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Inselkrimis Ostfriesland II

Borkumer Verhängnis - Spiel mit dem Tod auf Langeoog

von Moa Graven (Autor:in)
250 Seiten

Zusammenfassung

In diesem Doppelband erleben Sie den Charme der Ostfriesischen Inseln Borkum und Langeoog in einem Krimi. In Borkumer Verhängnis wird im Winter eine junge Frau tot auf einer Bank vor einem Teeladen entdeckt. Und in Spiel mit dem Tod auf Langeoog bekommen es die Ermittler mit einem toten Bauhelfer bei dem Neubau eines Hotels zu tun. Wie immer gelingt es der Autorin Moa Graven, die Leser mit ihrem flüssigen Schreibstil in ihren Bann zu ziehen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Ostfriesische Inselkrimis

Borkumer

Verhängnis

 

Spiel mit dem Tod auf Langeoog

Ostfrieslandkrimis von

Moa Graven

 

Borkumer Verhängnis – Zum Inhalt

 

Borkumer Verhängnis ist der dritte Band aus der Reihe Ostfriesische Inselkrimis von Moa Graven

Winter auf Borkum. Weihnachten und der Jahreswechsel stehen vor der Tür. Heta, die dieser Jahreszeit nichts abgewinnen kann, spielt mit ihrem Kollegen in der Dienststelle gerne Scrabble, um sich die Zeit zu vertreiben. Doch dann taucht vor dem Teeladen eine Tote auf. Sie sitzt auf einer Bank mit weit aufgerissenen Augen. Nun ist es mit der Langeweile für die Ermittler eindeutig vorbei.

 

Wissenswertes über Borkum

Borkum ist Teil der Ostfriesischen Inseln. Als westlichstes Eiland der Inselkette liegt Borkum zwischen den beiden Mündungsarmen der Ems. Insgesamt ist die Insel 32 Quadratkilometer groß, 10 Kilometer lang und maximal sieben Kilometer breit. Östlich sind Juist, Memmert, Brauer- und Kachelotplate, auf der westlichen Seite das zu den westfriesischen Inseln gehörende niederländische Rottumeroog die Nachbarinseln. Zwischen Borkum und Rottumeroog verläuft das Emsfahrwasser.

 

Noch 1863 bestand Borkum aus zwei separaten Inseln, Westland und Ostland, die durch einen Priel voneinander getrennt waren. Das Tüskendör („Zwischendurch“) zeigt die alte Trennlinie an. Die beiden Inselteile weisen deutlich die hufeisenförmige Gestalt der konzentrisch verlaufenden Dünenketten auf, die zum Randzel-Watt hin offen sind. Das Innere der Dünenbögen ist mit eingedeichten Marschen aus größtenteils Grünland und Salzwiesen vor dem Seedeich ausgefüllt. Im Westen der Insel liegt die Greune Stee („grüne Stelle“), ein ausgedehnter Sumpfwald, der an trockenen Stellen von Dünen durchzogen ist. Die Ostspitze der Insel ist das Hoge Hörn („erhöht liegende Ecke“), das mit den bei Sturmflut von Salzwasser überspülten Ostlagunen den Lebensraum für eine große Zahl von Brut- und Rastvögeln bietet. (Quelle Wikipedia)

Der Streit

Vielleicht hatte es sich schon länger angekündigt. Doch ganz sicher sogar. Aber wer gestand es sich schon gerne ein, dass eine Ehe am Ende war.

Und so hatte Gudrun sich auf den Urlaub gefreut. Oft war es ja so, dass dann die schlechte Laune auf beiden Seiten vergessen war. Eine Chance, ihre eingefahrene Beziehung zu retten, bot sich dar. Und sie hatte sich vorgenommen, alles in die Waagschale zu werfen. Insgeheim gab sie sich an vielen Missstimmungen in den letzten Monaten ja auch die Schuld. Doch mit Gunnar offen darüber zu reden, das traute sie sich einfach nicht.

Sie waren das erste Mal gemeinsam auf Borkum. Er liebte die Nordsee und im letzten Jahr hatten sie Juist besucht. Und davor Baltrum. Sie hatte kein Problem damit gehabt, sich seinen Vorstellungen eines Sommerurlaubs anzupassen, als sie sich kennen lernten. Ich werde dir die Schönheit der ostfriesischen Küste nahebringen, hatte er ihr erklärt. Und sie hatte sich im unterworfen, weil sie es schon damals als aussichtslos empfunden hatte, ihn von ihrer Affinität für die Berge zu überzeugen. Was tat man nicht alles, wenn man verliebt war? Und ja, sie war verliebt gewesen in Gunnar. Vom ersten Moment an eigentlich. Sie, die junge Absolventin eines Psychologiestudiums und er, der Professor, der immer wie durch sie hindurchgesehen hatte im Vorlesungssaal.

Das hatte sich erst geändert, als sie ihm nicht mehr unterworfen war. Rein zufällig waren sie sich in der stadteigenen Bibliothek wiederbegegnet. Da hatte sie sich bereits um eine Stelle in einer anderen Stadt beworben, um dort als Sozialarbeiterin zu beginnen. Ihr Umzug verschob sich dann um ein paar Wochen aus Gründen, die sie später als Schicksal bezeichnen würde. In ihrer Wohnung, die im Groben bereits geräumt war, hatte sie plötzlich viel Zeit. Und so nahm sie sich vor, sich noch ein wenig Fachliteratur zu Gemüte zu führen, um sich auf die neue Anstellung vorzubereiten. Es schadete nie, über alles Bescheid zu wissen, um einen guten Eindruck zu machen. Er indes war auf der Suche nach Fachliteratur zum Thema Schizophrenie gewesen. Und irgendwie landeten sie in derselben Ecke. Ein kurzer Blick, als sie voreinander standen. Dann ein Moment des Erkennens auf beiden Seiten. Und plötzlich nannte er sie beim Vornamen, so, als wären sie alte Freunde. Völlig unbefangen ging er mit ihr um und lud sie sogar ins kleine Café um die Ecke ein. Erst da erfuhr sie dann, dass er verwitwet war. Seine Frau war einer kurzen heftigen Erkrankung erlegen.

Sie sagte ihm nicht, dass sie bereits seit Beginn des Studiums für ihn schwärmte. Doch er musste es einfach gespürt haben, so, wie sie ihn ansah. Und hin und wieder lief eine zarte Röte über ihre Wangen, wenn er vom Sinn des Lebens philosophierte. Sie liebte seine Stimme. Und es dauerte gar nicht lange, da liebte er auch die ihre. Sie zog nicht mehr um, sondern kurz darauf bei ihm ein.

 

»Gudrun?«

Sie sah erschrocken in den Badezimmerspiegel. Hatte sie schon wieder viel zu lange getrödelt?

»Ich komme gleich«, rief sie zurück und ließ noch einmal die Toilettenspülung laufen. Danach den Wasserhahn. Sie war sich sicher, dass er noch vor der Tür stand. Das erste Mal hatte sie ihn dabei vor einem halben Jahr ertappt, dass er lauschte und darauf achtete, wie viel Wasser sie beim Duschen verbrauchte. Noch mit dem Badehandtuch umschlungen war sie aus dem Bad gegangen, weil sie vergessen hatte, sich Unterwäsche mitzunehmen. Als die Tür aufging, schüttelte er kurz mit dem Kopf und tat so, als hätte er vergessen, dass sie ja noch im Bad war. Sie mochte es nicht, wenn man ihr nachspionierte. Und da er immer penetranter in dieser Richtung wurde, hatte sie es ihm vor Kurzem auch durch die Blume gesagt. Wie immer in einen Scherz gewickelt, dass sie schon alt genug sei, um nicht im Waschbecken zu ertrinken. Er hatte nicht gelacht.

Als sie nun die Tür öffnete, da wusste sie, dass dieser Tag wieder im Streit enden würde. Doch wie es dann kam, damit hätte sie nicht im Traum gerechnet. Wegen einer Nichtigkeit, sie hatte einfach nur den Zimmerschlüssel im Hotelzimmer liegen lassen, als sie an den Strand gegangen waren, gerieten sie in einen derart heftigen Streit, dass er beschloss, noch am nächsten Tag abzureisen.

Viele Jahre später

Sabine Fornas schloss wie immer ihren Teeladen ab und schüttelte sich kurz, weil sie sah, dass es anfing zu schneien. Nein, der Winter war nun wirklich nicht ihre Jahreszeit. Auf der anderen Seite tranken die Menschen dann noch mehr Tee als sonst und oft auch mit einem guten Schuss Sanddornlikör, den sie ebenfalls in ihrem Geschäft anbot. Es wunderte sie im Grunde genommen immer wieder, dass es die Menschen zu so einer kalten Jahreszeit ausgerechnet an die Nordsee zog. Sie selber hätte diese trüben Monate lieber irgendwo im Süden verbracht. Aber nun waren die Dinge einmal so, wie sie waren.

Sie seufzte kurz auf und drehte sich um, als sie plötzlich meinte, etwas gehört zu haben, was ihrem eigenen Seufzen glich und ihr in diesem Moment wie ein unwirkliches Echo erschien. Also ging sie wieder zur Tür und sah nach draußen. Der Schnee fiel wie aus einem Kissen geschüttelt auf das Pflaster und löste sich dort sofort wieder auf. Der Vorplatz des Ladens war ausgeleuchtet und auf der anderen Seite ebenso. Nichts war zu sehen, was dieses vermeintliche Geräusch von eben hätte auslöst haben können. Also schloss Sabine Fornas erneut die Tür und machte sich dann an die Abrechnung für den Tag. Doch finanziell brauchte sie sich wirklich keine Sorgen zu machen. Nein, wäre es nur ums Geld gegangen im Leben, dann wäre sie ein glücklicher Mensch. Aber es gab eben noch etwas anderes, was sie sich von Herzen wünschte, was ihr aber große Probleme bereitete, wenn sie versuchte, es zu finden. Das große Glück, wie man immer so schön sagte, es hatte noch nicht an Sabine Fornas Tür geklopft. Oder nun ja, es gab hin und wieder Männer in ihrem Leben, die ihr durchaus mehr bedeuteten. Doch die längste Beziehung hatte nicht mehr als drei Jahre gehalten. Und so war sie mit über vierzig Jahren immer noch alleinstehend. Oder Single. Doch sie mochte das Wort nicht. Es klang so hart und hatte den Unterton des Versagens für sie wegen der scharfen Aussprache. Bestimmt war sie da überempfindlich, meinte ihre Freundin Christine immer. Die hatte ja auch gut lachen. Seit über zwanzig Jahren war sie glücklich verheiratet mit ihrer ersten großen Liebe. Was wusste sie schon von einsamen Abenden vor dem Fernseher. Gar nichts. Da half es auch nichts, dass sie mit vielen Geschäftsinhabern auf der Insel gut befreundet war. Abends ging man dann doch alleine nach Haus.

Als Sabine Fornas endlich fertig war, stimmte die Abrechnung und eine gewisse Zufriedenheit breitete sich in ihr aus. Es kam nicht oft vor, dass sie sich bei der Buchführung einen Schnitzer erlaubte. Mit Zahlen hatte sie schon immer besser umgehen können als mit Menschen.

An diesem Abend würde sie sich mit einem Glas von ihrem teuersten Rotwein verwöhnen, nahm sie sich vor. Dazu dunkle sündige Schokolade, wie sie es nannte. Denn leicht war es für sie nicht, darauf zu verzichten. Doch ab dem vierzigsten Geburtstag schränkte sie ihren Konsum diesbezüglich ein, weil sie zunahm, ohne, dass sie hätte sagen können, warum. Ihre Frauenärztin machte die innere Uhr dafür verantwortlich. Hormone eben. Und dabei nahm Sabine schon seit Jahren keine Pille mehr. Die wenigen Male, die es zu zwischenmenschlichen Kontakten gekommen war, lohnten es nicht, dass sie ihren Körper aus seinem biologischen Rhythmus brachte.

