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Vierzig schwüle Nächte 2

Homoerotische Märchen aus dem Land der lila Liebeslust

von Xaver Ludwig Cocker (Autor:in)
570 Seiten
Reihe: 40 schwüle Nächte, Band 2

Zusammenfassung

Abgeschieden von der feindlichen Außenwelt, erzählen sieben schwule Männer einander jede Nacht Märchen – auf ihre eigene, sinnliche Weise. Da fehlen weder Rumpelstielchen noch Dornrösling und selbst der gestiefelte Schmusekater und Gevatter Trieb geben sich die Ehre. Das Vorhaben zieht sich 40 heiße Nächte lang hin... Garniert werden die Märchen mit über 55 Illustrationen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Xaver Ludwig Cocker (Hrsg.)

Vierzig schwüle Nächte

Homoerotische Märchen aus dem Land der lila Liebeslust

Band II (8.-14. Nacht)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Texte: © Copyright by X.L. Cocker

Umschlaggestaltung und Illustrationen: © Copyright by Yeoj

Verlag:

YEOJ Selbstverlag

Postfach 11 11 03

35390 Gießen

yeoj@gmx.net

Die achte Nacht

Es ist nun eine Woche her, dass Giovanni mich und fünf weitere Freunde und Bekannte in sein verlassenes Anwesen, versteckt in einem tiefen Wald, geschleust hat. Hier sollen wir sicher sein vor der aggressiven Stimmung, die sich in den Städten breitmacht und sich – mehr oder weniger grundlos – gegen Männer wie uns richtet (wobei Margarete sich am Begriff »Männer« sicherlich etwas stört, sieht er/sie sich doch eher als feminin). Die letzten sieben Tage haben wir in der Abgeschiedenheit ganz gut verbracht: Kein Lagerkoller, sondern friedliches Beisammensein, dazu leckere Küche. Letzteres verdanken wir übrigens Charles, der von seiner Weltenbummelei viele Ideen für abwechslungsreiche Gerichte mitgebracht hat. Basil und Max setzen den Pavillon im Garten instand, Giovannis Garten erblüht und der junge Arne versteht es, gemeinsam mit Wilko das alte Haus recht wohnlich zu gestalten.

Trotzdem hoffen wir, nicht mehr allzu lange in dem Versteck herumlungern zu müssen.

»Man fühlt sich ja wie im Krieg«, lamentiert Margarete.

Zum Glück haben wir unsere allabendlichen Erzählrunden ins Leben gerufen, in der jeder ein Märchen darbietet. Jedes davon muss gehörig »verschwult« werden, wie Charles es ausdrückt.

»Wenn wir schon vor der Welt flüchten müssen, dann drücken wir ihr vorher gehörig unseren Stempel auf«, lacht er.

Das ist auch der Grund, warum wir unsere Märchen – sieben sind es pro Abend – schriftlich festhalten. Als wir uns am achten Abend unseres hiesigen Aufenthalts auf der Terrasse zusammenfinden, heißt uns Giovanni, der Kopf der Gesellschaft, herzlich willkommen.

»Auch in unserer zweiten Woche der lustiger Erzählrunden wollen wir jenes große Reich besuchen, welches man das Land der lila Liebeslust nennt. Dort lebt es sich schier märchenhaft. Wunderschöne Schlösser schmücken Berg und Hügel, breite Straßen führen durch idyllische Dörfchen und grüne Wiesen laden zum Spielen und Tummeln ein. Das Schönste aber am Land der lila Liebeslust ist, dass man dort denjenigen Menschen lieben darf, für den sein Herz schlägt. Nicht nur Knabe und Mägdelein können einander freien, wie überall sonst üblich; nein, ein Bursche darf ebenso einen anderen Burschen ehelichen, eine Maid um eine andere Maid buhlen. Daher ist es keine Seltenheit in jenem Reich, wenn ein Königssohn das Herz des Prinzen aus dem Nachbarland erobert. Niemand nimmt dort Anstoß am wollüstigen Ritter, der auf seiner Burg fröhlich mit seinem Knappen im Bette rauft. Von solcherlei Begebenheiten sollen die folgenden Märchen erzählen – mal sinnlich und sehnsüchtig, mal frech und fidel, jedoch alle angehäuft mit liebenden lila Lüstlingen. Wer macht denn den Anfang in unserem heutigen Märchenkreis?«

Arne, unser jüngster Teilnehmer, meldet sich freiwillig und wir spitzen neugierig die Ohren.

Bettlein deck mich, Esel leck mich und Fäustel aus dem Sack

Vor Zeiten war ein Schneider, der drei gut aussehende – und unterhalb der Lenden ebenso gut ausgestattete – Söhne hatte und nur eine einzige Ziege. Aber weil die Ziege alle zusammen mit ihrer Milch ernährte, musste sie ihr gutes Futter haben und täglich hinaus auf die Weide geführt werden. Die Söhne taten das auch nach der Reihe und taten es gern, wussten sie doch, dass Milch müde Männer munter macht und gut ist für die Lendenkraft.

»Wenn wir immer brav Milch trinken, können wir die schönen Herren besonders glücklich machen«, grinste der Älteste seine zwei jüngeren Brüder an, denn er wusste, dass sie alle drei lüstern auf andere Männer schielten.

Einmal brachte der Älteste die Ziege auf den Kirchhof, wo die besten Kräuter standen, und ließ sie da fressen. Obwohl er sich gern seinen Schritt mit den Händen gestreichelt hätte, unterließ er es pflichtbewusst, um die Ziege nicht aus den Augen zu verlieren. Abends, als es Zeit für die Heimkehr war, fragte er:

»Ziege, bist du satt?«

Die Ziege antwortete:

»Ich bin so satt, ich mag kein Blatt! Mäh, mäh!«

»So komm nach Haus«, sprach der Sohn, fasste sie am Strick, führte sie in den Stall und band sie fest. Bevor er ins Bett ging, um endlich die Hände um seinen Lendenzapfen zu legen, fing ihn der Vater ab.

»Nun«, sagte der alte Schneider, »hatte die Ziege ihr gehöriges Futter?«

»Ja, Vater«, antwortete der Sohn, »die ist so satt, sie mag kein Blatt.«

Der Vater aber wollte sich selbst überzeugen, ging hinab in den Stall, streichelte das Tier und fragte:

»Ziege, bist du auch satt?«

Da antwortete die Ziege unvermutet:

»Wovon sollt ich satt sein?

Ich sprang nur über Gräbelein

und fand kein einzig Blättelein!

Gewichst hat sich dein Sohn doch nur,

mich nicht gebracht zur Wiesenflur!

Mäh, mäh!«

»Was muss ich hören!«, rief der Schneider, lief hinauf und sprach zum Ältesten: »Ei, du Lügner sagst, die Ziege wäre satt, und hast sie hungern lassen, nur um in Ruhe deiner Lust zu frönen?«

Und in seinem Zorn nahm er die Elle von der Wand und jagte ihn mit Schlägen auf die lüsternen Hände hinaus.

Am andern Tag war die Reihe an dem zweiten Sohn. Der suchte an der Gartenhecke einen Platz aus, wo lauter gute Kräuter standen, und die Ziege fraß sie rein ab. Abends, als er heim wollte, um mit seinen Fingern seinen Allerwertesten von innen zu beglücken, fragte er:

»Ziege, bist du satt?«

Die Ziege antwortete:

»Ich bin so satt, ich mag kein Blatt! Mäh, mäh!«

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»So komm nach Haus«, sprach der Sohn, zog sie heim und band sie im Stall fest.

»Nun«, sagte der alte Schneider, »hatte die Ziege ihr gehöriges Futter?«

»Ja, Vater«, antwortete der zweite Sohn, »die ist so satt, sie mag kein Blatt.«

Dem Schneider kam dieser Spruch verdächtig vor. Er erinnerte sich an den vorigen Tag und wollte sich daraufhin nicht verlassen, ging hinab in den Stall und fragte:

»Ziege, bist du auch satt?«

Die Ziege antwortete:

»Wovon sollt ich satt sein?

Ich sprang nur über Gräbelein

und fand kein einzig Blättelein!

Gefingert hat dein Sohn sich nur,

mich nicht gebracht zur Wiesenflur!

Mäh, mäh!«

»Der unerhörte Lustbold!«, schrie der Schneider. »Ein so frommes Tier hungern zu lassen!«

Er lief hinauf und schlug mit der Elle auf die Pobacken des zweiten Sohnes, bis auch der zur Tür hinauslief.

Die Reihe kam jetzt an den jüngsten Sohn. Der wollte seine Sache gut machen, suchte Buschwerk mit dem schönsten Laube aus und ließ die Ziege daran fressen. Abends, als er heim wollte, fragte er:

»Ziege, bist du auch satt?«

Die Ziege antwortete:

»Ich bin so satt, ich mag kein Blatt! Mäh, mäh!«

»So komm nach Haus«, sagte der Sohn, führte sie in den Stall, band sie fest und wollte sich in sein Bett legen, um seinen Lendenzapfen zu streicheln und seine Lendenkraft in zärtlicher Eigenliebe auszuleben.

»Nun«, sagte der alte Schneider, »hatte die Ziege ihr gehöriges Futter?«

»Ja, Vater«, antwortete der Jüngste da, »die ist so satt, sie mag kein Blatt.«

Der Schneider traute ihm nicht, ging hinab und fragte das Tier wieder. Die Ziege antwortete:

»Wovon sollt ich satt sein?

Ich sprang nur über Gräbelein

und fand kein einzig Blättelein!

Gestreichelt hat dein Sohn sich nur,

mich nicht gebracht zur Wiesenflur!

Mäh, mäh!«

»O, diese verdorbene Lügenbrut!«, rief der Schneider. »Einer so pflichtvergessen wie der andere! Ihr sollt mich nicht länger zum Narren haben!«

Vor Zorn ganz außer sich, hetzte er hinauf und schlug dem armen Sohn mit der Elle so gewaltig auf dessen Männlichkeit, dass der zum Haus hinaussprang.

Der alte Schneider war nun mit seiner Ziege allein. Am andern Morgen ging er hinab in den Stall, liebkoste sie und sprach:

»Komm, mein liebes Tier, ich will dich selbst zur Weide führen.«

Er nahm sie am Strick und brachte sie zu grünen Hecken und Schafrippe und was sonst die Ziegen gerne fressen.

»Da kannst du dich einmal nach Herzenslust sättigen«, sprach er zu ihr und ließ sie weiden bis zum Abend. Dann fragte er:

»Ziege, bist du satt?«

Sie antwortete:

»Ich bin so satt, ich mag kein Blatt! Mäh, mäh!«

»So komm nach Haus«, sagte der Schneider, führte sie in den Stall und band sie fest.

Als er wegging, kehrte er sich noch einmal um und sagte:

»Nun bist du doch einmal satt!«

Aber die Ziege machte es ihm nicht besser und rief:

»Wovon sollt ich satt sein?

Ich sprang nur über Gräbelein

und fand kein einzig Blättelein!«

Als der Schneider das hörte, stutzte er und begriff, dass er seine drei Söhne ohne Grund verjagt hatte.

»Warte«, rief er, »du undankbares Geschöpf! Dich fortzujagen ist noch zu wenig!«

Er holte die Peitsche und versetzte der Ziege solche Hiebe, dass sie in gewaltigen Sprüngen davonlief. Der Schneider, als er so ganz einsam in seinem Hause saß, verfiel in große Traurigkeit und hätte seine Söhne gerne wiedergehabt.

»Im Grunde war ich doch immer sehr stolz auf ihre stattliche Männlichkeit, die sie von mir geerbt haben«, seufzte er.

Aber er wusste nicht, wo die drei hingeraten waren.

Der Älteste war zu einer Tischlermeisterin in die Lehre gegangen. Da lernte er fleißig und unverdrossen, wie man Schränke und Stühle, Bänke und Schemel herstellt. Und als seine Lehrzeit herum war und er als Geselle wandern sollte, gab ihm die Meisterin zum Lohn ein schmuckloses Bettchen, das gar kein besonderes Ansehen hatte und von gewöhnlichem Holz war. Sie aber sagte:

»Dieses Bettchen hat eine gute Eigenschaft: Wenn man spricht ›Bettlein, deck mich!‹, so zaubert es Stricke aus weichem Plüsch hervor, bindet dich damit an seine Enden und streichelt dich mit seinem Zudeckchen von vorn, mit dem Zauberlaken aber von hinten zu einem sanften Hochgefühl! Ich habe mir kürzlich ein zärtliches Herzblatt angelacht, das wird mich fortan beglücken. Also brauche ich das Bettchen nicht mehr und du darfst es haben, du fleißiger, schöner Bursche!«

Der älteste Schneidersohn dachte bei sich, so ein nützliches Bettlein würde ihm über die einsamen Nächte gut hinweghelfen. Er bedankte sich bei seiner Meisterin und wanderte los, seinen Lohn auf den starken, breiten Schultern gebunden. Wenn es ihm gefiel, so kehrte er gar nicht ein, um zu übernachten, sondern stellte am Felde, im Wald, auf einer Wiese oder wo er eben Lust hatte sein Bettchen auf, legte sich hinein und sprach:

»Bettlein, deck mich!«

Kurz darauf waren seine Hände und Füße mit weichen Stricken an die Bettpfosten gebunden und ein zärtliches Laken liebkoste seinen Rücken. Während das Zudeckchen seine Brustwarzen umkreiste und spielend seinen Schritt streichelte, wiegte ihn das Bett sanft, bis er einen friedvolles, langanhaltendes Hochgefühl erlebte.

Endlich kam es ihm in den Sinn, er wollte zu seinem Vater zurückkehren. Dessen Zorn würde sich gelegt haben, und wenn er ihm das Bettlein schenkte, würde er den Sohn sicher gerne wieder aufnehmen. Es trug sich zu, dass er auf dem Heimweg in ein Wirtshaus kam, das mit Gästen angefüllt war. Sie hießen ihn willkommen und luden ihn ein, sich zu ihnen zu setzen und mit ihnen zu essen, sonst würde er schwerlich noch etwas bekommen.

»Danke«, antwortete der Tischler und schmauste mit den anderen.

Daraufhin boten ihm die Wirtsleute ein Zimmer mit Bett an, worauf der Schneidersohn erwiderte:

»Nein, ich habe hier mein eigenes, bescheidenes Bettlein, das soll mir reichen. Ich stelle es draußen auf und brauche Eure Herberge nicht.«

Der Wirt stand in einer Ecke und hörte argwöhnisch zu.

»Ich will doch mal beobachten, was an seinem Bette so besonders ist, dass er meine Herberge ausschlägt!«

Und als er nachts sah, wie der Bursche von Zudecke und Laken beglückt wurde, so sagte er sich:

»Ein solches Bettlein kann ich in meinem Haus wohl gebrauchen!«

Am nächsten Morgen aß der Tischler sein Frühstück, hatte aber sein Bettchen draußen stehen gelassen. Dem Wirte ließen seine Gedanken keine Ruhe; es fiel ihm ein, dass in seiner Rumpelkammer ein altes Bettchen stand, welches gerade so aussähe. Das holte er ganz still und heimlich herbei und vertauschte es mit dem Zauberbett. Als der Tischler sein Essensgeld zahlte, packte er das fremde Bettlein auf seinen kräftigen Rücken, dachte gar nicht daran, dass er ein falsches hätte, und ging seiner Wege. Zu Mittag kam er bei seinem Vater an, der ihn mit großer Freude empfing.

»Nun, mein lieber Sohn, was hast du gelernt?«, sagte er zu ihm.

»Vater, ich bin ein Tischler für breite Stühle und robuste Tische geworden.«

»Ein gutes Handwerk«, erwiderte der Alte, »das wird den hohen, schönen Herren in unserem Land der lila Liebeslust gefallen, die bekanntermaßen auf jedwedem Möbel übereinander herfallen! Aber was hast du von deiner Wanderschaft mitgebracht?«

»Vater, das Beste, was ich mitgebracht habe, ist das Bettchen.«

Der Schneider betrachtete es von allen Seiten und sagte:

»Das ist ein altes und schlechtes Möbel.«

»Aber es ist ein Bettlein deck mich«, antwortete der Sohn. »Lege dich nur hinein und befiehl ihm, dich zu streicheln! Die Liebkosungen werden dein Glück sein!«

Als der Vater sich nun hineinlegte und das Sprüchlein sagte, geschah – nichts! Das Bettlein regte sich nicht und blieb so leblos wie jedes andere Bett, das die Sprache nicht versteht. Da merkte der arme Geselle, dass ihm das Bettlein vertauscht worden war, und schämte sich, dass er wie ein Lügner dastand. Der Vater zuckte mit den Schultern und schneiderte weiter, und der Tischler ging ihm verdrossen zur Hand.

Der zweite Sohn war zu einer Schäferin gekommen, die ihn gern in die Lehre nahm und zeigte, wofür neben Wolle, Milch und Fleisch ein Hammel noch zu verwenden war. Als er nun seine Jahre herum hatte und wusste, wie aus Schafsmilch Käse wurde, wie man Wolle am sanftesten vom Schafe schor und was der Unterschied zwischen Schlachtung und Schächten war, sprach die Schäferin:

»Deine Lehrjahre sind beinahe um. Nun zeige ich dir noch, wie man aus dem Inneren des Tieres eine zweite Haut, nämlich eine Schutzhaut für den männlichen Dödel herstellt.«

Sprach’s und zeigte ihm die Weise, und als der zweite Sohn auch diese Kunst beherrschte, hieß es:

»Nun musst du auf Wanderschaft. Weil du dich so wohl gehalten hast, schenke ich dir zum Abschied ein Püppchen von einer besonderen Art: Es ist ein Esel leck mich.«

»Wozu ist das denn nütze?«, fragte der Geselle, verwundert über den seltsamen Namen. Seine Meisterin erklärte es ihm:

»Das Püppchen hat die Gestalt eines Esels, und wenn du deine Männlichkeit in sein offenes Mäulchen schiebst und sprichst ›Fricklefit‹, so wird das Mäulchen lebendig. Es spitzt sich zu, als wolle es Glas blasen, und verwöhnt das rote Haupt deines Dödels gar sehr. Dabei aber fallen hinten aus dem guten Eselein eben jene Schutzhäute heraus, die du sonst mühevoll aus den Schafsdärmen fertigen musst. Auf diese Weise hast du stets Vorrat daran und kannst ungefährdet überall und mit jedem deine fleischlichen Wünsche ausleben!«

»Das ist eine vielversprechende Sache«, sprach der Geselle, »denn diese Dinger behüten einen Mann vor bösen Krankheiten und Leiden, die man sich bei unvorsichtigem Liebesspiel einfangen kann.«

»Deshalb nennt man sie hierzulande auch Verhüterli«, nickte die Schäferin, »und sie können dich vielleicht reich machen, wenn dein sonstiges Handwerk dir einmal nichts nützt.«

Der Geselle besah sich das Püppchen und wurde lüstern bei dem Gedanken, es bald auszuprobieren. Er dankte der Schäferin viele Male und zog in die Welt. Wenn er andere Wandergesellen traf und alle die Lust packte, so brauchte er nur, seinen Lendenzapfen im Esel leck mich steckend, »Fricklefit« zu sagen – schon regnete es Verhüterli. Er und seine Kameraden hatten dann weiter keine Mühe, als sie von der Erde aufzuheben, überzustülpen und einander zu erfreuen. Dabei war die Lendenkraft des Schneidersohns stets und ständig am ausdauerndsten, was ihm überall Bewunderung und Beifall einbrachte. Als er sich auf diese Weise eine Zeit lang in der Welt umgesehen hatte, sagte er zu sich:

»Du musst deinen Vater aufsuchen. Wenn du mit dem Püppchen Esel leck mich kommst, so wird er seinen Zorn vergessen und dich gut aufnehmen. Mit all den Schutzhäuten können wir gutes Geld verdienen!«

Er verkaufte solange Verhüterli, bis er ausreichend Gold zusammen hatte, um stolz heimzukehren. Es trug sich zu, dass er unterwegs in dasselbe Wirtshaus geriet, in welchem seinem Bruder das Bettchen vertauscht worden war. Er führte sein Püppchen an der Hand und der Wirt wollte ihm das Ding abnehmen und in die Kammer zu dem anderen Gepäck legen. Der Geselle aber sprach:

»Gebt Euch keine Mühe, mein Eselein führe ich immer bei mir.«

Dem Wirt kam das wunderlich vor, und er meinte, einer, der sein Gepäck nicht aus der Hand geben könne, habe nicht viel zu verzehren. Als aber der Fremde in die Tasche griff, zwei Goldstücke herausholte und sagte, er sollte nur etwas Gutes für ihn einkaufen, so machte er große Augen, lief und suchte das Beste, das er auftreiben konnte. Nach der Mahlzeit fragte der Gast, was er schuldig wäre. Der Wirt wollte die doppelte Kreide nicht sparen und sagte, noch ein paar Goldstücke müsste er zulegen. Der Geselle griff in die Tasche, aber sein Gold war eben zu Ende.

»Wartet einen Augenblick, Herr Wirt«, sprach er, »ich will nur gehen, Geschäfte erledigen und mit dem Gold zurückkommen.«

Er nahm aber das Püppchen und ein Tischtuch mit. Der Wirt wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, und war neugierig genug, um ihm nachzuschleichen. Und was geschah? Er sah, wie der Geselle seine stolze Männlichkeit in den Esel leck mich schob, »Fricklefit« sagte und plötzlich viele Verhüterli in verschiedenen Farben, Formen und Geschmäckern auf das Tischtuch purzelten. Kurz darauf wurde er Zeuge, wie der Geselle seine Schätze an die Dorfbewohner verkaufte und mit dem frisch verdienten Gold zurückkehrte.

»Ei der tausend«, sagte der Wirt, »da sind die Dukaten bald geprägt! So ein Püppchen ist nicht übel!«

Der Gast bezahlte seine Zeche und legte sich schlafen. Der Wirt aber schlich in der Nacht ins Zimmer, nahm das Eselein weg und stellte ein anderes an seine Stelle.

Den folgenden Morgen in der Frühe zog der Geselle mit seinem Püppchen ab und meinte, er hätte seinen Schatz. Mittags kam er bei seinem Vater an, der sich freute, als er ihn wiedersah, und ihn gerne aufnahm.

»Was ist aus dir geworden, mein Sohn?«, fragte der Alte.

»Ein Schäfer, lieber Vater«, antwortete er.

»Was hast du von deiner Wanderschaft mitgebracht?«

»Weiter nichts als ein Püppchen.«

»Püppchen gibt’s hier genug«, sagte der Vater. »Du hast doch selbst als kleines Kind damit gespielt!«

»Ja«, antwortete der Sohn, »aber es ist kein gewöhnliches Püppchen, sondern ein Zauberesel! Wenn ich sage ›Fricklefit‹, so drückt das gute Ding ein ganzes Tuch voller Schutzhäute hinten raus, welche die Männer über ihre Dödel stülpen können, um der Lust ohne Furcht vor Krankheiten zu frönen. Das wird ein schöner Zuverdienst! Lasst alle Verwandten herbeirufen, ich mache sie alle zu reichen Leuten.«

»Das lass ich mir gefallen«, sagte der Schneider, »dann brauch ich mich mit der Nadel nicht weiter zu quälen«, sprang selbst fort und rief die Verwandten herbei.

Sobald sie beisammen waren, hieß sie der Schäfer Platz machen, breitete sein Tuch aus und brachte das Püppchen in die Stube.

»Jetzt gebt acht«, sagte er, stopfte seinen Lendenzapfen ins künstliche Maul und rief »Fricklefit«, aber es gab nichts, was da herausfiel.

Da machte der arme Schäfer ein langes Gesicht, sah, dass er betrogen war, und bat die Verwandten um Verzeihung, die so arm heim gingen, wie sie gekommen waren. Es blieb nichts übrig, der Alte musste wieder nach der Nadel greifen und der Schäfer mit dazu.

Der dritte Bruder war zu einem Schnitzer in die Lehre gegangen, der sich eigens auf hölzerne Liebesstäbe verstand. Da dies ein kunstreiches Handwerk ist, musste er am längsten lernen. Seine Brüder aber meldeten ihm in einem Briefe, wie schlimm es ihnen ergangen wäre und wie sie der Wirt noch am letzten Abend um ihre lustvollen Zauberdinge gebracht hätte. Als der Schnitzergeselle nun ausgelernt hatte und wandern sollte, schenkte ihm sein Meister, weil er sich so wohl gehalten, einen Sack und sagte:

»Es steckt ein hölzernes Fäustel darin.«

Er ließ den Gesellen hineinschauen. Da lag ein hölzerner Stab im Sack, der an einem Ende wie eine kleine menschliche Männerfaust geformt war.

»Den Sack kann ich umhängen und er kann mir gute Dienste leisten. Aber was soll der Stab darin, wo ich doch zwei eigene, kräftige Fäuste habe? Der macht den Sack nur schwer.«

»Das will ich dir sagen«, antwortete der Meister. »Hat dir jemand etwas zuleid getan, so sprich nur ›Fäustel aus dem Sack‹, dann springt dir der Holzknüppel heraus und dringt in den Allerwertesten der bösen Leute ein. Er tanzt ihnen so lustig darin herum, dass sie sich acht Tage lang nicht regen und bewegen können; und eher lässt er nicht ab, als bis du sagst: ›Fäustel in den Sack‹.«

Der Geselle dankte ihm, hing den Sack um, und wenn ihm jemand zu nahe kam und Arges wollte, so sprach er:

»Fäustel aus dem Sack!«

Alsbald sprang der Knüppel heraus und schob sich dem einen nach dem andern unters Wams, zerriss die Hosenböden und wartete nicht erst, bis man sich ausgezogen hatte. Der Schnitzer langte zur Abendzeit in dem Wirtshaus an, wo seine Brüder betrogen worden waren. Er legte seinen Ranzen vor sich auf den Tisch und begann zu erzählen, was er alles Merkwürdiges in der Welt gesehen habe.

»Ja«, sagte er, »man findet wohl ein Bettlein deck mich, einen Esel leck mich und dergleichen – lauter gute Dinge, die ich nicht verachte. Aber das ist alles nichts gegen den teuren Stab, den ich mir erworben habe und mit mir in meinem Sack führe.«

Der Wirt spitzte die Ohren.

»Was in aller Welt mag das sein?«, dachte er. »Der Sack ist wohl mit einem Stab, geschmückt mit lauter Edelsteinen, angefüllt? Den werde ich auch noch haben, denn aller guten Dinge sind drei.«

Als die Schlafenszeit herankam, streckte sich der Gast auf die Bank und legte seinen Sack als Kopfkissen unter. Der Wirt, als er meinte, der Gast läge in tiefem Schlaf, ging herbei und rückte ganz sachte und vorsichtig an dem Sack, ob er ihn vielleicht wegziehen und einen andern unterlegen könnte. Der Geselle aber hatte schon lange darauf gewartet! Wie nun der Wirt eben einen herzhaften Ruck tun wollte, rief er:

»Fäustel aus dem Sack!«

Alsbald fuhr das Knüppelchen heraus, gerade dem Wirt zwischen die Backen, und rieb sich darin, dass es seine Art hatte. Der Wirt, solcherlei Treiben im Allerwertesten nicht gewohnt, schrie zum Erbarmen. Aber je lauter er schrie, desto kräftiger drang der Knüppel hinein und gab ihm den Takt vor, bis er endlich erschöpft zur Erde fiel. Da sprach der jüngste Schneidersohn:

»Wenn du das Bettlein deck mich und das Eselein nicht wieder herausgibst, so soll der Spaß von Neuem angehen.«

»Ach«, rief der Wirt ganz kleinlaut, »ich gebe alles wieder heraus, lasst nur den verwünschten Kobold zurück in den Sack kriechen.«

Da sprach der Geselle:

»Ich will Gnade für Recht ergehen lassen, aber hüte dich vor Schaden!« Dann rief er: »Fäustel in den Sack!« und ließ ihn ruhen.

Der Schnitzer zog am andern Morgen mit dem Bettlein deck mich und dem Püppchen Esel leck mich heim zu seinem Vater. Der Schneider freute sich, als er ihn wiedersah, und fragte auch ihn, was er in der Fremde gelernt habe.

»Lieber Vater«, antwortete er, »ich bin ein Schnitzer für hölzerne Liebesstäbe geworden.«

»Ein kunstreiches Handwerk«, lobte der Vater, »das den hohen Herren in unserem Land der lila Liebeslust sicher gefallen wird. Was hast du von der Wanderschaft mitgebracht?«

»Ein kostbares Stück, lieber Vater«, antwortete der Sohn und öffnete den Sack, damit der Vater hineinsehe, »ein Fäustel im Sack.«

»Was?«, rief der Vater. »Ein alter Holzstab! Das ist der Mühe wert, wo du doch angeblich viele neue schnitzen kannst?«

»Hört, lieber Vater! Sage ich ›Fäustel aus dem Sack‹, so springt der geile Knüppel heraus und macht mit dem, der es nicht gut mit mir meint, einen schlimmen Streich im Darm und lässt nicht eher nach, bis er auf der Erde liegt und um gut Wetter bittet. Seht ihr, mit diesem Fauststab habe ich das Bettlein deck mich und das Püppchen Esel leck mich wieder herbeigeschafft, die der diebische Wirt meinen Brüdern abgenommen hatte. Jetzt lasst sie beide rufen und ladet alle Verwandten ein, ich will sie beglücken und ihnen die Taschen mit frischen Verhüterli füllen.«

Der alte Schneider wollte ihm nicht recht trauen, brachte aber doch die Verwandten zusammen. Da breitete der Schnitzer ein Tuch in der Stube aus, holte das Eselein herbei und sagte zu seinem Bruder:

»Nun, lieber Bruder, sprich mit ihm.«

Der Schäfer schob seinen Lendenzapfen in den künstlichen Mund und sagte:

»Fricklefit.«

Augenblicklich sprangen die Verhüterli auf das Tuch herab, als käme ein Platzregen, und der Esel leck mich hörte nicht eher auf, als bis alle so viele hatten, dass sie nicht mehr tragen konnten. (Ich sehe dir’s an, du wärst auch gerne dabei gewesen!) Sie verließen augenblicklich das Fest, um sich daheim ihrer Lust hinzugeben, und hielten es die alten Betten nicht mehr aus, so gaben sie beim Tischler gleich ein neues, robusteres in Auftrag.

Bald waren die Brüder und ihr Vater allein. Da holte der Schnitzer das Bettlein deck mich und sagte:

»Lieber Vater, nun legt Euch hinein, um endlich von Euren langen Schneiderarbeiten auszuruhen. Du, ältester Bruder, aber sprich mit dem Bettchen.«

Und kaum hatte der Tischler »Bettlein deck mich« gesagt, so war der Vater daran gekettet und wurde von Laken und Zudecke liebkost, dass es nur so eine Freude für den Alten war.

Die Brüder gönnten ihm das Glück und setzten sich derweil zusammen, um ihre Pläne zu besprechen. Da ward es abgemacht, dass die drei mit ihrem Wissen, ihrer Lendenkraft und ihren Zauberdingen keine Schneiderei mehr benötigten und sie stattdessen unterm gemeinsamen Dach ihrem erlernten Handwerk nachgehen wollten.

Gesagt, getan! Alsbald wurde ihr Haus regelmäßig von den schönen Herrschaften des Umlandes besucht, denn hier waren die Möbel, auf denen sich ausgetobt werden konnte, besonders widerstandsfähig. Sie verkauften Verhüterli an die Männer für deren Bettangelegenheiten und natürlich hölzerne Dödel. Die Kunden erfreuten sich an diesem Angebot, kamen in Scharen, und manchmal war auch einer dabei, der für gutes Geld den Fäustel aus dem Sack in sich spüren wollte – denn Geschmäcker sind verschieden. Der Schneider aber verschloss Nadel und Zwirn, Elle und Bügeleisen in einen Schrank und lebte fortan mit seinen drei Söhnen in Freude, Herrlichkeit und fortwährender Lust.

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Was aber aus der bösen Ziege wurde, willst du wissen? Reumütig und halb verhungert kam sie eines Abends zurück zur Familie. Die Söhne verziehen ihr jedoch nicht. Der Jüngste sägte ihr die Hörner ab, um daraus zwei besonders feine Dödel zu schnitzen, der Mittlere schlachtete das Tier und schuf aus dem Gedärm frische Verhüterli, der Älteste aber ließ sein bestes Bett mit ihrem Fell und Leder beschlagen. Sieh, wie Lug und Trug und Garstigkeit zu keinem guten Ende führen!

***

»Dieses Zauberbett, das Befriedigung schafft – handelt es sich um dasselbe, das bereits eine Rolle spielte?«, fragt Max. »Ihr wisst schon: in dem Märchen von einem, der auszog, um die Geilheit zu lernen.«

»Die Verknüpfung war nicht beabsichtigt«, gibt Arne zu.

»Ist aber reizvoll«, meint Giovanni.

»Was wir hier machen, tun sonst nur Pubertierende«, wirft Wilko ein, und auf unsere Frage, was er meine, doziert er. »Märchenfiguren sind, wie andere Charaktere aus Kinderbüchern auch, eher asexuell angelegt. Das stört die Kleinen nicht, aber Heranwachsende fangen oft an, sich Gedanken darüber zu machen. Wie sind die Mitglieder der Familie Duck eigentlich miteinander verwandt? Wie vermehren sich die Schlümpfe? Was wird aus Pippi Langstrumpf, wenn sie sich verliebt? Diese Sexualisierung findet meist gespeist von derbem Humor statt und dient dazu, eigene sexuelle Spannungen abzubauen und sich von den Helden der Kindheit zu verabschieden. Ich bin der Meinung, dass dieses Phänomen in der Psychologie auch einen Namen hat, aber der will mir gerade nicht einfallen.«

»Danke für die Expertise, Dr. Groll«, neckt Basil. »Du meinst also, wir benehmen uns zurzeit wie pubertierende Halbstarke?«

Wilko beteuert, dass er uns nichts vorwerfen wolle, wobei unsere Storys oft zwischen poetisch und pornografisch schwanken würden.

»Dass unsere Geschichten nicht kindgerecht sind, wissen wir«, lenkt Giovanni ein, »und ist auch völlig beabsichtigt.«

Er zwinkert uns zu und wir müssen alle lächeln.

»Jetzt, wo wir die trockene Theorie gehört haben«, ergreift Basil nochmals das Wort, »soll der Nächste erzählen. Wer will?«

Max möchte an die Reihe kommen und hofft, das beschworene Gleichgewicht zwischen Poesie und Pornografie halten zu können.

Der gestiefelte Schmusekater

Ein Müller hatte drei Söhne, dazu seine Mühle, einen Esel und einen Kater. Die Mühle musste mahlen, der Esel Getreide holen und Mehl forttragen und die Katze die Mäuse wegfangen. Als der Müller starb, teilten die drei Kinder die Erbschaft untereinander auf: Der älteste Sohn bekam die Mühle, der zweite den Esel und der dritte den Kater – weiter blieb für ihn nichts übrig. Da war er traurig und sprach:

»Ich hab es doch am allerschlimmsten gekriegt! Mein ältester Bruder kann mahlen, mein zweiter kann auf seinem Esel reiten, was soll ich aber mit dem Kater anfangen? Nicht mehr als ein Paar Pelzhandschuhe aus seinem Fell kann ich mir machen lassen, und dann ist’s vorbei.«

Wie er so dachte, legte er sich ins weiche Sommergras und überlegte, wie es sich wohl anfühlen würde, führe man mit pelzernen Handschuhen übers Gemächt.

›Gewiss schmeichelt das Weiche sehr‹, glaubte der junge Müllerssohn, ›und streife ich gegen den Strich, knistert und knastert es womöglich lustig dort unten!‹

Denn jener Müllerssohn litt an dem Laster der Jugend: Statt fleißig zu arbeiten, wanderten seine Gedanken stets und ständig zu Fragen der sinnlichen Belustigung, nämlich wo, wann und wie sein Gemächt am besten zu erheitern wäre. Schon sah er den Kater neben sich mit einem Blicke an, der entschlossener nicht sein konnte; und das Tier, welches den jungen Müllerssohn schon oft zwischen Korn und Mehlsäcken bei heimlicher Fummelei gesehen hatte, ahnte schnell, was in dem lasterhaften Kopfe vorging. Da sprach der Kater:

»Hör zu, du brauchst mich nicht zu töten, nur um ein Paar schlechte Handschuhe aus meinem Pelz zu kriegen. Ich werde dir lebendig viel besser zu Diensten sein!«

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Der Müllerssohn verwunderte sich, dass der Kater so sprach, und fragte:

»Ein Kater soll mir zu Diensten sein? Willst mir wohl Mäuse fangen, damit ich sie mir brate und gut davon lebe, und gemeinsam machen wir aus den Mausfellen einen schicken Wintermantel?«

»Ich weiß was Besseres«, grinste der Kater, sprang auf den Schoß des Müllerssohns und ließ sich sein Nackenfell kraulen. »Lass mir ein Paar Stiefel machen, dass ich ausgehen und mich unter den Leuten sehen lassen kann. Dann soll auch dir bald geholfen sein.«

»Und wovon soll ich die Stiefel bezahlen? Nichts als ein paar Groschen habe ich, mein guter Kater.«

»So hör auf meinen Rat. Oft schon sah ich dich in versteckten Ecken dein Gemächt mit den Händen und allerhand anderen Werkzeugen bearbeiten. Biete dem Schuster an, selbiges während des Hämmerns und Nagelns bei ihm zu tun! Dann wird er die Stiefel schon anfertigen und keinen Preis dafür verlangen.«

Der Müllerssohn zierte sich, denn er hatte noch nie daran gedacht, fremden Männern in die untere Gegend zu greifen. Aber der Kater sicherte ihm zu, dass jener Schuster gern auf solcherlei Geschäft eingehen würde. Auf den nächtlichen Streifzügen durchs Dorf, immer auf der Suche nach einer fetten Maus, hatte das Tier durchs Schuhmacherfenster gesehen, wie fröhlich und fidel der Meister mit seinem Gemächt umging.

»Du wärst nicht der erste Bursche, dessen flinke Hände ihm zu Hilfe eilen!«

Der Müllerssohn ward also überredet, ging mit dem Kater zum Schuster und ließ dem Tier ein Paar Stiefel anmessen. Wie der Meister die Leisten fertigte, kniete sich der junge Bursche nieder, krabbelte unter den Tisch, und ehe der Schuster wusste, wie ihm geschah, hatten die jugendlichen Hände kühn sein Gemächt umfasst und streiften die Haut darauf vor und zurück, hübsch im Takt zu Hammer und Nagel. Das gefiel dem Schuster und dem Burschen gleichermaßen, ebenso freilich dem Kater, der das Geschäft aufmerksam verfolgte und zufrieden schnurrte.

