinen passte, waren unangebracht. Oder ihre Lippen, die so weich und warm auf meinen gelegen hatten. Spielerisch über meine Haut gefahren waren, mit diesem frechen Lächeln kurz, bevor sie mein Schlüsselbein angeknabbert hatte und einen dieser kleinen süßen Seufzer von sich gegeben hatte. Gott diese Laute, die sie völlig unbeabsichtigt ausstieß. Ohne dass es ihr bewusst war. Damit hatte sie mich fast um den Verstand und jegliche Selbstkontrolle gebracht.

Na super, jetzt saß ich hier in der Küche meiner Eltern mit einer Beule in der Hose. Wenigstens waren sie nicht hier. Dad würde ausrasten. Dafür stürmte aber Liz jetzt durch die Tür und ich rückte weiter unter den Tisch, um ihr diesen Anblick zu ersparen. »Hey du Bruder. Was machst du gerade?«

Mit hochgezogener Augenbraue deute ich auf meine Unterlagen. »Arbeiten?«

Mit einer Hand griff sie in die Rice Krispies und angelte sich welche raus. »Sieht superspannend aus. Bäh! Magst du mitkommen? Hannah und ich treffen uns zum Essen beim Italiener.«

Leise kicherte ich über dieses hüpfende zierliche Wesen, das Rice Krispies in sich reinschaufelte, bevor sie essen ging. »Nein danke. Heute nicht. Morgen schleppt mich John bestimmt in einen Club und ich habe vorher echt viel Arbeit zu bewältigen, wenn ich dann Samstag nach einer Wohnung suchen will und abends zu dieser Gala muss.«

Sie hievte sich auf den Küchentresen und baumelte mit den Füßen. »Gala?«

Abwesend und schon wieder tief in einer Bilanz vergraben, murmelte ich: »Ja so ein Spendending vor Weihnachten.«

»Nimmst du mich mit? Oder hast du schon eine Begleitung?«

Langsam legte ich den Stift ab. Ich würde sie sowieso erst loswerden, wenn sie das beschloss. »Hast du denn ein Kleid?«

Freudig sprang sie von der Arbeitsplatte und klatschte in die Hände. »Aber jaaaaa!«

Lächelnd gab ich auf. »Dann, Madame, sind sie meine Begleitung!« Abwehrend hob ich die Hände, während sie schon Freudentänze aufführte. »Liz, das wird öde. Lange Reden, versnobte Menschen, die nur auf Status und Geld schauen und Scheinheiligkeiten, bis der Arzt kommt.«

Quietschend rief sie: »Hört sich super an!«

Der kleine Wirbelwind schaffte es doch immer, meine Laune zu heben. »Lizzie, ich denke, mit dir wird der Abend der beste seit Langem.«

Glücklich fiel sie mir um den Hals und ich drückte sie fest an mich »Hab dich lieb Logan.«

Wann hatte mir einer das zuletzt gesagt? Mein Herz wog auf einmal eine Tonne und ich musste mich räuspern. »Ich dich auch, Lizzie.«

Sie drückte fester und flüsterte »Tust du mir einen Gefallen?«

Etwas schob ich sie von mir, um sie ansehen zu können. »Klar!«

»Sei in nächster Zeit nachsichtig mit anderen. Nicht immer meinen die Menschen Dinge böse oder die Dinge sind so leicht zu erklären, wie man denkt. Manchmal ist es viel komplexer und vor allem jeder macht Fehler. Vergiss das bitte nicht!«

Darüber konnte ich nur die Stirn runzeln. »Ok? Deutlicher kannst du mir das nicht erklären?«

Jetzt kam da wieder so ein schalkhafter Ausdruck zum Vorschein. »Nein! Nur so viel. Manchmal hast du Sex wegen des Sex. Manchmal wegen des Menschen und manchmal für dich selbst. Capice?«

»Nein nix Capice und ich will echt nicht mit meiner Babyschwester über Sex reden.« Das brachte mir einen Schlag auf den Hinterkopf ein, wenn auch nur einen leichten.

»Idiot. Ich muss jetzt zu Han. Die übrigens wunderbar und verdammt klug ist. Nur etwas … ach … egal.« Sie drückte mir einen dicken Schmatz auf die Wange und trippelte fröhlich davon.

Süße Liz mit irren Botschaften. Ich hatte genug im Kopf, mit all den Dingen, die für meine Firma oder die Uni erledigt werden wollten. Ich konnte nicht auch noch über solche verstörenden Vorträge grübeln. Also beschloss ich, mich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren, und vertiefte mich in der Bilanz vor mir. Zumindest war das der Plan, der durch mein klingelndes Telefon zerstört wurde. Fluchend nahm ich ab. »Dale«

»Hey Dale hier Riley.«

Sofort entspannte ich mich etwas. »Hi John. Was gibt’s?«

»Meine Mum lässt dich grüßen und lädt dich für morgen zum Dinner. Meine Eltern haben ihren Hochzeitstag und feiern das monatliche Familienessen in großem Rahmen. Und da du fast ein Teil der Familie bist und O-Ton meine Mum, neu in der Stadt, sollst du mitfeiern. Hast du Nerv? Danach können wir mit Scott und Hannah ins M’s oder so.«

Essen mit den Rileys. Einerseits anstrengend den perfekten Geschäftspartner abgeben zu müssen und der Fragestunde seines Dads gerecht zu werden, aber auch gutes Essen und ich würde Hannah mal wiedersehen. Wenn noch mehr geladen waren, würden sie sich bestimmt nicht auf mich versteifen. Und Scott schien auch mit dabei zu sein. Also warum eigentlich nicht? Kontakte pflegen, konnte nicht schaden. »Geht klar!«

»Danke Mann. Dann muss ich nicht allein kompetent wirken.«

Ich lachte. »Seit wann bitte bist du kompetent? Du bist ein Blender!«

Er brummte. »Ich denke, darüber lassen wir morgen den Basketballkorb in unserer Einfahrt entscheiden.«

Sofort war ich Feuer und Flamme. Ich hatte unsere albernen Wettkämpfe immer geliebt. »Gern, ist viel zu lange her, dass wir einfach Spaß hatten.«

Er seufzte. »Du sagst es. Dann bis morgen Abend.«

»Yo!« Lief doch bestens! Neu in der Stadt. Ich schmunzelte. Konnte Mrs. Riley vergessen haben, dass ich in meinen ersten 16 Lebensjahren neben ihr gewohnt hatte?

 

 

Hannah

 

»Möchten Sie schon etwas zu trinken bestellen?«

Wartend saß ich in dem neuen italienischen Restaurant bei mir um die Ecke und überlegte fieberhaft, wie ich meine Identität fälschen könnte. »Ja, Nero d’Avola, eine Flasche und eine Flasche Wasser. Danke!« Falls Liz keinen Wein wollte. Heute trank ich ihn auch ohne Hilfe. Logan hatte mich nachhaltig fertig gemacht. Zu allem Überfluss musste ich schon morgen mit Scott den Vortrag halten und das Geschenk für meine Eltern abholen, bevor ich dann über Heiratspläne und Zukunftsaussichten ausgefragt wurde.

Ich hasste diese Abende, an denen ich von meinem Vater vorgeführt wurde. Immer leicht belächelt. Sie ist zwar nur ein Mädchen, aber dafür hat sie es doch schon weit gebracht. Nicht wahr?

Endlich rauschte Liz zwischen den anderen Tischen bis zu mir und ließ sich auf den Stuhl mir gegenüber plumpsen. »Hi du!«

»Hi selbst!« Wir grinsten uns an.

»Und wie war Logan als Dozent?«

Theatralisch ließ ich meine Stirn auf den Tisch aufschlagen. Eindeutig versuchte sie nicht zu lachen. »Ich sitze in der Scheiße.«

Liz zog sich den Stuhl zurecht und lehnte sich zu mir nach vorn. »Nette Sache das. Was war denn los?«

Meine Hände krallten sich in meine Hose. »Sorry, aber ich bin echt am Ende. Logan hat mich heute abgefangen und war, mit mir Kaffee trinken.« Mit hochgezogenen Augenbrauen wartete sie auf die Fortsetzung. »Ich hätte es ihm sagen sollen. Gott, ich schäme mich tierisch, aber ich hab’s nicht geschafft. Da saß ich mit ihm und er hat mich als Jo erkannt, aber ich habe es einfach nicht über mich gebracht, ihm zu beichten, wer ich wirklich bin. Ich wollte nicht, dass er sauer auf mich ist. Wir haben uns so nett unterhalten und … ohh Liz!« Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. »Das ist furchtbar. Ich bin furchtbar!«

»Jetzt atme mal tief durch.« Sie wedelte mit den Armen rauf und runter, während sie geräuschvoll ein- und ausatmete, als wären wir in einer Yogasitzung.

»Das macht es nicht besser.«

Ihre Augen wurden riesig und sie formte ein OOOOhhhmmmm. Unweigerlich musste ich lachen. »Na also und jetzt trink einen schönen großen Schluck Wein.«

Ich tat, wie befohlen. Murmelte dann aber: »Er wird mich hassen.«

Liz machte ein Geräusch zwischen Schnauben und Prusten, dass wohl so was wie scheiß darauf bedeuten sollte. »Der kriegt sich schon wieder ein. Man kann Logan ja viel nachsagen, aber nicht das er nachtragend wäre. Also mach dir keinen Kopf und bestell lieber was zu essen.« Sie grinste übertrieben und zeigte auf die Speisekarte.

Wenig überzeugt blätterte ich lustlos darin herum, während sie mir ein Gericht nach dem anderen enthusiastisch versuchte, schmackhaft zu machen, bis sie begriff, dass bei mir heute alles verloren war und sie mich ernst und liebevoll musterte. »Han, das wird schon. Du hast einen Fehler gemacht, nicht mehr und nicht weniger. Dir bleibt doch ohnehin keine andere Wahl, als da durchzukommen. Und wenn du mich fragst, am besten erhobenen Hauptes, wie eine wahre Königin.«

Sie hatte recht. Ich war der Versuchung erlegen, aber jetzt war es Zeit, mir selbst zu verzeihen. Dann würde ich mich halt von ihm fernhalten, wenn er sauer war. So schwer konnte das doch nicht sein. »Du hast recht. Montag nach der Vorlesung gehe ich zu ihm und sag ihm, wer ich bin. Dann muss ich mich nicht mehr verstecken und fürchten, wie er reagiert.« Sie streckte die Faust nach oben und ich erwiderte die Geste, sicher, dass ich es diesmal durchziehen würde. Auch für meinen eigenen Seelenfrieden.

»Richtig so. Bleib stark und kämpfe. Für die Freiheit, Baby!«

»Manchmal überlege ich, welche Drogen du so frühstückst. Kann ich die auch bekommen?«

Sie kicherte: »Nein, aber die Rigatoni della Casa sind fantastisch und machen auch glücklich!« Ich schüttelte nur den Kopf über meine wunderbare Freundin.

 

 

4. Familienessen oder der endgültige Untergang

Hannah

 

»Jetzt komm schon Scott. Ich will Mum und Dad das Geschenk geben, bevor die anderen kommen.«

»Meine Güte! Auf zehn Sekunden wird es doch nicht ankommen.«

Aber ich war schon eilig zur Tür gelaufen. Bei meiner Mum zählte jede Sekunde für das richtige Timing. Nachher musste sie eine Soße abschmecken oder Petersilie verteilen. Oder was man so tat als perfekte Gastgeberin. Gerade schwebte mein Finger über der Klingel, als schon die Tür aufgerissen wurde und John vor mir stand. Natürlich perfekt wie aus dem Ei gepellt im dunkelblauen Anzug mit perfekt passender Krawatte.

»Da seid ihr ja. Na dann, lasset die Spiele beginnen.« Er hob den Arm in Richtung Flur.

»Dir auch einen guten Abend, liebster Bruder.« Genervt drückte ich mich an ihm vorbei und achtete dabei peinlichst darauf, die Schleife auf meinem Geschenk nicht zu zerquetschen. Hinter mir hörte ich, wie die beiden zur Begrüßung einschlugen und sich aufzogen, aber ich beachtete sie nicht weiter. John und Scott verstanden sich besser als ich mich jemals mit meinem Bruder. Das hatte seine Gründe und wenn John bereit war, mich mal richtig kennenzulernen, würde ich ihn auch als Bruder sehen. Aber solange er daran festhielt, mich zu bevormunden und von oben herab zu behandeln, konnte er mir gestohlen bleiben. Da half auch Scotts gutes Zureden nicht.

»Mum, Dad, da seid ihr. Ich wollte euch euer Geschenk noch vorher geben.« Gerührt lächelte mich Mum an und Dad musterte mich mal wieder von oben bis unten.

»Wäre ein Kleid nicht passender gewesen? Schließlich erwarten wir heute wichtige Gäste.« Mir war schon vorher klar gewesen, dass ich mit meinem Hosenanzug seinen Unmut heraufbeschwor. Da konnte er noch so feminin daherkommen.

Natürlich war John wieder ganz seiner Meinung. »Immer gegen den Strom.«

Genervt funkelte ich ihn an. »Oh bitte John! Frauen tragen seit Jahrzehnten Hosen.«

Leise raunte er: »Aber wir sind hier nicht für dich oder deine Freiheitsbewegung. Und du weißt, wie diese Leute ticken. Kannst du nicht einmal hinten anstehen?«

Mum drängte sich zwischen uns und nahm mir das Geschenk ab. »Danke mein Schatz. Du siehst bezaubernd aus. Ist das Chanel?«

Ich nickte und hörte John schnauben: »Klar, was sonst.«

Was war sein Problem? Scott schob sich nach vorn, beglückwünschte meine Eltern und reichte ihnen die teure Flasche Champagner, die er ihnen besorgt hatte. »Danke Scott, das ist sehr aufmerksam von dir.«

Er lächelte sie an und stellte sich dann neben mich. »Aber jetzt öffnet Hannahs Geschenk. Das gefällt euch bestimmt. Sie hat ewig überlegt und gesucht.«

Gerührt von seiner Unterstützung sah ich zu Boden und griff instinktiv nach seiner Hand. In der Zwischenzeit öffnete Mum akribisch und ordentlich, wie sie alles in ihrem Leben tat, die Schleife und dann das Papier. Die blaue Schachtel kam zum Vorschein und sie seufzte entzückt. »Swarovski?« Ich lächelte. Es würde ihr sicher gefallen. Dad war eher skeptisch und John schoss mal wieder den Vogel ab mit seiner Reaktion. Mit fast wütend zusammen gepressten Lippen starrte er mich von der Seite an, als hätte ich einen Laden ausgeraubt, während Mum schon die Hand vor den Mund schlug. Sein Blick wanderte zu dem Geschenk.

»Was ist das? Eine Rose unter einer Glasglocke?«

Dann passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Mein Dad legte den Arm um meine Mutter und zog sie fest an sich, bevor er ihr ein Kuss auf die Schläfe presste. »Die Schöne und das Biest. Ich habe eurer Mutter nach der Vorstellung den Antrag gemacht.« Mit leuchtenden Augen sah er mich an. »Das ist perfekt. Danke Johanna. Ein wirklich durchdachtes Geschenk.« Das war mehr Lob als für meinen Schulabschluss. Anscheinend hatte ich mal was richtig gemacht.

Mum vergrub kurz ihr Gesicht an seiner Schulter. Dann richtete sie sich wieder auf. »Jetzt muss ich aber die letzten Vorbereitungen treffen. Danke, mein Schatz!« Und schon landete ich in einer festen Umarmung, die allerdings schnell wieder endete, weil Mum in die Küche rauschte und Dad gleich hinter ihr her.

Mit Scott und John allein ließ ich die Schultern sacken. »Puh. Das hat geklappt.«

Scott drückte meine Hand, auf die John jetzt etwas irritiert deutete. »Wird es jetzt offiziell mit euch?« Als hätten wir uns verbrannt, flogen unsere Hände auseinander.

»Sei nicht albern. Wir sind nur Freunde.«

Herablassend rümpfte John die Nase. »Ich kann mir schon vorstellen, wie das bei dir aussieht.«

In meinem Kopf bildete sich so eine Comic-Fluch-Zeile grkmgphf#klxzmpf, der übliche Verklumpungseffekt, den mein Bruder mit solchen Kommentaren in meinen Synapsen hervorrief. Angestrengt sortierte ich mein Gehirn und blaffte ihn an. »Was soll das denn bitte heißen?«

Beruhigend legte ihm Scott die Hand auf die Schulter. »John, hör auf.«

Der schüttelte ihn sofort ab und starrte mir unbeirrt in die Augen. »Wie bitte kannst du dir dieses Geschenk leisten oder einen Anzug von Chanel. Findest du es nicht pervers, das mit Dads Geld zu bezahlen? Oder hält dich Scott aus?« Das war es also? Er dachte, ich würde auf Kosten meiner Eltern in Saus und Braus leben? Oder schlimmer, mich prostituieren. Ich war, ehrlich gesagt, einfach nur noch sprachlos.

Aber Scott sprang ein. »Deine Schwester arbeitet für ihr Geld. Sie …«

Ich unterbrach ihn. Sollte John doch denken, was er wollte. Er hatte nie gefragt, immer nur das Schlechteste vermutet. Warum ihn aufklären. »Scott, das geht ihn nichts an.« Bestimmt packte ich Scott am Arm und zog ihn in den Wintergarten.

John rief uns hinterher: »Klar arbeitet sie, fragt sich nur wie.«

Außer Reichweite konnte ich meine Tränen nicht mehr verstecken und Scott zog mich in seine Arme. »Manchmal würde ich ihm am liebsten eine scheuern. Warum zum Henker denkt er von dir so mies?«

Ich kämpfte nur damit, nicht vollends loszuheulen. Sauer, dass er mich überhaupt damit traf. Dann wäre mein Make-up hinüber und ich würde Dad und John wieder enttäuschen, weil ich sie sich von mir blamiert fühlen würden. »Ich habe keine Ahnung. Doch, eigentlich schon, aber das ist für mich kein Grund. Lass uns über was anderes reden. Lenk mich einfach ab.«

Er hielt mich an den Schultern und lächelte schief. »Tiffanys. Was denkst du?«

»Audrey Hepburn?«

Liebevoll verzog sich sein Mund zu einem vollen Lachen und er legte seine Stirn auf meine. »Gott, jede Frau aus meiner Welt hätte Diamanten gesagt. Du bist so süß!«

Jetzt wurde ich auch noch rot. »Ok, dann Diamanten?«

Er zeigte mit dem Finger auf mich und rief: »Richtig! Jacob, bringt mir für dich was aus New York mit.«

Meine Augen wurden groß. »Von Tiffanys? Diamanten?«

Er zwinkerte frech. »Meine Zukünftige verdient nur das Beste!«

Ich tat, als würde ich mir gelangweilt die Nägel an meiner Bluse polieren, dabei war ich bei der Vorstellung Schmuck von Tiffanys zu bekommen tierisch aufgeregt. »Ok, danke …«

»Du Luder. Freust du dich nicht?«

Ich grinste und zappelte ein wenig herum. »Uuuuuhhh, das ist der Hammer! Aber Scott, schenk mir nicht so teure Sachen.«

Sanft streichelte er mir über die Wange. »Prinzessin. Geld ist relativ, ok. Ich schenke dir, was ich passend finde. Ob das 5 Dollar kostet oder 5000 ist dabei echt nicht wichtig. Der Hosenanzug gefällt dir doch.«

Einerseits war es okay, aber wenn John dann so reagierte und mich verdächtigte, mich aushalten zu lassen, bekam das Ganze eine eklige Seite. Scott hatte mehr Geld, als er je benötigen würde, und konnte sich Designersachen aus der Portokasse leisten. Dennoch bestand ich darauf, dass er mir höchstens zum Geburtstag oder Weihnachten etwas schenkte und selbst das kratzte gewaltig an meinem Stolz. Der Hosenanzug war mein Geburtstagsgeschenk gewesen und wie er meinte, top für geschäftliche Meetings. Nur deshalb hatte ich ihn dann doch angenommen. Bei Schmuck war meine Willenskraft, das Geschenk abzulehnen, wahrscheinlich gleich null. Scott traf meist genau meinen Geschmack. Leider! Oder auch nicht. Es war schön, jemanden zu haben, der einen kannte und so wie man war, mochte. Bei ihm war ich ganz ich selbst und das war das größte Geschenk überhaupt.

Nachdenklich betrachtete ich ihn. »Manchmal denke ich, wir sollten tatsächlich in ein paar Jahren heiraten. Wer könnte besser zu mir passen als du?«

Seine Hand glitt in meinen Nacken und sein Gesicht kam näher und näher …

Nur wenige Zentimeter vor mir stoppte er. »Dann küss mich!«

Das hauchte er so lasziv, dass sich meine Zehennägel aufrollten und ich kurz die Luft anhielt. Augenblicklich verstand ich seinen Erfolg bei Frauen uneingeschränkt. Langsam sah ich hinunter auf seine Lippen. Dann wieder in seine Augen, die belustigt blitzten. »Küss du mich doch!«

Und er tat es. Er senkte seinen Mund auf meinen und drückte sanft zu. Automatisch erwiderte ich unschuldig diesen hauchzarten Kuss. Bereits eine Sekunde später sahen wir uns wieder in die Augen und grinsten. »Und? Was gespürt?«

Vorsichtig wisperte ich: »Hab dich lieb?«

Er lachte lauthals und drückte mich. »Ich dich auch, aber ich fürchte, die Kleider will ich dir nicht vom Leib reißen.«

Erleichtert atmete ich durch. Das wäre jetzt noch ein Desaster, wenn er auf einmal mehr wollte. »Ich dir auch nicht. Zumindest im Moment nicht. Vielleicht kommt der Tag …«

Albernd legte er mir den Arm um den Rücken auf die Hüfte und wir gingen zurück zum Esszimmer. »Ja vielleicht Prinzessin. Warten wir es ab.« Sanft küsste er meinen Scheitel, während er schon die Tür öffnete.