Aber die Belohnung, so fand sie, hatte sie sich an diesem Tag einfach verdient. Belohnungen, auch wenn man sie sich selber machte, hoben die Stimmung, hatte ihr Therapeut gesagt. Und er hatte recht damit.

Scrabble

Wenn es nichts zu tun gab, dann holte Andreas Kalb immer das schon ziemlich ramponierte Brett heraus und schüttelte den Sack mit den Buchstaben.

»Ich bin hier gleich fertig«, sagte Heta Freytag und schmunzelte in sich hinein. Mit ihrem Kollegen, der ihr vor zwei Jahren auf die Insel gespült worden war, hatte sie wirklich Glück gehabt. Er war gute fünfzehn Jahre jünger als sie, doch trotzdem passte er sich ihr ohne Vorbehalte an. Denn sie hielt er nicht viel von dem neumodischen Kram, wie Heta immer sagte und damit die digitale Welt meinte, zu der der Zugang für sie verschlossen geblieben war. Sie sprach mit den Menschen am liebsten von Angesicht zu Angesicht. Deshalb telefonierte sie auch nicht gerne.

Andreas rückte seinen Stuhl so zurecht, dass er bequem saß, nachdem er die Teekanne, die Sahne und die Tassen auf den Tisch gestellt hatte. Er liebte diese Abende genauso wie seine Chefin. Es traf sich gut, dass sie beide Singles waren und so lange in der Dienststelle herumhängen konnten, wie er es nannte.

Heta fuhr ihren PC herunter, an dem sie noch die letzten Nachrichten gelesen hatte, die den Tag über eingelaufen waren. Das machte sie immer nur abends kurz vor Dienstschluss. Vorher kam das Ding nicht an, war ihre eiserne Regel. Lieber lief sie am Strand entlang bis hin zu den Salzwiesen, wo sie oft alleine unterwegs war.

»Du hast doch wohl nicht schon die besten Buchstaben gezogen«, sagte sie lachend, als sie sich zu ihm an den Tisch setzte.

Andreas schenkte Tee für beide ein und ließ sie zuerst ziehen. Das war ja klar, dachte Heta und zog eine Schnute. Ein Z. So war klar, wer anfing.

Das erste Spiel war schnell erledigt und Andreas fuhr acht Dreierwortwerte und zwei Bingos ein. Damit lag er haushoch vor ihr mit ihren schlappen 187 Punkten und sie tat ihm den Gefallen, sich mächtig darüber zu ärgern.

»Der Tee ist schon auf«, sagte er, »soll ich neuen machen?«

Heta schüttelte mit dem Kopf.

»Verstehe.« Schelmisch grinsend stand Andreas auf und räumte das Teegeschirr ab, nachdem er nochmal Wasser aufgesetzt hatte. Eigentlich lief dieses Ritual immer gleich ab, und doch fragte er. Es hatte sich so eingebürgert, dass sie nach dem Tee immer einen Glühwein tranken. Jedenfalls im Winter.

Heta hing ihren eigenen Gedanken nach, während er sich um den Rest kümmerte. Die Winterabende waren für sie eigentlich immer das Schlimmste. Es war so früh dunkel und man war dadurch auf Gedeih und Verderb ans Haus gefesselt. Oder eben das Büro, so wie in ihrem Fall. Hätte man ihr vor über vierzig Jahren, als sie noch ein kleines Mädchen mit vielen Träumen und sehr viel Fantasie war, erzählt, dass sie einmal als alternde Polizistin auf einer Insel festhängen würde, sie hätte es nicht geglaubt. Ja, damals, dachte Heta. Da hatten die Lehrer sie noch mit erhobenen Brauen Henriette gerufen. Das klang so ernsthaft und intelligent. Und dumm war sie ja auch nicht gewesen. Sie hätte das Zeug zu Höherem gehabt. Doch irgendwann, da hatte sie sich eben an Heta gewöhnt. Das Mädchen, dessen Namen die anderen Mitschüler nicht aussprechen konnten oder ihnen einfach die Lust dazu fehlte. So war sie wohl zum Durchschnitt geworden. Henriette. Ja, das klang wirklich sehr bieder. Und das war sie heute nun weiß Gott nicht mehr. Selbst bei der Arbeit lief sie meistens ungekämmt in legerer Kleidung herum, was auf der Insel niemanden störte. Hauptsache, sie hielt die Verbrecher in Schach.

»Worüber denkst du nach?«, fragte Andreas, als er die dampfenden Glühweingläser auf den Tisch stellte.

»Ach«, winkte Heta ab, »mir wäre der Sommer jetzt einfach lieber. Wieder mal über den Hoge Hörn schlendern und dann durch die Salzwiesen streifen und bei der Greune Stee den Wildvögeln beim Fliegen zuschauen.«

Er wusste mittlerweile, was sie mit diesen für ihn kryptischen Formulierungen meinte, doch ihn selber interessierte die Natur nicht so sehr wie sie. Wenn er nach Feierabend alleine in seiner Wohnung war, dann zockte er gerne an seiner Spielekonsole. Doch davon hatte er seiner Kollegin bisher nichts erzählt, weil er nicht in einem noch schlechteren Licht für sie erscheinen wollte als ohnehin vermutlich schon. Man hatte ihn nämlich dazu verdonnert, auf Borkum zu arbeiten. Die wenigsten taten das auf Dauer freiwillig. Man glaubte, dass er hier an der frischen Luft noch einmal seine sieben Sinne zurechtgerückt bekam und in Zukunft pünktlich zur Arbeit erschien.

»Hm, das tut gut«, sagte sie, als sie einen Schluck getrunken hatte. Dabei war es ihr weder kalt, noch war es im Zimmer zu kühl. Doch immer, wenn sie den ersten Schluck Glühwein trank, dann löste das etwas in ihr aus. Ein Wohlbehagen, das ganz tief bis in ihr Innerstes reichte. Wärme und Nähe. Ach, sie konnte es kaum erklären. Und es fragte sie ja auch niemand danach.

Andreas trank ebenfalls aus seinem Glas und dann läutete er die nächste Scrabble-Runde ein. Es lief erwartungsgemäß wieder schlecht für Heta, doch sie gönnte ihm den Spaß, immer genau an den von ihr favorisierten Stellen auf dem Spielfeld seine Steine abzulegen.

Mittlerweile hatten sie bereits den zweiten Glühwein getrunken und Heta rieb sich die Augen.

»Ich glaube, das reicht für heute. Wie spät ist es eigentlich?«

Andreas sah auf seine Armbanduhr. »Oh, gleich zwölf. Dann räum ich mal ab.«

»Meine Güte, solche Spiele rauben wirklich viel Zeit.« Mit einem leichten Stöhnen erhob sich Heta aus ihrem Lehnstuhl, den sie sich eigens in die Dienststelle hatte liefern lassen. Da könne sie besser denken, hatte sie gegenüber der übergeordneten Dienststelle argumentiert, die alles bezahlen musste. Doch man war ja auch froh, dass sie freiwillig auf die Insel gegangen war. Sie ging jetzt kurz in die Beuge und ließ ihre Arme baumeln. Dann stellte sie sich wieder auf und reckte die Arme nach oben. Dann schüttelte sie sich.

»Soll ich dich noch bis zu deiner Wohnung begleiten?«

Auch das fragte er jedes Mal. Und sie lehnte wie immer ab.

Heta wollte gerade die Tür abschließen, als drinnen noch einmal das Telefon klingelte.

»Nanu«, sagte sie und drehte sich zu Andreas um, der schon losgegangen war. Er blieb stehen. »Wer kann das sein«, meinte er.

»Ich weiß nicht«, sagte Heta und ging zurück zu ihrem Schreibtisch und nahm ab. »Ja?«

»Heta«, hörte sie eine atemlos klingende Männerstimme. »Das hätte ich jetzt gar nicht gedacht, dass ich dich noch in der Dienststelle erreiche.«

»Tja«, sagte Heta. Im Moment wusste sie nicht, wer da sprach. Auch wenn ihr die Stimme durchaus bekannt vorkam. »Worum geht es denn?«

»Es wurde eine Tote entdeckt.«

»Klaas? Bist du es?« Langsam konnte Heta wieder klarer denken.

»Ja sicher bin ich das«, fluterte er zurück. »Was glaubst du denn wohl, wer dich sonst mitten in der Nacht anruft?«

Oh, solche Spitzen durfte sich wirklich nur Klaas erlauben. Nämlich, weil er die besten Fischbrötchen auf Borkum servierte und den leckersten Sanddornschnaps dazu, den er selber hinten im Garten zusammenmixte, wie er es immer nannte.

»Ich muss schon etwas genauer wissen, worum es da geht«, rumpelte sie zurück. »Also, wo bist du? Und vor allem, wo ist die Tote?«

»Sie sitzt auf einer Bank ganz in der Nähe von Sabines Teeladen«, fuhr er hastig fort. »Ich bin eben praktisch über sie gestolpert, als ich nach Hause wollte. Erst dachte ich ja, die ist nur eingenickt. Aber dann ... bei dem Wetter. Also ich näher ran und da hab ich’s gesehen. Man, den Blick von der, den werde ich mein Lebtag nicht mehr vergessen.«

Heta wusste, wo er war. Sie selber ging gerne zu Sabine Fornas in den Teeladen, um sich für lange Winterabende einzudecken. »Okay, ich bin gleich da. Und du rührst dich nicht vom Fleck.« Sie legte auf.

Andreas stand neben ihr. Er hatte alles mit angehört, weil sie auf Laut gestellt hatte. »Das sieht verdammt nach Arbeit aus«, meinte er.

Dann gingen sie beide, die Kragen hochgeschlagen, los in Richtung Ortskern.

 

Klaas hatte nicht zu viel versprochen. Bei der Toten handelte es sich um eine junge Frau um die dreißig, deren Gesicht, fahl und weiß vom Mondlicht beschienen, wie eine Totenmaske wirkte. Die Augen, groß und blau, glitzerten wie Glasmurmeln aus der Kinderzeit.

»Jesses«, stieß Heta aus, »und das im Dezember.«

»Sie merkt nicht mehr, wie kalt es ist«, erwiderte Klaas stoisch und zog seinen Schal fester um seinen Hals.

»Und sie saß genauso da?«

»Meinst du, ich hab noch an ihr rumgespielt oder was?« Klaas mimte den Echauffierten. Doch er wusste natürlich, was sie wissen wollte. »So, wie sie da jetzt sitzt, hab ich sie entdeckt, als ich hier nach Feierabend vorbeikam. Es war sonst niemand hier unterwegs. Jedenfalls keiner, den ich gesehen hätte. Ich bin zu ihr hin und hab sie angesprochen ...«.

»Aber sie hat nichts erwidert«, vollendete Heta, »ich weiß. Tja«, sie wandte sich an ihren Kollegen, »da müssen wir jetzt wohl das volle Programm fahren.«

Andreas nickte und zog sein Handy aus der Jackentasche und stellte sich etwas abseits hin, um die Spurensuche und den Gerichtsmediziner anzufordern.

»Hast du was dabei?«, fragte Heta und sah Klaas erwartungsvoll an.

»Klar«, raunte er und ließ seine linke Hand in die rechte Innentasche wandern. Zum Vorschein kam ein Flachmann. Er schraubt ihn auf und reichte ihn ihr.

Heta trank dankbar einen Schluck und reichte ihm dann die Flasche zurück. »Dein Sanddornschnaps ist einfach unvergleichlich.«

»Ich weiß.« Er setzte an und trank den Rest in einem Schluck aus. »Muss ich jetzt eigentlich noch hierbleiben?«

Heta trat von einem Bein aufs andere, während sie überlegte. Mittlerweile war es wirklich lausig kalt geworden hier draußen. Die Wirkung vom Glühwein hatte längst nachgelassen. »Naja«, meinte sie dann, »eigentlich nicht, wenn du mir alles gesagt hast.«

»Was sollte ich dir denn verschweigen?«, fragte er zurück und steckte den Flachmann wieder ein.