Als alles fertig war – die ungewöhnlichen Stiefel wiewohl die ungewöhnliche Bezahlung – lief der Kater mit dem Müllerssohn in den Wald, stülpte sich dort die Stiefel über die Pfoten und streckte sich. Und er streckte sich noch mehr. Weiter und breiter wurde das Tier, und dem Müllersburschen fielen beinahe die Augen aus den Höhlen vor Verwunderung, als sein Kater schließlich mannshoch vor ihm stand, aufrecht und mit menschlichem Antlitz. Nur der prächtige Schnurrbart unter der Nase und der lange, buschige Katzenschwanz unterm Steiß verrieten, dass es noch derselbe Kater war, den er vom Vater geerbt hatte.

»Wie kann das sein, dass du nun fast ein Mensch bist?«, fragte der junge Bursche.

»Das habe ich den Stiefeln zu verdanken«, antwortete der Kater, »und dir. Einen Mann musste ich finden, der mit mir spricht wie zu einem Menschen, und Stiefel musste ich haben, wie es einem Herren geziemt. Das hat mich zu zwei Dritteln von einem Fluch erlöst, der auf mir lastet.«

»So verrate mir, was nötig ist, um auch das letzte Drittel zu erfüllen«, bat der Müllerssohn.

»Ein feiner junger Bursche bist du«, lobte der Kater, »doch dazu ist jetzt nicht die Zeit. Merkst du nicht, wie dein Magen knurrt? Seit dem Tod deines Vaters hast du nichts Rechtes mehr gegessen. Lass mich für dich etwas besorgen, aber gib mir einen halben Tag Zeit!«

Damit war der Müllerssohn einverstanden. Der Kater besorgte sich einen Sack, festigte eine Schnur oben dran, womit man ihn zuziehen konnte, und warf ihn über den Rücken. Flugs, als ob er Siebenmeilenstiefel trüge, lief er damit in den Wald bis zu den hohen Kastanienbäumen. Dort breitete er den Sack aus und kletterte geschickt den Stamm hinauf.

Doch was hatte es damit auf sich? Nun, dazumal regierte ein König in dem Land, der sehr, sehr gern Kastanien aß. Er hatte aber große Not, weil keine zu kriegen waren. Der Wald stand zwar voll davon, aber das Schwarzwild war immer schneller als die Jäger, buddelte um die Kastanienbäume herum und fraß alle Früchte auf, bevor sie jemand hätte einsammeln können. Das wusste der Kater von seinen vielen Streifzügen her und dachte, er möge die Sache besser machen. Weil Bachen und Keiler nicht auf die Bäume klettern konnten wie er, fürchtete er sich nicht. Als sein Beutel auf dem Boden ausgebreitet war, sprang er von Ast zu Ast, schüttelte an den Zweigen und ließ die stacheligen Kastanien herunterpurzeln. Sie fielen auf den Sack, ihre Stachelhaut sprang auf und die braune Frucht kam zum Vorschein.

Viele Kastanien hatte der Kater bereits hinabregnen lassen, als seine feinen Ohren ein Grunzen in den Büschen vernahmen. Es wurde lauter und aus dem Gehölz trampelten dicke Wildschweine hervor, die sich gierig auf die Kastanien stürzen wollten. Allein der Kater wusste es besser, zog an der Schnur und hob damit den Beutel vom Boden in die Luft. Gleichzeitig schloss sich der Sack und die Kastanien waren darin vor dem Schwarzwild sicher. Die Keiler und Bachen glotzten blöde, als ihre Nahrung so plötzlich vor ihren Schnauzen verschwand; sie grunzten noch ein Weilchen und verzogen sich bald.

Der Kater sah sie davontrotten, kletterte vom Baum herunter, warf sich den Sack über den Rücken und ging geradewegs nach des Königs Schloss. Als die Wache ihn sah, rief sie:

»Halt! Wohin?«

»Zum König«, antwortete der Kater kurzweg.

»Bist du toll? Ein seltsamer Kauz wie du zum König? Was in aller Welt führt dich zu ihm?«

»Bin kein Kauz, bin ein Kater«, verbesserte der Gestiefelte gewitzt, »und bringe feinste Kastanien, das liebste Gericht unseres Herrschers.«

»So lass ich dich gehen«, sagte die Wache, »denn der König hat oft Langeweile, seit er sich nicht mehr an Kastanien erfreuen kann. Und wenn du dich für einen Kater dünkst, magst du ihm vielleicht mit deinem Schnurren und Lecken Zerstreuung bereiten.«

Als der Kater vor den König kam, verbeugte er sich so tief, dass sein Puschelschwanz nach oben stand, und sagte:

»Mein König, der Graf vom Mühlenberg« – und damit hatte er nur halb geschwindelt – »lässt sich Euch untertänigst empfehlen und schickt Euch hier köstlichste Kastanien, weil er hörte, dass Ihr um derentwillen darbet.«

Der König erstaunte über die schönen Kastanien, die rund und dick und braun auf seine festliche Tafel kollerten, und befahl, sie gleich zuzubereiten: Kastanienpüree solle es zur Hauptspeise geben, zuvor Kastanienflocken in Milch und hernach kandierte Kastanien, umhüllt von süßestem Zuckersirup. Bei diesem Speiseplan lief nicht nur dem König, sondern auch dem Kater das Wasser im Munde zusammen und sie leckten sich das Maul. Doch wie sollten sie sich die Zeit vertreiben, bis das Essen serviert war?

»Erzähl mir von diesem Grafen, ich hörte noch nie von ihm«, befahl der König. »Gern wüsste ich, wo solche köstlichen Kastanien wachsen, die mir kein arges Wildschwein hinwegfrisst!« Und dabei betastete er eine besonders dicke Kastanie, die er vor dem Küchenjungen zurückgehalten hatte und deren Form und Wohlgeruch seinen Appetit steigerte. »Wo liegt denn seine Grafschaft? In meinem Reich?«

»Nicht eben ganz, aber fast irgendwie doch«, wich der Kater gewandt aus, »hinter diesem Wald und über jene Berge hinweg, dort lebt er.«

»Und hat dein Graf noch mehr von diesen herrlichen Früchten?«

»Gewiss, und wenn Ihr Gefallen an ihnen findet, schickt er Euch mit Freuden nochmal so viele!«

Wie er das hörte, befahl der König gleich, dem Kater so viel Gold aus der Schatzkammer in den Sack zu tun, wie er tragen könne, und bat ihn, alles dem Grafen zu bringen und ihm für das Geschenk herzlichen Dank auszurichten. Der Kater tat erneut eine Verbeugung, ging aber nicht fort und der König erkannte schnell, wieso.

»Du bist vom langen Weg gewiss hungrig. Nun denn, ich lade dich ein, an meiner Tafel zu speisen, sobald die Kastaniengerichte aufgetragen werden. Ein Jammer, dass ich sie nicht roh vertrage!«

Und wieder betastete er die dicke Frucht in seiner Hand. Der Kater trat nah an ihn heran und flüsterte ihm ins Ohr:

»Manche Kastanie eignet sich eher für andere Belustigungen als jene des Gaumens. Dreht Euch nur herum und legt Euren Königsmantel ab. Ich werd’s Euch zeigen, wenn Ihr nur erlaubt!«

Neugierig geworden, kehrte der König dem Kater seine andere Seite zu, und mit gekonnter Zunge leckte und befeuchtete jener die Kastanie und zugleich die Rückpartie. Weil er nun aus seinem Katzenleben viel gelernt hatte, wusste er gar sanft und wendig sein Züngelchen zu nutzen und das königliche Tor öffnete sich bereitwillig, als die dicke, runde Kastanie einzutreten begehrte.

»Diese runde Frucht, sie füllt mich und scheint sich lustig zu bewegen in meiner Rückpartie«, staunte der König, und viel mehr staunte er darüber, welch großen Gefallen sein edles Gemächt daran fand. »Du kennst eine schöne Kunst, lieber Gast. Darf ich sie auch an dir verüben?«

Der Kater war willens, drehte sich herum und hob den buschigen Schwanz, damit der König unter seinen Steiß greifen konnte.

»Schiebt nur gleich mehrere Kastanien hinein! Ich mag es nämlich, wenn sie in mir fröhlich aneinander klicken und klacken!«

Sie begannen, miteinander zu spielen und immer neue Möglichkeiten zu suchen, wie ein Mann sich mit den Baumfrüchten erfreuen konnte. Dabei störte sich der Königs keineswegs am katzenhaften Gehabe seines Gastes. Zum einen hatte er in seiner langen Regentschaft schon viel Merkwürdiges gesehen und erlebt, zum anderen genoss er, wie flauschig und biegsam der Katerschwanz um ihn tänzelte, und das Schnurren klang wie Musik in seinen Ohren.

»Du bist mir ein rechter Schmusekater«, lobte er seinen Gast, »und ich freue mich schon auf deinen nächsten Besuch. Doch jetzt lass uns zusammen speisen, denn das Essen wird gerade aufgetragen!«

Sie schmausten vorzüglich, und fiel mal eine der milchigen Kastanienflocken vom Löffel auf den Bauch, knabberten sie sie sich gegenseitig aus dem Nabel; ward das Tor der Rückpartie zu trocken, half’s, mit dem Zuckersirup zu schmieren; und hielten sie es in ihrer unteren Gegend kaum noch aus, tunkten sie ihr Gemächt ins warme Kastanienpüree. Hernach leckten sie es sauber, bis aller Hunger – der des Magens und jener des Lasters – gestillt war.

Der arme Müllerssohn indes saß am Wald auf der Wiese, stützte den Kopf auf die Hand und dachte, dass er seinen guten Ruf ganz umsonst für die Stiefel des Katers weggegeben habe, denn der halbe Tag war herum und der seltsame Geselle war nicht zurückgekehrt. Eben wollte der junge Bursche aufstehen und den Ort verlassen, da trat der Kater hinzu, warf den Sack vom Rücken, schnürte ihn auf und schüttete das Gold aus:

»Da hast du etwas für die Stiefel; der König lässt dich auch grüßen und dir viel Dank sagen.«

Der Müllerssohn war froh über den Reichtum, ohne dass er noch recht begreifen konnte, wie es zugegangen war. Der Kater aber erzählte ihm alles, und dann sagte er:

»Du hast zwar jetzt Geld genug und kannst gleich ins Dorf laufen, um dir reiche Speise einzukaufen. Aber dabei soll es nicht bleiben, morgen sollst du noch reicher werden! Ich werde noch einmal zum König gehen, dem ich im Übrigen verraten habe, dass du ein Graf seist.«

»Das flunkerst du!«, rief der Müllerssohn erheitert aus, nahm etwas von dem Gold und ging ins Dorf, wo er sich mit den fettesten Würsten, dicksten Eiern und leckersten Broten eindeckte; auch zwei Flaschen Wein und ein Fässchen Bier vergaß er nicht.

Damit stieg er zurück zum Waldesrand, teilte alles redlich mit seinem Gesellen und legte sich dann, satt und zufrieden, ins Gras. Der Kater streckte sich neben ihn hin, und weil er wahrhaftig ein schmusiger Kater war, ließ er sich den kräftigen Nacken kraulen und streifte mit seinem Puschelschwanz über die Brust des Müllerssohnes. So schliefen sie, aneinandergehuschelt, ein.

Am andern Tag ging der Kater, wie er verkündet hatte, wohlgestiefelt wieder auf die Jagd nach Kastanien und brachte dem König einen reichen Fang. So ging es alle Tage, und der Kater brachte ein ums andere Mal Gold heim, und ward so beliebt wie keiner bei dem König, dass er aus- und eingehen durfte und im Schloss herumstreichen, wo er wollte. Einmal bat ihn der König, er möge seine Stiefel doch besser ausziehen, aber der Kater erklärte ihm:

»Sie liegen eng und fest um meine Waden und ich möchte das Gefühl von kühlem Leder und harten Sohlen nicht missen. Es ist ähnlich Eurer Gier nach Kastanien, auf die Ihr schwerlich verzichten möchtet.«

In Wahrheit aber verdeckten die Stiefel die tierischen Hinterläufe des Katers, die noch nicht von dem Fluch erlöst worden waren, der auf ihm lastete. Das wusste der König freilich nicht; nichtsdestotrotz verstand er die Wünsche des Katers und ließ ihn gewähren. Ja, er fand sogar Gefallen daran, bei den Speisespielchen immer wieder die Finger über das gute Stiefelleder streifen zu lassen, sie mit Kastaniencreme einzuwichsen und hernach abzulecken.

Ein andermal stießen König und Kater mit Kastanienlikör an und waren dabei, ihr hitziges Gemächt in einer Schüssel köstlichster Kastanieneisspeise zu kühlen, als der Gestiefelte aus dem Fenster sah und einen wunderschönen Jüngling im Schlossgarten erblickte, der einsam und traurig auf einer Schaukel hockte. Der König folgte den neugierigen grünen Augen und erklärte:

»Das ist mein Neffe, vielmehr der Sohn eines Vetters von mir, den sein Vater zu mir zur Zerstreuung geschickt hat. Er leidet an Schwermut und keiner meiner Diener und Wachen hat ihn jemals lächeln sehen. Nicht einmal der Kastanienpudding erheitert ihn, obwohl er unsereins so lustig ums Gemächt wackelt, wenn man selbiges hineintaucht!«

Der Kater erkannte gleich, dass dem königlichen Neffen die Schwermut nur mit einfühlsamem Schmusen vertrieben werden konnte. Er verriet dies jedoch nicht, sondern nahm Abschied vom König und eilte zum Müllerssohn, der mittlerweile dank all des Goldes ein gutes Zimmer gemietet hatte und sich warm und versorgt sah.

»Wenn du ein echter Graf werden willst und nicht mehr allein oder mit einem halben Kater schmusen möchtest, musst du die Kunst der Sinnlichkeit lernen! Komm mit zum Waldrand und bring den Sack mit, der uns schon so viel Glück gebracht hat!«

Obschon der junge Bursche nicht so recht wusste, wovon sein Geselle sprach, folgte er ihm auf die Wiese am Wald. Der Kater bat ihn, den Sack mit den feinsten Gräsern zu füllen, aber er möge jeden Halm einzeln pflücken und hineintun. Das dauerte sein Weilchen, und wie der Müllerssohn fertig war, erklärte ihm der Kater ungewohnt streng:

»Sehe ich dich fummeln, stellen sich mir die Nackenhaare auf! Grob scheuern deine Hände daran herum, ungestüm zwingst du dein Gemächt, sich auszuschütten. Kraulst du mir den Rücken, tust du es ähnlich harsch – ein wahrer Klotz bist du. Sich schämen nützt nichts, du stammst eben aus einer Mühle, rustikal und schroff war die Erziehung deines Vaters. Doch es kann nicht angehen, dass du nichts dazu lernen solltest. Höre mir also zu und tue, wie ich sage!«

Zuerst musste der Müllerssohn lernen, sein Gemächt nicht mit der ganzen nackten Hand zu scheuern, sondern lediglich die Fingerkuppen darauf hoch und nieder zu streifen. Unter der Langsamkeit, welche der Kater zudem verlangte, litt er arg, aber er schlug sich tapfer im Kampf gegen die grobe Ungeduld.

»Du musst nun lernen, dich im Beisein anderer möglichst gravitätisch zu bewegen, wie es ein Graf eben tut. Feingliedrig spielt er an den Kleidern seiner Liebschaften und zupft nicht schwerfällig daran herum. Würdevoll schwingt er das Becken und rummst es nicht mit aller Wucht in die nächstbeste Gegend. Nehmt nur den Sack, Euer Gnaden, und versucht Euch dran.«

»Euer Gnaden«, lachte der Müllerssohn, »lass doch diesen Ulk, Katerchen!«

»Es ist kein Ulk, und du musst dich an die Anrede ohnehin gewöhnen. Stell dir vor, der Sack wäre ein wunderschöner Jüngling, liebreich wie eine taufrische Blütenknospe. Seid jetzt gravitätisch, streichelt mit Würde, koset mit Nachsicht! Die Kunst der Einfühlsamkeit ist’s, welche allem Sinnlichen die Krone aufsetzt!«

Da musste der Müllerssohn mit dem Sack das Lieben üben und wehe ihm, wenn er auch nur einen Grashalm darin zerknickte oder gar auseinanderriss! Dann befahl ihm der Kater, den Beutel neu füllen und von vorn zu beginnen. Es dauerte die ganze Nacht und zwei Stunden mehr, bis der junge Bursche alle Ungeduld abgelegt und gelernt hatte, so behutsam wie nur irgend möglich seine Fingerkuppen über den rauen Stoff zu führen und sein Gemächt mit aller Würde und Erhabenheit in den Sack zu stecken, ohne auch nur ein einziges Hälmchen dabei zu verletzen.

»Vorzüglich«, lobte der Kater. »Euer Gnaden haben das Zeug zum erstklassigen Beschmuser – das lasst Euch von einem Kenner gesagt sein!«

Wider Erwarten freute den Müllerssohn dieses Lob, und kaum war der Kater verschwunden, um neue Kastanien zum Königsschloss zu bringen, übte er allein noch etwas mehr die Kunst der langsamen und jede Empfindung auskostenden Berührung. Indessen gelangte der Kater in der Küche des Königs an, da kam der Kutscher und fluchte:

»Ich wünschte, der König mit seinem Neffen wären beim Henker! Ich wollte gerade ins Wirtshaus gehen, mir ordentlich Mut ansaufen und der Wirtin an ihre festen Euter packen, die sie mir ständig beim Ausschenken vors Gesicht hält – da soll ich plötzlich die königliche Herrschaft an den See spazieren fahren.«

Wie der Kater das hörte, schlich er gleich wieder zurück zum Waldrand und sagte zum Müllerssohn:

»Die Gelegenheit ist günstig, dein Werdegang zum Grafen steht schneller bevor als gedacht! Komm mit mir hinaus an den See und bade dich darin.«

Der Müllerssohn wusste nicht, was er dazu sagen sollte; vom Baden war noch niemand Graf geworden. Doch folgte er dem Kater, denn das Wasser würde seiner Haut nicht schaden, ging mit ihm zum klaren See, zog sich splitternackend aus und sprang ins Nass.

»Es ist so spiegelblank, dass ich jede Pore meiner Haut darin sehen kann«, sagte er, »und kühl ist es auch, was bei der Hitze wohltut!«

»So tauche nur tief unter, auf dass du dich erfrischst und hübsch sauber wirst«, rief ihm der Kater zu.

Kaum war der junge Bursche untergetaucht, nahm sein gestiefelter Geselle seine Kleider, trug sie fort und versteckte sie unter einem Busch. Ausgerechnet jetzt kam der König dahergefahren. Der Kater fing sogleich an, erbärmlich zu jammern:

»Ach! Allergnädigster König! Mein Herr, der Graf von Mühlenberg, hat hier im See gebadet, und da ist ein Dieb gekommen und hat ihm die Kleider gestohlen, die am Ufer lagen. Nun ist der Herr Graf im Wasser und kann nicht heraus, und wenn er länger darin bleibt, wird er sich erkälten und sterben.«

Wie der König das hörte, ließ er haltmachen und beriet sich mit seinem Neffen. Er war dem Grafen, von dem er meinte, die Kastanien empfangen zu haben, gewogen und außerdem neugierig, ihn endlich kennenzulernen. Der Neffe schaute aus der Kutsche und sah den Kopf des jungen Burschen aus dem Wasser ragen. Es war ein schöner Kopf mit dichtem Haar und freundlichen Augen; um den wäre es schade gewesen, würde er aufgrund der nassen Kälte sterben.

»Lass uns ein jeder die Kleidungsstücke abwerfen, die wir entbehren können, ohne unehrenhaft auszusehen«, schlug der Jüngling seinem Onkel vor. »Daraus wird sich gewiss ein Anzug zusammenstellen lassen, der prächtig genug ist, dass jener Graf sich damit ausstaffieren kann.«

Also gab der eine seinen Kragen und sein Wams hin, der andere die Kniehose und Schnabelschuhe, alles aus vorzüglichem Tuch gefertigt, und der Kater brachte es dem vermeintlichen Grafen.

»Wenn Ihr erst trocken seid, dann macht der königlichen Gesellschaft höflichst Eure Aufwartung, um sie nicht zu prellen«, drängte er. »Steigt einfach in die Kutsche, Euer Gnaden, und seid hübsch artig zu des Königs Neffen. Ich bin gewiss, dass er über Euren Besuch nicht böse sein wird, denn beide seid Ihr jung und schön – das gefällt doch immer. Tut das Eure und lasst mich das Meinige tun. Vorauseilen will ich und dafür sorgen, dass wir den König in unserer Grafschaft ordentlich empfangen können.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang der Kater an die Kutsche, rief: »Mein Herr muss sich noch trocknen und wird bald zu Euch steigen, ich aber will schon den Empfang vorbereiten!« und lief davon. Der König wollte den Grafen aber nicht einfach allein draußen stehen lassen und schickte seinen Neffen zu ihm, um ihn abzutrocknen. Wie der Jüngling zu dem Burschen trat, wusste jener nicht recht, wie er in solch feiner Gesellschaft ein Gespräch zu führen hatte, dazu noch nackend. Der König, ein rechter Schwätzer, half ihm jedoch aus, indem er aus dem Kutschfenster sah und rief:

»Endlich schaue ich dem guten Freund ins Antlitz, der mich mit den köstlichsten Kastanien versorgt, die ich je gegessen habe! Mein Dank wurde doch hoffentlich jedes Mal geflissentlich übermittelt?«

»Oh ja, mein Katerchen, also mein Diener brachte mir verlässlich Eure Botschaft und das Gold, wofür ich mich wiederum bei Euch bedanken will.«

»Lasst gut sein, lasst gut sein. Meinen Neffen, vielmehr den Sohn meines Vetters, will ich Euch vorstellen. Mir scheint, er habe das gleiche Alter wie Ihr?«

Die beiden jungen Männer sahen einander an und keiner wusste, was zu sagen wäre. Der Neffe rieb mit einem Tuch die Wasserperlen von der reinen Haut des Burschen, genauso langsam und einfühlsam, wie der Kater es vormals dem Müllerssohn beigebracht hatte. Da hub der vermeintliche Graf vor Aufregung zu stottern an, denn unbedingt musste er verbergen, dass seine untere Gegend auf diese behutsamen Berührungen reagieren wollte.

»Ist Eure… Eure Fahrt ins Grüne denn eine… eine angenehme Abwechslung zum Königsschloss?«, fragte er schüchtern. »Ist das Wetter Eurer Majestät angenehm?«

Aber der König wollte nicht übers Wetter plaudern. Vielmehr bat der den Grafen, sich zur Erscheinung des Neffen zu äußern, denn ein paar Komplimente, so meinte der König, könnten die Schwermut lindern, die noch immer dem Jüngling anhaftete.

»Nun, er sieht freilich sehr schön aus… nett, wollte ich sagen…«, rang der junge Bursche um Worte und kriegte einen hochroten Kopf dabei.

Ebenso rot glühten die Wangen des Jünglings, denn er war mit dem Trockentuch an der Rückpartie angelangt und der Anblick reizte seine Augen.

»Eben, eben, das sage ich auch«, pflichtete der König bei, in der Hoffnung, sein Neffe würde sich darüber freuen. »Entzückend ist er, man möchte fast meinen, knusprig wie, ja wie…«

»Wie eine Kastanie?«, fragte der vermeintliche Graf und der König begann zu lachen.

Sein Neffe war aber über den Vergleich nicht erfreut und bat, man möge solcherlei Witz über ihn unterlassen. Da entschuldigte sich der junge Bursche, dass er niemanden habe kränken wollen. Er tat dies so ehrerbietig, ergriff dabei sogar die Hände des Jünglings, und der verzieh ihm, wohl angesichts der nackten Gestalt, schnell.

Nun erinnerte sich der Bursche der Lehrstunde des Katers, wollte den Augenblick nutzen und die Begegnung mit dem Jüngling als eine Prüfung ansehen; denn wann würde er auf eine weitere Gelegenheit stoßen, die von derartiger Sinnlichkeit war? Also ließ er seine Fingerkuppen über den Handrücken und das Gelenk des Neffen streifen und merkte, wie im Zuge dessen ein Lächeln über das schwermütige Gesicht huschte. Daraufhin bettete er die Hände des Jünglings behutsam auf seine Brust – das Trockentuch war schon längst unachtsam auf den Erdboden gefallen – und fuhr gemessenen Fingers die Arme entlang zu den Schultern. Zaghaft liebkoste er den Hals, den Nacken und die Kehle des königlichen Neffen, und erst als jener die Augen schloss und ein zweites Mal lächelte, legte er seine Lippen ganz flüchtig auf die des anderen.

Was nur ein Hauch eines Kusses war, entfaltete große Wirkung. Der Jüngling gab sich dem Burschen hin, der jede einzelne Stelle auf der unbekannten Haut nur für Bruchteile berührte, aber damit ein Verlangen auslöste, das beide bisher nicht gekannt hatten. Manchmal streiften die Nägel seiner Finger nur die Spitzen der fremden Härchen, und doch erschauerte der Jüngling dabei, als ob tausend gewaltige Sturmwinde um ihn wehen würden und ihn umblasen wollten.

Sie ließen sich auffallend lange Zeit für diese vorsichtige, gegenseitige Erkundung, bis sogar der König in seiner Kutsche merkte, dass etwas Eigentümliches vor sich ging. Als er erkannte, was das war, stutzte er zunächst, sah dann die Schwermut aus dem Gesicht des Neffen schwinden und gewährte darum den beiden ihr Tun. Mal schaute er hin, beeindruckt von der Kunstfertigkeit des Grafen; mal schaute er weg, beschämt, den eigenen Neffen, vielmehr Sohn des Vetters, in derartigem Zustande zu sehen.

Erst als es für den jungen Burschen nichts mehr zu tun gab, weil die Schwermut endgültig dem königlichen Neffen entwichen war, legte er sich die neuen Gewänder über die getrockneten Schultern und bewegte sich in ihnen sogleich um vieles gravitätischer als vormals in seinen bequemen, aber rauen Müllerkleidern.

»Setz Er sich nur gleich zu uns in die Kutsche«, rief der König, »auf dass wir unsere Bekanntschaft vertiefen und, wie von Eurem Diener vermerkt, in Eure Grafschaft zum Empfang fahren!«

Der Graf von Mühlenberg erwiderte höflich:

»Herr König, ich muss Euch verbunden sein für die Hilfe, die Ihr mir zustatten werden ließet, als ich dort im See, ganz nackt und ohne Kleider, nicht wusste, wohin…«

Der König aber beschwichtigte seinen Gast, es müsse keine Rede davon sein, da er einem Freund gern aus der Not geholfen habe. Und indem die Kutsche weiterfuhr und der König von diesem und jenem schwätzte, betrachteten sich Neffe und Graf schweigend und einträchtig.

Der Kater war mittlerweile weit vorausgelaufen und zu einer großen Fichtenschonung gekommen, wo sich über hundert Leute befanden und Nadeln sammelten. Er fragte die fleißigen Leute, wem diese Fichtenschonung gehöre, und sie antworteten:

»Sie gehört dem großen Zauberer. Allabendlich legt er sich in die spitzen Fichtennadeln und lässt seine Haut durchbohren, weil ihn der piksende Schmerz erquickt. Ist er völlig von Stichen übersät, kann er erst recht schlafen.«

Ein absonderlicher Zauberer, dachte sich der Kater, hielt sich aber nicht lange mit Nachdenken auf, sondern rief den Leuten zu:

»Hört, bald wird ein König vorbeifahren. Wenn er fragt, wem die Fichten gehören, so antwortet: dem Grafen von Mühlenberg. Und wenn er fragt, wofür die Fichtennadeln gesammelt würden, erzählt ihm, man koche daraus Öl, mit dem der Graf sich einreiben und seine Haut duftend und anschmiegsam machen wolle! Tut ihr’s nicht, werdet ihr nimmermehr der Macht des Zauberers entkommen!«

Die schneidigen Worte beeindruckten die Nadelsammler und in der Hoffnung, den Zauberer los zu werden, willigten sie in des Katers Vorschlag ein. Der ging darauf weiter und kam an einen Rosenhag, wo mehr als zweihundert Leute die Früchte und Blüten von den Zweigen schlugen und die dornenreichsten auf einen Wagen luden. Auf seine Frage, wem der Rosenhag gehöre, antworteten die fleißigen Leute:

»Er gehört dem großen Zauberer. Allmorgendlich badet er sich in den spitzen Dornen und lässt sich stechen. Ist er ganz von brennenden Spuren übersät, wird er erst recht wach.«

Ein wirklich absonderlicher Zauberer, dachte sich der Kater erneut und rief den Leuten zu:

»Hört, gleich wird ein König vorbeifahren, und wenn er fragt, wem der Hag und die Rosenstöcke gehören, so antwortet: dem Grafen von Mühlenberg. Und wenn er fragt, was ihr hier tut, so sammelt ihr die weichen Blütenblätter, mit denen der Graf seine Bettstatt füllt, damit er behaglich darin schlummern kann! Tut ihr’s nicht, werdet ihr nimmermehr der Macht des Zauberers entgehen!«

Die forschen Worte beeindruckten die Dornensammler und in der Zuversicht, den Zauberer bald los zu sein, willigten sie in den Vorschlag ein. Der Kater bemühte seine Stiefel noch einmal, lief weiter fort und gelangte bald an des Zauberers Schloss, trat kecklich hinein und direkt vor ihn hin. Der Zauberer sah ihn verächtlich an und fragte brummend, was er wolle. Der Kater verbeugte sich galant, wackelte mit dem Puschelschwanz und sprach:

»Verehrter Zauberer, ich habe gehört, dass Ihr schon viele hundert Jahre in diesem Schlosse wohnt. Das erscheint mir aber ganz unmöglich, und deshalb bin ich gekommen, um mich selbst zu überzeugen.«

Der Zauberer erwiderte stolz:

»Nun siehst du mich und glaubst es wohl, denn einhundert, zweihundert oder fünfhundert Jahre zu leben, ist für Zauberer wie mich eine Kleinigkeit.«

Der Kater stellte sich verwundert und entgegnete mit aller Hochachtung:

»Das ist unglaublich und unerhört, desgleichen hätte ich mir nicht im Traume gedacht; und dabei ist Euer Haar nur im Ansatz ergraut und Euer Bart nur so lang wie der eines Achtzigjährigen. Eieiei, wenn ich’s nicht besser wüsste, meinte ich, dass Ihr mich zum Narren hieltet.«

Da schaute ihm der Zauberer böse ins Gesicht, doch der Kater ließ sich nicht unterkriegen und fuhr in noch unterwürfigerem Ton fort:

»Versteht, was Euer ergebenster Diener meint, werter Zauberer. Wäre ich Euren Künsten mächtig, gäbe ich mich nicht zufrieden, wie ein würdevoller Weiser auszusehen, um mein Alter zu verbergen. Hochmütig wäre ich und eitel genug, mein Aussehen viel jünger und frischer zu machen – gleich eines verwegenen Haudegens. Aber dafür reicht vielleicht Eure Macht nicht aus?«

»Das ist gar nichts«, höhnte der Zauberer und verwandelte sich, um seine Kunst unter Beweis zu stellen, in einen jugendlichen Recken, der in engen Strümpfen daherschritt, mit seiner Kraft protzte und siegessicher an sein Gemächt griff. »Dies ist meine Waffe, mit der ich großmäulige Zweifler wie dich aufspieße und zum Winseln bringe.«

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»Ei, was seid Ihr plötzlich fesch und draufgängerisch«, lobte der Kater, drehte dem Zauberer seine Rückpartie zu und lud ihn ein, seine Verwegenheit sogleich auszuleben.

Das tat der Haudegen augenblicklich, sprengte mit seiner spitzen Waffe das Katertor und bohrte, sich an Stiefel und Puschelschwanz festhaltend, immer wieder voran, bis sein Gast wirklich und wahrhaftig winseln musste.

»Welch Kampfesmut, welch Waghalsigkeit«, lobte der Kater, und angetan von diesen Schmeicheleien glaubte der Haudegen, er müsse ihm noch weitere Kunststücke zeigen.

Er packte ihn bei den Flanken, hob ihn an und trug ihn auf seiner Waffe herum, die in ihrem Stechen und Spießen nicht innehielt, und bewies somit die Stärke seiner Glieder. Er legte ihn quer über den Thron, die Beine anhebend, sodass der Kater kopfüber zu Boden hing und sein Barthaar das blanke Parkett streifte. Auf diese Weise glaubte der Recke, mit Kühnheit und Schwung beeindrucken zu können. Es folgten noch andere verwegene Positionen, einfallsreiche Ortswechsel und turniergleiche Verrenkungen. Doch allzu schnell aus der Puste gekommen, zog der Zauberer bald sein Gemächt wieder ganz aus des Katers Tor heraus, denn jugendliche Kraft kommt zwar protzend daher, hält aber, wie man weiß, nicht allzu lange an. Der Kater nutzte den Moment und hub von Neuem an:

»So kühn und frisch gefallt Ihr, möchte ich meinen, vielen Eurer Untertanen. Ich bewundere, wie jung Ihr Euch in Eurem Alter noch zaubern könnt. Freilich, noch jünger ginge es nicht mehr. Zwar sähe ich gern einen schüchternen Knaben vor mir, der noch am Erblühen ist, aber das wäre zu viel verlangt.«

Der Zauberer aber wollte sich keinen Vorwurf machen lassen, seine Macht wäre begrenzt, und schon stand kein fescher Haudegen mehr vor dem Kater, sondern ein graziler Knabe, der anmutig um den Kater tänzelte und sprach:

»Siehst du, wie jung ich sein kann, wenn ich’s nur will? Ach, wie lang ist’s her, als man nichts als eine Knospe war, kaum reif genug, um die Früchte der Sinnlichkeit zu ernten.«

Und den mächtigen Zauberer überkamen all jene vergessenen Gefühle der ungestillten Sehnsucht und Neugier, die jeder Knabe in seiner Reifung durchmacht, und einem lernwilligen Schüler gleich ließ er sich auf die kundige Lehre des Katers ein, der ihm nun Meister war und seinerseits zeigte, wie man in das verschlossene Tor der Verheißung stieß. Hände, ehemals mannhaft und zupackend, wurden zu samtenen Pfötchen; lockende Bewegungen, die zuvor noch unersättlich nach Kampf und rauflustigem Tollen aufforderten, waren nun geschmeidig und voll der sanften Hingabe. Völlig andere Laute drangen jetzt durch das Schloss; kein verwegenes Gestöhn eines Haudegens entfuhr dem Zauberer mehr, sondern liebliches Seufzen, als der Kater sich über ihn beugte und Stück für Stück sein keckliches Gemächt in den Knaben schob. Jener hatte die Augen verschlossen, biss sich auf die eigene Lippe und schmuste verträumt mit dem buschigen Schwanz, der sich um das junge Gesicht legte. Sein Ziel verlor der Kater jedoch bei all dem reizvollen Treiben nicht aus den Augen. Er beugte den Kopf nah an des Knaben Ohr, dass die feinen Barthaare ihn berührten, und wisperte:

»Ihr zeigt mir eindrucksvoll, wie jung Ihr Euch zaubern könnt, wenn Ihr nur wollt, und ich wage kaum zu denken, dass es noch jünger ginge. So jung als irgend möglich müsste man sich zaubern können, um sein Leben von vorn zu beginnen und doppelt auszukosten – das wäre etwas, doch selbst ein mächtiger Mann wie Ihr müsst da an Grenzen stoßen.«

Die Worte schlugen nicht fehl: Im Herzen des Zauberers mischte sich das kindliche Verlangen zu widersprechen mit dem Starrsinn des Alters. Er drückte den Kater von sich, sprang auf und höhnte:

»Süß klingen deine Worte, doch sind sie hohl. Denn wisse, du liebes Kätzchen – ich vermag alles! Alles, was ich will!«

Und der Knabe verschwand und der Kater musste seine scharfen Augen anstrengen, um statt seiner auf dem Schlossboden den kleinen, weißen Fleck zu erkennen. Das war nun eines von jenen Pfützchen, aus denen, geraten sie zur rechten Zeit in die fruchtbare Gegend eines Weibes, irgendwann ein graziler Knabe oder fescher Haudegen erwachsen konnte.

»Nur sehe ich hier keine einzige Frau, die sich bereitwillig auf diesen Fleck hocken würde«, grinste der Kater. »Also will ich ihn lieber entfernen, bevor meine Herrschaft eintrifft und ein schmutziges Schloss vorfindet.«

Sprach’s, war mit einem Sprung an dem Pfützchen und schleckte es auf.

Der König aber war mit dem Grafen und dem Neffen weiter spazierengefahren und kam zu der großen Fichtenschonung.

»Wem gehören all die hohen Fichten und was tut ihr mit den Nadeln, Leute?«, fragte er.

»Die Schonung gehört dem Grafen von Mühlenberg«, antworteten sie alle, wie ihnen der Kater befohlen hatte, »und die Nadeln werden zu Öl gekocht, womit er sich die geschmeidige Haut einreibt, auf dass sie gut dufte.«

»Da habt ihr ein schönes Stück Wald, Herr Graf«, sagte der König zu dem Burschen und der Neffe strich vorsichtig über dessen Hände. Danach kamen sie an den Rosenhag.

»Wem gehören all die Rosenstöcke und was sammelt ihr da, Leute?«

»All dies gehört dem Grafen von Mühlenberg, und wir sammeln weiche Blüten für sein Bett.«

»Ei, Herr Graf, liebreiche Rosen wachsen bei Euch, ein schöner Hag!«, lachte der König. »Ihr müsst ein reicher Mann sein und gute Gärtner haben, denn ich glaube nicht, dass ich so prächtige Blumen habe.«

Der Neffe indes schwieg, legte aber seinen Kopf auf die Schulter des Burschen.

Endlich kamen sie an das Schloss. Der Kater stand oben an der Treppe, und als die Kutsche unten hielt, sprang er herab, öffnete die Türe und sagte:

»Herr König, Ihr gelangt hier in das Heim meines Herrn, des Grafen von Mühlenberg, den diese Ehre für sein Lebtag glücklich machen wird.«

Der König stieg aus und verwunderte sich über das prächtige Gebäude, das fast größer und schöner war als sein eigenes Schloss. Und auch der Graf verwunderte sich; zwar nicht über sein neues Zuhause, denn an die Wundertaten seines Gesellen hatte er sich gewöhnt, sondern über den Kater selbst, der nun gar kein Kater mehr war, sondern ein richtiger Mensch. Kein buschiger Schwanz wackelte mehr überm Steiß, der Bart war edel und mannesgleich und die Beine, die in den ledernen Stiefeln staken, waren ohne Fell und Krallen.

»Lieber Müllerssohn«, wisperte ihm der ehemalige Kater ins Ohr, »ich habe dank deiner Hilfe den Abkömmling jener bösen Fee besiegt, die mich einst zum Leben als Kater verfluchte. Ihre Linie ist getilgt und darum bin ich endlich erlöst und du siehst nichts Tierisches mehr an mir.«

Der Graf aber wusste, dass er genauso viel und mehr seinem Gesellen zu verdanken hatte, drückte ihn ans Herz und schwor ihm ewige Freundschaft. Dann führte er des Königs Neffen die Treppe hinauf in den Saal, erkundete mit ihm das Schloss und schlief mit ihm auf einem weichen Blütenbett ein. Des Morgens badeten sie in Fichtennadelöl, versprachen sich einander und ernannten den gestiefelten Freund zum ersten Minister für Schmusangelegenheiten.