 

 

Logan

 

Bei den Rileys angekommen wurde ich an der Tür von Johns Dad begrüßt, dem ich den Whisky und die Blumen überreichte und mich artig für die Einladung bedankte. Aus der Küche rief Mrs. Riley »Geh ruhig schon ins Esszimmer. Die anderen sind auch dort.« Also nickte ich und machte mich auf den Weg. Allerdings war der Raum leer. Als ich auf meine Uhr sah, begriff ich, wie viel zu früh ich angekommen war. Mein Zeitmanagement war im Moment ziemlich mies. Aber nach der Ankündigung von Mrs. Riley würde ich doch zumindest John hier erwarten. Etwas verwundert begab ich mich suchend Richtung Wintergarten. Vielleicht waren sie ja dort oder im Garten.

Und dann sah ich Scott und einen Wimpernschlag später erkannte ich bei ihm, Jo. Gerade legte er vertraut eine Hand in ihren Nacken und gab ihr kurz darauf einen zarten Kuss auf den Mund, den sie zärtlich erwiderte. Wie festgewachsen, beobachtete ich die beiden. Mein Magen drehte sich dabei verräterisch im Kreis. Das war doch verrückt. Warum sollte mir das überhaupt etwas ausmachen? Ich hatte generell kein Recht, eifersüchtig zu sein. Jo war schließlich nur … Jo und hatte deutlich rübergebracht, dass sie nicht mal eine Freundschaft mit mir in Betracht zog. Dennoch fühlte sich die Luft um mich mit einem Mal schwerer an, geradezu erdrückend. Als er dann auch noch einen Arm um sie legte und sie lachend durch dir Tür ins Esszimmer traten, knirschten meine Zähne. Möglichst lässig studierte ich das Bild neben mir an der Wand und drehte mich erst wieder zu ihnen, als die Tür schon wieder ins Schloss fiel.

Jo sah mich an, als würde sie jeden Moment ersticken. Ihre Augen quollen fast vor Unglaube aus den Höhlen und mir kam es vor, als formten ihre Lippen ein leises Fuck. Was in aller Welt war so schlimm an mir, dass sie mich nicht mal in Gesellschaft ertragen konnte. Oder lag es an Scott? War ich doch ihr kleines, dreckiges Geheimnis? Sollte sie doch an meiner Anwesenheit sterben! Wenn, hatte sie den Fehler gemacht, nicht ich. Trotzig wandte ich mich Scott zu. »Hey Scott. So schnell sieht man sich wieder.«

Herzlich begrüßte er mich per Handschlag. »Hi! Schön, dass du uns bei diesem Fest beistehst. Wer weiß, wer alles kommt. Mach dich auf ausgiebige Befragungen und viel Tratsch gefasst.«

Mein Lächeln war nur ein schlechter Abklatsch. Aber ich schwor mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mir ihre Abweisung gegen den Strich ging. Vor allem, wenn man bedachte, dass wir uns scheinbar im selben Bekanntenkreis bewegten. »Mrs. Riley meinte, ich könnte etwas Gesellschaft vertragen, wo ich doch neu in der Stadt bin«, erzählte ich mit schelmischem Unterton.

»Neu?« Scott lachte und wir grinsten uns breit an.

Dann erlaubte ich mir, Jo ausgiebig zu betrachten. Sie sah verdammt bezaubernd und gleichzeitig so stark und taff aus in ihrem Hosenanzug. Ganz anders als in der Uni. »Und du Jo? Bist du mit Scott hier oder auch mit Hannah befreundet?« Ihre Augen blinzelten heftig und kurz schien sie regelrecht zu schwanken.

»Han?« Scott sah irritiert zwischen uns hin und her. Man muss mir wohl nachsehen, dass mein Hirn nicht sofort schaltete. Vielleicht weil zu viel meiner Gedanken um den Kuss der beiden kreiste oder um ihre Augen, die aussahen, als würde sie gleich hingerichtet.

Leise krächzte sie. »Johanna, also Jo und Han, also ich bin Hannah!« Kurz sah sie mir flehend in die Augen. Fast tonlos flüsterte sie: »Tut mir leid!«

Neben uns zog Scott seine Augenbrauen zusammen und beäugte uns skeptisch, als von der Tür John rief. »Hannah, kommst du bitte mal zu Mum in die Küche. Sie benötigt deine Hilfe. Logan! Schön, dass du kommen konntest.«

Ohne noch ein Wort zu verlieren, ging sie und zog Scott stirnrunzelnd hinter sich her. Auf ihren Rücken starrend, fragte ich John. »Das ist Hannah? Deine Schwester?« Mir wurde gleichzeitig heiß und kalt. Heilige Scheiße. Bitte sag nein. Bitte sag mir, dass ich nicht die Nacht mit deiner kleinen Schwester verbracht habe. Oh, Fuck! Was hatte ich nur getan?

»Allerdings und sieh sie nicht so an!«

Sägespäne klumpten sich in meinem Bauch »Was? Wie sehe ich sie denn an?«

»Genau kann ich das nicht beschreiben, aber es beunruhigt mich ungemein. Ich muss doch nicht darauf hinweisen, dass sie tabu ist, oder?«

Langsam lockerte ich meine geballten Hände. Mit größter Anstrengung, denn ich schien jeden Moment zu implodieren. Heilige Riesen Scheiße! Das erklärte so einiges. Sie war deswegen dauernd so nervös. Hatte sie mich etwa von Anfang an angelogen? Jahrelange Übung bei Verhandlungen ein Pokerface aufzusetzen, rettete mir in diesem Moment buchstäblich den Arsch und ich sagte das Offensichtlichste, was mir als Erklärung für meine Reaktion diente. »Keine Sorge. Ich bin nur erstaunt. Sie sitzt in zwei meiner Seminare und einer Vorlesung. Warum hat sie mir nicht gesagt, wer sie ist?« Ja, warum hatte sie mir nicht gesagt, dass sie Hannah war. Im Hintergrund waren immer mehr Stimmen zu hören und die ersten Gäste betraten gerade mit Otis also Mr. Riley gutgelaunt schwatzend das Zimmer.

»Vielleicht hat sie dich gar nicht erkannt«, vermutete John.

»Möglich!«, gab ich wenig überzeugt zurück. Ich würde besser nicht mit John darüber diskutieren. Er kannte mich viel zu gut, um nicht misstrauisch zu werden. Mein Name hatte doch sicher gereicht. Im Café hatte sie mich schließlich auch Logan genannt. Nein sie hatte mir einfach nicht sagen wollen, wer sie war und das war für mich Beweis genug, dass sie es bereits Halloween verschwiegen hatte. Was spielte sie hier für ein abartiges Spiel mit mir?

Der Raum war nun bereits gut mit Gästen gefüllt und auch Meghan, Johns Mum war dazugekommen und strahlte eine unbeabsichtigte Präsens aus, wie immer. Eigentlich war sie eine liebevolle Frau, aber dabei sehr darauf bedacht, sich nichts sagen zu lassen und sich treu zu bleiben. Während ich sie dabei beobachtete, wie sie schon Plätze verteilte und Small Talk hielt, wunderte ich mich, wie ich die Ähnlichkeit zwischen Jo und ihr ignorieren konnte. Genauso stark und sanft gleichzeitig. Dass sie ihre Tochter war, wurde deutlicher, als sie mit Schüsseln beladen neben ihre Mutter trat und ihre Last auf dem Tisch abstellte. Immer mehr sah ich jetzt das Mädchen von früher vor mir. Ich hätte sie erkennen müssen. Zerstreut fuhr ich mir durch die Haare und zerstörte damit meine Frisur. Der perfekte Businesslook war somit passe.

Souverän arbeite ich mich durch die Leute und begrüßte einen nach dem anderen, bis ich plötzlich neben Hannah landete, die als eine der wenigen noch nicht saß, sondern eine weitere Platte aus der Küche geholt hatte. Neckisch streckte ich ihr die Hand entgegen. Warum ich das tat? Keine Ahnung. Vielleicht mein verzweifelter Versuch, die Situation wieder erträglich zu machen und Normalität zu schaffen. »Logan Dale. Sehr erfreut, dich wiederzusehen.« Wie eingefroren blieb sie bewegungslos vor mir.

»Das ist der Zeitpunkt, an dem du dich vorstellst«, zischte John hinter ihr ins Ohr. »Gott, jetzt nimm schon seine Hand, bevor jeder im Raum euch anglotzt.«

Wie ein Fisch fasste sie kurz zu. »Johanna Riley. Nett dich, sie, ähm, Dr. Dale, wir sollten zu Tisch. Das Essen wird kalt.«

Wollte sie mich weiter provozieren? Dr. Dale! Langsam kroch mir die Wut kalt über die Wirbelsäule. Wer dachte sie, war sie, andere so anzulügen und dann auch noch einen auf unnahbares verschrecktes Mädchen zu machen. Scheinbar freundlich lächelte ich sie an. »Oh bitte Hannah. Sag Logan zu mir. Schließlich habe ich dich schon nackt unter dem Rasensprenger hüpfen sehen.« Das hatte gesessen, wie ich an ihrem Gesichtsausdruck wahrnahm.

Der bittere Unterton fiel anscheinend nur ihr auf, denn in meinem Rücken vernahm ich Meghans Lachen. »Schatz, wie alt warst du da? Vier? Darüber sollten wir nachher weiter Erinnerungen austauschen, aber jetzt setzt euch bitte, bevor das schöne Essen kalt wird.«

Mir entging nicht, wie blass sie geworden war, als sie sich ein paar Stühle entfernt neben Scott setzte. Genauso bemerkte ich seine Hand auf ihrem Bein und das vertraute Gespräch. Hatte sie mir nichts gesagt, weil sie mit ihm zusammen war und ihn betrogen hatte? Aber Scott hatte gemeint, sie wären nicht zusammen. Sauer, wie ich war, war meine Diskretion flöten gegangen und ich fragte John neben mir einfach direkt, als sich ein passender Moment ergab. »Ist Han mit Scott zusammen?«

Er manövrierte sich gerade eine Portion Rotkohl auf seinen Teller. »Gute Frage. Angeblich nicht. Vorhin haben sie Händchen gehalten und als ich darauf hingewiesen habe, sind sie geradezu auseinandergesprungen. Fast als hätten sie ein schlechtes Gewissen.« Auch wenn es vielleicht nicht richtig war, beschloss ich, ihm zu erzählen, was ich zufällig gesehen hatte.

»Ich habe sie im Wintergarten gesehen und sie haben sich eindeutig geküsst.«

Sein Kopf ruckte hoch. »Ernsthaft?«

Ich zuckte mit den Schultern und schnitt mir ein Stück Braten ab. »Warum sollte ich mir das ausdenken?«

Er beugte sich leicht vor und sah rüber zu Hannah und Scott. »Meine Vermutung ist schon länger eine Freundschaft mit gewissen Vorzügen. Das würde passen.«

Nach einem weiteren Schluck Wein hakte ich nach »Inwiefern passen?«

»Siehst du den Anzug, den sie anhat?« Wie sollte ich das übersehen, sie sah fantastisch darin aus. Die dritte Variante Jo, die ich sah. Leicht geschminkt und in diese weibliche elegante Version des Hosenanzugs gekleidet, sah sie aus, als könnte sie jeden Mann um den Finger wickeln. Zumindest geschäftlich. Ich stellte sie mir vor, wie sie mit CEO verhandelte und Aufgaben verteilte. Sexy! Schnell schüttelte ich das Bild von ihr, wie sie sich langsam aus dieser Bluse schälte, ab und konzentrierte mich auf mein Essen. Messer zum Schneiden, Gabel hält fest. Kronjuwelen bleiben gefälligst unbeteiligt.

John musterte mich. Ich hatte vergessen, zu antworten. »Ja, sicher. Sieht teuer aus.«

Zufrieden nickte er. »Allerdings! Chanel. Woher hat eine Studentin so viel Geld? Also entweder leiert sie Dad sehr viel mehr aus den Rippen, als er sich leisten kann. Versteh mich nicht falsch, er ist gut in seinem Job, aber an unseren Verdienst kommt er lange, verdammt lange nicht ran.« Auch er trank nun einen Schluck.

»Oder?«

»Oder!« Er sah wieder zu ihnen rüber und verzog den Mund. »Sie schläft mit ihm und er hält sie dafür aus.« Nun musterte ich die beiden noch mal genauer. Konnte das stimmen? Eigentlich traute ich das allein schon Scott nicht zu.

»Oder sie sind zusammen, wollen aber nicht, dass es jeder weiß.«

Seine Augen wanderten bis zum Haaransatz. »Meine Eltern würden sich weinend in den Armen liegen. Freudentränen. Sie behandeln sie eh schon wie das neue Königspaar. Aber du könntest recht haben. Hannah traue ich durchaus zu, aus reiner Nickeligkeit nichts zu erzählen.«

Jetzt passte auch ihre Ansprache aus dem Café in den Kontext. Der Prinz aus New York. Genauso gut werden wie ihr Bruder. Weiter konnten wir unser Gespräch allerdings nicht vertiefen, weil Otis John und mich in eine Unterhaltung einbezog, die er mit einem seiner Freunde über die Marktentwicklung von Spielekonsolen führte. Da benötigte er Unterstützung von der jüngeren Generation.

 

 

Hannah

 

Mühsam quälte ich mir jeden Bissen runter. Mein Magen fühlte sich an wie mit Beton ausgegossen. Seit Logan plötzlich vor mir aufgetaucht war, konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Warum musste er auch hier auftauchen? Mein Plan war perfekt. Ihn Montag nach der letzten Vorlesung abfangen, ins Sugar einladen und beichten. Notfalls auf die Knie fallen, um Verzeihung bitten und dann die Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen lassen und alles wäre wieder gut. Aber nein. Er tauchte einfach in meinem Haus auf. Also im Haus meiner Eltern.

Und je öfter ich ihn beiläufig ansah und er mich erwischte, umso klarer wurde mir. Er war sauer! Wer konnte es ihm verdenken. Aber da war noch etwas anderes. Es schien fast so, als würde er grübeln. Um den Schein zu wahren, kaute ich auf einem Ministück Braten und spülte es dann mit einem gut halben Glas Wein runter.

»Will ich überhaupt wissen, was da zwischen euch abgeht?«, flüsterte mir Scott zu und ich schüttelte mit dem Kopf, ohne von meinem Essen aufzublicken. »Ok!« Sofort gab er sich zufrieden und begann eine Diskussion mit dem Mann ihm gegenüber. So war Scott einfach. Wenn man nichts sagen wollte, hakte er so lange nicht nach, wie er dachte, man kam klar. Aber wenn er merkte, dass man in Schwierigkeiten steckte, ließ er sich nicht so leicht abspeisen und wurde extrem hartnäckig. Das hatte ich bereits am eigenen Leib erfahren, und zwar positiv.

Mühsam zwängte ich mir ein weiteres Stück Braten hinein, um nicht negativ aufzufallen. Für mich war der Abend im Grunde schon gelaufen. Unfähig einer Konversation zu folgen oder mich gar daran sinnvoll zu beteiligen. Jeder Versuch scheiterte an diesem Vakuum in meinem Kopf. Die ganze Zeit beschäftigte mich nur eins. Würde er mir verzeihen? Wenn nicht. … Ein kleiner böser Schmerz fuhr mir in die Brust und ich seufzte leise, woraufhin mich Scott wieder so abschätzend scannte. Er machte sich Sorgen um mich, aber im Moment konnte ich ihm das nicht erzählen und ich wich seinem Blick gekonnt aus. Sobald die Etikette es erlaubte, begann ich den Tisch abzuräumen und so in die Küche zu flüchten. Wenn ich ehrlich zu mir war, wusste ich bereits, wie es ausging. Unsere Freundschaft oder was auch immer war vorbei, bevor überhaupt etwas von Wert hätte passieren können.

 

Logan

 

»Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte?« Anscheinend völlig geistesabwesend fuhr der Schreck ihr tief in die Knochen, als ich hinter ihrem Rücken leise durch die Tür trat und sie ansprach. Dennoch drehte sie sich nicht um. Blieb wie mit Beton übergossen vor der Spüle stehen, den benutzten Teller schief in der Hand.

Wie hatte ich sie nur nicht erkennen können? Egal, ob sie damals geflochtene Zöpfe und Zahnspangen trug. Ihre Art, ihr Lächeln hätte mir auf der Stelle verraten sollen, wer sie war. Erst recht dieses Gefühl von Vertrautheit. Darauf gab es nur eine Antwort. Weil ich nie damit gerechnet hatte, dass sie es war.

Immer noch fassungslos von der Enthüllung dieses Abends raufte ich mir die Haare. Allein das freche Mundwerk und dann doch wieder diese scheinbare Schüchternheit. Aber ich wusste es besser, hatte sie schon damals durchschaut, als sie noch eine zehnjährige Göre war und längst viel erwachsener, als ihr Alter ihr zugestand. Sie war nicht wirklich schüchtern, sondern zurückhaltend. Manchmal fast ängstlich, in dem Sinne, dass sie keinen vor den Kopf stoßen wollte. Sie war schon damals so Harmonie besessen gewesen, dass sie sich immer zurücknahm. Nein, nicht immer, manchmal bekam sie diesen scheißegal Ausdruck und dann war sie lebendig und frech. Das war der Blick gewesen, den sie mir zugeworfen hatte, als sie mich auf ihr Zimmer gebeten hatte. Ein selbstbewusster Blick, der aussagte, dass sie wusste, was sie wollte und es sich holen würde.

Verdammt, der war so sexy! Unpassend! Vergiss es Logan!

Nie wieder durfte ich in diese Richtung denken. Oh, verfluchte … Ich hatte mit Johns Schwester geschlafen. Die Erkenntnis erwischte mich eiskalt. Er würde mich umbringen. Langsam, wie in Zeitlupe senkte sie den Teller und stellte ihn ab. »Weißt du Han, ich habe keine Lust mich jedes Mal, wie ein Volltrottel zu fühlen, wenn wir uns begegnen.«

Schwer stützte sie sich mit den Armen ab und ließ den Kopf hängen. »Es tut mir leid.«

Ich trat nah an ihren Rücken und quälte mich selbst damit. »Was genau? Tut es dir leid, mich hier vor deinen Eltern und deinem Bruder dermaßen auflaufen zu lassen? Tut es dir leid, mir nicht von Anfang an gesagt zu haben, wer du bist? Was Han, was genau tut dir leid?« Man hörte mir an, dass ich wütend war, auch wenn ich meine Worte nur leise herauspresste. Als Ihre Augen meine trafen, wurde alles in mir wieder weich, nur um sich sekundenschnell wieder messerscharf zu spannen, als mir ein Verdacht kam. »Hast du dich an mir gerächt? Ist das hier ein Spielchen, das du spielst, weil du in mich verknallt warst und ich dich abgewiesen habe?«

Denn ich konnte mich einwandfrei erinnern, an die kleine Hannah, die mir ständig Kaugummi oder Bonbons geschenkt hatte und rot angelaufen war, wenn ich sie lächelnd annahm. Die Hannah, die mich vom Haus aus beobachtete, scheinbar sicher verborgen hinter Glas, wenn ich mit John unten Basketball spielte. Oder wie sie manchmal, wenn ich hier gegessen hatte, kaum ein Wort rausgebracht hatte und ständig verlegen auf den Teller starrte, wenn ich sie ansprach. Ein Blinder hätte nicht übersehen können, dass sie mich angehimmelt hatte, aber sie war damals noch ein Kind. Und so hatte ich sie behandelt und ihr überdeutlich gezeigt, dass ich sie nur so wahrnahm. Erst 12, als ich 17 geworden war und schon längst aktiv Gebrauch von Kondomen machte. Sie war für mich nie in der Hinsicht auch nur annähernd in Betracht gekommen, allein schon wegen John. Eigentlich hatte ich sie mir nicht mal richtig angesehen, nur beiläufig. Verdammt, ich war mit ihr groß geworden, meine Geschwister hatten mit ihr im Sandkasten gespielt, da dachte man nicht in solchen Dimensionen.

Außer dieses eine Mal, ich war um die 20 und wir von der Uni nach Hause gefahren, um ein paar Wochen Sommerurlaub mit der Familie und alten Freunden zu verbringen. Ein einziger Moment, den ich nie wirklich vergessen hatte. An dem Tag war ich, wie so oft hintenrum ins Haus gekommen, weil John bereits mit mir rechnete, und hatte abwartend im Flur gestoppt, als ich hörte, wie sie sich oben stritten. John war laut geworden, wie ich ihn selten erlebt hatte, und Han brüllte zurück, ohne dass ich verstand, worum es ging. Zögerlich ging ich zur Treppe, als die Stimmen verstummten, und wollte mich bemerkbar machen, als schon eine Tür wutentbrannt aufflog und Han oben in den Flur gestürmt kam. Wie ein rasender Engel.