»Ich weiß nicht. Dinge eben, die man im ersten Moment sieht, dann aber wieder vergisst, weil man einfach zu geschockt ist. Sowas eben.«

»Das kann ich dir auch morgen früh in der Dienststelle erzählen, wenn mir denn noch was einfallen sollte.«

»Ja, du hast R echt. Geh ruhig nach Hause.«

»Dann bis morgen«, sagte er und machte sich auf den Weg.

Voller Einsatz

Nach gut einer Stunde war der Platz um den Tatort herum großzügig abgesperrt und hell erleuchtet. Die Tote saß da, als sei sie die Hauptdarstellerin in einer aufwändigen Filmproduktion.

Sabine vom Teeladen hatte über einen Anruf ihrer Freundin, die ganz in der Nähe des Tatorts wohnte, erfahren, dass da etwas los sei vor ihrem Laden. Also hatte sie sich direkt auf den Weg gemacht.

Das war Heta, die sie sofort zur Seite nahm, als sie sie um die Ecke kommen sah, gar nicht unlieb. Denn so hatten sie im Teeladen auf das Ermittlungsteam warten können und mussten nicht solange draußen frieren.

»Das ist alles so furchtbar«, wiederholte Sabine nicht zum ersten Mal. Sie hatte für die Ermittler einen Tee gekocht und sah nun mit ihnen gemeinsam nach draußen, wo sich der Gerichtsmediziner über die Tote beugte. Um ihn herum Blitzlichtgewitter, weil man das Opfer aus allen erdenklichen Perspektiven ablichtete.

»Da gebe ich dir natürlich recht«, pflichtete ihr Heta bei. Jemand, der sowas nicht alle Tage sah, dem musste schon der Atem stocken, das war klar. »Und dir ist wirklich nichts aufgefallen, als du deinen Laden abgeschlossen hast?

»Aber das war doch um kurz nach einundzwanzig Uhr«, erwiderte Sabine, »da sind doch kaum noch Menschen unterwegs, naja, vielleicht hier und da einige. Aber wenn sie dann da schon auf der Bank gesessen hätte, glaub mir, das hätte ich bemerkt.«

»Aber auf den ersten Blick weiß man ja nicht, ob jemand, der auf einer Bank sitzt, tot ist«, blieb Heta hartnäckig bei der Sache. Es wäre schon wichtig, zu wissen, seit wann die Tote dort gesessen hatte.

»Nein«, beharrte Sabine, »da saß niemand auf der Bank, das weiß ich ganz genau. Aber ...«.

»Aber?«

Sabine erinnerte sich an das Geräusch, das sie vernommen hatte, als sie abschloss. »Ach, das hat sicher nichts zu bedeuten«, winkte sie jetzt ab.

»Alles kann wichtig sein, also ...«.

»Naja, als ich vor dem Abschließen noch einmal vor den Laden trat, da habe ich etwas gehört. Jedenfalls glaube ich das.«

»Und was?«

»Nun ja«, wand sich Sabine, »eben ein Geräusch. Es klang so, als ob jemand stöhnen wurde oder so ähnlich.«

»Stöhnen?« Heta machte große Augen. Das konnte jetzt wirklich wichtig sein. Hatte Sabine die junge Frau doch einfach übersehen und sie war verletzt gewesen und hatte sich auf die Bank gesetzt, bevor sie endgültig starb.

»Ein Stöhnen oder auch ein langes Ausatmen, ich weiß nicht.«

»Aber du bist dir ganz sicher, du hast das gehört?«

Sabine nickte. »Doch eigentlich bin ich mir schon sicher.« Sie kam sich ein wenig albern vor.

»Aber die Tote, oder sagen wir besser mal, eine junge Frau, der es vielleicht nicht so gut ging, die hast du nicht gesehen zu dem Zeitpunkt?«

Sabine schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein, da war niemand. Da bin ich mir nach wie vor sicher. Und das Geräusch, das habe ich ja auch nur kurz gehört und dann dachte ich, als ich niemanden sah, dass ich mir das vielleicht nur eingebildet habe.«

Heta konnte sehr gut nachvollziehen, wie Sabine sich jetzt fühlen musste. »Du musst dir keine Vorwürfe machen«, sagte sie deshalb. »Es muss ja nichts mit unserer Toten dort zu tun haben.« Sie wies mit ihrer Hand zum Fenster, wo sich der Gerichtsmediziner gerade wieder über das Opfer beugte.

»Ich geh dann mal raus«, sagte Andreas und verließ den Laden.

Die Frauen sahen ihm dabei zu, wie er jetzt mit dem Gerichtsmediziner sprach, während er seine Hände aneinander rieb. Dieser Winter war wirklich heftig. Und trotzdem war die Insel voller Urlauber, die sich um diese Zeit natürlich drinnen aufhielten. In einer Woche war Weihnachten und viele entflohen um diese Zeit den heimischen Gefilden, um ihren Verwandten zu entkommen. Und besonders beliebt bei den Inselgästen war natürlich das Silvesterfest am Meer. Insofern würde es schwer werden, auch noch einen Mord aufzuklären, wo doch jeden Tag neue Gäste kamen und einige nach Weihnachten oder kurz davor wieder abfahren würden.

»Heta?«

»Ja?«

»Muss ich eigentlich noch länger hierbleiben?«

Das war wohl der Rauswurf durch die Blume, dachte Heta. »Nein, das musst du nicht. Ich wollte sowieso auch gerade nach draußen gehen und mich nach den ersten Ergebnissen erkundigen. Geh ruhig nach Hause und versuche, nicht die ganze Nacht an die Tote zu denken.«

»Oh«, seufzte Sabine auf, »das ist leicht gesagt.«

»Ich weiß.«

Heta fuhr ihrer Freundin noch einmal über den Arm, um ihr Mut zu machen. Dann verließen die Frauen den Laden und Sabine machte sich auf den Heimweg.

 

»Heta«, begrüßte sie der Gerichtsmediziner, »ganz schön frostige Jahreszeit für einen Mord.« Er streifte seine Handschuhe ab, weil er mit der Arbeit fürs erste fertig war.

Um sie herum waren die weiteren Kollegen damit beschäftigt, jeden Stein umzudrehen, wie man so schön sagte. Gerade wurde der Mülleimer neben der Bank auf den Kopf gestellt.

»Hannes«, begrüßte sie ihn mit einem Nicken. »Kannst du mir schon etwas zur Todesursache sagen?«

Er schüttelte mit dem Kopf. »Nicht konkret. Aber ich tippe mal auf etwas, was weniger mit brachialer Gewalt zu tun hat. Äußere Verletzungen sind nicht erkennbar. Aber das kann sich ja noch ändern, wenn ich sie später auf dem Tisch liegen habe.«

»Es würde auch wohl kaum zusammenpassen, dass sie brutal erstochen wurde, wenn sie hier so friedlich sitzt. Vermutlich hat man sie vergiftet oder so.«

»Das könnte schon sein ...«.

»Aber wie ist sie dann hier auf die Bank gekommen?«, fügte sie zu ihren Überlegungen hinzu. »Sie wird ja nichts von dem Anschlag gewusst haben. Also, warum sitzt sie jetzt hier?«

»Na, der Täter hat gewartet, bis sie nichts mehr mitkriegt und dann hat er sie hierhergeschleift«, schlug Hannes vor.

»Denkbar.«

»Er wird sich wohl kaum mit ihr hier hingesetzt haben, um sie dann zu einem Giftcocktail einzuladen.«

»Ganz sicher nicht. Aber wie du schon sagst, wir sollten deine detaillierten Erkenntnisse abwarten.«

»Ist ja schon gut.« Er machte den Kollegen ein Zeichen, dass man die Tote nun abtransportieren konnte.

»So war das nicht gemeint. Sag mal, hast du etwas in ihren Sachen gefunden? Portemonnaie oder Ausweis?«

Er schüttelte mit dem Kopf. »Nein, nichts, was uns bei ihrer Identifizierung weiterhelfen könnte.«

»Dann ist es ja gut, dass ich vorhin ein Foto mit dem Handy gemacht habe. Ich werde das Bild am Morgen hier herumzeigen. Irgendwo muss sie schließlich hergekommen sein.«

»Jaja ...«. Hannes wickelte sich seinen Schal fest um den Hals, nachdem er sich seines Overalls entledigt hatte und ihn in seine Aktentasche stopfte. Dann zog er sich seinen grauen Mantel über. »Ich melde mich bei dir«, sagte er und ging davon.

Heta arbeitete gerne mit ihm zusammen. Er war geradeaus und verstand sie meist auch ohne große Worte. Und auf seine Arbeit war Verlass. Er irrte sich kaum, nein, eigentlich hatte er sich noch nie geirrt, wenn es um die Ermittlung einer Todesursache ging. Also war sie auch jetzt schon auf seine Ausführungen gespannt, die er in der Regel am Telefon übermittelte. Anschließend schickte er alles mit der Post nach. Er weigerte sich beharrlich, seine Obduktionsberichte per Mail zu senden. Das sei pietätlos, hatte er einmal ihr gegenüber erklärt. Und sie verstand, was er damit meinte. Der Tod kam immer noch auf die altmodische Art. Also musste man ihm auch derart begegnen und einen gewissen Respekt zollen, indem man darauf verzichtete, die Umstände des Ablebens durch die Atmosphäre zu jagen.

Als sie einmal Andreas davon erzählt hatte, der sich schon beim ersten Fall über das kauzige Benehmen von Hannes gewundert hatte, zeigte dieser kaum Verständnis, thematisierte es aber nicht weiter. Er hatte gelernt, sich mit den Eigenarten von Inselbewohnern und ihren Freunden zu arrangieren.

Die Tote wurde davongetragen und in einen Zinksarg gelegt. Erst jetzt fiel Heta auf, dass sie ganz in Schwarz gekleidet war. Ob das etwas zu bedeuten hatte? Sie würde gleich am Morgen in Erfahrung bringen, ob es einen Trauerfall auf der Insel gegeben hatte. Einen, außer der Ermordung dieser jungen Frau, die jetzt endlich, da der Deckel zugemacht gemacht wurde, von dem grellen Licht erlöst wurde. Ruhe in Frieden, dachte Heta bei sich.

»Komm«, sagte sie zu Andreas, »wir können hier heute nicht mehr viel ausrichten. Hannes hat auch nichts gefunden, was zu ihrer Identifizierung beitragen könnte.«

»Ich weiß«, erwiderte er, »also schlafen wir uns jetzt wohl erst mal aus, bevor es dann morgen in die Vollen geht.«

»Ja, so könnte man es auch wohl ausdrücken«, bestätigte Heta. »Wir sehen uns dann morgen früh.«

 

Als Heta in ihrer Wohnung angekommen war, machte sie nur die Stehlampe im Wohnzimmer an und setzte sich in ihren Sessel vor dem Fenster. Dann besah sie sich noch einmal die Fotos, die sie mit ihrem Handy von der Toten gemacht hatte. Es stimmte wirklich. Alles an der jungen Frau war schwarz. Außer ihrem fahlen kalkweißen Gesicht, in dem die schönen blauen Augen hervorstachen. Bestimmt kam sie aus der Stadt, dachte Heta. Sie wirkte gepflegt und die Wimpern waren lang und sauber getuscht. Bestimmt war auch der Mund gecremt.

Automatisch fuhr sie sich mit ihrer Zunge über die meist angerauten Lippen. Noch nie hatte sie Farbe aufgetragen, ja, nicht einmal Pomade. Vielleicht lag es einfach daran, dass selten jemand Interesse daran gehabt hatte, ihre Lippen zu berühren, geschweige denn zu küssen. Doch das spielte jetzt auch keine Rolle mehr.

Sie hatte sich längst damit abgefunden, dass die Emotionszug für sie keinen Stopp einlegen würde, sondern förmlich an ihr vorbeigerast war, ohne dass es ihr in den Jahren zuvor wirklich klargewesen wäre, dass etwas fehlte. Dafür aber liebte sie ihre Insel Borkum über alles. Es gab bestimmt Schlimmeres, als hier alleine zu sterben. Nun ja, das mochte die junge Frau sicher anders sehen, könnte es noch antworten.