Da ward die Hochzeit bald gefeiert und es gab Kastanien in vielfältiger Form, an denen die Gäste sich labten und dabei den gewitzten Worten des ersten Ministers lauschten. Aber ich war nicht dabei und darum brauchst du’s auch nicht zu glauben.

***

Die Gesellschaft amüsiert sich prächtig und einige von uns stellen den Habitus des katerhaften Liebhabers spielerisch nach. Giovanni ergreift die Gelegenheit, um seine Erzählung darzubieten.

»Wo es gerade um Tiere ging, will ich ein Tiermärchen präsentieren«, sagt er. »Ich widme es allen Märchenprinzen – oder sollte ich eher sagen, Bärchenprinzen?«

Wir lachen.

»Ob es wirklich um echte Bären geht oder das Ganze ein Code ist, mag jeder von euch für sich entscheiden.«

Die Liebschaft der Bärchen

Es war einmal ein alter Bär, der nicht nur mit einem, auch nicht mit zwei, sondern mit drei Bürzeln gesegnet war. Ihm lief eines Tages ein Junges zu, das war von zu Hause fortgejagt worden und irrte in der Welt umher, nach Geborgenheit und Schutz suchend. Der alte Herr Bär empfand tiefe Zuneigung zu dem Jungen und nahm es bei sich auf. Und weil sie sich gut verstanden und ihre Tatzen gern im Pelz des anderen tummeln ließen, wurde der Alte dem Jungen nicht nur ein liebender Vater, sondern auch ein väterlicher Liebhaber. Schon bald tuschelte und flüsterte man im Walde über die beiden. Die einen schüttelten den Kopf ob der vielen Jahre, die zwischen Bär und Bärchen lagen. Die anderen mochten es nicht begreifen, warum das Junge sich keine Gefährtin suchen wollte. Das ging so für einige Zeit und eines Tages, als das Bärchen gerade nicht da war, kam der dünne Otter zur Höhle und sprach zu dem Alten:

»Höre, Gevatter, ein derart unreifes Junges aufzunehmen, kann nur zu Schaden führen. Woher weißt du, dass dein Bärchen nicht nur deinen Wohlstand begehrt? Woher weißt du, dass es nicht hinter deinem Rücken mit anderen Jungen in seinem Alter poussiert?«

Er redete dem alten Bären solange zu, bis der glaubte, sein Bärchen wäre ihm nicht treu und müsse eine geheime Liebschaft haben. Als der Otter gegangen war, streckte er sich unter die Bank, regte keine Tatze mehr und stellte sich mausetot. Das Bärchen kam nach Hause und ein Nachbar, der hagere Wolf, begleitete es, denn sie wollten den Abend zu dritt gemütlich am Feuer verbringen. Wie es aber den Alten unter Bank liegen sah, stürzte das Bärchen in seine Kammer, verschloss die Türe und weinte bitterlich in sein Kissen. Der Wolf war ebenfalls erschrocken, doch begann er nach kurzer Zeit, die Höhle zu säubern, Butter in die Pfanne zu hauen und das Essen zu braten.

»Spricht es sich herum, dass der alte Bär gestorben ist, so werden bald die Trauergäste kommen«, sagte er sich, »da muss der Leichenschmaus bereitstehen.«

Weil aber die Höhle schnell blank geputzt war und das Essen friedlich im Herde brutzelte, langweilte sich der Wolf bald und begann, mit seinen Pranken an sich herumzuspielen und die übrig gebliebene Butter an ungehörigen Stellen zu verteilen.

Derweil wurde im ganzen Wald bekannt, dass der alte Bär gestorben sei. Anstatt trauernder Freunde kamen jedoch vielerlei Freier, die um die Gunst des jungen Bärchens buhlen wollten. Der Wolf hörte es vor der Höhle klopfen, ging zum Eingang und machte auf. Es war der Otter, der dort stand und sprach:

»Wie geht es, Meister Isegrim?

Ist alles gut? Ist alles schlimm?«

Der Wolf ließ den Otter in die Höhle und erwiderte:

»Ich wache und warte im Trauerhaus

und brate und brutzle den Leichenschmaus.

Tu Butter in mein Weidloch rein.

Will der Herr mein Gast dort sein?«

Von diesem Willkommensgruße ließ der Otter sich nicht zweimal locken und balzte munter mit dem Wolf. Doch vergaß er über allem nicht sein Anliegen und fragte, wie es denn dem Bärchen gehe. Hechelnd antwortete der Wolf:

»Es sitzt in der Kammer,

beklagt seinen Jammer,

weint sich die Äuglein nass und rot,

denn sein alter Bär ist tot.«

Da bat der Otter, während er noch immer den Wolf bestieg, ob das Bärchen nicht einen Freier zu sich lassen wolle. Und hechelnd jaulte der Wolf, mit dem Otter tief in seinem Weidloch, laut genug, damit das Bärchen es höre:

»Junges Bärchen, vor deiner Tür

wartet ein brünstiger Otter hier.«

Und von der anderen Seite der Tür ertönte die junge Stimme:

»Wie sieht er denn aus? Hat er auch drei so schöne Bürzel wie mein verstorbener Bär?

Einen zum Stecken,

einen zum Schlecken,

den dritten, den ich mit den Tatzen kann strecken?«

Als der Wolf verneinte und meinte, der Otter habe nur einen Einzigen, wehrte das Bärchen ab und wollte den Freier nicht haben. Der Otter stieg vom Wolf herunter und zog verdrossen von dannen. Aber schon klopfte es erneut vor der Höhle. Der Wolf ging hin und machte auf. Es war ein Hündchen, das dort stand und mit zwei Ruten wedelte. Es sprach:

»Wie geht es, Meister Isegrim?

Ist alles gut? Ist alles schlimm?«

Der Wolf führte das Hündchen in die Höhle und erwiderte:

»Ich wache und warte im Trauerhaus

und brate und brutzle den Leichenschmaus.

Tu Butter in mein Weidloch rein.

Will der Herr mein Gast dort sein?«

Das Hündchen fühlte sich von diesem Willkommensgruße geschmeichelt und besprang kühn den hageren Wolf. Doch vergaß es über allem nicht sein Anliegen und fragte, wie es denn dem Bärchen gehe. Hechelnd antwortete der Wolf:

»Es sitzt in der Kammer,

beklagt seinen Jammer,

schluchzt sich die Kehle stumpf und rau,

der Bär liegt tot in seinem Bau.«

Da bat das Hündchen, ohne von dem Wolf zu lassen, ob das Bärchen ihn nicht als Freier empfangen wolle. Und hechelnd jaulte der Wolf, mit dem Hündchen an seinem Weidloch ruckelnd, laut genug, damit das Bärchen es höre:

»Junges Bärchen, vor deiner Tür

wartet ein brünstiges Hundetier.«

Und von der anderen Seite der Tür ertönte die junge Stimme:

»Wie sieht er denn aus? Hat er drei wedelnde Ruten, wie mein verstorbener Bär schöne Bürzel hatte?

Eine zum Stecken,

eine zum Schlecken,

die dritte, die ich mit den Tatzen kann strecken?«

Der Wolf verneinte und meinte, das Hündchen habe nur zwei Ruten, aber die wären beide dick und krumm und bohrten gerade in seinem Weidloch herum. Doch dem Bärchen konnte das nicht imponieren. Es wehrte ab und wollte den Freier nicht. Das Hündchen sprang vom Wolf herunter und lief missgestimmt in den Wald zurück. Nun glaubte der Wolf, er könne sich von dem Balzen erholen, doch weit gefehlt. Es klopfte zum dritten Male und diesmal stand ein strammer Eber vorm Eingang, der hatte drei Ringelschwänze, die er stolz präsentierte. Auch er sprach:

»Wie geht es, Meister Isegrim?

Ist alles gut? Ist alles schlimm?«

Der Wolf ließ den Eber eintreten und erwiderte:

»Ich wache und warte im Trauerhaus

und brate und brutzle den Leichenschmaus.

Tu Butter in mein Weidloch rein.

Will der Herr mein Gast dort sein?«

Der Willkommensgruß tat abermals seine Wirkung. Der Eber zögerte nicht und rauschte in die offene Tiefe des Wolfrumpfes. So flink und fidel er auch seine drei Ringelschwänze abwechselnd hineinstieß, er vergaß darüber nicht sein Anliegen und fragte, wie es dem Bärchen gehe. Hechelnd antwortete der Wolf:

»Es sitzt in der Kammer,

beklagt seinen Jammer,

weint sein weiches Kissen nass,

denn sein Bär, der biss ins Gras.«

Da bat der Eber, ohne in seinem Rauschen zu ruhen, ob das Bärchen ihn nicht zum Freier wählen wolle. Und hechelnd jaulte der Wolf, mit dem Eber auf seinem Rückgrat, laut genug, damit das Bärchen es höre:

»Junges Bärchen, vor deiner Tür

wartet ein brünstiger Eber hier.

Der Ringelschwänze hat er drei,

lässt fragen dich, ob du noch frei!«

Das Bärchen stellte sein Schluchzen ein und rief:

»Wenn er denn wahrhaft drei Ringelschwänze hat, so will ich ihm meine Gunst schenken!«

Er öffnete die Kammertür, lief auf den Eber zu und zählte die Ringelschwänze. Und weil es tatsächlich drei waren, umschlang er den Freier und ermutigte ihn, sie gleich an ihm zum Einsatz zu bringen.

»Ein Schwänzchen zum Stecken!«, sang das Bärchen und setzte sich auf das Ringelschwänzchen in der Mitte. »Ein Schwänzchen zum Schlecken!«, fügte es hinzu und nahm das zweite Ringelschwänzchen gierig in sein triefendes Schnäuzchen. »Und eines will ich mit den Tatzen strecken!«, sagte es mit vollem Maul, fasste das dritte Ringelschwänzchen und zog daran, bis der Eber laut grunzte.

Der Wolf begaffte die beiden und dachte bei sich, dass aus dem Leichenschmaus wohl noch ein Hochzeitsbankett werden mochte. Als aber der Eber das Bärchen mit zu sich nehmen wollte, regte sich der alte Bär unter der Bank, stieß ein wütendes Gebrüll aus und warf sich prügelnd auf die Eindringlinge. Wolf und Eber flohen unter Schmerzensschreien, das Bärchen aber wurde zur Strafe in einen engen Käfig gesperrt, worin es der alte Bär darben lassen wollte. Erst nach drei Tagen besann er sich, denn er hatte gesehen, wie die Tränen des Bärchens über den dichten Pelz auf Brust und Schenkel liefen und ihm einen seidigen Glanz gaben. Da zuckte es dem alten Herrn Bär in den Krallen, und nicht nur dort, und ganz ergriffen ward sein Herz, und nicht nur das. Also öffnete er den Käfig und feierte mit dem Bärchen eine Versöhnung, die Stunde um Stunde dauerte. Als der dünne Otter von alldem hörte, verließ er wohlweislich den Wald – wusste er doch, dass im Grunde er an dem ganzen Ärger Schuld gehabt hatte.

38_Baer

Bär und Bärchen lebten fortan viele Jahre glücklich miteinander in ihrer Höhle. Doch es kam die Zeit, als der Alte seine Augen wirklich für immer schließen musste und verstarb. Das Bärchen blieb allein zurück und trauerte lang um seinen väterlichen Liebhaber. Es war aber mittlerweile selbst zu einem stattlichen Tier herangewachsen, das im ganzen Wald gern gesehen war, und so nimmt es nicht wunder, dass schon bald nach dem Tode viele Freunde kamen, die gern den Platz des alten Bären einnehmen wollten. Zuerst kam der Wolf, der sich noch gut an den Tag erinnerte, als er dreimal hintereinander sein Weidloch gebuttert hatte, um Gäste zu empfangen. Er verbeugte sich vor dem Bärchen und sprach:

»Bewein nicht länger deine Not,

ist der alte Bär auch tot.

Willst du einen neuen Mann,

sieh den Isegrim dir an.

Dich begatten, ja er kann’s,

hat er auch nur einen Schwanz.«

Dem Bärchen stand aber nicht der Sinn nach dem hageren Wolf und es meinte traurig:

»Du kannst mir nicht dienen. Hab Dank und geh!«

Der zweite Besucher war ein Hirsch, der hatte ein prächtiges Geweih, um dessentwillen man ihn überall bewunderte. Er verbeugte sich vor dem Bärchen und sprach:

»Bewein nicht länger deine Not,

ist der alte Bär auch tot.

Sieh meine Enden, meine Sprossen.

Es jubelt der, wer sie genossen!«

Dem Bärchen stand aber nicht der Sinn nach dem prahlerischen Hirsch und es meinte:

»Stoß dir dein Gehörn anderswo ab, du kannst mir nicht dienen. Hab Dank und geh!«

Und es kamen noch ein gestreifter Dachs mit weichem Wuschelhaar, ein schlauer Fuchs mit feuriger Lunte und ein schmiegsamer Luchs mit abstehendem Stummel, doch alle wurden vom traurigen Bärchen fortgeschickt. Die Jahre gingen ins Land, das Bärchen alterte und war bald ein grauer, betagter Bär, wie einstmals sein verstorbener Liebhaber es gewesen war. Da lief ihm eines Tages ein Welpe zu, der war von seinem Rudel verstoßen worden und irrte in der Welt umher, nach Schutz und Geborgenheit suchend. Das alte Bärchen empfand tiefe Zuneigung zu ihm und nahm ihn bei sich auf. Und weil sich die beiden gut verstanden und ihre Tatzen und Pfoten gern im Pelz des anderen tummeln ließen, wurde der Bär dem Welpen nicht nur ein liebender Vater, sondern auch ein väterlicher Liebhaber. Und sofern der Otter nicht wieder in den Wald zurückgekehrt war, um Unfrieden zu stiften, lebten sie wohl zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.

***

»Da kriegt man richtig Lust, sich in ein warmes Fell zu kuscheln, wenn man dir so zuhört«, lächelt Margarete.

»Wenn du die Nachtwache im Türmchen mit mir teilen möchtest«, zwinkert Giovanni zurück, »eine Decke hätte ich oben da.«

Charles kündigt an, den vierten Beitrag des Abends zu stellen.

»Ich möchte gleich drei Märchen erzählen, die alle von den Wichtelmännchen handeln«, sagt er. »Sie sind kurz, keine Sorge. Und nicht wundern: Ich habe die Bezeichnung für die Protagonisten ganz dezent umgetauft.«  

Die Wichselmärchen

Erstes Märchen: Der Wichselmänner Hilfe

Es war ein Krämer ohne seine Schuld so arm geworden, dass er kaum noch einen Taler in seiner Kasse wusste und sich nachts im Bette wälzte ob all der Not, die auf ihn zukam. Er lebte ganz allein und hatte niemanden an seiner Seite, die Sorgen mit ihm zu teilen. Arm wie er war, traute er sich nicht, jemanden ins Vertrauen zu ziehen oder um Beistand zu bitten, obwohl er ein ansehnlicher Mann war, dem wohl so mancher Jüngling einen heimlichen Blick hinterherwarf. Eines Tages hatte der Krämer beschlossen, seinen Laden für immer zu schließen, als kurz vor Sonnenuntergang ein großer, glatzköpfiger Herr hineinplatzte. Der Krämer erschrak, denn es war der reiche Schultheiß. Der sah ganz abgehetzt drein und rief aus:

»Mein Lieber, Ihr seht mich in großer Not! Einen jungen Diener habe ich unter meinem Gefolge, der schon lange meine Lüste weckt. Morgen will ich ihn zu mir ins Schlafgemach bitten, doch habe ich keine verführerische Nachtwäsche, in der ich ihn empfangen kann. Eng müsste das Höschen an meinem Schaft liegen, damit man dessen Umrisse schon von Weitem gut erkennen kann, und meine prallen Backen sollten zur Geltung kommen. Brust und Arme habe ich in Leibesertüchtigungen gestählt, auf dass der junge Diener sich gern daran schmiegt; auch dies muss Eure Nachtwäsche berücksichtigen. Könnt Ihr mir so etwas anbieten, habt Ihr das auf Lager? Dies ist der letzte Laden, an den ich mich in meiner Sorge wende!«

Der Krämer hatte Mitleid mit dem Schultheiß und versprach, bis zum morgigen Tage zu versuchen, eine verführerische Nachtwäsche zu beschaffen. Der Schultheiß schüttelte ihm dankbar die Hand und ging ermutigt aus dem Laden. Der Krämer sah der großen Gestalt noch lange hinterher, schloss dann den Laden zu und setzte sich an das letzte Stück Gewebe, das ihm geblieben war, um es zu einem Nachthöschen zuzuschneiden. Nur wollte es ihm nicht recht gelingen, denn zu wenig wusste er von verführerischer Wäsche und er schämte sich auch, Backen und Schaft zur Geltung zu bringen.

»Um zu schneidern, wie der Schultheiß es verlangt, muss ich zunächst ruhen und schlafen«, sagte er sich schließlich. »Morgen will ich mit dem ersten Hahnenschrei aufstehen und die Wäsche zu Ende bringen.«

Er ging also zu Bette und schlief ein. Morgens, nachdem er sein Geschäft verrichtet hatte und sich zur Arbeit niedersetzen wollte, lag die Nachtwäsche ganz fertig auf dem Tisch. Das Höschen war sehr gewagt geschnitten und bot eigens eine enge Falte an jener Stelle, wo der Schaft zu sitzen pflegt. Der Krämer besah sich das Höschen näher und war erstaunt, als er es umdrehte: Zwar umschlossen die Bünde Rücken und Schenkel, doch die prallen Backen blieben frei und würden sofort sichtbar sein. Das Oberteil lag daneben und bedeckte zwar die Schultern, doch nicht die Arme, sodass deren Stärke zur Geltung kam. Die Nachtwäsche war sogar eingefärbt, worüber der Krämer am meisten staunte, denn sie leuchtete in dem gleichen Farbton wie die Augen des Schultheißes. Als jener am Nachmittag seine Nachtwäsche abholte, war er schier begeistert und zog sie sich gleich über. Sein Schaft war gut zu sehen, die nackten Backen wölbten sich verführerisch hervor und das Oberteil schmiegte sich an seine Brust und schien danach zu rufen, man möge sich anlehnen. Der Krämer war froh, dass er hinter der Ladentheke stand, denn sonst hätte der Schultheiß gesehen, welch betörende Wirkung er auf den armen Mann hatte.

»Mit dieser Wäsche werde ich meinen jungen Diener empfangen und er wird hingerissen sein, davon bin ich überzeugt«, schwärmte er, bezahlte den Krämer über Preis und erzählte all seinen Freunden von der gewagten Nachtwäsche.

Noch am selben Tag erhielt der Krämer unzählige Aufträge von Herren, die ebenfalls verführerische Höschen und Hemden haben wollten. Da machte er sich nachts im Bett Sorgen, wie er all diese Aufträge bearbeiten sollte, wo er doch nicht einmal die erste Nachtwäsche selbst gefertigt hatte. Am nächsten Morgen aber fand er seinen Laden voll von Schlüpfern und Höschen, Hemden und Leibchen, die allesamt für lüsterne Herren gefertigt waren und eines frecher und verführerischer war als das andere. Es gab offene und halboffene Hintern, verschnürbare Schaftbereiche, Knöpfe an Stellen, die nur für wollüstige Männer Sinn ergaben, und sogar Höschen, die nur aus einem Faden und einem dünnen Säckchen zu bestehen schienen. Auf den Oberteilen hingegen fanden sich Muster und Aufschriften, die jeden Betrachter die Schamesröte ins Gesicht jagten. Netzartig gefertigte Nachtwäsche gab es da ebenso wie Zierwäsche für Hals und Hände, kurzum: Für jeden Geschmack und jede Eitelkeit war etwas dabei. So war es nicht verblüffend, dass der Laden sich in den folgenden Tagen großer Beliebtheit erfreute und Männer von nah und fern anlockte. Viele Taler klimperten da in die Kasse des Krämers und er war seine Sorgen los. Er hätte fortan fröhlich sein können, doch grübelte er stets über das Wunder nach, das ihn über Nacht heimgesucht hatte.

Etwa einen Monat später kam der reiche Schultheiß wieder in den Laden. Er ging auf den Krämer zu und sagte:

»Seitdem wir verführerische Wäsche am Leib tragen, können mein junger Diener und ich kaum die Finger voneinander lassen. Mir gefällt das freilich sehr, denn er ist sehr ausdauernd und gelenkig und wir toben in unserem Bett auf eine Weise, wie ich es vorher nie erlebt hatte. Doch er hat eine Leidenschaft, die ich ihn mit meinen zwei Händen nur bedingt erfüllen kann: Er liebt es, gezwickt und gekniffen zu werden, am liebsten an seinen roten Nippeln. Habt Ihr nicht etwas auf Lager, was uns bei diesen Späßen behilflich sein könnte?«

Der Krämer versprach, sich bis zum nächsten Morgen etwas zu überlegen; der Schultheiß solle dann wiederkommen und sich die Ware besehen. Dann dachte er einige Zeit nach, nahm schließlich ein dünnes Seil und zwei hölzerne Wäscheklammern und heftete diese drei Dinge zusammen.

›Hiermit kann sich der junge Diener die Nippel kneifen, solange es ihm beliebt‹, dachte der Krämer.

Zufrieden über seinen Einfall ging er zu Bett. Wie er aber am nächsten Morgen in den Laden trat, lagen dort zwei silberne Klammern, die von einer feingliedrigen Kette miteinander verbunden wurden. Das Spielzeug funkelte im Licht und war viel wertvoller und stabiler als die Bastelei des Krämers vom vorigen Abend. Als der Schultheiß das neue Gerät am Nachmittag abholte, war er davon noch hingerissener als vormals von der Nachtwäsche, lobte den Krämer über die Maßen und empfahl ihn all seinen Freunden weiter, die ebenfalls Kniffe und Zwickereien mochten. Noch am selben Tag erhielt der Krämer unzählige Aufträge von Herren, die ebenfalls Klemmen, mit und ohne Kettchen, begehrten. Da machte er sich nachts im Bett keine Sorgen mehr, wie er die Aufträge erfüllen sollte. Er wusste, dass wieder ein Wunder geschehen würde. Darum schlief er diesmal nicht, sondern schlich um Mitternacht aus seiner Schlafkammer an die Ladentür, um zu lauschen, was darinnen vor sich ginge.

Wie staunte er, als er im Schein der Kerzen zwei kleine Männlein sah, die eifrig mit Hämmerchen, Nägelchen und allerlei sonstigem Werkzeug beschäftigt waren. Sie hatten die Größe von Kindern, was an ihren kurzen Ärmchen und Beinchen lag, doch der Bart in ihrem Gesicht verriet, dass es sich um reife Männer handelte. Sie gingen ihrer Arbeit völlig unbekleidet nach und der Krämer machte große Augen, als er das prächtige, gesunde Fleisch erblickte, das unter ihren Bäuchen baumelte. Gern wäre er zu den Männlein getreten und hätte sie näher kennengelernt und ihnen womöglich zwischen die Beine gefasst, aber er war zu schüchtern. Die kleinen Männlein schufen allerhand Klammerkettchen, Ziernadeln für die Nippel, Ketten und Klemmen für den Schaft und sogar Ringe für die Eichelspitze. Dabei sangen sie ein fröhliches Lied:

»Wir Wichselmänner schaffen an,

was jeder Mann gebrauchen kann.

Für mannigfaltig Spaß im Bette

gibt’s Höschen, Hemdchen, Klammer, Kette.

Und treiben’s alle ohne Ruh,

dann wichseln fröhlich wir dazu.«

Der Krämer sah ihnen noch eine Weile zu und ging hernach zurück in sein Bett. Am folgenden Tage aber war der Laden voll von neuem Schmuck, kleinen Spielzeugen und aufregenden Geräten, schlicht voll von allem, was die Herzen der Herren wünschten. Der Ruhm des Ladens stieg und Reisende von nah und fern kamen, um zu kaufen. Die Taler klimperten erneut in die Kasse und der Krämer wurde ein wohlhabender Mann. Er hätte fortan glücklich sein können, doch grübelte er stets, wie er sich bei den zwei Wichselmännern bedanken könnte.

Da kam ihm ein Einfall. Es tat ihm nämlich leid, dass die zwei heimlichen Helfer unbekleidet in seinem Laden hatten sitzen müssen und nur für andere, nicht aber für sich selbst, wertvolle Waren geschaffen hatten. Der Krämer setzte sich darum an den Tisch und schneiderte eine betörende Nachtwäsche in der Größe der kleinen Männlein. Wie er damit fertig war, nahm er Hammer, Feile und anderes Werkzeug zur Hand und stellte zwei reizende Klammerkettchen und Schaftringe her, die ebenfalls für die Helfer gedacht waren. Er packte all dies in eine Schachtel, wickelte ein Schleifchen darum und legte einen Brief dazu, welcher lautete:

»Liebe Wichselmänner!

Beständig schafft ihr teure Gaben,

dass and’re ihre Lust dran haben.

Zum Dank für euer freundlich Walten

sollt ihr nun selbst etwas erhalten.

Ihr kleinen Helfer, euer Schoß

erscheinet stets nur nackt und bloß.

So schmückt euch mit den Höschen hier,

die sind dem Ärschlein eine Zier!

Und klemmt an eure Nippel klein

die schmucken Eisenklammern fein.

Die Freude, die ihr mir gemacht,

wird somit euch zurückgebracht.

Und geht hierauf nach nebenan,

staunt euch im großen Spiegel an:

Seht, ihr seid auch begehrenswert,

habt feuchte Ritze, stolzes Schwert!

Bleibt bei mir, denn ich lad euch ein,

für immer hier bei mir zu sein.

Zu dritt woll’n wir Geschäfte treiben.

Doch das Versteckspiel lasset bleiben!«

Er glaubte nämlich, dass die Wichselmänner Reime und Lieder liebten, da sie ja bei ihrer Arbeit so emsig gesungen hatten, und darum hatte er diese fünf Strophen gedichtet. Nacht für Nacht stand die Schachtel mit dem Brief auf der Ladentheke, doch es verging ein ganzer Monat, bis die Wichselmänner wiederkehrten. Das geschah auf folgende Weise, indem der reiche Schultheiß zum Krämer kam und klagte:

»Die Freude, die mein junger Diener und ich teilen, habt Ihr zweimal schon vergrößern können. Umso mehr grämt es mich, dass die Leidenschaft zwischen ihm und mir abnimmt und unser gemeinsames Laken erkaltet. Die Wäsche reizt, die Kniffe kribbeln, und doch fehlt uns die Anregung des Geistes, denn wir wollen miteinander auch lustvoll sprechen und scherzen können. Helft mir ein drittes Mal in meiner Liebesnot!«

Der Krämer versprach es, und sobald er seinen Laden geschlossen hatte, setzte er sich nieder und begann, sein seltsames Erlebnis mit den Wichselmännern aufzuschreiben und mit einer Zeichnung zu schmücken. Dies würde den Schultheiß und seinen Diener zu einigen geistreichen Gesprächen und Traumbildern beflügeln, dachte er und legte sich schlafen. Um Mitternacht aber kamen die Wichselmänner, und als sie die Geschichte und die Zeichnung zu Gesicht bekamen, pochten ihre Herzen höher vor Freude.

»Sieh nur, das sind wir beide, was sehen wir doch keck und fidel aus!«, rief der eine und schlug sich den Schenkel mit der Hand.

»Der Krämer hat uns gesehen und schämt sich nicht, anderen von uns zu erzählen«, nickte der andere und fügte hinzu: »Die Zeichnung ist gelungen. Ob er uns gar nicht so hässlich findet, wie wir fürchteten?«

Die beiden Wichselmänner betrachteten ihr Abbild lang und fühlten sich derart geschmeichelt, dass sie ihrerseits dem Krämer eine weitere Freude machen wollten.

»Was soll die kleine Geschichte über uns dem Schultheiß schon helfen? Wir sind herumgekommen im Land der lila Liebeslust und kennen so viele Abenteuer und leidenschaftliche Begebenheiten, die es sich zu erzählen lohnt! Wir wollen sie aufschreiben und bebildern, damit der Laden unseres Freundes ein drittes Mal erblüht!«

Und so setzten sie sich hin und schrieben alle Geschichten auf, die du hier gehört hast, und malten auch die Bilder dazu. Dabei sangen und kicherten und wichselten sie fröhlich und übersahen beinahe die Schachtel, die noch immer für sie auf der Ladentheke stand. Wie sie selbige endlich entdeckten, öffneten und den Brief lasen, jubelten sie laut auf. Die Wäsche passte ihnen wie angegossen und das Zwicken der Klemmen gefiel ihnen sehr.

39_Wichselm01

»So hat uns der Krämer wirklich gern und wir müssen unser Angesicht nicht mehr verbergen«, lachte der eine Wichselmann, und der andere wollte gerade etwas erwidern, als der Krämer in den Laden trat.

»Natürlich habe ich euch gern, meine heimlichen Helfer«, sagte er, »aber fortan wollen wir nachts schlafen und tagsüber schaffen. Kommt nur zu Bette!«

Das ließen die beiden Wichselmänner sich nicht zweimal sagen. Sie krochen unter die Decke des Krämers und bereiteten ihm Späße, die er sich mit solch kleinen Männern nicht im Traum hätte vorstellen können!

39_Wichselm02

Am nächsten Tag überredeten sie ihn, nun auch selbst betörende Wäsche anzulegen, sich den Schaft mit einem Ringe zu schmücken und seine Nippel das freche Zwicken eines Klammerkettchen spüren zu lassen. Der Krämer verlor dank seiner beiden neuen Freunde jede Scheu und überwand endlich seine Scham. Und wie er da hinter der Theke stand, konnten alle sehen, welch ein schöner und verführerischer Mann er war, und man kaufte gern bei ihm ein, und die Taler in der Kasse versiegten nie.

Abends im Bett aber, wenn sie zu dritt auf den Kissen saßen und noch nicht einschlafen wollten, lasen sie einander eines der Märchen vor, welches die Wichselmänner aufgeschrieben hatten. Sie freuten sich derart über all die mannhaften Burschen aus dem Land der lila Liebeslust, dass das Kuscheln und Schmusen danach umso schöner war. Auch du solltest es ausprobieren und deinem Liebsten etwas vorlesen! Und wenn du keinen Liebsten an deiner Seite hast, so lade einen holden Jüngling zu dir ein.

Zweites Märchen: Der arme Dienstbote

Es war einmal ein junger Dienstbote. Der war bei einem schmucken Herrn angestellt, und weil sie etwa im gleichen Alter waren, verstanden sie sich gut. Der Dienstbote war fleißig und reinlich und fand einen solchen Gefallen an seinem Herrn, dass er ihm stets zu Hilfe eilte. Morgens schüttelte er die Betten aus, und wenn er dabei feuchte Flecken bemerkte, die sein Herr darin gelassen hatte, verlor er kein Wort darüber. Er roch aber daran und rieb sie mit den blanken Fingern trocken, damit der Herr auch in der folgenden Nacht darin seine gute Ruhe fand. So beflissen war der Dienstbote, dass er seinem Herrn selbst beim Wasserlassen half und dessen Glied in der sanften Hand hielt, um den Strahl in den Pott zu zielen. Dem Herrn gefiel, wie warm und zärtlich die Finger des Dienstboten sein Glied umschlossen, und so kam es nicht selten vor, dass es anschwoll und sich erhärtete. Auch da half der Dienstbote gern, führte seine Hand auf und ab und entlockte damit dem Herrn gar glückliche Gefühle. Abends suchte er die schmutzige Wäsche zusammen, um sie am nächsten Tage zu waschen, und manchmal nahm er die Schlüpfer seines Herrn ins eigene Bett und legte sie sich über das Gesicht. Mit der Nase sog er den herben Duft ein und stellte sich vor, der Herr selbst würde über ihm hocken. Erregt von jener Vorstellung und betört von dem Geruch, streichelte er sein Glied und packte seine Hoden und drückte sie fest. Auf diese Weise schlief er ein und träumte davon, wie der Herr und er in Glück und Frieden miteinander alt würden.

Doch die Träume des Dienstboten sollten nicht in Erfüllung gehen, denn sein Herr lernte eine schöne Frau kennen. Die war vom hohen Stand und brachte eine stolze Mitgift ein, weshalb er sie um des Geldes, des Rufes und des Erbes willen heiratete. Da brach dem armen Dienstboten das Herz entzwei und er wusste in seiner Trauer und Enttäuschung nicht mehr ein noch aus. Wenn er die Betten schüttelte, fand er Spuren des trauten Zusammenseins seiner Herrschaft. Wusch er die Wäsche, roch alles nach dem Duftwasser seiner neuen Herrin. Und am Potte wies man ihn empört ab. Die Küsse und Umarmungen zwischen Ehemann und Ehefrau mochte er nicht mit ansehen, da ihm sonst Tränen in die Augen kamen.

Eines Morgens, als der Dienstbote in aller Heimlichkeit sein Täschchen gepackt hatte, um von seiner Herrschaft zu fliehen, fand er einen Brief auf der Schwelle, und da er des Lesens etwas mächtig war, entzifferte er neugierig den Inhalt. Es war eine Nachricht von den Wichselmännern, die darum baten, die Herrschaft möge ihnen einen Trauzeugen stellen, denn in ihrer Höhle hinter der Schlucht würde Hochzeit gefeiert. Der Dienstbote sagte sich:

»Statt den Brief zum Herrn zu bringen, will ich selbst zu dieser Höhle gehen und mir ansehen, wie die Wichselmännchen Hochzeit feiern. Wenn ihr Fest aber mein trübes Herz nicht aufmuntern kann, will ich mich hernach in die Schlucht werfen.«

Er faltete den Brief zusammen, steckte ihn in sein Täschchen und zog in die Berge. Er kam an der tiefen, tiefen Schlucht vorbei, die kannte er noch aus Kindheitstagen. Alle Mütter warnten ihre Kinder davor, jemals dorthin zu gehen, und doch bewiesen alle Knaben ihren Mut, indem sie an den Rand der Schlucht traten und hineinsahen. Die mutigsten unter ihnen nahmen sogar ihr Glied in die Hand und ließen ihr Wasser oder, sofern das Glied erhärtet war, ihre ersten Mannestropfen hinabfallen. Danach lauschten sie, wie lange es dauerte, bis ein Platschen zu vernehmen war; man erzählte sich nämlich, die tiefe, tiefe Schlucht kenne keinen Boden. Der arme Dienstbote erinnerte sich mit Wehmut, wie sein Herr und er hier vor Jahren als junge Knaben standen, ebenfalls ihren Mut beweisend, und kein Platschen vernommen hatten. Angst vor der unendlichen Tiefe hatte sie befallen und flink musste er sein und des Herrn Glied wieder in die Hosen stecken, weil sie von dem unheimlichen Ort fliehen wollten. Das war lange her. Nun aber glaubte der Dienstbote, der Sturz in den tiefen, tiefen Abgrund wäre das Einzige, was den Schmerz in seinem gebrochenen Herzen lindern könnte. Der Brief in seinem Täschchen erinnerte ihn jedoch daran, zuerst seiner Pflicht nachzukommen.

Die Höhle befand sich einhundert Schritte hinter der Schlucht zwischen zwei grauen Felsen in einem hohlen Berg. Dunkel war es, wenn man hineinblickte, doch kaum hatte der Dienstbote sieben Schritte getan, erfüllte sich alles in hellem Licht. Die Decke glänzte wie ein Kronsaal, die Wände waren verziert von den herrlichsten Farben und eine Hochzeitstafel war aufbereitet, prächtig und zierlich dergestalt, dass man es nicht in Worte fassen kann. Die Wichselmännchen waren fast alle nackend, denn es war warm in der Höhle. Doch das machte ihnen nichts aus, sie tollten umher, jubelten dem Hochzeitspaar zu und stießen unentwegt mit ihren kleinen Weinkelchen an. Der arme Dienstbote wurde zu Tisch geführt und saß neben dem Brautpaar, das jedoch, wie er verwundert feststellte, aus zwei Männchen bestand, von denen der eine einen Frack und einen Zylinder trug, aber sonst nichts am Leibe hatte und beständig sein nudeldickes Glied befingerte. Der andere hatte sich einen Kranz aus weißen Rosen auf den Kopf gesetzt, eine Fliege um den Hals gebunden und eine weiße Weste um den Bauch getan. Auch er war sonst nackt und glitt mit seiner Hand immer wieder über seinen spannenlangen Schniedelwutz.

»Es ehrt uns, dass du aus der Menschenwelt herabgestiegen bist, um unserer Hochzeit beizuwohnen«, sprach das Männchen mit dem Zylinder und drückte dem Dienstboten die Hand. »Sieh dort, unser ältestes Wichselmännchen, wie es auf dem hohen Thron sitzt! Das wird meinen Schatz und mich vermählen, du aber sollst als Trauzeuge dabeistehen.«

Sie trippelten vergnügt zu dem eisgrauen Wichselmann, dessen langer Bart bis zum Boden reichte und sein Wichselglied verdeckte. Er saß auf einem Thron aus schwarzem Ebenholz, dessen Beine mit hellen Perlen besetzt war. Er hielt ein Zepter aus Elfenbein in der Hand und murmelte weise Worte, die dem Paar gewidmet waren. Am Ende hielt er seine Hand über die Vermählten und den Trauzeugen, und damit war die Zeremonie zu Ende. Da dachte der Dienstbote, er könne wieder gehen, doch die Feier begann nun erst. Man setzte ihn an den Tisch neben das Brautpaar, hieß ihn von den goldenen Tellerchen schmausen und spielte lustige Musik auf. Die Wichselmänner nahmen einander an die Händchen und führten wilde Tänze auf, die ihre nackten Wichselglieder nur so durch die Luft wirbeln ließen. Gelacht wurde viel, geküsst ebenso, und der Wein tat sein Übriges: Über eine Zeit waren alle Wichselmännchen damit beschäftigt, einander zu streicheln, an die Glieder zu greifen und die Hoden sanft zu quetschen. Der Dienstbote begaffte das Treiben und eng wurde es in seinen Kleidern, bis auch er die störende Hose von sich streifte und die Männchen staunend und lobend sein Glied betasteten. Sie stahlen sogar heimlich die Hose des Gastes, um daran zu schnüffeln und zu riechen, denn der Menschengeruch, den sie ausströmte, ergötzte die kleinen Wesen sehr. Der Dienstbote bekam davon nichts mit, denn gerade wurde das Hochzeitslied zum wiederholten Male gesungen; den Text wollte er sich unbedingt einprägen:

»Spannenlanger Schniedel, nudeldickes Glied.

Eilen in ihr Bettchen, wo gleich was geschieht.

Sie schütteln sich mal langsam, sie schütteln sich mal flott.