Wie heute erinnere ich mich an den Anblick ihrer langen Beine, die in den kürzesten Shorts steckten, die ich je gesehen hatte. Ihre langen blonden Locken, viel länger, als sie sie heute trug, die wild flogen und ihr Gesicht verbargen, als sie sich mitten in der Vorwärtsbewegung umgedreht hatte und meinem besten Freund zubrüllte: »Du hast kein Recht, über mich zu urteilen. Halt dich aus meinem Leben raus!« Die Hände zu Fäusten geballt, der Rücken kerzengrade, selbstbewusst und … wunderschön. Kraftvoll und sexy.

In dem Moment hatte sie eine andere Seite bei mir angeschlagen, dabei hatte ich nicht eine Sekunde ihr Gesicht gesehen, bevor sie in ihr Zimmer rauschte. Aber mein Magen flatterte und verdammt, mir war nur zu bewusst, dass aus dem Mädchen eine Frau wurde, eine Frau, die mir gefährlich werden könnte. Von dem Tag an hatte ich mich ferngehalten. An Silvester war ich nicht einmal wie abgesprochen hier im Gästezimmer geblieben, sondern unter einem Vorwand ins Hotel verschwunden, um ihr nicht zu begegnen und eine Katastrophe heraufzubeschwören, weil ich ihre Avancen vielleicht nicht mehr so leicht hätte ablehnen können. Ha, das hatte ja wunderbar funktioniert. Wie sagte man so schön? Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Immer noch kam keine Reaktion von ihr und meine Wut fachte sich weiter an. Hatte sie das ernsthaft getan, nur um mir eins reinzuwürgen oder sich selbst etwas zu beweisen? »Gib mir eine Antwort!« Bestimmt, aber leise forderte ich sie auf, endlich eine Erklärung abzugeben.

»Es tut mir wirklich leid. Bitte Logan. Sag es nicht John! Ich dachte, ich sehe dich nie wieder.«

Wollte sie mich verarschen? Geschockt wich ich vor ihr zurück und lachte bitter. »Hannah, ich bin der beste Freund deines Bruders, sein Geschäftspartner UND arbeite mit Jacob zusammen. Eng zusammen und du bist mit Scott ... was auch immer.« Darüber wollte ich gar nicht so genau nachdenken. Nein, natürlich war ich nicht eifersüchtig. Es interessierte mich nicht! So einfach war das. Und ich würde dafür sorgen, dass das die Wahrheit werden würde. »Abgesehen mal davon, dass du seit ein paar Monaten wieder ununterbrochen mit Liz abhängst. Von Trip gar nicht zu reden.« Ich beugte mich weiter vor und zischte: »Es ist ein verdammtes Wunder, dass wir uns in den letzten Jahren nicht ständig über den Weg gelaufen sind. Verkauf mich nicht für dumm!«

 

Hannah

 

Wie schwer es sein konnte, einfach zu nur zu atmen und eine Antwort zu geben. Mein Kopf war gerade noch ein Vakuum und jetzt viel zu voll, um das Richtige rauszusortieren. Alles, was jetzt über meine Lippen kommen würde, wäre nur notdürftig, billige Rechtfertigung oder halb wahre Erklärungen. Das hatte er nicht verdient. Seine Augen funkelten zornig, mit einer Spur Verletzlichkeit, die mich dazu brachte, ihn in den Arm nehmen zu wollen. Es wurde Zeit, etwas zu sagen. Jeden Moment konnte jemand hier hereinkommen und wie erklärte ich dann, dass er so nah vor mir stand und mich regelrecht mit Blicken verbrannte.

»Es tut mir wirklich leid. Bitte Logan. Sag es nicht John. Ich dachte, ich sehe dich nie wieder.«

»Hannah, ich bin der beste Freund deines Bruders und arbeite mit Jacob zusammen. Eng zusammen und du bist mit Scott … was auch immer.«

Ich wollte schon erklären, dass Scott und ich nichts weiter als Freunde waren, aber warum. Das war jetzt nicht wichtig und er schien auch nicht daran interessiert. Er beugte sich wieder weiter vor zu mir und mein Blick fiel direkt auf seinen Mund. Gott dieser Mund. Schnell konzentrierte ich mich wieder auf seine Augen, als er in einem Ton sprach, der mir Gänsehaut bereitete und mehr als deutlich zeigte, was er von mir und meiner Aktion hielt.

»Es ist ein verdammtes Wunder, dass wir uns in den letzten Jahren nicht ständig über den Weg gelaufen sind. Verkauf mich nicht für dumm!«

Aber das wollte ich doch gar nicht. Halloween war der größte Bockmist, den ich je gebaut hatte. Immer wenn ich meine Selbstdisziplin lockerte, kam nur so ein Desaster dabei raus. »Wäre ich ein Mann, würde ich sagen. Ich habe mit dem Schwanz gedacht.« Seine Mundwinkel zuckten verräterisch und ich entspannte mich etwas. »Logan, es tut mir wirklich leid. Ich hatte vor dir Montag endlich alles zu beichten. Die letzten Tage waren die Hölle für mich. Glaub mir, ich weiß, was ich da angestellt habe. Bitte …« Was bitte lass uns Freunde werden? O Mann, ich war erbärmlich.

»Wer weiß davon?«

Ich räusperte mich und schluckte schwer. Das würde ihm gar nicht gefallen, aber diesmal kam lügen nicht in Frage. »Liz! Ich hab’s ihr gestanden, als du mal im M’s aufgetaucht bist. Sonst hätte sie mich dir vor die Füße gezerrt.« Verlegen spielte ich mit dem Saum meiner Bluse, während er leise fluchte und seine Frisur noch weiter verwuschelte. »Ich kann einfach nicht fassen, dass du mir das angetan hast, und auch noch dachtest, das fliegt nie auf. Scheiße. Liz hat kein Wort gesagt, na warte!«

Es tat mir fast körperlich weh, ihn so verzweifelt zu sehen. Auch wenn ich die Tragik nicht ganz verstand. Liz würde nie tratschen.

Traurig musterte er mich. »Ich hasse es, John anzulügen. Irgendwen anzulügen. Hannah, warum? Warum hast du nichts gesagt?«

Ich streckte mich und nahm meinen ganzen Mut zusammen für die Wahrheit. »Weil ich dich wollte und du abgehauen wärst. Ja, ich habe nicht fair gespielt, aber einmal wollte ich mir das nehmen, was ich mir gewünscht habe und nicht das, was man mir an Resten zugesteht.«

Kurz stand er verdattert da. Mit so viel Ehrlichkeit hatte er augenscheinlich nicht gerechnet. Langsam hob er den Arm und seine Fingerknöchel fuhren mir sanft über die Wange. »Das war nicht richtig. Das war …« In dem Moment kam meine Mutter in die Küche und warf uns einen irritierten Blick zu. Sofort brachten wir Abstand zwischen uns und ich setzte eine reservierte und hoffentlich neutrale Miene auf. Logan lächelte sie charmant an und nahm ihr die Schüssel ab, die sie in Händen hielt. Daraufhin fing ich von ihr einen vieldeutigen Blick ein und sie ging zurück ins Esszimmer, ohne auch nur ein Wort. Mütter verstanden manchmal mehr als gut für einen war.

Die Schüssel in der Spüle verstauend, pustete Logan Luft zwischen die Lippen und meinte ruhig. »Lassen wir es einfach gut sein. Mein Kopf platzt bei dem Ganzen.« Er sah hoch direkt in meine Augen und fixierte mich. »Aber Hannah, das war kein besonders gelungener Start zwischen uns. Denk nicht, dass ich das vergesse.« Eigentlich sollte ich ihn fragen, was genau in dieser Nacht überhaupt passiert war, aber wollte ich wirklich noch tiefer sinken? Zugeben, dass ich einen Filmriss gehabt hatte, sprach nicht gerade für mich. Vor allem würde es ihn sicher nicht besänftigen. Ihm nachzusehen, wie er aus der Küche ging, mit einem letzten verkniffenen Blick, tat weh. Warum nur hatte ich beschlossen, es durchzuziehen. Die Nacht war ein Riesenfehler.

 

 

Hannah

 

Wenige Stunden später stand ich in einem vollen, angesagten Club und fühlte mich völlig fehl am Platz. Es war besser, als mir den Abend weiter mit all den Freunden meiner Eltern in netter Konversation zu vertreiben, aber mit Logan und John hier zu sein, machte mich hypernervös. Der eine wartete darauf, dass ich mich in seinen Augen mal wieder als Flittchen oder sonst was entpuppte, und der andere sah mich ständig wütend oder enttäuscht an.

Warum genau war ich nochmal mitgegangen? Ah, genau, Normalität vorgaukeln. Heile Welt spielen. Scott war meine Rettung und ich hängte mich so sehr an ihn, dass ich ihm wohl schon Angst machte.

»Prinzessin alles okay? Nicht, dass ich Körperkontakt nicht zu schätzen wüsste, aber normalerweise hängst du nicht an meinem Arm und liegst fast auf mir. Zumindest nicht nüchtern.« Ich streckte ihm einfach die Zunge raus und er lachte. »Ernsthaft! Brauchst du einen Mann? Denn ich brauche dringend eine Frau.« Anzüglich wackelte er mit den Augenbrauen und ich schlug ihm heftig auf den Oberarm. Zumindest hatte ich ihn freigegeben. Wahrscheinlich war das sein perfider Plan gewesen, denn er lachte nur und verbeugte sich halb, bevor er mir eine Kusshand zuwarf und mit den Worten: »Ich schaue mir mal deine Konkurrenz an«, weiter hinten bei der Tanzfläche in der Menge untertauchte.

John und Logan steckten die Köpfe zusammen und ich verfluchte mich wieder dafür, überhaupt mitgekommen zu sein. Aber John fragte mich so selten und ich versuchte, immer noch meinen Bruder zurückzubekommen. Den, der nicht dachte, ich wäre … ja was war ich überhaupt in seinen Augen?

Seufzend verfolgte ich den Gedanken, als sich plötzlich zwei Händen fest an meine Taille legten und zudrückten. Ich schrie kurz vor Schreck auf und sprang gut zehn Zentimeter hoch. Das Lachen, das nah an meinem Ohr erklang, kannte ich nur zu gut, genau wie der leicht erdige Geruch. In diesem Moment unter Feinden erschien er mir wie die glorreiche Rettung. Freudig wirbelte ich herum und schlang Trip meine Arme um den Hals und küsste ihn überschwänglich auf die Wange. Seine Augen wurden tellergroß. Mit so einer Begrüßung hatte er augenscheinlich nicht gerechnet. Wie auch, wir waren in den vergangenen Wochen noch nicht gänzlich zu unserer alten Freundschaft zurückgekehrt. Aber nichts wollte ich schneller wieder hinbekommen als Trip und mich. Wir waren lange eine Front gewesen und niemand, außer vielleicht Liz oder Scott kannte mich so gut wie er. Sicher kannte allerdings niemand Trip so gut, wie ich und ich hatte ihn wegen Sam schmerzlich im Stich gelassen, was ich jeden Tag bereute. Selbst heute, Wochen später, nachdem er meine Entschuldigung schon längst angenommen und mir versichert hatte, alles würde wieder gut. Jeder, der mal einen Bruch in einer Beziehung gespürt hat, weiß, solche Dinge müssen erst wieder zusammenwachsen. Man spürt es noch lange, diese kleine Unsicherheit im Vertrauen.

Sein Lächeln war somit reinster Balsam für meine Seele. Ich war so erleichtert, ihn zu sehen. Stürmisch hob er mich ein Stück hoch und zog mich fest an sich. »Na, du heißer Feger. Noch keinen Kerl aufgerissen?« Er wusste genau, dass ich dermaßen unfähig war, einfach drauf loszustürmen. Schon gar nicht mit John neben mir. Lieber kaute ich mir einen Finger ab, als vor ihm mit jemandem zu flirten.

»Und du?« Er zwinkerte mir zu und ließ mich auf meinen eigenen Füßen stehen.

»Schön dich zu sehen Han!« Dann legte er die Hand kurz an meine Wange, bevor er sich an John und Logan wandte, um sie zu begrüßen. Logan musterte uns stirnrunzelnd, begrüßte Trip dann aber lachend per Handschlag und die drei feixten herum. Nach einiger Zeit entfernten wir uns von der Bar auf der Suche nach einem Tisch im hinteren Bereich mit Blick auf die Tanzfläche. Der Letzte wurde uns allerdings vor der Nase weggeschnappt und wir formierten uns knapp hinter der tanzenden Menge. De facto hieß das, ich trippelte hinter den Dreien her wie in meiner Kindheit und fühlte mich wie ein nutzloses Anhängsel.

Während die drei Geschichten austauschten und unter großem Gelächter und Männergehabe Frauen abcheckten, was mir bei Logan jedes Mal einen Stich versetzte, närrische dumme Han, stand ich mit gebührendem Abstand daneben und sehnte mich nach Alkohol. Ein Drink wäre meine Rettung. Dann könnte ich mich daran festhalten, aber vor John würde ich besser nicht trinken. Dann würde er wieder diese schmalen Lippen ziehen und kurz seine Brauen zucken lassen. Seine Augen dabei der reinste Vorwurf, als würde ich schon nackt tanzend meine Telefonnummer verteilen. Was ich übrigens noch nie getan hatte.

Wie sehr wünschte ich mir, Liz wäre mit uns gekommen. In ihrer Nähe wurde sogar er lockerer. Vielleicht sollte ich einfach verschwinden. Gedanklich ging ich bereits einen Katalog von Ausreden durch. Doch bevor mein Rückzugsplan in die Tat umgesetzt werden konnte, tauchte plötzlich Sam, mein Exfreund, mit seinem schmierigen Lächeln, das ich mal anziehend fand, vor uns auf und streckte John die Hand hin. »John! Hey, lange nicht gesehen.«

»Allerdings. Ich bin Han immer noch böse, dass sie das mit dir vermasselt hat.« Lachend griff er nach seiner Hand und ich verdrehte die Augen. Klar, ich war zwangsläufig der Fehler im System, nicht er. Mich unwohl fühlend so nah an diesem Arsch, wand ich mich etwas auf meinem Platz und trat einen Schritt zurück. Unschlüssig wie ich reagieren sollte in Gegenwart meines Bruders. Sollte ich ihn anschreien, einfach verschwinden? Aber dann würde er mir nachher hinterherkommen und ich wäre allein mit ihm. Keine Chance, dass ich das riskierte. Trip wusste nichts von dem Desaster mit Sam und blieb somit unbeteiligt und redete weiter mit Logan. Sie waren völlig vertieft in ihr Gespräch. Also keine Rettung von dieser Seite. Hilflos verkrampfte ich mich und presste die Lippen aufeinander. Hatte ich mich gerade noch deplatziert gefühlt, war ich jetzt eher komplett verloren. Einsam unter Freunden. Typisch ich. Nervös wich ich Sams Blick aus und hoffte, ich wirkte dabei wenigstens nicht ganz so schwach, wie ich mich fühlte.

OH, bitte nicht, er kam auf mich zu mit dieser Grimasse, die ein liebevolles Lächeln darstellen sollte. In der nächsten Sekunde kam Scott wie aus dem Nichts und stellte sich vor mich, zog Sam am Arm von mir fort und stieß ihn nach hinten.

»Verpiss dich hier!« Sam hob scheinbar ergeben die Hände, verzog aber seinen Mund zu einem hämischen Grinsen.

»AH, der Wachhund. Wo ist dein Problem? Ich begrüße nur John … und Han. Ist das verboten?«

Scott knurrte regelrecht. »Wenn Han in der Nähe ist, ist alles verboten. Du siehst sie nicht an, du berührst sie nicht und du sprichst nicht mit ihr. Haben wir uns verstanden? Ansonsten prügle ich dich windelweich.«

Neben mir spitzte John den Mund. »Banks, lass ihn in Frieden.«

Aber Scott hielt seinen Blick unbeirrt auf Sam gerichtet und wurde noch breiter und bedrohlicher. »Haben! Wir! Uns! Verstanden?«

In dem Moment fing Sam an zu lachen und sah über die Schulter zu mir. »Könntest du bitte deinen Lover zurückpfeifen? Er macht sich lächerlich.«

Vor mir ballte Scott bereits seine Fäuste. Das würde gleich eskalieren. So dankbar ich Scott war, aber das hier sollte nicht außer Kontrolle geraten und ihn zu etwas verleiten, dass ihm schaden konnte. Ein sich prügelnder Clubbesitzer war keine erstrebenswerte Publicity. So viel war sicher!

Zögerlich griff ich nach seinem Arm, aber er schien mich gar nicht wahrzunehmen. Wütend erwiderte Scott: »Das einzig Lächerliche bist du. Zisch ab, du perverses Schwein, sonst zeige ich dir genau, was du verdient hast.«

Mein Kopf ruckte auf der Suche nach Hilfe zu John, blieb aber in Logans Blick hängen und ich flehte ihn tonlos an einzugreifen. Seine Augen schienen unschlüssig, wanderten von mir zu dem sichtlich wütenden Scott und dem kampfbereiten Sam. Mir war klar, dass er nicht einfach so gehen würde. Nicht, wenn der Alpha in ihm sich angegriffen fühlte. Sam war es gewohnt zu bekommen, was er wollte und, dass alle kuschten, wenn er nur Piep sagte. Und sich zu schlagen, war für ihn immer eine Option. Seine körperliche Konstitution war kein Problem, eher im Gegenteil. Ich fluchte über mich selbst, dass ich mich deswegen von ihm beschützt und bei ihm sicher gefühlt hatte. Warum zum Teufel hatte ich nur gedacht, er würde mich auf Händen tragen.

Flehend sah ich zu John, der mich kaum eines Blickes würdigte und nur sein Nachdenkergesicht zog. Dafür legte Trip jetzt den Arm um mich. »Wisst ihr was. Wir beruhigen uns alle und ich gehe mit Han was trinken. Komm mit Scott.«

Vorsichtig griff ich wieder nach Scotts Arm. »Komm, bitte. Er ist es nicht wert.«

Jeder seiner Muskeln schien zum Zerreißen gespannt und er presste zwischen den Zähnen hervor. »Aber du! Wenn einer geht, dann er, und zwar SOFORT!« Das letzte Wort spuckte er Sam regelrecht ins Gesicht.

Logan warf mir einen Blick zu und runzelte die Stirn. Gleichzeitig mit Trip stellte er sich neben Scott und sagte ganz sanft, aber dadurch noch bedrohlicher. »Du hast ihn gehört. Ich denke, es ist Zeit, dir einen anderen Platz zu suchen.« Wütend stieß Sam Scott an der Brust nach hinten. Hätten Logan und Trip nicht gleichzeitig einen seiner Arme gepackt, als er sie bereits zum Angriff hochriss, hätte Scott schon im nächsten Moment Sam niedergestreckt.

So brüllte er nur: »Wichser! Komm noch einmal zu nah an sie ran und ich kastriere dich.« Aber Sam ging bereits rückwärts, mit arroganter und sichtlich über allem erhabener Miene.

»Lass gut sein. Er ist weg«, versuchte Logan Scott zu beruhigen.

Der raufte sich die Haare und sprühte nur so vor aufgestauter Energie, als er mich wild ansah, dann aber direkt fürsorglich sanft wurde. »Alles okay?« Stumm nickte ich nur. »Baby du zitterst.« Sanft nahm er meine Hände in seine und rieb sie, aber ich machte mich sofort frei und ging einen Schritt zurück.

»Scott, das war doch bescheuert und komplett unnötig.« Ich zitterte mittlerweile am ganzen Körper. Ungläubig hob er die Hände und fragte leise nur für mich.

»Unnötig? Was der Kerl mit dir abgezogen hat, war das Letzte. Du kannst doch nicht wollen, dass er dir so nah kommt. Gott, Han, er hat dich quasi vergewaltigt.«

Dass er das so sagte, was ich mir selbst nicht eingestand, traf mich tief, aber half mir seltsamerweise auch, meine Fassade wieder aufzubauen. Ich weigerte mich, das so zu sehen, denn dann war ich ein noch schlimmerer Versager als ohnehin schon. Langsam bekam ich mich wieder unter Kontrolle. »Aber es war nicht das Schlimmste, was ich je erlebt habe. Im Grunde … war ich ja einverstanden.«

Scotts Blick brach fast. »Was?«

Ich und meine Klappe. Das wollte ich hier sicher nicht erklären müssen. »Vergiss es. Danke! Ich bin ja froh, dass er weg ist.« Fest rieb ich mir übers Gesicht.

Plötzlich spürte ich eine Hand fest und beruhigend auf meiner Schulter. »Soll ich dir was zu trinken holen?«

Unsicher sah ich hoch und begegnete sanften Augen, die mir etwas Anspannung nahmen. »Wenn das geht?« Logan stand bei mir wie ein Fels in der Brandung und musterte mich ruhig, bevor er nickte. Am liebsten hätte ich mich in seine Arme geworfen. Was natürlich absolut undenkbar und unmöglich war. Aber Arme schlangen sich dennoch von hinten um meine Hüfte. Trip! Und ich kuschelte mich an ihn. Kein schlechter Ersatz.