Und so fuhren ihre Gedanken wieder zurück zu dem Opfer. Sie hatte die Hände gefaltet gehalten und keine Handschuhe getragen. Bestimmt hatte Hannes Recht, dass man sie zur Bank transportiert hatte, nachdem sie betäubt oder gar schon gestorben war. Irgendwie tat ihr die Tote leid, obwohl sie sie nicht kannte. Aber sie war noch so jung. Hätte ihr ganzes Leben noch vor sich gehabt. Was war nur geschehen, dass jemand dieses Leben ausgelöscht hatte?

Heta fielen langsam die Augen zu. Mittlerweile war es fast vier Uhr in der Nacht. Also beschloss sie, sich jetzt ins Bett zu legen.

Wer ist die Tote?

Es erwies sich als ziemlich aufwändig, die Identität des Opfers in Erfahrung zu bringen. Schon um kurz nach acht war Heta nach einem Kaffee auf nüchternen Magen losgezogen und hatte die nächstliegenden Hotels zum Fundort der Leiche abgeklappert. Ohne Ergebnis. Niemand kannte diese junge Frau und die meisten schreckten zunächst zurück, als sie ihnen das Foto auf dem Handy zeigte. Kein Wunder, sie sah ja auch wirklich verstörend aus. Vor allem, wenn man wusste, dass sie schon tot war, bekam man eine Gänsehaut von ihrem starren Blick. Heta machte so etwas nie gerne, aber in diesem Fall hatte sie keine andere Wahl.

Noch drei Straßen abklappern, dachte sie, dann gibt es erst mal eine schöne Kanne Tee in dem Café, in dem sie gerne saß und die Leute beobachtete.

Und erst beim letzten Anlauf hatte sie endlich Glück. Die junge Frau an der Rezeption erkannte die Tote sofort.

»Das ist Belinda Schnieders, unser Gast aus Zimmer einhundertundsieben.«

»Oh«, machte Heta, weil sie gar nicht mehr damit gerechnet hatte. »Und da sind Sie sich ganz sicher?«

Die Angestellte nickte mechanisch, während sie ihren Blick gar nicht von Hetas Handy lösen konnte. »Sie wird seit heute Morgen gesucht.«

»Gesucht?«

»Ja. Ihr Ehemann hat sich heute Morgen völlig aufgelöst an uns gewandt und um Hilfe gebeten.«

Das musste Heta jetzt alles ganz genau bis ins kleinste Detail wissen. Sie schob ihre Unterlippe vor und starrte die junge Frau förmlich an, die verstand, dass die Sache ernster war, als vermutet. Es gab hin und wieder schon mal Paare, wo der eine sich plötzlich abseilte, um ein wenig alleine zu sein. Entweder nach einem Streit oder sowieso, weil es für manche Paare schon eine Herausforderung war, Tag und Nacht zusammen zu sein. Sie steckte das Handy wieder ein, damit sich die Angestellte konzentrieren konnte.

»Also«, fuhr diese dann fort, »es war so gegen halb acht. Ich weiß das so genau, weil ich schon wieder hier war.«

»Schon wieder?«, hakte Heta nach, weil ihr die Bemerkung merkwürdig erschien.

»Ja, eigentlich hätte ich den Vormittag frei gehabt, weil ich ja gestern schon bis zweiundzwanzig Uhr Dienst hatte. Doch eine Kollegin hat sich plötzlich krankgemeldet, also rief man mich an.«

»Verstehe. Und dann kam also heute Morgen der Ehemann der Toten zu Ihnen und suchte nach seiner Frau?«

Sie nickte. »Er stand ziemlich neben sich. Er sagte, dass er aufgewacht sei und seine Frau sei nicht im Zimmer gewesen. Auch im Bad nicht. Und das sei ungewöhnlich, sagte er, weil sie sich eigentlich immer zusammen fertigmachten, bevor sie gemeinsam zum Frühstück gingen.«

»Pat und Patachon Syndrom also«, murmelte Heta, jedoch so leise, dass die Angestellte sie nicht verstand und nur merkwürdig ansah. »Schon gut, erzählen Sie bitte weiter.«

»Hm, mehr gibt es da eigentlich nicht. Er sagte nur, dass wir uns sofort bei ihm melden sollten, wenn seine Frau wieder ins Hotel kommt.«

»Er sucht nicht nach ihr?«

»Doch, natürlich. Er ist sofort rausgegangen und hat uns seine Handynummer dagelassen.«

»Also ist er jetzt nicht auf seinem Zimmer?«

»Da müsste ich anrufen.«

Heta nickte und ließ ihren Blick durch das Foyer schweifen. Bei den vielen schönen Hotels auf Borkum hatte sie schon hin und wieder darüber nachgedacht, sich für ein paar Tage irgendwo einzuquartieren. Alleine schon wegen des üppigen Frühstücks, um das man sich nicht selber kümmern musste. Große weiche Doppelbetten und das ganz für sich alleine. Zuhause hatte sie es bisher nur auf einen Meter vierzig gebracht. Immerhin. Da fiel dann auch das Alleinsein nicht so auf. Allerdings kam sie langsam sowieso in ein Alter, wo sie es genoss, alleine im Bett zu liegen. Mal kreuz und quer oder lange mit Licht, ohne, dass jemand deshalb stöhnte. Sie wusste von einer entfernten Freundin, dass diese und ihr Ehemann immer öfter in getrennten Zimmern übernachteten. Wie mochte es sich wohl anfühlen, wenn man sich, nachdem man sich einmal heftigst geliebt hatte, immer weiter wieder voneinander entfernte. Sie selber würde es nie erfahren.

Die Angestellte hatte wieder aufgelegt. Schon alleine, weil jemand abgenommen hatte, ging Heta davon aus, dass Pascal Schnieders oben war. »Er ist im Hotel.«

»Gut, dann werde ich mich mal mit ihm unterhalten. Und vielen Dank für Ihre Unterstützung.«

»Gerne.« Die junge Frau strahlte wieder übers ganze Gesicht. Das Business holte sie in den Alltag zurück.

 

Heta ging über die Treppe und musste sich abstützen, als sie vor dem bewussten Zimmer stand. Was war das nur? Kreislauf? Übergewicht? Sicher beides. Das letzte Mal, als sie beim Arzt gewesen war, hatte es schon geheißen, dass Obst und Gemüse auch seine Vorzüge hätten. Das war nun sieben Jahre her. Was gut ist, weiß ich selber, hatte Heta gedacht und sich entschieden, das zu tun, wonach ihr war. Das Leben war einfach zu kurz, um es mit Essensplänen zu vergeuden. Das würden ihr die zahlreichen Leichen, die ihren Berufsalltag pflasterten, wahrscheinlich bestätigen.

Sie klopfte. Es kam keine Antwort, sondern die Tür wurde direkt geöffnet. Er wirkte schmal und blass und weckte sofort Hetas Beschützerinstinkt.

»Heta Freytag, Polizei. Die Angestellte hat mir gesagt, dass ich Sie hier finde.«

»Geht es um Belinda?« Er fasste sich vor Schreck ins Gesicht. »Was ist mit ihr?« Er taumelte zurück und machte den Weg für die Ermittlerin frei.

Er weiß doch noch gar nichts vom Tod seiner Frau, dachte Heta irritiert. War da seine Reaktion nicht ein wenig übertrieben? Auf der anderen Seite schreckten wohl die meisten Menschen zurück, wenn die Polizei vor der Tür stand. Und seine Frau war ja weg. Da ging er bestimmt vom Schlimmsten aus. Sie würde ihn in dieser Hinsicht sicher nicht enttäuschen.

»Können wir uns setzen?«, fragte sie mit gesenkter Stimme und sein Blick fiel auf ihre Lederboots, in denen sie schon mehr als zehn Jahre auf dieser Insel unterwegs war.

»Da«, sagte er und wies auf ein kleines Tischchen vor dem Fenster, an dem zwei Cocktailsessel standen. Darauf eine Flasche mit Wasser und zwei Gläser. Aus dem einen hatte er anscheinend getrunken, denn er setzte sich an den Platz davor.

»Seit wann vermissen Sie ihre Frau?«, fragte sie, als sie sich gegenübersaßen.

Er schluckte. »Sie war heute Morgen nicht da, als ich aufwachte.« Seine Hand griff zum Wasserglas, er nahm es in die Hand, aber er trank nicht.

»Vielleicht war sie im Bad?«

»Nein, da war sie nicht. Ich habe ja sofort nachgesehen.«

»Warum? Wäre es so ungewöhnlich gewesen, dass sie ins Bad geht, ohne Ihnen Bescheid zu sagen? Vor allem, wenn Sie noch schlafen.«

»Nein«, stammelte er. »Aber es war ja noch so früh.«

»Wie früh?«

»Vielleicht so gegen sechs, genau kann ich das gar nicht sagen. Aber es war noch dunkel draußen. Und ich habe kein Licht im Bad gesehen. Deshalb bin ich aufgestanden, um nachzusehen.« Er rieb sich jetzt mit der freien Hand übers Gesicht.

»Aber sie war nicht da.«

»Nein, sie war nicht da.«

»Was dachten Sie denn, wo sie hingegangen sein könnte?«

»Ich weiß es nicht.«

»Was haben Sie dann gemacht?«

»Was hätte ich schon machen sollen? Ich habe mich wieder ins Bett gelegt in der Hoffnung, dass sie bald zurückkommen würde.«

»Tatsächlich? Aber Sie sagten doch, sie hätten sich gewundert, als sie nicht im Bad war. Wäre es da nicht naheliegend gewesen, auch das Zimmer zu verlassen, um nach ihr zu suchen?«

Er nickte und sein Blick wurde undurchsichtig. »Das stimmt«, gab er zu, »aber es ging mir nicht so gut.«

»Wieso nicht?«

Er zog die Schultern hoch. »Ich will hier nichts schlechtreden, aber wir hatten gestern Fisch. Allerdings nicht hier im Hotel.«

»Aha. Also war es für Sie dann doch gar nicht mehr so schlimm, dass Ihre Frau nicht da war und sie legten sich wieder schlafen?«

Er stellte das Wasserglas ab und fuhr sich mit beiden Händen durch die vollen dunklen Haare. »Vielleicht hört es sich komisch an, aber genauso war es.«

Heta hätte ihn jetzt gerne so richtig in die Mangel genommen. Aber der Umstand, dass sie ihm gleich offenbaren musste, dass seine Frau aller Wahrscheinlichkeit nach ermordet worden war, ließ sie sich dann doch zusammenreißen. Oder war es gar kein Mord gewesen? Wenn sie auch Fisch gehabt hatte? Und wieso log er hier, dass sie zusammen bis mindestens um sechs Uhr oder kurz davor gemeinsam im Bett gelegen hatten? Aber stop, das hatte er ja nie behauptet. Er war um die Zeit nur aufgewacht. Natürlich war es möglich, dass sie sich schon viel früher aus dem Zimmer geschlichen hatte. Im Moment noch im Zweifel für den Angeklagten, dachte sie und zog ihr Handy hervor. Ran an den Speck. Er sollte nicht noch länger leiden.

»Herr Schnieders«, begann sie und er wusste sofort, was jetzt kommen würde. Sein Gesicht wurde bleich, während sie ihr Gerät entsperrte. »Das wird jetzt keine leichte Sache, aber ich muss Ihnen das Foto zeigen.« Vorsichtig schob sie es auf dem Tisch in seine Richtung. Da es im Raum ziemlich dunkel war, leuchteten die kristallblauen Augen der Toten auf dem überwiegend dunklen Bild wie funkelnde Saphire.

Pascal Schneiders beugte sich vor, seine Hände immer noch in seinen Haaren vergraben. Seine Augen wurden größer, als er fragte: »Ist das Belinda?«

»Das müsste ich von Ihnen wissen«, sagte sie vorsichtig. »Erkennen Sie Ihre Frau auf dem Foto?«

Er sagte nichts und eine dicke Träne tropfte auf das Display. Das war Antwort genug. Heta zog das Handy zurück und sperrte es wieder, damit das Bild nicht mehr zu sehen war.