Wenn die Säcklein leer sind, gibt es Wichskompott.«

Die Stunden vergingen, die Feier aber hielt an. Nach dem bunten Treiben setzten sich die Wichselmännchen allesamt artig an den Tisch und eine kleine Bühne wurde vor dem Hochzeitspaar aufgebaut. Der weiße Vorhang hob sich und ein derbes Possenspiel wurde aufgeführt, in der Verwechslungen, Notlügen und Verlegenheiten zu allerhand Unzucht und Schamlosigkeit führte. Das Publikum klatschte erheitert in die Hände und der Dienstbote klatschte mit. Es folgte eine liebliche Romanze über kühne Ritter und schöne Prinzen, die nach bestandenen Prüfungen leidenschaftlich übereinander herfallen durften.

Noch vielerlei Stücke führten die Wichselmännchen dem Hochzeitspaar zu Ehren auf, mal anrührend, mal keck, und der Dienstbote merkte nicht, wie die Zeit verstrich. Nach drei mal sieben Stunden aber verkündete der Älteste, dass das Paar sich nun entfernen dürfe, um das Brautgemach aufzusuchen und die Hochzeitsnacht zu vollziehen. Für den Dienstboten war das der Augenblick, sich zu verabschieden. Da wurden viele Dankeschöns ausgetauscht und Versprechungen gemacht, einander zu besuchen; nur die Hose erhielt er nicht zurück. Ihm war bei der Feierlichkeit jedoch warm genug ums Herz und noch wärmer zwei Ellen tiefer geworden, dass ihm das nichts ausmachte. Er verabschiedete sich also von seinen neuen Freunden und entstieg der Höhle.

Vergnügt schritt er heimwärts. Der tiefen, tiefen Schlucht warf er nicht einen einzigen Blick zu. Stattdessen sang er noch ein paar Mal das pfiffige Hochzeitsliedchen vor sich her:

»Schüttle nicht so närrisch, Schniedel spannenlang!

Kommst ganz außer Atem und mir wird recht bang!

Tu dich nicht so eilen, nudeldickes Glied!

Habt doch beide Zeit für etwas, das sonst keiner sieht.«

Dabei schwang er lustig sein Täschchen hin und her. Als er schließlich am Haus seiner Herrschaft ankam, rückte er es vor sein Glied, um anständig auszusehen. Dann klopfte er an die Tür und wollte offen und ehrlich aufkündigen und nicht feige fliehen, wie zunächst geplant.

»In die Welt will ich ziehen und mir Kerle ansehen, die schmucker sind als Ihr«, wollte er dem Herren ins Gesicht sagen und er überlegte, ob er ihm dabei auch den nackten Finger vors Gesicht strecken sollte.

Doch als die Tür sich öffnete, sah ihm eine junge Dienstmagd entgegen, die er nicht kannte. Er verlangte, den Herrn zu sehen, aber sie schüttelte nur traurig den Kopf.

»Gestorben ist der Herr, drei Tage nach seiner geliebten Gattin«, sagte sie. »Alt wurden sie nicht, doch war es ihnen immerhin vergönnt, ihren Sohn heranwachsen zu sehen.«

Der Dienstbote glaubte, am falschen Hause zu stehen, doch als er Name und Herkunft erfragte, war es wirklich, wie die Magd erzählte. Sein Herr und dessen Frau hatten einen Sohn bekommen, der mittlerweile ein junger Mann geworden war, und keiner erinnerte sich mehr an ihn, den Dienstboten. Es verhielt sich nämlich dergestalt, dass für jede Stunde in der Höhle der Wichselmänner in der Welt draußen ein ganzes Jahr vergangen war.

Der arme Dienstbote bedankte sich für die Auskunft und wurde nachdenklich. Schon wollte er zum Kirchhof gehen und sich das Grab seines Herrn beschauen, als ein stattlicher junger Mann daherkam. Der sah beinahe genauso aus wie jener, den man bestattet hatte. Nur war er noch schöner und feiner und schmucker und musste wohl der Sohn sein, von dem die Magd gesprochen hatte, und welcher nun im selben Alter wie der Dienstbote war. Als er den fremden Mann erblickte, ganz ohne Hosen und mit dem Täschchen vor dem Gliede, musste er grinsen. Der Dienstbote grinste zurück und sie kamen ins Plaudern.

Müßig zu sagen, dass der Dienstbote freilich gleich verliebt war in den jungen Sohn. Doch wollte es das Glück diesmal, dass auch jener Gefallen an dem fleißigen und reinlichen Manne vor ihm fand. Sie befreundeten sich, wurden immer vertrauter miteinander und freiten schon bald um des anderen Gunst. Übers Jahr wurde Hochzeit gehalten und die Leute wunderten sich sehr, als sie unter den Gästen sich viele kleine Wichselmänner tummeln sahen. Sie waren von den Bergen hinabgetrippelt, gratulierten dem Paar aufs Herzlichste und sangen ihm zu Ehren derbe Lieder, welche die Herzen wärmten und zwei Ellen tiefer so manchen Mann erhitzten.

Drittes Märchen: Vom falschen Wichselkind

Zwei Männer lebten miteinander in einem kleinen Häuschen und teilten Sorge und Freude, Speise und Bett. Mit den Jahren aber fühlten sie eine Sehnsucht in sich wachsen, als ob noch etwas zu ihrem Glück fehle. Da sprach der eine zu anderen:

»Ach, mein Guter, wenn wir doch ein Kind hätten, das wir großziehen dürften, so wären wir wohl glücklich.«

Der andere erwiderte traurig:

»Liebster, wir sind nichts weiter als zwei Männer, die können zusammen kein Kind bekommen. Das hat die Natur so eingerichtet.«

Da ließen sie beide die Köpfe hängen und merkten nicht, wer ihr Gespräch belauscht hatte. Hinter dem Herd nämlich stand ein kleiner Wichselmann, völlig nackt, wie die Wichselmänner nun einmal herumspringen. Der hatte sich in die Stube geschlichen, weil er bereits seit Langem Gefallen an den zwei Männern gefunden hatte. Nun kam ihm ein Einfall, wie er sich ihnen nähern könne, und kichernd verschwand er in die Nacht.

Am folgenden Morgen erwachten die zwei Männer noch vor Sonnenaufgang von einem hellen Schreien, und als sie die Türe öffneten, lag da ein Körbchen, und in dem Körbchen war ein Bündel. Aus diesem Bündel schaute ein Kopf hervor, der war ungewöhnlich dick und mit einem weißen Häubchen gekrönt.

»Ein Kindchen ist’s, das uns das Schicksal bringt und welches wir annehmen und gut versorgen wollen«, rief der eine Mann freudig aus, und sein guter Gefährte war einverstanden und trug den Korb ins Haus.

Doch mit dem Kindchen war es eigenartig. Es schaute die zwei Männer aus gewitzten Augen an, griff nach ihren Daumen und wollte daran nuckeln. Dabei strampelte es fröhlich, als ob es frisch geboren sei, und dennoch wollte es nicht schlafen, sondern auf den Bäuchen seiner neuen Eltern herumkrabbeln. Als es mit den kleinen Händchen unter die Bäuche packte, um zu sehen, was dort unter dem Beinkleid hinge, wurde es den Männern unheimlich. Sie legten das Kind zurück ins Körbchen und gingen damit zur Nachbarin, damit sie ihnen Rat gebe. Die Nachbarin sah den dicken Klotzkopf und ahnte gleich, dass dies ein falsches Kindchen war.

»Um dies aber zu beweisen, müssen wir es der Amme geben«, sprach sie und trug das Körbchen zu einer Frau mit dickem Busen, die sich im Hof um andere Kinder kümmerte. »Amme, dieses Kindchen hat Hunger, stille es«, rief die Nachbarin ihr zu.

Da nahm die Amme das Körbchen und holte ihre schwere Brust unterm Hemd hervor, um das Klotzköpfchen zu füttern. Wie es das sah, begann es zu brüllen und rief:

»Nun bin ich tausend Jahre alt,

älter als der Westerwald,

nie lockte mich die Weiberbrust,

drum steck sie weg, sonst flieht die Lust.«

Erschrocken schob die Amme das Kindchen von sich. Die Nachbarin aber wusste nun, dass der Klotzkopf ein Wichselbalg war und erklärte den Männern:

»So nennt man einen Wichselmann, der sich bei den Menschen als Kind ausgibt. Nehmt ihn nur fort von hier! Wer weiß, welche Untaten er im Sinne hat!«

Die zwei Männer trugen das Körbchen heimwärts, doch der Wichselbalg jammerte und flehte:

»Schickt mich nicht fort! Schickt mich nicht fort! Ich will euch ein artiges Kindchen sein und verlange nichts von euch, als dass ihr mich einen Tag und eine Nacht streichelt und wickelt und pudert und füttert!«

Die Männer hatten ein Herz und dachten bei sich:

›Wenn es doch kein richtiges Kind ist und sich so sehr nach unserer Nähe sehnt, wollen wir ihm den Gefallen tun und an diesem seltsamen Spiel teilhaben.‹

Sie legten den Wichselbalg zwischen sich auf ihr Bett, und obwohl es in Wahrheit ein Männchen war, das nur so tat, als sei es ein Kleinkind, herzten und liebkosten sie ihn, ließen ihn an ihren Daumen nuckeln und kitzelten seine Füßchen, bis er gluckste und kicherte. Da sahen sie, dass sich unter der Windel ein Beulchen regte. Das wuchs und wuchs und die Windel ward feucht, sodass sie gewechselt werden musste. Sie warfen die alte fort und der Wichselbalg lachte, als sie ihm sein Stummelschwänzchen abtupften, und es juchzte, als sie ihm die Pobacken puderten, und es rief laut:

»Ich bin so frech,    

verdiene Pech!«

Da wussten die Männer, dass er nach Klapse auf den Hintern verlangte, und auch diesen Gefallen taten sie ihm. Mit jedem Klaps aber brüllte das Männchen, und das klang fast wie ein Singen:

»Ja, du! Hau zu!

Ich bin das frechste Balg im Land,

ich brauche eine harte Hand!

Ja, du! Hau zu!«

Als der Wichselbalg frisch gewickelt war, krabbelte er wie vormals auf ihren Bäuchen herum und wühlte an der Wäsche, bis er auf nackte Männerhaut stieß. Wieder griff er unter die Bäuche und packte nach dem, was darunter hing, und diesmal ließen es die Männer geschehen. Da nahm der Wichselmann das Gehänge und tat, als ob es große Däumchen seien, an denen er nuckeln könne. Eins nach dem anderen nahm er in den Mund und schmatzte fröhlich vor sich hin. Die zwei Männer streichelten ihm dabei den Rücken und den Po und alle drei lagen also friedlich im Bette und erfreuten sich aneinander. Als die Nacht hereinbrach, wiegten sie den Wechselbalg auf ihren Armen, bis er einschlief und noch im Traum selig lächelte. Dabei sah sein dicker Klotzkopf beinahe niedlich aus. Die zwei Männer legten sich ebenfalls zur Ruh, und als sie am nächsten Morgen erwachten, war der Wichselbalg verschwunden.

»Nun hatten wir für einen Tag ein Kind, doch es war ein falsches und wollte obendrein nur unzüchtige Spiele treiben«, seufzte der eine Mann und der andere legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter.

Ein Klopfen an der Tür ließ sie aufhorchen. Da stand ein Wichselmann davor, völlig nackt. Der verbeugte sich und sprach:

»Ich möchte mich bei euch bedanken, dass ihr mich gestern als Kindchen angenommen habt und Dinge mit mir tatet, nach denen ich mich schon lange Zeit sehnte. Ihr halft mir, meine innersten Wünsche auszuleben, und sollt darum belohnt werden. Ein armes Neugeborenes aus dem Nachbardorf hat vor Kurzem seine Eltern an eine Krankheit verloren und keiner dort weiß, wohin mit ihm. Ich habe dem Dorfältesten, der eine tiefe Freundschaft zu uns Wichselmännern pflegt, von euch berichtet. Noch heute wird er euch das Neugeborene bringen und bitten, ihr möget es liebevoll großziehen und gut versorgen.«

Er verbeugte sich ein zweites Mal und war flugs verschwunden, ohne eine Antwort abzuwarten. Tatsächlich erschien später der Älteste aus dem Nachbardorf mit einem Bündel auf dem Arm, darin lag ein echtes Kindchen und schlief. Glücklich nahmen die zwei Männer es für sich und kümmerten sich darum, als ob es ihr eigenes sei. Einer baute eine Wiege, damit es nicht zwischen ihnen im Bett schlafen müsse, der andere schnitt aus Stoffresten Windeln zurecht, und jede Woche kam die Nachbarin mit ihrer Amme zu Besuch, um den jungen Eltern mit Rat beizustehen. Das Kind fühlte sich mit jedem Tage bei seinen Ziehvätern wohler. Den Wichselmann, der sich aus purer Lust als Kleinkind ausgegeben hatte, sah man jedoch nie wieder in dieser Gegend.

***

Nicht jeder in unserer Gesellschaft ist von dem Ausflug in gleich mehrere Fetischbereiche angetan. Insbesondere die letzte Geschichte erscheint einigen Zuhörern befremdlich.

»Möge das die erste und letzte Windelgeschichte des Abends gewesen sein«, hofft Giovanni, »und vielleicht auch der ganzen Woche.«

»Diskriminierst du mit deinem Wunsch nicht Anhänger jener Vorliebe?«, fragt Basil provozierend, aber Giovanni lässt sich zu keiner Diskussion hinreißen.

Stattdessen wünscht er, dass Wilko das nächste Märchen erzählen soll.

Der zwielichtige Bräutigam

Es war einmal ein Müller, der hatte einen schönen Sohn, und als der herangewachsen war, so wünschte er ihn gut versorgt und verheiratet. Er dachte:

›Kommt ein ordentlicher Freier und hält um meinen Sohn an, so will ich ihn gern weggeben.‹

Unglücklicherweise wusste sein Sohn sehr wohl, wie unvergleichlich schön er war, und wurde darum über die Maßen eitel, sodass er jeden jungen Burschen, der sich in sein maienfarbenes Antlitz vergaffte, nur abschätzig über die Achsel ansah. Ja, er trug sein zierliches Näschen so hoch, höher als sich jeder Mannesast und Jünglingszweig zur Sonne hinauszustrecken vermag, weil er sich einbildete, niemand wäre seiner würdig – nicht einmal der junge Pfarrer, an den der Müller seinen Sohn gern verheiratet hätte. Der Vater war darüber sehr betrübt, jeglicher Freier aber bald vergällt, und schon glaubte man allenthalben, der Sohn wünsche sich vielleicht ins Kloster oder habe andere Gründe, die ihn zwangen, allen ehrbaren Männern auszuweichen. Eines Tages schließlich war es dem Müller genug und er sprach:

»Wenn dir keiner aus dem Dorfe zusagt, mein Junge, so bitte ich, geh selbst auf die Freite und schau, ob du nicht jemanden findest, der dir gefällt.«

»Du bekommst mich nicht so leicht aus dem Haus«, gab der Sohn hochmütig zurück. »Ich soll den Männern nachjagen? Meine Schönheit ist mächtig genug, dass sie alles, was Geschmack und Geschmeide hat, anzulocken vermag. Der Rechte wird schon irgendwann vorbeikommen.«

Der Müller aber, der besser wusste als sein Sohn, wie vergänglich Jugend und Schönheit sind, fragte:

»Auf was für einen Mann wartest du nur? Du bildest dir wohl ein, irgendein reicher Graf oder gar ein Prinz müsse kommen, dich heimzufahren?«

»Pah!«, platzte es aus dem eitlen Sohn heraus. »Selbst das ist mir zu gewöhnlich. Ich will einen Mann, der…«, und er dachte einen Augenblick nach, »der den schönsten grünen Bart hat, den die Welt je sah!«

Da schlug sich der Müller die Hand an den Kopf und fürchtete, er würde seinen Sohn wohl niemals los und müsse nicht nur sich, sondern auch ihn bis zum Lebensende durchbringen. Von dieser Sorge wurde er so krank, dass eine Reise zu einem Heilbad notwendig ward, wo er sich einer Kur unterziehen wollte. Er gab den Sohn unter die Obhut der alten Magd und schärfte ihm aufs Strengste ein, fein sittsam die Mühle zu bewirtschaften und sie ja kein einziges Mal zu verlassen, um irgendwo dem Müßiggang zu frönen.

Aber es ist eine bekannte Sache, dass man jungen Männern nur verbieten darf, was sie in Wahrheit ruhig tun sollen. Der Vater hatte kaum den Rücken gewendet, als der Sohn bereits müßig zum Fenster hinaussah, und siehe, schon sprengte ein stattlicher Herr auf einem stolzen Rosse die Straße daher. Mit geradem Rücken saß er im Sattel, die kräftigen Schenkel um die Leib des Pferdes geschlungen. Die strammen Waden steckten in blitzsauberen Reitstiefeln und ein schmucker Mantel wehte im Winde. Was den Müllerssohn aber am meisten beeindruckte, war der Bart des Herrn, der ihm Wangen und Kinn schmückte, denn er schimmerte wahrhaftig in sattem Grün. Der Jüngling konnte nicht genug von dem Reiter sehen und lehnte sich bis zum Rumpf aus dem Fenster, dass er beinahe nach vorn kippte.

Der Herr hatte seinen Bewunderer bemerkt und wandte mehrmals den Kopf nach ihm um. Da wurde es dem Müllerssohn auf einmal so sonderlich zumute: Das Blut schoss ihm in die Stirn, das Nackenhaar sträubte sich und eine kühle Gänsehaut zog sich vom Hals den Rücken hinab bis zu dessen Ende, welches recht eigentümlich zu jucken begann. Der Rumpf aber, immer noch gegen den Fenstersims gepresst, passte nicht mehr recht in die Hosen, wollte sich aber auch nicht aus der unbequemen Lage lösen, sondern den harten Widerstand noch etwas länger ertragen. In dieser Stellung wippte der Jüngling vor und zurück und wieder vor, mal schnell und mal langsam, bis die Hosen wieder so saßen, wie es recht war. Angenehm war es dem Müllerssohn dennoch nicht, denn zum einen war sie nun fleckig und feucht und musste gewaschen werden; zum anderen hatte er in seinem Herzensgrund noch immer keine Rast und Ruhe und wusste den restlichen Tag und auch den darauffolgenden nicht, wohin mit sich.

40_Zwielichtige

Mühle und Wirtschaft blieben an der alten Magd hängen, die zu schlau und nachsichtig war, um den Jüngling in seiner Frühlingsstimmung zu schelten. Drei Tage und Nächte lang hingen dessen Gedanken dem stattlichen Reiter nach und er schaute immer wieder aus dem Fenster, um den süßen Augenblick zurückzurufen, den er dort unverhofft erlebt hatte. Ja, er verzichtete alsbald gänzlich darauf, sich für seinen Wachtposten am Fensterbrett überhaupt Kleider anzulegen, die dann doch nur gestört hätten. Als am vierten Morgen ein Brief des Fremden eintraf, kann man sich leicht vorstellen, wie der Müllerssohn vor Freude laut hätte aufjubeln mögen. In dem Brief stand geschrieben:

»Holder Jüngling! Wenn Du jetzt meine Zeilen liest, bin ich viele Meilen von Dir entfernt auf meinem Schloss, doch um wie viel lieber wäre ich Dir in diesem Augenblicke ganz nah! Dann könnten wir beide in den Himmel sehen, die Wolken auf ihre anzügliche Form hin prüfen und die Sonne unsere Haut wärmen lassen – denn Kleider, mein Teuerster, bräuchten wir nicht dort, wohin ich Dich einladen will.

Doch lies den Brief in aller Ruhe und nicht im Stehen, denn jedes Wort soll sich Dir einprägen und jede Zeile Dein Herz, Deine Seele berühren. Liegst Du auf deinem Bettchen? Sehr gut. Stören Dich Kleider und Decken nicht mehr? Besser! Liegst Du auf dem Bauch, den Kopf auf die Ellenbogen gestützt? So ist’s am besten, und so sollst Du auch morgen auf mir liegen, denn Dein Gewicht will ich mit starker Brust und kraftvollen Armen tragen. Gewiss fragst Du nun, wo genau dies geschehen soll?

Ich kenne da einen beschaulichen Ort hinter dem Morchelfelsen, der so heißt, weil er keck wie ein langer, hoher Pilz aus der Erde ragt. Reitet man von Deinem Dorfe aus durch den Eichenwald gen Westen, gelangt man dorthin, und bei ihm will ich morgen in der Mittagsstunde stehen und Deiner harren. Findest Du mich, führe ich Dich hinter den Fels auf eine heimliche Lichtung, die durchschnitten wird von einem stillen Bächlein, welches einem Wasserfall entspringt. Unter eben diesem werde ich neben Dir sitzen, während mir Wasserperlen den Leib herablaufen. Kein Tuch braucht uns zu bedecken, während ich Deine pure Schönheit betrachte, und schon jetzt weiß ich, dass mir gefallen wird, was ich sehen werde, und es wird mir den Atem rauben. Deine Haut schimmert glatt und weiß, dessen bin ich gewiss, und mein Herz fängt an, stärker zu klopfen. Ich werde versucht sein, meine Hände nach Dir auszustrecken: nach Deinen Fußspitzen, die im Wasser spielen, nach Deinem Knie, welches ob der Berührung zuckt, nach Deinem Arm, Deinem Fleisch…

Allein die Vorstellung reicht, dass mir beim Verfassen dieser Zeilen warm wird! Doch Du kannst mich gerade nicht mit einem Kusse kühlen, die Hitze nicht mit einem Kniff in meine festen Backen ableiten. Du musst lesen. Ich hoffe, Dein Nacken verspannt sich nicht. Falls doch, rutsch hin und her auf deinem Laken!

Wenn Du aber schwer schluckst und das dringende Bedürfnis verspürst, Dich umzudrehen und mich in Deine Arme zu reißen, so geht es Dir gerade wie mir. Wie gern würde ich mich bereits jetzt behutsam auf Dich niederlegen und Dich mit meiner Zuneigung einhüllen! Aber vielleicht darf ich schon morgen sanfte Worte in Dein Ohr flüstern?

Ich hoffe inbrünstig, Du lachst nicht über meinen Brief und tust ihn nicht als Unfug ab. Doch selbst wenn – es ist verflixt schöner Unfug! Und wenn Du lachst, will ich auch lachen, um Dir nahe zu sein. Finde Dich also morgen zur Mittagsstunde am geschilderten Ort ein, damit ich nicht länger in meiner Sehnsucht nach Dir darben muss! Hochachtungsvoll, Baron von Rittersporn.«

Der Müllerssohn faltete sorgsam das Brieflein zusammen und steckte es unters Kopfkissen. Den verbleibenden Tag trug er ein seliges Grinsen auf seinem Gesichte, und kaum war die Nacht vorüber, machte er sich auf den Weg zu dem Orte, wohin er gebeten worden war. Die alte Magd ward durch eine Notlüge begütigt.

Die Glocke hatte noch nicht zwölfe geschlagen, als er, aufs Beste gekleidet, am Morchelfels eintraf und vor dem stattlichen Herrn mit dem grünen Bart stand, dessen Brief er so ins Herz geschlossen hatte. Dieser war denn auch nicht schüchtern, gestand dem Jüngling, dass er sich auf den ersten Blick in ihn verliebt habe, und führte ihn zu eben jenem Wasserfall, von dem er so leidenschaftlich geschrieben hatte. Dort entledigten sie sich, schon etwas schüchterner, ihrer Kleidung. Dem Müllerssohn entging nicht, dass der Wasserfall einer Quelle entsprang, die hoch oben auf dem Morchelfelsen lag, sodass es aussah, als ob der hohe, lange Pilz unentwegt in den Himmel spritzen wolle. Lange blieb ihm keine Zeit, darüber nachzudenken, denn der Baron nahm seine Hand und führte ihn zum Bade. Sie besahen einander, zählten die Wasserperlen auf der Haut und legten sich alsbald neben den Bach, um sich zu trocknen. Wie zufällig berührte das Knie des grünbärtigen Herren dabei die Lenden des Müllerssohns, und mit einem stummen Nicken erlaubte ihm jener, dass er sich über ihn beugen dürfe. Wie der große Leib des Barons über dem zierlichen des Jünglings zu schweben schien, strahlte die Wärme des einen auf den anderen hinab. Die Lippen des Herrn von Rittersporn streiften so sanft wie ein Hauch über den jungen Nacken, sein grüner Bart aber kitzelte die Schulterblätter. Mit seinen Händen ordnete er das feine Haar des Müllerssohns und sprach:

»Ich ahnte bereits, als ich dich zum ersten Mal sah, dass du wunderbar duften würdest. Und jetzt spüre und rieche ich dein Haar und befinde mich im Frühlingshimmel!«

Am liebsten wäre der Baron in dem Schopf des Jünglings versunken, und wäre es sein letzter Atemzug gewesen, er wäre glücklich verschieden. Doch fort mit solcherlei Gedanken – nichts war lebendiger auf jener Lichtung als diese beiden! Der Baron ertastete mit zärtlichen Fingern das schöne Gesicht, jede Kontur wurde von ihm nachgezeichnet. Dann setzte er seine Erkundung fort, streichelte die Schultern und fuhr den Rücken hinab, wo seine Nägel sanfte Spuren auf der glatten Haut hinterließen. Als er das Ende erreicht hatte, hielt er jedoch nicht inne. Weiter wollte er mit seinen Händen suchen und alles finden, was immer der Müllerssohn ihn finden ließ. Die Atemzüge des Jünglings wurden schneller und waren ihm Zeichen, ob er auf der richtigen Spur war. Ging es vielleicht an seinen Beinen entlang zu den Füßen, die vom langen Weg ganz müde sein mussten? Liebevoll streichelte der Baron selbige und zweifelte doch, dass dies bereits jene Gegend sei, die er so gern entdecken wollte. Seine Finger – zehn waren’s, und doch fragte sich der Müllerssohn, wie viele der Baron haben mochte – krochen, vor leiser Ungeduld etwas zitternd, an den schlanken Schenkeln hinauf. Zugleich küsste er erst die zarten Ohrläppchen, dann die rosigen Wangen. Da spürte seine Zunge die kleinen Härchen des jugendlichen Bartes, die sich ihr entgegenstellten.

»Fürchtest du dich, mir ausgeliefert zu sein?«, fragte er den Jüngling. »Oder gestattest du meinen suchenden Händen, ihren Weg fortzusetzen? Sie werden sich jede Stelle merken, wo sie innegehalten haben, und die Erinnerungen in Ehren halten. Das verspreche ich Dir!«

    Selbstverständlich ließ der Müllerssohn ihn gewähren. Mehr noch, er schenkte ihm ebenso viel Zärtlichkeit und entdeckte seinerseits allerhand, womit sich die Zeit fröhlich vertreiben ließ. Küsse und Schwüre sowie Geschenke aus Kraft und Frische wurden ausgetauscht, und am Ende dieses Treffens versprach der fremde Baron dem Müllerssohn, am nächsten Tagen wiederzukommen und ihm neue, liebliche Gaben mitzubringen. Da schwamm der Jüngling über in Lust und Wonne. Nicht nur hatte er einen Freier gefunden, der sich mit seinem grünen Bart von allen gewöhnlichen Männern unterschied; nicht nur hatte er einen geheimen Ort gefunden, wo er all das erleben durfte, was sich andere nur in alten Betten und dumpfen Kammern zu tun trauten. Nein, er hatte nun die Aussicht, auf das Schloss eines Barons geführt zu werden, wo es fein und köstlich sein musste, wie es wohl bei manchem Fürsten nicht war.

So verging Tag um Tag und Treff um Treff, aber so einfallsreich Baron von Rittersporn den Müllerssohn stets von Neuem verführte, so wenig sprach er je von Heirat und Ehe. Geduld ist der Jugend Stärke nicht, und darum glaubte der Jüngling bald, es sei Zeit, selbst die Sache in die Hand zu nehmen. Zwar war der Vater noch nicht von seiner Reise zurückgekehrt, aber das kümmerte den Müllerssohn nicht. Er sprach also zum Baron:

»Höre, in unserem Dorf gibt es einen jungen Pfarrer, der sich oft genug nach mir den Kopf verdreht. Ein Leichtes wird es für mich sein, ihn zu überreden, uns zwei zu trauen. Sein Lohn wird kein teurer sein, da er an mir einen Narren gefressen hat – wie viele andere derbe Burschen ja auch schon. Sag mir nun also, liebster Baron, wann wir heiraten können!«

Der Herr von Rittersporn aber wollte ihm nicht so recht beistimmen, wie ein Bräutigam es gewöhnlich tut, und suchte Ausreden. Er meinte, sie sollten bis zur Wiederkehr des Müllers warten, außerdem sei das Wetter noch so freundlich, dass sie den heimlichen Ort beim Morchelfels nicht aufzugeben bräuchten. Das kam dem Müllerssohn merkwürdig vor und er meinte, der Baron habe kein Vertrauen zu ihm. So oft er ihn ansah oder an ihn dachte, fühlte er einen Stich im Herzen. Einmal sprach er zu ihm:

»Du bist mein Freier und lädst mich nicht einmal auf dein Schloss ein.«

Der Baron antwortete:

»Es liegt draußen hinterm dunklen Wald. Gewiss könntest du den Weg dahin nicht finden.«

Der Müllerssohn erkannte aus diesen Worten, dass der Baron ihn nicht in seinem Schloss haben wollte. Warum dies so war, wollte der Jüngling unbedingt herausfinden, und da er nicht darauf zählen konnte, vom Herrn von Rittersporn die Wahrheit zu erfahren, musste er sich hinsetzen und auf eine List sinnen. Nach drei Nächten kam ihm endlich ein Einfall und er sagte zur alten Magd:

»Mein Bräutigam reitet immerzu über den Bach durch den Wald, gewiss liegt dahinter sein Schloss. Ich werde ihm heimlich folgen, indem ich ihm Asche in die Satteltasche tue und ein winziges Loch hineinschneide. Rieselt sie heraus, wird sie mir den rechten Weg zeigen und ich kann mich nicht verirren. Den jungen Pfarrer will ich um seinen räudigen Klepper bitten, damit auch ich ein Reittier habe.«

Die Magd gab zu, dass die List nicht übel war, reichte dem Jüngling aber noch Linsen und Erbsen und sagte:

»Nimm die mit und wirf sie auf deinem Wege rechts und links neben dich. Der Asche allein ist nicht zu trauen, wenn du gesund wiederkehren willst.«

Der Jüngling gehorchte, und als nach einem weiteren Stelldichein unterm Wasserfall der Baron sich zum Aufbruch auf sein stolzes Ross setzte, umarmte ihn der Müllerssohn recht fest. Dabei tat er, ohne dass der Reiter es merkte, die Asche in die Satteltasche. Sobald der Baron fortgaloppierte, ward quer durch den Wald die Asche gestreut. Der Jüngling setzte sich nun auf seinen Klepper und ritt ihr nach, warf aber bei jedem Schritt rechts und links ein paar Erbsen und Linsen auf die Erde. Er ritt fast den ganzen Tag und gelangte am Ende des Waldes zu einer sumpfigen Niederung. Eine hölzerne Brücke führte darüber und dahinter stand ein Schlösschen. Da musste er absteigen und den Gaul an einen Baum binden. Erst dann schritt er auf das Schloss zu, sich eingestehend, dass er sich etwas fürchte, denn zwei große Hunde bewachten das Tor. Bevor sie jedoch an ihren Ketten reißen und anschlagen konnten, hatte der Jüngling einen schmalen Pfad abseits der Brücke entdeckt, auf dem er um das Schloss herumschleichen konnte. Er fand eine Mauer, die leicht zu erklimmen war, und nachdem er sie bewältigt hatte, hielt er sich in den Zinnen versteckt und beobachtete den Schlosshof, auf dem sich Seltsames abspielte: Eine prächtige Kutsche stand darin, die war mit scharlachfarbenen und lichtblauen Tüchern behangen und zwei Schimmel waren eingespannt. Daneben stand der Baron von Rittersporn, aber sein Bart schimmerte nicht grün, sondern blond, und er drückte nacheinander drei Frauen an seine Brust. Der Ersten, die wohl die älteste von ihnen war, gab er einen Kuss auf die Hand. Dabei sprach er:

»Eine gute Reise wünsche ich dir! Hüte deine Tochter, denn sie ist mein angetrautes Weib.«

In einer Ecke aber saß ein uraltes, blindes Weib, das murmelte bei diesem Kuss:

»Bleib hier, oh Mutter seiner Braut.

Sonst wird dies Schloss ein Sünderhaus.

Der Herr will fremde Därme schrappen.

Gehst du, wird keiner ihn ertappen.«

Die anderen aber beachteten sie nicht. Die älteste der edlen Frauen stieg in die Kutsche und nun küsste der Baron die zweite, die in seinem Alter sein musste, fest auf den Mund.

»Eine gute Reise wünsche ich dir! Hüte unser beider Tochter gut.«

Das uralte Weib murmelte erneut Worte mit zahnlosem Mund, die keiner beachtete:

»Bleib hier, du viel getäuschte Braut,

sonst wird dies Schloss ein Sünderhaus.

Der Herr möcht tief in Kot heut stechen.

Gehst du, wer wird den Schwindel rächen?«

Während sie so sprach und der Müllerssohn nachdachte, was die Sprüche wohl zu bedeuten hatten, gab der Baron der dritten Frau, welche unschwer als die jüngste auszumachen war, einen Kuss auf die Stirn und sprach:

»Eine gute Reise wünsche ich dir! Hüte deine Mutter, denn sie ist meine angetraute Braut, und deine Großmutter.«

Nun sprach die Alte:

»Bleib hier, du Tochter seiner Braut,

sonst wird dies Schloss ein Sünderhaus.

Dein Vater will Bullenmolke sieden,

Gehst du, ist Unheil dir beschieden!«

Doch auch die Jüngste hörte nicht auf das Gemurmel, sondern stieg in die Kutsche. Das Tor öffnete sich und die Schimmel galoppierten über die Brücke von dannen. Noch von Weitem konnte man die schlanken Arme sehen, wie sie sich aus dem Kutschfenster reckten und mit bunten Tüchern winkten. Der Baron aber beachtete sie nicht, sondern schloss das Tor und ging auf die Alte zu.

»Was erlaubst du dir, solch schimpfliche Worte an mein Weibsvolk zu richten?«, schalt er sie. »Geschieht dies noch einmal, jage ich dich aus meinem Schlosse.«

»Dein Schloss?«, lachte die Alte höhnisch und wackelte mit dem Kopf. »Es gehört mir genauso gut wie dir, solange ich am Leben bin. Ein jeder weiß, dass ich deine Urahn bin. Du meinst, nur weil ich keine Zähne mehr habe, könnte ich sie niemandem mehr zeigen! Ha! Ich will die Schändlichkeiten nicht dulden, die sich in diesen Mauern abspielen, sooft du dein Weibsvolk nach der Stadt hinschickst.«

»Kannst du’s nicht dulden, so steige hinab in die Küche und halte dich dort auf, bis ich dich wieder rufe«, sagte der Baron unwirsch. »Keiner zwingt dich, uns beizuwohnen, und keiner fragt dich, was du dulden magst und was nicht.«

Damit kehrte er sich um und ging ins Schloss, während die Alte missmutig in den Keller hinabstieg, wo die alte Küche war. Dort setzte sie sich an einen Kessel und schien sich ein Süppchen zu bereiten. Der Müllerssohn stieg ihr nach und glaubte, sie würde ihn nicht bemerken. Doch so blind das steinalte Weib auch war, so fein war ihr Gehör.

»Wer schleicht mir nach?«, fragte sie. »Die Schritte sind leicht, der Atem hell. Mir deucht, du musst ein Jüngling sein.«

Der Müllerssohn gestand, dass sie recht hatte, und fragte:

»Könnt Ihr mir nicht sagen, was es mit den drei Frauen auf sich hat, die mein Bräutigam vorhin küsste?«

»Ach, du armes Kind«, antwortete die Alte, »wo bist du hergekommen? Du bist in einem Sündenpfuhl gelandet. Du meinst wohl, du wärst ein Jüngling, der mit dem Baron bald Hochzeit macht? Oh nein, du wirst hingehalten von einem, der längst verheiratet ist und seine Gattin mit jedem betrügt, dem ausreichend Fleisch zwischen den Schenkeln baumelt. Siehst du, da hab ich einen großen Kessel mit Wasser aufsetzen müssen, damit färbt sich der Baron seinen Bart grün und verführt dumme Jungen wie dich und belügt sie ohne Barmherzigkeit. Bleibst du hier, wird er dich herumreichen, denn er hat sich Spießgesellen eingeladen, die allesamt mit Diebesfingern die Herzen junger Söhne aus guten Häusern rauben.«

Kaum war das gesagt, so kam eine Rotte trunkener Männer vor das Schloss, einige zu Fuß, andere zu Pferd und wieder andere im Wagen. Sie hatten jeder einen anderen Jüngling mitgeschleppt, die allesamt schön anzusehen waren und offenbar aus freiem Willen die älteren Herren begleiteten. Die Alte führte den Müllerssohn hinter ein großes Fass, wo man ihn nicht sehen konnte.

»Sei wie ein Mäuschen still«, sagte sie, »rege dich nicht und bewege dich nicht, sonst ist’s um deinen Anstand geschehen. Gleich wird der Baron seinen Bart behandeln und dann wirst du sehen, dass ich recht habe. Aber ich ahne, du wirst dich mit Freuden in das sündige Treiben stürzen.«

Baron von Rittersporn betrat die Küche just, als der Müllerssohn hinter dem Fass verschwunden war, und wollte wissen, mit wem die Alte da spreche. Sie keifte zurück, sie habe ihm und seinen Gesellen geflucht, worüber der Baron spöttisch lachte. Er trat an den Kessel, tauchte den blonden Bart hinein, und als er ihn wieder heraushob, schimmerte er in sattem Grün. Dergestalt trat er auf die Besucher zu und rief herzlich, sodass der Müllerssohn in seinem Verstecke alles hören konnte:

»Willkommen auf meinem Schloss, werte Herrschaften! Ich freue mich, Euch in der Gesellschaft solch frischer Jünglinge zu sehen. Meine neueste Eroberung kann ich Euch leider nicht präsentieren, da er noch einfältig an der Vorstellung anheimelnden Ehelebens festhält.«

Hierüber verfielen die älteren Herren in dumpfes Gelächter; einige der Jünglinge seufzten.

»Lasst uns in meinen Saal gehen und unter köstlichem Schmaus und erheiterndem Trunk unsere Studien zur antiken Historie fortsetzen«, sagte er und winkte allen Besuch ins Schloss.