Er hatte mir, ohne zu fragen, beigestanden. Logan! Hatte mir beigestanden. Ohne Frage, ohne ersichtlichen Grund. Mein Bauch wurde warm.

»Da hast du wohl bei. Wir haben uns getrennt, einiges ausgelassen.« Bedeutungsvoll sah Trip zu dem immer noch Nase blähenden Scott, der prompt antwortete. »Sie hat ihn rausgeschmissen. Halb nackt! Ich war nie stolzer auf meine Prinzessin.« Ein freches Lächeln begegnete mir, wurde dann aber direkt wieder ernst. »Tut mir leid. Aber ich sehe bei ihm einfach rot.«

Mit dem Rücken fest an Trip gedrückt war die Welt schon viel besser und meine Anspannung löste sich weiter. Sanft legte ich eine Hand auf seine Wange. »Danke!«

John zerstörte den Moment der Eintracht »Danke? Für Neandertaler?«

Logan drückte seine Schulter und schüttelte den Kopf. »John jetzt nicht. Du weißt doch gar nicht, was passiert ist. Scott rastet sicher nicht grundlos aus.«

Mein Herz wurde ganz warm und flauschig. Und das kleine Mädchen in mir seufzte leise Logan. Sei still, dumme Göre.

Scott stöhnte: »Allerdings. Mieser Wichser!« Er schüttelte die Arme aus »Ich gehe wieder zu … der Blonden. Oder brauchst du mich hier? Dann bleibe ich natürlich.« Ich konnte nicht anders, als über meinen kleinen Casanova lächeln und ihm zu deuten, er solle verschwinden. Er zwinkerte mir zu, sah dann aber eindringlich zu Trip. »Behalt sie im Auge, solange Sam hier ist, okay? Und hol mich sofort, wenn was sein sollte.« Trip nickte dieses Männer-Absprache-Ehre-Nicken und Scott schien zufrieden. Winkte noch einmal, während er schon verschwand.

Mein Kopf ruhte an Trips Schulter und ich schloss die Augen, ausnahmsweise mal einverstanden mit dem Mädchen beschützen Ding. Der Tag war einfach schon schlimm genug gewesen, um jetzt auf hart zu machen. Das war ich im Moment gar nicht. Ich brauchte dringend eine Portion Geborgenheit, die ich mir nur selten gönnte. Nur John störte mal wieder meinen Frieden? »Was hat er dir denn Schlimmes angetan? Wollte er dir kein Chanel Kostüm kaufen oder war er nicht damit einverstanden, dich zu teilen?«

Trips Arm spannte sich an meinem Bauch. »Eines Tages hau ich dir eine rein, Riley. Du weißt nichts über sie.«

John nahm lässig einen Schluck aus seinem Glas. »Ich habe Augen und Ohren. Vielleicht weißt du nichts und lässt dich einfach von ihr blenden.«

Vor mir erschien Logan mit einem Glas, das er mir hinhielt. »Gin Tonic. Hoffe, das ist okay?« Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er gegangen war.

»Das ist prima. Danke!« Und leerte mit einem Zug das halbe Glas. Langsam verebbte auch der letzte Rest Zittern.

Er hatte mich nicht aus den Augen gelassen und meinte nun ermutigend. »Vielleicht erzählst du John, was los ist.« Ich wollte nicht darüber reden. Die Szene eben war schon schlimm genug gewesen.

»Und mir …«, nuschelte Trip an meinem Hals.

Zaghaft sah ich zu John, der jetzt ungewöhnlich weich meinem Blick hielt. »Wäre doch ein Anfang.«

Zittrig atmete ich durch. Besser sofort, solange er mir aufrichtig zuhörte. Logans Anwesenheit störte mich dabei weniger, als ich vermutet hätte. Klar war es mir unangenehm, so offen zu sprechen, war es bei dem Thema immer, aber seine ruhige Art bei mir zu stehen, gab mir auch die nötige Kraft. »Er hat mich betrogen. Die ganze Zeit. Und nein, ich ihn nicht.«

John trank einen Schluck und zog die Augenbrauen zusammen. »Dafür so eine Show? Klar ist das nicht die feine Art, aber dafür eine Prügelei riskieren?«

Zu Logan konnte ich jetzt nicht sehen. Zu viel Angst hatte ich vor seiner Reaktion. »Das war nur die Einleitung.« Hatte es überhaupt Sinn, mich hier zu demütigen, wenn er mich sowieso als lächerlich und als Lügnerin abstempelte. Trip drückte sanft meinen Arm und erinnerte mich daran, dass auch er auf eine Erklärung wartete und er verdiente sie sicher. »An unserem letzten Tag. Da …« Ich räusperte mich. Aber vielleicht würde es ja wirklich meine Beziehung zu John verbessern. Schlechter wäre kaum möglich. »Wir hatten uns eine Woche nicht gesehen. Er war bei seinen Eltern in Kent. Angeblich. Wir waren im Bett und kurz vor seinem …« Ich rang mit den Händen. Das war schwerer als erwartet. Mit John über Sex und Liebe zu reden, war wie das Fegefeuer.

Trip sprang ein. »Orgasmus?«

Wie hatte er das schon wieder erraten? Der Kerl war unheimlich, genau wie seine Schwester. Ich schloss kurz beschämt die Augen und krächzte zustimmend: »Ja!« Aber eigentlich hatte ich nichts falsch gemacht. Abgesehen davon, dass ich diese Beziehung überhaupt geführt hatte. Wie ich es hasste, etwas von mir preiszugeben, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, wenn ich das jetzt nicht erzählte, würde ich John ganz verlieren und Trip vielleicht wieder an mit zweifeln. Also richtete ich mich auf und fuhr fort: »Kurz vor dem Orgasmus hat er mir ein sehr fragwürdiges Kompliment gemacht.« Trip zog die Augenbrauen hoch. »Er meinte, exakter Wortlaut: Meine Titten würden am schönsten wackeln von allen Frauen, die er fickt.« Der Fußboden wurde sehr interessant, auch wenn ich gerade ins Bodenlose stürzte, so schwindelig wie mir vor Scham wurde.

Ich spürte, wie Trip sich anspannte, und auch Logan wurde sichtlich gerader. »Wie bitte?«

Mühsam räusperte ich mich und holte tief Luft. »Das habe ich auch gefragt. War ’ne nette Unterhaltung. Vor allem, weil er mich … festhielt, als ich versuchte …« Ich schluckte. Keine schöne Erinnerung und echt erniedrigend »… von ihm loszukommen.« Alle drei zeigten durch ihre Reaktion, dass sie nun Scott verstanden. Logans Blick wurde nahezu angsteinflößend hart und sein Kiefer mahlte. Trip ballte die Fäuste und mein Bruder schloss die Augen, während seine Nasenflügel bebten, als versuche er krampfhaft, sich zu beruhigen. Aber sie unterbrachen mich nicht »Seine Antwort war ein Samenerguss und dann ein müdes Lächeln, als ich nachbohrte. Er immer noch ungewollt auf mir, hat er mir einen Kuss aufgedrückt, mich geradezu ausgelacht und gemeint: O Süße! Du hast doch nicht gedacht, dass mir das bisschen lausiger Sex mit dir reicht. Aber du bist die, mit der ich zusammen bin, die anderen sind nur fürs Bett. Also alles gut.« Tränen krochen mir im Hals hoch und ich schluckte sie krampfhaft runter. Ich war so naiv gewesen. Meine Arme legten sich wie von selbst auf Trips. Ich brauchte Halt und den gab er mir auch sofort. »Dann habe ich ihn angeschrien, dass gar nichts gut ist und wieder versucht, ihn von mir runterzubekommen.« Meine Stimme wurde immer brüchiger, die Atmung flacher, da die Panik von damals aus ihrem Versteck kroch. »Aber er hielt mich fest und meinte, ich solle mich beruhigen. Schließlich wären wir doch etwas Besonderes und ich würde ihm gehören!«

»Ihm gehören?« Trip spuckte diese Wörter in einer Tonlage aus, die ich nie von ihm vorher gehört hatte, und Logan keuchte entsetzt auf.

»Ja … Jedenfalls schrie ich, er soll mich sofort loslassen und hab ihm das Knie zwischen die Beine gerammt und ihn aus dem Bett gestoßen. Sam hat auf mich eingeredet und mich versucht festzuhalten. Aber ich bin ausgewichen. Der Lärm hat Scott auf den Plan gerufen und als er gehört hat, wie ich geschrien habe, er soll mich nicht anfassen, ist er einfach in mein Zimmer gestürmt. Ich war schon dabei, Sam seine Klamotten in den Arm zu drücken und ihn vorwärtszuschubsen. Scott hat mir, ohne zu fragen, geholfen ihn rauszuschmeißen. Danach habe ich einfach nie wieder auf seine Anrufe oder Nachrichten reagiert. Ende der Geschichte!« Ich leerte mein Glas und Logan drückte mir unter Johns strafendem Blick seinen Whisky in die Hand.

»Jetzt will ich ihn auch töten.«

Ich seufzte. »Das ist er gar nicht wert. Im Grunde ist er nur ein verwöhnter, aufgeblasener Kerl mit ausgeprägtem Geltungsdrang.«

Fast wäre ich zurückgeschreckt, als John kurz meinen Arm drückte. »Ich werde nicht mehr mit ihm reden. Tut mir leid!« Ich nickte nur. »Ich muss mal für kleine Jungs.« Dann drehte er sich mit verbissenem Kiefer weg und verschwand in der Menge.

Baff murmelte Trip: »Ein Wunder! So versöhnlich und nett war er schon lange nicht mehr.«

»Allerdings!«

Skeptisch beäugte uns Logan. »Warum ist er eigentlich ständig so sauer auf dich?« Trotzig reckte ich das Kinn hoch und drückte ihm sein Glas in die Hand, von dem ich nur genippt hatte. »Weil ich ein Flittchen bin ohne Moral und Anstand. Komm Trip tanzen. Lass uns den Mist einfach vergessen.« Und mehr würde ich ihm nicht sagen. Nicht, dass ich überhaupt wirklich verstehen würde, warum John mich anscheinend hasste.

 

 

5. Gala Abend

Logan

 

Den halben Tag hatte ich mir verschimmelte oder auf andere Art furchtbare Wohnungen angesehen. Wer hätte gedacht, dass es so schwer war, etwas Vernünftiges zu finden, ohne dafür ein Vermögen auszugeben. Aber auch wenn ich Geld hatte, würde ich es sicher nicht verschwenden. So gut war ich noch nicht aufgestellt, dass ich aufhören konnte, mir Sorgen über die Zukunft zu machen. Gut eigentlich schon, aber es lag nun mal in meiner Natur, alles doppelt und dreifach abzusichern.

Jetzt stand ich erschöpft in meinem Anzug gestriegelt und auf Höchstform rausgeputzt im Empfangsbereich des Nobel-Hotels für diese Spendengala einer Kinderhilfsorganisation und unterdrückte ein Gähnen. Nicht mal der imposante blau silbern geschmückte Weihnachtsbaum in der Lobby, der Liz ein Seufzen entlockt hatte, konnte mich interessieren.

Denn nicht nur der Tag hatte mich ausgesaugt, sondern auch die Nacht davor, in der ich mich schlaflos mit Hannah befasst hatte. Was sie erlebt hatte, war mir unter die Haut gegangen und ich hatte das dringende Bedürfnis verspürt, sie zu beschützen. Fast hätte ich sie gestern einfach an mich gedrückt. Noch nie hatte ich meinen Bruder am liebsten fort gewünscht. Mich von ihr fernzuhalten, war unfassbar schwer gewesen. Genauso schwer, wie dieses Arschloch nicht abzupassen und meine Fäuste in ihm zu versenken. Kalte Wut kroch über meinen Rücken bei dem Gedanken, wie er sie verletzt hatte. Ich musste dringend noch einmal in Ruhe mit ihr reden.

»Wenn du deinen Kiefer nicht entspannst, fallen dir sicher gleich die Zähne aus. Oder sie zerbröseln wie in einem Cartoon, wenn jemand einen Baseballschläger in die Fresse kriegt. Sylvester oder Tom.« Meine Schwester schaffte es wieder mal, mir ein Lächeln abzuringen, mit ihrer unverblümten Art. Wie ein kleiner perfekter Engel stand sie neben mir. Die Haare hochgesteckt, das Kleid bodenlang und elegant in dunkelgrün. Schlicht und fließend. Eine Schönheit. Verdammt, wann war das passiert? Elegant und geschmeidig hakte sie sich bei mir unter und ließ ihren Blick schweifen. »Ah, da ist John. Kommt er allein?«

»Wahrscheinlich schon. Er ist eher so ein Einzelgänger. Frauen sind nur Ballast.«

Sie kicherte. »Ach, ihr Unwissenden. Wartet, wenn ihr der Einen begegnet, dann dreht sich die Welt auf einmal in die andere Richtung.« Überzeugt zog sie die Augenbrauen hoch und drückte kurz meinen Arm. Ob sie diese Art von Begegnung schon hatte? Fast hätte ich gefragt, aber John war bereits bei uns angekommen.

»Hölle, immer die gleichen Speichellecker.« Sein Blick wanderte einmal von oben nach unten an Liz hinab und wieder zurück. »Du siehst bezaubernd aus, Liz.«

Sie knickste leicht und grinste. »Danke der Herr. Du siehst auch hervorragend aus heute Abend. Ist das Armani?«

Er lächelte und zwinkerte ihr zu, was bewirkte, dass sich mein Gesicht grummelnd zusammenzog. Meine Schwester Bro! Sperrgebiet! O verflucht, ich konnte nicht mal etwas sagen. Schließlich hatte ich Regel Nummer eins bereits gebrochen.

Ein penetrantes Lachen hinter mir, zusätzlich zu der anschwellenden Lautstärke, der sich begrüßenden Menschen verschluckte seine Antwort. Alles, was ich wollte, war endlich meinen Platz im Saal einnehmen und während der unvermeidlichen Reden ein Runde dösen. Natürlich mit der Miene eines interessierten Zuhörers. Versteht sich von selbst.

Gerade begrüßte John einen unserer Geschäftspartner und ich wurde ganz Businessman und stellte Liz artig vor. Ja, es war ganz hinreißend, dass ich mich mit meiner Familie verstand. Ja, Familie war das Wichtigste. Gott, der Kerl wollte nur Zahlen und Geld von mir. Ich hasste dieses verlogene Geschwätz, lächelte aber charmant. Dann erteilte ich pflichtschuldig Komplimente an seine ach so bezaubernde Frau, die affektiert lächelte und mir ihre Fratze aus zu viel Make-up und Schönheits-OPs präsentierte. Der Nächste ließ nicht lange auf sich warten und der Nächste und Nächste. Nein, das war einfach nicht mehr mein Leben. Dabei konnte ich nicht mal genau sagen, wann das passiert war. Aber ich wollte nur raus.

Liz schlug sich prächtig, brachte bissige Manager zum Schmunzeln und kokettierte mit alten Saftsäcken, genau im richtigen Maß, um nicht zu aufreizend zu wirken. Die perfekte Begleitung. Meine Bewunderung für sie stieg von Minute zu Minute. Vielleicht sollte ich ihr meinen Part der Firma überlassen. Schade, dass sie keinerlei Interesse an Wirtschaft oder Geschäften in jedweder Art hatte. Selbst beim Trinkgeld verrechnete sie sich. Damit meine ich schon den Überschlag. Bei ihr konnten zehn Prozent schnell zu vierzig werden. Also war die Idee wohl nicht so realistisch. Schade eigentlich!

Langsam sollten die Tore doch mal geöffnet werden und der Hauptteil beginnen. Genervt sah ich auf meine Uhr. Just in dem Moment kam die Aufforderung Platz zu nehmen und erlöste mich von diesem Small Talk des Grauens.

Die Tische waren durchnummeriert, die Plätze vorab vergeben, weil man sie sich schlichtweg für eine horrende Summe kaufte. Also keine große Herausforderung zu wissen, dass ich mit John, Jacob, der immer mit Begleitung kam und Scott an einem Tisch saß. John und Scott hatten, auch wenn sie meistens allein blieben, einen Stuhl für die Begleitung bezahlt, nur damit wir nicht unerwünschte Mitgiftjäger oder gar nervige Journalisten oder schlimmer, versnobte Neureiche an unserem Tisch vorfanden. Alles war perfekt geregelt. Perfekt, um endlich ein wenig mit offenen Augen zu dösen. Mit einem Schulterblick streckte ich meinen Arm nach Liz aus, um sie mit der Hand auf dem Rücken sicher zu unseren Plätzen zu führen. Dabei entdeckte ich Jacob, der gerade breit grinsend in der Vorhalle eintrat und einer Frau, von der ich nur den Rücken sah, den Mantel abnahm. Seine Hand hob sich zum Gruß in meine Richtung und ich tat es ihm gleich. Scheinbar neugierig drehte sich die Frau an seiner Seite um. Mir stockte der Atem. Das war Hannah, die vierte Version, die mich schlichtweg umhaute, in einem wunderschönen, hellblauen Ballkleid, das ihre Taille perfekt betonte und ihre Brüste verheißungsvoll in Szene setzte.

Wieso hatte er sie als Begleitung und viel schlimmer, wieso regte sich bei mir schon wieder mein bestes Stück? Ich dachte, ich hätte das mit mir geklärt. Nicht nur das es eng wurde im Schritt, auch meine Brust kribbelte vor Aufregung, sie zu sehen. Wann würde mein Körper verstehen, dass sie nicht in diese Abteilung fiel?

»Oh klar. Han angelt sich wieder den begehrtesten Junggesellen und alle Beachtung gilt ihr«, ertönte Johns genervte Stimme neben mir.

»Ich wusste gar nicht, dass sie mit den beiden so gut befreundet ist.«

Er schien oberflächlich aalglatt, aber ich kannte ihn zu gut, als dass er seine Unruhe verstecken konnte. »Freundschaft, Bettbeziehung. Was auch immer.«

Liz neben mir zog mich wieder zurück, als sie Han erblickte. Die beiden umarmten sich grinsend und tuschelten kurz, gaben sich Komplimente für ihr Styling, ganz Mädchen, während Jacob und ich uns begrüßten. Als ich Han die Hand entgegenstreckte, verrutschte ihr Lächeln kurz und ihre Augen wirkten unsicher. Hektisch ruckte ihr Blick kurz zu ihrem Bruder. Sollte sie ruhig noch ein wenig in ihrem schlechten Gewissen schmoren und sich fragen, was ich John gesagt hatte. Himmel, nie würde ich ihm das gestehen, aber das konnte sie natürlich nicht mit Gewissheit wissen.

Liz hakte sich bei ihr unter. »Und habe ich dir zu viel versprochen? Sieht er nicht blendend aus im Anzug?«

Hannahs Wangen färbten sich rot. »Ja, absolut!« War alles, was sie mit einem kurzen Blick zu mir rausbekam, was mich wieder seltsam nervös machte. Zum x-ten Mal zog ich meine Manschettenknöpfe zurecht.

Jacob schmunzelte nur und drängte uns voran. »Lasst uns mal zum Tisch, bevor uns die Meute niedertrampelt.«

Kein schlechter Einwand. Die Gäste drängten zu ihren Tischen und die Lautstärke der vielen Gespräche überschlug sich, was echt anstrengend war und sich erst bessern würde, wenn die Reden begannen. Han strahlte Jacob so an, als er sie wegführte, dass ich schon wieder schlechte Laune bekam. Was war das nur mit ihr und den Männern? Scott, Trip, jetzt auch noch Jacob. Jeder der drei schien für sie wichtig und wie ein eigenes wunderbares Universum. Es war zum Kotzen!

Nein egal, es war mir egal! Warum sollte es das nicht sein?

Am Tisch angekommen, ging Jacob direkt zu John. »Hey, schön dich und Logan mal wieder live zu sehen und nicht nur im Videochat. Ich habe deine Schwester spontan als Begleitung rekrutiert. Das macht dir doch nichts aus, oder?«

Jovial winkte John ab. »Nein sicher nicht. Dann hast du ein Auge auf sie.«

Man hätte nicht geglaubt, wie wenig begeistert er noch vor ein paar Minuten von ihrem Erscheinen gewesen war. Aber im Hinblick auf Hannah verstand ich schon lange nichts mehr. Diese war auch direkt von seiner Bemerkung angepisst. Aufreizend sah sie zu Jacob, den Busen rausgedrückt hob sie leicht ihren Rock und gab mir damit einen schönen Ausblick auf ihre Beine. Der Abend würde mich umbringen, wenn er so weiterging.

»Genau, Honey. Behalt mich besser im Auge.«

Lachend schob er ihr den Stuhl zurecht. »Immer Süße, immer.«

Mein bester Freund verbiss sich den Kiefer und seufzte genervt. Fast hätte ich nicht mal registriert, dass er sich zu mir rüber lehnte, so klebten meine Augen an Han als er leise raunte: »Man würde glauben, sie würde aus ihren Fehlern lernen. Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe.«

So war ich mit einem Durcheinander aus, sauer auf Han sein, John nichts merken lassen und keine weiteren unangebrachten Regungen zeigen, beschäftigt.