»Es tut mir sehr leid«, sagte sie und meinte es aufrichtig. »Es ist also Ihre Frau Belinda?«

Er saß da, wie zur Salzsäure erstarrt. Den Mund leicht geöffnet, in dem die Tränen sich sammelten. Dann lehnte er sich zurück und weinte lautlos und rieb sich immer wieder übers Gesicht.

Heta beschloss, ihm einen Moment zu geben. Sie nutzte die Gelegenheit, um sich im Zimmer umzusehen. Gemütlich war es hier. Doch damit war es jetzt wohl vorbei. Gleich würde sie ihn bitten müssen, sie in die Dienststelle zu begleiten, wo er den gestrigen Tag noch einmal minutiös würde wiedergeben müssen. Immer wieder. Solange, bis jeder Zweifel ausgeräumt war, dass er etwas mit dem Tod an seiner Frau zu tun haben könnte. Denn da machte sie sich nichts vor. Natürlich tat er ihr leid, so jämmerlich, wie er da saß. Aber meistens waren es eben doch die Ehemänner, die ihre Frauen ermordeten. Warum sollte es ausgerechnet in diesem Fall anders sein?

»Entschuldigen Sie kurz«, sagte er und ging ins Bad. Kurz darauf rauschte das Wasser.

Sicher wäscht er sich sein Gesicht ab, dachte Heta. Auf der Bettseite, wo offensichtlich Belinda geschlafen hatte, lag ein roter Morgenmantel, der ihr ins Auge stach. Sie selber hätte so etwas niemals tragen können. Sie hatte nicht mal einen. Die meisten waren um den Bauch herum nicht weit genug. Also war sie zu leichten Baumwollkleidern übergegangen, die sie im Haus trug, bevor sie ins Bett ging. Wann hatte es bloß angefangen, dieses ständige Zunehmen. Sie hatte die Anfänge nicht bemerkt oder auch ignoriert, und nun hatte sie den Schlamassel.

Pascal Schnieders kam zurück ins Zimmer. Er wirkte erfrischt, die Haare mit Wasser oder einem Gel nach hinten gebändigt sah er aus, als wollte er gleich etwas unternehmen.

»Wir werden dieses Zimmer untersuchen müssen«, sagte Heta, noch, bevor er sich wieder gesetzt hatte. »Vielleicht gibt es ja ein anderes für Sie in der Zwischenzeit.«

»Wieso? Wie lange dauert sowas denn?«

»Das kommt darauf an. Ich denke, in drei bis vier Stunden sind die Kollegen fertig.«

»Also, deshalb nehme ich mir bestimmt kein anderes Zimmer. Ich kann ja an den Strand gehen oder in ein Café.«

»Oder in die Dienststelle«, schlug sie vor. »Es ist wichtig, dass Sie noch einmal zu Protokoll geben, was sich vor dem Verschwinden Ihrer Frau beziehungsweise, bevor sie aufgewacht sind und ihr Verschwinden bemerkten, zugetragen hat.«

Er sah sich kurz um, so, als suchte er etwas Bestimmtes. Dann griff er nach seiner Jacke, die über einem weiteren Stuhl hing. »Dann sollten wir jetzt wohl losgehen«, sagte er, »im Moment kann ich hier sowieso nicht sein.«

So einfach hatte sie sich das gar nicht vorgestellt. Schnell kam Heta hoch und eilte ihm nach.

In der Dienststelle

Andreas hatte sich mit der Sammlung von Fakten befasst, als Heta mit dem Witwer im Schlepptau in die Dienststelle kam. Er sah kurz auf und machte seiner Kollegin ein Zeichen, dass er sie für einen Moment alleine sprechen müsste.

»Setzen Sie sich doch bitte hier.« Heta zeigte auf den Besucherstuhl an einem schmalen Holztisch. »Ich bin gleich zurück.«

Andreas folgte ihr in den zweiten Raum und schloss die Tür hinter sich.

»Hat er schon gestanden?«, fragte er und lehnte sich an den Kühlschrank, der daraufhin ein leises Brummen von sich gab.

»Leider nicht«, seufzte Heta auf.

»Du denkst also, er hat seine Frau umgebracht?«

»Wer sollte es sonst getan haben?«, sagte sie und machte eine wegwischende Handbewegung. »Aber mal im Ernst, wir sind hier auf einer Insel. So viele Menschen werden Belinda Schnieders nicht gekannt und dann den Wunsch verspürt haben, sie umzubringen.«

»Vielleicht eine Affäre?«

»Pah, mit wem? Dem Hotelpagen?«

»Man weiß nie, wie sich die Dinge entwickeln. Und Belinda war eine bildschöne junge Frau. Und sie waren schon einige Jährchen verheiratet. Da kommt einiges zusammen.«

»Mag sein. Und was hast du in der Zwischenzeit herausgefunden?«

»Nicht so viel. Sie leben in Bad Zwischenahn in einer Penthousewohnung in Zentrumsnähe.«

»Oh. Das ist nicht billig.«

»Nein, an Geld mangelt es den beiden wohl nicht. Er arbeitet in der Medienbranche als Selbständiger mit Agentur. Was auch immer er da macht.«

»Wieso sagst du das?«

»Nun, es lässt sich nicht konkretisieren, auch nicht, wenn man die Homepage durchforstet.«

»Hm. Wie findet er dann seine Kunden?«

»Tja ...«, sagte er gedehnt.

»Wir werden ihn ja gleich befragen.«

»Irrtum, du wirst ihn befragen. Ich mach gleich erst mal einen Rundgang über die Insel, besonders in der Nähe des Tatorts.«

Heta zog die Brauen hoch.

»Na, Leute befragen, du weißt schon, solche Sachen eben«, fuhr er fort.

»Ach, geht doch weg.« Sie tat so, als schlüge sie nach einer lästigen Fliege auf seiner Schulter.

 

»So«, sagte sie kurz darauf, als sie mit Pascal Schnieders alleine im Büro saß, »dann werden wir nochmal von vorne anfangen.« Sie legte ein Aufnahmegerät auf den Tisch und schaltete es ein. »Befragung Pascal Schnieders.«

Danach stellte sie noch einmal dieselben Fragen wie im Hotelzimmer und er antwortete mit identischem Inhalt. Dieses Mal weinte er nicht. Es mochte an der fremden Umgebung liegen, dachte Heta. Und irgendwann gewöhnte man sich ja auch an den Gedanken, dass jemand tot war. Der erste Schock verlief bei jedem anders. Einige fielen in Ohnmacht, andere erstarrten und wiederum andere weinten hemmungslos. Bei Pascal Schnieders war es eine Mischung aus allem gewesen, irgendwie. Es hatte sich echt angefühlt, dass er geschockt war von der Nachricht, dass man Belinda gefunden hatte. Und noch einmal mehr, als er das Foto von ihr gesehen hatte. Konnte ein Mörder so ein Theater spielen, das authentisch wirkte? Oh ja, das konnte er bestimmt, dachte Heta, die den Befragten kaum einen Moment aus den Augen ließ. Jetzt war alles wichtig. Welche Gesten machte er, wehrte er an gewissen Stellen ab, wenn sie ihn etwas fragte? Was war mit seinen Augen, seinem Blick? Zuckte es hin und wieder um die Augenwinkel? Log er sie an? Bestimmt war es ihm lästig, so fixiert zu werden, doch diese Methode gehörte zu Hetas bestem Erfolgsrezept. Sie könne es in den Augen sehen, dachte sie immer, wenn jemand log. Und bei Pascal Schnieders hatte sie das ganz sicherere Gefühl, dass er nicht die Wahrheit gesagt hatte. Jedenfalls nicht die Ganze. Ob er am Ende auch seine Frau ermordet hatte, da war sie sich noch nicht so sicher.

»Wissen Sie«, sagte Heta, »es will mir nicht in den Kopf, wie man die ganze Nacht schlafen kann, ohne zu merken, dass der Partner im Nebenbett verschwunden ist. Schlechter Fisch hin oder her.«

»Aber es war so ...«, verteidigte sich Pascal Schnieders nur halbherzig, weil er wusste, wie unglaubwürdig das klang.

»Und das ist ja nicht alles. Sie legen sich einfach wieder schlafen, obwohl Sie am Morgen bemerken, dass Ihre Frau verschwunden ist.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß, wie sich das alles für Sie anhören muss. Aber genauso ist es gewesen. Es ging mir nicht gut ...«.

»Das sagten Sie schon. Und trotzdem ...«.

Heta beugte sich über den Tisch hinweg in seine Richtung. Ihr Blick traf seinen. »Lief es in Ihrer Ehe nicht so gut?«

Er versuchte, ihrem Blick zu entweichen. »Wie kommen Sie denn jetzt darauf?«, frage er und wandte sich ab. »Wir haben uns geliebt.« Er schluchzte auf und wischte sich übers Gesicht. Dann sah er Heta wieder an. »Es ist mir egal, was Sie denken, Hauptsache, Sie finden den Mörder meiner Frau.«

»Oh«, raunte Heta und lehnte sich wieder zurück, »das werde ich, verlassen Sie sich darauf.«

Es war schade, dass der Bericht von Hannes noch nicht da war. Deshalb wandte sie sich jetzt den oberflächlicheren Themen bezüglich der Ehe der Schnieders zu. Sie erfuhr, dass sie sich vor rund acht Jahren kennengelernt hatten und dass dann ziemlich schnell die große Liebe draus geworden sei. Vor vier Jahren hatten sie in Bad Zwischenahn geheiratet und eine gemeinsame Wohnung bezogen. Alles ganz unauffällig und normal, nur ein wenig luxuriös für so junge Leute, wie Heta fand. Schnieders erklärte sein gut gefülltes Bankkonto mit lukrativen Aufträgen. Da heute alles digital laufe, vor allem die Werbung, da wäre er mit seinem Fachwissen wohl zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen. Mittlerweile erhalte er seine Aufträge überwiegend über Mundpropaganda.

»Und Ihre Frau?«

»Belinda? Sie ist gelernte Buchhalterin und konnte sich die Stellen sicher auch aussuchen. Aber wir haben beschlossen, dass sie mich in meinem kleinen Unternehmen im Büro unterstützt und die Buchhaltung macht.«

»Hm«, machte Heta. War das typisch für eine junge moderne Frau von heute, dass sie sich dem Erfolg des Ehemannes unterwarf? Und es stimmte, Fachkräfte wurden händeringend gesucht. Sie hätte in ihrem Metier durchaus eine Karriere hinlegen und sich später sogar mit einer eigenen Steuerberatungskanzlei selbständig machen können. Warum also verzichtete sie so leicht darauf? Oder war es gar nicht so leicht gewesen? Wollte er es so? »Hatten Sie Pläne bezüglich der Familienplanung?«

»Kinder?«, fragte er zurück.

»In der Regel ja.«

»Nein, darüber haben wir nicht gesprochen.«

»Wieso nicht, Sie sind beide über dreißig. Da macht man das doch wohl so, dass man über Kinder nachdenkt. Jedenfalls habe ich davon gehört.«

»Mag sein. Aber wir beide lieben ...«. Er stockte. »Belinda hat ihre Arbeit genauso geliebt wie ich.«

»Sie hat also nie das Thema auch nur angerissen?«, insistierte Heta und sie spürte, dass es ihm nicht behagte.

»Nein, hat sie nicht«, antwortete er bockig. »Ich weiß auch nicht, was das jetzt noch bringen soll, so darauf herumzureiten. Belinda ist tot. Also wird es auch keine Kinder mehr geben.«

Wunder Punkt, notierte Heta sich im Hinterkopf. Sie würde solange den Finger in der Wunde herumdrehen, bis er ihr endlich die Wahrheit sagte. Denn davon schienen sie noch meilenweit entfernt.