Nun hielt es den Müllerssohn nicht länger hinter dem Fass. Er musste herausfinden, was die Herren mit den Jünglingen vorhatten. Dem steinalten Weibe, welches von Sünde sprach, konnte er nicht glauben, denn edel klangen die Namen der Gäste und freundlich ihre Stimmen. Ihm schien, als wären sie wirklich zu einer Gelehrtenstunde zusammengekommen, und jener wollte er lauschen, um zu sehen, ob er das Zeug zum Schüler hätte. Die Alte rief ihm noch nach:

»Renn nicht in dein Verderben, Kind!«

Aber vergeblich. Der Müllerssohn war längst aus dem Keller hinauf in den Saal geschlichen und verbarg sich hinter einer Säule, im sicheren Abstand zur Tafel, an welche sich die Herren gesetzt hatten und wo sie von ihren Jünglingen bedient wurden. Zunächst schien es dem Müllerssohn eine feierliche Mahlzeit zu sein, die dort abgehalten wurde. Dann aber bemerkte er immer mehr Dinge, die jene Tafelgesellschaft von anderen Festivitäten unterschieden: Zuerst fiel ihm auf, dass alle Jünglinge, während sie Kelche und Teller herumreichten, bei jeder Bewegung ein Kleidungsstück abwarfen. Das taten sie so anmutig und zauberhaft, dass sie wie Blumen wirkten, die sich langsam aus ihren Hüllen lösen, um sich zu entfalten. Und tatsächlich blühten sie am Rumpfe auf, was den Herren am Tisch sehr zu gefallen schien, denn sie nickten lobend mit den Häuptern. Doch nicht nur sein Auge, auch sein Ohr gewahrte Ungewöhnliches.

»Freiherr von Eberwurz«, wandte sich der Baron an den ersten Gast, »was habt Ihr zu meiner Brücke zu sagen?«

»Ich öffnete den Damm und habe sie überflutet«, gab der Freiherr zur Antwort. »Sollte Eure Gattin zu früh heimkehren, wird die Brücke unpassierbar sein und sie muss vor dem Graben warten.«

»Graf von Eisenhut«, fragte der Baron den zweiten Gast, »was habt Ihr zu meinen Wächtern zu sagen?«

»Ich gab Euren Hunden weder Futter noch Trank«, erwiderte der Graf. »Sollte Eure Schwieger zu früh heimkehren, werden sie anschlagen und sie muss die Tiere füttern.«

»Fürst Donardistel«, sprach der Baron den letzten Gast an, »was habt Ihr zu meinem Tor zu sagen?«

»Ich habe es fest verriegelt«, antwortete Fürst Donardistel. »Sollte Eure Tochter zu früh heimkehren, wird es sich nicht öffnen und sie muss pochen.«

Da war der Baron zufrieden und nahm ein altes Buch auf seinen Schoß. Während zwei Jünglinge ihm abwechselnd den Becher und die Gabel zu Munde führten, las er daraus Geschichten aus längst vergangenen Zeiten vor. Er berichtete von Zeus und Ganymed und wie der Göttervater den Hirtenknaben in den Olymp holte, damit er ihm dort Mundschenk sei.

»Lasst uns diese Geschichte nachempfinden«, schlug Graf von Eisenhut vor, erhob sich von der Tafel und lehnte sich auf ein Ruhepolster, den Finger auf einen der Jünglinge gerichtet.

»Sei du mein Mundschenk und ich will dir liebender Vater sein«, sprach er.

Der Jüngling trat gehorsam auf ihn zu und der Müllerssohn in seinem Versteck staunte, mit welch Hingabe er seinen Mund schenkte: Die Zähne lösten beengende Knoten, die Lippen öffneten störende Knöpfe, die Zunge schickte hemmenden Stoff zur Seite, um Freiheit und Luft an die gottgleiche Gestalt zu bringen. Dem irdischen Zeus und seinem Ganymed wurden Trauben und Wein gereicht, doch wurde damit mitnichten nur der Schlund gefüllt und die Kehle benetzt; der Müllerssohn sah, welch himmlischen Zeitvertreib sich die alten Griechen mit Obst und Wein sonst noch zu machen wussten.

Einige Gäste ergötzten sich an diesem Schauspiel, andere lauschten weiter dem Baron, welcher nun von der innigen Freundschaft Achills zu Patroklos schwärmte und die wiederum dem Fürsten Donardistel zum Vorbild gereichte. In spielerischen Kampfhandlungen fochten er und sein Jüngling mit ihren Speeren, um für den Ernstfall gewappnet zu sein, und weil beide kein Schild hatten, mussten sie die Hiebe und Stiche des Gegners erdulden. Doch stach der Fürst als Achill so sanft als möglich zu, und auch sein Patroklos setzte seine Waffe dergestalt ein, dass alle ihr Entzücken daran hatten.

Das dritte Studium des antiken Griechenlands führte die Gesellschaft zur Historie von Apollon und Hyakinthos. Da legten sich Freiherr von Eberwurz und sein Bursche auf den weichen Teppich, der vor dem Fenster lag, und huldigten einander. Währenddessen umwehten sie andere mit duftenden Blüten, bis sie in einem Meer von Rosenblättern zu liegen schienen. Der süße Hauch mischte sich mit den Gerüchen schwitzender Männer und siedender Molke, wie man sie nur einem friedlichen Bullen abzapfen kann. Dieses Gemisch stieg auch dem Müllerssohn in die Nase und machte ihn ganz verwirrt. Doch konnte er nicht vergessen, dass der Baron ihm seine Gattin und Tochter verheimlicht hatte, und auch nicht, wie abfällig seine Äußerung über ihn den anderen Gästen gegenüber gelautet.

»Die alte Urahn hat recht«, dachte sich der Müllerssohn, »der Baron will mich nur hinhalten, damit er tagtäglich dem tristem Eheleben im Schloss entfliehen und ein trautes Schäferstündchen im Wald genießen kann. Ich Narr aber glaubte seinen Schwüren und hoffte auf eine Liebesheirat.«

Da ward es ihm plötzlich egal, dass die griechischen Liebeslehren ihm den Kopf schwer machten und die Hosen eng. Er wartete, bis es dunkel wurde und die Gesellschaft ermüdete. Sobald sie sich hinlegten, um sowohl vom Wein als auch von ihren Studien auszuruhen, wollte er flüchten. Einer der fremden Jünglinge aber fand keinen Schlaf: Er bemerkte am Baron von Rittersporn einen goldenen Reif, der sich nicht gleich abziehen ließ, aber gerade das schien ihm nötig, damit das Blut sich nicht an falscher Stelle verdicke. So nahm er einen schmierigen Saft und schäumte die Stelle ein. Mit dem nächsten Ruck aber sprang der Reif in die Höhe und über die Gesellschaft hinweg und fiel dem Müllerssohn hinter seiner Säule gerade in den Schoß. Das ärgerte nunmehr den Baron. Der nahm eine Kerze vom Ständer und wollte das Schmuckstück suchen, weil es aufgrund seiner Enge sein Lieblingsgeschmeide war. Der heimliche Zuschauer begann in seinem Versteck zu beben und traute sich nicht, daran zu denken, welches Schicksal ihm wohl zugedacht sein mochte, würde man ihn hier erwischen. Da sprach ein anderer aus der Schar:

»Habt Ihr auch schon hinter der großen Säule gesucht?«

Aber Fürst Donardistel rief:

»Lasst uns für diesmal lieber ausruhen, die Nacht verrinnt bereits. Verschiebt das Suchen bis zum Morgen; der Reif läuft uns ja nicht fort.«

Der Baron befand die Worte des Fürsten für richtig und ließ vom Suchen ab. Bald schliefen und schnarchten sie allesamt. Wie der Müllerssohn das hörte, kam er hinter der Säule hervor und musste über die Jünglinge und Herren hinwegschreiten, die da reihenweise nackend auf dem Teppich lagen, und hatte große Angst, er möchte einen von ihnen aufwecken. Einmal glaubte er bereits, ein Arm habe seinen Knöchel gestreift, um ihn zu haschen – doch er merkte, dass es kein Arm gewesen war, der dort emporragte, sondern der Eisenhut des Grafen. Das beruhigte den Müllerssohn und belustigte ihn zugleich, und aus dem kurzen Schreck erwuchs ihm neuer Mut, der ihm half, dass er glücklich durch den Saal kam. Er ging um die Tafel herum, tastete vorsichtig nach zwei Knochen, die nur der Speise, nicht aber der Liebe gedient hatten, und steckte sie in seine Taschen. Dann lief er auf den Schlosshof, entriegelte das Tor und öffnete die Flügel. Da sprangen ihm die zwei ausgehungerten Wachhunde entgegen, knurrten und bellten und zerfetzten ihm die Hosenbeine. Der Müllerssohn aber warf ihnen die Knochen hin und sie wurden friedlich, knabberten daran und wedelten mit den Schwänzen. Nachdem sie ihn durchgelassen hatten, gelangte der Müllerssohn an den Sumpf, aber die Flut hatte die Brücke verdeckt. Also musste er ins schwarze Wasser waten. Zuerst war es nur knietief und er kam gut voran. Dann stieg es ihm bis zur Brust und durchnässte all seine Kleider. Schon glaubte er, das letzte Stück nicht mehr zu schaffen, als er das andere Ufer erreicht hatte. Dort wollte er auf den räudigen Klepper steigen, doch der war nirgends zu sehen.

»Wölfe werden ihn geholt haben«, glaubte der Müllerssohn.

Er hatte aber keine Zeit, sich zu fürchten, sondern schlug sich nun zu Fuß durch den Wald und musste sich von Zweigen und Gestrüpp das Gesicht zerkratzen lassen. Das bemerkte er jedoch kaum, denn er strengte die Augen an, um die Spur nach Haus zu finden. Die gestreute Asche hatte der Wind weggeweht, aber die Erbsen und Linsen hatten gekeimt und waren aufgegangen. Sie zeigten ihm im Mondenschein den Weg heimwärts.

Am Morchelfelsen endete die Spur freilich, doch war der Müllerssohn den Pfad zwischen Wasserfall und Mühle schon so oft gegangen, dass er ihn im Schlafe hätte finden können. Dennoch hielt er inne, denn im fahlen Licht sah er eine Gestalt dort stehen, die ihm zurief:

»Wer ist da? Wer kommt aus dem Walde?«

Der Müllerssohn zauderte. War’s der Baron, der ihn überholt hatte und nun hier auflauerte? War’s ein Räuber, ein Mörder gar, der nachts in den Wäldern hauste? Plötzlich wieherte es neben der fremden Gestalt. Als sich das Pferd beruhigte, erkannte der Müllerssohn, wer vor ihm stand.

»Ihr seid’s, Pfarrer«, freute er sich, »und Ihr habt Euern Gaul dabei!«

Der junge Pfarrer aber teilte die Freude nicht.

»Wohl erkenne ich die Stimme des Müllerssohns«, sagte er, »doch Eure Erscheinung gleicht ihm keinesfalls. Er ist schön, Ihr aber seid hässlich!«

Da beteuerte der Müllerssohn viele Male, dass er es wirklich sei, und er musste allerlei alte Geschichten aus Dorf und Mühle erzählen, bis der Pfarrer ihm glaubte.

»Komm mit mir in meine Stube, dort kannst du dich waschen und ausruhen«, sagte er. »Hernach wirst du mir erzählen, was dich so übel zugerichtet hat.«

Und er nahm den Müllerssohn an die Hand und führte ihn und den Klepper zum Pfarrhaus. Während der Pfarrer seinen Gaul in den Stall brachte und versorgte, betrat der Jüngling die Stube und sah in einem Wandspiegel sein zausiges Haar, die zerlumpten Kleider und die Striemen im Gesicht, welche ihm die Dornen zugefügt hatten.

»Der Pfarrer muss mich ja für ein Ungeheuer halten, wenn ich so aus dem Walde stapfe«, dachte er betrübt. »Ich halte mich beinahe selbst dafür!«

Kurz darauf kam der Pfarrer herein, hieß den Müllerssohn sich ausziehen und bereitete ihm in einem großen Trog ein heißes Bad. Und während er das zerzauste Haar kämmte und die zerschundenen Schultern schmierte, klagte der Jüngling ihm sein Leid. Er reichte ihm sogar den Reif, der ihn beinahe verraten hatte, als Wahrzeichen. Wie der Pfarrer ihm aber die Waden abtrocknete, klangen die Worte schon weniger traurig, und als er ihn, ganz in eine wollene Decke eingewickelt, ins Bett brachte, lächelte der Müllerssohn bereits wieder und fand sein Schicksal gar nicht mehr so schlimm. Unter dem Duft von Kaminholz und alten Büchern schlief er ein. Nur von fern hörte er das gleichmäßige Knarren des Schaukelstuhls, in den sich der Pfarrer gesetzt hatte, und er fühlte sich sicher und geborgen mit dem frommen Wächter an seiner Seite. Am nächsten Morgen bereitete der Müllerssohn das Frühstück und der junge Pfarrer sprach:

»Ich habe über den Baron und seine falschen Schwüre nachgedacht. Ich meine aber, wir müssen Nachsicht üben. Ein Fest will ich bereiten und derer von Rittersporn dazu einladen.«

Der Müllerssohn entsetzte sich zuerst, aber als der junge Pfarrer beharrlich blieb und ihm seine Gedanken näher auseinandersetzte, beruhigte er sich und stimmte am Ende dem Fest zu. Also wurde es drei Tage später ausgerichtet. Der alte Müller, der von seiner Kur endlich zurückgekehrt war, erschien nebst seiner Magd, dazu die Wäscherin und ihr Gatte, der Metzger und sogar der Schultheiß – alle Nachbarn eben. Sie saßen an der langen Tafel, am Kopfende aber thronten der Baron von Rittersporn und seine Gattin gemeinsam mit Tochter und Schwiegermutter. Sie freuten sich, einmal bei gewöhnlichem Volk speisen zu dürfen, und waren so arglos, dass sie nach dem Anlass der Einladung gar nicht fragten. Der Pfarrer saß in ihrer Nähe, der Müllerssohn aber hielt sich verborgen und wollte sich erst im rechten Augenblicke zeigen. Wie sie bei Tische saßen, ward einem jeden aufgegeben, etwas zu erzählen. Der junge Pfarrer saß still und redete nichts. Da sprach der Baron von Rittersporn zu ihm:

»Nun, Bruder, wisst Ihr nichts? Erzählt uns auch etwas.«

Der Pfarrer antwortete:

»So will ich einen Traum erzählen. Ich ging allein durch einen Wald und kam endlich zu einem Schloss. Da waren viele Edelmänner darin auf einem Teppich, die teilten sich mit jungen Burschen ihre Lüste. Ja, sie standen unter Saft wie ein ganzes Kloster zur Fastenzeit! Mein Baron, das träumte mir nur. Da verbarg ich mich hinter einer Säule und sah, wie sie einander Reifen umtaten und sich gegenseitig Speere und Speisen einführten in allerlei Leibesöffnungen. Sie huldigten zudem antiker Heiligtümer, die sie anbeteten wie vormals die Griechen. Mein Baron, das träumte mir nur. Aber nachdem der Schweiß geflossen ward und jede weiche Molke sich in harte Flecke gewandelt hatte, so bekam einer der Herren den Reif nicht mehr von seinem Rumpf und es wurde ihm ein Schmiersaft gereicht, mit dem er kräftig daran schäumte. Mein Baron, das träumte mir nur. Daraufhin rutschte der Reif endlich ab, und weil er ruckartig abgezogen ward, sprang er in die Höhe und hinter die Säule und fiel mir in den Schoß. Und da ist er!«

Bei diesen Worten zog er den goldenen Reif hervor und zeigte ihn den Anwesenden. Der Baron, der bei der Erzählung ganz kreideweiß geworden war, sprang auf und wollte entfliehen. Doch der Müllerssohn stellte sich ihm in den Weg. Da bemächtigte sich wilder Zorn des Barons. Er zückte einen Dolch, warf ihn auf den Müllerssohn und brüllte:

»Verräter!«

Der Müllerssohn konnte rechtzeitig ausweichen, der Dolch aber steckte in einem Holz und war nicht mehr herauszubringen. Nun konnte der Baron nicht mehr fliehen, der Jüngling aber rief:

»Erkennt Ihr nicht das Lieblingsgeschmeide Eures Gatten, Baronin von Rittersporn?«

Jene besah sich den Reif und gab zu, dass der Baron genau denselben besitze, ihn aber vor einigen Tagen verlegt habe.

»So ist die Geschichte des Pfarrers wahr!«, entfuhr es der Schwiegermutter, und die Tochter rief:

»Die Urahnin hatte recht!«

Da erkannten die Gäste an des Barons Gesicht, dass er den Reif wohl kannte und zu den Edelmännern gehörte, von denen eben gesprochen wurde; und sie verstanden auch, dass seine eigene Familie von alledem gerade zum ersten Mal erfuhr. Die drei Frauen legten jede ihre Stirn in Falten und kamen mit bös funkelnden Augen auf den Baron zu. Der öffnete die Arme in der Hoffnung, er dürfe sie an seine Brust drücken. Die Tochter aber trat ihm auf den Fuß, machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Fest mit hoch erhobenem Haupt. Die Baronin schlug ihm mit Wucht ins Gesicht, dass die Blässe auf seinen Wangen dem roten Abdruck ihrer Handfläche wich, und eilte ihrer Tochter hinterher. Zuletzt sah die Schwiegermutter abschätzig an ihm herab, spuckte ihm auf die Stirn und schritt gemächlich den anderen beiden nach. Sie bestiegen die Kutsche und die Schimmel trabten los. Der Baron ließ daraufhin die Schultern hängen. Niedergeschmettert ging er auf den Müllerssohn zu und bat, dass wenigsten er ihm vergebe.

»Nimm mich in deine Mühle auf und lass mich bei dir bleiben. Du siehst, unserer Hochzeit steht nichts mehr im Wege!«

Der Jüngling aber schüttelte den Kopf und sprach, sich in den Arm des Pfarrers einhakend:

»Ein Verräter und ein Schwindler könnten wohl auf eine Zeit zusammenleben. Aber was geschieht, wenn es dermaleinst ich selbst bin, der von dir in einer schmucken Kutsche in die Stadt geschickt wird?«

Weil der Baron in seiner Dummheit nichts darauf zu erwidern wusste, wurde er von den Festgästen gepackt, als Lügenbold und Falschspieler, Verführer und Betrüger beschimpft und fortgejagt. Nur sein stolzes Ross blieb zurück, und das behielt der junge Pfarrer ein, damit sein räudiger Klepper auf seine alten Tage geschont würde. Und er behielt noch zwei weitere Dinge: zum einen den Müllerssohn, dessen hochmütige Gesinnung sich ganz in Demut gewandelt hatte, und zum anderen den Reif, den die Baronin wütend auf den Boden geworfen hatte. Jenes Geschmeide sollte den beiden noch viel Freude und Entzücken bereiten.

»Noch ist aber nicht alles ausgestanden«, gab der Pfarrer zu bedenken. »Der Freiherr von Eberwurz, der Graf von Eisenhut und der Fürst Donardistel werden mit den anderen verlogenen Freunden aus des Barons Studienkreis denjenigen suchen, der ihnen ihre Tafelgesellschaft zerstört hat.«

Der Müllerssohn bekam es mit der Angst zu tun, die Edlen könnten sich an ihm auf eine Weise rächen, die alle Grausamkeit der antiken Mythen in den Schatten stellen würde. Der Pfarrer beruhigte ihn jedoch:

»Besser, wir kommen ihnen zuvor. Die Baronin von Rittersporn soll ihnen allen einen Brief schicken, dass sie auf ihrem Anwesen nicht mehr willkommen sind. Als Ersatz soll sie ihnen meine Adresse nennen. Dort werden wir die Schelme empfangen und sie von ihrem heuchlerischem Tun heilen.«

Die Damen von Rittersporn waren allesamt glücklich, als der Pfarrer ihnen von seinem Plan berichtete, denn nur ungern hätten sie einen der unzüchtigen Freunde des Barons vor ihrem Tore vorgefunden. Die Baronin verschickte die Briefe und all die Freiherren, Grafen und Fürsten lasen mit Wonne von der neuen Behausung für ihre Zusammenkünfte. In dem Briefe an sie alle stand:

»Werte Herren! Unsere nächste Festivität wird im Dachboden des Pfarrhauses jenseits der Mühle stattfinden, auf der anderen Seite des Waldes, den ihr sonst durchquert habt. Eine Leiter wird zur Luke führen, die einzig erleuchtet sein wird. Doch nur einzeln könnt ihr sie erklimmen, und seid ihr oben, muss jeder von euch zunächst blind seinen Dorn, Wurz oder Eisenhut durchstecken. Glaubet mir, dass jene edelste Stelle Eures Leibes auf eine Weise verwöhnt werden wird, wie ihr sie noch nie erfahren habt. Ein neuer Gefährte hat sich nämlich eingefunden, der in unserem Kreis aufgenommen werden will, und dies soll seine Prüfung sein. Damit es aber zügig vonstattengehe, kleidet euch luftig und leicht, wie jene alten Griechen, die uns einmal mehr zum Vorbild gereichen!«

Die Vorstellung sagte allen Eingeladenen zu: Ohne den Quell der Freude erblicken zu können und dennoch Wohltat zu erleben, war eine Spielart, die sie noch bei keinem Studienkreise getrieben hatten. Also trafen Freiherr von Eberwurz, Graf von Eisenhut, Fürst Donardistel und all die anderen zum verabredeten Zeitpunkt beim Pfarrhause ein und waren nur mit weißen Tüchern bekleidet, die man mühelos anheben oder zur Seite streifen konnte, um Zugang zum baumelnden Fleische zu haben. Insgesamt waren es ihrer elf und sie entschieden, in der Reihenfolge ihres Alters die Leiter zu besteigen. Der Graf von Eisenhut war der Erste. Er fasste eine Sprosse um die andere und stand schließlich vor der Dachluke, in die ein Loch gebohrt worden war. Durch jenes passte ohne Schwierigkeiten jenes Merkmal, welches den Mann zum Manne machte. Der Graf steckte es durch und es war bereits vor lauter Vorfreude angeschwollen. Nun versteifte es sich immer mehr, denn auf der anderen Seite saß der Müllerssohn und bestrich den Grafen mit einem Pinsel aus feinem Haar, den er immer wieder in ein dickflüssiges Nass tunkte. Solch Mischung aus Kitzeln und Bürsten, Nässen und Tupfen hatte der Edelmann bisher nie gespürt und er stöhnte laut. Natürlich machte das die anderen Gäste vor der Leiter umso neugieriger und sie drängten den Grafen, sich zu eilen.

Just als jener die empfangenen Wohltaten nicht mehr länger aushielt und sich ein herber Saft aus ihm ergoss, öffnete sich die Luke und er fiel nach innen. Dort packte ihn der Pfarrer, schlug ihn auf den Kopf, sodass er bewusstlos dahinsank, und flößte ihm einen Schlaftrunk ein. Die Luke ward sogleich geschlossen und die anderen hatten nicht gemerkt, was dort auf dem Dachboden wirklich vor sich ging. Freiherr von Eberwurz kletterte geschwind die Leiter hinauf, steckte seinerseits die Mannheit durchs Loch und erfuhr die gleiche Pinselbehandlung, ehe er ins Innere stürzte und für seinen Vorwitz bestraft wurde. So erging es den neun Weiteren, bis der Jüngste auf der Leiter stand. Für ihn aber hatten der Pfarrer und der Müllerssohn keine Geduld mehr für Pinselstreiche. Stattdessen nahmen sie ein glühendes Eisen zur Hand und brannten dem Gast ein Zeichen auf seine edelste Stelle. Der jaulte vor Schmerz auf, verlor das Gleichgewicht und stürzte die Leiter hinab. Sein Schrei aber war das Zeichen, auf das unten in der Pfarrerstube die alte Magd gewartet hatte, mit der alles verabredet war. Sie ging in den Stall, spannte das Ross vor den Wagen und fuhr damit vor die Dachluke. Mit kräftigen Armen packte sie den wimmernden Jüngsten, der da auf dem Grase lag, und hievte ihn auf den Wagen. Es folgten Fürst Donardistel, der Freiherr von Eberwurz und all die anderen Ohnmächtigen, die der Müllerssohn an der Leiter hinabgleiten ließ. Sowie der Wagen voll war, gebot der Pfarrer der treuen Magd:

»Nun fahr zu den Schlössern und Häusern unserer Gäste und liefere selbige vor den Toren ihrer Gemahlinnen ab. Die werden an unserem Gruße erkennen, welch üblen Streich ihnen ihre Ehegatten seit langer Zeit spielten!«

Denn womit der Müllerssohn sie bepinselt hatte, war bunte Farbe gewesen, die nur schwerlich wieder abgewaschen werden konnte. Als die Gräfin von Eisenhut anderntags vor dem Tore ihren Mann mit entblößter Hose und grün-gelb schimmernder Mannheit fand, weckte sie ihn unsanft und stellte ihn zur Rede. Genauso tat es die Freiherrin von Eberwurz, die Fürstin Donardistel und all die anderen. Da half kein Leugnen und Lügen, denn die Farbe an ihrem Leibe verriet, dass die Männer ihre edlen Stücke an Orten hatten, wo sie eigentlich nicht hätten sein dürfen.

Freilich verhielt sich jede Gemahlin in der Sache anders. Die eine schalt und schimpfte und verlangte den Scheidebrief; die nächste sperrte den Gatten in die Stube und ließ ihn nie wieder aus den Augen; andere hingegen lachten und gestanden ihrem Mann auch weiterhin Umgang mit Jünglingen zu, weil sie selbst sich ebenfalls gern umtaten. Es gab sogar welche, die wollten selbst einen Studienkreis eröffnen und mit ihrem Gemahl gemeinsam Gäste beiderlei Geschlechts empfangen.

Die jüngste Dame sann angesichts der Brandmarkung ihres Angetrauten sogar auf ein Geschäft, das ihr eitel Geld einbrachte: Weil sowohl ihr als auch dem Gemahl der Anblick von schwarz geschmückter Mannheit immer mehr gefiel, je länger sie es betrachteten, eröffneten sie einen Laden, in welchem sich Männer ihr edles Stück mit glühend heißem Eisen verzieren lassen konnten. Freilich war dies mit Schmerzen verbunden, aber mit den Jahren verfeinerten sie die Kunst und entwarfen vielerlei entzückende Bilder, die sich je nach Grad der Versteifung verändern konnten. Das lockte viele Kunden an, und gerade jene mit besonders gesegneter Fleischesgröße ließen sich auf diese Art verschönern. Die Dame übernahm dabei das Brennen und der Gemahl durfte dafür sorgen, dass des Kunden Mannheit gut anschwoll, um ausreichend Platz für die Markung zu bieten. Dass er diesen Anteil der Arbeit mit Hingabe erfüllte, braucht wohl nicht gesagt zu werden.

Wie auch immer die Folgen für die Angepinselten aussahen – nach den Zusammenkünften des Barons von Rittersporn sehnte sich keiner mehr und so blieb dessen Familie von weiteren Besuchen unbehelligt, der Müllerssohn hingegen von unliebsamen Rachegelüsten seitens der Edelmänner verschont.

Das jedenfalls glaubten er und der Pfarrer. Allein sie irrten sich – denn der Baron von Rittersporn selbst, um seine Familie und Besitztümer gebracht, zog nun verdrossen durchs Land und gab die Schuld an seinem Unglück einzig dem Müllerssohn. Dem wollte er es mit Tücke heimzahlen. Daher rasierte er sich seinen Bart und machte sich auch sonst unkenntlich. Anschließend versteckte er sich in der Nähe des Pfarrhauses und wartete, bis der Gefährte seines einstigen Geliebten zur Ausübung seines Amtes einmal fort musste. Kaum war es soweit, pochte er an die Tür und sprach, als der Müllerssohn ihm öffnete:

»Guter Mann, helft mir auf den rechten Weg. Ich will zu einem Brandmarker, der sich auf die Verzierung männlichen Fleisches verlegt hat. Wo finde ich den?«

Der Müllerssohn erriet, dass der Fremde von jenem Edelmann sprach, dem er seinerzeit selbst die Brandmarkung zugefügt hatte. Er beschrieb den Weg, allein der verkleidete Baron stellte sich dumm. Schließlich gab der Müllerssohn auf und schlug vor:

»Lasst uns in die kleine Kirche gehen und auf den Glockenstuhl klettern. Dort sind die Fenster offen und man kann bis zur Stadt sehen. Auf diese Weise kann ich Euch leichter erklären, welche Richtung Ihr einschlagen müsst.«

Der Baron willigte ein und freute sich ungemein, als sie die Kirche leer vorfanden. Schon zückte er ein Messer und wollte, dem hellenistischen Pausanias gleich, das gebrochene Vertrauen mit Mord vergelten. Angesichts der christlichen Gestaltung des Kircheninneren jedoch vergaß er seine antiken Vorbilder und sein Auge berauschte sich an der anmutigen Gestalt des Heiligen Sebastians, der auf einem Gemälde neben dem Altar halbnackt am Baum gebunden stand und die eindringenden Pfeile nicht nur duldete, sondern verklärt starrend zu genießen schien.

»Als wären es keine Todeswaffen, sondern Amors Liebespfeile«, dachte sich der Baron.

Auf der anderen Seite stand eine Statue des Apostels Andreas, der am Schrägkreuz gefesselt duldsam seines Martyriums harrte. Gern hätte der Baron den Müllerssohn an ein solches Kreuz gebunden und ihn mit Peitsche und Geißel gequält. Diese Vorstellungen brachten ihn dazu, das Messer zunächst wieder wegzustecken und dem arglosen Jüngling auf den Glockenstuhl zu folgen. Dort wies der Müllerssohn durchs Fenster und zeigte dem vermeintlich Fremden die Straße, der er folgen müsse. Da sprach der Baron:

»Vergib mir, dass ich kaum zuhören kann, denn deine Haut schimmert glatt und weiß. Während ich deine pure Schönheit betrachte, stelle ich mir vor, wie du erst funkeln würdest, wenn dir Wasserperlen den Leib herabliefen. Schon jetzt weiß ich, dass mir gefallen würde, was ich sähe.«

Der Müllerssohn erkannte darin jene Worte, die ihm der Baron einst in seinem glühenden Liebesbrief geschrieben hatte, und er erschrak fürchterlich. Doch da war es schon zu spät – der Baron hatte ihn bei den Armen gepackt und drohte, ihn vom Glockenturm in die Tiefe zu werfen. Schnell sah der Müllerssohn ein, dass sich zu wehren keinen Zweck hatte, und flehte stattdessen:

»Wenn ich schon dahinscheiden muss, so lass mich meinen Saft ein letztes Mal gen Osten schießen, wo die Sonn’ aufgeht! Wie damals, als wir im heimlichen Grund uns trafen.«

Dem Baron war diese Bitte nicht unwillkommen. Er riss dem Müllerssohn den Hosenbund auf und packte dessen Mannheit, um ihn in östliche Richtung zu zerren. Den Rest des Leibes aber hielt er fest, indem er den Jüngling beim Schopfe nahm und herrisch daran zog, sodass der das Haupt in den Nacken legen musste. Tränen traten ihm vor Schmerz in die Augen.

»Heul nicht«, schalt der Baron. »Wenn der Heilige Sebastian die stechenden Pfeile auf nackter Brust und freien Flanken ertrug, wirst auch du die Wonne der Pein aushalten können! Lause mich kräftig an meinem edlen Fleische, das dir einst so viel Gutes tat, während ich dich zum Gipfel der Wollust führe!«

Und sie standen droben auf dem Turm und rieben ihre Leiber recht derbe aneinander. Der Baron scherte sich nicht drum, ob sie jemand sah oder nicht. Der Müllerssohn aber, seiner absonderlichen Lage zum Trotz, gelangte wahrhaftig zum Zenit und der Saft sprudelte aus seinen Lenden. In hohem Bogen flogen die Tropfen vom Glockenturm hinab ins Land.

»Nun lass mich noch ein letztes Mal gen Westen spritzen, wo die Sonn’ untergeht«, bat er.

Der Baron gestattete es, wohl zum einen, weil er selbst noch nicht in seiner Begierde gestillt war; zum anderen, weil er angesichts der versteiften Mannheit des Jünglings alte, zarte Gefühle wiederentdeckte, die sich nun mit seinem Hass vermengten.

»Du darfst, wenn du mich weiterhin lausest«, sagte er, ließ von dem Schopfe ab und drückte mit den Händen nunmehr auf die Gurgel seines Opfers.

Der Müllerssohn röchelte und hatte Mühe, ausreichend Luft zu schöpfen. Das verzweifelte Pusten aber gefiel dem Baron, der nicht nachließ, mit der anderen Hand unterm Rumpf des Jünglings zu zupfen.

»Derart ausgeliefert war schon der Apostel Andreas an seinem Kreuz«, brummte er seinem Gefangenen ins Ohr. »Ich sollte dich fesseln wie ihn, die Glieder ausgestreckt, um dich noch ärger für deinen Verrat zu strafen! Nackt sollst du am Kreuz gebunden sein, damit die Fesseln deine Haut zerschmirgeln, und dein aufgerichtetes Fleisch will ich peitschen!«

War es die Verzweiflung oder gefiel dem Müllerssohn jene Vorstellung tatsächlich – das blieb ungewiss, aber sein Saft floss durchaus in heftigen Schüben und die Tropfen flogen in westlicher Richtung vom Glockenturm herab. Da erreichte auch der Baron einen Punkt, während dem er von seinem Opfer ablassen musste und die Aufmerksamkeit ganz seinem eigenen Leib schenkte.

Auf diesen Augenblick aber hatte der Müllerssohn gehofft. Sowie der Griff an seiner Kehle sich lockerte, stieß er den rechten Ellenbogen nach hinten, riss mit der lausenden linken Hand gewaltsam das Lendenhaar aus und fügte damit dem Baron ausreichend Schmerz zu, dass jener nach hinten wankte und ihn freigab. Der Jüngling nahm die Beine in die Hand und rannte die Treppen hinunter ins Kirchenschiff. Doch zwischen den Bänken stolperte er, was seiner Erschöpfung geschuldet war, und kam kurz vor dem Eingangstor zu liegen. Er vernahm die schweren Schritte des Barons, der ihm nachfolgte, und glaubte schon:

»Nun ist’s um mich geschehen.«

Aber da öffnete sich das Kirchentor und der junge Pfarrer nebst dem alten Müller eilten herein, halfen dem Jüngling auf und verteidigten ihn gegen den bösen Angreifer, bis jener darniederlag. Nun war der Müllerssohn gerettet und dankte seinen Lieben viele Male. Allein es war mehr als Glück gewesen, dass seine Helfer rechtzeitig eingetroffen waren. Der Saft nämlich, den er nach Osten geschleudert hatte, ward gegen das Fenster seines Vaterhauses gespritzt, und wie er an den Scheiben nach unten rann, formte er die Worte »Zu Hilfe!«. Die treue Magd hatte dies bemerkt, dem Müller sogleich Meldung gemacht und jener hatte erraten, dass sein Sohn in tödlicher Gefahr stecken musste. Also hatte er sich aufs Pferd gesetzt und war zur Kirche geeilt, denn er wusste: Nur von ihrem hohen Turm aus habe der Saft so weit fliegen können.

Ähnlich war es auch dem Pfarrers ergangen. Der Saft regnete aus heiterem Himmel auf ihn herab, als er gerade mit seinem Ross durch den Wald trabte. Er traf ihn im Gesicht und lief ihm auf die Lippen. Am Geschmacke erkannte er, dass es sich mitnichten um Regenwasser, sondern um den Saft seines Liebsten handelte. Also hatte er dem Ross die Sporen gegeben und war zur Kirche galoppiert, wo er den alten Müller traf und gemeinsam mit ihm ins Gotteshaus eindrang.

»Nun ist auch der letzte Edelmann, der uns den Streich von damals verübeln könnte, besiegt«, freute sich der junge Pfarrer und nahm den glücklichen Müllerssohn in den Arm.

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Sie lebten fürderhin in Frieden und blieben von jeglichem Leid verschont. Der Baron von Rittersporn aber empfing seinen gerechten Lohn, und wie jener aussah, mag sich jeder selbst ausdenken.

***

Wilko entschuldigt sich, dass seine Geschichte länger geworden ist als Charlies drei Märchen zusammen. Er habe einfach nicht aufhören können, weil ihm während des Erzählens immer mehr Details eingefallen seien.

»Keine Sorge«, sagt Basil. »Die heutige Nacht ist so schwül, da hört man gern von kalten, dunklen Wäldern und plätschernden Wasserfällen. Außerdem wird mein Märchen wieder etwas kürzer und wir holen die Zeit rein. Was dagegen, wenn ich gleich loslege?«

Niemand wendet etwas ein.

»Dann hört gut zu und wehe, einer von euch ist unkonzentriert und denkt heimlich weiter darüber nach, welche Körperregionen von Wilko möglicherweise gebrandmarkt sein könnten«, witzelt er.

Herr Kariert von Klein

Henning Hahn und sein Liebster, das Hühnerbrüstchen, mussten zusammen eine Reise machen. Henning lud das breite Bett auf den Wagen, das vier schöne, rosarote Pfosten hatte, und weil er keinen Hengst hatte, bat er die vier Kammerjäger des Gutsherrn, sich vorn einzuspannen und zu ziehen.

»Ich will auch euren Trog auf den Wagen heben«, versprach er.