Als Ablenkung bewunderte ich mit Liz die Weihnachtsdeko auf dem Tisch. Entzückend für kleine Feen. Alles blau silbern in abstrakten Formen, nicht mal in dem Stil von Eis und Schneeflocken. Für meinen Geschmack zu kalt und modern. Ich bevorzugte da eher den altmodischen Stil und auch Tannenzapfen und Stechpalmen hatten ihren angestammten Platz bei mir. Erstaunt sah ich hoch, als ich Hannah zu Jacob sagen hörte. »Die Deko ist ja nett, aber mir ist das Traditionellere lieber. Rot und Grün. Stechpalmen …«

Jacob lächelte sie an und flüsterte ihr etwas ins Ohr, worauf hin ihre Augen schalkhaft blitzten und ihre Hand ein Grinsen versteckte. Wieder gab mir das ein klammes Gefühl in der Brust und ich drehte mich um und begutachtete die Umgebung. Langsam wurde es endlich ruhiger im Saal, nachdem die Leute schrittweise ihre Plätze einnahmen und sich gedeckter in der Runde unterhielten. Auch bei uns herrschte nun erwartungsvolle Stille, als Hannah auf den leeren Stuhl am Tisch zeigte. »Wo steckt eigentlich Scott? Habt ihr ihn schon gesehen? Die erste Rede wartet nicht mehr lange.«

Ich schmunzelte. »Und auf die freut man sich doch am meisten!«

Lächelnd sah sie mich an. »Ich mich auf alle Fälle, danach gibts Essen.«

Unsere Augen verweilten einen Tick zu lange ineinander. Im stummen Gespräch. Dabei wusste ich nicht mal so recht, was ich sagen sollte. Meine Entscheidung war noch nicht gefallen, auch wenn ich nicht mehr so eingeschnappt war wie gestern, fand ich ihre Machenschaften mies. Sie hatte mich damit in eine unmögliche Situation gebracht. Schlimmer noch, sie hatte mir meine Entscheidungen genommen. Das stank mir einfach. Aber dennoch war klar, dass ich einen Weg finden musste, mit ihr auszukommen. Wegen John und nicht zuletzt wegen Liz, Trip und der Uni.

»Scott sichtet schon mal das Buffet.« Grinsend deutete Jacob Richtung Bar, wo Scott in einer beachtlichen Gruppe weiblicher Fans sichtlich die Aufmerksamkeit genoss und lachend den Rückweg zum Tisch antrat. Han verzog das Gesicht, ohne ihn aus den Augen zu lassen. »Dein Bruder. Manchmal bin ich echt froh über unsere getrennten Badezimmer. Sonst hätte ich jedes Mal bei der Klobenutzung Angst, mir eine Geschlechtskrankheit einzufangen.«

Während ich versuchte, diese Aussage zu analysieren. Vor allem in Hinblick auf ihre Beziehung oder nicht Beziehung lachte Jacob laut und herzlich und zog damit die Aufmerksamkeit einiger Nachbarn auf sich.

John allerdings beugte sich vor und ergänzte bissig: »Als würdest du nicht schon selbst für dich sorgen.« Kalt lehnte er sich wieder zurück und Han wurde kreidebleich und senkte den Kopf, wie ein geprügelter Hund. Was zum Henker? Genau da wurde das Licht gedimmt, die Bühne erleuchtet und die Begrüßungsrede begann.

 

 

Gala After Party

 

»Könntest du bitte aufhören, mich so anzustarren«, mokierte Hannah mit einem verräterischen Zucken im Mundwinkel.

»Warum? Du siehst atemberaubend aus.«

Da konnte ich Scott nur zustimmen. Han sah einfach zum Umfallen gut aus in dem Kleid. Die beiden stritten sich jetzt schon eine Weile. Erst ging es um irgendeinen Whisky, dann um den Kaffee, den Scott gekauft hatte und nun … ich wusste es wirklich nicht zu erklären. Sie wirkten wie das Pärchen, das seit Jahren zusammen ist und kurz vor der Hochzeit steht. Was mir meinen Whisky in der Hand umso sympathischer machte.

»Oh Scott, manchmal hasse ich dich«, giftete Han.

»Und ich liebe dich, immer, auch in schlechten Zeiten. Also sag ja, sag endlich ja!« Fast schien er mir auf die Knie zu fallen. Zumindest deutete er es mit einem gebeugten Knie an. Hatte mein Gedanke eben etwa ins Schwarze getroffen? Ich wurde echt nicht schlau aus den beiden.

Han grinste jetzt und zog ihn kichernd hoch. »Du bist unmöglich.« Mit einem listigen Funkeln schob sie das Kinn vor. »Wo ist der Ring?«

Gebannt beobachtete ich die Szene und kam mir vor wie im schlechten Film. Was bitte ging hier ab? Also doch ein Paar? Das war ja schlimmer als Karussell fahren. Ja, nein, vielleicht. Grinsend streckte Scott die Hand Richtung Jacob, der die Augen verdrehte, aber ein kleines Kästchen aus seinem Jackett zauberte, das Scott flink entgegennahm. Han schlug sich kichernd die Hand vor den Mund und ich will nicht lügen, mir stockte das Herz. Mein Seitenblick zu Liz offenbarte mir, dass sie mindestens so blass wurde, wie ich mich fühlte.

Ok, ich hatte mir das Versprechen gegeben, sie aus meinem Kopf zu streichen. Hatte beschlossen, sie als Bekannte zu sehen, aber war das Schicksal so grausam und rieb mir direkt unter die Nase, dass sie mir nicht egal war, in Form von ätschbätsch sie will eh jemand anderem?

Meine Brust wurde eng. Nein, das war albern. Alles, was ich fühlte, war reines Begehren, Verlangen, Sex, sonst nichts. Dennoch spannte sich mein Rückgrat, als Scott tief Luft holte und fragte: »Hannah, willst du …« Er trat ganz nah vor sie und klappte langsam den Deckel der Schatulle auf. »… meine beste Mitbewohnerin sein?«

Ich atmete aus. Liz neben mir atmete geräuschvoll begleitet von einem stillen Fluch aus und selbst Hannah schien die Luft angehalten zu haben. Sie umarmte ihn, ohne auch nur einen Blick auf den Inhalt des Kästchens geworfen zu haben.

»Jetzt nimm schon deinen Ring, damit es nicht wieder heißt, ich mache leere Versprechungen.«

Grinsend nahm sie einen altmodischen, verschnörkelten, silbernen Ring mit einem Rubin in der Mitte zwischen ihre Finger und steckte ihn an.

Natürlich passte er perfekt. Natürlich hatten diese umwerfenden Männer einen perfekten Ring für sie und ich hatte nur Vorwürfe parat.

»Danke«, hauchte sie und umarmte ihn wieder. Ich ertappte mich dabei, wie ich mich an seine Stelle wünschte. Ihren Körper wieder an meinem. Wie gern würde ich meine Finger in ihre Hüfte graben, in ihren Po, sie hochheben und gegen die Wand drücken. Den Rock langsam an den Beinen hochschieben. Was sie wohl darunter trug. Ein leichtes Zittern ging durch mich durch. Ich war krank.

»Alles in Ordnung?« Liz begutachtete mich und ich trank schnell einen Schluck Whisky.

»Ja sicher!«

»Du siehst aus, als müsstest du dringend auf Klo. Damit meine ich kotzen!«

Ich lächelte schon, als sie ergänzte: »Oder du kämpfst mit ´ner ordentlichen Latte. Also bist du scharf oder macht dein Magen Probleme?« Ich verschluckte mich und sie grinste frech. Böse Liz, böse, scharfsinnige Liz. »Ok, wer geilt dich so auf?« Meine Augen zuckten zu Han. »O scheiße Logan«, rief sie zu schrill und zu laut für meinen Geschmack. Ich sah mich hektisch um, ob uns jemand bemerkte, aber Scott, Jacob und Hannah gibberten die Köpfe nah beieinander herum und John war ein Stück entfernt, in ein Gespräch vertieft und hatte das Ganze anscheinend nicht mitbekommen.

»Was? Nein, Liz wirklich, das ist nur … Shit!«

»Ich weiß es!«

Trotzig rümpfte ich die Nase »Ich weiß, dass du es weißt und nicht cool, dass du mich nicht vorgewarnt hast.« Fast hätte ich ihr den Mittelfinger gezeigt. Ganz wie früher, wenn ich verloren hatte und den Müll rausbringen musste.

Ihr Finger schnippte an mein Glas. »Freundinnenkodex, da war nichts zu machen. Und? Hast du mit ihr geschlafen?«

Was war das denn bitte für eine Frage? Sie weiß es, dachte ich, oder? Wollte sie etwa Einzelheiten? Nein, das war einfach unmöglich für mich, mit meiner Schwester darüber zu reden. »Liz!«

»Logan!«

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Wir werden niemals direkt über Halloween reden. Klar!«

»Aber ich will doch …« Ich hob die Hand an ihren Mund. Kaum ließ ich sie sinken, fuhr sie fort: »Logan, sag mir nur …« Ich drehte mich um, was mir einen Schlag in die Niere einbrachte. Vielleicht hätte ich ihr manches besser nicht beigebracht. Dennoch schaffte ich es, zu entkommen.

 

 

Hannah

 

Wider Erwarten war der Abend richtig angenehm geworden. Nicht zuletzt wegen Liz Humor, Logans Anwesenheit, die unerwartet freundlich ausfiel und der Tatsache, dass John sich vor 15 Minuten verkrümelt hatte. Wir beschlossen uns zusammen in Jacobs Wohnzimmer der Suite zu setzen, die er sich im Veranstaltungshotel gemietet hatte, um den Abend gemeinsam ausklingen zu lassen.

Erschöpft kuschelte ich mich tief in die Couch, die erstaunlich bequem war, obwohl sie für meinen Geschmack zu edel und gediegen aussah, und warf meine Schuhe von mir. Zwar war der Absatz eher Großmutter tauglich, was bei meinen 1,74 durchaus reichte, denn welcher Mann wollte schon Frauen auf Augenhöhe oder gar darüber haben, aber dennoch schmerzten mir die Füße erbärmlich. Wissend zog Scott sich meine Füße auf den Schoß und begann sie zu kneten.

»Ein Hoch auf Vans, was, Prinzessin?«

Wenn er doch nur derjenige, welche wäre. Alles wäre so viel einfacher. Versonnen sah ich auf den schönen Ring, den er mir als Weihnachtsgeschenk hatte mitbringen lassen, um ihn dann theatralisch vorab zu überreichen. Typisch mein Scotty.

Seufzend schob ich mich in eine bequemere, halb liegende Position und stöhnte genussvoll. »Du bist mein Held.«

»Ich weiß, Baby, ich weiß.«

Jacob kam mit Gläsern und einer Flasche Whisky, als Schlummertrunk und grinste uns unverhohlen an. Ich wollte gar nicht wissen, was in seiner Fantasie gerade abging. Gegenüber räusperte sich Logan und griff direkt nach dem Alkohol. Als mein Blick weiter schweifte, wurde mir noch mulmiger zumute. Shit, Liz starrte auf meinen Fuß in Scotts Händen und biss sich auf die Lippen. Direkt entzog ich mich ihm, was ihn sichtlich verwirrte und griff meinerseits wie beiläufig nach einem Whisky. »Auf deinen Reichtum und deinen guten Geschmack.« Genüsslich ließ ich mir das goldene Nass über die Zunge laufen. Der war wirklich gut.

Jacob fiel in den Sessel zwischen den Sofas und tat es mir gleich. Nur, dass er nicht lediglich die Schuhe, sondern auch die Socken auszog. »Am liebsten würde ich auch noch die Hose herunterlassen.«

Liz frech wie immer reagierte sofort. »Tu dir keinen Zwang an. Wobei, ich denke, oben ohne wäre mir lieber. Du siehst aus, als hättest du einen vorzeigbaren Körperbau.«

Schief grinsend trank Jacob seinen Whisky und verkniff sich die Antwort. Scott nicht. Nein, natürlich nicht. »O Babe, nimm mich, da hast du nicht nur Muskeln, sondern auch Können. Nur weil der Schwanz groß ist, heißt es nicht, dass er auch Vergnügen bereitet.« Dabei stütze er sich auf die Knie und setzte den besten Schlafzimmerblick auf, den ich je gesehen hatte.

Liz war erstaunlich gefasst. »Also hast du einen kleinen Schwanz, kannst aber damit umgehen? Das ist die Aussage?«

Selbst Logan prustete los, obwohl er gerade noch aussah, als würde er ihn gleich erwürgen wollen.

Scott grinste. »O Süße, du bist echt genial.« Entspannt lehnte er sich wieder zurück in die Kissen und den Arm um mich.

Das war etwas, was ich an Scott bewunderte. Man durfte ihn verarschen und er stand über jedem Gerücht. So wollte ich auch sein. Egal, was die Leute dachten, schließlich weiß ich, wer ich bin und was ich kann und steh dazu. Nur, dass ich es nicht wusste und auch nicht darüber stand, so sehr ich mich auch bemühte.

Scotts Hand fing an, mit meinen Haaren zu spielen, was mir in Logans Anwesenheit unangenehm war. Liz wusste, wie er tickte, hoffte ich zumindest. Oder auch nicht bei dem Blick, den sie jetzt aufsetzte, als sie sprach. »Sag mal Scott, legst du eigentlich jeden Tag eine flach oder nur 2-3-mal die Woche? Wie sieht der Schnitt aus?« Logan rümpfte die Nase. Schluckte aber seine Bemerkung.

»Och, unterschiedlich. Im Moment zum Beispiel hatte ich schon seit einiger Zeit keine mehr. Und du?«

Sie zuckte mit den Schultern und sah zu Logan. »Kann ich jetzt nicht drüber reden. Bruderalarm!«

Lachend zwinkerte Scott Logan zu und griff nach seinem Glas. »Bin ich froh, keine Schwester zu haben. Dieser ständige Drang, jemanden in die Schranken zu weisen. Hannah reicht mir da schon vollends.«

Na, vielen Dank auch. Etwas schief funkelte ich ihn von der Seite an und er stupste mir auf die Nase, wie einer dreijährigen. O Mann, super fürs Selbstbewusstsein.

Liz sah zu Jacob. »Warst du auch so schlimm wie er?«

Scott grunzte. »Warst? Ist!«

Jacob überschlug die Beine und lehnte sich lässig zurück. »Mit 20 habe ich alles gevögelt, was nicht bei drei auf den Bäumen war.«

Waren das hier meine besten Freunde? Triebgesteuerte Idioten? Mein Leben musste zurück in die Spur kommen. »Hattest du dafür immer eine Keule dabei oder hast du sie dir direkt über die Schulter geworfen?« Kichernd zeigte Liz mir für den Kommentar einen Daumen nach oben und auch Jacob grinste.

»Keine Sorge, sie haben es alle gewollt und mehr als genossen.« Selbstgefällig drehte er sein Glas zwischen den Fingern.

Ich schmunzelte und taute auf. Ja, ich liebte diese Idioten. Auch wenn das ein schlechtes Bild auf mich warf. Einfach, weil sie hoffnungslos ehrlich waren zu anderen und zu sich selbst und weil sie mich in ihren Kreis aufgenommen hatten. Allein Liz war der Beweis, dass ich selbst, wenn ich mich schämte, freche, hemmungslose Personen gern hatte. Zumindest die mit Anstand und Moral.

Logan war bisher so still, dass ich ihn tatsächlich vergessen hatte, als ich undamenhaft meinen Slip zurecht zog und mich an Scotts Schulter lehnte. »Jungs mit Erfahrung. Eine Frage, die mich quält.«

Scott strich meine Haare zurück. »Schieß los!«

»Das mit dem Slip zerreißen, klappt das wirklich? Denn ich stelle mir das eher schmerzhaft vor. Schneidet das nicht ins Fleisch?«

Amüsiert fragte Liz: »Wie kommst du jetzt auf so was?«

Und ich antwortete ehrlich mit einem Seufzen. »Meine Unterhose nervt.« UPS, mir lief das Blut ins Gesicht und färbte mich ein. »Das habe ich jetzt laut gesagt, oder?« Neben mir gluckste es in Scotts Brust und auch die anderen unterdrückten ein Lachen.

Aber ich zuckte zusammen, als ausgerechnet Logan antwortete und das in so einer tiefen samtigen Stimme, dass ich automatisch die Augen schloss. »Kommt auf den Slip an. Zarte Spitze ist eigentlich kein Problem. Und der Mann von Welt verhindert natürlich Verletzungen. Nur Amateure und Stümper versauen das.«

Jacob hob galant sein Glas. »Hört, hört. Logan mein Freund. Du scheinst der Liga der außergewöhnlichen Gentlemen Ehre zu machen.«

Scott kraulte meinen Nacken. »Er hat recht. Genau so ist es …« Seine Hand rutschte auf meinen Oberschenkel und fing an, den Rock hochzuraffen. »Soll ich dir bei deinem Problem helfen?« Vehement schlug ich seine Hand beiseite, was er mit einem lauten Lachen quittierte. »Nur Spaß, Prinzessin!«

»Fick dich, Scott, und zwar selbst!« Meine Laune ging gerade baden und dass hatte natürlich nichts damit zu tun, dass ich mir vorstellte, wie Logan einer anderen den Slip vom Leib riss und zwischen ihren Beinen lag. Über ihr, in ihr. Ich sprang auf, bevor ich noch würgte. »Ich gehe ins Bad und erledige das selbst.«

Aufreizend rief Jacob mir hinterher. »Zerreißen oder ficken?«

Wie viel hatten die bitte schon getrunken? Ich nahm alles zurück. Sie waren nicht meine Freunde und hob ihnen nach hinten nur den Mittelfinger entgegen. Meine schlechtesten Seiten kamen wie immer bei ihnen zum Vorschein. Aber was soll's. Logan war ohnehin Geschichte. Auch nur ein Frauenkonsument, wie es schien. Im Bad zog ich tatsächlich meinen wunderschönen neuen Satin Slip aus, da ich schon an der Seite eine wundgescheuerte Stelle hatte. Die Kante mit der Spitze war ein Folterwerkzeug. Kurz überlegte ich, ihn direkt in den Müll zu schmeißen, und stellte mir schon genussvoll die Blamage für Jacob vor, wenn man ihn dort fand. Andererseits wäre es witziger, ihn in der Couch zu platzieren, oder auf der Terrasse. Besser auch keinen Alkohol mehr für mich. Ich wurde schon wieder unangemessen abenteuerlustig. Kurzerhand stopfte ich ihn einfach in meine Handtasche. Im Wohnzimmer waren sie zum letzten Thema zurückgekehrt.

Jacob erklärte gerade: »Irgendwann habe ich mir, sagen wir unverbindliche Arrangements, eingerichtet. Ich war es leid für eine Nacht eine Frau zu finden. So bin ich in der Lage auch mal eine Begleitung für solche Veranstaltungen wie heute zu haben, ohne dass die Frauen direkt Kinder planen.«

Doch, ich brauchte noch einen Whisky. Dringend! Erst recht, als Logan mich jetzt musterte und sich anscheinend fragte, ob ich auch so ein Arrangement war.

Neben mir fragte Scott: »Wie vielen von deinen Arrangements hast du Schmuck geschenkt?«

»Jeder!«

Angewidert betrachtete ich meinen wunderschönen neuen Ring, was Logan nicht entging. Seine Augen wurden dunkel. Böse funkelte ich Jacob an. »Dir ist schon klar, dass du sie dadurch auch nur zu Nutten machst?«

»Sicher, aber damit kann ich umgehen und sie sind auch zufrieden. Keiner muss darauf eingehen, oder? Dir gefällt mein Armband doch auch?«

Im Augenwinkel sah ich Logan sich auf seinem Platz winden und durch die Haare fahren. War er eifersüchtig? Oder einfach nur angewidert. Nie im Leben würde ich mit Jacob ins Bett gehen. Er war mir mehr Bruder als John. Scott schlug sich auf sein Bein. »Ich wusste es, jetzt gibt es kein Leugnen mehr. Du vögelst meinen Bruder!«

Ich ging nicht darauf ein, drehte mein Glas und ließ die Flüssigkeit kreisen. Machte es Logan was aus? Ich wollte es wissen. Nur aus Neugierde, nicht weil es mir etwas bedeuten würde. Natürlich nicht! Also spielte ich mit. »Scott krieg dich ein … Ich mein, das war offensichtlich …«

Jacobs Lachen drang durch meine Gedanken. »Sie verarscht euch. Gott, Han. Logan kippt mir gleich von der Couch. Er ist uns nicht gewöhnt und Liz wirkt auch etwas blass um die Nase. Keine Sorge! Zwischen mir und Han ist nie mehr passiert als zwischen Geschwistern und wird es auch nie.« Mein Kopf flog hoch zu Logan, der mich intensiv musterte.

»Das Armband war ein Dankeschön für den Mc Pherson Deal.«

Neugierig hakte Logan nach: »Mc Pherson? Sind das nicht Frühstücksflocken? So Bio und Öko Müsli?«

Jacob nickte mit seiner Geschäftsmiene, die sich automatisch bei ihm eingestellt hatte. »Ja, Trend Food und absolut angesagt bei den Hollywood Fitness Fanatikern. Hannah hat mir geraten sie aufzukaufen und was soll ich sagen, im vergangenen Jahr ist das Geschäft durch die Decke gegangen.«

Ich hob den Finger. »Und vor zwei Monaten habe ich dir gesagt, stoß sie ab. Dabei bleibe ich. Das ist kurzlebig. Diese Leute wollen immer etwas Neues finden und prahlen.«

Er grinste mich an und fing meinen Finger ein. »Schon passiert! Deine Studiengebühren hast du hiermit für zwei Jahre sicher in der Tasche.« Mein Finger steckte weiterhin in seiner Hand.