 

Andreas schlenderte am Teeladen vorbei und kam bei der Bank an, wo man Belinda gefunden hatte. Bei Tag sah alles viel harmloser aus. Fast widerstrebte es ihm, die vorbeispazierenden Touristen zu fragen, ob sie vielleicht etwas Auffälliges bemerkt hätten, falls sie auch gestern hier entlanggegangen seien. Und das Ergebnis war dann auch nur dürftig. Niemand konnte sich an die junge Frau erinnern, deren Foto er herumreichte. Dieses Mal eines aus dem Besitz ihres Ehemannes, das sie zeigte, wo sie noch lebte. Und immer, wenn er ausführte, dass man sie in der Nacht ermordet auf ebendieser Bank, auf der er saß, gefunden hatte, wich auch dem letzten Touristen die Farbe aus dem Gesicht. Einige Frauen zerrten an ihren Kindern und gingen kopfschüttelnd eiligst weiter. Mit einem Mord wollte niemand etwas zu tun haben. Und schon gar nicht im Urlaub.

Andreas hatte es ja gar nicht anders erwartet und ging dann zu Sabine in den Teeladen. Sie und ihre Angestellte hatten alle Hände voll zu tun, um Teebeutel, Geschirr und Tassen zu verpacken, die ihnen buchstäblich von den Urlaubsgästen aus den Händen gerissen wurden. Jeder wollte ein Andenken an diese Zeit auf Borkum. Und in ein paar Tagen war Weihnachten. Bereits am ersten oder zweiten Feiertag reisten viele wieder ab, um nach der Bescherung auf dem Festland mit anderen Verwandten unterm Baum zu sitzen. Doch es gab auch die, die blieben. Und die hatten sowieso mit Weihnachten nur wenig am Hut. Genauso wie Andreas selber. Wegen ihm hätte man die gesamten Feiertage abschaffen können. Er hatte keine schönen Erinnerungen aus seiner Kindheit zu diesen Anlässen, sich gegenseitig das Leben mit falschen Geschenken schwer zu machen. Das setzte sich bis ins Erwachsenenalter fort.

Sabine hatte ihn gesehen und kurz zugenickt. Er erwiderte entsprechend mit einem kurzen Winken und wandte sich dann den Büchern zu, die liebevoll in einem Regal angeordnet waren. Es ging um Tee oder um Krimis. Und dann gab es eine Rubrik mit Liebesromanen. Doch auch Lesen war nichts für ihn. Trotzdem zog er einen Krimi aus dem Regal, weil ihn das Cover interessierte. Eine Frau, die sich eine Waffe an den Kopf hielt. Das fand er irgendwie daneben. Waffen dienten einfach nicht der Unterhaltung seiner Meinung nach. Aber er arbeitete ja auch tagtäglich mit den Folgen jedweder Waffen und Gewalt, so dass er in dieser Hinsicht sicher sensibilisiert war. Und nachts bei seinen Games, da schossen sich die Protagonisten auch gegenseitig die Birne weg. Er stellte das Buch zurück und beschloss, dem ganzen Thema jetzt keine weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Wahrscheinlich lag er falsch. Die Menschen, die hier in Urlaub waren, sollten durch den Revolver an der Schläfe aufmerksam aufs Buch gemacht werden. Mehr nicht. Sicher gelang das auch und später interessierte dieses Bild vorne auf dem Buch sowieso niemanden mehr.

»Gibt es was Neues?« Sabine war unbemerkt hinter ihn getreten und er drehte sich hastig um.

»Nein, eigentlich nicht. Und bei dir? Irgendwas gehört?«

»Auch nichts. Aber der Schrecken von heute Nacht, der sitzt mir schon noch in den Knochen, das muss ich zugeben. Suchst du ein Buch?«, wechselte sie das Thema.

»Nein, eigentlich nicht.«

»Ach so, ich dachte ...«.

»Nein, ich lese ehrlich gesagt nicht viel. Und wenn, dann bestimmt keine Krimis.«

»Kann ich verstehen. Ich mag die auch nicht. Ich lese lieber Liebesromane, ich brauche ein Happy End zum Schluss.«

»Tja, wer braucht das nicht«, sinnierte Andreas mehr für sich. Von seinem war aber noch nichts in Sicht. Und jetzt saß er auf einer ostfriesischen Insel mit einer altbackenen Ermittlerin fest. Ein ziemliches Loch, aus dem er irgendwie wieder herausfinden musste.

»Wenn dann sonst nichts ist, du siehst ja, was hier los ist.« Sie beschrieb eine wolkige Kurve über die Ladenbesucher hinweg.

»Schon gut, kümmere dich gerne um die Kundschaft. Wenn es etwas Neues gibt, melde ich mich wieder.«

»Grüße Heta bitte von mir.«

»Mach ich.«

Sabine ging und wandte sich einem älteren Ehepaar zu, das ganz bezaubert von einer silbernen Vase zu sein schien, auf der eine Ostfriesische Rose hervorstach.

Was mache ich hier eigentlich?, fragte sich Andreas. Im Grunde wäre er viel lieber in der Dienststelle geblieben, um den Ehemann in die Mangel zu nehmen. Doch das behielt sich immer Heta vor, dieses sogenannte Erstgepräch, wie sie immer dazu sagte. Aber war das gerecht? Natürlich beschwerte er sich nicht an übergeordneter Stelle darüber und auch ihr gegenüber blieb er verschwiegen. Schließlich sollte sie ihm eine gute Empfehlung schreiben, wenn er Borkum endlich wieder verlassen würde.

 

Heta war mit Pascal Schnieders fertig, deshalb hatte sie ihn vorerst wieder ins Hotel geschickt. Oder, wenn die Kollegen wider Erwarten noch nicht fertig waren, dann sollte er doch einfach mal an den Strand gehen, um den Kopf nach allem frei zukriegen.

Nun wandte sie sich ihrem PC zu. Sie hatte es tatsächlich geschafft, Hannes dazu zu überreden, ihr den Bericht doch bitteschön per elektronischer Nachricht zu senden. Auch, wenn sie genauso wie er, nicht viel davon hielt. Aber in diesem Fall, da drängte die Zeit. Desto eher sie wusste, was mit der Toten geschehen war, umso besser konnte sie ermitteln. Neugierig öffnete sie die Nachricht von ihm und las. Schon nach den ersten beiden Absätzen sah sie ihre Vermutungen bestätigt, dass man Belinda Schnieders mit einem Gift ermordet hatte. Engelstrompete hatte Hannes in Fettdruck geschrieben. Alle Teile der Pflanzen hochgiftig. Sicher, das wusste Heta. Aber wie hatte der Täter es dem Opfer verabreicht? Und dann in dieser tödlichen Menge? Das Elixier der Engelstrompete konnte wohldosiert zu einem angenehmen Rausch führen. Ob es also ein Unfall und gar kein Mord gewesen war? Auch diese Möglichkeit musste sie in Betracht ziehen. Vielleicht war es Pascal Schnieders deshalb so schlecht gegangen und deshalb hatte er auch nicht bemerkt, als seine Frau das Hotelzimmer verließ. Und als er wach wurde, war er zum Bad getaumelt, immer noch benebelt, und hatte sich dann einfach wieder ins Bett gelegt. Insofern konnte seine Geschichte tatsächlich stimmen. Und Belinda war, berauscht und von Übelkeit geplagt, nach draußen gegangen, um frische Luft zu schnappen. Auf der Bank hatte sie sich schließlich gesetzt und war dann an den Folgen des Konsums gestorben. Konnte es so gewesen sein? Ein tragischer Tod? Und hatte nicht auch Sabine ein seltsames Geräusch gehört, als sie den Laden abschloss? Einem Seufzen ähnlich. All das würde zu der These passen, dass es sich tatsächlich um ein tragisches Unglück gehandelt hatte, als Belinda starb. Einsam auf einer Bank.

Heta hielt einen Moment inne und dachte über diese Theorie nach. Da ging die Tür auf und Andreas kam ins Büro zurück.

»Er ist also schon weg«, sagte er und klang mürrisch, fand sie.

»Ja, vor einer guten halben Stunde«, antwortete Heta. »Und er bleibt bei seiner Aussage, dass er nichts mit dem Tod an seiner Frau zu tun hat.«

»Na dann.« Andreas setzte sich an seinen Schreibtisch und schaltete den PC an.

»He, was ist denn los?«, hakte sie nach.

»Nichts, was soll schon los sein.«

»Du bist merkwürdig«, stellte sie fest.

»Ach ja, ich?«

»Ich etwa?«

Jetzt lehnte Heta sich auf ihren Schreibtisch und sah neugierig zu ihm herüber. Sie war sich nicht bewusst, in den letzten Stunden irgendetwas gesagt oder getan zu haben, was ihn hätte verärgern können. Also musste unterwegs etwas geschehen sein.

»Nein, du doch nicht«, erwiderte er mit einem ironischen Unterton.

Also doch ich, dachte sie. Aber was hatte sie getan? Sie hatte doch nur den Ehemann befragt und anschließend seine Aussage hier zu Protokoll genommen. Das war doch ein völlig normaler Vorgang.

Andreas hämmerte jetzt auf seiner Tastatur herum. Sie fand, es wurde langsam albern.

»Sie wurde vergiftet«, sagte sie deshalb, um wieder professionell an dem Fall zu arbeiten.

Er sah kurz auf. »Aha. Woher weißt du das? Hat der Gerichtsmediziner eine Taube nach Borkum geschickt?«

Heta verdrehte die Augen. Wenn das heute so weiterging, dann sollte er doch lieber einfach Feierabend machen und sich wie ein Kleinkind eingeschnappt vor seine Spielekonsole setzen. Aber das schlug sie natürlich nicht vor, sondern setzte unbeirrt fort, ohne auf seine bissige Bemerkung einzugehen.

»Er hat den Bericht eben per E-Mail geschickt, ich hatte ihn darum gebeten, weil es eilt.«

»Ach so. Dann sicher in dein Postfach, bei mir war nichts.«

»Natürlich in mein Postfach.« Heta reichte es so langsam. Deshalb hätte sie am liebsten mit der Faust auf den Tisch geschlagen. Doch stattdessen griff sie nach dem nächstbesten Ding auf ihrem Schreibtisch und knetete jetzt den Tennisball, der ihr sonst immer beim Gedankensammeln half.

»War ja klar«, meinte Andreas und sah sie desinteressiert an.

»Engelstrompete«, stieß Heta hervor und quetschte das gelbe Ding zwischen ihren Fingern. »Sie muss eine ziemlich große Menge davon zu sich genommen haben. Aber man kann das Zeug auch so verwenden, dass es einen nur berauscht. Deshalb habe ich mich gefragt, ob das Ehepaar Schnieders sich vielleicht einfach einen netten Abend machen wollte und die Sache dabei derart eskalierte, dass sie starb.«

Jetzt hatte sie ihn wieder am Haken, sie sah es an seinem Blick.

»Du denkst«, meinte Andreas und rieb sich übers unrasierte Kinn, »dass es auch nur ein Unfall gewesen sein könnte?«

»Exakt, die Möglichkeit besteht.« Sie warf den Tennisball nach ihm und er fing ihn auf.

»Dann willst du die Sache jetzt also auf sich beruhen lassen?«

Sie schüttelte mit dem Kopf. »Nein, so schnell noch nicht. Pascal Schnieders könnte es ja auch darauf anlegen, dass wir genau das denken.«

»Dann müsste er schon ziemlich abgebrüht sein, finde ich.«

»Er ist ein Mann.«

»Klar. Aber warum hat er dann nicht gesagt, dass er und seine Frau mit dem Zeug herumgespielt haben?«

»Weil ich ihm dann garantiert niemals geglaubt hätte, verstehst du. Das ist Psychologie vom Feinsten. Wenn er sich gleich von Anfang an rausredet, dann glaubt ihm kein Mensch. Aber so geschickt, wie er die Sache angeht, da könnte man am Ende tatsächlich selber darauf kommen, dass es nur ein Unfall gewesen ist. Kapito?« Sie zog mit dem linken Zeigefinger ihr linkes Augenlid herunter.

»Also spielt er mit uns?«

»Tja. Das ist jetzt die tausend Euro Frage. Ich muss es irgendwie aus ihm herauskitzeln, wenn er sie umgebracht hat. Oh Pardon, wir beide natürlich.«

»Oh, ich bin noch im Team?« Er warf ihr den Ball zurück.