Da kamen also Kammerjäger Rattenscharf, Kammerjäger Lausebengel, Kammerjäger Fliegenwedel und Kammerjäger Flohsack, stellten ihren Trog auf Hennings Wagen und zogen an. Henning setzte sich oben drauf, sein Hühnerbrüstchen saß daneben und sie fuhren miteinander fort. Nicht lange, so begegnete ihnen Herr Streuner. Der strich sich über seinen feinen Bart und fragte:

»Wo wollt ihr hin?«

Henning antwortete:

»Wir müssen leider weit hinaus,

bis Herrn Kariert von Klein sein Haus.«

Herr Streuner begehrte zu wissen, was die Gesellschaft dort hinführe. Da erzählte das Hühnerbrüstchen traurig:

»Der Herr Kariert von Klein ist unser neuer Gutsherr. Als er letztens unser Heim begutachtete, verdammte er das breite Bett, auf dem Henning Hahn und ich das Lager teilen. Zwei getrennte Betten zwang er uns auf und nun bringen wir ihm das alte hin, damit er nicht länger unsertwegen erbost ist.«

Und Kammerjäger Rattenscharf fügte hinzu:

»Auch uns, die in seinem Gesindehaus wohnen, besuchte er ungefragt und nahm Anstoß an dem Trog, den wir besitzen. Ölige Schmiere ist darin, mit der wir Wedel, Sack und sonst alles Werkzeug einfetten, um in jedes noch so enge Loch zu gleiten. Herr Kariert von Klein will aber nicht, dass wir in unseren Kammern weiter nach Ungeziefer jagen.«

»Nehmt mich mit«, bat Herr Streuner. »Auch mein Heim gehört zu seinem Gut, und wenn er mich dereinst besucht, wird er mein rosarotes Rasiermesserchen nicht mögen, mit dem ich mir die Schluchten zwischen den Schenkeln und Backen von allem Haar freihalte. Soll er es haben und ich will’s ertragen, dass sich bewaldet, wo es vormals schön glatt gewesen.«

Henning antwortete:

»Recht gern, sitz nur hinten auf, sodass du vorne nicht herabfällst.«

Sie zogen weiter, an der Mühle vorbei, vor welcher der stramme Müller stand. Der winkte der Gesellschaft zu und fragte ebenfalls, wohin sie wollten. Die Antwort lautete wieder:

»Wir müssen leider weit hinaus,

bis Herrn Kariert von Klein sein Haus.«

Und der Müller erfuhr von dem strengen Herrn Kariert von Klein:

»Als er ins Gutshaus zog, bewillkommnete er uns alle mit einem großen Wohltätigkeitsfest. Er wolle allem Gesinde Essen und neue Kleidung geben, hieß es. Also strömten wir alle zu ihm hin. Da befahl er uns, alle Kleider abzulegen, damit er uns neue geben könne; die Lumpen aber sollten wir auf einen Haufen werfen, den er anzündete. In der Asche fand er zahlreiche Stöpsel und Bohrer, Reifen und Klemmen, die sonst uns Kerle vorn und hinten Freuden bringen. Die sammelte er ein und schimpfte auf unsere fehlgeleiteten Hosen, in welchen derlei sündiger Kram versteckt gewesen war.«

Wie der Müller jene Geschichte gehört hatte, sprach er zerknirscht:

»So nehmt mich besser mit, liebe Freunde. Ich habe eine alte Pumpe ausgegraben, die ich mir nachtnächtlich überstülpe, um mir’s Gemächt wachsen zu lassen. Findet sie der neue Gutsherr bei mir, wird er mir die Mühle nehmen. Bringe ich sie aber ihm, ist mir Vergebung sicher.«

Henning wunderte sich insgeheim, warum er überhaupt das Werkzeug nutzte; sah man doch eindeutig, dass sein Gemächt in Breite und Weite auch ohne Pumpendruck ausreichte. Er gestatte dem strammen Müller aufzusteigen und riet ihm und dem Herrn Streuner:

»Nehmt euch wohl in acht,

dass ihr die rosaroten Pfosten nicht schmutzig macht!«

Denn er war sehr in Sorge, das gute Bett wohlbehalten bei Herrn Kariert von Klein abzuliefern. Sie fuhren weiter und trafen auf den Vogelfänger. Der wollte ebenfalls wissen, wohin die Gesellschaft unterwegs sei, und wie er vom Gutsherr erfuhr, sagte er:

»Nehmt mich mit, ich will ihm meine Eiringe bringen. Bisher taten sie mir guten Dienst – erwischte ich einen feinen Seidenschwanz, haben sich die Ringe eng um seine Eier gelegt, sodass ich leichtes Spiel mit ihm hatte. Das wird dem Herrn Kariert von Klein jedoch nicht gefallen. Soll er die Ringe also selber haben.«

Der Vogelfänger durfte auf den Wagen klettern, die Kammerjäger zogen von Neuem an und weiter ging die Reise. Henning begann ein Liedlein zu singen und die anderen stimmten ein:

»Ihr Kammerjäger, schwänzelt zu!

Auf dem Wagen ist kein’ Ruh!

Wer auf rosa Pfosten sitzt,

meistens wie ein Hengstchen schwitzt.

Wir müssen hinaus,

bis Herrn Kariert von Klein sein Haus.«

Danach trafen sie einen Fischer, einen Flickschuster und zuletzt einen Schneidergesellen. Ihnen allen berichteten sie von dem neuen Gutsherrn und seiner strengen Sittsamkeit.

»Er macht sogar vor den Mönchen unseres angrenzenden Klosters nicht halt«, wusste Henning Hahn. »Er ahnte, dass Männer, die sich hinter festen Mauern verschanzen und die Enthaltsamkeit suchen, nicht vollständig der leiblichen Begierden entsagen würden. Also begab er sich dorthin und befahl ihnen, all ihre Sündgerätschaft herauszugeben. Die Mönche baten um Gnade, sie hätten ja nichts, womit sie sich fehlgeleitete Lust bereiten würden. Der schlaue Herr Kariert von Klein jedoch war damit nicht zufrieden und verlangte, sie mögen auf die Knie fallen und zu ihrem Herrgott beten, er möge den verdorbenen Kram herabsenden, nach dem man verlangte. Vor lauter Furcht konnten die Mönche sich nicht weigern, das zu tun. Und als sie sich niederknieten, griff Herr Kariert von Klein von hinten unter ihre Kutten und zog heraus, was die Mönche gern verborgen gehalten hätten. Als die Sündgerätschaft zum Vorschein kam, durchsuchte er sie noch eindringlicher und fand allerlei Kram, der uns wohlig schaudern ließe, bei ihm hingegen nur Verachtung fand. Er höhnte noch, da habe sich das Beten ja gelohnt, und zog spottend alles Gerät ein.«

Da bekam es der Fischer mit der Angst zu tun und wollte sein Netzgarn abgeben.

»Mit dem habe ich mich bisher bekleidet, denn es zeigte mehr, als es verbarg. Tummelten sich hübsche Jünglinge im Wasser, verfing sich der eine oder andere darin und ich konnte ihn mit nach Hause nehmen. Das würde der Herr Kariert von Klein nicht gerne hören.«

Auch der Flickschuster hatte Bedenken.

»Seit ehedem schiebe ich mir den schmalsten und stumpfesten Hakenstab ins Harnrohr, um dort mein Blut aufzuwirbeln, damit es heiß durch die Adern rauscht und den Pfriem emporheben kann. Der Gutsherr wird solcherlei nicht dulden, drum kann er gern den Hakenstab nehmen.«

Der Schneider indes gab all die feinen Fingerhüte auf, die er gesammelt hatte. Jene hatte er gar zu gern all seinen Lehrlingen auf die spitzen Nadeln gesetzt, sprangen sie ihm fürs Stopfen bei.

»Mit den Hütchen fühlten wir uns sicher vor allerlei Unrat, der beim Stopfen gern dazwischengerät«, jammerte er. »Doch findet Herr Kariert von Klein die bunte Sammlung in meiner Schneiderstube, weiß er gleich, wes Geistes Kind ich bin, und entsagt meiner Dienste.«

Also kamen die drei fleißigen Gesellen ebenfalls mit zum Gutshof. Wie sie aber dort ankamen, war Herr Kariert von Klein nicht da. Die Kammerjäger zogen den Wagen in die Scheune und luden ihn aus. Den Trog stellten sie ins Waschbecken, das Bett hingegen hoben sie über den Türrahmen, damit den schönen rosaroten Pfosten nichts zustoßen konnte. Henning Hahn und sein Hühnerbrüstchen halfen ihnen und packten ordentlich mit an.

Der Schneidergeselle legte seine Fingerhütchen in den Kamin und der Flickschuster hängte seinen Hakenstab daneben. Herr Streuner wickelte sein Rasiermesserchen ins Handtuch, damit sich niemand daran schneide, und der Vogelfänger legte seine Eiringe in die Schublade. Der Fischer warf sein Netzgarn einfach über die Türklinke, der Müller jedoch stellte seine Pumpe fein säuberlich auf dem Fußboden ab. Schweren Herzens nahmen die zwölf Männer Abschied von ihren lieben Spielzeugen und versprachen, fürderhin einander Trost zu spenden.

»Und es soll Trost sein dergestalt, dass wir unsere treuen Geräte nicht missen«, verkündete Henning Hahn. »Der neue Gutsherr, der Kariert von Klein, muss von unserem Bunde nichts erfahren.«

»Wo du gerade von ihm sprichst, Liebster«, fiel ihm sein Hühnerbrüstchen ins Wort, »da kommt er nach Haus.«

»So lasst uns ungesehen verschwinden«, schlug Henning vor, »sonst zwingt er uns womöglich, mit eigenen Augen anzusehen, wie er unsere einstigen Spielgeräte vernichtet.«

Die zwölf verließen durch die Hinterpforte das Haus, denn mit Hinterpforten kannten sie sich aus. Als nun Herr Kariert von Klein heimkam, ging er zum Kamin und wollte ein Feuer anzünden. Von den Flammen erhitzt, sprangen die Fingerhüte aus dem Holze, wie sonst die Schneiderlehrlinge zu springen pflegen, und fielen dem Herrn Kariert von Klein auf die Zehen. Der verzog das Gesicht vor Schmerz und griff nach dem Schürhaken, um die glühenden Hütchen zurück in den Kamin zu fegen. Er fasste jedoch den Hakenstab des Flickschusters, und der war so schmal und stumpf, dass der nichts als Asche aufwirbelte, wo er sonst doch heißes Blut zu wirbeln gewohnt war.

Da musste der Herr Kariert von Klein ans Waschbecken gehen, um sich die Asche vom Gesicht und die Glut von den Füßen zu waschen. Allein er griff nicht ins klare Wasser, sondern in die ölige Schmiere, mit der er sein Antlitz arg verklebte. Er wollte sich mit dem Handtuch reinigen; da übersah er das fliederfarbene Rasiermesserchen und es ritzte ihm die Wangen auf, dass sie weder dicht bewaldet noch fein glatt waren, stattdessen blutüberströmt.

Vor Schmerzen heulend griff er in die Schublade nach Verbandszeug. Seine Hand fuhr jedoch geradewegs in die Eiringe hinein, und was vormals feinste Schalenhaut sicher umreift hatte, quetschte nun die dicken Finger ein. Mit Wucht riss sich Herr Kariert von Klein los, stolperte dabei über des Müllers Pumpe und verfing sich in dem Netz, das über der Türklinke hing. Das Garn umspielte ihn nicht zierlich wie einst die Jünglinge im Wasser, sondern bereitete ihm böse Risse auf der Haut. Zuletzt warf sich Herr Kariert von Klein verzweifelt in den Türrahmen. Da wackelte das breite Bett über ihm. Worin früher Henning Hahn und sein Hühnerbrüstchen sich herrlich hineinfallen ließen, das fiel nun selbst herab auf den Gutsherrn. Mit seinem rosaroten Pfosten schlug ihn das breite Bett auf den Kopf. Draußen hörten die zwölfe den Krach und Henning Hahn seufzte:

»Wenn er davon nicht totgeht, hat ihm das hoffentlich einen gehörigen Sinneswandel beschert!«

»Geschähe ihm recht«, fügte sein Hühnerbrüstchen hinzu, »denn bisher ist Herr Kariert von Klein ein sehr missgünstiger Mann gewesen.«

Ja, das stimmte – missgünstig war er gewesen und missgünstig blieb er auch, der Herr Kariert von Klein. Einen Sinneswandel aber hatte es dennoch gegeben, denn wie er sich die Beule am Kopfe rieb, schaute er nicht mehr richtig um sich und tastete mit der Hand nur so nebenher nach einem Platz zum Sitzen und Ausruhen. Da langte er ausgerechnet an einen der rosafarbenen Bettpfosten und die ganze Schmiere rann von seinen Händen darauf. Als er sich nun blindlings dorthin setzte – flutsch! – so blieben die Hinterbacken nicht fest darauf haften, sondern ließen den Pfosten mitten durch sich hindurchgleiten. Dank der Schmiere war der Schmerz geringer als der Schreck, und wie sich Herr Kariert von Klein wieder erheben wollte, merkte er überrascht, wie angenehm das Reiben und Ruckeln in seinem Gedärm war.

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»Ei der Daus«, rief er. »Da verzog ich stets das Gesicht, wenn verdorbene Liederjahne von ihren Ferkeleien sprachen, und nun stelle ich selber fest, wie reizvoll die sind!«

Und er saß noch eine ganze Weile auf dem Pfosten und saß doch nicht darauf, weil eben diese Rastlosigkeit die schönsten Gefühle hervorrief. Schließlich aber war er fertig mit seinem Unterfangen, besah sich die Schmiere der Kammerjäger sowie seine hinzugekommene eigene etwas genauer und geriet ins Grübeln.

»Gern will ich all den Ferkelkram behalten, den das Gesinde des Guts mir gebracht hat«, dachte er. »Allerdings dürfen sie es nicht erfahren, sonst wollen sie ihre Gerätschaften zurück und überdies mehr, weil Nutzgebühren darauf fallen!«

Also begab er sich zu Henning Hahn, denn der war der Einzige, dem er glaubte vertrauen zu können. Den fragte er um Rat, wie er es doch machen solle, dass er den Leuten ihren Kram nicht mehr zurückzugeben brauche. Da riet ihm der Henning:

»Wenn Ihr das Zeug zusammenpfercht und es draußen vor der Türe in einer Tonne lagert, sodass es aussieht, als sei es weggeworfen und fürs Verbrennen bereit, so lasst es dort vor dem Hause stehen, bis es Nacht ist. Bis dahin hat es jeder gesehen und wird zu wissen glauben, dass es bald zerstört würde. In der Dunkelheit aber könnt Ihr es still beiseiteschaffen und am andern Tage dem Gesinde erklären, warum es kein Feuer gab: Der Ferkelkram sei Euch gestohlen worden! So wird niemand etwas Arges von Euch denken und auch nicht erwarten, die sündige Gerätschaft je wiederzusehen.«

Dieser Rat gefiel dem Herrn Kariert von Klein so gut, dass er ihn sogleich in Ausführung brachte und allen Ferkelkram aufsammelte und in eine Tonne vors Hause stecken ließ.

Sobald es nun dunkle Nacht ward, kam der schlaue Henning Hahn ganz heimlich zum Gutshof, nahm die Tonne und entleerte sie auf seinen Wagen. Er fuhr damit zur Mühle, zur Schneiderstube, zum Kloster und zu all den anderen Freunden und brachte ihnen ihren Freudenkram zurück. Dabei bat er freilich ums Wahren des Geheimnisses, womit alle gern einverstanden waren. Zuletzt brachte er sein Bett heim und untersuchte gemeinsam mit seinem Hühnerbrüstchen, ob alle rosafarbenen Pfosten heile waren. Als sie einen davon äußerst rutschig fanden, wussten sie gleich, was den Sinneswandel ihres Gutsherrn hervorgerufen hatte, und übten den Rest der Nacht den gleichen Zeitvertreib aus wie vormals Herr Kariert von Klein.

Am anderen Morgen begab sich Henning Hahn zu dem Gutsherrn und fand ihn außer sich.

»Da ist mir doch gestern Abend ein arger Streich gespielt worden«, rief der ihm schon von Weitem zu. »Man hat mir den Ferkelkram aus der Tonne gestohlen!«

»Ja ja«, sprach der Henning, »so müsst Ihr es sagen, dann glauben’s die Leute!«

»Nein, in der Tat, es ist kein Spaß, man hat mir ganz wirklich die sündige Gerätschaft gestohlen!«, klagte der Herr Kariert von Klein.

»So ist’s recht, so muss man sagen«, nickte Henning Hahn, »und ich will schon helfen, dass es unter die Leute kommt.«

Als aber der Gutsherr gar nicht nachgab, sagte der Henning endlich:

»Ach, Herr Kariert von Klein, ich weiß ja alles! Ich habe Euch ja selbst diesen Rat gegeben, bei mir bedarf’s keiner Verstellung!«

Da wurde der Gutsherr nur immer ungeduldiger, und weil das Betragen des Hennings ihm verdächtig vorkam, so bat er ihn zuletzt, ob er nicht eine Kiste, die er im Augenblick nicht gut unterbringen könne, ihm einige Tage lang in seiner Stube aufbewahren wolle. Ja, das wollte der Henning recht gern tun. In die Kiste aber kroch heimlich der Gutsherr, denn er wollte horchen und aufspüren, ob nicht der Henning selbst die Ferkelkramereien weggenommen habe. Herr Kariert von Klein meinte nämlich, dass er sich wohl mit dem Hühnerbrüstchen darüber unterhalten und gewiss die Gerätschaften verwenden würde.

Also bohrte er in die Kiste ein kleines Loch, damit er Luft bekäme und darüber hinaus ins Freie spähen könne. Hernach zog er sich nackend aus und rieb sich ganz mit Kohle ein, bis er pechschwarz war. Sollte ein Lichtstrahl in die Kiste fallen, würde kein Auge erkennen, dass ein Mensch darin hockte. Bevor er hineinkroch, rief er dem Henning noch zu, dass er die Kiste ja nicht öffnen dürfe.

»Hole sie aus meinem Schlafgemach, derweil ich auf dem Abort unabkömmlich bin«, fügte er hinzu, damit Henning Hahn sich nicht wundere, wo der Gutsherr plötzlich abgeblieben war.

Noch am selben Abend saßen der Henning und sein Hühnerbrüstchen bei Tische und unterhielten sich.

»Ach, wie tut mir der Bettpfosten so gut«, schwärmte das Hühnerbrüstchen. »Mir ist, als sei er seit der Zeit beim Gutsherrn gar noch geschmeidiger geworden!«

Und er tätschelte sich selbst liebevoll die Hinterbäckchen. Henning Hahn erhob sich vom Tisch, betastete den rosafarbenen Bettpfosten und glitt mit den Handflächen auf und ab.

»Du hast recht, er ist noch glatter und schlüpfriger als vormals«, nickte er. »Das kommt nicht von allein. Herr Kariert von Klein muss ihn eingefettet und hernach geschmirgelt haben.«

»Hat er das einzig für uns getan?«, staunte das Hühnerbrüstchen.

»I wo«, winkte Henning Hahn ab. »Er wird es für sich selbst getan haben, um darauf zu reiten und zu gleiten, wie du es gerne tust!«

Das alles hörte der Gutsherr in der Kiste. Zuerst wollte er triumphieren, die Missetäter erwischt zu haben. Dann aber fühlte er sich selbst ertappt, als der Henning erriet, was er mit dem Bettpfosten getrieben. Vor Schreck stieß er sein Haupt an die Kistenwand und ihm entfuhr ein kurzes »Autsch!«

Der Henning hatte das gehört, tat aber so, als wäre nichts gewesen. Er hatte nämlich schon geahnt, was die Kiste in Wahrheit verbarg, und sich einen lüstlichen Streich ausgedacht. Zu seinem Hühnerbrüstchen sprach er:

»Ich bin satt und mich gelüstet es nun, dich wieder auf den Bettpfosten zu stecken, der dir so wohltut. Für mich aber muss zur Abwechslung ein anderes Möbelstück her.«

»Nur welches?«, fragte das Hühnerbrüstchen. »Du hast dich bereits mit dem Stuhlbein gemessen, mit deinem Geschmier so manche Klinke geputzt und mehrmals schon mit Korbgeflecht ferkelige Versuche angestellt. Was bleibt da übrig? Soll ich dich in den Teppich einrollen, bis die Enge dich zum Schwitzen bringt und sich deine nackende Haut tüchtig an der Wolle schabt?«

Ein angenehmer Schauer durchfuhr den Henning, als er den Vorschlag vernahm. Allein heute sollte ihn etwas anderes erfreuen.

»Haben wir nicht die Kiste des Gutsherrn in unserer Obhut? Ich habe vorhin dort ein schwarzes Loch entdeckt. Es ist gerade breit genug, um meinen sündigen Stecken aufzunehmen, aber eng genug, ihn ordentlich zu quetschen, wie ich es mag. Während du also auf dem Bette tobst, will ich zum Höhlenforscher werden!«

Gesagt, getan. Das Hühnerbrüstchen warf seine Kleider von sich, hüpfte aufs Bett und machte es sich auf dem Pfosten bequem. Ihn schmerzte es schon lang nicht mehr, wenn er sich ins Innere bohrte, sondern ein Hochgefühl suchte ihn heim, dass er nur so juchzte. Derweil kniete sich Henning Hahn vor die Kiste, führte seinen Stecken an das dunkle Luftloch und drückte ihn hinein.

»Und, wie ist die Kiste?«, fragte das Hühnerbrüstchen.

»Überraschend warm und weich in ihrem Inneren«, antwortete der Henning. »Herr Kariert von Klein muss sehr weiches Holz für seine Möbel verwenden, oder er lagert Wäsche oder Eingekochtes darin.«

Insgeheim jedoch dachte er:

›Wart, du gieriger Gutsherr, ich will dir doch für deine Horcherei ein Andenken geben!‹

Und er warf sein Becken mit viel Gerumms und Gedröhn gegen die schwere Kiste, nur um möglichst tief seinen Stecken ins Loch zu drillen. Drinnen blieb dem Herrn Kariert von Klein nichts anderes übrig, als den unerwünschten Besuch in den Mund zu nehmen, denn weder nach links oder rechts, oben oder unten konnte er mit dem Gesicht ausweichen. Also nahm er den Stecken wie eine Schnitte zwischen die Backen und kaute behutsam darauf herum. Denn dass der Henning es rau und kratzig mochte, hatte er ja aus dem Tischgespräch gelernt.

Henning Hahn stieß und bohrte, ruckelte und rumorte, sodass die Kiste kaum auf dem Boden blieb. Das Gejuchze seines Hühnerbrüstchens in den Ohren, dessen Tanz auf dem Bettpfosten vor Augen und des Gutsherrn Schlund an seinem Stecken führten dazu, dass er bald schon einen gehörigen Batzen Schmiere von sich schleuderte. Kurz darauf ließ er sich ermattet über die Kiste fallen und schöpfte nach Atem.

Da wurde ihm bewusst, dass während allem Geracker und Geacker der Herr Kariert von Klein immer stumm geblieben war. Weder hatte er um Hilfe gerufen noch versucht, aus dem Gefängnis zu entkommen. Das machte Henning Hahn stutzig und deshalb brach er nach einer Weile die Kiste auf. Allein wie erschrak er da, als dort eine pechschwarze, nackte Gestalt wie tot dalag! Noch ehe er etwas sagen konnte, war Hühnerbrüstchen vom Pfosten gesprungen und rief:

»Oje, o weh! Der Gutsherr hat den leibhaftigen Teufel in die Kiste gesperrt. Dein Stecken, Henning, hat ihm offenbar den Rest gegeben!«

Der Henning urteilte nicht so vorschnell. Er überlegte kurz, ob seine Wucht wahrhaftig gewaltig genug gewesen war, um den pechschwarzen Mann zu ersticken, und kam zu dem Schluss, dass dies nicht möglich sei. Denn wo war in diesem Fall die weiße Spur seiner Schmiere geblieben? Weder auf dem Boden der Kiste noch an den nachtdunklen Lippen der reglosen Gestalt war davon etwas zu sehen.

›Also hat er sie geschluckt‹, folgerte Henning Hahn, ›und ein Toter kann nicht schlucken. Wieso aber stellt sich dieser Fremde, als ob er verstorben sei?‹

Da betrachtete sich der Henning den pechschwarzen Mann etwas genauer, und was zuerst Ahnung war, wurde Gewissheit: Das war der Gutsherr selbst, der sich unkenntlich gemacht hatte, um nicht entdeckt zu werden! Dem Hühnerbrüstchen gegenüber behielt Henning Hahn diese Erkenntnis für sich. Stattdessen behauptete er:

»Wenn Herr Kariert von Klein erfährt, dass wir die Kiste geöffnet haben und womöglich Schuld am Verbleichen seines Gefangenen sind, wird es uns an den Kragen gehen. Besser, wir schaffen die Kiste zu den Kammerjägern!«

Das Hühnerbrüstchen war sogleich überzeugt von der Gerissenheit dieses Einfalls und half dem Henning, die Kiste wieder zu verschließen und zu den Nachbarn zu schaffen. Während sie sie durch die Nacht schleppten, wischte sich der vermeintliche Teufel die Lippen trocken und drehte sich der Enge zum Trotz vom Luftloch weg, damit er nicht noch einmal ungefragt den Stecken eines Fremden schmecken musste. Bei den Kammerjägern angekommen, ergriff das Hühnerbrüstchen das Wort:

»Wollt ihr wohl diese Nacht auf die Kiste des Herrn Kariert von Klein aufpassen? In unserem bescheidenen Heim ist gar zu wenig Platz dafür.«

Die Nachbarn erklärten sich einverstanden. Indes flüsterte Henning Hahn in seiner ferkeligen Schläue dem ältesten von ihnen, dem Rattenscharf, zu:

»Die Kiste scheint mir magische Kräfte zu haben. Es ist ein Loch darin, das zu beglücken weiß. Probiert es nur einmal!«

Damit verschwand er, dem Gutsherrn in der Kiste aber schwante Böses. Und wirklich: Die Kammerjäger untersuchten die Kiste, fanden das Loch und der Rattenscharf schob neugierig seine Finger hinein.

»Es ist etwas darinnen, das zugleich borstig und flutschig ist«, stellte er fest. »Mir scheint, als wolle uns die Kiste einladen, unser Werkzeug darin zu versuchen! Flohsack, willst du mal deinen Wedel hineinschieben?«

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Was der Rattenscharf da ertastet hatte, war indes nichts anderes als die Kehrseite des Herrn Kariert von Klein, die aufgrund seiner jämmerlichen Lage in der Kiste direkt am Luftloch saß. Was musste der Gutsherr nun die Zähne zusammenpressen und die Hände vor den Mund halten, als er spürte, dass der Wedel des Kammerjägers Flohsack sowohl die Finger des Rattenscharf als auch den Pfosten des Henning Hahn übertraf! Der Kammerjäger hockte derweil an der Kiste, schob frohgemut sein Werkzeug rein und raus und freute sich, dass sein lieber Nachbar den Trog mit dem guten Schmieröl rechtzeitig zurückgebracht hatte.

»Das kommt jetzt zum Einsatz«, lachte er, »und das nicht nur bei mir! Rattenscharf, Lausebengel, Fliegenwedel – holt euer Werkzeug und legt die Gürtel ab! Das magische Kistenloch soll auch euch erfreuen!«

Die anderen Kammerjäger ließen sich das nicht zweimal sagen. Sie tauchten ihre Werkzeuge in den Trog, ölten sie tüchtig ein und lösten den Flohsack ab, als der zwischendurch eine Verschnaufpause brauchte. So ging es nacheinander, immer wieder, bis jeder mehrmals in den Genuss der Kiste gekommen war. Herr Kariert von Klein sandte alldieweil Dankesgebete zum Himmel, dass ein weiser Mensch einstmals das Schmieröl erfunden hatte.

»Nun lasst uns aber mal sehen, was hinter der Magie steckt«, schlug der Rattenscharf schließlich vor. »Wir wollen die Kiste öffnen!«

Die anderen stimmten ihm zu, hoben den Deckel an und waren starr vor Schreck – bis auf ihr Werkzeug, dass plötzlich beinahe zu Boden fiel.

»Ein Dämon!«, rief der Flohsack.

»Ein Teufel!«, hauchte der Lausebengel.

»Ein Kobold?«, fragte der Rattenscharf.

»Ein Gespenst!«, glaubte der Fliegenwedel.

Weil die Gestalt reglos blieb, glaubten die vier Kammerjäger, ihr zügelloses Verhalten habe selbige ins Jenseits befördert. Sie berieten, was nun zu tun sei, allein sie kamen nicht weit. Henning Hahn nämlich hatte mit ihrer Neugierde gerechnet und vor der Haustüre gewartet, bis er das Knarren des Kistendeckels vernahm. Dann rief er schelmisch:

»Ja, werter Herr Kariert von Klein, Eure Kiste wollt Ihr wiederhaben? Kommt mit zu meinen Nachbarn, dort habe ich sie abgestellt.«

Die Kammerjäger zuckten zusammen. Nein, der Gutsherr durfte seine Kiste nicht offen bei ihnen finden, schon gar nicht mitsamt dem toten, kohlrabenschwarzen Teufel.

»Rattenscharf und Flohsack, ihr geht nach draußen und sagt dem Henning, er soll Herrn Kariert von Klein auf morgen vertrösten, weil die Kiste nicht bei uns, sondern in der Mühle sei«, sprach der Fliegenwedel schließlich. »Lausebengel und ich wollen einstweilen das Ding dorthin tragen.«

So war es abgemacht und so geschah es auch. Weder der Rattenscharf noch der Flohsack wunderten sich in ihrer Angst darüber, dass Henning Hahn allein vor der Türe stand, wo er doch eben noch mit dem Gutsherrn geredet hatte. Indessen hatten der Lausebengel und der Fliegenwedel die Kiste eiligst hinunter zur Mühle geschleppt. Dort klopfte der Lausebengel an die Türe und verschwand mit seinem Kumpanen, noch ehe der Müller geöffnet hatte.

Der hatte nun in dieser Nacht den Schneider zu Gast, denn er wollte alles über dessen Fingerhüte lernen. Der Schneider durfte sich dafür an seiner Pumpe versuchen. Mitten in ihrem Getümmel vernahmen sie das Klopfen und wunderten sich nicht wenig über die einsame Kiste vor der Tür. Der stramme Müller zog sie hinein und besah sie sich.

»Scheint schwer zu sein, kantig und robust«, meinte er.

Der Schneider wurde hellhörig.

»Weißt du, Müller«, sprach er, »bisher vertrieb ich mir die Zeit bei Lust und Laune im weichen Bette oder auf warmen Decken. Meine Base aber vertraute mir einst an, dass ihr Gatte sie schon des Öfteren auf Tischen und Bänken heimgesucht hatte. Sie sagte, der Rausch der Sünde würde einem das harte Holz ganz anders spüren lassen.«

»Sprich nur weiter«, erwiderte der Müller, von Neugier gepackt, während Herr Kariert von Klein in der Kiste bereits wusste, was weiter kommen würde.

»Meine Base liebt es, rau und rabiat an jedwedem Möbelstück genommen zu werden«, fuhr der Schneider fort, »und auch ich stelle es mir reizvoll vor. Wollen wir es nicht einmal probieren? Ich lege mich auf die Kiste da, denn sie hat genau die richtige Höhe, und du kommst über mich – schonungslos und zupackend, so es nur irgend geht!«

Das ließ sich der Müller nicht zweimal sagen. Sobald der Schneider entblößt über dem Kistendeckel gebeugt war, rammte er seinen ganzen Leib an dessen Kehrseite und gab ihm, wonach er sich sehnte. Der Schneider krallte seine Fingernägel ins Kistenholz und es machte ihm nichts, dass die Bretter an seiner Haut schürften und ihm jeder Ruck des Müllers einen kräftigen Gegenschlag des Möbelstücks bescherte. Im Gegenteil, es bereitete ihm ein schieres Vergnügen, jene Form minniglicher Rücksichtslosigkeit kennenzulernen. Als zudem seine spitze Nadel ans kalte Eisenschloss der Kiste zu drücken begann, wähnte er sich im Himmel aller Ferkeleien.

Dem Herrn Kariert von Klein ging es dagegen nicht sonderlich gut. Das Treiben von Müller und Schneider machte seine enge Herberge zu einer holprigen Angelegenheit und er stieß sich die Gelenke und das Kinn an den Innenwänden, dass es seine schmerzhafte Art hatte. Da war es kein Wunder, dass er leidig zu stöhnen begann, noch dazu, weil sich aufgrund der Schaukelei zur Pein in den Knochen auch noch die Übelkeit im Magen gesellte. Wie das erste Stöhnen ertönte, hielten Schneider und Müller ruckartig inne in ihrem Tun.

»Was war das?«, wunderte sich der eine.

»Ich weiß nicht«, antwortete der andere.

Herr Kariert von Klein konnte einen zweiten qualvollen Stöhner nicht zurückhalten. Da errieten die anderen, woher die Laute kamen. Sie öffneten die Kiste und vor Staunen über den pechschwarzen Gesellen blieben ihre Münder offen stehen. Der Gutsherr aber verfiel einmal mehr in seine reglose Totenstarre, um sich zu schützen.

»Die Truhe beherbergt einen Nachtmahr«, glaubte der Müller.

»Oder ist es eine Fee, die Wünsche erfüllt?«, grübelte der Schneider.

»Wenn es eine ist, dann ist es für uns zu spät«, seufzte der Müller. »Unser Gepolter muss das arme Ding so arg zugesetzt haben, dass es besinnungslos wurde.«

Sie kamen in ihren Überlegungen nicht weit, denn plötzlich hörten sie draußen Henning Hahn rufen:

»Ja, werter Herr Kariert von Klein, Eure Kiste wollt Ihr wiederhaben? Ich führe Euch zum Müller, dort hat man sie abgestellt.«

Der Müller zuckte zusammen. Das war des Gutsherrn Kiste? Nein, die durfte er nicht offen in der Mühle finden, schon gar nicht mitsamt dem ohnmächtigen Nachtmahr.

»Schneider, mein Lieber, geh nach draußen und halte Herrn Kariert von Klein auf«, bat der Müller schließlich. »Ich bringe die Kiste solange zum Flickschuster. Soll der die Schuld für das Ungemach tragen!«

»Ein guter Einfall«, pflichtete ihm der Schneider bei. »Dem Flickschuster wird es nichts ausmachen. Wer sich die Ahle ins Harnloch bohrt und auch sonst dem Unrat nicht abgeneigt ist, genießt vielleicht auch falsche Beschuldigungen!«

Als Herr Kariert von Klein diese Worte vernahm, packte ihn das kalte Grausen. Er dachte an das Luftloch in der Kiste und er dachte an die Vorliebe für Harn, die den ferkeligen Flickschuster plagte, und er zählte eins und eins zusammen und war gewiss, was ihm dort blühen würde.

»Nein«, rief er aus, »zum Abort für Unflat will ich nicht auch noch werden in dieser Nacht!«

Und er sprang, kohlrabenschwarz und nackt, wie er war, aus der Kiste, stemmte sich an den Schultern des verdutzten Müllers ab und stürzte sich mit Schwung aus dem Mühlenfenster. Draußen aber rannte er, so schnell ihn seine Beine trugen, zum Gutshof.

»Oje«, jammerte der Schneider. »Nun ist die Fee entfleucht! Wenn Herr Kariert von Klein sie absichtlich in die Kiste gesperrt hatte, wird er arg mit uns schimpfen.«

»Bringen wir sie zu ihm und gestehen ihm unser Vergehen«, meinte der Müller.

Unterwegs trafen sie die vier Kammerjäger, die vor Sorge um die schwarze Gestalt nicht schlafen konnten. Als sie im Morgengrauen sahen, wie Müller und Schneider die Kiste zum Gutshof trugen, eilten sie hinterdrein, um zu sehen, was geschehen würde.

Auf dem Weg kam der Zug an Henning Hahns Haus vorbei. Das Hühnerbrüstchen schaute gerade aus dem Fenster und wurde bange, als es die Kiste wiedersah. Natürlich folgte es den anderen ebenfalls.

Sie fanden Herrn Kariert von Klein kurz nach Sonnenaufgang in seinem Garten vor, wie er in einem Badezuber voller Schaum saß und sich schrubbte.

»Wir bringen Euch Eure Kiste zurück«, sprach der Müller.

Der Gutsherr, froh darüber, nicht als pechschwarzer Teufel erkannt worden zu sein, nickte nur.

»Leider müssen wir Euch etwas beichten«, fügte der Schneider hinzu. »Wir haben die Kiste aufgemacht, weil darin jemand arg gestöhnt hat. Ich glaube, es war eine Fee, und sie war böse, weil wir die Kiste recht stark geschüttelt und gerüttelt hatten.«

»Bitte habt Gnade mit uns«, sagte der Müller und faltete die Hände. »Gewiss hattet Ihr die Fee in die Kiste gesperrt, damit sie Euch Wünsche erfülle?

Da schaltete sich der Rattenscharf ein.

»Keine Fee war es, die darin gewohnt hat, sondern der Leibhaftige«, sprach er. »Herr Kariert von Klein hatte ihn darin gefangen, damit er uns nicht schade. Aber nicht du bist schuld an seiner Flucht, lieber Müller, sondern meine Kumpane und ich. Wir haben zuerst Unfug mit der Kiste getrieben und sie dann heimlich zur Mühle geschafft.«

»Wenn derjenige die Schuld trägt, der mit dem Unfug anfing, dann trifft es den Henning und mich«, schaltete sich nun das Hühnerbrüstchen ein. »Wir haben die Kiste zuerst gehabt, das enge Loch missbraucht und dann unerlaubt den Deckel angehoben. Wohl hätten wir ihn wieder richtig verschließen müssen?«

Herr Kariert von Klein musste schmunzeln, wie er die betretenen Gesichter seines Gesindes sah. Ein jeder wollte den anderen entlasten, ja das ging schon ein bisschen an sein Herz. Darum nahm er ihnen nichts mehr übel und sagte:

»Weder Fee noch Teufel war es, was ihr in der Kiste fandet. Es war ein schwarzer Schalk, der uns nichts mehr anhaben wird, denn ich habe ihn mit meinem Seifenschaum vertrieben!«

Da waren alle Umstehenden beruhigt, aber nur für einen kurzen Moment, denn der Blick auf den sich badenden Gutsherrn bescherte ihnen neue Unruhe – allerdings nicht in ihren Herzen, sondern etwas tiefer. In diesem Zustand wollen wir sie aber nun belassen und die Geschichte um Herrn Kariert von Klein beenden. Bleibt nur noch zu sagen, dass sich Henning Hahn sehr wohl ins Fäustchen gelacht hat über seine Streiche, und sich fortan kein Gutsherr mehr in die nächtlichen Angelegenheiten seines Gesindes mischte, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen. Selbiges bat er sich natürlich auch von ihnen aus, und wir wollen es ebenso halten, nicht wahr?

***

Nach Wilkos ernstem Märchen ist der Schwank aus Basils Mund eine willkommene Abwechslung. Margarete ist nun die Letzte des Abends, die noch ein Märchen zu erzählen hat, und sie warnt uns:

»Es wird euch vielleicht ebenso befremden wie Charlies Beitrag. Ich flechte etwas ein, das allzu oft in unseren Kreisen vergessen wird.«

Wir sind gespannt, was sie meint.

Der wunderliche Gastwirt

Auf eine Zeit lebten zwei Männer in tiefer Freundschaft zusammen, davon war der eine ein Rotschopf und der andere ein Blondschopf. Weil sie einander mit jedem Tage etwas mehr mochten, wuchs alsbald Liebe daraus. Sie waren aber in ihrem Dorfe die Einzigen, die jene mannesholden Gefühle verspürten und sie glaubten, man sähe sie daher scheel von der Seite an. Auch vermissten sie den Austausch mit anderen Männern, die ähnlich lebten und liebten wie sie. An so manchem Abend saßen sie darum traurig vor ihrem Feuerchen und fragten sich, ob ihr Beisammensein denn so verliefe, wie es wirklich wünschenswert war. An einem solcher Abende klopfte es an ihre Türe und eine Stimme rief:

»Lasst mich ein, gute Menschen! Ich bin ein verirrter Wanderer, der ein Nachtlager sucht. Wind und Wetter haben mich überrascht und ich komme heute doch nicht mehr heim.«

Die Stimme war so flehentlich und das Klopfen so schüchtern, dass sich das Mitleid in den Herzen der Männer regte. Sie schoben den Riegel beiseite und öffneten die Tür. Da stand ein Herr vor ihnen, der war in einen dunklen Mantel gehüllt und trug einen feinen Hut auf dem Kopf.