Logan rutschte nach vorne. »Wie hoch war die Beratungsgebühr?« Anerkennung flackerte in seinen Augen, als er mir einen Blick zuwarf.

Ruckartig eroberte ich mir meine Hand zurück. »Er spinnt, wir haben nichts ausgemacht. Nur das übliche Honorar für die Marktanalyse.«

Logans Mundwinkel zuckte und seine Augen weiteten sich verblüfft. »Du arbeitest für Jacob?«

Ich zuckte nur mit der Schulter. »Mitunter. Kein großes Ding.«

Jacob schenkte sich nach. Sein Blick ruhte auf mir, mehr oder weniger lauernd. »Ein Prozent des Reinerlöses. Erinnerst du dich an unseren Arbeitsvertrag, den ich dir aufgezwungen habe? Da ist festgelegt, dass dir jeder Gewinn, den Banks Holding durch eine direkte Empfehlung von dir, die nicht Teil einer offiziellen Analyse war, ein Prozent einbringt.«

Mir klappte der Kiefer runter. »Das ist ein Scherz, oder? Wer bitte schreibt den solch einen Mist in einen Vertrag und abgesehen davon. Es gab eine Analyse.«

»Du hast ihn nicht gelesen, oder? Es gab eine Analyse für den Kauf, nicht für den Verkauf.« Selbstzufrieden führte Jacob sein Glas an die Lippen.

Sprachlos und auch ein wenig sauer darüber, wie er mich ausgetrickst hatte, denn ich wollte keine Almosen, motzte ich: »Ich wollte den Vertrag nicht. Warum sollte ich ihn lesen?«

Neben mir umschlang Scott meine Schultern. »Dann weißt du auch nichts davon, dass du für uns strippen musst, wenn du von uns mehr als 10.000 € bekommst?«

Bitterböse sah ich ihm in die Augen. »Der war flach, selbst für dich.« Alles um mich herum wurde ein schwammiges, undeutliches Gemisch aus Stimmen und Farben. Wie viel hatte er mir dafür zu zahlen? Gott, ich wollte das wirklich nicht. Jacob und Scott hatten mir bereits angeboten, Studiengebühren zu zahlen, die Miete zu übernehmen, aber das kam nicht infrage. Ich musste das allein schaffen, um John und mir zu beweisen, dass ich mehr war als ein verwöhntes Kind, das Daddy ausnahm. Auch wenn meine Eltern anfangs nicht glücklich gewesen waren und es absolut nicht verstanden und einfach weiter jeden Monat Geld überwiesen. Meine Lösung war ein Sparkonto, auf das die Zahlung sofort weitergeleitet wurde und eines Tages nach meinem Abschluss würde ich es ihnen zurückgeben.

Logan riss mich zurück aus meinen Gedanken. »Wie hoch war der Verkaufserlös?« Das wollte ich jetzt doch auch gerne wissen. »Acht Millionen!«

Mein Mund sammelte Fliegen, Staub, einfach alles, was so rumflog. Ein kleiner Pfiff kam von Logan. Mir wurde heiß und kalt. »Ein Prozent von Acht Millionen, das sind 80.000 Dollar. Mir wird schlecht«, stammelte ich und sank tief in der Couch ein.

Logan wendete sich mir zu. »Ich habe da gerade ein gutes Projekt. Wenn du investierst, verdoppelst du das in zwei Jahren. Obwohl, besser du legst dir das Geld sicher zurück für die nächsten zwei Unizahlungen und Taschengeld.«

Ich lachte. »Taschengeld witzig.« Ich war doch keine fünf mehr. Er runzelte die Stirn und ich stand wieder auf. »Ich fahre jetzt nach Hause.« Das Geld würde mich unabhängiger machen und mir erheblich Druck nehmen. Aber ich war mir nicht sicher, ob ich es wirklich wollte. Würde das nicht wieder aussehen, als würden sie es mir zuschustern?

Sofort sprang Jacob aus dem Sessel. »Mein Fahrer fährt euch.« Sanft strich er mir über den Arm. »Hannah, hör, auf dich damit zu quälen. Du hast es dir verdient. Erarbeitet! Das ist kein Blutgeld oder etwas in der Art, also freu dich und entspann dich.« Er zog mich wie eine Puppe an sich.

Meine Ohren rauschten, mein Kopf platzte. Was würde John denken, wenn Logan ihm davon erzählte? Stockend atmete ich ein und aus, zog die Schuhe an und hängte mich an Liz Arm. Erst in Jacobs Auto wurde mir bewusst, dass ich neben Logan saß und Liz am anderen Fenster.

»Wo ist Scott?«

»Vorn«, antwortete Logan. »Warum ist das für dich so schwer zu verdauen? Warum freust du dich nicht über das Geld?«

Kurz sah ich ihm in die Augen. Aber wie sollte ich etwas erklären, dass ich selbst nicht verstand. Also legte ich meinen Kopf ans Fenster und beobachtete die Lichter der Stadt. Leise murmelte ich: »Ich muss über jeden Zweifel erhaben sein.« Sein Spiegelbild im Fenster runzelte nachdenklich die Stirn.

 

 

6. Was sind wir?

Hannah

 

Die darauffolgende Woche war ein Spießrutenlauf. Wann immer ich Logan begegnete, wich er mir aus. Dabei hatte ich wirklich geglaubt, wir würden klarkommen. Auf der Gala war er so nett gewesen. Aber anscheinend war das nur eine Art gesellschaftliche Auszeit, um den Schein zu wahren. Ich wusste einfach nicht, wo ich bei ihm dran war. Ständig versuchte ich, Schlussfolgerungen aus seinem Verhalten zu ziehen.

Im Seminar: Sah er zu mir? Wie war seine Stimmung?

Im Flur: Würde er schnell vor mir durch die Tür oder hinter mir bleiben? Würde er mir verzeihen? Hatte er es schon?

Ein einziges Desaster, denn es gab nichts schön zu reden. Er wich mir aus und übersah mich, behandelte mich wie jeden x-beliebigen anderen Studenten und ich litt darunter. Albernerweise. Ich hatte ihm nicht weh tun wollen. Wirklich nicht!

Seufzend sank mein Kopf auf meine Arme. Das hatte ich echt verbockt.

Scott pikste mir mit seinem Stift in den Arm. »Hey, Logan hat dir schon drei strafende Blicke zugeworfen. Riskiere besser nichts, auch wenn du einen Freundebonus hast.«

Unmöglich zu verstehen, nuschelte ich zur Tischplatte. »Den habe ich nicht. Eher den: Fahr zur Hölle Bonus.«

Heute war schon Donnerstag und Samstag hatte Liz Geburtstag. Meine Stirn schlug auf der Platte auf. Was bedeutete, sie wollte feiern … bei ihr zu Hause … mit Logan. Ruckartig flog mein Kopf wieder hoch und Scott kicherte. »Deine Haare … göttlich.«

»Ich hab Liz Geschenk vergessen. Heilige Scheiße!« Der gesamte Kurs drehte sich zu mir um und Logan hob die Augenbrauen. Wunderbar, mein Kopf, den ich einzog, sah sicher aus wie eine reife Tomate. Gott war ich manchmal peinlich.

Auf dem Flur hechtete ich durch die Menge. Nur mit dem Ziel, Liz ein Geschenk zu kaufen. Ein MEGA-Geschenk. Himmel, wie konnte ich das nur vergessen. An dem ganzen Mist war nur Logan schuld. Und das kleine Mädchen in mir, das unbedingt gewinnen wollte.

»Han warte mal kurz.« Bei der Stimme legte ich schon fast eine Vollbremsung hin, rannte dann aber weiter. Logan folgte mir unerbittlich, schaffte es aber erst, an der Ampel mich einzuholen. »Hölle, was treibst du hier? Powerwalking?« Wie bescheuert hämmerte ich auf den Knopf an der Ampel ein, als würde es dann schneller grün.

»Nein Panikwalking!«

»Ich hab’s gehört. Du hast Liz Geschenk vergessen.«

Verzweifelt schrillte meine Stimme: »Alles nur deinetwegen. Verfluchter Mist!«

Sein Gesicht verzog sich. »Meinetwegen?«

»Ja, nur wegen dieses Mists, weil ich ständig so ein schlechtes Gewissen hatte und nicht nur, weil ich dir nicht gesagt habe, wer ich bin, sondern überhaupt.« Die Ampel wurde grün und ich rannte los.

Verdattert blieb Logan erst stehen, nahm aber dann wieder Verfolgung auf und rempelte sogar zwei Leute um. »Han, das ist dämlich. Wieso sollte ich Schuld haben?« Zügig hielt er mit mir Schritt.

»Streng genommen bin natürlich ich schuld. Sicher! Ich war mit mir selbst so beschäftigt, dass ich bis vorgestern, als sie mich anrief, gar nicht mehr an ihren Geburtstag gedacht habe. Ich bin eine furchtbare Freundin … warum verfolgst du mich überhaupt so penetrant?« Ich stemmte meine angewinkelten Arme in die Hüften. »Die ganzen letzten Tage bis du mir ausgewichen. Hast mich keines Blickes gewürdigt. Du hast dich sogar einmal im Flur um 180° Grad gedreht, um bloß nicht auf mich zu treffen und … Oh, warte. Du hast auch kein Geschenk.«

Schuldbewusst knetete er seine Finger. »Also erstens: Sauer sein ist anstrengend und ich bin es leid. Nicht ganz durch, aber ich fange an, dir zu verzeihen.«

»Danke, schön zu hören.«

»Bitte! Aber Vertrauen ist etwas anderes.«

Sein Tonfall sprach Bände und ich konnte es ihm nun wirklich nicht verübeln, also nickte ich nur kleinlaut.

»Und zweitens.« Er hob die Hände. »Ich habe kein Geschenk.« Er grinste und in mir platzte ein Knoten, von dem ich nicht gewusst hatte, dass er existierte. Meine Augen wurden feucht vor Erleichterung, dass er sich mir so locker anvertraute. Aber ich verbot mir, hier zu weinen. Was war ich im Moment nah am Wasser gebaut!

»Das heißt, du bist bereit, mit mir einen Waffenstillstand einzugehen?«

Er griff links und rechts an meine Schultern, was mich innerlich ganz kirre machte und legte den Kopf schief. Still musterte er mich. »Ja, aber Han, das war nicht in Ordnung.« Mein Kopf hob und senkte sich rhythmisch. »Ich mein das ernst. So etwas kommt nicht mehr vor. Wenn wir Freunde werden sollen, dürfen wir uns nichts vorlügen.«

Freunde? Er hatte Freunde gesagt. Mein Puls machte ein paar Hopser, wahrscheinlich der Morsecode für juchhu. »Versprochen!«

Todernst hielt er mir den kleinen Finger vor die Nase. »Schwöre bei deinen Ahnen das Indianerehrenwort.«

Kichernd hakte ich meinen Finger ein. »Ich schwöre!«

Ein wenig länger als nötig blieben wir so stehen, bevor er sich räusperte und dann fragte »Also Ideen? Vorschläge? Haben wir einen Plan?«

Arrogant zog ich eine Augenbraue hoch und blähte die Nase auf. »Du meinst wohl, ob ich einen Plan habe. Nun gut Unwissender. Den habe ich. Zuerst besorge ich einen dieser fiesen kitschigen Riesenluftballons, die man füllen lassen kann und dann … ja dann …« Ich jammerte: »Bin ich erledigt!«

 

Stunden später waren wir schwer beladen im Sugar eingefallen. Draußen war es bereits dunkel und ich freute mich über die Weihnachtsbeleuchtung, die im feinen Londoner Nieselregen glitzerte wie tausend Sterne. Vor Weihnachten war doch immer alles besonders schön und gemütlich. Vor allem, wenn die Sonne untergegangen war. Die Atmosphäre war auch hier im Sugar geradezu romantisch. Auch wenn ich darüber mit Logan an der Seite wohl besser nicht nachdachte. Überall Windlichter, Tannenzweige und Stechpalmen, Lichterketten und die richtige Portion Glitzer. Meine Augen wanderten zu Logan, der im Schein der Tischkerze seine Einkäufe sortierte und ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass er genau der Mann war, mit dem ich jedes Jahr hier nach der Shoppingtour sitzen wollte.

Und doch darüber nachgedacht!

Der ganze Nachmittag war so unkompliziert und lustig gewesen, als wären wir schon ewig ein Team. Seufzend schüttelte ich diesen albernen Tagtraum ab und straffte mich für die Realität. Wäre Liz Geburtstag nicht gewesen, würde er heute nicht mal mit mir reden.

Unsere Ausbeute war gut. Logan hatte eine Handtasche ergattert, bei der Liz riechen würde, dass ich meine Finger mit im Spiel hatte. Ich hatte Tarotkarten samt Anleitungsbuch (Nonsens Geschenk) Nagellack ihrer überteuerten Lieblingsmarke (Freu wie schön) und einen wirklich wunderhübschen Füller (Äh, danke echt praktisch). Nicht zu vergessen, der zum Schreien kitschige Luftballon, den ich mit Glitter, Konfetti und Federn hatte befüllen lassen und der gerade wieder versuchte Selbstmord zu begehen, in dem er von der Bank hüpfte.

Während ich mich mühsam damit abkämpfte in so zu drapieren, dass er nicht flüchtete, las Logan schon die Tageskarte. »Tomatensuppe … ist die gut? Mir ist, nach was Warmen.«

Entnervt stöhnte ich, als der Ballon sich wieder drehte und auf das Ende zurollte. »Aaaaahhhh. Ja, ist gut.« Logan lachte leise vor sich hin und reichte mir seine Tasche.

»Einklemmen!«

Dankbar nahm ich das Hilfsmittel und zwang ihn in seine Grenzen. »Puh, das funktioniert. Also ich nehme eine heiße Schokolade mit Sahne und den Mandelkuchen.«

Er rümpfte die Nase. »Ne, süß zum Abend ist nicht mein Fall.«

»Das ist mein verspäteter Kuchen. Zu Hause mache ich mir Pommes oder so.«

Fassungslos glitt sein Blick über meinen Körper. »Ooookayyy!«

»Ja, daher der Bauch.« Frech drückte ich meine Brüste zusammen. »Aber auch der Brustumfang.«

Er lachte dunkel und kehlig, die Augen weiter auf die Karte gerichtet.

Als wir unsere Bestellung hatten, löffelte ich erst einmal hingebungsvoll die Sahne von meiner Schokolade. Immer wieder fiel Logans Blick dabei auf meinen Mund und er unterdrückte ein Lächeln.

»Was?«

Er kniff die Lippen aufeinander und hob die Brauen. »MMMHHH?«

Ich lachte kurz auf. »Was ist so lustig an mir?«

Er schluckte den Löffel Suppe, den er sich gerade in den Mund geschoben hatte. »Du siehst aus wie ein zufriedenes Kätzchen, das eine Schale Sahne ausschleckt.«

Breit grinsend leckte ich den Löffel voller Sahne ab und brummte mit halb geschlossenen Augen. Sein Löffel blieb auf halbem Weg zum Mund hängen und seine Augen wurden dunkel. Ein Beweis mehr, wie unerfahren ich im Flirten war. Eigentlich wollte ich ihn nur necken, aber jetzt sah er mich so eindringlich an, als wollte er mich zum Dessert verspeisen. Ohne nachzudenken, leckte ich mir die Lippen, was er genau verfolgte. Wieder vermasselt … oder auch nicht? Allerdings sah er nicht besonders glücklich aus. Kurz dachte ich, er würde etwas sagen, aber er tat nur einen tiefen Atemzug und konzentrierte sich danach wieder vollends auf sein Essen. Auch ich blieb still. Manchmal war ich wirklich töricht und dumm. Hoffentlich hatte ich nicht mit diesem scheinbar plumpen Annäherungsversuch alles wieder zunichtegemacht.

Artig trank ich weiter meine heiße Schokolade und blickte dabei still aus dem Fenster. Der Regen hatte nachgelassen, was mir für den Heimweg nur gelegen kam, aber dennoch glitzerte alles. »Denkst du, es gibt Frost heute Nacht. Es sieht ein wenig so aus, oder?« Das war doch ein unverfängliches Thema. Sein Teller kratzte über das Holz, als er ihn zur Seite schob.

»Ja, könnte gut sein.«

Zaghaft lächelte ich ihn kurz an und fuhr mit der Hand über die kleine Decke auf dem Tisch, obwohl keine Falte zu sehen war. »Und was machst du noch so heute Abend?« Und schon wieder vermasselt. Würde er das falsch deuten? Was für ein Eiertanz. Bitte, lass mich jetzt nicht wieder falsch rüberkommen. »Also ich meine, hast du noch Pläne, oder?« Gleich musste ich mir eine reinhauen. Das wurde ja immer schlimmer.

Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte er sich zurück. »Wieso? Hast du einen Vorschlag?«

Ich hüstelte etwas. »Ähm nein. Ich bin mit Scott verabredet. Er kommt zwar erst später, aber dann keine Gnade. Mario Kart!«

Ich setzte eine Verbrecher-Bro-Miene auf und er grinste. »Mario Kart? Das ist ein Witz, oder?«

Kichernd schüttelte ich den Kopf und stellte meine leere Tasse ab. »Nein, keineswegs. Aber der Hund macht mich platt. Ginge es nach mir, würden wir was anderes spielen, aber Wettschulden sind Ehrenschulden.«

»Ihr wettet also um das Spiel, das ihr spielt?«

»Genau, eigentlich wetten wir um alles. Das eine Tattoo an Halloween, das Batmanzeichen. Da hatte ich verloren. Leider verliere ich ziemlich oft. Fatal!« Ich widmete mich meinem Kuchen und nuschelte mit vollem Mund. »Meine Prognose für Apple war falsch.« Hektisch wedelte ich mit der Gabel. »Dieser ganze Computerkram liegt mir nicht. Da versagt mein Bauchgefühl.«

Fasziniert begutachtete er, wie ich die Füllung aus dem Teig pulte. »Was zur Hölle machst du da?«

Meine Wangen verfärbten sich mal wieder rosa. »Getrennt essen. Mir schmeckt die Füllung allein besser.« Mutig hielt ich ihm die Gabel hin. »Probieren?«

Er fuhr sich über die Augen. »Danke verzichte.«

Daraufhin zuckte ich nur mit den Achseln und verspeisten mit allergrößtem Vergnügen erst Füllung, dann Teig. Zufrieden rieb ich mir über den Bauch. »Mir ist schlecht.«

Vor mir bewegte Logan eine kleine Dekokugel mit seinem Zeigefinger. »Aber die Pommes?«, neckte er mich mit einem schelmischen Lächeln, das mir im Bauch kribbelte.

»Die sind salzig. Dafür gibt es einen eigenen Magen.«

Er stutzte und dann lachte er. »Du bist … süß!« Beim letzten Wort sah er eher aus, als würde er sich ekeln, so wie er das Gesicht verzog. »Han, darf ich dich was fragen?«

»Oh, von mir aus darfst du mich alles fragen. Aber ich entscheide, ob ich antworte.«

Er nickte und klopfte mit den Fingerspitzen kurz auf den Tisch. »Was ist das mit dir und den Jungs?«

Wie sollte ich das jetzt verstehen? »Allen Jungs? Männern, oder?«

Er stützte sich auf die Ellbogen und schüttelte unmerklich den Kopf. »Nein! Jacob, Scott und sogar Trip.«

Worauf genau wollte er hinaus? Etwas unsicher antwortete ich. »Wir sind Freunde.«

Wieder dieses ungeduldige Kopfschütteln. »Das meine ich nicht.«

»Dann sag, was du meinst.«

Seine Miene wurde hart und er zögerte kurz, gab sich aber dann einen Ruck. »Schläfst du mit ihnen? Ich mein, Scott hast du geküsst im Wintergarten und dann der Ring und wie ihr miteinander umgeht. Scott krault dir die Haare. Trip legt seinen Kopf auf deine Schulter und flüstert in dein Ohr, die Hände auf deiner Hüfte. Das sieht nicht nach Freundschaft aus.«

Wie immer bei dieser Sache machte ich dicht und antwortete spröde. »Dein Urteil scheint schon gefällt. Frag John, der gibt dir bestens Auskunft.«

Seine Hände fielen mit einem Schnauben auf seine Knie. »John rätselt genauso, das habe ich gemerkt.«

Wütend suchte ich mein Handy in der Tasche. »Ich schlafe nicht mit ihnen, Logan. Mit keinem von den dreien. Scott und Trip sind meine besten Freunde.«

»Aber du warst mit Trip zusammen und Scott. Ich habe gesehen, wie ihr euch geküsst habt.«

Fest presste ich mir die Handballen auf die Augen. »Trip hat damals Schluss gemacht und will mich nicht. Der Kuss war Scotts blöde Art. Das hatte nichts zu bedeuten. Gott, lediglich unsere Lippen haben sich für eine Sekunde berührt. Scott und ich … niemals!«

Seine Hand hing noch in seinen Haaren, als er leise nachhakte. »Da war also auch nichts vorher. Ihr wart nie zusammen?«

Entnervt warf ich die Hände hoch. »Nein verdammt! Warum erzähle ich dir das überhaupt? Was hat dich das zu interessieren?« Eilig raffte ich schon mein Zeug in die Tasche und wollte aufstehen, da griff er nach meinem Handgelenk. Sanft und warm, aber bestimmt.