»Ich glaube, ich weiß jetzt, warum du sauer bist«, sagte sie und klang reumütig. »Aber ich habe mir wirklich nichts dabei gedacht, dass die Mail von Hannes nur an mich geschickt wurde.«

»Nein, das hast du wohl nicht.«

»Aber du warst ja vorher schon sauer. Als du zurückkamst. Und da wusstest du noch nichts von der Mail.«

»Du bist eine echte Ermittlerin«, kapitulierte er. »Ja, es stimmt, ich war sauer, weil du immer alles im Alleingang machst. Ich meine, wieso durfte ich denn bei dem Verhör eben nicht dabeibleiben? Wieso schickst du mich raus zu einem Spaziergang wie einen dummen Jungen?«

»Hab ich das?« Heta fuhr sich mit beiden Händen über den Kopf. »Wirklich, so war das doch irgendwie nicht, wenn ich …«.

»So läuft das aber immer. Ich darf, wenn ich Glück hab, mal bei einer Sache dabei sein. Aber die großen Brocken erledigst du immer selber.«

»Wirklich? Bin ich so schlimm?«

»Schlimmer«, sagte er und klang versöhnlicher. Sie schien tatsächlich nicht zu wissen, was für eine Egoistin sie war. Und vielleicht hatte sie auch einfach zu lange alleine gearbeitet. Sie war eine Eigenbrötlerin, das wusste er doch. Er hätte sicher einfach nur sagen müssen, dass er bei dem Verhör dabei sein wollte, anstatt nach draußen zu gehen. Wahrscheinlich hätte sie gar nichts dagegen gesagt.

»Andreas, das tut mir aufrichtig leid. So meine ich das gar nicht. Ich dachte nur, es macht Sinn, wenn wir die Arbeit aufteilen. Deshalb … und du sagtest doch, dass du nochmal rausgehen wolltest.«

»Schon gut«, sagte er und schwenkte thematisch wieder um, »und sonst kommt der Bericht ja auch per Post und dann können wir ihn beide lesen, je nachdem, wer als Erster im Büro ist. Vielleicht bin ich auch einfach nur zu empfindlich.« Er schien schon bereit, die Sache jetzt wieder unter den Teppich zu kehren.

Ganz anders als Heta. Bekümmert saß sie an ihrem Schreibtisch und walkte den Tennisball wieder zwischen ihren Fingern.

»Kannst du den Bericht mal ausdrucken?«, fragte Andreas.

»Natürlich.« Sofort wandte sie sich wieder an den Rechner. Der Bericht war noch geöffnet. Sie suchte nach dem Druckersymbol, sah aber nichts.

»Soll ich dir helfen?« Schon kam er um ihren Schreibtisch herum und löste das Problem in sekundenschnelle.

»Danke«, sagte sie, »in solchen Dingen bin ich echt schlecht.«

»Darum arbeiten wir beide ja zusammen«, lachte er, »wir ergänzen uns im Grunde ganz prima. Du bist die störrische Ermittlerin mit der feinen Spürnase und ich der Technikfreak für die Hardware.«

Jetzt lachte sie endlich wieder. Beide nahmen sich einen Ausdruck und lasen still an ihren Plätzen.

»Sie hatte auch Verkehr.« Andreas war als Erster fertig.

Heta sah auf. »Ob das mit ihrem Mann war, müssen wir prüfen lassen. Wir brauchen eine Probe von ihm.«

»Soll ich mich darum kümmern?«, fragte er, als er ihr verzogenes Gesicht sah.

»Ja, das wäre gut«, erwiderte sie. »Aber letztlich wäre es wohl natürlich, dass ein Ehepaar Sex hat, nehme ich an.«

»Wahrscheinlich. Interessant wird es erst, wenn er nicht derjenige war. Also werde ich mich gleich mal auf den Weg ins Hotel machen.«

»Sehen wir uns später wieder hier?«, fragte sie, nur, um sich noch einmal zu vergewissern, dass wieder alles gut war.

»Aber sicher. Du schuldest mir noch eine Revanche«, sagte er und verließ das Büro.

Ehespielchen

Gut gelaunt kam Andreas beim Hotel an. Es war richtig gewesen, dass sie sich mal ausgesprochen hatten. Das hatten sie doch, oder? Naja, wie dem auch sei, es ging ihm jetzt besser. Er war noch nie ein Freund davon gewesen, Dinge in sich hineinzufressen. Oft eckte er deshalb an. Warum er bei Heta so lange stillgehalten hatte, lag einfach daran, dass er sie als Ermittlerin respektierte. Sie war gut in ihrem Job. Nein, sie war klasse. Von ihr konnte er eine Menge lernen. Am Empfang ließ er sich die Zimmernummer von Schnieders geben und ging die Treppe nach oben.

»Ja, kommen Sie rein«, hörte er eine Stimme von innen sagen, als er klopfte. Bestimmt rechnete er mit jemand anderem. Und sein Gesichtsausdruck bestätigte diese Vermutung, als Andreas eintrat.

»Andreas Kalb, Polizei. Ich bin der Kollege von Heta Freytag. Sie erinnern sich bestimmt.«

»Oh.« Schnieders kam aus seiner lässigen Haltung vom Bett hoch. »Ich dachte, es sei das Zimmermädchen. Sie wollte noch einmal frische Handtücher bringen.«

»Es gibt da noch ein paar Fragen«, fuhr Andreas fort, »können wir uns kurz unterhalten?«

»Sicher.« Schnieders zeigte auf den Tisch, an dem er bereits mit Heta gesessen hatte.

Sie nahmen Platz.

»Worum geht es denn?« Schnieders schlug die Beine übereinander und kreuzte die Hände in seinem Schoß.

Klare Abwehrhaltung, dachte Andreas. Aber das war auch nicht verwunderlich, wenn man unter Verdacht stand, seine Frau ermordet zu haben.

»Ich will nicht lange drumherum reden«, antwortete Andreas, »hatten Sie mit Ihrer Frau Geschlechtsverkehr an dem Tag, an dem sie starb?«

Schnieders schluckte und kniff sich selber in die Finger. Ihm schien diese Frage nicht zu gefallen.

»Wofür ist das denn jetzt noch wichtig?«, antwortete er ausweichend.

»Das überlassen Sie gerne mir. Also, hatten Sie Sex?«

»Sie war meine Ehefrau.«

»Das beantwortet nicht die Frage.«

Wieso zickte Schnieders denn so herum, wenn es, wie er sagte, seine Ehefrau war? Jetzt nickte er kaum sichtlich.

»Ja, wir haben miteinander geschlafen.«

»Okay. Wir bräuchten dann bitte eine Spermaprobe von Ihnen. Oder etwas Vergleichbares.«

»Wieso das denn?«

»Es steht definitiv fest, dass Ihre Frau Geschlechtsverkehr am Tag ihres Todes hatte. Wir müssten nun wissen, ob es nur mit Ihnen war.«

Jetzt schnappte Schnieders nach Luft.

»Was soll das heißen? Sie denken doch nicht etwa, dass Belinda sich hier mit einem anderen Mann getroffen hat?«

»Die Lösung eines Mordfalls ist keine Denksportaufgabe«, entgegnete Andreas, »hier geht es nur um Fakten. Also, sind Sie bereit, uns eine Probe zur Verfügung zu stellen?«

»Sperma? Niemals.« Schnieders sprang vom Stuhl auf, um ein Haar wäre dieser umgekippt.

»Dann nehme ich jetzt einen Abstrich, wenn Sie einverstanden sind. Damit lässt es sich auch feststellen, ob sich eine fremde DNA im Körper Ihrer Frau befindet, ich meine, außer der von Ihnen natürlich.«

»Sie sind geschmacklos«, stellte Schnieders trocken fest. »Aber bitte, nehmen Sie ruhig eine Probe. Ich nehme an, dass ich mich sowieso nicht dagegen wehren kann.«

»Sicher können Sie, aber das sähe nicht gut aus. Sie sind doch auch daran interessiert, wer Ihre Frau ermordet hat, oder?« Andreas kramte bereits in seiner Jackentasche herum und zog dann das Röhrchen für die Probe hervor.

»Ich weiß nicht, warum Sie es unbedingt mir anhängen wollen«, sagte Schnieders und machte artig den Mund auf und ließ sich mit dem Wattestab darin herumstochern.

Anschließend steckte Andreas diesen in das Röhrchen zurück.

»Okay, das war’s auch schon. Es sei denn, Sie hätten noch etwas zu sagen.«

Schnieders schüttelte mit dem Kopf und Andreas verließ das Zimmer. Er ging mit der Probe direkt zum Hafen, damit diese per Express zu Hannes in die Gerichtsmedizin gebracht wurde.

 

Im Büro war Heta kurz über der Akte eingenickt. Eine Art Schwächeanfall, da sie mittags noch nichts gegessen hatte. Und als Andreas gegangen war, da wollte sie nicht alleine losgehen, um sich etwas zu besorgen. Die Müdigkeit hatte sie schließlich übermannt und nun wurde sie durch ein sanftes Klopfen auf ihre Schulter geweckt. Sie schlug die Augen auf und wusste im ersten Moment nicht, wo sie war. Dann erkannte sie ihren Kollegen.

»Oh«, sagte sie und rieb über ihren Arm, der mit ihr eingeschlafen war. »Und? Hat er was lockergemacht?« Sie lächelte schelmisch.

»Eine Speichelprobe, die schon auf dem Weg nach Oldenburg ist.«

»Immerhin.« Sie fuhr sich mit beiden Händen durch die wenigen Haare, die ihr noch geblieben waren. Doch eigentlich waren es in Wahrheit nie mehr gewesen, nur eben nicht grau, sondern straßenköterblond. Mittlerweile ersparte sie sich auch den Gang zum Friseur, der sie sowieso nur nervte. Sie schnitt alle paar Monate die Spitzen vorm Spiegel, das musste reichen.

»Wie hat er es denn aufgenommen? Ich meine, dass seine Frau eventuell mit einem anderen Sex hatte.«

»Genauso wie erwartet«, sagte Andreas und setzte sich an seinen Platz. »Unvorstellbar für mich, schließlich ist sie ja meine Ehefrau«, zitierte er.

»Tja, das werden wir dann bald wissen, ob ein anderer in fremden Töpfen gerührt hat. Apropos«, Heta war jetzt wieder ganz da. »Hast du schon etwas gegessen?«

»Nein.«

»Willst du uns dann was holen?«

»Nein.«

»Warum nicht?« Sie ging zu ihm rüber.

»Ich hab keinen Hunger.« Er sah zu ihr auf und schob die Maus beiseite. An ihrem Blick erkannte er, dass seine Kollegin nun bereit wäre, einen Tiger zu vertilgen. »Aber wenn du möchtest, dann geh ich nochmal los, kein Problem.«

»Dann nehme ich eine Pizza, die macht lange satt«, sagte Heta schnell, bevor er es sich noch anders überlegte. »Ich lade ein, also, wenn du doch noch etwas möchtest ...«. Schon zückte sie ihr Portemonnaie und wedelte damit in der Luft.

»Hm, in dem Fall nehme ich natürlich auch etwas.« Andreas kam um seinen Schreibtisch herum und nahm die fünfzig Euro, die sie ihm hinhielt.

»Bring ruhig auch eine Flasche Rotwein mit«, schlug sie vor, »wer weiß, wie lange wir hier sitzen werden.«

»Lange«, entgegnete er, »denn heute wirst du mich mal ausnahmsweise beim Scrabble schlagen, und wenn es die halbe Nacht dauert.«

Mit einem Grinsen verließ er das Büro.