»Ich danke euch«, sprach er, »und hoffe, euch diese Nacht nicht zur Last zu fallen.«

»Seid unbesorgt«, entgegnete der Rotschopf, »wir freuen uns über etwas Gesellschaft.«

Der Blondschopf trug Bier und Brei auf und sie speisten zu dritt, in angenehme Unterhaltung vertieft. Wie nun die Stunden verstrichen und die Mitte der Nacht gekommen war, fühlten sie die Müdigkeit in ihren Knochen. Dem fremde Gast wurde die warme Ofenbank als Schlafstätte zugewiesen. Wie er aber sah, dass die beiden Männer sich in ein Bette legten, wunderte er sich und fragte dann:

»Teilt ihr euch Kissen und Decke, muss eure Freundschaft tief und innig sein. Sagt mir, seid ihr etwa manneshold in eurem Trachten und Lieben?«

Da blieb den beiden nichts übrig als zuzugeben, dass dies die Wahrheit war. Der Herr aber lächelte ihnen zu und sprach weiter:

»Wie müsst ihr euch einsam fühlen in diesem Dorf, wo ihr gewisslich die einzigen Männer seid, die auf solche Weise leben. Da geht es mir anders! Ich habe eine Gasterei, die steht nur für mannesholde Reisende offen und bietet ein großes Bad und noch größere Betten, damit unsereins sich darin treffen und austauschen kann. Keine scheelen Blicke von außen dringen dort ein und man ist in Frieden und Freuden unter sich.«

Die beiden Zuhörer staunten, hatten sie doch noch nie etwas von einer Gasterei dieser Art gehört. Sie hatten viele Fragen an den Herrn: wo sein Haus stehe, wie teuer der Eintritt sei, was man mit sich führen müsse und dergleichen mehr. Der Fremde aber winkte lachend ab und sagte:

»Ich erkläre euch morgen früh den Weg, wenn wir ordentlich ausgeschlafen sind. Bezahlen müsst ihr nichts, denn wie sollte ich mich sonst für eure Gastfreundschaft erkenntlich zeigen? Seht mich zum Dank für Speis und Trank als einen Freund an, den ihr jederzeit besuchen dürft und dessen Türe euch immer offen steht.«

Damit legte er sich hin, tat die Augen zu und hörte noch im Einschlummern, wie der Rotschopf mit dem Blondschopf aufgeregt flüsterte. Das brachte dem Gast ein Lächeln aufs Gesicht, welches aber wegen der nächtlichen Dunkelheit niemand sehen konnte. Am folgenden Morgen verabschiedete er sich freundlich von den zwei Männern, nicht ohne ihnen den Weg zu seiner Gasterei zu beschreiben.

»Findet recht bald die Zeit, mir einen Gegenbesuch abzustatten«, bat er, »und all eure Wünsche werden in Erfüllung gehen. Ein großzügiger Wirt werde ich euch sein, das verspreche ich!«

Und fort zog er. Der Blondschopf wäre am liebsten gleich mitgegangen, doch der Rotschopf hielt ihn auf und meinte:

»Findest du es nicht merkwürdig, dass ein Fremder uns in seine Gasterei einlädt, wo er uns kaum kennt?«

»Aber mein Lieber«, erwiderte der Blondschopf, »eine solche Gasterei lebt doch von ihren Besuchern, und mit zweien wie uns – jung und schön und gesund – würde er ihren Ruf noch verbessern. Glaub mir, sein Angebot kommt sowohl ihm als auch uns zugute.«

Das leuchtete dem Rotschopf ein. Dennoch bestand er darauf, drei Tage abzuwarten, bis sie den neuen Freund besuchen wollten.

»Das gibt uns Zeit zum Bedenken. Auch wollen wir hübsch sauber und ordentlich dorthin gehen. Daher heißt es nun bürsten, waschen, plätten und flicken!«

Sie holten ihre beste Kleider hervor, besserten Risse und Löcher aus, säuberten und plätteten sie. Wo ein Wäscheteil zu eng geworden war, wurde streng darauf geachtet, innerhalb der drei Tage wieder hineinzupassen; sei es mithilfe von körperlicher Ertüchtigung oder mithilfe einer strengen Kost. Haar und Haut wurden gründlich gereinigt, Füße und Armkuhlen mit Riechwasser besprenkelt. Als sie endlich mit allem fertig waren, sahen sie sich an und waren sich einig: Solch schmucke Besucher würde es in des Wirtes Gasterei schon lange nicht mehr gegeben haben. Der Blondschopf aber war ungeduldiger als sein lieber Freund. Am Morgen des vierten Tages sprang er mit dem ersten Sonnenstrahl aus dem Bett, fuhr in sein Schuhwerk und lief davon.

»Ich gehe voraus und melde unsere Ankunft«, rief er noch zurück. »Ist der Wirt im Haus, komme ich schnell zurück und hole dich ab!«

Das Herz in der Brust pochte ihm laut vor Aufregung, würde er doch nun – nach so langer Zeit – andere mannesholde Leute treffen, im Bade ihre Ansichten kennenlernen und in großen, großen Betten ihre Lebensweise studieren können.

Der Rotschopf war bedachter. Er schlief erst einmal gut aus, um für den Rest des Tages bei Kräften zu sein, denn er ahnte, dass unter mannesholder Gesellschaft vor allem abends eine allzu zeitig einkehrende Müdigkeit zu vermeiden war. Dann zog er sich an, betrachtete sich im Spiegel und erinnerte sich, wie schmuck sein lieber Freund sich früher für ihn gemacht hatte, als sie noch nicht beisammen wohnten.

»Nun macht er sich für wildfremde Reisende einer Herberge hübsch«, dachte er und ein Schauer der Betrübnis streifte seine Seele. »Er ist vorausgeeilt, um die besonders Begehrenswerten für sich auszuspähen. Wer will’s ihm verdenken? In diesem Dorf kennt er nur mich. Frisches Fleisch, neue Haut und unbekannte Blicke reizen ihn.«

Wie er sich vorstellte, dass sein Blondschopf die Hand nach anderen Männern ausstreckte, sich zwischen zwei fremde Körper legte und nie zuvor gesehene Gesichter küsste, wuchs in einem Teil seines Herzens die Eifersucht heran. Im anderen Teil jedoch entzündete sich der Drang, all jene Bilder, die ihm im Kopfe spukten, mit dem eigenen Auge zu sehen; selber die Hand auszustrecken; sich selbst inmitten nackter Körper zu legen; die Küsse fremder Lippen zu kosten.

Halb eifersüchtig, halb neugierig also machte er sich auf den Weg. Unterwegs pochte sein Herz ebenso wie sein Schritt und bald war er nur noch zu einem Viertel eifersüchtig und zu drei Vierteln neugierig. Als er bei der Gasterei ankam, war er schon ganz neugierig und keine Spur von Eifersucht war ihm mehr anzumerken. Er wurde umso vergnügter, wie er die zwei Knechte gewahrte, die vor dem Hause ihrer Arbeit nachgingen. Der Linke hatte eine Schippe und der Rechte einen Besen in der Hand und beide waren so rechte Mannsbilder: von hohem Wuchs, mit breitem Kreuze und wulstiger Brust, die sie nackt von der Sonne bescheinen ließen. Ein lockeres Gürtelband hielt die kurzen Beinkleider fest, die sich eng um die Mitte des Körpers legten und dem Betrachter beinahe aufdrängten, anstatt nur anzudeuten, was sich unter ihnen verbarg. Strümpfe und Schuhe brauchten die Knechte nicht – viel lieber zeigten sie ihre kräftigen Schenkel und strammen Waden.

»Wenn die Gestalt der Füße wahrhaftig ein Hinweis auf die Ausstattung der Mannheit ist, müssen diese beiden sich wirklich nicht schämen«, erkannte der Rotschopf und blieb mit seinem Blicke länger als notwendig an den Knechten haften.

Jene bemerkten das und schon wollte der Gast verschämt wegsehen. Aber sie lächelten ihm mit einer verständnisvollen Freundlichkeit zu, dass ihm jegliche Angst abfiel und er ebenso freundlich zurücknickte. Als er aber an ihnen vorbeiging, da war ihm, als ob die Schippe des Linken blutverschmiert sei und der Rechte mit dem Besen lauter kleine Knöchelchen aufkehren würde.

»Wo wohnt der Herr Wirt?«, fragte er sie.

Der mit dem Besen antwortete:

»Die Treppe hinauf.«

Als er aber ins Haus kam, war ein wunderliches Treiben darin. Nach der ersten Treppe sah er in einem Zimmer, wie ein nackter Mann auf einem Bette lag, die Beine in die Luft geworfen und an der Decke festgebunden. Ein Zweiter in weißem Gewand kniete vor dem Bette, das Gesicht dem entblößten Hintern zugewandt, und bohrte seine Finger tief in die enge Afterhöhle. Vermutlich war das alles für den Liegenden recht behaglich, denn er rührte sich nicht und blieb ganz still. Das erstaunte den Rotschopf, der sich sagte:

»Wenn mein Blondschopf mir seine Fingerfertigkeiten zeigt, kann ich nie ruhig bleiben, sondern muss immer verzückt quieken. Wie es scheint, sind Männer sehr verschieden!«

Er verstand nicht ganz, was das Messer zu bedeuten hatte, das neben dem Weißgekleideten auf dem Boden lag, fragte aber nicht danach und erkundigte sich nur:

»Wo wohnt der Herr Wirt?«

»Eine Treppe höher«, lautete die Antwort.

Als er auf die zweite Treppe kam, sah er einen langen Tisch und dahinter eine Reihe von Köpfen, die offenbar von fremden Händen gekrault oder gelaust wurden. Auch sie verhielten sich still.

»Wenn mir mein Blondschopf durchs Haar fährt, schnurre ich meist wie ein Kätzchen. Männer sind verschiedener als gedacht!«

Vor dem Tische aber stand eine Wanne mit dunkelroter Flüssigkeit, die gar absonderlich roch. Der Rotschopf fragte aber nur:

»Wo wohnt der Herr Wirt?«

»Eine Treppe höher«, drang es hinter den Köpfen hervor.

  Auf der dritten Treppe stand eine große, gusseiserne Wanne, einem Kessel gleich, bis oben hin voll Wasser. Nackte Beine staken aus ihr heraus, das waren Männerbeine jeglicher Art: lange und kurze, dünne und dicke, haarige und kahle, dunkle und helle. Die Zehen an den Füßen streckten sich empor und der Rotschopf staunte:

»Wie lang die Badenden die Luft anhalten können! Womöglich wissen sie unter Wasser von einem drolligen Zeitvertreib? Wenn ich in unserer hölzernen Wanne nach meinem Blondschopf tauche, wackeln mir allerdings die Zehen fröhlicher in der Luft als hier. Aber Männer sind eben sehr verschieden!«

Da kam eine Gestalt aus einem Hinterzimmer und trug Holzscheite herbei. Die fragte er nach dem Herrn Wirt und wurde wiederum eine Treppe höher gewiesen. Und als er hinaufgestiegen war, so kam er vor eine Stube und guckte durch das Schlüsselloch, da sah er den Herrn. Der Rotschopf nahm sich ein Herz, trat in die Stube und wurde vom Wirt freundschaftlich empfangen.

»Setz dich, guter Freund, es ist gerade Essenszeit.«

Der Rotschopf setzte sich an einen Tisch und hub an, sich nach den seltsamen Dingen zu erkundigen.

»Als ich an die Haustüre kam, sah ich allerlei wunderliche Dinge. Auf jeder Stiege der Treppe, deren viele waren, gab es immer etwas anderes. Wo aber mag nur mein Blondschopf sein?«

»Ei, sorge dich nur nicht«, beruhigte ihn der Wirt, »sondern lass mich Blutwurst und Leberwurst auftragen, ganz frisch aus meiner Küche.«

Der Rotschopf ließ sich jedoch nicht beirren und fuhr fort:

»Herr Wirt, erzählt doch, was ist das für eine Wirtschaft in Eurem Hause? Draußen war die Schippe blutrot und im Besen hingen Knochen!«

»Wie bist du einfältig«, erwiderte der Wirt und trug die Teller auf. »Das war Rost am Schippeisen und Kohle am Besenhaar.«

»Nach der ersten Treppe sah ich ein Messer neben einem Weißkittel.«

»Ei, wie bist du albern!«, war des Wirtes Antwort und er trug das Besteck auf. »Das war eine Nagelfeile, damit’s im After nicht kratzt.«

»Auf der zweiten Treppe wurden Köpfe gelaust vor einer Wanne, die wohl für die Läuse und Flöhe war?«

»Dummer Mann, das waren Besucher, die sich beim Haarschneider scheren lassen wollten«, erklärte der Wirt und brachte die Mundtücher. »In der Wanne war ein Färbemittel, das neueste aus der großen Stadt!«

  »Auf der dritten Treppe sah ich, wie Feuerholz zu dem Bade getragen wurde.«

»Wie kann man nur so kurzsichtig sein«, klagte der Wirt, »das waren Seifenbürsten, die auf den Fußsohlen ganz angenehm kribbeln.«

Dann ging er in die Küche, um Leberwurst und Blutwurst aus dem Topfe zu holen. Derweil stand der Rotschopf auf, ging in der Stube auf und ab und hatte immer die wunderlichen Dinge im Kopf. Schließlich spähte er um die Ecke und sah den Schatten des Wirtes, der ein paar lange Hörner hatte. Da erschrak der Rotschopf und war bestürzt. Als der Wirt sich umdrehte, setzte sich sein Gast geschwind an den Tisch und wartete, bis die Würste auf dem Teller lagen. Sie waren mit frischen Lorbeerblättern verziert.

»Guten Appetit«, wünschte der Wirt.

Der Rotschopf aß aber nichts, denn er hörte vom Teller her eine Stimme, die ihm wohlbekannt vorkam und redete:

»Ich warne dich! Spute dich! Du bist in einer Blut- und Mörderhöhle! Mach dich hurtigst fort, wenn dir dein Leben lieb ist.«

Die Stimme aber gehörte seinem armen Blondschopf und kam aus der Wurst. Da besann er sich nicht lang, schlich zur Tür hinaus und lief, was er konnte; er stand auch nicht eher still, bis er aus dem Haus mitten auf der Straße war. Da blickte er sich um und sah den Wirt oben am Fenster stehen mit einem langen, langen Messer, das blinkte, als wär es frisch gewetzt. Damit drohte er und rief herab:

»Hätt ich dich, so fräß ich dich!«

Dem Rotschopf ward angst und er lief weit, weit fort, und wer weiß, was ihm der Herr Wirt sonst angetan hätte!

Er lief und lief bis in die Nacht hinein. Er lief vorbei an seinem Haus und kehrte dort nicht ein, weil er fürchten musste, dass der menschenfressende Gastwirt ihn dort fände. Er lief und lief, und auch seine Tränen liefen, die er unentwegt abwischte.

Nachdem aber Mond und Sonne zweimal gewechselt hatten, sank er zu Boden. Er hatte weder Atem noch Kraft, auch mangelte es ihm an Wasser und Speise. Allein er verspürte keinen Appetit, denn unentwegt dachte er an die Blutwurst und woraus sie bestand hatte. Er wollte weiter und immer weiter weinen, doch sein Tränenquell war versiegt. Also schlossen sich seine Augen und er fiel in einen tiefen Schlaf.

Während er schlummerte, siehe! Da rutschte ein Lorbeerblatt von seiner Sohle, das bei seiner Flucht aus der Gasterei vom Teller auf seinen Schuh gefallen und dort festgeklebt war. Das fiel zu Boden, ein Windhauch vergrub es unter der schwarzen Erde und noch ehe der nächste Tag anbrach, wuchs daraus ein mächtiger Lorbeerbaum. Als der Rotschopf erwachte und den schönen Baum erblickte, sagte er zu sich:

»Ich will den Leuten entsagen, die so grausam und böse sind, und fortan dort auf der Baumkrone mit den Tieren leben.«

Er kletterte bis in den Wipfel hinauf und sprach:

»Damit mich keiner mehr erkennt, werde ich mich in Rinde hüllen.«

Er schabte Rinde von dem Lorbeerbaum, machte sich daraus einen Mantel und hüllte sich darin ein. Groß war sein Wehklagen in den ersten Tagen in seiner neuen Wohnstätte, denn unentwegt sann er über das Ende seines lieben Blondschopfes nach. Doch bald gesellten sich Käfer, Nager und allerlei Vögel zu ihm auf den Baum. Die sangen und huschten, sprangen und spielten für sich herum, dass der Rotschopf begann, Anteil an ihrem Treiben zu nehmen. So verbrachte er die Tage damit, die Tiere zu beobachten, bis sie Vertrauen zu ihm fassten und ihn als Teil ihrer Welt betrachteten.

Unter den Vögeln war ein besonders farbenfroher, das war ein Papagei. Der kam jeden Mittag von weither geflogen, ließ sich auf den Ästen nieder und heftete seine Augen ganz aufmerksam auf den Rotschopf in der Rinde. Eines Tages krächzte er:

»Verrückter Junge, verrückter Junge! Was tust du auf diesem Baum?«

»Verrückter Papagei! Verrückter Papagei!«, sagte der Rotschopf. »Ich verstecke mich vor den Menschen. Sie tun freundlich mit einem und dann fressen sie dich doch – knirsch-knirsch!«

Als der Papagei diese Worte hörte, hielt er wie vom Donner gerührt mit seinem Wippen inne. Dann stieß er ein erschütterndes Krächzen aus und flog fort. Der Rotschopf glaubte, seine Worte hätten ihn verscheucht, aber bereits am nächsten Tage flatterte der Papagei wieder um die Mittagszeit um ihn herum und fragte:

»Verrückter Junge, verrückter Junge! Was tust du auf diesem Baum?«

Der Rotschopf antwortete wieder:

»Verrückter Papagei! Verrückter Papagei! Ich verstecke mich vor den Menschen. Sie tun freundlich mit einem und dann fressen sie dich doch – knirsch-knirsch!«

Und wieder schrie der Vogel, dass einem das Mark in den Knochen gefror, und flog eiligst weg. Anderntags tauchte er wieder auf und krächzte abermals, was der Rotschopf auf dem Baume mache. Jener glaubte schon, der Papagei müsse ein ziemlich dummes Vieh sein, wenn er die Antwort nicht behalten konnte, und sprach ungeduldig:

»Verrückter Papagei! Verrückter Papagei! Ich verstecke mich vor den Menschen. Sie tun freundlich mit einem und dann fressen sie dich doch – knirsch-knirsch!«

Diesmal erklang jedoch kein Schrei aus der Kehle des Papageis. Er krächzte stattdessen fröhlich:

»Verrückter Junge! Verrückter Junge! Der Königssohn soll dich finden und zum Gemahl erwählen!«

Daraufhin schüttelte er sein Gefieder, bis die Hälfte davon zur Erde fiel, und kicherte. Der Rotschopf wollte ihn ausschimpfen und verscheuchen, weil er so etwas Dreistes gesagt hatte, doch der Papagei knabberte genügsam an den Blättern des Lorbeerbaums. Erst am Abend flog er fort, nur um am nächsten Tag wieder in den Ästen aufzutauchen und an den Blättern zu rupfen.

»Dein Hunger wird noch die Krone lichten«, erschrak der Rotschopf. »Dann wird man mich erkennen und mein Versteck ist hinüber. Halte doch ein, lieber Papagei, und stille deinen Hunger anderswo. Ich muss mich vor den Menschen verstecken, denn am Ende fressen sie mich.«

Auf dieses Flehen schien der Vogel nur gewartet zu haben. Er rief wieder:

»Verrückter Junge! Verrückter Junge! Der Königssohn soll dich finden und zum Gemahl erwählen!«

Und er schüttelte sich, bis die andere Hälfte seiner Federn von seinem Leibe gefallen waren und er nackt und bloß von dannen fliegen musste. Derweil nahten sich drei Leute dem Wald, die waren auf der Jagd gewesen. Sie suchten nach einer Stelle, um einen Imbiss einzunehmen, und wie sie die bunten Papageifedern auf dem Boden sahen, entschieden sie:

»Hier ist eine gute Stelle für eine Rast.«

Sie breiteten eine Decke aus, kochten ein Gericht und ließen es sich schmecken. Der Duft der Speisen kroch an dem Lorbeerbaum hoch und stieg dem Rotschopf in die Nase. Schon lange hatte er dort oben nur von spärlicher Nahrung gelebt und es gelüstete ihn, von den Gerichten der Fremden zu kosten. Er beobachtete sie eine Weile und freute sich, als sie sich satt und zufrieden niederlegten, um ein Verdauungsschläfchen zu halten. Sobald sie schnarchten, stieg er heimlich vom Lorbeerbaum herab und machte sich über die Essensreste er. Dabei musterte er die drei genauer. Sie alle trugen grüne Gewänder und Hüte mit Federschmuck, außerdem lederne Stiefel. Armbrüste lehnten an den Baumstämmen in unmittelbarer Nähe.

»Also sind es Jäger«, vermutete der Rotschopf. »Was sie von den Speisen übrig ließen, sollte gewiss für ihre Hunde sein. Ich kann es ihnen nicht bezahlen, doch will ich mich erkenntlich zeigen.«

Er sammelte die schönsten Blumen, die um den Lorbeerbaum herum wuchsen, und schmückte damit die Decke und die Armbrüste. Dann kletterte er wieder auf den Baum, noch ehe die drei Fremden erwachten. Als jene munter wurden, konnten sie sich nicht erklären, wo die Blumen her- und die Speisereste hingekommen waren. Sie sahen sich um und schauten auch in die Wipfel, aber den Rotschopf in seinem Rindenmantel erkannten sie nicht.

»Unsere Jagd dauert noch drei Tage«, sagte der jüngste von ihnen. »Wir wollen morgen wieder an dieser Stelle rasten, denn ich habe hier einen wunderschönen Traum gehabt.«

»Erzähl«, baten die beiden anderen, und der Jäger berichtete:

»Es geschah genau hier an diesem Ort, nur war es Nacht. Ein kühler Luftzug richtet meine Nackenhaare auf, ein Schauer läuft mir über den Rücken. Ich spüre, dass mir jemand nahe kommt, und als ich mich umdrehe, steht ein Jüngling vor mir mit den treuen Augen eines Rehs. Er setzt sich neben mich und zärtlich liebkosen seine Finger meinen Arm. Ein leises Flattern entsteht in meinem Bauch, aber es wird stärker und wächst ins Unermessliche, als seine Hand an meinem Oberschenkel entlangstreicht und auf meinem Knie liegen bleibt. Der Jüngling mustert mich von Kopf bis Fuß, dann bleibt sein eindringlicher Blick an meinem Schoß hängen. Ich merke, wie das Flattern aus dem Bauch hinab in jene Leibesgegend sinkt, und kann nicht verhindern, dass mein ganzes Blut sich im Becken sammelt. Zögernd drehe ich ihm mein Haupt zu. Er lächelt mich an und wispert ›Leg dich nieder!‹. Ich starre in seine rehbraunen Augen, ja, ich kann nicht genug von ihnen bekommen. Sie strahlen Verwegenheit und Willenskraft aus und sie kommen mir immer näher. Bald sind sie so nahe, dass unsere Lippen sich sacht berühren. Das Flattern in meinem Schoß breitet sich aus, bis nicht nur Bauch und Becken, sondern mein ganzer Leib davon befallen ist. Meine Hände zittern, in meinem Kopfe dreht es sich. Das kühle Moos, auf das er mich bettet, vermag kaum, meine Hitze zu bändigen. Die Eulen und Nachtigallen lassen ihre Rufe ertönen – sie wandeln sich zu leiser Musik. Der Jüngling und ich beginnen, uns im Takt ihrer Gesänge zu wiegen. Seine Finger und seine Lippen werden kühner. Sie sind so weich, so wild, und sie schmecken süß und herb zugleich. Während sein Becken sich erhärtet und mein Blut wallt, merke ich, dass alles nur ein Traum ist. Doch noch schlafe ich und versuche, weiterzuträumen und sträube mich gegen das Erwachen. Die Hand des Jünglings schiebt sich unter meinen Hosenbund – oder ist es meine eigene? Feuchtigkeit ist es, was ich spüre, Hitze und Feuchtigkeit – und dann erwachte ich.«

Seine Gefährten hatten gebannt gelauscht, und auch ihre Hände waren kurz davor, unter ihre Hosenbünde zu kriechen und die Wärme des Schoßes zu messen. In Wahrheit aber hatte der junge Jäger gar keinen Traum gehabt. Er hatte das lediglich behauptet, weil er herausfinden wollte, was hier vor sich ging. Um zurückzukehren, hatte er eines triftigen Grundes bedurft. Die drei räumten ihre Gerätschaften zusammen und entfernten sich aus dem Walde.

Am nächsten Tag wunderte sich der Rotschopf, weil der Papagei ausblieb. Seine Federn aber lagen noch am Fuße des Lorbeerbaums und die drei Jäger fanden sich wieder ein. Wie vormals breiteten sie eine Decke aus, kochten darauf köstlich duftende Gerichte und legten sich danach zu einem Schläfchen nieder. Der Rotschopf konnte seinen Appetit nicht bändigen, stieg herab und aß, was die anderen nicht verspeist hatten. Ja, es war ein echter Schmaus, denn diesmal schienen sie weitaus mehr übrig gelassen zu haben. Er ließ es sich schmecken, pflückte hernach neue Blumen und schmückte damit die Hüte der Jäger zum Dank. Dann wollte er den Lorbeerbaum hinaufklettern, als plötzlich der jüngste der drei Fremden aufsprang und ihm am Knöchel packte.

»Du bist also der kecke Knochendieb«, rief er aus. »Komm runter und gib dich zu erkennen!«

Der Rotschopf aber schüttelte und stieß mit seinem Bein solange, bis der junge Jäger ihn freigeben musste. Dann verschwand er, flink wie ein Eichhörnchen, im Wipfel. Der junge Jäger schaute ihm nach und versuchte ihn herunterzulocken. Erst drohte er ihm, dann wurde seine Stimme versöhnlicher. Allein der Rotschopf schüttelte stumm den Kopf und weigerte sich. So flehentlich der eine auch bat, der andere ließ sich nicht dazu bewegen, vom Baum zu kommen.

»Nun gut«, entschloss sich der Jäger, »dann will ich meine Holzfäller holen. Die sollen den Baum absägen.«

Gesagt, getan. Der junge Jäger schickte die anderen beiden, die sich ebenfalls nur schlafend gestellt hatten, los, um kräftige Männer und Äxte zu besorgen. Schnell waren jene gefunden und er befahl ihnen:

»Fällt den Lorbeerbaum!«

Der Lorbeerbaum aber war dick, sehr dick. Bis zum Abend hackten die Holzfäller, aber sie drangen nur mäßig tief ins Holz und ein großes Stück des Spalts blieb noch zu bearbeiten.

»Das sollt ihr morgen durchhacken«, sagte der junge Jäger und sie gingen.

Anderntags kamen sie wieder und staunten, denn der Lorbeerbaum stand unversehrt da! In der Nacht nämlich hatte der Rotschopf den gleichen Traum gehabt wie zuvor der junge Jäger; dabei hatte ihn ein freudiges Gefühl heimgesucht, dass es ihm war, als schwebte er in den Lüften. Im Schlafe hatte er an den Ast fassen müssen, auf dem er gelegen, und ihm ward, als schlügen alle Nachtigallen um ihn herum so laut, als wenn es Mai wäre. Im Gegensatz zum Jäger hatte er den Traum auch noch fortgeträumt, bis sich die zwei Gestalten darin vereinigen wollten. Da gab es nirgendwo an seinem Leibe eine noch so kleine Stelle, wo nicht ein eingebildeter Fideler saß und den Hopser geigte; dem Träumer schwanden gänzlich alle Sinne und er hörte und sah nichts mehr – so wunderbar war’s gewesen, wie ihm da geschah! Seine Rufe, die er im Schlafe ausstieß, mischten sich mit dem Heulen der Käuzchen, und weil er noch immer ein frischer Junge war, hatte sich sein Fleisch dabei hart aufgestellt und sein weißes Harz von sich gespritzt. Dieses wiederum war am Stamm herabgelaufen und hatte die Kerbe gefüllt, welche vormals die Äxte gehauen hatten, bis sie wieder zusammenwuchs und der Baum aussah, als ob nie ein Beil ihn berührt hätte.

Die Holzfäller begannen nun von vorn, den Lorbeerbaum umzuschlagen. Am Abend blieb nur noch eine kleine Stelle übrig, doch ihre Kräfte waren versiegt. Der junge Jäger erlaubte ihnen, den Rest des Stammes erst am kommenden Morgen durchzuhauen. Doch war dies nicht möglich, denn wieder hatte dem Rotschopf derart heftig geträumt, dass sein jungfrisches Harz verspritzt ward und den Baum heilte. Darüber wunderte sich der Jäger sehr.

»Weder kann man den Baum fällen, noch kann man den merkwürdigen Menschen im Rindenmantel dazu bewegen, herabzusteigen«, murmelte er.

Fortan war er ständig in Gedanken, wandelte durch den Wald und vergaß das Essen und das Trinken. Da stieß er auf eine alte Frau, die gerade Pilze sammelte. Die fragte ihn:

»Mein Sohn, was hast du für Kummer, dass du allein und mit finsterer Miene den Wald durchstreifst?«

Er erzählte ihr alles und die Frau sagte darauf:

»Einen Mann, der eure Decken, Armbrüste und Hüte mit Blumen schmückt, werdet ihr nicht mit Schmeicheleien oder Drohungen zu euch locken. Da gibt es einen viel leichteren Weg!«

Und sie flüsterte ihm ins Ohr, was er in der kommenden Nacht zu tun habe.

Des Abends ritt er auf seinem Pferde zum Lorbeerbaum, aber er trug nicht seine Jägerkluft, sondern teure Gewänder: feine Seidenhandschuhe, brokatbestickte Beinkleider, ein Wams von rotem Samt und Stiefel mit silbernen Schnallen. An seinem goldenen Gürtel hing das Schwert in diamantbesetzter Scheide. Er stieg ab und stellte sich unter den Baum, darauf bedacht, dass der Mondschein ihn beleuchte. Hernach begann er, umständlich zwischen seine Beine zu fassen, heftig Luft zu holen und Laute zwischen Fluch und Jubel auszustoßen. Der Rotschopf wachte davon auf, schaute nach unten und erkannte, was der unbekannte Edelmann auf umständliche Weise zu tun versuchte und doch nicht schaffen konnte. Da riss ihm die Geduld und er rief von oben herab:

»Ach, Edelmann, was tut Ihr da? So geht das nicht!«

Der vermeintliche Edelmann antwortete:

»Oje, das ist mein anerzogener Anstand. Was soll ich denn tun? Könntest du nicht kommen und helfen?«

Der Rotschopf kletterte um einen Ast herunter und meinte, der Edelmann müsse für sein Vorhaben die Beinkleider ausziehen. Der aber entgegnete:

»Das kann ich vor meinem Pferde nicht!«

»So nimm dein Pferd an seinem Zaum,

bind’s fern von hier an Birkenbaum!«

Der Edelmann gehorchte, kehrte wieder und nestelte erneut mühsam an sich herum. Der Rotschopf rief abermals, dass er die Beinkleider ausziehen müsse.

»Ich kann’s ob meines Schwertes nicht!«

Der Rotschopf kletterte um einen Ast tiefer und rief:

»So ramm dein Schwert tief in die Erd’,

fortan ist dein Glück ungestört.«

42_Der_wunderliche

Der Edelmann tat es, kam aber mit seinen Beinkleidern nicht weiter.

»Ich kann’s ob meines Gürtels nicht!«

Wieder stieg der Rotschopf um einen Ast tiefer und antwortete:

»Auf musst du den Gürtel schnüren,

dann erst kann sich alles rühren.«

Der Gürtel fiel, doch der Edelmann sprach:

»Ich kann’s ob meiner Handschuh nicht!«

»Wirf die Handschuh doch hinfort,

lass echtes Fleisch an deinen Hort.«

Der Rotschopf war nun schon fast unten. Der Edelmann jammerte beim Versuch, die Beinkleider zu lösen:

»Ich kann’s ob meiner Stiefel nicht!«

»Zieh die Stiefel von den Füßen,

dann wird sich süßes Harz ergießen.«

Und der Rotschopf stand, umhüllt von seinem Rindenmantel, vor dem Edelmann und half ihm, die Stiefel von den Beinen zu ziehen. Es waren kostbare, neue Stiefel, die einen betörenden Duft ausströmten und ansehnlich geformt waren. Noch betörender aber waren die kräftigen Waden, die feinen Knöchel und die wohlgestaltete Ferse, die nun nackend zum Vorschein kamen. Der Rotschopf konnte seinen Blick kaum davon abwenden. Der Edelmann sprach:

»Nun zeig’s mir, Jüngling, hübsch und fein,

im Wald, wo niemand sonst tut sein.«

Der Rotschopf wusste keinen Spruch darauf, aber seine Lippen und Zunge waren darum noch längst nicht untätig. Was ihm geträumt, wollte er nun wahr machen. Er schlüpfte aus seinem Rindenmantel und begab sich in die Hände des Edelmannes. Sie hielten sich umarmt, lagen auf dem nachtklammen Gras aneinandergeschmiegt und zeigten einander, was sie in ihrem geheimen Hort bewahrten. Glücklich kostete der eine vom anderen, verspielt schubsten sie ihre Leiber von sich, nur um sie danach noch fester an sich zu pressen. Die Eulen und Nachtigallen im Gezweig über ihnen konnten bald schon nicht mehr erkennen, wer Edelmann und wer Rotschopf war – so eng waren sie aneinandergedrückt. Ihre Münder wurden ebenso eins wie ihre Schöße, und kein Lorbeerblatt hätte man zwischen sie stecken können. Dabei tollte der Edelmann mit dem Rotschopf herum, liebevoll und scherzend, wie es die Männer unter sich eben so treiben. Ohne Missgunst oder Argwohn wurde das Spiel der Liebe gepflegt und der Jüngling seufzte:

»Wie angenehm Euer Beisein ist, edler Fremder! Ich möchte vor Freude den Tag nicht erleben und alles dafür geben, damit dieser Zeitvertreib niemals endet. Doch wie geht es Euch? Habt Ihr gelernt?«

»Und ob«, lachte der Edelmann. »In meinem Schoße sprühen Funken, in meinen Ohren klingen Harfen. Auf meinem Rücken ist es, als ob frischer Tau die roten Rosen auf der Wiese aufsprießen ließe. Zugleich schmecke ich in meinem Gaumen feinen Zucker und weichen Honig, der mir die Kehle herunterrinnt.«

»So wisst ihr nun, wie man es richtig gestaltet, will man den weißen Harz aus dem Hort locken«, sagte der Rotschopf.

Dann drückten sie sich einmal mehr und schliefen, umhüllt vom schimmernden Mondlicht, ein.

Noch ehe die Sonne aufging, erwachte der Rotschopf. Schnell sprang er in seinen Rindenmantel und wollte den Stamm des Lorbeerbaumes emporklettern. Wie er aber auf den schlummernden Edelmann blickte, tat es ihm leid.

»Ich will auch ihm Blumen zum Abschied schenken«, dachte er und pflückte blaue Veilchen, mit denen er den Fremden umringte.

Als er schließlich die Äste des Baums ergriff, um sich daran hochzuziehen, schnellte der Edelmann plötzlich empor und hielt ihm am Bein fest.

»Diesmal entkommst du mir nicht!«, rief er und zückte ein scharfes Messer, das er vorher verborgen hatte.

Der Rotschopf erschrak.

»Du willst mich fressen«, klagte er und schüttelte seine Glieder, bis der Edelmann loslassen musste.

Flink wie ein Eichhörnchen stieg er den Lorbeerbaum empor, aber der Edelmann verfolgte ihn, das Messer zwischen den Zähnen.

»Lass mich«, bat der Rotschopf, »schone mein Leben und auch deins! Denn bald werden Jäger des Weges kommen und dich ob deiner Gräueltat bestrafen!«

Der Edelmann hielt jedoch nicht inne. Da flatterte mit einem Male der Papagei herbei, der völlig federlos dem Rotschopf vors Gesicht hüpfte. Mit Krallen und Schnabel fuhr er ihm ins Antlitz und krächzte dabei:

»Bist angeknabbert, bist geküsst! Auf den Lorbeerbaum darfst du nimmermehr!«

Der Rotschopf konnte nicht vorwärts und nicht zurück. Er sah, wie der Edelmann das Messer aus dem Munde in die Hand nahm, damit ausholte und es tief in die Rinde seines Mantels stieß. Er ruckte und riss, bis alles Holz von dem Jüngling fiel. Unser Rotschopf kniff die Augen zu und wartete auf den Stich in seinen Leib, aber es geschah nichts dergleichen. Stattdessen hörte er den Edelmann sprechen:

»Habe keine Angst, mein lieber Jüngling. Ich will dir nichts tun, außer dich von dem elenden Mantel befreien, der zu Unrecht deine Schönheit verdeckt. Sorge dich auch nicht um die Jäger, denn sie kommen heute nicht. Der jüngste von ihnen und ich, wir sind indes ein und derselbe. Weißt du, wer ich bin?«

Der Rotschopf schüttelte den Kopf.

»Ich bin der Königssohn, der sich hier bei der Jagd vergnügte«, sprach der Edelmann weiter. »Allein ich fand kein Wildbret, sondern einen Gemahl – sofern du mich ehelichen willst.«

Der Papagei kreischte auf, als ob er lache, und hüpfte von Ast zu Ast. Der Königssohn reichte dem Rotschopf die Hand und schaute ihm derart tief und liebevoll in die Augen, dass jener den Mut fasste und mit ihm auf den Erdboden zurückkehrte. Dort hielten sie sich bei der Hand und aus den Blicken wurde Lächeln, aus dem Lächeln wurde Kuss und aus dem Kuss ein übermütiger Liebesreigen, wie ihn die Sonne noch nicht kannte. Der Morgen wurde zum Mittag, ehe die beiden zu Ende getanzt hatten (und vom wiegenden Walzer über die schnelle Polka bis hin zur Mazurka war alles dabei gewesen). Hernach teilten sie die edlen Gewänder untereinander auf und der Königssohn führte den Rotschopf heim auf sein Schloss. Während sie ritten, vertraute der ihm die schreckliche Geschichte von dem Gastwirt an und der Königssohn verstand nun, warum ein solch hübscher Jüngling sich in den Wald zurückgezogen hatte.