»Weil ich nicht derjenige sein will, mit dem du ihn betrogen hast.«

Hatte ich also mit ihm geschlafen? Sollte ich das fragen? Mir fehlte definitiv im Moment der Mut. »Bist du nicht. Ich war vogelfrei an dem Abend und bin es immer noch.«

»Gut! Dann setzt dich wieder.« Mein Hintern hatte wenige Zentimeter über der Bank geschwebt und plumpste jetzt unsanft nach unten. Beiläufig griff er seine Teetasse. »Und Jacob?«

Ich grrrte, knurrte, was auch immer und seine Mundwinkel zuckten. »Jacob ist für mich wie der Bruder, den ich niemals hatte.«

»Du hast einen Bruder.«

Begleitet von fiesen Geräuschen kratzte ich mit der Kuchengabel die Reste vom Teller, machte nur ein abfälliges Geräusch.

»Du weißt schon. Ungefähr so groß wie ich, braune Haare, braun-grüne Augen, netter zuverlässiger Kerl.«

Ich schnaubte.

»Übrigens mein bester Freund.«

Angriffslustig fixierte ich ihn. »Wie gesagt, Jacob ist wie mein großer Bruder. Allein der Gedanke, wir könnten …« Ich schüttelte mich angeekelt.

»Was ist das nur zwischen dir und John?«

Traurig malte ich Kreise auf den Teller. »Logan, wenn du das rausbekommst, dann …« Ich sah hoch in seine sanften, fast türkisfarbenen Augen und versank darin.

»Was dann?«

»Dann kann ich vielleicht wieder die Schwester werden, die er haben möchte und nicht …« Mir brach die Stimme. Diesmal würde ich wirklich gehen.

»Han und nicht was?«

Den Arm fest um Liz Ballon, fest entschlossen, ihn nicht zu verlieren, ging ich los. »Wir sehen uns spätestens auf der Party.« Wieder fing er mich ab, indem er plötzlich vor mir stand. Viel zu nah, um nicht meinen Herzschlag zu erhöhen.

»Hey, tut mir leid, dass ich damit angefangen habe.« Mit zwei Fingern hob er mein Kinn. »Ok? Vergessen wir es einfach. Geht das?«

Natürlich wäre jetzt nicken oder Ja sagen oder sonst etwas in der Art angebracht gewesen, aber ich dachte nur. Ich will dich küssen. Schlug mir innerlich mit der Faust in den Magen und hielt mir eine Gardinenpredigt. Sekundenlang starrten wir uns schon an.

»Han?« Seine Stimme war leise, aber dunkel und sein Körper schien mir noch näher. Ich nickte. Wow, Meisterleistung. »Ok, dann mach ihn platt!«

Perplex krächzte ich: »Was? Wen?«

Ein verführerisches, schiefes Lächeln erschien. Nah an meinem Ohr flüsterte er »Scott, Mario Kart. Du erinnerst dich?« Seine Nase berührte kurz meine Wange, was mich schwindeln ließ.

»Ja, sicher!«

Immer noch viel zu nah, um mich nicht völlig durcheinanderzubringen, raunte er: »Gute Nacht Hannah!« Und trat dann, als wäre nichts geschehen, zurück. Die Hände in den Taschen und mit neutraler Miene lächelte er mich milde an. »Schöne Grüße an Scott!«

Zittrig griff ich den Ballon neu und haspelte: »Ja sicher. Ciao!« und schob mich nach draußen. Was bitte war das denn eben? Wollte er lediglich gemein sein oder nur mal kurz meine Welt umstülpen oder … oder interpretierte ich zu viel in sein Verhalten? Scott wäre genauso. Aber Scott und ich hatten auch schon Stunden wie Geschwister verbracht, uns gegenseitig das Herz ausgeschüttet, gealbert. Unsere Beziehung war definiert. Aber das mit Logan war einfach nur noch verwirrend.

 

Logan

 

Kaum war sie aus der Tür, fiel ich auf meinen Platz. Was war bitte nur in mich gefahren. Der Duft ihrer Haare, die Wärme ihres Körpers. Ich musste die Hände in die Taschen stecken und die Hose nach vorn heben und den Arsch nach hinten, damit nicht jeder sah, wie scharf ich auf diese Frau war. Genau, ich war scharf auf sie. Sonst nichts!

Die eine Hand lag immer noch über meinen Augen und ich verfluchte mich weiterhin erfolgreich, als neben mir Gideon auftauchte. »Brauchst du noch was?«

»Nein … Nein Danke. Nur die Rechnung!«

Er fing an, sich unser Geschirr auf dem Arm auszubalancieren. »Das ist erledigt. Han hat mir das Zeichen gegeben.«

»Das Zeichen?« Gehörte sie einem Geheimklub an?

Gideon angelte nach ihrer Kuchengabel. »Ja, das: Schreib es auf – Zeichen. Was eigentlich bedeutet, verrechne es mit meiner Hilfe, also erledigt.«

Konnte es noch unverständlicher werden. »Arbeitet sie hier?«

Bewundernswert hatte er alles aufgeladen und blieb dennoch lässig bei mir. »Nein, dafür ist kein Geld über, aber sie hilft mit der Buchhaltung und dem ganzen Bankenkram aus und im Gegenzug hat sie frei Kost und Logis, wann immer sie will. Also, im Rahmen. Sie führen eine Liste, damit es gerecht bleibt.« Er verdrehte die Augen. »Frauen, pfff.« Mit diesen Worten brachte er seine zerbrechliche Fracht zurück in die Küche. Was machte sie denn noch alles? Hannah Riley war wesentlich komplexer, als man auf den ersten Blick vermutete. Und ich hasste mich für den Gedanken, dass ich alle Seiten an ihr kennenlernen wollte.

 

 

7. Liz Geburtstagsparty

Logan

 

Es war voll. Es war laut, es war Liz Geburtstag. Also würde ich mich nicht beschweren. Höchsten über John, der eine Laune hatte zum Weglaufen. Bester Freund hin oder her, ich ging ihm gerade aus dem Weg. Woher kannte Liz diese ganzen Leute? Kannte sie die überhaupt? Oder hatte sie einfach an der Uni Zettel verteilt.

Aus der Küche drang atemloses Lachen und ich sah Han, die sich den Bauch hielt und nach vorn krümmte. Trip und Liz daneben sahen vergleichbar aus. Da war die Laune gut, also nichts wie hin.

»Und dann hat er gemeint. Also Liz was jetzt, Leinen oder Baumwolle und hat mir zugezwinkert, als wäre das der Anmachspruch schlechthin.«

Han schnappte geräuschvoll nach Luft und lachte quiekend. »Was hast du geantwortet?«

Liz reckte das Kinn vor. »Wenn du weiterhin so schamlose Sachen sagst, vergesse ich mich und die Obduktion und nehme dich hier auf der Leiche.« Ja meine Schwester war schräg und studierte Forensik, Pathologie, Kriminalistik sowas in der Art. Han stolperte ohne ersichtlichen Grund nach hinten und fiel mir in die Arme. Mieses Karma oder eher gutes? Lachend hing sie in meinem Arm. Wenigstens schien sie mir das Verhör im Café nicht mehr übel zu nehmen.

»Deine Schwester hat mehr als eine Schraube locker!« Lachtränen rollten über ihre Wange und ich strich über eine davon mit dem Zeigefinger, bevor mein Verstand es mir verbieten konnte.

»Bierpong!«, brüllte da jemand an der Tür und wir stoben auseinander. Liz jubelte und griff gebieterisch nach Trip.

»Ich spiel mit Trip und Han mit Logan. Los ihr beiden kommt, los, los, los.«

Wieder landete Han auf mir, als Liz sich rigoros an ihr vorbei drängte. »Sorry!«

Lächelnd sah ich sie an. »Du kannst ja nichts dafür. Wie viel hat sie schon getrunken?«

Hans Hände lagen immer noch auf meiner Brust, wo sie sich abgefangen hatte. Fast erschrocken zog sie sie hastig zurück. »Eigentlich fast nichts. Sie ist einfach Liz.«

Ich griff nach ihrer Hand. »Na dann! Wir müssen ein Bier Pong Spiel gewinnen!« Ich zog sie hinter mir her. »Das ist eine Frage der Ehre!«

Am Tisch auf der Terrasse angekommen, erwartete uns schon eine Runde aus Zuschauern und unsere Gegner. Das würde lustig werden. Freudig krempelte ich mein Hemd an den Armen hoch. »Also Hannah, sei nachsichtig mit mir. Ich bin ein alter Mann, der schon lange diesem Spaß nicht mehr gefrönt hat, aber ich gebe mein Bestes.« Die letzten Becher wurden aufgestellt und ich rollte theatralisch mit dem Kopf, um den Nacken zu lockern, und hüpfte wie ein Boxer. Trip lachte sich scheckig über mich. Sollte er nur, gleich würde ihm das Lachen schon vergehen.

Plötzlich spürte ich ein Zupfen am Oberarm. »Logan?«

Bei der Lautstärke musste ich nah an Han ran, um sie verstehen zu können. Ihre großen Augen beunruhigten mich ein wenig. »Hey alles klar?«

Unsicher sah sie zum Tisch und schob sich nah an mein Ohr. »Wie funktioniert das?«

Ungläubig beäugte ich sie »Bierpong?« Sie zuckte mit den Schultern. »Hast du das noch nie gespielt?«

Auf einmal schien sie geschrumpft zu sein und ich legte die Hände an ihre Schultern, als sie erklärte: »Ich bin nicht so der Partytyp. Eigentlich war ich seit Jahren höchstens mal auf einer Mädchen-Pyjamaparty.«

Wow, überraschend. Wusste Liz davon nichts? So wie meine Schwester herumhüpfte und mit Trip scherzte anscheinend nicht. Nur Trip sah immer wieder sorgenvoll zu uns rüber. »Und Liz weiß das nicht?«

Fast beschämt schüttelte sie den Kopf »Die dunkle Ära!« Meine Stirn legte sich fragend in Falten. »Liz und ich hatten eine Zeitlang keinen Kontakt.« Sowas hatte ich schon mal gehört.

»Willst du denn spielen?« Beruhigend streichelte ich mit den Daumen über ihre Schultern.

»Eigentlich schon, aber ich will nicht, dass jeder mitbekommt, dass ich keine Ahnung habe von den Regeln. Das ist irgendwie ... peinlich.«

Das konnte ich sogar nachvollziehen, also zog ich sie mit dem Rücken an meinen Bauch, so dass wir den Spielaufbau gemeinsam sichten konnten, und fing an, ihr das Spiel zu erklären.

»Hey hier zwei, was wird das, nehmt euch ein Zimmer«, brüllte ein großer schlaksiger Kerl mit Bierflasche.

»Taktikbesprechung!«, brüllte ich zurück und fragte leise. »Alles soweit klar?«

»Kompliziert ist es ja nicht gerade.«

»Nein, zumindest nicht in der Theorie.« Ich strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. Mein Bedürfnis, sie zu berühren, wurde immer stärker und dass bei all den Zuschauern. »Na dann mal los!«

Wie sich herausstellte, war Han richtig gut und wir gewannen haushoch. Lachend sprang sie mir am Ende in die Arme und ich fing sie nur zu gern auf und wirbelte sie rum. Jedes andere Mädchen, bei dem ich nur ein Hauch von dem gefühlt hätte, hätte ich wohl in diesem Moment geküsst. Einfach dem Drang nachgegeben, aber das war unmöglich. Mit Sicherheit waren hier Studenten oder Freunde von Freunden, die plaudern würden. Ganz zu schweigen von John und meinen Geschwistern. Also verkniff ich mir selbst den Kuss auf die Wange und setzte sie sittlich wieder ab. Sie war völlig aufgekratzt und furchtbar süß dabei.

»Das war irre!«

Hinter uns bauten sie schon für die nächste Runde auf und ich konnte nur hoffen, dass Liz sich zurückhielt, sonst war sie blau, bevor die Pizza eintraf. Hannah hängte sich an meinen Arm und blinzelte verschwörerisch. »Wer weiß, nachher spiele ich noch Flaschendrehen und lande im Schrank mit einem Jungen.« Gespielt schlug sie sich mit einem entsetzten Laut die Hand vor den Mund.

Meine Füße stoppten mitten im Weg. »Nicht mal das? Was hast du in der High-School denn an den Wochenenden getrieben?«

Ein diabolisches Flackern traf mich aus ihren Augen. »Die meiste Zeit hab ich´s mit Trip getrieben.« Unkontrolliert prustete sie in ihre Faust. Sie war echt aufgedreht. »Sorry, das ist mir so rausgerutscht. Warum gibst du mir auch so eine Steilvorlage.« Dabei schlug sie mir lachend auf die Brust. Mit Trip! Mir rutschte der Magen unkontrolliert bis zum Boden. Ja das wollte ich nicht wissen. Klar war ich nicht der Einzige gewesen, aber mein Bruder? Schaurig. Wem machte ich was vor. In meinem Kopf war und blieb ich der Einzige, der jemals diese Frau unsittlich berührt hatte. Ja verlogener Mistkerl, Chauvinist. Alles passend. Sie versuchte sichtlich, ernst zu bleiben. »Da liegt mehr Wahrheit drin, als man vermuten würde.«

Mit der Hand auf ihrem Rücken führte ich uns ins Wohnzimmer zu einer ruhigen Ecke am Fenster. »Warte ich hol uns schnell was zu trinken.«

»Danke, für mich aber bitte keinen Alkohol. Ich hab erstmal genug.«

Schnell schnappte ich mir eine Cola und ein Wasser und ging zurück. Meine Güte ihr Blick brachte mich um, als wäre ich alles, worauf sie je gewartet hatte.

»Wasser oder Coke?«

Süß sah sie auf den Boden und nuschelte unsicher »Entscheidungen sind nicht meine Stärke. Also einen Schluck Coke und dann Wasser. Ist das Ok?«

Aufmunternd hielt ich ihr beide Becher hin und sie trank wie angekündigt erst einen Schluck hier und nahm dann das Wasser. »Also keine Partys?«

Ihr Blick glitt über die Leute »Nein. Mir war nicht danach.«

»Wonach war dir?«

»Viel Zeit habe ich tatsächlich mit Trip verbracht. Ihm war auch oft nicht nach Party. Dann habe ich gelesen und gelernt und so was halt.«

Fast schien es als würde sie sich dafür schämen. Ich brummte nur. Das warf wieder ein neues Licht auf Dinge, die ich in ihr gesehen hatte. Die John mir suggeriert hatte. Mein Bauch signalisierte mir allerdings, dass es da mehr zu sagen gab. Ein Geheimnis. Einen Grund für ihren Rückzug.

Ich setzte schon an, zu fragen, da stand John vor mir. »Komm mit!« Sofort drehte er um und ging Richtung Anbau.

»Na dir auch einen guten Abend«, murmelte ich genervt. Wie gesagt seine Laune war hundsmiserabel. Aber da war was in seinem Blick, das mich alarmierte. »Han tut mir leid. Ich denke, John braucht mich. Sehen wir uns nachher?«

Eifrig nickte sie und wedelte mich mit der Hand weg »Sicher, klar, geh nur.« War sie enttäuscht? Neugierig warf ich einen Blick über die Schulter, ja sie sah etwas verloren ohne mich aus. Glaub mir, ich wäre auch lieber bei dir, auch wenn das falsch war.

 

 

Hannah

 

Kaum war Logan gegangen, stürmte Liz auf mich zu »Was passiert da zwischen dir und Logan. Habt ihr euch nur vertragen oder« Sie klimperte übertrieben mit den Augen »VERTRAGEN? Häng eine Socke an die Tür, falls es ernst wird.«

Empört schnappte ich nach Luft. »Liz hier wird gar nichts ernst. Nie wieder.«

Sie grinste mich an wie der Joker aus Batman. Echt gruselig. »Sicher? SICHER? Denn mein Bruder sieht dich an, als wollte er Nachschlag.«

»Das ist ekelig. Wie kannst du so über ihn denken? Er ist dein Bruder und mein Prof.« Kleine Blubberblasen zerstoben in meinem Bauch bei dem Gedanken, sie könnte Recht haben. Nein sicher nicht. Nein … oder? Nein, von meiner Seite aus nein … vielleicht … »Ich mein das wäre doch ziemlich kompliziert.«

Sie zog an ihrem Strohhalm und nickte ironisch. »Ooooohhhh jaaaa!«

»Wir werden Freunde, denke ich, oder gute Bekannte. Er gibt sich einfach Mühe, dass wir uns gut verstehen.« Jeden Moment würde sie vor Lachen zusammenbrechen, blöde Kuh!

»Und du hast nichts mit meiner Handtasche zu tun? Ihr wart nicht zufällig gemeinsam einkaufen?«

Da war Leugnen zwecklos, also machte ich eine zustimmende Geste und hoffte, sie würde Ruhe geben. Denn umso mehr sie mir Futter gab, umso mehr wollte ich in seinem Verhalten etwas sehen und Himmel, das schrie nach gebrochenem Herzen. »Jetzt lass mich in Ruhe. Wo ist Trip?«

Lachend drückte sie mich mit einem Arm. »Der ist mit Gideon verschwunden.« Oh … OH … Ok! »Warum Han siehst du mich so analysierend an? Ich möchte die Tante deiner Kinder werden, also ist Logan jetzt mein Opfer. Es wird Zeit, dass er sich fortpflanzt.«

Ich schlug ihr auf den Arm. »Aber doch nicht mit mir. Und Hallo… Ich bin 20!«

Sie hüpfte, während sie mit großen Augen an ihrem Strohhalm Cocktail einsog. »Doch sicher, das wäre geradezu legendär!«

»Hör auf zu trinken. Dein Hirn weicht auf.«

»Deine Dankbarkeit wird grenzenlos sein, wenn du dank meiner Hilfe und Unterstützung mit ihm in den Sonnenuntergang reitest.«

Ich zog eine Schnute. »Ich hasse Pferde!«

»Dann Wellen reiten.« Ich musste kichern. Liz fand immer einen Weg und sie war nicht zu stoppen »Oh ich sehe dich schon vor mir in einem weißen Kleid, den Gang runtergehen. Logan mit Tränen in den Augen am Altar auf dich wartend.«

Ich verdrehte die Augen so sehr, dass mir schwindelig wurde. Gut mein Herz wurde schwindelig bei dieser Vorstellung, die aus meiner Teenie-Ära stammen könnte. »Das geht mir jetzt doch etwas zu schnell.«

»Das erste Mädchen benennt ihr natürlich nach mir.«

Skeptisch hob ich eine Augenbraue? »Elisabeth Riley?«

»Elisabeth Bennet Dale. Ein bisschen Jane Austen kann nicht schaden und Du nimmst gefälligst seinen Namen an.«

OH! Mein! Gott! Das war doch Irrsinn. Liz ging echt zu weit. Sie grub da Dinge von früher aus, die hier nichts mehr zu suchen hatten. Ich war erwachsen und würde nicht jemandem hinterherrennen und Kleinmädchen Träume jagen. Fest nahm ich sie bei den Armen. »Hör auf damit Liz!«

Ernst musterte sie mich. »Das war doch nur Spaß«, gab sie kleinlaut zu.

Aber meine Brust wurde eng und ich kämpfte damit mir selbst immer wieder zu erklären, dass mein Puls nicht in seiner Gegenwart rasen durfte. Das ich vorhin in der Küche nicht gerne in seine Arme gefallen war oder beim Bierpong an seinen Bauch gedrückt der Erklärung gelauscht und seine Wärme gespürt hatte. Lieber als von jedem anderen Menschen. Nein, weil das verdammt noch mal nicht in Ordnung war! »Liz, das war nur ein Fehler, eine Nacht und nicht mal da weiß ich was passiert ist und überhaupt.«

»Oh Süße du bist ja immer noch hoffnungslos in ihn verknallt. Ich wollte dich nur ärgern, aber da habe ich wohl einen wunden Punkt getroffen.« War ich das? War es hoffnungslos? Fast mitleidig sah sie mich an und ich wich ihrem Blick aus »Hast du ihn gefragt ob ihr? Du weißt schon!« Sie machte eine nette unanständige Geste mit ihren Fingern. Warum half mir denn niemand?

Ich biss in meine Nagelhaut. »Nein. Mir fehlt schlichtweg der Mut dazu. Das Thema sollte vielleicht besser ruhen.«

Zweifelnd musterte sie mich. »Ja vielleicht. Oder auch nicht« Mir schwante Übles. »Und jetzt komm. Lassen wir die Sau raus.« Und schon wurde ich von ihr in die Menge geschleppt.