 

Heta ging in den kleinen Waschraum und schlug sich kaltes Wasser ins Gesicht. Grauenvoll, dachte sie, als sie in den Spiegel sah. Vielleicht sollte sie es doch einmal mit einer Gesichtsmaske versuchen. Sie hatte darüber in einer Frauenzeitschrift gelesen, als sie vor ein paar Jahren das letzte Mal beim Zahnarzt gewesen war. Damals hatte sie noch darüber gelacht, doch jetzt, mit Ende vierzig sah die Sache nun doch ein wenig anders. War da noch was zu retten? Sie hielt einen Zeigefinger an den Wangenknochen und zog die Haut in Richtung Ohr. Viel brachte das allerdings nicht. Es verlieh ihr nur den Hauch einer gewissen Exotik. Doch an ein Lifting hatte sie sowieso nicht gedacht. Aber alleine, wenn die Haut ein wenig rosiger und frischer aussehen würde, wäre das sicher gut fürs Ego. Ach, dachte sie dann und ließ die Haut wieder los. Es ist Winter, da sehen alle irgendwie bescheiden aus. Noch ein Schlag Wasser, dann trocknete sie sich ab. Nicht noch mehr Zeit mit Äußerlichkeiten vertrödeln, während ein Mörder auf der Insel herumspazierte. Denn die Möglichkeit bestand ja auch noch. Nicht Pascal Schnieders hatte seine Frau ermordet und auch war sie nicht einem tragischen Unglück zum Opfer gefallen, sondern ein Dritter hatte seine Finger im Spiel und sonst wo gehabt. Hoffentlich war Hannes bald soweit mit der Probe. Ich werde ihn noch mal anrufen und Dampf machen, dachte sie und ging zurück an ihren Platz.

»Hannes?«

»Ja?«

»Ich bin’s, Heta.«

»Ja.«

»Ist die Probe schon da?«

»Ja.«

»Und? Hast du das Ergebnis schon?«

»Nein.«

»Okay, dann lasse ich dich mal in Ruhe weitermachen. Rufst du an, wenn es soweit ist?«

»Ja.«

»Danke.«

Sie legten auf.

Heta nahm den Tennisball wieder auf und knetete ihn durch. Die gelbe Ummantelung war schon längst zu einer grünlich schmierigen Oberfläche geworden, aber sie hatte sich eben an ihn gewöhnt.

Draußen wurde es langsam dunkel und die Straßenlichter warfen ihren Schein durchs Fenster. Wie gerne wäre sie jetzt noch einmal zu den Salzwiesen gegangen, um den Strandflieder oder das Milchkraut zu bewundern. An manchen Tagen, wenn das Wetter gut war, dann legte sie mit dem Fahrrad im Sommer auf der Insel an die fünfzig Kilometer zurück.

Vielleicht habe ich deshalb diese stämmigen Waden, dachte sie, als sie nach unten sah und ein Hosenbein anzog.

Dann ließ sie Waden Waden sein und konzentrierte sich wieder auf die Akte auf ihrem Tisch. Die Recherche zu der Vergangenheit von Belinda Schnieders, die eine geborne Bruch war, hatte keine Hinweise auf Ungereimtheiten in ihrer Biografie zutage gefördert. Sie war das typische verwöhnte Kind aus gutem Hause, das von Beginn der Schullaufbahn an alles richtig gemacht hatte. Ein Abi mit Durchschnitt 1,2 und dann ein Studium der Betriebswirtschaft. Sie hatte sich schließlich für eine Laufbahn als Bilanzbuchhalterin entschieden, weil ihr Vater eine ebensolche Kanzlei führte, und zwar mit lukrativen Einnahmen, die keine luxuriösen Wünsche offenließen. Wahrscheinlich sollte sie diese eines Tages übernehmen. Heta interessierte sich nur in zweiter Linie für die Eltern des Opfers. Pascal Schnieders, so hatte er ihr erzählt, hatte es den Eltern schonend am Telefon beizubringen versucht, dass ihr einziges Kind nicht mehr lebte. Es musste sie völlig aus der Bahn geworfen haben.

Der Lebenslauf von Pascal Schnieders indes wies Lücken auf, die sie bei der nächsten Befragung zu schließen hoffte. Mit Ach und Krach hatte er die Realschule abgeschlossen, weil er vermutlich lieber in die Disco als zur Schule ging. Woher Andreas diese Erkenntnis hatte, erschloss sich ihr nicht. Vielleicht hatte er es auch nur dazugeschrieben, um witzig zu sein. Danach kam eine Ausbildung zum Mediengestalter bei einer Regionalzeitung, wo er dann wohl richtig in der Branche durchstartete, bis er sich vor ein paar Jahren sogar selbständig machte. Und mit Selbständigen war das immer so eine Sache. Wer konnte bei denen schon hinter die Kulissen sehen. Da wurde gedreht und frisiert, bis alles passte. Und es schien gut zu passen. Andreas hatte zahlreiche Fotos aus dem Facebookaccount von Pascal Schnieders ausgedruckt, die ihn auf großen Segelyachten und Törns nach Monaco zeigten. Schnieders war ein ganz schöner Angeber. Und dazu passte dann auch eine Frau, die so schön war wie Belinda. Sie war auf vielen Fotos in schönen Bikinis als Beiwerk ihres Mannes zu bewundern. Anders konnte man die Inszenierungen wirklich nicht interpretieren. Er hielt sie immer fest im Arm, so, als wollte er für jeden deutlich machen, dass sie ihm gehörte, nur ihm.

Fast wünschte sich Heta, dass das Ergebnis des Schniederschen Sekrets etwas anderes zutage förderte, damit er mal von seinem hohen Ross herabsteigen würde.

 

Endlich kam Andreas mit der Pizza. Schnell holte sie Pappbecher und Besteck heraus, während er den Lambrusco in der Kochecke öffnete.

»Ich hab nochmal bei Hannes angerufen«, erklärte Heta, während sie in die erste Ecke biss. »Er hat noch nichts.«

»Das wäre ja auch wirklich ein bisschen viel verlangt gewesen.« Andreas prostete ihr zu.

»Herrlich«, lobte Heta, »dieser Italiener macht wirklich die besten Pizzen. Aber das darf ich Klaas gegenüber nicht erwähnen, dass ich die lieber mag als seine Fischbrötchen.« Sie lächelte spitzbübisch. »Vielleicht sollte ich mal wieder be ihm anrufen und ihn fragen, wie es ihm geht. Schließlich hat er die Tote ja gefunden. Übrigens, das sind ja ganz schön protzige Bilder, die der Schnieders da auf Facebook gepostet hat. So sagt man das doch, oder?«

Andreas nickte. »Er hat eben die Kohle und kann es sich leisten.«

»Würdest du auch so angeben, wenn du nicht bei der Polizei arbeiten würdest und echtes Geld verdientest?«

»Ich bin nicht der Typ dafür«, erwiderte er, »aber die Kohle hätte ich trotzdem gerne.«

»Tja, aber Geld alleine macht auch nicht glücklich.«

»Ist dir das mit seinem Namen auch aufgefallen?«

Heta blickte interessiert auf. »Sein Name?«

»Ja«, nickte Andreas, »den hat er offenbar geändert.«

»Inwiefern. Hieß er nicht immer Pascal?«

»Das weiß ich nicht. Aber im Moment rede ich von seinem Nachnamen.«

»Den hat er geändert? Nein, das ist mir nicht aufgefallen.«

»Doch, so vor etwa fünfzehn Jahren, als er Anfang zwanzig war so ungefähr. Davor hieß er nämlich Gonschor.«

»Tatsächlich? Was hat das denn nun wieder zu bedeuten?«

»Kann ich noch nicht sagen, dazu müsste ich weiter in die Tiefe gehen.«

»Das solltest du tun. Es ist nicht üblich, dass ein Mann seinen Namen ändert. Die meisten machen es ja auch nicht, wenn sie heiraten.«

»Ich kann da gerne gleich nochmal nachforschen«, schlug Andreas vor und Heta schielte zum Scrabblespiel.

»Ja, mach das bitte«, erwiderte sie. »Wenn wir hier fertig sind, dann werden wir uns beide nochmal intensiv mit dem Pärchen beschäftigen. Und vielleicht kommt dann ja auch endlich der Anruf von Hannes und wir wissen, in welche Richtung wir den Täter suchen müssen.«

»Sie hat keine Abwehrspuren, oder?«

»Nein, davon steht nichts in Hannes Bericht.«

»Also hat sie den Täter auf jeden Fall gekannt.«

»Wenn sie mit ihm Sex hatte, gehe ich davon aus.«

»Nun ja, es kann doch auch sein, dass sie vergewaltigt worden ist.«

»Dann hätte Hannes das festgestellt, wenn sie mit dem Verkehr nicht einverstanden gewesen wäre.«

»Und wenn sie dabei betäubt war?«

»Mist«, Heta kratzte sich am Kinn. »Wie lange kann man das Zeug im Blut eigentlich nachweisen? Wenn der Schnieders auch was von der Engelstrompete geschnupft hat, dann wäre das doch nachweisbar.«

»Stimmt.«

»Verflucht, daran hätte ich wirklich früher denken können.«

»Sicher findet Hannes das anhand der Speichelprobe auch heraus, also kein Problem«, gab Andreas Entwarnung.

Heta atmete erleichtert aus. »Ich glaube, ich werde alt. Das wäre mir vor ein paar Jahren nicht passiert, dass ich einfach über so etwas hinweggehe.«

»Dafür hattest du ja wenigstens deinen Mittagsschlaf.«

»Haha.« Sie griff nach dem Tennisball und warf damit nach ihm.

Sie räumten gemeinsam ab und setzten sich dann jeder an den Schreibtisch, um sich noch einmal intensiv mit den vorhandenen Fakten zu befassen.

Nach etwa einer Stunde klingelte endlich das Telefon und Heta riss den Hörer förmlich an sich.

»Hannes?«

»Ja. Und ja.«

»Sicher?«

»Ja.«

»Okay. Sag mal, wie ist das eigentlich mit der Engelstrompete ...«.

»Ja.«

»Was ja?«

»Davon gab es Spuren in seiner Probe.«

»Aha. Das ist sehr wichtig für uns. Danke, dass du das gleich mitgescheckt hast.«

»Ja.«

»Dann einen schönen Feierabend, den hast du dir wirklich verdient.«

»Ja.«

Sie spürte, dass er schon im Begriff war, die rote Taste zu drücken, da rief sie noch einmal: »Und Hannes ...«

»Ja?«

»Könnte es sein, dass sie bewusstlos war, als sie den Geschlechtsverkehr hatte?«

Ein Moment der Stille. Es raschelte bei Hannes im Hintergrund, offenbar blätterte er in Papieren.

»Das könnte sein«, sagte er dann.

»Weil es keine Abwehrspuren gibt?«

»Ja.«

»Okay, ich danke dir.«

Dann legten sie auf.

 

Andreas, der alles mitbekommen hatte, sah sie fragend an.

»Sollen wir ihn jetzt noch einmal in die Mangel nehmen?«

»Hm, ich weiß nicht. Was sollen wir denn sagen? He, Schnieders, offensichtlich waren Sie und ihre Frau von der Engelstrompete so berauscht, dass sie einvernehmlichen Sex hatten, den sie leider nicht überlebte? So ungefähr?«

»Du hast recht. Wir sollten die Nacht durchmachen und weiter in seiner Vergangenheit graben. Vielleicht finden wir ja doch noch einen Grund, warum er sie absichtlich um die Ecke gebracht hat. Wobei ich nicht glaube, dass es wegen des Geldes war. Davon hat er ja genug.«

»Du ahnst ja gar nicht, wie viele Gründe es gibt, seinen Ehepartner zu ermorden«, orakelte Heta und beugte sich wieder über die Akte.

»Du musst es wissen«, murmelte Andreas.

Dann wurde es still im Büro.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752144765
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Mai)
Schlagworte
Inselkrimi Langeoog Borkumkrimi Langeoogkrimi Krimi Ostffrieslandkrimi Borkum Humor Cosy Crime Whodunnit Ermittler Thriller Spannung

Autor

  • Moa Graven (Autor:in)

Moa Graven ist Ostfriesin und schreibt seit 2013 Krimis. Erst mit fünfzig hat sie die Leidenschaft für das subtile Verbrechen auch für sich entdeckt, als sie einen Fortsetzungskrimi für ein Monatsmagazin schrieb. Seit 2017 lebt die Autorin vom Schreiben und eröffnete ein Krimihaus in Rhauderfehn, wo man sie auch besuchen kann.