»Dem Gastwirt wollen wir das Handwerk legen«, entschied er, »und seine Gasterei soll vernichtet werden.«

Da mischte sich der nackte Papagei ein, der dem Paar gefolgt war. Er krächzte:

»Ladet den Bösewicht zur Hochzeit ein! Ladet den Bösewicht zur Hochzeit ein! Bratet mich und setzt mich ihm vor. Bratet mich und setzt mich ihm vor. Dann sprecht: ›Das ist der Vogel, der Eure Wurst gefressen hat!‹«

»Nimmer werde ich zulassen, dass man dich tötet und brät«, widersprach der Rotschopf. »Du bist es doch, dem ich mein Glück zu verdanken habe!«

Allein der Papagei wiederholte sein Bitten so lange, bis die beiden Männer endlich in seinen Plan einwilligten. Auf dem Schlosse bereiteten sie das Hochzeitsfest vor, sandten Boten in alle Winkel des Landes und luden auch den Gastwirt ein. Den Papagei brachte man in die Küche. Dort flatterte er von selbst ins Ofenfeuer und rief:

»Ade, nun kann ich in Frieden verscheiden!«

Er ließ sich braten, bis er goldbraun war und keinen Mucks mehr von sich gab. Als die Hochzeitsgäste eintrafen, staffierte der Königssohn seinen Gemahl mit einem schmucken Gewand und einem kostbarem Hut aus, sodass der böse Gastwirt ihn nicht wiedererkennen konnte. An der Tafel reichte man ihm den Teller mit dem Papageienbraten und hieß den Diener ihm ausrichten, es sei der Vogel, der die Wurst gefressen hätte. Da lachte der Gastwirt ein böses Lachen und sprach:

»Das gefällt mir, Freunde, das gefällt mir. Wisset, ich hatte unlängst in meiner Gasterei ein herrliches Schlachtfest gehabt und vom leckersten Stück Frischfleisch eine Wurst gemacht. Die legte ich auf den Teller für einen weiteren Gast. Der verschmähte sie jedoch. Als er ging, flog plötzlich ein frecher Papagei durchs Fenster und stahl mir die Wurst. Recht geschieht’s ihm, dass er jetzt gebraten und gesotten vor mir liegt.«

Er lachte nochmal und biss ein großes Stück vom Vogel ab. Plötzlich aber lief sein Gesicht rot an. Er schnaufte und hustete, die Augen quollen ihm aus den Höhlen und seine Arme zappelten hektisch.

»Der Mann erstickt!«, riefen die Gäste. »Er hat sich an einem Knochen verschluckt!«

Man reichte ihm Wasser, schüttelte ihn, aber vergebens – der Knochen steckte dem Gastwirt tief im Halse, drückte ihm die Luft ab und er musste jämmerlich sterben. Der Rotschopf aber wusste nun, dass all dies ein Werk seines Blondschopfs gewesen war, und empfand Genugtuung, ihn gerächt zu wissen. Noch schöner aber war das Gefühl, dass dessen Segen auf der Verbindung zwischen ihm und dem Königssohn ruhte. Und so lebten die beiden glücklich bis an ihr seliges Ende.

***

Arne ist vom ersten Teil des Märchens völlig verstört und versteht die Welt nicht mehr. Behutsam berichten wir ihm von den – zum Glück wenigen – Kriminalfällen, in die vor Jahren einzelne Mitglieder unserer Community verwickelt waren.

»Ich rechne solche Verbrecher nicht zur Community«, sagt Basil ernst. »Dann doch lieber Windelfetisch als Kannibalismus!«

»Durch ein ängstliches Ausscheiden gewisser Zustände und Verhältnisse, wie sie innerhalb unserer Welt vorkommen, erreichen Märchen nichts«, meint Wilko. »Unschöne Dinge gehören zum wirklichen Leben dazu, ob wir sie gutheißen oder nicht, und dürfen bei unseren Geschichten nicht verborgen bleiben. Beim Erzählen können wir wenigstens Lösungen finden, die zu einem guten Ausgang führen.«

Margarete ergänzt:

»Wichtig ist und bleibt, dass man etwas daraus lernt; zum Beispiel Vorsicht darüber walten zu lassen, mit wem man sich einlässt.«

»Das ist es!«, ruft Charles.

Wir starren ihn an und wissen nicht, was er meint. Er erklärt:

»Letzte Woche hat uns Giovanni jede Nacht zum Abschluss die Moral aller sieben Märchen erläutern können. Das braucht er heute nicht zu tun, denn Margarete hat sie locker-flockig von sich gegeben: Drum prüfe, wer sich ewig bindet – oder auch nur auf Zeit.«

Die Moral passt. Der Müllerssohn hat naiv einem Fremden vertraut, der Bär sich vom üblen Otter einwickeln lassen, die Männer aus Charlies Märchen ließen blauäugig ein falsches Findelkind ins Haus. Und auch der Rest der heutigen Märchen deckt sich mit der Deutung.

»Auch wenn man einwerfen muss, dass es im Falle des Schmusekaters für unseren Helden positiv war, wie sich der Zauberer vom Katzenmenschen hat anführen lassen«, gibt Wilko zu bedenken.

»Wie dem auch sei«, sagt Giovanni, »ich freue mich, dass meine Gäste mittlerweile selbst fähig sind, die Moral unserer Märchen zu erkennen. Für den Rest der Woche werde ich mich zurückhalten und die Interpretation euch überlassen. Charlie und Margarete haben ihre Schuldigkeit getan. Max, Arne, Wilko und Basil – ihr müsst ab morgen eure Interpretationsfähigkeiten unter Beweis stellen!«

Unsere Gesellschaft ist mit der Abmachung einverstanden. Weil es spät ist (die Geisterstunde ist längst vorbei), zieht sich jeder in seinen Schlafbereich zurück. Ob Margarete wirklich zu Giovanni in das Türmchen gestiegen ist und ihm während seiner Nachtwache Gesellschaft leistete, bleibt dem Rest der Gruppe verborgen.

Die neunte Nacht

Der nächste Tag bietet keine Abwechslung und gleicht in fast allem den vorangegangenen. Lediglich der Pavillon ist fertig repariert. Max, Arne und Margarete finden sich darin ein, um über das Theaterstück zu reden, das sie am Sonntag aufführen wollen. Basil liebäugelt inzwischen mit der Hollywoodschaukel, die im Schuppen steht, und überredet Giovanni, sie draußen aufzustellen.

»Vielleicht kann man sie aufmöbeln«, meint er.

Als wir uns zum Abendessen treffen, setzt er sich absichtlich abseits auf die Schaukel, um zu demonstrieren, dass sie noch funktionstüchtig ist. Zugegeben, anfangs quietscht sie noch und Giovanni befürchtet, das Geräusch könne außerhalb der Gartenmauern zu hören sein und unser Versteck verraten. Aber Margarete hat etwas von ihrem Speiseöl an die Scharniere geschmiert und das Quietschen gestoppt.

»Na, dann setze ich mich mal zu dir, Basil«, sagt Giovanni und demonstriert damit, dass er ihm seine Eigeninitiative verzeiht. »Es sitzt sich ganz nett hier, das hatte ich schon ganz vergessen. Ja, das Alter! Nun denn, dann kann ich auch gleich das erste Märchen der heutigen Nacht erzählen. Esst in Ruhe weiter, euer Schmatzen stört mich nicht.«

Die unerwünschten Hörnelmännchen

Wohl dem Menschen, bei dem sich die Hörnelmännchen niedergelassen haben! Er mag unfreundlich oder hässlich sein, so sehr es überhaupt geht, das Laster weicht trotzdem nicht mehr von ihm, solange diese gamsigen Geister in seinem Hause weilen. Sie verstecken sich im Keller oder auf dem Dachboden und locken mit ihren magischen Fähigkeiten immer neue Galane herbei, die an die Türe klopfen und um Einlass betteln. »Hoch steht der Himmel, doch beinahe genauso hoch steht’s deinem Buhlknecht«, säuseln sie dann, und wer könnte da widerstehen? Die Türe wird aufgemacht, und wurde auch gestern schon an der Kordel gezogen, damit der Vorhang der Wollust sich öffne, heute gibt es die nächste Vorstellung – wer weiß, ob’s nicht die Letzte sein wird!

Nun fragt ihr euch gewiss, warum die Hörnelmännchen dem Hausbewohner all die Galane bescheren, statt sie sich selber ins Kämmerchen zu holen? Die Schaulust ist’s, die sie antreibt, denn nichts mögen diese kleinen Keulenschwinger mehr, als zwei ausgewachsenen Adamssöhnen beim Durchschwitzen ihrer Laken zuzusehen. Dann nehmen sie ihre kleinen Hörnel, denen sie ihren Namen zu verdanken haben, in die Hand und verlustieren sich, gamsig glotzend, in einer heimlichen Ecke. Hat man also die Hörnelmännchen bei sich zu Gast, kann man sich seines Lebens und seiner Lenden freuen. Oder etwa nicht?

43_Hoernel

In einem Dorfe lebte einst ein Bauer namens Ross, der war tüchtig am Tage und tüchtig in der Nacht und freute sich, dass jeden Abend ein anderer Herr an seine Türe klopfte, denn auch bei ihm hausten die Hörnelmännchen und taten ihre Wunder. Einmal aber kam ein Besucher, dem wollte er seine Bühne der derben Lustspiele nicht nur eine Nacht lang darbieten; nein, der war für mehr als nur eine Vorstellung gut.

»Ach, könntest du doch alle Nacht an meiner Kordel zupfen«, wünschte sich Bauer Ross, und sein Galan antwortete:

»Das tät ich mit Vergnügen und kann gerne bei dir bleiben! Doch sperr künftig deine Türe zu und verbiete den anderen Herren, hier weiter aufzukreuzen!«

Der stolze Galan duldete nämlich keine Nebenbuhler. Der Bauer wollte ihm auch versprechen, niemand anderen mehr zu sich zu lassen – einzig die Hörnelmännchen lockten stets neue Besucher herbei. Dem Bauern Ross war das zunächst unerklärlich. Die lange Schlange von Männern vor seinem Hause, davon ein jeder noch einmal mit einer langen Schlange ausgestattet war, verwunderte und bedrückte ihn.

»Was soll nur mein Schatz von mir denken?«, klagte er. »Er wird meinen, ich hätte mir all diese Leute zu mir eingeladen. Dabei will ich mein Laken fortan nur noch mit einem teilen, für solch buntes Treiben fühle ich mich nun zu alt!«

Er schickte die Herren fort, aber am nächsten Abend fanden sich wieder neue ein.

»Lange geht das nicht gut«, wusste Bauer Ross. »Bald wird mich mein Galan aus Eifersucht verlassen.«

In seiner Sorge suchte er den Dorfältesten auf und fragte ihn um Rat. Der war ein gewiefter Fuchs, hatte in seinem Leben schon viel gesehen und ahnte, was hinter der Angelegenheit steckte.

»Sollten sich denn etwa Hörnelmännchen in dein Haus geschlichen haben?«, sagte er und riet: »Forsche nach ihnen und locke sie in ein Gefäß, die du fest verschließen musst. Du bist stark, also trage das Gefäß an einen entfernten Ort und lasse es dort, dann werden dir die Hörnelmännchen keinen Kummer mehr bereiten.«

Bauer Ross beherzigte die weisen Worte, ging wieder nach Haus und rief laut:

»Hallo, huhu, Hörnelmännchen? Seid ihr alle da?«

Plötzlich hörte er ein Kichern und Rascheln und bald schon ertönte die Antwort:

»Freilich sind wir da! Und solange wir da sind, wollen wir eine Schau sehen! Bereite eine Mannsschwitze zu, wie wir es gewohnt sind!«

Der Bauer war nicht dumm, überlegte kurz und fragte dann, sich das Hemd ausziehend:

»Ihr seid wohl sehr viele hier?«

»Oh, sehr viele«, bejahten die Stimmen und begannen zu keuchen. »Lass endlich einen Herren hinein, uns kribbelt es schon ums Hörnel herum!«

»Gemach, gemach«, sagte Bauer Ross und löste seinen Hosenknopf. »Warum sieht man euch eigentlich nie?«

»Wir sind so klein und verstecken uns und unsere Keulchen, damit wir sie ins Holz der Balken und in den Mörtel der Ziegelsteine rammen können«, antworteten sie und hechelten dabei hörbar.

Als der Bauer seine Hosen fallen ließ, vernahm er ein leises Klopfen.

›Sie werden bereits mit ihrer Unzucht begonnen haben‹, dachte er still.

Laut rief er freundlich:

»So zeigt euch doch einmal und setzt euch an mein Fass von gutem Wein.«

Er öffnete ein leeres Fass, das in der Ecke stand, und tat so, als würde er den süßen Duft alten Weines einatmen. Dann tauchte er die Hände ins Nichts, schlürfte die Luft daraus und sprach:

»Oh, wie läuft mir der Rebensaft von den Lippen! Er tropft mir vom Kinn und benetzt meine Brust. Kommt nicht schnell einer gelaufen, ihn mir von der Haut zu lecken, wer weiß, er wird mir noch meine Kordel rot färben.«

Das lockte die Hörnelmännchen hervor. Ein jedes streckte die Zunge heraus, um dem Bauern die nackte Haut zu beschlecken. Der ließ sie ganz nah an sich heran und öffnete Arme und Beine, als würde er sie willkommen heißen. Kaum waren sie aber alle da, packte er sie plötzlich, eins nach dem anderen, und warf sie in das leere Fass. Sie purzelten hinein und schrien »Ach!« und »Weh!«, allein der Bauer nagelte das Fass zu und alle Hörnelmännchen waren gefangen. Ross stürzte das Fass um, rollte es aus dem Haus, brachte es in eine Grube und legte es hinein. Darüber schob er einen schweren Mühlstein.

Von Stund an klopften keine Herren mehr an seine Türe. Friede zog ein und der Galan wusste, dass sein Bauer Ross nur noch für ihn den Vorhang der Liebe öffnen würde. Also blieb er bei ihm und sie lebten in trauter Zweisamkeit.

In demselben Dorfe lebte ein anderer Bauer, der hieß Leu und zählte zu den Griesgramen, obschon er eine liebe Frau und wohlgeratene Kinder hatte. Ihm hatte nie gefallen, dass jede Nacht ein anderer Fremdling an die Türe seines Nachbarn klopfte. Anstatt nun froh zu sein, dass es nicht mehr so war, schüttelte er über dessen neue Lebensweise erst recht den Kopf.

»Nächtliche Besucher zu empfangen ist sündig genug«, raunte er. »Jetzt mit einem Manne gar zusammenzuwohnen, als wären sie vermählt, spottet jeder Beschreibung. Wo doch jeder weiß, dass solche verkehrt geratenen Männer, wie mein Nachbar einer ist, nimmer treu sein können.«

Er zerbrach sich den Kopf darüber, wohin all die anderen Galane verschwunden waren. Weil er keine Antwort darauf fand, begab sich der Griesgram eines Tages zu dem weisen Dorfältesten und fragte zähneknirschend:

»Mein Nachbar lebte einst wie in der Höhle des Löwen, lockte fremde Männer an und sie gaben sich wie dumme Raubtiere ihren viehischen Gelüsten hin. Das war schlimm, doch nun wird es schlimmer. Er spielt Eheleben mit einem der Burschen, die ihm Beute geworden sind, und gaukelt uns doch sein Glück nur vor. Was hat es damit auf sich?«

Der Dorfälteste, der genau wusste, dass Bauer Leu dem Nachbarn schaden wollte, dachte lange nach und riet ihm dann, bei der nächsten Gelegenheit einfach nach den durchgeschwitzten Laken zu fragen.

»Alles Weitere wird sich dann ergeben«, meinte er.

Der Griesgram war dumm genug, die hohlen Worte des Dorfältesten als weises Rätsel anzusehen, das nun gelöst werden sollte. Also suchte er schon am nächsten Tag den Nachbarn auf, grüßte ihn mit gespielter Freundlichkeit und fragte beiläufig:

»Auf deiner Wäscheleine hängen gar nicht mehr so viele durchgeschwitzte Laken wie einst, wie kommt das?«

»Ach, weißt du«, erwiderte Bauer Ross vertrauensselig, »seitdem ich meinen Schatz gefunden habe, hat mein Alltag sich gewandelt. Da braucht es nicht mehr so viele verschiedene Laken in der Woche wie zu der Zeit, als die Hörnelmännchen noch bei mir hausten.«

Und er berichtete arglos alles, was vorgefallen war. Als der Griesgram die Geschichte gehört hatte, ging er spornstreichs zur Grube, wo die Hörnelmännchen verborgen lagen, hob den Mühlstein auf und nahm das Fass heraus. Er glaubte nämlich, die kleinen Wesen würden zu dem Bauern zurückkehren.

»Dann wird jeder sehen, dass er ein treuloser Betrüger ist«, knurrte er, »und man wird keinen zwei Kerlen mehr gestatten, wie Weib und Mann zusammenzuwohnen!«

Also öffnete er das Fass und schenkte den Hörnelmännchen ihre Freiheit. Sie waren aber zu verängstigt, um zum Bauern Ross zurückzukehren, denn sie fürchteten, er könne sie noch einmal überlisten. Sie begleiteten lieber den Griesgram in dessen Haus und siedelten sich dort an.

Schon in der ersten Nacht im neuen Heim bescherten sie dem Bauern Leu und seiner Familie unerwünschte Besucher. Ein Galan sang unterm Fenster des Sohnes ein unflätiges Lied, ein Wanderer spazierte vorbei und zwinkerte sowohl dem Griesgram als auch der Frau eindeutig zu und ein dritter Besucher zog sich vor der Türe schon aus und bat, ob man ihm nicht die Wäsche waschen würde, er sei vor ihrem Haus versehentlich in den Dreck gefallen. So ging das Abend für Abend und die Familie erkannte, dass sie bald in schlechtes Gerede kommen würde.

»Wenn es um unser Heim stets und ständig von fremden Männern nur so wimmelt, werden die Leute behaupten, ich genüge dir nicht mehr«, sagte Leu zu seiner Frau.

»Oder sie werden sagen, du betrügst mich mit deinesgleichen«, gab die Frau zurück und jammerte über die drohende Schande.

»Viel schlimmer wird es kommen«, warf die Tochter ein. »Man wird die Fremdlinge für Freier und mich für ein leichtes Mädchen halten. Wie soll ich da noch einen ehrenwerten Burschen zum Gatten kriegen?«

»Nein, noch viel, viel schlimmer wird es kommen«, klagte der Sohn, »denn mit jedem Fremdling, der sich zeigt, werden mir die Hosen enger. Wo soll ich genügend neue herbekommen, wenn mir jeden Tag ein Dutzend Male die Naht platzt, weil’s Hörnel wächst?«

Da hatte der Griesgram ein Einsehen, dass ihm nichts anderes übrigblieb, als fortzuziehen. Er ließ all seinen Besitz hinter sich und zog mit Frau, Tochter und Sohn weit fort, wo ihn keiner kannte. Die Hörnelmännchen indes blieben in dem leeren Häuschen, richteten sich dort gemütlich ein und empfingen fürderhin selber die Gäste.

***

Die Erzählung findet viel Beifall und wir sind uns einig, dass dem Griesgram Recht geschehen sei. Als nächstes möchte Wilko erzählen und bittet um Nachsicht.

»Ich werde ein Thema aufgreifen, an das ein Mann nur ungern denkt. Sagt euch immer wieder, während ihr mir lauscht: Es ist ja nur ein Märchen!«

Gevatter Trieb

Es hatte ein armer Mann zwölf Kinder und musste Tag und Nacht arbeiten, damit er sie überhaupt ernähren konnte. Als nun das Dreizehnte zur Welt kam und das Brot im Hause nicht mehr reichte, wusste er sich in seiner Not nicht zu helfen, lief hinaus auf die große Landstraße und wollte den Erstbesten, der ihm begegnen würde, zu Gevatter bitten.

Der Erste, auf den er traf, war ein hochgewachsener, schlanker Jüngling mit blondgelockten Haaren und leuchtend blauen Augen. Er schritt halbnackend daher, mit nichts als einem weißen Tuch um die Hüften bekleidet, und lächelte den Mann an. Seine Haut war glatt und rein und seine Brustwarzen prangten wie zwei Rosenknospen auf seinem Oberleib. In seiner schönen Hand hielt er einen Wanderstab, der war geformt wie ein dünnes, langes Glied, und wenn er ihn beim Gehen schwang, so spielten die sanften Wölbungen auf seinem Leib lustig in der Sonne. Er trat an den Mann heran und süßer Rosenduft umgab ihn.

»Du armer Mann mit dem goldigen Kind auf dem Arm, ich weiß schon, wonach du suchst. Lass mich dein Kind aus der Taufe heben. Ich will für den Knaben sorgen und ihn schön und glücklich machen auf Erden.«

Der arme Mann fragte aber: »Wer bist du?« und der Halbnackte erwiderte, er sei die Liebe.

»So begehre ich dich nicht zum Gevatter«, sagte der Mann abweisend, »denn du schürst in den Herzen Hoffnung und Verlangen, bringst am Ende aber stets Enttäuschung und Sorge!«

Er wandte sich von dem Jüngling ab und ging weiter die staubige Landstraße entlang. Da begegnete ihm bald darauf ein großer, dünner Herr in feinen, schwarzen Kleidern. Seine Haut schimmerte grau und auch er hatte blaue Augen, die aber nicht leuchteten, sondern kalt funkelten. Als er auf den armen Mann zukam, fröstelte es jenem. Seine schmalen Lippen sprachen ihn an:

»Suchst du noch? Nimm mich zum Paten deines Kindes. Ich will sein Herz befreien von Sehnsüchten, damit er mit klarem Verstande die Dummheit der Leute zu nutzen weiß und ein gutes Leben hat.«

»Wer bist du?«, fragte der arme Mann wieder, und der Herr erwiderte, er sei der Hass.

»So begehr ich dich nicht zum Gevatter«, sagte der Mann abweisend, »denn du nimmst Freude und führst zu Leid und Trauer.«

Er ging weiter. Da kam ein kleiner Mann daher gesprungen, der war ganz in grün und rot gekleidet und wirkte trotz seines hohen Alters wie ein kecker Bub, was wohl an den lustigen Pausbäckchen liegen mochte. In seinem Schoß baumelte es auffällig und er hatte einen Wanderstab in der Hand, der dem des Jünglings ähnelte, an dessen Holz aber grüne Sprösslinge wuchsen und auf dessen Kuppe ein glänzender, feuchter Tautropfen prangte. Seine Augen blitzten, als er den Mann traf, und der Arme spürte ein plötzliches Verlangen in sich.

»Heda, armer Mann«, sagte der Fremde, »nimm mich zum Gevatter.«

»Wer bist du?«, fragte der Mann und der Fremde lachte:

»Merkst du nicht, wie das Blut in deinem Schoße rauscht und wie dir plötzlich die Beinkleider klemmen? Ich bin der Trieb, der alle Lebewesen gleichermaßen befällt!«

Der Arme erwiderte:

»Du bist der Rechte, denn du nimmst sowohl die Liebenden als auch die Hassenden ein und gehst aus allen Gefühlen als Sieger hervor. So sollst du mein Gevatter sein.«

Der Trieb antwortete:

»Ich will dein Söhnlein reich und berühmt machen, denn wer mich zum Freund hat, dem kann es an nichts fehlen!«

Und wie er das sagte, blitzte es wieder aus seinen Augen und der arme Mann war davon ganz eingenommen. Er legte sein schlafendes Kind auf das weiche Gras, griff sich in den Schoß und öffnete seine engen Beinkleider, während der Fremde lustig kicherte.

»Ja, hol ihn heraus, den Kolben, und lass ihn frische Luft schnappen! Wie der kühle Wind um ihn bläst! Wie die warmen Sonnenstrahlen die Kuppe glühen lassen!«

Und er tanzte um den armen Mann herum, der sich befummelte und befingerte, bis seine Hand nass und harzig war und lautes Gekeuch aus seiner Kehle drang. So hatte ihn der Trieb befallen, wie er uns alle schon befallen hat. Wie er seine Beinkleider wieder zuknöpfte, sprach er, noch ganz außer Atem:

»Künftigen Sonntag ist Taufe, da stelle dich zu rechter Zeit ein.«

Der Trieb versprach es und erschien am verabredeten Tage und stand ganz ordentlich Gevatter. Die Umstehenden wunderten sich zwar, warum sie in der Kirche kaum der Predigt lauschen konnten und beim Anblick des Taufbeckens das Bedürfnis verspürten, sich nackend in den nächsten See zu werfen, und selbst der Pfarrer hatte Schwierigkeiten, seine feierlichen Worte ohne Stottern zu sprechen, denn unter seinem Kleide regte sich sein altes Glied und verlangte nach Wohlbefinden. Doch der fromme Brauch ging vonstatten, wie es sich gehörte, und erst daheim ließen sie alle ihren Trieben freien Lauf. Selbst der Pfarrer stürzte sich in sein weiches Bett und schmuste damit, die dicken Schenkel um die Decke geschwungen, wie er es schon lange nicht mehr getan hatte. All das hatte aber die Anwesenheit des Gevatters hervorgerufen.

Als der Knabe die Kinderjahre hinter sich gelassen hatte und zum Manne heranwuchs, trat der Pate ein und gebot ihm, mit ihm hinaus in den Wald zu gehen. Dort zeigte er ihm allerlei Kräuter und Gräser und sprach:  

»Jetzt sollst du dein Patengeschenk empfangen. Ich mache dich zu einem berühmten Doktor für Liebesleiden und verrate dir drei Heilmittel. Wenn du zu einem Kranken gerufen wirst, der Schmerzen in seinem Schoße hat, hilft dieses Kraut dort, was außer uns aber keiner weiß. Das ist das erste Mittelchen. Wenn man dich aber holt, weil der Trieb überhandgenommen hat, salbst du den Kranken mit jenem Gras ein, welches Linderung verspricht. Das ist das zweite Mittel. Pflücke von diesen Kräutern und Gräsern und eröffne eine Doktorstube in der Stadt. Wenn du dort bist, zeige ich dir die dritte Heilkunst.«

Der Knabe gehorchte, sammelte die Kräuter und Gräser und merkte sich auch die Stelle, wo er sie gefunden hatte. Er nahm Abschied von seinem alten Vater und den zwölf Geschwistern und zog in die Stadt, wo er eine Kräuterstube aufmachte und sich zum Doktor für Liebesleiden ausrufen ließ, wie es ihm der Gevatter geraten hatte. Schon bald machte er sich einen Namen und die Leute, denen eine Krankheit im Schoße lag, riefen ihn oft zu sich, da er sich aufs Heilen verstand. Über kurze Zeit kam der Gevatter Trieb wieder zu ihm und sprach:

»Nun will ich dir das dritte Geheimnis anvertrauen, das deiner Doktorkunst noch fehlt. Ruft ein Kranker dich zu sich, weil er keinen Trieb mehr spürt und seine Manneskraft verloren ist, so will ich dir jedes Mal erscheinen. Stehe ich am Kopfende des Krankenbettes, so kannst du keck sprechen, du wolltest ihn wieder gesund machen. Alsdann werde ich dir eine brennende Kerze reichen, von deren heißem Wachs du dem Kranken zuerst auf die linke, dann auf die rechte Brustwarze träufeln musst, zuletzt aber auf den Schoß selbst. Sodann wird das Blut dort wieder ungehemmt rauschen können. Stehe ich aber am Fußende des Krankenbettes, so ist es mit seinem Trieb ein für alle Male vorbei und du musst sagen, dass alle Hilfe umsonst sei und kein Doktor der Welt seinen Schoß zu neuem Leben erwecken könne. Hüte dich, dass du nicht gegen meinen Willen sprichst, es könnte dir sonst schlimm ergehen!«

Der Doktor dankte dem Gevatter und gab sein Wort. Schon bald wurde er zu einem feisten Manne gerufen, der im Bette lag und dessen Frau klagte, dass er sie nicht mehr beglücken würde. Da erschien dem Doktor der Pate, und der stand am Kopfende des Bettes, sodass der Knabe keck sprechen konnte:

»Ich werde dich heilen und deinen Trieb wiedererwecken.«

Der Gevatter reichte ihm eine brennende Kerze, und davon ließ der Doktor das heiße Wachs zuerst auf die linke Brustwarze des feisten Mannes träufeln. Der erschrak und stöhnte auf, als die plötzliche Hitze auf seinen Leib traf. Dann träufelte der Doktor das heiße Wachs auf die rechte Brustwarze, und diesmal biss der Kranke die Zähne zusammen und erduldete die Behandlung. Die letzten heißen Tropfen aber fielen in seinen Schoß, wo die Hitze sich mit dem Blute unter der Haut mischte, alles zu rauschen begann und sich das kleine Glied zu recken und zu strecken begann.

»Er ist geheilt«, frohlockte seine Frau, zahlte gutes Geld und schob den Doktor zur Türe hinaus, um die Genesung ihres Gatten in frommer Zweisamkeit zu feiern.

Die Fähigkeiten des Doktors machten wie ein Lauffeuer die Runde. »Er braucht einen Kranken nur anzusehen und weiß schon, ob dessen Manneskraft gerettet oder verloren ist«, sagten die Leute von ihm und es kamen viele in die Kräuterstube, um Rat zu suchen, und noch mehr riefen den Doktor zu sich ins Haus. Sie zahlten ihm viel Geld, wodurch er ein reicher Mann wurde. Und sollte bei einem Kranken doch einmal der Gevatter am Fußende stehen und der Doktor seinen traurigen Spruch machen, so nahmen es die Kranken hin, da sie nun Gewissheit hatten, und der Pate selber sprach zu seinem Schützling:

»Jetzt ist die Zeit reif, dass bei jenem Mann der Trieb einschläft, damit selbiger bei einem heranwachsenden Jüngling knospen kann.«

Eines Tages trug es sich zu, dass ein Witwer zu dem Doktor kam und klagte, er würde kein Verlangen mehr nach einer neuen Liebschaft verspüren, seitdem die Frau verstorben war, und dennoch fühlte er sich allein in seinem großen Bette. Da hieß der Doktor ihn sich hinlegen und sein Gevatter erschien ihm am Kopfende. Der Doktor unterzog den Kranken also der Behandlung mit dem heißen Kerzenwachs, und wie staunte er, als aus des Witwers Schoß ein Glied emporwuchs, welches er schöner und vollkommener nie gesehen hatte. Da tat der Doktor etwas, das er noch bei keinem seiner Kranken getan hatte, er griff nämlich nach einem Tuch und wischte das Wachs höchstselbst vom Leibe des Witwers. Und wie sie da einander berührten, traf auch den Doktor der Trieb und sie konnten beide nicht anders, als übereinander herzufallen. Der Gevatter lächelte vor sich hin, nahm seine Kerze und verschwand für diesmal. Nach tausend Küssen, heftigen Stößen, zupackenden Griffen und kehligem Gekeuch lagen Witwer und Doktor schmusend beieinander und waren sich einig, beisammen bleiben zu wollen. Der Witwer zog in die Kräuterstube, hatte seine verstorbene Frau bald vergessen und er und der Doktor verlebten schöne Tage miteinander.

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Doch es liegen Freud und Leid nah beieinander. Der Witwer hatte ein Patenkind, das war ein zarter Knabe von sechzehn Lenzen. Dessen Eltern berichteten verstört davon, dass ihr Sohn zwar heranwuchs und zu einem schönen Manne erblühte, aber keinerlei Begierde entwickelte. »Soll ihm denn die Freude vergönnt bleiben, die einem der Schoß bietet?«, fragten sie und baten, der Witwer möge doch seinen Kumpanen, den Doktor, zu Hilfe schicken.

Weil der Witwer sein Patenkind bedauerte, solange jenem das schönste Pläsier der Jugend versagt bliebe, überredete er den Doktor, nach dem kranken Knaben zu schauen. Als der Doktor jedoch ans Bette trat, sah er, dass sein Gevatter am Fußende stand, und ward traurig.

›Wenn dieser Knabe ohne Trieb bleibt‹, dachte er, ›dann wird die Familie und auch mein Kumpan auf immer betrübt sein.‹

Darum fasste er einen kühnen Plan.

›Ich will doch einmal sehen, ob ich den Gevatter nicht überlisten kann. Er wird es mir freilich übel nehmen, aber da ich sein Pate bin, drückt er gewiss ein Auge zu. Ich will es wagen!‹

Er fasste den kranken Knaben, hob ihn auf seine Arme und legte ihn verkehrt herum wieder ins Bette, sodass der Gevatter Trieb nun zu Häupten stand. Der machte ein grimmiges Gesicht und plötzlich war der Doktor aus dem Krankenzimmer verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.

Er fand sich in einem seltsamen Reich wieder. Da wuchsen Rosensträucher, deren Knospen sich beständig öffneten und schlossen; Bohnen rankten von der Erde in den Himmel hinauf und steckten dem Doktor ihre Früchte entgegen; der Boden war über und über mit Jungsprossen bedeckt; Stängel und Reisig wuchsen dazwischen. Mitten in dieser merkwürdigen Pflanzenwelt saß Gevatter Trieb und war umgeben von vielen brennenden Kerzen, die der Doktor als solche wiedererkannte, die ihm zum Heilen gereicht wurden. Sein Gevatter sprach finster zu ihm:

»Du hast mich hinters Licht geführt. Wie verteidigst du dich?«

Der Doktor ließ sich nicht beirren:

»Dass manch alten Mann die Kraft verlässt, weiß jeder und will ich nicht bestreiten. Doch ein Knabe von sechzehn Lenzen ohne Begierde muss ein Irrtum sein!«

»Das Patenkind deines Kumpans mag für etwas anderes als triebhaftes Vergnügen vorgesehen sein«, widersprach der Gevatter. »Das Geheimnis seiner Trieblosigkeit wird mir und dir verschlossen bleiben, und keiner von uns hat das Recht, das zu ändern.«

»Bist du denn nicht Herr der Triebe?«, fragte der Doktor und eine Spur von Hohn lag in seiner Stimme. Der Gevatter antwortete nur:

»Diesen Gedanken hast du von deinem armen Vater. So mächtig, wie er mich nannte, bin ich jedoch nicht und kann auch nicht gleich sein gegen jedermann, wie er glaubte.«

Der Doktor aber bestand darauf, dass er mit Klugheit gehandelt habe und seine Tat kein wirklicher Betrug sei; keine Regel sei gebrochen worden, die Vorschriften habe er lediglich gebeugt. Da gab der Gevatter nach:

»Für diesmal will ich dir’s nachsehen, weil du mein Patenkind bist. Wagst du es aber noch einmal, mich überlisten zu wollen, so geht es dir an den Kragen!«

44_GevatterTrieb

Da gab der Doktor seinem Gevatter ein zweites Mal sein Wort, erhielt von ihm eine Kerze und fand sich kurz darauf im Krankenzimmer wieder. Als er nun heißes Wachs auf die Brust und den Schoß des Knaben träufelte, geschah wieder das Wunder der Heilung: Endlich ward das Verlangen geschürt, was dem Jüngling bis dahin nicht vergönnt gewesen war. Ungeduldig und hungrig nach Berührungen zog der Knabe den Doktor zu sich ins Bett und dankte ihm, wie es nur ein junger, verschmuster Halbwüchsiger zu tun vermag, und der Doktor ließ es mit sich geschehen.

»Danken musst du allerdings nicht nur mir, sondern auch deinem Paten, der mich herschickte«, sprach der Doktor anschließend, als sich die beiden das Salz von der Stirn wischten. »Er wird erfreut sein, wenn du ihm ebenso wie mir deine frische Manneskraft beweist!«

Der Knabe willigte ein, gleich am nächsten Tag vorbeizukommen, und der Doktor verließ das Haus. In seiner Kräuterstube erwartete ihn der Witwer bereits. Dem erzählte er von der Genesung des Knaben, die Unterredung mit Gevatter Trieb aber behielt er für sich.

Am folgenden Tag besuchte der Knabe seinen Paten, wie er es dem Doktor versprochen hatte, und seine Begierde wollte sogleich gestillt sein. Aber wie erschrocken waren die drei Männer, als sie feststellten, dass der Witwer seine Manneskraft verloren hatte! Er saß im Bette, verzückt vom Anblick des schlanken Besuchers, und dennoch regte sich nichts in seinem Schoße. Da klagte er und bat seinen Kumpanen, er möge ihn erneut behandeln.

»Du heiltest mich schon einmal, so wird es dir wieder gelingen«, sprach er voller Zuversicht.

Der Doktor aber erblickte seinen Gevatter zu Füßen des Bettes und wusste wohl, dass die Manneskraft des Witwers verloren war. Da hätte er sich an die Warnung des Gevatters erinnern sollen, aber die flehenden Augen seines Kumpans betörten ihn derartig, dass er alle Zweifel in den Wind schlug. Er würdigte den Gevatter keines Blickes, als er den Kranken auf die Arme hob und verkehrt herum aufs Bett legte, und konnte nicht sehen, wie Gevatter Trieb seinen Stab in die Höhe hob und drohend schüttelte.

Kurz darauf war er wieder in dem seltsamen Pflanzenreich. Diesmal standen die Rosen in voller Blüte und strömten berückenden Duft aus; die Bohnenhülsen ließen ihre dicken, schmackhaften Früchte zu Boden fallen; Stängel und Reisig wogten stolz im Winde. Gevatter Trieb aber saß wieder in der Mitte, umringt von unzähligen brennenden Kerzen, und schaute sein Patenkind noch finsterer an.

»Diesmal bist du zu weit gegangen und ich werde mich von dir als Gevatter lossagen. Sieh zu, wie du ohne mich noch Doktor der Liebesleiden bleiben kannst!«

Da fiel der Doktor auf die Knie und flehte, der Gevatter solle ihn nicht im Stich lassen.

»Schenkt mir zum Abschied wenigstens noch eine Kerze, mit der ich meine Arbeit ein letztes Mal glücklich zu Ende führen kann.«

Der Gevatter war einverstanden und gebot dem Doktor, sich eine Kerze selbst auszusuchen. Der dünkte sich schlau, nahm die dickste und längste von allen und dachte sich dabei:

›Solange die brennt, kann ich noch oft die Kranken heilen und verlorene Manneskräfte wecken; mein Erfolg ist noch längst nicht zu Ende.‹

Und wie er die Kerze gepackt hatte, stand er wieder in seiner Kräuterstube und träufelte das Wachs behutsam auf die linke, dann auf die rechte Brustwarze seines Kumpanen, und schließlich auch in dessen Schoß. Zur Freude des Knaben streckte sich des Witwers Glied wieder nach oben, gierig darauf, sich mit einem anderen Manne zu vereinen. Der Doktor aber wurde bleich, denn als er den letzten Wachstropfen auf seinen Kumpanen träufelte, spürte er das Blut aus seinen Lenden ziehen und sein Glied schwach und kraftlos in sich zusammenfallen.

»Der Gevatter hat mich hereingelegt«, rief er verärgert aus, »diese Kerze ist die meinige und ich vergeude meinen eigenen Trieb, wenn ich ihren Wachs vergieße!«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752144185
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Mai)
Schlagworte
Homoerotik schwul Märchen Erotik gay

Autor

  • Xaver Ludwig Cocker (Autor:in)

Xaver Ludwig Cocker: Es ist nicht klar, wer sich hinter diesem Namen verbirgt. Ist er ein renommierter Forscher der schwulen Kulturwissenschaft, in Fachkreisen hoch anerkannt von seinen Kollegen? Oder handelt es sich nur um das Pseudonym eines schüchternen Schreiberlings, der die Männerwelt mit sexy Stories beschenken will? Auf alle Fälle ist er jemand, der bereits vorab für eventuelle Tippfehler um Entschuldigung bittet.
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Titel: Vierzig schwüle Nächte 2