 

Hannah

 

Im Halbdunkeln suchte ich mir meinen Weg zurück zur Party. Ein Vorteil, wenn man der Gastgeberin so nah stand, man wusste von dem versteckten Klo hinten im Anbau, dass sonst kaum jemand der Gäste nutze. Zusätzlicher Bonus war die Stille und Ruhe hier im Flur. Auch wenn es mittlerweile deutlich leerer geworden war, kam mir ein Moment der Ruhe vor wie ein Himmelsgeschenk. Mein Kopf war einfach zu voll. Die meisten kannte ich eh nicht. Trip war schon lange nicht mehr aufgetaucht und Scott war heute im M´s, weil er niemanden hatte, der für ihn übernehmen konnte, was mich daran erinnerte, dass ich in letzter Zeit zu wenig Schichten geschoben hatte. John hatte ich nur zu Beginn kurz gesehen und Logan. Ja Logan war auch nicht mehr aufgetaucht.

Müde rieb ich mir die Augen. Vielleicht sollte ich mich einfach zurückziehen und ins Bett kuscheln. Wir hatten geplant, dass ich in Liz Zimmer übernachtete. Nachdenklich lehnte ich mich an die Wand und sah zur Decke. Gehen oder bleiben? Bett oder Party? Gut vielleicht überlegte ich auch kurz, wie hoch die Chance war, dass Logan wieder auftauchte. Resigniert ließ ich die Schultern hängen und wenn? Was sollte denn passieren? Nichts! Ich würde ihn dämlich anhimmeln und er mich einfach nett behandeln. Alles genau wie früher, nur ohne Zahnspange. Das war alles so aussichtslos und fast schon erbärmlich. Oder? Wie er mich vorhin gehalten hatte, kurz dachte ich, er flirtet mit mir. Nein! Wahrscheinlich interpretierte ich mir nur etwas hinein.

Ein Türschlagen und ein dumpfes Poltern holten mich aus meinen Gedanken. »Han?« Logan hob gerade etwas auf, was er anscheinend umgestoßen hatte. Na, wenn man vom Teufel … denkt. Sofort schoss mir Hitze in die Wangen, als könnte er ahnen, worüber ich gegrübelt hatte.

»Hi, warst du im Garten?«

Er grinste, aber auf eine Weise, die mir nicht geheuer war. »Jep!« Er wedelte unkoordiniert mit der Hand. »Garten!« Jetzt kicherte er auch noch. Ok, das war seltsam.

Ich ging einen Schritt auf ihn zu. »Alles in Ordnung?« Geschmeidig überwand er den Abstand zwischen uns. Strich mir mit der Hand die Haare zurück und verweilte mit den Fingern an meiner Kopfhaut. Direkt stockte mir der Atem, aber ich rief mich zur Vernunft. »Logan?«

Sein Gesicht schob sich vor meins. »Mmmhhh?«

Sein Atem traf mich und alle Nerven gerieten in Brand. Selbst der Geruch nach Alkohol half da nicht gegen. »Han du bist so schön!« Himmel was? »Weißt du noch, wie unser erster Kuss war an dem Abend?« Gebannt von dieser Halluzination, denn was sollte es sonst sein, nickte ich nur. Er fuhr mir mit den Fingern um meinen Nacken und trat noch näher an mich ran. So nah, dass uns kaum mehr ein Zentimeter Luft zwischen uns blieb. So nah, dass meine Brustwarzen ihn sicher berühren würden, wenn ich tief einatmete.

Und bewiesen! Natürlich richteten sie sich auf. »Nie vorher hat mich ein Kuss so gefangen genommen. Das war so der Hammer.« Er stupste mir mit dem Finger auf die Nase und kicherte wieder, als er weiter ging. »Thor genau Thors Hammer. Ab heute nenne ich dich Thor.«

Der Kerl war sowas von sturzbetrunken. Vielleicht sollte ich besser hinterher und auf ihn aufpassen. »Logan warte mal.«

Er wirbelte rum und zog mich stürmisch in seine Arme. Sanft rieb er seine Nase an meinen Hals. »Du riechst heute noch besser als sonst.«

Sonst? Er wusste, wie ich roch? Etwas lahm murmelte ich: »Hab Parfüm drauf.« Wieder spürte ich seine Nase am Hals oder nein das war sein Mund, der sich zum Schlüsselbein küsste. Mein Hirn verwandelte sich in Suppe, meine Knie wurden weicher als weich. Gänsehaut breitete sich über meine Haut aus und Wärme sammelte sich tief in meinem Bauch. Mein Hals legte sich wie von selbst zur Seite und ein kleiner Laut kam über meine Lippen. »Logan, du bist betrunken.« Ein fester Kuss auf meinen Hals, der mich aufstöhnen ließ. Seine Hände gruben sich fest in meine Hüfte.

»Nein Süße, bin ich nicht.« Wer´s glaubt, wird selig. Eine seiner Hände fand meine Brust und drückte zu. Ich stand augenblicklich in Flammen. Warum konnte er mich so schnell schachmatt setzen? Resolut wollte ich ihn zur Vernunft bringen, aber jeder Widerspruch verwandelte sich in ein Wimmern, als er mich an die Wand drängte und sanft an meinem Hals saugte. »Ich will dich Süße!« Er widmete sich der anderen Seite, während ich versuchte, das Ziehen zwischen meinen Beinen zu ignorieren und meine Gehirnzellen wiederzufinden. Wenn jetzt jemand aus der Küche kommen würde, dann würden wir aufliegen.

Zaghaft legte ich ihm die Hände auf die Brust und schob ihn von mir. »Das geht nicht und du weißt das. Morgen wirst du das auch wieder verstehen.«

Er nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und sah mich mit diesen smaragdfarbenen Augen so intensiv an, dass ich schier dahinschmolz. »Egal!« Seine Körper drängte sich an meinen und alles in mir explodierte vor Verlangen als ich ihn hart und heiß an meinem Bauch spürte. Ja egal! Rasend schnell trafen sich unsere Lippen und teilten sich. Er stöhnte in meinem Mund. »Oh Baby!« Mein letzter Widerstand schmolz und ich vergrub meine Hände in seinen Haaren. Nur noch erfüllt von ihm, seiner Wärme, seinen Muskeln an meinem Körper. Seine Hände griffen meinen Hintern und hoben mich hoch. Instinktiv schlang ich die Beine um seine Hüften und drückte mich ihm entgegen. Eingeklemmt zwischen ihm und der Wand küssten wir uns, als bräuchten wir nichts anderes als einander. Fest klammerte ich mich an seine Schultern, als er raunte. »Komm, lass uns hochgehen.«

Wie Eiswasser rannen diese Worte durch meine Adern. Nein, er war sicher betrunken. Ich würde ihn diesen Fehler nicht begehen lassen. »Logan!« Sein Mund liebkoste mein Dekolleté. »Logan, hör auf!« Ich drückte ihn sanft von mir.

»Ich brauch dich jetzt Baby!«

Nein, auch wenn ich mich selbst damit quälte, aber nicht so. Wenn er mich wollte, dann nüchtern und bei Sinnen. Für das hier war ich mir zu schade. Fast strampelte ich mich frei. »Du bist nicht ganz bei dir.«

Wieder drängte er mich an die Wand und küsste mich. »Lange war ich nicht mehr so bei Verstand wie jetzt. So ehrlich zu mir selbst.«

Ich gab ihm einen festen Stoß nach hinten und er taumelte rückwärts ins Licht, das durch die Tür zum Hauptflur fiel. Shit, seine Pupillen waren riesig. Hatte er etwa Drogen genommen? Er verzog das Gesicht und krümmte sich leicht. »Mir ist … nicht so gut.« Und schon war er auf der Treppe nach oben.

Was war das denn bitte gerade gewesen? Meine Muskeln waren immer noch Pudding und ich zitterte leicht vor Erregung und Verwirrung. Hektisch sah ich mich um, ob uns jemand gesehen haben könnte, und verfolgte ihn dann. Ich konnte ihn wohl schlecht allein lassen. Weiß Gott, was er intus hatte. Kaum war ich aus dem Flur getreten, kam Liz aus der Küche.

»Ist alles ok mit Logan? Er sieht etwas grün aus.«

»Ich denke, er hat etwas viel getrunken.«

Sie schnaubte. »Genau wie dein Bruder, der ist gerade nach oben gewankt. Komm, wir sehen mal nach ihnen.«

Oben lehnte Logan sichtlich blass im Türrahmen seines Zimmers und öffnete nur kurz schmal die Augen. »Liz! Wasser!«

Liz hob die Augenbrauen, rannte aber sofort los und kam mit drei kleinen Flaschen Wasser zurück. In der Zwischenzeit hatte ich versucht, die Lage zu checken. Aber so richtig wusste ich nicht, was ich tun sollte. Betrunken ok, damit kam ich klar, aber Drogen? Jenseits meines geringen Erfahrungsschatzes. Liz drückte Logan eine offene Flasche in die Hand und er nahm einen Schluck, wobei er aussah, als würde nicht nur der gleich wieder rauskommen. »Oh Gott Logan. Was hast du angestellt?«, motzte Liz. »Leg dich gefälligst hin.«

Er hob die Hand und krächzte: »Nein jetzt nicht. Wenn ich mich bewege, dann ... gib mir einen Moment.« Er hörte sich nicht Mal besonders betrunken an. Also nicht so sehr wie ich es an Halloween gewesen war oder so sehr, dass es einem den Magen umdrehte.

»Ok, dann sehen wir mal, wo dein Bruder abgeblieben ist.« Mir widerstrebte der Gedanke Logan hier einfach stehen zu lassen, wandte mich aber ab und folgte Liz bei der Suche. In dem Moment, wo Liz bei Trips Tür ankam, schob ich meinen Arm über ihre Schulter und klopfte schnell an. Sicher war sicher. Mit gerunzelter Stirn blickte sie zu mir nach hinten und ich zuckte mit den Achseln.

»Ist nur höflich. Oder möchtest du ihn mit jemandem in Action überraschen? Also ich nicht.« Angewidert verzog sie ihr Gesicht und nahm die Hand von der Türklinke. »Du hast mich überzeugt.« Die Tür wurde so vehement aufgerissen, dass wir ein Stück zurück hüpften. Synchron.

»Hey ihr seid es. Oh gut, du hast Wasser.« Ohne bitte oder danke angelte Trip sich eine Flasche aus Liz Arm und trat einen Schritt zurück. Schwang den Arm als Einladung und trank. »So wie es aussieht, habe ich heute einen neuen Mitbewohner.« John lag vollbekleidet, samt Schuhen, auf Trips Bett und schnarchte.

»Sabbert er?« Liz schob sich na an sein Gesicht. »Riechen tut er nicht gut. Gar nicht gut.«

Seufzend begann ich ihm die Schuhe auszuziehen. »Vielleicht solltet ihr nach Logan sehen. Nicht, dass er umgekippt ist. Ich bleib bei John.«

Misstrauisch beäugte Trip den Flur. »Weißt du ...« Setzte er zögernd an und ging ein Stück raus aus dem Zimmer, kam zurück. »Ist schon in Ordnung Han. Ich kümmere mich um John. Ist schließlich mein Zimmer.«

Mieser Verräter. Ich wusste genau, was er da spielte. »Du hast Angst, dass Logan kotzt, oder?«

Mit dem Unschuldsgesicht eines 5-Jährigen knibbelte er am Etikett der Flasche »Nein, nein, es ist nur mein Bett und ich bin auch müde.« Er verkniff sich sein Grinsen ziemlich schlecht, während er schon auf die andere Seite des Bettes sprang und seinen Kopf auf seinen Arm legte. Völlig entspannt. »Keine Sorge. John hat es gut bei mir.« Eigentlich war ich erleichtert, wenn ich nicht den Babysitter für meinen älteren Bruder spielen musste.

»Gut, ok. Dann schlaft schön meine Kinderchen.« Ich warf ihm einen Luftkuss zu und schloss die Tür hinter mir. Liz kniete vor Logan, der anscheinend am Türrahmen runtergerutscht war und jetzt seine Knie umarmte. »Da bist du ja.« Ihr Gesicht war eine Mischung aus Hilflosigkeit und Amüsement. »Was machen wir mit ihm?«

Von Logan kam ein gepresstes. »Lasst mich einfach sterben.« Er hörte sich furchtbar an, als könnte da was Wahres dran sein, was mir einen Stich versetzte.

Sanft strich ich ihm die Haare zurück. »Ganz sicher nicht! Nicht, wenn ich es verhindern kann.«

Liz sprang hoch wie ein Gummiball. »Oh super, danke! Wenn was ist, ich bin unten. Mein Handy lass ich in der Hosentasche, dann merke ich sofort, wenn du mich anrufst.«

Überrumpelt starrte ich sie fassungslos an. »Du … du gehst?« Ihre Miene zeigte kurz einen Anflug von schlechtem Gewissen, dann zuckten ihre Mundwinkel und dann kam der berüchtigte Dale Dackelblick. »Du hast denselben Kleinkinderblick drauf wie Trip. Ich hasse euch!«

Sie versuchte inständig nicht zu lachen. »Bei Logan funktioniert der, deswegen haben wir ihn wohl perfektioniert. Bitte Han. Bitte kümmere dich um ihn. Ich kann mir doch nicht ansehen, wie mein Bruder all meine Vorstellungen von seinem perfekten moralisch einwandfreien Charakter zerstört. Er ist mein Vorbild. Wie soll ich meinen Kindern gegenüber behaupten, er wäre eine Vertrauensperson, wenn das zerstört würde. Denk an meine Zukunft. An die Zukunft meiner ganzen Familie.«

Ja sicher! »Ich dachte, du willst keine Kinder.« Als würde Liz jemals nicht nach ihrem eigenen Kompass leben. Ich schnaubte und Logan stöhnte leise. Liz verzog wieder das Gesicht und sah zu ihm runter. Diesmal mitleidig.

Sanft fragte sie: »Kannst du bitte noch ein bisschen bei ihm bleiben? Meine Gäste unten müssen doch das hier nicht mitbekommen. Und wenn ich jetzt verschwinde, denken sie entweder ich bin sturzbetrunken oder sie kriegen raus, was wirklich los ist. Dich vermisst keiner.«

Ok, das war nicht so schön zu hören und schnürte mir die Kehle etwas enger, aber es entsprach der Wahrheit. Die Party, auf der ich vermisst würde, musste wohl inszeniert werden. Dazu kam noch, sie hatte Geburtstag und ich wollte Logan auf keinen Fall allein lassen. Die Erkenntnis traf mich wie ein Güterzug. Nur weil ich hilfsbereit war. Nur das! Ergeben seufzte ich. »Ok Liz, dann zisch ab.« Und kniete mich vor Logan, dessen Kopf gerade hart nach hinten gegen den Türrahmen fiel.

»Ich muss kotzen.« Liz hauchte danke und legte einen Abgang wie eine verschreckte Katze hin. Man sah regelrecht eine Rauchspur.

Na wunderbar. Was blieb mir anderes übrig, wenn ich nicht auch noch den Flur wischen wollte, als ihn unter den Armen zu packen und notdürftig hochzuhieven. »Na komm. Versuchen wir mal, das Bad zu erreichen.«

Schwer hing er an mir und wankte bedrohlich. Aber wir schafften es durch sein Zimmer in sein kleines Bad, wo er direkt auf die Knie sank. Ich bewegte mich hastig um ihn rum und hob just in dem Moment den Toilettendeckel, als er anfing zu würgen. Abgeklärt dachte ich mir: ›es ist wahrscheinlich für ihn besser, wenn es raus ist.‹ Aber ich hatte schon Schöneres gesehen.

Nachdem er sich zweimal übergeben hatte, reichte ich ihm ein feuchtes Handtuch und er fiel mit den Rücken an den Schrank neben dem Waschbecken. Das Geräusch, das er dabei machte, erinnerte wirklich mehr an einen Todeskampf als an überleben. »Magst du was trinken?« Er schüttelte langsam den Kopf und sank zur Seite. In letzter Sekunde konnte ich ihn auffangen und setzte mich dann neben ihn, um ihn zu stützen. »Was hast du genommen?« Seine Atmung gefiel mir nicht. Sie schien mir zu schwer und abgehackt, aber als er anfing zu sprechen oder es versuchte, stürzte er bereits wieder zum Klo und beförderte den restlichen Mageninhalt raus. Leider schneller als er angekommen war. Das Ergebnis war, dass er es schaffte sich selbst und das Bad teilweise einzusauen.

Als das Würgen abebbte, sank er erschöpft zusammen. »Tut mir leid!« Es war kaum zu hören.

Seltsamerweise war die Kotze nicht so schlimm. Schlimm für mich war, dass es ihm so dreckig ging und ich nicht wusste, was er genommen hatte. In erster Linie machte ich mir Sorgen. Der Rest war eklig keine Frage, aber erträglich im Vergleich zu meiner Angst ihm könnte etwas zustoßen. Sanft wischte ich ihm das Gesicht notdürftig ab. »Meinst du, du schaffst es, dir dein Shirt auszuziehen?« Er nickte. Mit gesenktem Kopf und zitternden Händen griff er kraftlos an den Saum. Ich musste ihm helfen, damit er es loswurde, ohne sich noch mehr einzusauen. Leider war dennoch etwas in die Haare geraten. Mit geschlossenen Augen sank er wieder zurück an den Schrank und ließ sich von mir waschen. Erst das Gesicht und die Haare und dann seinen Oberkörper. In diesem Moment hatte ich keine Augen dafür, dass er halb nackt vor mir saß. Meine Konzentration lag völlig auf seinen regelmäßigen Atemzügen und den Puls, den ich tatsächlich zwischendurch überprüfte. Nachdem ich sicher war, dass er nicht zur Seite rutschen würde, säuberte ich das Bad. Fast schien er zu schlafen, aber seine Augen öffneten sich immer wieder kurz und beobachteten mich. »Denkst du, dein Magen ist halbwegs stabil?«

»Noch einen Moment.«

»Ok!« Kurz überlegte ich, ihm ein T-Shirt zu holen, aber ich wusste nicht genau, wo er welche hatte, und zu lange wollte ich nicht weggehen. Zögerlich trank er ein paar Schluck Wasser. Das war doch sicher ein gutes Zeichen. Hätte ich bloß nichts gesagt. Keine 5 Minuten später betete er schon wieder den Porzellangott an. Ob ich einen Arzt rufen sollte? Wieder wusch ich ihm das Gesicht. Wenigstens war der Rest sauber geblieben. »Logan, sieh mich an.« Schwerfällig öffnete er die Augen und riesige Pupillen kamen zum Vorschein, wie schon unten im Flur. »Was hast du genommen?«

Sein Kopf sackte auf die Brust und er fiel nach hinten. »Geht schon«, lallte er. »Bald vorbei.« Nervös wog ich die Möglichkeiten ab. Konnte er das überhaupt beurteilen? Mehr Zeit blieb mir allerdings nicht, weil er sich bereits mehr schlecht als recht hochrappelte. Dabei wäre er fast umgefallen, wenn ich ihn nicht gefangen hätte. Als er halbwegs fest stand, öffnete er ohne Vorwarnung seine Jeans und stützte sich beim Ausziehen auf meinen Schultern ab. Ohne weiteres Wort ließ er sie einfach auf dem Boden zurück und taumelte zum Bett, wo er der Länge nach drauffiel. Natürlich auf die Decke. Seufzend rang ich mit ihm, um seine Decke unter ihm zu befreien. Man glaubt nicht, wie schwer so ein Kerl ist.

»Logan, komm, dreh dich hier mal kurz und hilf mir. Du wirst ganz kalt.« Überraschend hörte er auf mich und zufrieden mit mir deckte ich ihn zu.

Sein Gesicht war immer noch kreidebleich, als er flüsterte: »Bleibst du heute Nacht hier?« Ich schluckte und sah mich im Raum um. Keine Couch oder Sessel auf die ich mich hätte zusammenrollen können. Nur eine Kommode ein Einbauschrank und ein Sekretär mit äußerst unbequem wirkendem alten Holzstuhl davor. Er klopfte auf die andere Bettseite. »Bitte!« Mehr brauchte es nicht um mich zu erweichen. Er sah so elend und hilflos aus und er brauchte mich, wollte mich bei sich haben. Ich dummes Mädchen, aber man kommt nicht immer gegen sein Herz an. Also warf ich alle Bedenken mit ihm in einem Bett zu schlafen über Bord und zog meine Hose aus. Schnell schlüpfte ich neben ihm unter die Decke. Vorsichtig drehte er sich auf die Seite, so dass er mich ansehen konnte. Mein Herz geriet kurz aus dem Takt. Er war so nah, zu nah und seine Augen ruhten in dieser Intensität auf mir, die mich immer schier verrückt machte. Stöhnend rieb er sich über die Augen. »Tut mir leid!«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752115246
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (September)
Schlagworte
Secret baby Leidenschaft Freundschaft Bundle Sex London Happy End Enemies to Lovers Liebe New Adult Erotik Erotischer Liebesroman Liebesroman

Autor

  • Gabby Zrenner (Autor:in)

Seit sie lesen kann, zieht es Gabby Zrenner zu Büchern, die sich in ihren Regalen auch gern mal zweireihig und übereinander ansiedeln. Mindestens genauso lange schreibt sie. Von anfänglich kleinen Geschichten und Gedichten bis hin zu dem Entschluss, wenigstens eine der tausend Geschichten und Figuren in ihrem Kopf, zum Leben zu erwecken. Aus einem geplanten Buch wurde mittlerweile eine Sammlung.
Zurück

Titel: Jo-Hanna: No Risk No Love